Predigt zum Muttertag über Matthäus 15,21-28: Die Hartnäckigkeit einer Mutter St. Mangen / Linsebühl, 12. / 13. Mai 2007; von Pfr. Stefan Lippuner Danach verliess Jesus diese Gegend und wanderte bis in die Gegend der Städte Tyrus und Sidon. Dort begegnete ihm eine nichtjüdische Frau, die ihn anflehte: «Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Meine Tochter wird von einem bösen Geist furchtbar gequält.» Aber Jesus beachtete sie nicht. Seine Jünger drängten ihn: «Schick sie doch weg! Sie schreit sonst dauernd hinter uns her.» Da sagte er zu der Frau: «Ich habe den Auftrag, nur denen zu helfen, die zum Volk Israel gehören.» Sie kam aber noch näher, warf sich vor ihm nieder und bettelte: «Herr, hilf mir!» Aber Jesus antwortete wieder: «Es ist nicht richtig, wenn man den Kindern das Brot wegnimmt und es den Hunden vorwirft.» «Das stimmt», entgegnete die Frau, «aber die kleinen Hunde dürfen doch die Krümel fressen, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.» Jesus antwortete ihr: «Dein Glaube ist gross. Was du erwartest, soll geschehen.» Im selben Augenblick wurde ihre Tochter gesund. Liebe Gemeinde. Es ist ein eher sperriger Bibeltext, den ich mir für die heutige Predigt auferlegt habe. Ich möchte aber doch versuchen, einigen Aspekten dieser Begegnung, von der da berichtet wird, nachzugehen, und zwar speziell im Blick auf den Muttertag und die Wertschätzung der Mütter. Denn hier wird ja von einer Mutter erzählt. Was tut diese Mutter? Sie tut das, was jede gute Mutter tut: Sie kümmert sich um ihr Kind. Sie hat eine schwer kranke, ja gar von einem bösen Geist belastete Tochter, also unternimmt sie etwas. – Ich denke, das ist etwas vom Grundlegendsten, was man über das Mutter-Sein aussagen kann: Eine Mutter sorgt für ihre Kinder, kümmert sich um ihre Nöte und Probleme, setzt sich für sie ein. Eine Mutter ist da für ihre Kinder und unternimmt das, was nötig ist für deren Wohl. Was für eine grosse und grossartige Aufgabe ist das doch: für Menschen da zu sein, in Menschen, in die kommende Generation zu investieren, die Zukunft unserer Gesellschaft aufzuziehen! Sicher, nicht immer eine einfache Aufgabe, aber eine äusserst wichtige und (wie ich meine) letztlich auch sehr befriedigende Aufgabe. Mutter-Sein ist eine ganz hohe Berufung, ein Spitzenberuf. – Darum finde ich es so traurig und problematisch, dass diese Berufung eigentlich nur am Muttertag ausdrücklich wertgeschätzt wird; ansonsten geht der Trend in unserer Gesellschaft in eine andere Richtung, nämlich in Richtung Minderwertigkeit des Mutter-Seins und Fremdbetreuung der Kinder. Immer lauter wird es gefordert, immer stärker wird es gefördert, dass es mehr Kinderhorte, Tagessschulen etc. geben müsse, damit möglichst viele Mütter rasch von Haushalt und Kindern wieder wegkommen und richtig arbeiten können. Was in Wirtschaft und Verwaltung gang und gäbe ist, wird auch in der Familie immer üblicher: das sog. 'Outsourcing', d.h. Auslagerung: Die Betreuung und Erziehung der Kinder, das Da-Sein für die Kinder wird an andere Personen oder an staatliche oder soziale Institutionen abdelegiert. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will niemandem einen Vorwurf machen. In vielen Fällen ist es tatsächlich nötig, dass eine Mutter (mindestens teilzeitlich) einer bezahlten Arbeit nachgehen kann. Häufig besteht aber auch keine eigentliche wirtschaftliche Notwendigkeit dafür. Es ist dies in meinen Augen ein grosses gesellschaftspolitisches Problem, dessen Auswirkungen wir erst langsam, aber immer deutlicher erkennen, nämlich in den vielen alleingelassenen und verwahrlosten Kindern und Jugendlichen, um die sich wieder andere staatliche und soziale Institutionen kümmern müssen. – So ist es mir gerade am Muttertag ein grosses Anliegen: Eine Mutter soll, ohne schlechtes Gewissen und ohne Benachteiligung, für ihre Kinder ganz da sein dürfen und können. 2 Doch auch dann, sogar wenn sie nicht auch noch die Belastung einer Berufstätigkeit ausserhalb der Familie tragen muss, wird eine Mutter immer wieder einmal an ihre Grenzen stossen, an die Grenzen ihrer körperlichen oder seelischen Kräfte. Kindererziehung ist keine einfache Aufgabe, deshalb kann es immer wieder vorkommen, dass eine Mutter nicht mehr weiter weiss, dass ihr die Probleme und Sorgen über den Kopf wachsen. – So ist es auch dieser nichtjüdischen Frau ergangen (um jetzt wieder auf unseren Bibeltext zurückzukommen): Ihre Tochter ist krank, sie wird (wie sie sagt) von einem bösen Geist gequält; es muss also etwas recht Schwerwiegendes sein. Und diese Mutter weiss nun nicht mehr weiter, sie ist mit ihrem Latein, mit ihren Möglichkeiten am Ende. Was tut sie nun? Sie sucht Hilfe, und zwar bei Jesus. – Das ist eigentlich erstaunlich, wenn man die historischen und sozialen Hintergründe etwas kennt. Denn sie ist ja eben eine nichtjüdische Frau, eine kanaanäische oder syro-phönizische Frau, wie es in anderen Bibelübersetzungen heisst. Mit solchen Heiden wollten die Juden damals nichts zu tun haben, und umgekehrt auch nicht. Jesus als Jude geht schon weit, indem er bis an die Grenzen des heidnischen Gebietes wandert. Diese nichtjüdische Mutter aber zeigt noch mehr Mut, indem sie diese Grenze sogar überschreitet. In ihrer Not, in ihrer grossen Sorge um ihre kranke Tochter sucht sie nicht Hilfe bei Menschen oder Göttern ihres eigenen Volkes, in Tyrus und Sidon, sondern sie geht zu Jesus, von dem sie offenbar schon gehört hat, dass er hilft, dass er Wunder tut, dass er der Messias und Erlöser sei. Sie kommt zu Jesus in ihrer Not und bittet, nein schreit um Hilfe für ihre Tochter. Es ist wichtig, dass auch wir Hilfe suchen, wenn wir in Not sind, wenn wir an unsere Grenzen stossen. Gerade für eine Mutter ist das entscheidend, die ja selber immer so viel geben muss und anderen helfen muss. Diese Hilfe lässt sich einerseits bei anderen Menschen finden, in erster Linie beim Vater der Kinder – sofern dieser dazu in der Lage ist oder überhaupt da ist (ich meine, das ist ebenfalls ein grosses gesellschaftliches Problem, auf das ich jetzt aber nicht weiter eingehen kann, dass nämlich so viele Väter wenig bis gar keine Verantwortung übernehmen für ihre Kinder). Andererseits können natürlich auch Beratungsstellen und soziale oder diakonische Dienste hilfreich sein. Die beste Hilfe (da bin ich überzeugt) finden wir aber letztlich bei Jesus und beim dreieinigen Gott, der wirklich unbegrenzte Möglichkeiten hat. – Ich bin selber ja nicht Mutter, aber sehr wohl Vater von Kindern. Und ich muss sagen: Ich bin unheimlich froh, dass ich, dass wir als Eltern mit den Sorgen und Problemen bezüglich unseren Kindern zu Jesus gehen können, dass wir unsere Kinder immer wieder der Hilfe und dem Schutz Gottes anbefehlen können. Ich empfinde das als eine grosse Entlastung. Deshalb möchte ich alle Mütter und Eltern ermutigen, wie die Frau in der Geschichte Hilfe zu suchen und dazu bewusst zu Jesus zu kommen. Zwar muss dazu vielleicht ein gewisser Stolz überwunden werden; es braucht Demut zuzugeben, dass man Hilfe nötig hat. Aber es ist der Weg, damit wirklich eine Veränderung geschehen kann: Zu Jesus kommen, sich (wie diese Mutter) vor Jesus niederwerfen und ihn inständig um Hilfe bitten. Allerdings kommt diese Hilfe nicht immer gleich sofort und ohne weiteres. Der Hilferuf dieser heidnischen Frau jedenfalls stösst auf ein unerwartetes Hindernis: Jesus reagiert nämlich gar nicht darauf. Er beachtet sie überhaupt nicht, er würdigt sie keines Blickes; oder wie es in anderen Übersetzungen heisst: Er antwortet ihr nicht ein Wort. Erst als ihn seine Jünger drängen, er soll sie doch abfertigen und wegschicken, damit sie wieder ihre Ruhe hätten, wendet er sich der Frau zu – und gleich wieder von ihr ab. Auf ihre Bitte antwortet er mit einem deutlichen Nein: "Ich habe den Auftrag, nur denen zu helfen, die zum Volk Israel gehören"; und: "Es ist nicht richtig, wenn man den Kindern (also den Juden) das Brot wegnimmt und