VROVG Dr - Gerichte - in Rheinland

Werbung
VROVG Dr. Held
4/05
Die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof
von Rheinland-Pfalz
Vortrag bei der 14. Fortbildungsveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht Rheinland-Pfalz in Koblenz am 29. April 2005
Leitsätze
I. Einleitung
Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit ist wichtiger Ausdruck der Eigenstaatlichkeit der Bundesländer und ihrer Verfassungsautonomie.
Die Landesverfassungsbeschwerde wurde in Rheinland-Pfalz 1992 eingeführt mit dem Ziel, die Bürgerrechte zu stärken, das Landesverfassungsrecht
deutlicher ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken und dadurch die Verfassungsautonomie des Landes zu betonen.
In den letzten Jahren ist eine stärkere, auch substantiell gewichtige Inanspruchnahme dieses Rechtsinstituts festzustellen. Dies hat seinen Grund
neben interessanten landesrechtlichen Fragestellungen (etwa: Gefährliche
Hunde - Verordnung, VerfGH Rh-Pf, AS 29, 23; Elterninformation bei volljährigen Schülern, VerfGH Rh-Pf, NJW 2005, 410; Studiengebühren für Senioren,
VerfGH Rh-Pf, DÖV 2005, 295; Kehrpflicht bei modernen Gasheizungen,
VerfGH Rh-Pf, NVwZ-RR 2005, 218) vor allem in der Möglichkeit, auch die
Durchführung des bundesprozessrechtlichen Verfahrens an den Grundrechten
der Landesverfassung zu messen (vgl. die erfolgreichen Verfassungsbeschwerden: VerfGH Rh-Pf, NJW-RR 2002, 1212 und NVwZ-RR 2005, 218).
II. Jurisdiktionsgewalt des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz überprüft nur das Verhalten der
öffentlichen Gewalt des Landes und dies nur am Maßstab der Landesverfassung.
Da im förderativ gestalteten Staat der Bundesrepublik Deutschland die Verfassungsräume des Bundes und der Länder selbständig nebeneinander stehen, eröffnet dies parallele Möglichkeiten des Grundrechtsschutzes.
-2-
Nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG erlaubt das Grundgesetz den
Landesverfassungsgerichten, die Anwendung des Bundesverfahrensrechts an
den Grundrechten der Landesverfassungen zu messen, wenn diese den gleichen Inhalt wie entsprechende Rechte des Grundgesetzes haben (vgl.
BVerfGE 96, 345 [371]).
Verstößt ein Richter bei der Anwendung einfachen Bundesverfahrensrechts
gegen die Anforderungen des einschlägigen Bundesverfahrensgrundrechts, so
verletzt er damit zugleich das parallel geltende, inhaltsgleiche Landesverfahrensgrundrecht (vgl. VerfGH Rh-Pf, DVBl. 2001, 292 [293]). Dies führt zu
einer Verdoppelung des Grundrechtsschutzes, wobei eigentlicher Prüfungsmaßstab für die Kontrolle der Anwendung des einfachen Rechts das Bundesgrundrecht bleibt.
III. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde werden
in Art. 130 a LV sowie in §§ 44 ff. VerfGHG geregelt. Lücken in der Verfahrensregelung sind im Wege der Analogie zum sonstigen Verfahrensrecht, vorrangig
zum Verfassungsprozessrecht des Bundes und der Länder, auszufüllen
(VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 2. Dezember 2003, AS 31, 85 [88]).
Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der
keinen Suspensiveffekt entfaltet.
1. Beschwerdefähigkeit
Die Verfassungsbeschwerde kann "jeder" erheben, d.h. alle Träger eines in der
Verfassung enthaltenen und ihnen zustehenden Rechts. Für Abgeordnete,
Parteien und Körperschaften des öffentlichen Rechts (insbesondere Gemeinden und Gemeindeverbände) ist die Verfassungsbeschwerde subsidiär, soweit
ihnen die Möglichkeit des Organstreits oder der abstrakten Normenkontrolle
nach Art. 130 Abs. 1 LV eröffnet ist.
Die Kommunen können den Verfassungsgerichtshof nicht nur zwecks Überprüfung von Rechtsnormen anrufen; die Kommunalverfassungsbeschwerde
kann - abweichend zur Regelung im Bund: Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG - auch
gegen andere Akte der öffentlichen Gewalt des Landes erhoben werden, also
insbesondere auch gegen Urteile (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 31. Mai
1995, AS 25, 146; Urteil vom 13. Oktober 1995, AS 25, 194 [198]).
