Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz Selbstbestimmtes Leben statt Überleben! Grundeinkommen für alle – ohne Bedingung! Von Mark Unbehend und Denny Möller Der Skandal der Kontinuität von Armut und Perspektivlosigkeit in einer reichen Gesellschaft Rund 1,1 Millionen Kinder unter 18 Jahren leben in der BRD unter der Armutsgrenze. So ein Ergebnis beider Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung in 2001 und 2005. Kinder sind damit die größte von Armut betroffene Risikogruppe. Weitere Studien und Berichte - wie die AWO-ISS-Studien, der 12. Kinder- und Jugendbericht und PISA bestätigen das Ausmaß und die Qualität von Kinderarmut. Benachteiligungen in der materiellen und finanziellen Grundversorgung gehen tendenziell einher mit Benachteiligungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Mobilität und gesellschaftlicher Partizipation. Die anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit und die schlechte Situation auf dem Ausbildungsmarkt verstärken Armutskarrieren junger Menschen, was den Ausschluss von gesellschaftlicher Partizipation bedeutet. Den durch diese wissenschaftlichen Ergebnisse belegten strukturellen Ausschluss zahlreicher Kinder und Jugendlichen erfahren wir tagtäglich in unserer pädagogischen Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen. Jugendverbände und andere Jugendhilfeträger leisten durch ihre Kontinuität einen wichtigen Beitrag, um diese Tendenzen. Gerade das Jugendwerk der AWO richtet sich mit seinen Angeboten verstärkt an benachteiligte Kinder und Jugendliche. Dies sind wichtige Beiträge, um ärmeren Kindern und Jugendlichen ein Höchstmaß an Partizipationsmöglichkeiten zu bieten. Doch das reicht nicht aus! Damit sich an der Lebenssituation dieser Kinder und Jugendlichen grundlegend etwas ändert, bedarf es eines politischen Umdenkens. Seit Mitte der 80er Jahre wird das verheerende Ausmaß an Armut kontinuierlich von WissenschaftlerInnen bestätigt, ohne dass eine Veränderung zum Guten feststellbar wäre. Im Gegenteil! Die soziale Ungleichheit wächst noch. Deutschland ist ein reiches Land, lautet ein Ergebnis des Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung 2005. Doch mit dem Reichtum nimmt auch die Armut zu. Es ist ein Skandal und ein „Armutszeugnis“ für die politisch Verantwortlichen, dass sich an diesem Zustand sozialer Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten nichts Maßgebliches verändert hat. Nicht nur skandalös, sondern politisch, gesellschaftlich und moralisch unverantwortlich ist aber der Sachverhalt, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche weiterhin in ArmutsLebenslagen aufwachsen müssen. Es wird so getan, als gäbe es dazu keine Alternativen. Die bisherigen Politikkonzepte haben ausgedient, und doch predigt die herrschende Politik Durchhalteparolen. Die „alten“ Rezepte werden uns ständig als neue präsentiert. Die Wirtschaft müsse nur genügend entlastet und unterstützt werden, dann werde sie schon Arbeitsplätze schaffen, was dann auch die Armut beheben würde. Damit wird seit drei Jahrzehnten eine soziale Kürzung nach der anderen begründet und Sozialabbau vorangetrieben. 1 Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz Vor allem benachteiligten Jugendlichen ist aber längst klar, dass ein großer Teil von ihnen ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt ist bzw. sein wird. Es ist an der Zeit, zu sehen, dass gesellschaftliche Partizipation und soziale Sicherung auch ohne Lohnarbeit möglich sein müssen. Die Prekarisierten und Ausgegrenzten müssen wieder die Möglichkeit bekommen, an dieser Gesellschaft teilzuhaben, auch ohne dass sie zu jedweder Arbeit gezwungen oder ständig mit Repressionen und Arbeitslosigkeit in ihrer Existenz bedroht werden. Der gesellschaftlichen Realität muss die Konsequenz im politischen Handeln folgen. Die Frage „Wie bekommen wir möglichst alle in Erwerbsarbeit?