Wolfgang Kessler und Antje Schneeweiß (Hg.) Geld und Gewissen Was wir gegen den Crash tun können Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > Wolfgang Kessler und Antje Schneeweiß (Hg.) Geld und Gewissen Was wir gegen den Crash tun können Impressum Wolfgang Kessler und Antje Schneeweiß (Hg.) Geld und Gewissen Was wir gegen den Crash tun können Layout: Andreas Klinkert Satz: Sabine Felbinger Titelfoto: pa/maxppp/Michele Constantini Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH Auflage: 1/2010 © Mai 2010 by Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH Postfach 2010 61410 Oberursel ISBN 978–3–88095–197–6 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > GELD UND GEWISSEN INHALT Inhalt Danksagung 7 Ein Vorwort 9 Wolfgang Kessler Von der Krise zu einer gerechten Finanzwelt 11 Von Bretton Woods zum Chaos Der globale Finanzliberalismus Der Trick mit den US-Hypothekenkrediten Die Feuerwehr und die Brandstifter Die bösen Folgen der Krise Wege zu einem nachhaltigen Finanzsystem Politiker und Bürger: Köche oder Kellner? 13 16 24 27 33 43 71 Die Gründe für den Zusammenbruch der Finanzmärkte und die wirklichen Lehren aus dem Crash Ulrich Duchrow Die Religionen und das Geld 73 Buddhismus: Mitgefühl statt Herrschaft des Geldes Jüdisch-christliche Tradition: »Du sollst nicht rauben« Islam und spätes Christentum: Gegen Zins und Gier 74 82 90 Damit nicht nur zählt, was sich rechnet: Buddhismus, Christentum und Islam kritisieren die kapitalistische Wirtschaft Ralf Becker Geld selbst gestalten In vielen Regionen Deutschlands schaffen die Menschen ihr Geld selbst. Was klein beginnt, kann durchaus groß werden 4 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch 97 Exkurs: Wann ist ein Regio ein guter Regio? Der Wert regionaler Währungen Die kreative Geldschöpfung Chiemgauer und Co. im Praxistest Viel Lärm um nichts oder doch mehr? Antje Schneeweiß 99 101 105 108 113 Ethisches Investment gegen den Crash 117 Ethische Geldanlagen – eine tolle Geschichte Die fünf Formen nachhaltiger Geldanlagen Ethische Geldanlagen in der Finanzkrise Die Alternativ- und Kirchenbanken Nachhaltige Lebensversicherungen Investmentfonds Förderanlagen Unternehmensbeteiligungen Kirchen und nachhaltige Geldanlagen Exkurs: Aktives Aktionärstum Helfen nachhaltige Geldanlagen gegen den Crash? 118 123 131 133 142 144 154 156 159 161 165 Bücher, Infos und Adressen 169 Autorinnen und Autoren 181 Viele Investoren und Sparer wissen nicht wirklich, wofür ihr Geld arbeitet. Das können sie ändern Bücher zur Finanzkrise Bücher zu Religionen und Geld Alles über Regiogeld Ethische Geldanlagen Wichtige Ratgeber Politische Initiativen 169 170 170 172 176 177 5 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > DANKSAGUNG Danksagung Das vorliegende Buch wäre nicht zustande gekommen, wenn wir nicht auf besondere Weise vom Fachwissen und vom Engagement bestimmter Kolleginnen und Kollegen profitiert hätten. Professor Ulrich Duchrow und Ralf Becker haben in Gastbeiträgen ihr Fachwissen ausgebreitet: Als Theologe schreibt Duchrow über die Religionen und das Geld, als Diplom-Kaufmann befasst sich Becker seit vielen Jahren mit regionalen Währungen. Im Institut für Ökonomie und Ökumene Südwind hat Rebecca Ntim hartnäckig so viele Informationen wie möglich über ethische Geldanlagen recherchiert. Jörg Weber, Chefredakteur vom Fachdienst ECOreporter, war immer zu Auskünften über schwierigste Fragen bereit. Zahlreiche Anregungen in diesem Buch verdanken wir den Büchern von zwei anderen Autoren: Professor Karl Heinz Brodbeck hat »Die Herrschaft des Geldes« beschrieben und der österreichische Publizist und Aktivist Christian Felber in seinem Werk »Kooperation statt Konkurrenz« den Mut zu »10 Schritten aus der Krise« bewiesen. Wir freuen uns darüber, dass wir von der Kreativität dieser Kolleginnen und