-3-
2. Prozessfähigkeit
Das Erfordernis der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers gilt ungeschrieben auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Dem prozessunfähigen
Beschwerdeführer ist zwecks Fortführung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ein Prozesspfleger zu bestellen, wenn dies zur Durchsetzung von Grundrechten des Beschwerdeführers geboten ist (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom
31. März 2005, ESOVGRP).
3. Beschwerdegegenstand
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde kann jedes Verhalten der öffentlichen Gewalt des Landes sein, und zwar sowohl der gesetzgebenden, der
vollziehenden als auch der richterlichen Gewalt. Dabei kann es sich sowohl um
positives Tun als auch um ein Unterlassen handeln (vgl. § 45 VerfGHG). Zur
öffentlichen Gewalt des Landes gehört auch die sog. mittelbare Staatsverwaltung durch Gemeinden und Kreise.
Dem Landesverfassungsgericht ist eine - auch bloß mittelbare - Kontrolle von
Bundesstaatsgewalt untersagt. Eine solche mittelbare Kontrolle kommt in
Betracht, soweit die angegriffene Entscheidung des Landesgerichts im
Rechtsmittelzug durch ein Bundesgericht in der Sache ganz oder teilweise
bestätigt worden ist (vgl. BVerfGE 96, 345 [LS 3 b und 371]; VerfGH Berlin,
Beschluss vom 23. August 2004, DÖV 2004, 1038). Letzteres ist denkbar,
wenn etwa der geltend gemacht landesverfassungsrechtliche Maßstab (z.B.
Gehörsgrundrecht) inhaltsgleich mit einem bundesverfassungsrechtlichen
Maßstab ist, der vom Bundesgericht im Rechtsmittelverfahren bereits geprüft
(z.B. als Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 VwGO) und als nicht verletzt
angesehen worden ist.
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs sind kein statthafter Gegenstand
der Verfassungsbeschwerde. Art. 130 a LV und § 44 Abs. 1 VerfGHG gewährleisten Rechtsschutz durch den Verfassungsgerichtshof, aber nicht gegen ihn.
Es besteht jedoch die Möglichkeit, gegen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs Gegenvorstellung zu erheben. Diese ist jedoch nur zur Korrektur schwerer prozessualer Mängel statthaft und innerhalb einer Frist von einem
Monat einzureichen (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 2. Dezember 2003, AS
31, 85 [88]).
-4-
4. Beschwerdebefugnis
Beschwerdebefugt ist, wer behauptet, "durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem seiner in der Verfassung enthaltenen Rechte verletzt zu sein"
(Art. 130 a). Allerdings genügt die bloß verbale Behauptung einer Verfassungsrechtsverletzung nicht zur Bejahung der Beschwerdebefugnis. Vielmehr muss
sich aus dem Vorbringen bei objektiver Beurteilung mit hinreichender Deutlichkeit die Möglichkeit der Verletzung der geltend gemachten Rechte ergeben
(vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 3. August 2004 - VGH B 11/04 -; Beschluss
vom 16. August 1994, NJW 1995, 445). Dies verlangt etwa bei der Rüge der
Verletzung des rechtlichen Gehörs den Vortrag, was der Beschwerdeführer im
Falle der Gehörsgewährung vorgetragen hätte (BVerfGE 28, 17, 20).
Eine Beschwer kann nur bejaht werden, wenn der Beschwerdeführer – nach
seinem Vorbringen – durch die angegriffene Maßnahme "selbst, gegenwärtig
und unmittelbar" betroffen ist, was bei einem Angriff unmittelbar gegen ein
Gesetz stets der besonderen Darlegung bedarf (vgl. zuletzt: VerfGH Rh-Pf,
Urteil vom 22. Juni 2004, NJW 2005, 410).