“ ist durch die Frage „Wie sind eine möglichst breite gesellschaftliche Partizipation und soziale Sicherung aller möglich, ohne das unerreichbare Ziel der Vollbeschäftigung zwanghaft anzustreben?“ zu ersetzen. Oder einfacher: Wie kann eine gesellschaftliche Partizipation für alle gewährleistet werden, auch wenn nicht alle einen Job haben? Das sind kinder- und jugendpolitisch entscheidende Fragen, denn es geht um die alternative Gestaltung von Gesellschaft und der Zukunft von Kindern und Jugendlichen. Wieso Vollbeschäftigung, wenn es doch auch ohne geht? Mit immer weniger Arbeitszeit können die Menschen heute immer mehr herstellen, dank Rationalisierung und Produktivitätssteigerung. Überflüssige Arbeit wird abgeschafft, immer mehr harte körperliche Arbeit durch Maschinen erleichtert oder ersetzt. Eine möglichst hohe Lebensqualität für alle, mit möglichst geringem Aufwand. An und für sich wäre das doch eine wunderbare Vorstellung, der wir heute näher sind als je zuvor! Alle könnten wieder mehr Zeit für sich, ihre Hobbys und andere Menschen haben. Eltern könnten für ihre Kinder und deren Erziehung da sein, Kinder für die Pflege ihrer Eltern. Alle hätten mehr Zeit, sich fürs Jugendwerk und andere weniger wichtige Dinge zu engagieren. Die Grundvoraussetzungen dafür sind längst da. Der weltweit vorhandene Reichtum ermöglicht auch bei abnehmender Erwerbsarbeit eine soziale Absicherung für alle. Würden wir die Arbeitszeit, die für das gesellschaftlich Notwendige aufgebracht werden muss, aufteilen, dann müssten wir nur noch 2-3 Stunden am Tag arbeiten, ohne dass wir damit in die Steinzeit zurückfallen würden. Im Gegenteil! Durch die fortschreitende Technisierung vieler Arbeiten kann vieles viel schneller, besser und weniger mühselig verrichtet werden. Paradiesische Zustände also! Doch weit gefehlt! Wir leben in absurden Zeiten. Noch nie gab es so viel Reichtum bei gleichzeitig hoher Armut. Seit Anfang der 80er Jahre ist das Lohnarbeitsprinzip in den westlichen Gesellschaften in der Krise! Die Einen sind „draußen“ und arbeitslos, Massenarbeitslosigkeit ist mittlerweile Dauerphänomen. Die Anderen sind „drinnen“, haben also bezahlte Arbeitsplätze, spüren aber, dass diese immer prekärer werden. Stichwörter sind: Generation Praktikum, De-factoVerlängerung des Kündigungsschutzes, Diskussion um Arbeitszeitverlängerung, 1-Euro-Jobs, … Arbeitslosigkeit wird als Problem dargestellt und ist es de facto für die Arbeitslosen auch, da sie ohne eine Arbeit, die einen Lohn bringt, nichts wert sind. Menschen werden über Hartz IV (1-Euro-Jobs) und andere Maßnahmen gezwungen, egal welche Lohnarbeit anzunehmen. Und das, obwohl nicht mehr genügend bezahlte Arbeitsplätze da sind und die vorhandenen Arbeitsplätze immer weniger zum Auskommen und Leben reichen. Immer mehr Menschen 2 Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz arbeiten in mehreren schlecht bezahlten Jobs und sind trotzdem arm. Immer mehr junge Menschen tingeln nach dem Studium von einem Praktikum zum nächsten schlecht bezahlten Nebenjob und wieder zurück. Für Lohn zu arbeiten wird so zum Lebenssinn erklärt, und nicht das Leben selbst. Ein Mensch sei nur etwas wert, wenn er arbeitet – und zwar für Lohn. Sich im Jugendwerk oder sonst wo zu engagieren, zählt dabei nicht mehr oder muss in den Lebenslauf passen. Seit über 30 Jahren anhaltender Massenarbeitslosigkeit wird uns als Lösung von Unternehmen, Parteipolitik, Medien und Gewerkschaften erklärt, dass wir alles tun müssten, um alle Menschen schnellst möglich wieder in Lohnarbeit zu bringen. Als wäre das das erste Ziel der Menschheit? Dahinter steht das Ziel einer Vollbeschäftigung, orientiert am klassischen Erwerbsarbeitsmodell. Doch warum sollte Vollbeschäftigung das Ziel sein, wenn es auch ohne eine solche Vollbeschäftigung geht, den gesellschaftlich gewünschten Reichtum zu erwirtschaften? Unseres Erachtens sollte es vielmehr um die Frage gehen, welche Wege es gibt, die allen Menschen ein Existenz sicherndes Leben ermöglichen, ob sie nun arbeiten oder nicht. Wer Mündigkeit will, muss sie immer schon voraussetzen! Das Menschenbild, welches hinter der Vollbeschäftigungsideologie steht, versperrt aber eine solch einfache Frage. Ein Mensch gilt demnach nur dann als gesellschaftlich integriert, wenn er oder sie (für Lohn!) arbeitet. Dabei wird vorausgesetzt, dass diese Arbeit fremdbestimmt für andere erfolgt. Das widerspricht unserem Menschenbild, wie wir es im Pädagogischen Konzept des Jugendwerkes der AWO festgehalten haben: „Wir sind überzeugt, dass alle Menschen in der Lage sind und innerhalb ihrer sozialen Beziehungen die Fähigkeit besitzen, für sich und andere (z.B. die Gruppe) Verantwortung zu übernehmen. […] Die notwendige Grundlage unseres Menschenbildes und damit unserer Pädagogik ist die Überzeugung, dass Kinder und Jugendliche nicht zum Subjekt gemacht werden müssen und können, sondern dass sie mündige Subjekte sind und als solche an unserer Verbandsarbeit teilhaben. Mündigkeit bezeichnet die Fähigkeit eines Individuums, in Kenntnis der Normen und Werte einer Gesellschaft, in Übereinstimmung mit seiner persönlichen Identität eigenverantwortlich zu handeln. Emanzipation ist die Freisetzung von Mündigkeit, sie ist die Überwindung von fremdbestimmten Lebensverhältnissen, von Bevormundung und Benachteiligung. […] Wer Mündigkeit will, muss sie immer schon voraussetzen.“1 Im Jugendwerk bieten wir Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen und zu entfalten. Wir setzen dabei die Mündigkeit des Menschen voraus, für sich selbst zu entscheiden, was für die Gemeinschaft und sie selbst sinnvoll und gut ist. Zu Mündigkeit müssen Menschen nicht gezwungen werden. Aber genau das tut die vorherrschende Politik. Sie zwingt Menschen in Lohnarbeit, obwohl es genügend Reichtum und nicht mehr ausreichend Arbeitsplätze gibt. Unnötiges Arbeiten, nur der Arbeit willen? Leben, um zu arbeiten? Und dabei ist Lohnarbeit an sich schon fremdbestimmt, mensch arbeitet für andere! Das kann mal mit mehr, mal mit weniger Gestaltungsspielraum und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung sein, aber grundsätzlich bleibt die Abhängigkeit von einem/r anderen. Gerade in dem gesellschaftlich wichtigsten Lebensbereich der Menschen, im 1 Vgl. Bundesjugendwerk der AWO (Hg.) (2004): Das Leben ist unser! Pädagogisches Konzept des Jugendwerks der AWO (Jugendwerksposition, Nr. 2), S. 43/44 3 Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz Arbeitsleben, zählen kritisches Denken und demokratische Mitbestimmung nicht. Hier bestimmen lediglich die Besitzenden über die Nicht-Besitzenden. Hier gilt: Wer nichts hat, ist auch nichts! Und wer hat, bestimmt, wer sozial integriert wird! Integration wird somit zum Integrationszwang in das Bestehende. Soziale Integration – Von Lohnarbeit