Kollegen profitieren durften und bedanken uns herzlich. Wolfgang Kessler und Antje Schneeweiß 7 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > VORWORT Ein Vorwort »Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch« – Friedrich Hölderlin Von Wolfgang Kessler und Antje Schneeweiß In jeder Krise steckt eine Chance. Diese Hoffnung ist derzeit besonders populär. Zu Recht. Grundsätzliche Krisen bringen grundlegende Probleme ans Tageslicht. Die Menschen werden nachdenklich, die Politik muss handeln. Das eröffnet Chancen auf Veränderungen. Gleichzeitig wächst in Krisen aber auch die Angst vor Veränderungen. Viele Politiker versuchen nach ersten Initiativen schnell den Eindruck zu erwecken, sie hätten die Probleme im Griff. Nur keine Panik auf der Titanic. Viele Menschen fühlen sich nach Krisen verunsichert. Diese Unsicherheit verfestigt sich schließlich zu Angst – und Angst macht konservativ. Alle versuchen für sich zu retten, was zu retten ist. Plötzlich wird aus der Hoffnung Angst vor Veränderungen. Das vorliegende Buch will diese Angst nehmen. Die Finanzkrise und die darauffolgende Wirtschaftskrise sind keine Naturereignisse. Die Menschen haben ein Finanzsystem entstehen lassen, in dem Geld in erster Linie als Spekulationsobjekt dient. Nicht die Finanzierung kreativer Unternehmungen und zukunftsträchtige Investitionen sind das vornehmliche Ziel dieses Finanzsystems, sondern durch Spekulation mit Geld möglichst schnell mehr Geld zu machen – ohne dass Häuser, Firmen und andere Werte entstehen. So entstehen Kartenhäuser aus Geldanlagen ohne Deckung, die zusammenbrechen, wenn sich einige Karten als »Luschen« erweisen. 9 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > GELD UND GEWISSEN Erleichtert wird all dies durch weltweite anonyme Strukturen und durch Börsen, die eine sehr einseitige Ethik haben: Es geht dort um hohe Renditen, ohne dass die Folgen des Wirtschaftens sichtbar werden. Die Börsenkurse sagen nicht, wie viele Arbeitsplätze eine Investition kostet, ob sie die Armen ärmer macht, den Regenwald zerstört oder Kinder ausbeutet. Diese fehlende Ethik lässt der Gier freien Raum, weil ihre Folgen ausgeblendet bleiben. Die Finanzkrise hat all dies gezeigt. Und genau darin liegen die Chancen: Es gibt eine Fülle politischer Vorschläge, um aus dem Finanzmarktkasino ein nachhaltiges Finanzsystem zu machen, das Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt fördert. Die Politik hat viele Möglichkeiten, wenn sie Veränderungen will. Und wenn nicht, wird es Zeit, dass die Menschen diese Veränderungen einfordern. Doch nicht nur die Politik ist gefragt. Engagierte Banker, Investoren und viele ganz normale Bürger haben längst einen anderen Umgang mit Geld entwickelt, der Licht in den Dschungel der Anonymität bringt. Geldanlegern – ob sie hundert Euro besitzen oder Millionen Euro – können längst bestimmen, wofür sie ihr Geld arbeiten lassen wollen und wofür nicht. Und je mehr Sparer ihr Geld nach ethischen Bedingungen anlegen, desto stärker werden die Spielregeln auf den Finanzmärkten auch durch ethische Faktoren beeinflusst. Mehr Geld für eine gerechtere Welt, mehr Investitionen in eine nachhaltige Entwicklung und ein Finanzsystem, das den Menschen dient: Das vorliegende Buch zeigt, dass diese Ziele realistisch sind. 10 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch VON DER KRISE ZU EINER GERECHTEN FINANZWELT Von der Krise zu einer gerechten Finanzwelt Die Gründe für den Zusammenbruch der Finanz märkte und die wirklichen Lehren aus dem Crash Von Wolfgang Kessler Die Finanzkrise, die im Jahre 2008 offenkundig wurde, war und ist keine Krise wie jede andere. Sie markiert eine Zeitenwende. Und dies nicht »nur«, weil mehr als 4000 Milliarden Dollar durch die Krise verloren gingen. Sondern, weil die Finanzkrise eine schizophrene globale Wirtschaftsweise bloßlegte, die mittelfristig zu weiteren Krisen führen wird, wenn die Strukturen der Finanzwirtschaft national und weltweit nicht so verändert werden, dass ein nachhaltiges Wirtschaften möglich wird. Mit der Finanzkrise brach die Spitze eines Eisbergs ein, der seit Jahrzehnten immer größer wurde. In den letzten vierzig Jahren hat sich auf den Finanzmärkten ein ungeheures Vermögen aufgetürmt. Im Jahre 2008 erreichte das globale Finanzvermögen das Dreieinhalbfache der Weltwirtschaftsleistung. Mit diesem Geld hätte die Weltgemeinschaft alle Menschheitsprobleme einer Lösung näherbringen können, die mit Geld zu lösen sind. Doch stattdessen hat das Vermögen nur wenigen Menschen zu ungeheurem Reichtum verholfen. Und noch schlimmer: Das Finanzsystem hat sich als so marode erwiesen, dass es Ende 2008 nur durch staatliche Schutzschirme mühevoll vor dem Zusammenbruch bewahrt werden konn- 11 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > WOLFGANG KESSLER te. Als Folge taumelte die Weltwirtschaft in eine Krise – und wiederum waren es staatliche Konjunkturprogramme, die wenigstens die schlimmsten sozialen Folgen verhinderten. Erst langsam erholt sich die Weltwirtschaft. Und niemand weiß, wie lange die Erholung andauert. Schizophren ist die Situation noch aus einem anderen Grund. Kurz nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers im September 2008 keimte bei vielen kritischen Beobachtern der Finanzwelt eine Hoffnung auf: jene nämlich, die Politik könnte die Krise nutzen, um die Billionen auf den Finanzmärkten einer Kontrolle zu unterwerfen. Manche Optimisten hofften gar, die Finanzkrise würde als das durchschaut, was sie ist: ein Offenbarungseid des Weltwirtschaftssystems, in dem immer mehr Geld immer schneller für immer höhere Renditen angelegt wird, während sich gleichzeitig die sozialen und ökologischen Probleme weltweit zuspitzen. Doch statt diesem Weltwirtschaftssystem den Nährboden zu entziehen, haben sich Politik, Banken und die Wirtschaft schnell wieder mit dem System arrangiert. Politiker fordern zwar ständig neue Regeln, doch die konsequente Umsetzung gelingt ihnen kaum. Viele Banken machen einfach weiter wie bisher, »sogar die deutschen Bankberater haben aus der Krise wenig gelernt«, schrieb die Zeitschrift Finanztest am 15. Dezember 2009 – und so geht alles weiter seinen Gang, fast so, als hätte es nie eine große Krise gegeben. Schon warnen Fachleute vor dem nächsten Crash. Denn es türmen sich wieder Geldtürme auf wie einst der Turmbau zu Babel, außerhalb jeder Kontrolle. Und sie werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder zu einem Crash führen, wenn Politik und Wirtschaft nicht bereit sind, aus den vergangenen vierzig Jahren einschneidende Lehren zu ziehen. Denn die globale Finanzkrise von 2008 kam nicht aus dem Nichts. Sie ist das Ergebnis einer langen Entwicklung von einem umstrittenen, aber stabilen Weltwährungssystem zum Chaos von heute. 12 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch VON DER KRISE ZU EINER GERECHTEN FINANZWELT Von Bretton Woods zum Chaos Fast nichts auf der Welt ist wirklich neu. So erinnerten denn zahlreiche Beobachter während der Finanzkrise an die Weltwirtschaftskrise von 1929, als am 24. Oktober die Aktienmärkte an der Wall Street einbrachen und dieser Einbruch den Zusammenbruch der Weltwirtschaft auslöste. Die dadurch wachsende Armut und Arbeitslosigkeit war eine der wichtigsten Ursachen für das Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland und für den Zweiten Weltkrieg. Vor diesem Hintergrund suchten die verantwortlichen Politiker der Siegermächte noch während des Zweiten Weltkriegs Säulen eines Weltwährungssystems, das weltweit wirtschaftliche Stabilität garantieren sollte. Im Sommer 1944 trafen sich 45 Regierungen zur Weltwährungskonferenz in Bretton Woods bei New York. Doch nach wenigen Tagen war es mit der Einigkeit schon vorbei. Die Delegationen der modernen Siegermacht, der USA, und der altehrwürdigen Siegermacht, Großbritannien, rangen um zwei konkurrierende Konzepte: Der britische Wirtschaftsguru John Maynard Keynes wollte eine internationale Rechnungseinheit namens Bancor, zu der alle Währungen in Beziehung stehen sollten, also – vereinfacht gesagt – eine Art Weltwährung. Der Wert dieser Währung sollte auf dem Gegenwert von dreißig Rohstoffen beruhen. Keynes’ Ziel war ein Weltwährungssystem, in dessen Rahmen die Außenhandelsüberschüsse aller Länder letztlich mit den Außenhandelsdefiziten der anderen Länder verrechnet würden – und dies auf der Grundlage einer durch Rohstoffe international abgesicherten Weltwährung. Davon erhoffte sich Keynes ein weltwirtschaftliches Gleichgewicht zwischen allen Ländern – ein Ziel, das gerade heute noch eine große Vision darstellt. Für Keynes’ Kollegen und Kontrahenten in Bretton Woods, John Dexter White, den Delegierten des Überschusslandes USA, war der Vorschlag eine Provokation: Die USA wollten ihre Überschüsse nie und nimmer mit den Defiziten anderer Länder verrechnen. White wollte ein Weltwährungssystem, das die globale Vormachtstellung der 13 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > WOLFGANG GELD UND GEWISSEN KESSLER überlegenen Weltmacht USA zementierte – und dieses setzten die USA auch durch: Alle Wechselkurse wurden an die Leitwährung USDollar gebunden. Sie war zu einem bestimmten Preis in Gold eintauschbar und auf diese Weise durch Gold abgesichert. Jedes Mitgliedsland dieses Währungssystems konnte nur nach vorheriger Genehmigung die eigene Währung in diesem Verbund ab- und aufwerten. Überwacht wurde dieses System vom Internationalen Währungsfonds. Ziel dieses Währungssystems war es, der Weltwirtschaft eine stabile Grundlage zu schaffen – ohne die Risiken von ständigen Währungsschwankungen, eine Vorkehrung gegen Spekulanten. Allerdings beruhte dieses System auf der politischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA und verschaffte diesen erhebliche Privilegien auf den Weltmärkten. Die USA können faktisch alle Rohstoffe weltweit in eigener Währung kaufen, weil jene – noch – in US-Dollar berechnet werden. Zudem können sich die USA weltweit in der eigenen Währung verschulden. Bei allen Privilegien für die USA sorgte dieses Weltwährungssystem für eine relativ lange Phase globaler Stabilität: Es trug in der Folgezeit dazu bei, dass Welthandel und Weltproduktion jedes Jahr um sieben Prozent und mehr wuchsen. Doch dann tauchten eine ganze Reihe von Faktoren auf, die die Stabilität des Weltwährungssystems von Bretton Woods tatkräftig untergruben. Dabei zeigte sich zum ersten Mal die Eigenart, dass sich positive Entwicklungen und Entscheidungen durch die Dynamik des Weltfinanzsystems plötzlich zu Risikofaktoren entwickelten. Zum Beispiel im Jahre 1958. In diesem Jahr wurden die Währungen der wichtigsten Industrieländer konvertibel, das heißt: gegeneinander austauschbar. Nun entstand ein Geldmarkt auf der Basis verschiedener Währungen. Das war überaus positiv, denn die Konvertibilität der Währungen förderte die Internationalisierung von Welthandel und Weltproduktion, weil nun jede Währung überall auf der Welt verfügbar war. 14 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch VON DER KRISE ZU EINER GERECHTEN FINANZWELT INHALT Dennoch lag in der Entscheidung für die Austauschbarkeit der Währungen bereits der Keim für künftige Risiken: Während die Währungen auf der ganzen Welt verfügbar waren und ein Weltkapitalmarkt entstand, beschränken sich die Kontrollmöglichkeiten der Zentralbanken bis heute auf die nationale Ebene, sieht man von der Europäischen Zentralbank und ihrer Bedeutung für die Eurozone ab. Ihre Maßnahmen zur Kontrolle der Geldmenge