"Gegenwärtig ist die Betroffenheit, wenn die angegriffene Vorschrift auf die
Rechtsstellung des Beschwerdeführers aktuell einwirkt. Die bloße Möglichkeit,
irgendwann einmal in Zukunft von der Gesetzesbestimmung betroffen werden zu
können, reicht allerdings nicht aus. Anderenfalls würde sich die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zu einer Popularklage ausweiten (...), was mit Art. 130 a
LV, § 44 Abs. 1 VerfGHG nicht vereinbar wäre." (VerfGH Rh-Pf, a.a.O., 410)
"Unmittelbare Betroffenheit verlangt, dass die Rechtsstellung des Beschwerdeführers durch die angegriffene Rechtsnorm und nicht erst durch ihren Vollzug
berührt wird. Bedarf ein Gesetz rechtsnotwendig oder nach der tatsächlichen
Verwaltungspraxis der Umsetzung durch einen besonderen Vollzugsakt, muss der
Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen
ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde
erhebt." (VerfGH Rh-Pf, a.a.O., 410)
"Mit dem Erfordernis unmittelbarer Betroffenheit wird dem in § 44 Abs. 3 VerfGHG
zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Rechnung getragen (...). Deshalb ist die unmittelbare Betroffenheit
trotz Vollzugsbedürftigkeit eines Gesetzes dann zu bejahen, wenn die vorherige
Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des Normvollzugs entbehrlich und eine Vorabentscheidung über die verfassungsrechtliche Frage geboten
ist." (vgl. VerfGH Rh-Pf, a.a.O., 410)
-5-
5. Form
Weder die Verfassung noch das VerfGHG sehen besondere Anforderungen an
die Form der Verfassungsbeschwerde vor (anders: § 23 Abs. 1 Satz 1
VerfGHG - Schriftform für den Antrag nach Art. 130 Abs. 1 LV -). Das Erfordernis der Begründung der Verfassungsbeschwerde innerhalb der Beschwerdefrist
verlangt jedoch, dass eine hinreichend verlässliche Grundlage für deren weitere Behandlung existiert (vgl. BVerfGE 15, 288 [292]). Auch die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof muss daher schriftlich eingereicht
oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden sowie die Urheberschaft und den Rechtsverkehrswillen hinreichend sicher
erkennen lassen (vgl. BVerfGE 15, 288 [291]).
6. Begründung
In der Begründung sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung
oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen (§ 45 VerfGHG).
Aus dem Vorbringen muss sich ohne Beiziehung von Akten oder sonstigen
Aufklärungsmaßnahmen mit hinreichender Deutlichkeit die Möglichkeit der
Verletzung der geltend gemachten Grundrechte ergeben. Hierzu sind in aller
Regel die angegriffenen Entscheidungen in Abschrift oder Fotokopie beizufügen sowie darzulegen, worin im Einzelnen die Grundrechtsverletzung erblickt
wird.
7. Rechtswegerschöpfung, Subsidiarität
Es entspricht der Funktion der Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher
Rechtsbehelf, dass sie erst nach Erschöpfung des gegen die Maßnahme eingeräumten Rechtswegs zulässig ist (§ 44 Abs. 3 Satz 1 VerfGHG). § 44 Abs. 3
Satz 2 VerfGHG erlaubt in Fällen von allgemeiner Bedeutung oder bei schweren und unabwendbaren Nachteilen eine Vorabentscheidung.
„Rechtsweg“ im Sinne von § 44 Abs.3 Satz 1 VerfGHG ist jede gesetzlich
normierte Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts (vgl. BVerfGE 67,157[170]).
Hierzu zählt seit 1. Januar 2005 die Anhörungsrüge nach § 152 a VwGO i.d.F.
des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) - Frist: 2 Wochen-.
Nach dem in § 44 Abs. 3 Satz 1 VerfGHG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist der Beschwerdeführer
grundsätzlich gehalten, über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren
Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu ergreifen, um
eine Korrektur des geltend gemachten Verfassungsverstoßes zu erwirken oder
eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom
20. November 2000, NVwZ 2001, 193 [194 m.w.N.]).
-6-
Hierdurch
wird
der
Bedeutung
der
Verfassungsbeschwerde
als
außerordentlicher Rechtsbehelf
Rechnung getragen.
Zugleich
soll
sichergestellt werden, dass dem Verfassungsgericht durch die fachgerichtliche
Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein regelmäßig in mehreren Instanzen
geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und ihm die Fallanschauung und
Rechtsauffassung der Gerichte vermittelt wird (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss
vom 29. Juni 2001 - VGH B 14/01 -, ESOVGRP; BVerfGE 77, 381 [401]).
Ob die Verfassungsbeschwerde auch gegenüber gesetzlich nicht geregelten
außerordentlichen Rechtsbehelfen, wie z.B. der richterrechtlich entwickelten
Gegenvorstellung, subsidiär ist, dürfte davon abhängen, wie klar der Rechtsbehelf in der jeweiligen fachgerichtlichen Rechtsprechung ausgeformt ist (vgl.
BVerfGE 107, 395 [417]; strenger: BVerfG, Kammerbeschluss, NVwZ 2002,
3387 - Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auch wenn Statthaftigkeit des
Rechtsbehelfs zweifelhaft ist -). Empfehlung: bei Unsicherheit paralleles Vorgehen, d.h. fristwahrende Erhebung der Verfassungsbeschwerde mit Hinweis
auf den fachgerichtlichen Rechtsbehelf.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht subsidiär gegenüber einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die nämlich nicht auf die Beseitigung des Hoheitsakts
gerichtet ist, sondern die äußere Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben
durch einen Amtswalter betrifft (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Juni
2004, BayVBl. 2005, 114 [115]).