soll mensch leben können, ohne Lohnarbeit auch! In unserer pädagogischen Arbeit beschäftigen wir uns immer auch mit der dahinter stehenden Frage der sozialen Integration. Integration wird in heutigen Wohlstandsgesellschaften überwiegend als Integration in Arbeit verstanden. Schule, Universität, Sozialpädagogik und andere Bereiche der Pädagogik sollen - so die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung - auf das Arbeitsleben vorbereiten. Lohnarbeit wird als wichtigster Lebensbereich vermittelt. Die Selektion und damit der Leistungsdruck, die jeweilige Ware Arbeitskraft auf dem Markt am besten verkaufen zu können, fangen bereits in der Schule an. Wir positionieren uns gegen dieses Denken und politische Handeln! Von Lohnarbeit soll mensch leben können, aber ohne Lohnarbeit auch. Gesellschaftliche Partizipation und Integration kann und darf nicht nur dann gegeben sein, wenn Menschen einen Arbeitsplatz haben und sich (ihrer/m ArbeitgeberIn gegenüber) „wohlgefällig“ verhalten. Die Existenzberechtigung des Menschen muss grundsätzlich unabhängig von der ökonomischen Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft sein. Das gilt auch für Tätigkeiten, die bisher nicht entlohnt werden, also z.B. Kindererziehung oder auch das Engagement im Jugendwerk der AWO. Die Ausdehnung des Prinzips der Lohnarbeit auf diese Tätigkeitsbereiche lehnen wir ab. Das würde den Charakter der Freiwilligkeit zerstören und diese bisher selbst bestimmten privaten Tätigkeiten ebenfalls zu einem Teil der Ware Arbeitskraft machen. Das bedingungslose Grundeinkommen als Alternative zu Existenzangst, Armut und Arbeitszwang Deswegen fordern wir ein garantiertes und bedingungsloses Grundeinkommen für alle, unabhängig davon, ob Menschen dafür etwas leisten bzw. arbeiten oder nicht. Menschen sollen ein Einkommen zum Leben haben, auch wenn sie keinen Arbeitsplatz haben. Das Recht auf Einkommen ist ein Menschenrecht. Es ist vom „Recht auf Arbeit“, das heute eher eine Pflicht zur Arbeit ist, getrennt zu sehen und muss gewährleistet sein, auch wenn es nicht genügend bezahlte Arbeitsplätze für alle gibt. Das Grundeinkommen… - … soll bedingungslos gewährt werden! Menschen sollen nicht um ihr Recht auf Leben betteln müssen! Sie haben dieses Recht, weil sie Mensch sind. Mensch zu sein, reicht als Bedingung! Deshalb muss das Grundeinkommen bedingungslos sein, also ohne Arbeitszwang oder Bedürftigkeitsprüfung. - … muss garantiert sein, ein Rechtsanspruch, der einklagbar und auch nicht von heute auf morgen wieder rückgängig machbar wäre. Diese Sicherheit müsste gewährleistet sein, wenn Menschen ihre Lebensentwürfe darauf ausrichten. - … muss ausreichend hoch sein, um eine gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen. Es darf kein Almosen sein, wie es Sozialhilfe oder auch ALG II sind. Es 4 Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz geht uns nicht um ein Recht auf Überleben, sondern um ein Recht auf Leben und Partizipieren. Das Grundkommen muss deshalb mehr als Existenz sichernd sein, d.h. eine grundlegende gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen. - … sollte individuell und nicht auf Haushalte bezogen ausgezahlt werden, um die Abhängigkeit einzelner von „Haushaltvorständen“ zu verringern. Einige Vorteile eines solchen garantierten und bedingungslosen Grundeinkommens wären u. a.: - Mehr Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit – Menschen könnten frei entscheiden, wie sie ihre Zeit verbringen. Die derzeitigen Anzeichen in Richtung einer Kontroll- und Disziplinargesellschaft (z.B. 1-Euro-Jobs, Verschärfung der Zumutbarkeit, ALGII, Bedürftigkeitsprüfung) wären hinfällig. Die Etikettierung von „Arbeitslosen“ bzw. ALG-II-EmpfängerInnen wäre dann aufgehoben. Der Gang „aufs Amt“ bzw. „zur Agentur“ wäre kein diskriminierender mehr. - Dadurch käme es „automatisch“ zu einer Arbeitszeitverkürzung, denn es ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen trotzdem einen Teil ihrer Zeit mit Lohnarbeit zubringen würden, aber wahrscheinlich in Teilzeitstellen, da den Menschen auch andere Tätigkeiten (Hobbys, Kindererziehung, Urlaube usw.) wichtig sind, für die sie sich dann bewusst Zeit nehmen könnten. - Viel mehr Menschen würden und könnten sich ehrenamtlich organisieren, was zu einer Belebung einer demokratischen Gesellschaft beitragen würde. - Wirkliche Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt wäre gegeben. Es würden sich zum ersten Mal wirklich gleichberechtigte GeschäftspartnerInnen gegenüber treten: Auch die ArbeitnehmerInnen hätten die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag zu kündigen, ohne dadurch Gefahr zu laufen, ihre Existenz nicht mehr absichern zu können, sprich: arbeitslos zu werden. - Armut wäre auf einen Schlag abgeschafft, wenn – und das ist zu betonen – das Grundeinkommen ausreichend hoch wäre. Den durch Armut verursachten negativen sozialen Effekten und Benachteiligungen wäre damit politisch entgegen gewirkt. Das Gerede von Chancengleichheit hätte bei annähernd gleicher Grundvoraussetzung zum ersten Mal einen Sinn. - Frauen wären von der Abhängigkeit vom „männlichen Alleinernährer“ befreit. Das immer noch vorherrschende „Lebensmodell“ (Mann geht arbeiten, Frau am Herd) hätte seine Hauptgrundlage verloren und wäre dann nicht mehr der Weg des geringsten Widerstandes. - Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen würde sich in einer Grundeinkommensgesellschaft vieles ändern. Ihre Eltern hätten die Möglichkeit, mehr für ihre Kinder da zu sein. 1,1 Millionen Kinder müssten nicht mehr in Armutslebenslagen aufwachsen. Die durch das Mehr an Freiheit insgesamt gesteigerte Lebensqualität hätte ebenfalls Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen. Alle Kinder würden in der Grundeinkommensgesellschaft mit dem notwendigen Gefühl von Sicherheit aufwachsen, was für ihre weitere Entwicklung von enormem Wert ist. 5 Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz Typische Einwände gegen das Grundeinkommen und was wir davon halten Dann geht ja keiner mehr arbeiten! Hinter diesem Argument steht die Vorstellung, dass Arbeit nichts Schönes sein kann, zu dem mensch gezwungen werden muss. Aber warum sollte es Aufgabe der Politik sein, Menschen zu etwas nicht Schönem zu zwingen? Und wer will schon in einer solchen Zwangs- und Disziplinargesellschaft leben? Von den gleichen Leuten wird dann übrigens oft behauptet, der Mensch habe ein „natürliches“ Bedürfnis nach Arbeit. Mit Arbeit ist dann immer – ohne es zu sagen – Lohnarbeit gemeint, und nicht eine Tätigkeit mit Sinn, unabhängig davon, ob sie bezahlt wird oder nicht. Das Argument setzt außerdem voraus, dass Menschen gerne und tagelang in der Hängematte liegen würden, wenn sie nichts tun müssten. Dass das nicht stimmt, weiß jede/r der schon einmal eine Woche lang wirklich nichts getan hat. Das „Müllabfuhr“-Argument, oder: Wer macht dann noch die notwendigen Arbeiten? Dieses Argument ist ähnlich wie das oben genannte, aber es bezieht sich direkt auf die „notwendigen“ Arbeiten. Komisch, dass dabei vorausgesetzt wird, jede/r wisse, was das wäre, obwohl die Notwendigkeit