schließen nur Konten und Geldgeschäfte in der jeweiligen nationalen Währung ein. Dieser Widerspruch – Konvertibilität der Währungen einerseits und national beschränkte Geldmarktkontrolle andererseits – bot die Möglichkeit, Geldguthaben außerhalb der nationalen Zentralbankkontrolle zu halten. Für die Banken war dies lohnend, da sie keine nationalen Vorschriften einhalten mussten. Dadurch waren ihre Kosten geringer. Sie konnten deshalb den Anlegern bessere Anlagebedingungen und günstigere Anlagezinsen bieten. Bis Mitte der 1960er-Jahre hatte dies keine Konsequenzen. Doch wenig später überschlugen sich die Ereignisse. Zunächst ließ die USNotenbank die Notenpresse immer schneller laufen, um den Vietnamkrieg zu finanzieren. Große Mengen US-Dollar landeten als Anlagekapital auf internationalen Banken. Diese Dollar-Inflation bedrohte die Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Leitwährung Dollar als Säule des Weltwährungssystems: die Rückbindung des Dollars an einen festen Goldpreis. Da die US-Regierung die Dollar-Inflationierung nicht stoppen konnte (und wollte), zerbrach die Grundlage des Weltwährungssystems von Bretton Woods: Im Jahre 1973 wurden die Währungen von ihrer Bindung an den US-Dollar gelöst und Tag für Tag an der Börse gehandelt. Seit diesem Jahr sind Währungen das Zielobjekt von Devisenspekulanten. Dann folgte der nächste Schlag gegen das internationale Finanzsystem: Nach zwei Ölkrisen in den Jahren 1973 und 1979 lag der Ölpreis 24-mal so hoch wie 1972. Riesige Petrodollar-Beträge flossen häufig in einwohnerarme Staaten – damals stammte der überwiegende Teil des Erdöls aus dem arabischen Raum. Dort wurden sie meist nicht 15 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > WOLFGANG GELD UND GEWISSEN KESSLER produktiv investiert, sondern stattdessen zu günstigen Zinsen am internationalen Finanzmarkt angelegt. Ähnlich verhielten sich die multinationalen Konzerne. Sie erzielten in den 1970er-Jahren hohe Gewinne – trotz Wirtschaftskrise. Aufgrund der Krise investierten sie ihre Gewinne ebenfalls nicht produktiv, sondern legten sie an den internationalen Kapitalmärkten an – wohl wissend, dass sie dort höhere Renditen erzielen konnten als mit Investitionen in die reale Wirtschaft, die mit hohen Risiken verbunden waren. So entwickelte sich in den 1970er-Jahren jenes Problem, das die Kapitalmärkte noch heute beherrscht: Es fließt immer mehr Anlagegeld auf internationale Banken und Anlagegesellschaften, das diesen ein großes Problem beschert: Wie können diese Geldmengen möglichst profitabel angelegt werden? Diese Herausforderung veränderte die Finanzmärkte grundlegend. Der globale Finanzliberalismus Die Freigabe der Wechselkurse im Jahre 1973 geschah mehr aus Verzweiflung über den Vertrauensverlust der Leitwährung Dollar als aus wirtschaftspolitischen Überlegungen heraus. Dennoch war die Liberalisierung der Wechselkurse der erste Schritt zu einer zunehmenden Liberalisierung der Finanzmärkte. In den Wirtschaftswissenschaften, in der Finanzwelt und zunehmend auch in der Politik setzte sich im Laufe der 1980er-Jahre die Überzeugung durch, dass ein möglichst freizügiger Kapitalverkehr zumindest in der Europäischen Union sowie zwischen den großen Wirtschaftszentren Europa, USA und Japan den Wohlstand aller mehren könnte. Wirtschaftstheoretisch verbirgt sich dahinter die Auffassung, dass das Kapital ohne Behinderung immer dorthin fließt, wo es den größten Nutzen stiftet. Selbstredend entsprach diese Wirtschaftstheorie den Interessen der reichen Kapitalanleger, die ohne staatliche Kontrollen über ihr Geld verfügen wollten. 