Bonner Qualitätsforum 08.02.2001 Vortragsreihe 2001: Qualität interdisziplinär erreichen Von der Analyse anschaulicher Szenarien zur Qualitätsförderung einer medizin-telematischen Anwendung Francisca May und Luis Beck Am Beispiel von ARGONAUTA soll gezeigt werden wie der Gesundheitsfürsorge- und -vorsorge Prozess (Health Care Process) durch telematische Anwendungen beeinflußt wird und wie nützlich die Analyse anschaulicher Szenarien für die Qualitätsförderung einer medizin-telematischen Anwendung sein kann. Der Gesundheitsfürsorge- und -vorsorge - Prozess besteht aus vier Hauptkomponenten, nämlich: I. Gesundheitsförderung und Patientenschulung, II. Patientenbehandlung und -pflege, III. Ständige Fort- und Weiterbildung von Medizin- und Pflegepersonal, IV. Verwaltung. Telematische Anwendungen können eine oder mehrere dieser Komponenten bzw. deren Unterkomponenten oder gar Bausteine beinflussen. Die Feststellung, welche der Haupt- und Unterkomponenten oder Bausteine des Gesundheitsfürsorge- und vorsorge – Prozesses durch eine telemedizinische Anwendung beeinflusst werden, ermöglicht es, Anwendung und Prozess in ein überschaubares Verhältnis zueinander zu bringen. Eine kurze Einführung in das ARGONAUTA-Projekt soll nun zum besseren Verständnis des Themas beitragen. ARGONAUTA ist eine internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Medizin-Telematik, die von der Europäischen Kommission im 4. Rahmenprogramm mitfinanziert wird. Das System bietet Ärzten, die in entlegenen Regionen tätig sind, Unterstützung durch Fachärzte und Experten in Universitätskrankenhäusern bei der Entscheidung bei schwierigen Diagnosen oder Therapien. Diese Unterstützung kann in Form eines Konsils mittels Videokonferenz oder durch Befunderhebung spezieller Untersuchungen erfolgen, aber auch dadurch, dass Weiter- und Fortbildungskurse synchron und asynchron dargeboten werden. Am Anfang der Projektarbeit mussten die betreffenden Dienstleistungen genau beschrieben werden. Dafür wurden die künftigen Nutzer befragt und wurde eine Erfassung und Analyse von Nutzeranforderungen durchgeführt. Schliesslich wurden synchrone und asynchrone Interkonsultations- und medizinische Weiterbildungdienste implementiert. Die Durchführung eines solchen Unternehmens ist nicht trivial, da die Vorstellungen der Patienten, der Ärzte, des Pflegepersonals, der Krankenkassen und des Verwaltungspersonals (Systemnutzer) einerseits und die Vorstellungen der Technologieentwickler andererseits bezüglich der Eigenschaften und der Funktionalität eines medizin-telematischen Systems weit auseinander klaffen. Aus der Sicht der Technologientwickler steht eine neue technologische Entwicklung und ihre Implementierung im Vordergrund, während aus der Sicht des Health Care Teams der Patient der Mittelpunkt der zu entwickelnden Anwendung ist, also Diagnose, Therapie und Wohlergehen des Patienten die Prioritäten sind. Um diesen unterschiedlichen Einstellungen gerecht zu werden, wurden, basierend auf den von den künftigen Nutzern des Systems gestellten Anforderungen, anschauliche Szenarien erarbeitet. Ein Szenarium ist nichts anderes als die Beschreibung einer konkreten Situation, wie sie sich tagtäglich unter den Nutzern ergeben wird, wenn das nach den Nutzeranforderungen gebaute System in Betrieb ist. Eine detaillierte Analyse solcher Szenarien ermöglicht a) die Erkennung spezifischer Systemfunktionalitäten, b) die Erkennung von Akteuren und deren Rollen (Nutzer des Systems), c) die Erkennung neuer, vom Nutzer zu erlernenden Fertigkeiten, welche ihn in die Lage versetzen, die sich aus der Systemnutzung ergebenden Aufgaben zu bewältigen, d) auf c basierend, die Erfassung der Schulungsanforderungen für die Nutzer. Die Formalisierung der Aktivitätensequenz, die aus der Analyse eines anschaulichen Szenariums hervorgeht, ermöglicht die Bestimmung eines medizin-telematischen Prozesses. In ARGONAUTA haben wir uns auf solche Prozesse konzentriert, die durch telematische Anwendungen unterstützt werden, und nicht auf medizinische Prozesse, die vom Personal des Health Care Teams unmittelbar am Patienten durchgeführt werden. Ein Ablaufdiagramm, d.h. die graphische Darstellung der Aktivitätensequenz, veranschaulicht den Prozess und erleichtert die Identifizierung potentieller Hinweiszeichen (im Sinne eines sentinel indicators). Jede der ARGONAUTA-Dienstleistungen wurde als Prozess erfasst und graphisch als Ablaufdiagram dargestellt. Als Erstes haben wird die Schritte festgelegt, die im Hauptprozess zu bewältigen sind, und haben dann anhand der Identifizierung von Hinweiszeichen unterstützende Prozesse abgeleitet, die eine Rückkehr zum Hauptprozess ermöglichen, nachdem ein Problem bewältigt wurde. Bei diesen unterstützenden Prozessen wurde auch identifiziert: 1. in welchem Bereich das Problem auftritt, 2. wie dieses Problem am besten beseitigt wird, und 3. wer für die Bewältigung des Problems zuständig ist. Eine ständige Prozess- und Fehleranalyse ermöglicht die kontinuierliche Überprüfung und Verbesserung der Prozesse, was wiederum eine ständige Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen nach sich zieht. Dies erfordert, dass alle Beteiligten - wie z.B. Nutzer, Anbieter medizinischer Dienstleistungen und technischer Wartungsdienste - im Rahmen von Qualitätszirkeln gemeinsam Leitlinien formulieren, die sowohl die Nutzung des Systems und die Identifizierung und Aufhebung von Fehlern erleichtern, als auch zur Unterstützung der kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse benutzt werden können. Diese Form der Festlegung des Ist-Zustandes dient gleichzeitig auch als Grundlage für den Aufbau eines Qualitätsmanagements im Sinne des EFQM-Modells (European Foundation for Quality Management). F May & L Beck DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin