Umwelt & Energie Eine Norm für die soziale Nachhaltigkeit von Gebäuden Die neue Norm prEN 16309 steht zur Beschlussfassung an Seit 2005 wird zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden vom Technical Committee TC 350 der europäischen Normungsorganisation CEN eine Normenreihe herausgegeben. Das Besondere daran ist, dass die Normungsarbeit nicht nur Umweltaspekte, sondern auch soziale und wirtschaftliche Aspekte umfasst. Nachdem vor 2 Jahren die Methoden für die ökologischen Aspekte und Wirkungen veröffentlicht wurden, steht nun die Berechnungsmethode für die sozialen Aspekte zur Abstimmung. Ende des Lebenszyklus wird durch die Forderung nach möglichst weitgehender Wiedernutzung und Recycling immer wichtiger. Bewertung von 140 Indikatoren in 7 Informationsmodulen Wibke Tritthart studierte Technische Physik an der Technischen Universität Graz. Seit 1988 wissenschaftliche Mitarbeiterin des IFZ im Forschungsbereich „Energie und Klima“. Arbeitsschwerpunkte: Ökologisches Bauen und Sanieren sowie Dienstleistungskonzepte dazu, effiziente Energienutzung in Haushalten und öffentlichen Verwaltungen, insbesondere Smart Metering, soziale Aspekte der Gebäudeverwaltung. E-Mail: [email protected] Die Ermittlung, wann ein Gebäude als nachhaltig bezeichnet werden kann, ist das Kernthema der Arbeit „Nachhaltigkeit von Bauwerken“ des CEN TC 350. In einem ersten allgemeinen Standard [EN 15643-1] wurden die Eckpunkte für diese Ermittlung festgelegt: Sie sollte als eine Gebäude-Ökobilanz durchgeführt werden, wo Gebäude und dazugehörige Bauparzellen betrachtet werden und die Wirkungen, welche davon ausgehen. Die Lebenszyklusphasen wurden unterschieden in Vor-Nutzungsphasen – das sind Produktion der Materialien und Bauelemente sowie Errichtung –, Nutzungsphase und Nachnutzungsphase. Die Ökobilanz eines Gebäudes wird nun im Wesentlichen als Summe der Ökobilanzen aller verwendeten Produkte und Materialien und ihrer Transporte berechnet. Während der Nutzung spielen vor allem Energie- und Wasserverbrauch eine Rolle. Der Abbruch des Gebäudes am Für die soziale Bewertung spielt die Nutzungsphase eine herausragende Rolle. Das liegt an der langen Lebensdauer von Gebäuden und der besonderen Bedeutung für das Wohlbefinden, die Zufriedenheit und die Regeneration der BewohnerInnen. Die regelmäßigen NutzerInnen eines Gebäudes (ArbeitnehmerInnen, Servicepersonal und BewohnerInnen) sind somit die Personengruppe, auf die die meisten Ziele der Bewertung bezogen sind. Sie sind in die folgenden Bewertungskategorien gegliedert: Zugänglichkeit (Barrierefreiheit), Gesundheit und Behaglichkeit, Sicherheit und Schutz, Anpassungsfähigkeit/Flexibilität des Gebäudes und Instandhaltung. Als Belastungen für Nachbarn werden Lärm, Verschattungen, Blendungen und ähnliches, die durch das Gebäude auf benachbarte Bereiche wirken, genannt. Alle Aspekte, die für die Bewertung herangezogen werden sollen, sind nun in dem neuen Entwurf der Norm prEN 16309 („Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der sozialen Qualität von Gebäuden – Methoden“) ausgeführt. Die Evaluierung soll für die unterschiedlichen Phasen der Nutzungszeit erfolgen, das sind zusätzlich zum „normalen Gebäudealltag“ Zeiten der Reinigung und Wartung, Reparaturen und Sanierungen bzw. Modernisierungen. Da für die 22 Aspekte insgesamt rund 140 Indikatoren zu evaluieren sind und diese wiederum in 7 Informationsmo- dulen, ist ein aufwendiges Regelwerk entstanden. Dies muss jedoch relativiert werden: Zahlreiche Indikatoren sind mit ja/nein rasch abzuhaken. Andere sind nicht für alle Regionen relevant und nicht für alle Gebäudetypen anwendbar. Für wenige Indikatoren gibt es eine anwendbare Berechnungsmethode, viele werden daher als „Checkliste“ ausgeführt werden. Schließlich wird erst die Praxis zeigen, ob es gelungen ist, eine Balance zwischen Handhabbarkeit und dem umfassenden Anspruch zu finden. Szenarien als Grundlage Ein wesentlicher Teil des Konzepts besteht darin, Szenarien als Grundlage der Bewertung für alle Lebenszyklusphasen zu fordern. Dabei unterscheiden sich die Szenarien im Sinne der Ökobilanz von der bekannten Szenario-Technik in der Zukunftsforschung und der strategischen Planung, wo Szenarien dazu dienen, alternative zukünftige Entwicklungen, oft auch Extremszenarien und „Business as usual“-Szenarien, einander gegenüberzustellen. Szenarien sind in der Ökobilanz dort notwendig, wo zu wenig Informationen zur herrschenden Praxis vorhanden sind, z. B. über den Gebrauch oder die Entsorgung eines Produktes, diese Lebenszyklen aber dennoch nicht ausgelassen werden sollen. Sie sind vor allem für langlebige Produkte wie Gebäude eine wichtige Grundlage der Bewertung und spielen daher in den Normen der CEN TC 350 eine ungleich größere Rolle als in der „allgemeinen“ Ökobilanz-Methode. Ein großes Verdienst der prEN 16309 besteht darin, dass es gelungen ist, der sozialen Dimension einen nahezu ebenbürtigen Platz neben den über Jahre hinweg wesentlich weiter entwickelten Ökobilanz- und Lebenszykluskosten-Methoden zu verschaffen. Es ist zu hoffen, dass mit der prEN 16309 auch die Bemühungen um eine umfassende Sichtweise einer „Nachhaltigkeitsbilanz“ (Zamagni 2012) für Bauprodukte und Gebäude gestärkt werden. Literatur • Zamagni, A.: Life Cycle Sustainability Assessment. In: International Journal of Life Cycle Assessment, Vol. 17, 4/2012, p. 373-376. I Soziale Technik 2/2013 5