16 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch VON DER KRISE ZU EINER GERECHTEN FINANZWELT INHALT Diesem Interesse folgte die Politik in wachsendem Maße. Daraus wurde eine marktradikale Revolution. Denn selbst in der Europäischen Union war das Kapital noch bis Ende der 1970er-Jahre, in manchen Ländern sogar bis Ende der 1980er-Jahre, ortsgebunden. In einigen Ländern verhinderten gesetzliche Beschränkungen, dass Geld ungehindert von einem Land in ein anderes überwiesen werden konnte. Fast unvorstellbar erscheint heute, dass es deutschen Banken nur nach Überwindung großer bürokratischer Hürden möglich war, in den 1980er-Jahren Filialen in anderen EU-Ländern zu eröffnen. Doch »dann wurden die nationalen Gefängnisse systematisch abgerissen«, schreibt Christian Felber in seinem Buch »Kooperation statt Konkurrenz« treffend. Um die Liberalisierung der Kapitalmärkte gesetzlich festzuzurren, verbot die Europäische Union zum 1. Januar 1994 in einem Zusatz zum Vertrag von Maastricht jede Beschränkung des Kapitalverkehrs. Die politische Entwicklung wollte es, dass sich die Liberalisierung der Kapitalmärkte nicht mehr auf die Europäische Union, auf die USA oder auf Japan beschränkte. Die Überwindung des real existierenden Sozialismus gab den Regierenden der großen kapitalistischen Zentren die Chance, die Liberalisierung des Kapitalverkehrs auf die ganze Welt auszudehnen. Länder, die sich der neuen Wirtschaftsideologie nicht so ohne Weiteres unterwerfen wollten, wurden mehr oder weniger dazu gezwungen. Oft mussten Schwellenländer ihre Kapitalmärkte unter dem Druck der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds öffnen – oder aber es wurden andere Druckmittel eingesetzt. Als Südkorea zum Beispiel 1996 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beitreten wollte, musste es als Bedingung dafür den Kapitalverkehr freigeben. Zwei Jahre später bezahlte das Land teuer dafür. Denn im Zuge der Spekulationskrise in Asien schrumpfte die südkoreanische Wirtschaft um sechs Prozent, während sich die damals noch abgeschotteten Schwellenmächte China und Indien in dieser Krise gut behaupteten. 17 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > WOLFGANG GELD UND GEWISSEN KESSLER Die globale Liberalisierung des Kapitalverkehrs bedeutete eine wahre Revolution, die viele Bürgerinnen und Bürger gar nicht wahrnahmen. Wie sollten sie dies auch, wo sich doch für ihre Sparbücher und Lebensversicherungen so gut wie nichts veränderte. Doch wer Geld zur freien Verfügung hatte, realisierte die Veränderung schnell. Jetzt konnten alle – reiche Einzelpersonen, Banken ebenso wie Aktien- oder Rentenfonds – ihr Geld oder das Geld ihrer Anleger innerhalb von fünf Minuten an fast jeden Ort der Welt überweisen. Dies veränderte die Finanzwelt grundlegend. Plötzlich tauchten auf den Finanzmärkten neue Mitspieler auf. Rund siebzig kleinste und größere Länder buhlten nun verstärkt als Steueroasen um das Geld der Reichen. Sie erheben geringe oder gar keine Steuern auf Zinsen, Dividenden und Börsenerträge. Und für viele Anleger noch wichtiger: Sie geben keine Auskunft über ihre Kunden. Steuerhinterziehung gilt bei ihnen nicht als Straftat, für die man Informationen über Anleger an ausländische Staatsanwälte herausrückt. Auf diese Weise wurden die Steueroasen zum Magneten für das Geld all jener, die keine oder möglichst geringe Steuern zahlen wollen, oder für jene, die viel zu verbergen haben. Nach konservativen Schätzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lagerten im Jahre 2007 mindestens 9200 Milliarden US-Dollar in den Steuerparadiesen, die meisten Fachleute schätzen diese Summe weitaus höher. Rund ein Fünftel des Geldes soll aus der organisierten Kriminalität stammen. Mindestens ebenso weitreichend waren die Veränderungen in der Finanzwelt. In den 1980er-Jahren kam es zu einem Boom von Aktienanlagen. Immer mehr Geldanleger überließen ihr Kapital großen Fondsgesellschaften, die es für sie anlegten. Damit veränderten sich auch Bankgeschäfte. Lange Zeit hatten die Banken davon gelebt, das