Zum Gebot, dass der Rechtsweg oder die anderweitige Abwendungsmöglichkeit nicht bloß formal, sondern auch inhaltlich erschöpft wird, hat das BVerfG
im Beschluss vom 9. November 2004 - 1 BvR 684/98 -, LS 1, folgende Präzisierung vorgenommen:
"Es ist durch das verfassungsprozessuale Gebot der Erschöpfung des Rechtsweges nicht gefordert, dass der Beschwerdeführer von Beginn des fachgerichtlichen Verfahrens an verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vorträgt.
Etwas anderes kann gelten, soweit der Ausgang des Verfahrens von der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift abhängt, eine bestimmte Normauslegung angestrebt wird, die ohne verfassungsrechtliche Erwägungen nicht begründbar ist,
oder der Antrag auf Zulassung eines Rechtsmittels oder das Rechtsmittel selbst
auf die Verletzung von Verfassungsrecht zu stützen ist."
8. Frist
Die Verfassungsbeschwerde ist binnen eines Monats zu erheben (§ 46 Abs. 1
Satz 1 VerfGHG).
Die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen einen Hoheitsakt
wird dann neu in Lauf gesetzt, wenn der Beschwerdeführer einen Rechtsbehelf eingelegt hat, um die geltend gemachte verfassungsrechtliche Beschwer
abzuwenden. Die Frist läuft dann ab der Bescheidung dieses Rechtsbehelfs
(vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 16. August 1994, NJW 1995, 444).
-7-
Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Beschwerdeführer einen offensichtlich
unzulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat; hierzu VerfGH Rh-Pf, Beschluss
vom 30. Januar 2004 - VGH B 21/03 -, ESOVGRP:
"Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das ... Urteil des Landesarbeitsgerichts ... wendet, ist die Monatsfrist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde ... versäumt. Daran ändert auch nichts die von der Beschwerdeführerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht. Wegen der
vorrangigen Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs wird die Verfassungsbeschwerdefrist zwar grundsätzlich mit Bescheidung des fachgerichtlichen
Rechtsbehelfs neu in Lauf gesetzt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig und der Rechtsweg deshalb bereits zuvor, hier mit
der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, erschöpft war (vgl. VerfGH Rh-Pf,
Beschluss vom 14. März 2003 - VGH B 2/03 -; BVerfGE 48, 341 [344]; BVerfG,
Beschluss vom 21. Juli 1981, AP § 72 a ArbGG 1979 Divergenz Nr. 8).
Offensichtlich unzulässig ist ein Rechtsmittel, wenn der Rechtsmittelführer nach
dem Stand der Rechtsprechung und Lehre bei Einlegung des Rechtsmittels über
die Unzulässigkeit nicht im Ungewissen sein konnte (BVerfG, a.a.O.). Will die
Partei in einem solchen Fall dennoch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf
erheben, so ist sie aus Gründen prozessualer Vorsorge gehalten, innerhalb der
Monatsfrist zugleich Verfassungsbeschwerde einzulegen (vgl. BVerfG, a.a.O., S.
346).
Das Bundesarbeitsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin ... als unzulässig verworfen, weil sie nicht entsprechend der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts begründet worden war. Dieser
Begründungsmangel war offensichtlich, weshalb die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die Monatsfrist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde gegen
das Berufungsurteil nicht neu in Lauf gesetzt hat (vgl. BVerfG, a.a.O., Leitsatz)."
Grundsatz: Die Verfassungsbeschwerdefrist wird nur durch die Erhebung solcher Rechtsbehelfe hinausgeschoben, denen gegenüber die Verfassungsbeschwerde subsidiär ist (s.o.).
Durch die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wird die Frist nicht hinausgeschoben. Dies gilt auch umgekehrt.
Will der Beschwerdeführer seine Rechte in beiden Verfahren wahren, ist er
wegen der Fristgebundenheit der Rechtsbehelfe zum parallelen Vorgehen
gezwungen (BVerfG, NJW 1996, 1464; VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 13. März
1998 - VGH B 2/98 -).
Die Fristbestimmung gilt auch für die Begründung der Verfassungsbeschwerde (§ 46 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG). Dies schließt eine nachträgliche
Ergänzung des Vorbringens nicht aus, untersagt dem Beschwerdeführer aber,
die Verfassungsbeschwerde nach Ablauf der Beschwerdefrist auf einen neuen
Sachverhalt oder auf eine bislang nicht gerügte Grundrechtsverletzung zu stützen (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 4. November 1998 - VGH B 5 und
6/98 -; BVerfGE 77, 275 [282]; BayVerfGHE 47, 47 [50]).