es den Hunden (damit sind die Heiden gemeint) vorwirft." Eine wirklich harte Antwort von Jesus ist das. Und ich meine, sie ist der grosse Stolperstein in diesem Bibeltext. Denn sie passt so nicht zum Bild, das wir von Jesus haben als dem grossen Menschenfreund, der voller Liebe allen hilft, die irgendwie in Not sind. 3 Hier sagt Jesus schroff "Nein", und erst noch mit beleidigenden Worten, indem er die Nichtjuden "Hunde" nennt. Denn er sieht seinen Auftrag beschränkt auf das jüdische Volk (mindestens zu diesem Zeitpunkt, später wird es schon anders). – Ich muss zugeben, ich kann es auch nicht recht nachvollziehen, wie Jesus sich dieser armen, verzweifelten Mutter gegenüber verhält. Aber ich gehe davon aus, dass er gute Gründe dafür hat. Es ist ja auch noch nicht das letzte Wort in dieser Sache gesprochen. Die Frau nämlich lässt sich nicht einfach so abwimmeln. Und gerade diese Reaktion auf die abweisende Antwort Jesu dünkt mich entscheidend. Diese Mutter gibt sich nicht zufrieden damit, sie lässt sich nicht abfertigen und erfolglos fortschicken, sondern sie kämpft für ihr Anliegen, für ihr Kind. Zeigt sich nicht auch darin etwas typisch Mütterliches? Eine gute Mutter setzt sich total ein für ihre Kinder. Sie unternimmt alles, sie greift zu allen Mitteln, um das Wohl ihrer Kinder durchzusetzen. Die Mutter in unserer Geschichte macht es erst noch auf eine sehr intelligente Weise: Sie widerspricht nicht direkt, im Gegenteil: Sie gibt Jesus zuerst Recht. Doch dann nimmt sie seine bildhafte Rede auf und führt sie weiter zu einem anderen Punkt: "Das stimmt, aber die kleinen Hunde dürfen doch die Krümel fressen, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen." Damit will sie sagen: "Du kannst uns Heiden durchaus als Hunde bezeichnen. Aber auch die Hunde gehen nicht leer aus, denn sie bekommen doch ebenfalls etwas ab vom Tisch ihres Herrn, ohne dass dabei die Kinder zu kurz kommen. Gib mir also wenigstens von diesen Krümeln, von diesen Brosamen." – Und diesen entwaffnenden Worten hat Jesus nichts mehr entgegenzusetzen. Er lässt sich davon bewegen und ist bereit zu helfen. Durch ihre Hartnäckigkeit, durch ihr Dranbleiben kommt die Mutter zum Ziel. Interessant dünkt mich, dass Jesus diese fast unverschämte Hartnäckigkeit als "Glaube" bezeichnet: "Dein Glaube ist gross." Das zeigt uns: Glaube (oder mindestens ein Aspekt von Glaube) heisst: Dran bleiben, nicht locker lassen, Jesus und Gott beim Wort nehmen und ihn behaften auf seine Zusagen und Verheissungen. Vieles, worum wir bitten, geschieht nicht gleich sofort, sondern wir müssen dran bleiben, wenn wir es wirklich wollen. – Vielleicht diente die erste ablehnende Reaktion Jesu ja auch gerade dazu, die Frau zu dieser Hartnäckigkeit herauszufordern und ihren Glauben auf die Probe zu stellen. Liebe Gemeinde. Zusammenfassend denke ich, können wir alle, nicht nur die Mütter unter uns, drei Dinge von dieser Mutter in der Geschichte lernen: Als erstes: Wir alle sollen uns ganz einsetzen für die Menschen, die uns anvertraut sind, für die wir verantwortlich sind. Wir sollen für sie sorgen, wir sollen uns um ihre Anliegen, Bedürfnisse und Nöte kümmern und dabei mutig die nötigen Schritte unternehmen. Zweitens: Auch wir sollen aber nicht zu stolz sein, um selber Hilfe zu suchen, wenn wir an unsere Grenzen stossen. Die beste und tiefgreifendste Hilfe finden wir dabei beim Heiland Jesus Christus, beim barmherzigen und allmächtigen Gott. Zu ihm sollen und dürfen wir kommen mit allen unseren Nöten und Problemen. Und drittens: Wir brauchen Glauben. Wir brauchen ein Vertrauen auf Gott und auf seine Hilfe, das uns dazu bringt, dass wir nicht locker lassen, dass wir überzeugt dran bleiben in unserem Verlangen nach Hilfe, dass wir gerade auch Gott gegenüber hartnäckig bleiben. So wollen wir am Muttertag mit allen Müttern gerade diese heidnische Mutter wertschätzen und uns ihr Verhalten, ihren Glauben zum Vorbild nehmen, nicht nur heute, sondern immer wieder. AMEN