Geld ihrer Anleger in Form von Krediten an Investoren weiterzureichen – gegen das Investitionsobjekt als Sicherheit (oder gegen andere Sicherheiten). Von den Zinsen der Kreditgeschäfte lebten die Banken gut, allerdings zählte die höchstmögliche Rendite nicht zum obersten 18 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch VON DER KRISE ZU EINER GERECHTEN FINANZWELT INHALT Geschäftsziel, bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken schon gar nicht, bei den Großbanken schon eher. Zwar findet auch durch die Kreditvergabe Geldschöpfung statt, weil der Kreditnehmer über eine Summe verfügen kann, ohne diese zu besitzen – allerdings waren die Kredite durch Sicherheiten der Kreditnehmer und die Banken durch ihr Eigenkapital abgesichert. Mit der globalen Liberalisierung der Finanzmärkte änderte sich die Struktur des Bankwesens ebenso wie die Geschäftspolitik der Banken. Zunächst sorgte der freie Kapitalmarkt für eine kräftige Fusionswelle unter den Banken. Es entstanden immer größere Einheiten. Speziell die Europäische Union züchtete Großbanken, damit diese nicht von der Konkurrenz der Bankenriesen aus den USA und Japan gefressen werden konnten. Im Zuge dieser Entwicklungen entstanden jene Großbanken, die in der Finanzkrise als »too big to fail« eingestuft wurden – zu groß, um sie untergehen zu lassen. Ebenso radikal änderte sich die Geschäftspolitik der Banken. Die Banken hatten es nun mit großen Fondsgesellschaften zu tun, die mit Wertpapieren handelten, um die höchstmögliche Rendite zu erzielen. Daraufhin mutierten viele Banken von Kreditinstitutionen zu Investmentbanken. Sie handelten ebenfalls mit Wertpapieren und gaben ständig neue Wertpapiere heraus. Statt Zinsen erhielten sie nun größtenteils Provisionen – und dies umso häufiger, je häufiger die Wertpapiere den Besitzer wechselten. Auf den Wertpapiermärkten nahm die Umschlagshäufigkeit der Wertpapiere zu. Gleichzeitig expandierte das Investmentbanking – die Beteiligung an Investitionen aller Art. Bei alledem veränderte sich das Unternehmensziel der Banken grundlegend: hin zu kurzfristigen Geschäften mit dem Ziel einer maximalen Rendite. Dabei wurde das Geschäftsgebaren der Banken immer kreativer. Sie kreierten ständig neue Anlageformen, neue Wertpapiere und versuchten die Kunden dadurch zu ködern, dass sie Sicherheit mit hoher Rendite zu verbinden vorgaben – bei Kapitalgeschäften normalerweise zwei Ziele, die sich ausschließen. 19 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > Um von dieser dynamischen Finanzwelt möglichst stark profitiesie ihrzuGeld arbeiten lassen ren, versuchten viele Banken, die vorhandenen Sicherungen einfach wollen und wofür nicht. Und zu umgehen. Besonders hinderlich waren für viele die Eigenkapitalmehr Sparer anforderungen des Basler Abkommens von 1988 –jeauch Basel I ge- ihr Geld nach nannt. Danach müssen die Banken für Außenstände mindestens ein ethischen Regeln arbeiten lasEigenkapital von acht Prozent vorhalten; bei einem Kredit von einer sen, desto stärker werden die Million Dollar bedeutet dies eine Reserve von 80 000 Dollar. Nicht Spielregeln auf den Finanzviel, aber aus der Sicht der Banken zu viel Geld, das nicht investiert märkten durch ethische Fakwerden kann. Erfinderisch, wie sie nun einmal waren, entwickelten die Banken Techniken, um diese Sicherheit zu umgehen: Sie gründetoren beeinflusst.« ten sogenannte Zweckgesellschaften. Das Nachrichtenmagazin »Der Antje Schneeweiß Spiegel« beschrieb am 17. November 2008, wie einfach diese funktionieren: »Die Bank vergibt, ganz traditionell, Kredite an Kunden, aber »Es gibt eineDie Fülle von Vorsie reicht sie jetzt gleich an Dritte weiter, fast wie einen Wechsel. schlägen, um aus dem globaDritten sind in diesem Spiel die Zweckgesellschaften und sie geben nun ihrerseits Wertpapiere heraus, die durch die bei der Bank aufgelen Casino ein nachhaltiges kauften Kreditforderungen abgesichert sind. Der Vorteil der Bank: Sie Finanzsystem zu machen. ist die Kredite los, sie stehen nicht mehr in ihrer Bilanz, sie kann mehr Mehr Geld für eine gerechtere Kredite vergeben, als Basel erlaubt.