-8-
Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsvorschrift, so
kann sie gemäß § 46 Abs. 3 VerfGHG nur binnen eines Jahres seit deren InKraft-Treten erhoben werden.
"Zur Berechnung der Jahresfrist ist auf die einschlägigen Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch abzustellen, die hier entsprechende Anwendung finden (vgl. §
222 Abs. 1 ZPO; BVerfGE 102, 294 [295] zu § 93 Abs. 3 BVerfGG). Danach
endete die am 1. September 2003 in Lauf gesetzte Frist mit Ablauf des 31. August
2004 (vgl. § 188 Abs. 2 2. Alternative i.V.m. § 187 Abs. 2 Satz 1 BGB)." - VerfGH
Rh-Pf, Beschluss vom 13. Dezember 2004 - VGH B 16/04 -, DÖV 2005, 295
Diese Jahresfrist wird auch dann nicht neu in Lauf gesetzt, wenn der
Beschwerdeführer erstmals nach deren Ablauf durch die Rechtsnorm
beschwert wird. Das Verstreichen der Jahresfrist hindert allerdings nicht, eine
Rechtsnorm in einer späteren Verfassungsbeschwerde gegen einen Vollzugsakt mittelbar anzugreifen.
Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Unterlassen, ist sie zulässig, so lange das Unterlassen andauert (vgl. BVerfGE 77, 170 [214 f.]). Etwas
anderes gilt, wenn ein sog. unechtes Unterlassen des Gesetzgebers vorliegt,
die Verfassungsbeschwerde sich also dagegen richtet, dass der Gesetzgeber
einer Pflicht zum Erlass von Rechtsnormen zwar nachgekommen ist, die
gesetzliche Regelung jedoch für unzureichend gehalten wird. In diesem Fall
wird die Jahresfrist des § 46 Abs. 3 VerfGHG mit In-Kraft-Treten des Gesetzes
in Lauf gesetzt (vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 6. Aufl.
2004, Rn. 213 und 243).
Bei unverschuldetem Versäumnis der Monatsfrist gemäß § 46 Abs. 1 VerfGHG
ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 46
Abs. 2 VerfGHG). Diese Sonderregelung gilt nicht für Verfassungsbeschwerde
nach § 46 Abs. 3 VerfGHG, was sich aus der systematischen Stellung dieser
Vorschrift und deren Entstehungsgeschichte ergibt.
-9-
IV. Prüfungsumfang
1. Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsnormen
Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder eine andere
Rechtsnorm, so überprüft der Verfassungsgerichtshof in vollem Umfang die
Vereinbarkeit der Norm mit der Verfassung, und zwar umfassend sowohl in
formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht.
"Die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit im Bundesstaat (Art. 70 ff.
GG) ist auch Bestandteil des Landesverfassungsrechts. Deshalb schließt die
Frage, ob eine Rechtsnorm mit der Landesverfassung vereinbar ist, die Prüfung
der Gesetzgebungsbefugnis des Landes ein." (VerfGH Rh-Pf, Urteil vom 20.
November 2000, AS 29, 440, LS 1)
Die Vereinbarkeit mit sonstigem (auch einfachem) Bundesrecht (oder sonstigem höherrangigem Recht) ist grundsätzlich nicht Gegenstand der landesverfassungsgerichtlichen Überprüfung:
"Ein landesverfassungsrechtlicher Maßstab ist nur dann berührt, wenn die zur
Prüfung gestellte Norm offenkundig gegen [höherrangiges Recht - Bundesrecht oder Europarecht -] verstößt, weil in diesem Fall zugleich eine Verletzung
des Rechtsstaatsprinzips der Landesverfassung vorliegt (vgl. VerfGH Rh-Pf, Urteil
vom 20. November 2000, AS 28, 440 [445 f.]; Urteil vom 4. Juli 2001, AS 29, 23
[49]).
2. Urteilsverfassungsbeschwerde
a) Anwendung von Landesrecht
Beruht das das angegriffene Urteil auf der Anwendung von Landesrecht, so
ist der VerfGH umfassend zur Kontrolle befugt, ob das Landesrecht als solches mit der Landesverfassung vereinbar und ob bei der konkreten Anwendung des Landesrechts die Ausstrahlungswirkung der Landesgrundrechte
möglicherweise verkannt worden ist.
"Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidungen der Gerichte im Rahmen der
Verfassungsbeschwerde nicht der unbeschränkten rechtlichen Nachprüfung
unterliegen. Nicht jede einfachrechtlich fehlerhafte Entscheidung stellt einen Verstoß gegen die Verfassung dar. Denn es ist nicht die Aufgabe eines Verfassungsgerichts, die Entscheidung der Fachgerichte nach Art eines Rechtsmittelgerichts
zu überprüfen [Verfassungsgericht keine "Superrevisionsinstanz"]. Deshalb
sind die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall allein Sache der
Fachgerichte und der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof grundsätzlich entzogen. Er kann nur insoweit korrigierend eingreifen, als spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist." (VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 22. Dezember 2003 VGH B 25/03 -, ESOVGRP)
- 10 -
Eine fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts verletzt die Verfassung
erst dann, wenn sie die Bedeutung und Tragweite des hierdurch berührten
Grundrechts grundlegend verkennt oder gar auf Willkür beruht. (VerfGH Rh-Pf,
Beschluss vom 22. Juni 2004 - VGH B 6/04 -, ESOVGRP)
Eine mittelbare Kontrolle von Bundesstaatsgewalt ist dem VerfGH Rh-Pf
verwehrt. Eine solche mittelbare Kontrolle kommt in Betracht, wenn der geltend gemachte landesverfassungsrechtliche Maßstab inhaltsgleich mit einem
bundesverfassungsrechtlichen Maßstab ist, der vom Bundesgericht im Rechtsmittelverfahren bereits geprüft und als nicht verletzt angesehen worden ist.
b) Anwendung von Bundesprozessrecht
"Der VerfGH Rh-Pf ist gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG befugt, die Durchführung des bundesprozessrechtlich geregelten Verfahrens der Gerichte
an den Grundrechten der Landesverfassung zu messen, soweit diese den gleichen Inhalt wie entsprechende Rechte des Grundgesetzes haben." (VerfGH
Rh-Pf, Beschluss vom 11. Februar 2004 - VGH B 23/03 -, ESOVGRP)
Die sog. Bundesrechtsklausel in § 44 Abs. 2 VerfGHG gilt nicht für die
Durchführung des gerichtlichen Verfahrens. Auch das Grundgesetz erlaubt
den Landesverfassungsgerichten, die Anwendung des grundsätzlich
abschließend geregelten Bundesverfahrensrechts an den Grundrechten der
Landesverfassungen zu messen, wenn diese den gleichen Inhalt wie entsprechende Rechte des Grundgesetzes haben (vgl. BVerfGE 96, 345 [371]).
Wichtige Anwendungsfälle landesverfassungsrechtlicher Verfahrensgrundrechte, die inhaltsgleich mit bundesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen sind:
(1) Rechtliches Gehör
"Art. 6 Abs. 2 LV garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren, dass
sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde
zu legenden Sachverhalt und zur Sachlage zu äußern. Das Gericht hat diese
Äußerung zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu
ziehen. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm
entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch erwogen hat, und zwar
auch dann, wenn nicht jeder Gesichtspunkt in den Gründen der Entscheidung
ausdrücklich beschieden wird. Eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 LV kann deshalb
nur dann festgestellt werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich
machen, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei
der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Im Übrigen gewährleistet das
Gehörsgrundrecht keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag
eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise
oder ganz unberücksichtigt lassen. Ebenso kann ein Beteiligter aufgrund von Art.
6 Abs. 2 nicht beanspruchen, dass das Gericht seiner Rechtsansicht folgt."
(VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 16. März 2001, AS 29, 89 [92])
- 11 -
"Ein Gericht verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es die Beweisbedürftigkeit einer Behauptung aufgrund tatsächlicher Annahmen verneint, zu
denen die Prozessparteien keine Stellung nehmen konnten." (VerfGH Rh-Pf,
Beschluss vom 4. Dezember 2001, NJW-RR 2002, 1212)
Art. 6 Abs. 2 LV verpflichtet das Gericht, "einem als erheblich angesehenen
Beweisangebot nachzugehen, sofern es nicht aus Gründen des formellen Rechts
unberücksichtigt bleiben kann (...). Die Pflicht des Gerichts zur Beachtung des
Parteivorbringens findet also ihre Grenze in den Vorschriften des Prozessrechts.
Hierzu zählen auch Präklusionsvorschriften wie § 621 d Satz 1 ZPO ... Die Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen Prozessrechts obliegt [allerdings] den Fachgerichten. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, in einem
Verfassungsbeschwerdeverfahren über die Richtigkeit der Auslegung und
Anwendung des einfachen Rechts durch die Gerichte zu befinden. Eine einfachrechtlich fehlerhafte Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften rechtfertigt
daher erst dann die Annahme eines Verfassungsverstoßes, wenn sie die Bedeutung und Tragweite des hierdurch berührten Grundrechts grundlegend verkennt
oder gar auf Willkür beruht (vgl. ... BverfGE 75, 302 [314 f.]; 81, 97 [105] ...)."
(VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 22. Juni 2004 - VGH B 6/04 -, ESOVGRP)
"Die Zurückweisung von Parteivorbringen als verspätet verletzt das rechtliche
Gehör, wenn richterliches Fehlverhalten, namentlich eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht, die Verzögerung mit verursacht hat." (VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 22. Juni 2004 - VGH B
6/04 -, ESOVGRP)
Verbot der Überraschungsentscheidung:
"Das Grundrecht auf rechtliches Gehör verlangt grundsätzlich nicht, dass das
Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; ihm ist auch
keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen. Vielmehr hat ein Verfahrensbeteiligter von sich aus alle vertretbaren rechtlichen
Gesichtspunkt in Betracht zu ziehen und seinen Vortrag darauf einzustellen. Dies
gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Das Fehlen eines Hinweises kann im Ergebnis
der Verhinderung der Äußerungsmöglichkeit der Partei gleichkommen. Ein
Hinweis des Gerichts ist deshalb von Verfassungs wegen dann geboten, wenn
der Verfahrensbeteiligte auch bei Anwendung der von ihm zu verlangenden
Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung des Gerichts ankommen kann, die Entscheidung mit anderen Worten
ohne den Hinweis überraschend wäre (vgl. VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 16.
März 2001, AS 29, 89 [92 f.]; BVerfGE 84, 188 [190]; 86, 133 [144 f.])." (VerfGH
Rh-Pf, Beschluss vom 22. Juni 2004 - VGH B 6/04 -, ESOVGRP)
- 12 -
(2) Anspruch auf gesetzlichen Richter
"Nach Art. 6 Abs. 1 LV hat jedermann Anspruch auf einen gesetzlichen Richter.
Dies verlangt, dass der zur Entscheidung eines Rechtsstreits berufene Richter im
Voraus abstrakt-generell mit hinreichender Bestimmtheit festgelegt sein muss (...).
Der gesetzliche Richter kann auch dadurch entzogen werden, dass ein Gericht
die gesetzliche Pflicht zur Vorlage an ein anderes Gericht außer Acht lässt. Dabei
ist die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Verfahrensrechts allerdings
grundsätzlich Sache der Fachgerichte. Die fehlerhafte Anwendung der maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften durch ein Gericht entzieht den gesetzlichen Richter daher erst dann, wenn sie die Bedeutung und Tragweite des
Grundrechts grundlegend verkennt oder gar auf Willkür beruht (...)." (VerfGH RhPf, Beschluss vom 16. März 2001, AS 29, 89 [95 f.])
(3) Anspruch auf effektiven Rechtsschutz
"Die in der Verfassung für Rheinland-Pfalz gewährleistete Rechtsschutzgarantie
(Art. 124 LV) verlangt nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten
offen steht, sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der
Bürger hat einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle
(...).
Für das Rechtsmittelrecht folgt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass
die Gewährleistung eines Instanzenzugs zwar von Verfassungs wegen nicht
geboten ist. Sehen aber prozessrechtliche Vorschriften Rechtsbehelfe vor, so
verbietet die Rechtsschutzgarantie eine Auslegung und Anwendung dieser
Rechtsnormen, die das Beschreiten des Rechtsweges in einer unzumutbaren, aus
Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren (...). Das Gleiche
gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124 a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten.
Auch hier dürfen die Anforderungen an das Vorliegen von Zulassungsgründen
nicht überspannt werden (BVerfG, NVwZ 2000, 1163 und NVwZ 2001, 552). Zwar
ist die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Verfahrensrechts grundsätzlich
Sache der Fachgerichte. Die fehlerhafte Anwendung prozessrechtlicher Bestimmungen stellt jedoch dann zugleich einen Verstoß gegen Verfassungsrecht dar,
wenn das Gericht bei Anwendung der Verfahrensvorschrift die Bedeutung und
Tragweite des Grundrechts - hier des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz verkannt hat." (VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 13. Dezember 2004, GewArch
2005, 150 [151])
(4) Gleichheitssatz hinsichtlich PKH-Bewilligung
"Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung
des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Diese Angleichung hat jedoch nur
hinsichtlich eines solchen Bürgers zu erfolgen, der die Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Es ist demnach
verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon
abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Dabei darf die Prüfung der
Erfolgsaussicht aber nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten (vgl. ...
BverfGE 81, 347 [356 - 358]).
...