von bestimmten Jobs bisher nie demokratisch ausgehandelt wurde. Oft wird das Beispiel der Müllabfuhr angeführt, was angeblich keine/r machen möchte. Es wird dabei vorausgesetzt, mensch müsse jemanden dafür bezahlen, dass die Drecksarbeit gemacht wird. Genauer: Die Arbeit, die der Mensch, der bezahlt, selbst nicht tun will. Derzeit lässt mensch also andere für sich schuften und findet das okay. Freiwilligkeit spielt dabei keine Rolle. Entweder gäbe es mit einem Grundeinkommen Leute, die dafür weiterhin bezahlt arbeiten, oder aber die Müllabfuhr würde sich anders organisieren, wie das ja z.B. auch schon über ehrenamtliche Papiersammlungen o. ä. funktioniert. Derzeit gibt es aber keine Debatte darüber, ob alles das, was als Arbeitsplatz existiert, auch wirklich gesellschaftlich sinnvolles Arbeiten ist. Diese gesellschaftliche Debatte würde ein solches Grundeinkommen erzeugen. Sicher ist, dass dann: - Schlecht bezahlte Jobs und auch Jobs mit schlechten Arbeitsbedingungen entweder besser bezahlt/gestaltet würden, oder sie würden nicht mehr getan. - Wenn dann bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausgeführt würden, begänne die Debatte darüber, ob diese Tätigkeiten denn sinnvoll und notwendig sind. Überflüssige Arbeiten würden dann einfach wegfallen. Notwendige Arbeiten würden entweder selbst organisiert ablaufen oder es würde zu anderen Regelungen kommen, die noch nicht vorhersehbar sind. In jedem Fall wäre mehr Selbstbestimmung und Demokratie beim Bestimmen der notwendigen Arbeiten möglich, da die Menschen nun die Zeit hätten, auch darüber nachzudenken. Wer soll denn das bezahlen? Dass die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens finanzierbar wäre, dürfte nicht mehr ernsthaft zur Debatte stehen. Es gibt zahlreiche Finanzierungsmodelle, die die Finanzierbarkeit belegen, wobei die meisten Modelle dies über eine Steuerfinanzierung erreichen. 6 Diskussionspapier zur Bundeskonferenz 2006, am 27./28.5.06, in Scharbeutz Zu bedenken ist dabei, dass viele Ausgaben des bisherigen Systems der sozialen Sicherung dann wegfallen würden, wie z.B. der bürokratische Aufwand, mit dem ALG-IIEmpfängerInnen kontrolliert, etikettiert und gedemütigt werden. Die gesamte Bundesagentur für Arbeit könnte von ihrem Stellenumfang her erheblich reduziert werden. Diese Kosten könnte die Gesellschaft einsparen. Letzten Endes braucht es zur Finanzierung des Grundeinkommens aber zuallererst den gesellschaftlichen Willen. Die politische Praxis zeigt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Finanztopf! Es wird nur besser, wenn es anders wird! Es gibt noch mehr Fragen, welche zur Idee des bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert werden müssen. Die Realisierbarkeit wird sich dann erweisen, wenn es gewollt ist. Und letzten Endes wird es auch nach der Realisierung noch zu regelnde Probleme und Fragen geben. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Allheilmittel. Entscheidend ist für uns aber, dass eine Grundeinkommens-Gesellschaft eine erhebliche Verbesserung und viel mehr Freiheit und Selbstbestimmung für viele Menschen – vor allem auch für Kinder und Jugendliche – bedeuten würde. Es ist eine Option für ein besseres und schöneres Leben für alle und damit ein Gegenmodell zur zunehmenden Repressions-, Kontroll- und Disziplinierungsgesellschaft, die Armut als Phänomen beschreibt, verwaltet und damit festschreibt. Deshalb wollen wir uns gemeinsam mit anderen für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen. Her mit dem Grundeinkommen für alle - ohne Bedingung! 7