« Die Zweckgesellschaft ist oft genug nur eine Briefkastenfirma mit Welt, mehr Investitionen in Hauptsitz in einer Steueroase. Ihre Kosten sind entsprechend gering, eine nachhaltige Zukunft und doch die Wirkung ist groß. Sie verwandelt die Kredite in Wertpapiere, ein Finanzsystem, das den die dann auf den Finanzmärkten gehandelt werden. »Solange alles Menschen dient – das vorliegut läuft, befinden sich alle Beteiligten in einer Win-win-Situation«, schreibt Der Spiegel. »Die Banken verkaufen eifrig Kredite, für die zeigt, sie gende Buch dass diese nicht geradestehen müssen, die Zweckgesellschaften machen gute Ziele realistisch sind.« Geschäfte und können sich dabei stabil finanzieren aus dem Strom der laufenden Kreditrückzahlungen und der Ausgabe ihrer Wertpa-Wolfgang Kessler piere; die Investoren profitieren von der höheren Rendite – und die ursprünglichen Kreditnehmer wissen dabei gar nicht, dass sie ihre Schulden nicht mehr bei der Bank, sondern ganz woanders haben.« Diese Technik sorgte dafür, dass Sicherungsauflagen unterlaufen www.publik-forum.de ISBN: 978-3-88095-197-6 werden und an den internationalen Kapitalmärkten immer noch 20 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Wolfgang Kessler und A Geld und mehr Geld auf der Grundlage von immer weniger Sicherheit geschöpft wird. Geradezu rasant entwickelten sich auch die Spekulationsgeschäfte. Spekuliert wird mit fast allem, was unter der Sonne gedeiht: mit Rohstoffen, mit Nahrungsmitteln, inzwischen auch mit Boden. Besonders irrwitzig sind die Geschäfte mit sogenannten Derivaten – das sind Wertpapiere, die von anderen Geschäften abgeleitet sind. Im Prinzip handelt es sich um nichts anderes als um Wetten auf die künftige Entwicklung eines Preises oder eines Kurses. Ursprünglich liegen diesen Geschäften mit der Zukunft ökonomisch vernünftige Motive zugrunde: zum Beispiel die Absicherung eines Geschäfts gegen Währungsschwankungen. Nach folgendem Muster: Ein deutscher Produzent vereinbart mit einem amerikanischen Kunden die Lieferung einer Werkzeugmaschine in sechs Monaten zum Preis von 100 000 US-Dollar – berechnet nach dem gegenwärtigen Wechselkurs. Durch die frei schwankenden Wechselkurse entsteht für den deutschen Lieferanten allerdings ein großes Risiko. Denn es könnte ja sein, dass der Dollar sechs Monate später wesentlich weniger wert ist als zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, sodass der Gewinn durch den Währungsverfall schmilzt. Um dieser Gefahr zu entgehen, schließt der deutsche Produzent mit seiner Bank ein sogenanntes Future-Geschäft ab. Dieses berechtigt ihn, am Zahltag Dollar zu einem heute vereinbarten Kurs in Euro umzutauschen, sodass er sich trotz eventueller Abwertung des Dollars auf die kalkulierten Einnahmen in Euro verlassen kann. Die Bank erhält für die Vereinbarung eine erhebliche Gebühr. Seit der Zeit der Währungsschwankungen Ende der 1970er-Jahre und in den 1980er-Jahren haben diese Formen der Absicherung internationaler Geschäfte stark zugenommen – verständlicherweise. Diese Entwicklung wäre nicht besonders dramatisch, wären solche Finanzierungsinstrumente durch die Dynamik der Finanzmärkte nicht zum Risikofaktor geworden. Inzwischen werden die derivaten Finanzierungsinstrumente selbst zum Handelsobjekt, weil sie für die Speku- Was wir gegen de Publik-Forum E d i t i o n nen längst bestimmen, wofür VON DER KRISE ZU EINER GERECHTEN FINANZWELT INHALT Geld und Gewissen »Investoren und Sparer kön- Kessler/Schneeweiß (Hg .) Publik-Forum E d i t i o n WOLFGANG GELD UND GEWISSEN KESSLER 21