- 13 -
Bei der verfassungsgerichtlichen Kontrolle [der Beurteilung der Erfolgsaussichten
der Klage] ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer
Rechtsverfolgung in engem Zusammenhang mit der den Fachgerichten vorbehaltenen Feststellung und Würdigung des jeweils entscheidungserheblichen
Sachverhalts und der ihnen gleichfalls obliegenden Auslegung und Anwendung
des jeweils einschlägigen materiellen und prozessualen Rechts steht. Ein Verfassungsverstoß kann deshalb nur dann angenommen werden, wenn die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der
Bedeutung der in Art. 17 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 77 Abs. 2 LV verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfG, NJW 2003, 576)." (VerfGH Rh-Pf,
Beschluss vom 30. Mai 2003 - VGH B 8/03 -, ESOVGRP)
c) Anwendung von materiellem Bundesrecht
Die Landesverfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die angegriffene
Entscheidung auf der Anwendung von Bundesrecht beruht (§ 44 Abs. 2 Satz 1
VerfGHG - Bundesrechtsklausel -).
Dies gilt nicht, wenn die Landesverfassung weiterreichende Rechte als das
Grundgesetz gewährleistet (§ 44 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG). Solche weitergehenden landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen sind nur denkbar,
sofern das Bundesrecht überhaupt Raum für ergänzende landesrechtliche
Regelungen lässt. Ansonsten gilt der Vorrang des (auch einfachen) Bundesrechts vor Landesrecht, einschließlich Landesverfassungsrecht.
Allerdings "prüft der VGH auch, ob die angegriffene Entscheidung mit dem
Willkürverbot und der richterlichen Bindung an das Gesetz in Einklang
steht (Art. 17 Abs. 2, Art. 77 Abs. 2, Art. 121 LV). Liegen diese Voraussetzungen vor, so hat sich das Gericht außerhalb jeder Rechtsanwendung gestellt mit
der Folge, dass seiner Entscheidung in Wahrheit auch kein (materielles) Bundesrecht zugrunde liegt, dessen Anwendung gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1
VerfGHG der landesverfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist." (VerfGH
Rh-Pf, Beschluss vom 10. Juli 2003 - VGH B 7/03 -, ESOVGRP)
"Willkürlich und damit gegen Art. 17 Abs. 2 LV verstoßend ist ein Richterspruch
nur dann, wenn er bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich dabei der Schluss aufdrängt,
dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (...). Willkür in diesem Sinne liegt
auch vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der
Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird (...).
Ein Verstoß gegen die Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 77
Abs. 2 LV), der eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des
Beschwerdeführers (Art. 1 Abs. 1 und 2 LV) begründen könnte, ist dann anzunehmen, wenn die vom Gericht zur Begründung seiner Entscheidung angestellten
Erwägungen eindeutig erkennen lassen, dass es sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben hat, also etwa ein Fall
unzulässiger Rechtsfortbildung vorliegt (...)." (VerfGH Rh-Pf, Beschluss vom 24.
Oktober 2001, AS 29, 215 f. = NVwZ 2002, 77)
- 14 -
V. Verfahren
Über die Verfassungsbeschwerde wird in einem nicht kontradiktorischen
Verfahren entschieden. Der Landesregierung bzw. dem zuständigen Minister
und dem durch die angegriffene Gerichtsentscheidung Begünstigten - u.U.
auch dem Landtag (§ 48 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 und 2 VerfGHG) - ist jedoch
Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 48 Abs. 1, 2 VerfGHG).
Das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist grundsätzlich gebührenfrei (§ 21
Abs. 1 VerfGHG). Dem erfolgreichen Beschwerdeführer werden die notwendigen Auslagen erstattet. Weil es sich um ein nicht kontradiktorisches Verfahren
handelt, erhält der anhörungsberechtigte Gegner des Ausgangsverfahrens
auch bei Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde keine Kostenerstattung.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, wenn der
Verfassungsgerichtshof sie zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Erörterung des Sach- und Streitstoffes nicht für erforderlich hält (§ 49 Abs. 1
VerfGHG).
Verfassungsbeschwerden können durch einstimmigen Beschluss eines von
dem Verfassungsgerichtshof für die Dauer eines Geschäftsjahres bestellten
Ausschusses zurückgewiesen werden, wenn sie unzulässig oder offensichtlich
unbegründet sind. Der Ausschuss besteht aus dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofs sowie einem berufsrichterlichen und einem nichtberufsrichterlichen (§ 15 a Abs. 1 Satz 1 und 2 VerfGHG).
Dem Beschwerdeführer kann nach Maßgabe der Vorschriften der ZPO Prozesskostenhilfe bewilligt werden (§ 47 VerfGHG).
Der Verfassungsgerichtshof kann in einem anhängigen Verfahren auf Antrag
einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur
Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grund zum Gemeinwohl dringend geboten ist (§ 19 a
Abs. 1 VerfGHG).
Herunterladen