Fall 4: Lösung Die Verfassungsbeschwerde der N hat Erfolg, wenn Sie zulässig (A.) und begründet (B.) ist. A. Zulässigkeit Die Verfassungsbeschwerde der N ist zulässig, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen. I. Beschwerdefähigkeit Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG Zunächst müsste N beschwerdefähig sein. Dies ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG „jedermann“. Also jeder, der Träger eines als verletzt gerügten Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts ist. Hier könnte problematisch sein, dass die Beschwerdeführerin, die N-Partei, keine natürliche Person, sondern eine Organisation ist. Eine solche kann nur im Rahmen des Art. 19 III GG grundrechtsberechtigt sein. Nach Art. 19 III GG gelten die Grundrechte nur für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Als juristische Person erkennt Art. 19 III GG Vereinigungen von privaten Personen an, die über ein Mindestmaß an organisatorischer Verfestigung verfügen. Jedenfalls genügt die Teilrechtsfähigkeit.1 Parteien verfügen über eine Binnenstruktur, die entsprechend verfestigt ist. Sie sind daher juristische Personen i. S. d. Art. 19 III GG. Anm.: Der Begriff der juristischen Person des Art. 19 III GG unterscheidet sich damit von dem entsprechenden Begriff des Zivilrechts. Dort sind juristische Personen begrifflich immer vollrechtsfähig. Parteien sind in Deutschland traditionell nichteingetragene Vereine (vgl. § 54 BGB) und damit keine juristischen Personen i.S.d. Privatrechts. Die N hat ihr tatsächliches Aktionszentrum in Deutschland und ist somit auch eine inländische juristische Person. 1 Bumke/Voßkuhle, Casebook VerfR, S. 49. Fraglich ist somit allein noch, ob Art. 8 Abs. 1 GG seinem Wesen nach auf inländische juristische Personen anwendbar ist. Art. 8 Abs. 1 GG knüpft nicht an natürliche Eigenschaften des Menschen an, sodass die Anwendbarkeit auf juristische Personen nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Bsp.: Juristische Personen haben keine Menschenwürde, keine körperliche Unversehrtheit und kein (von Art. 2 II 1 GG geschütztes) Leben. Als Kriterium böte sich insofern an, danach zu fragen, ob die Bildung und Betätigung der juristischen Person Ausdruck der freien Entfaltung der dahinterstehenden natürlichen Personen sind, „besonders wenn der Durchgriff auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen [die Grundrechtsfähigkeit] als sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt“2 (Lehre vom personalen Substrat). Die Bildung der N-Partei und ihre Tätigkeit sind Ausdruck der Nutzung der grundrechtlichen Freiheiten der Mitglieder aus Art. 5 I, 8 I, 9 I und 2 I GG. Sie soll gerade die gemeinsame Teilnahme am öffentlichen Meinungsbildungsprozess ermöglichen. Sollte die N-Partei an der Organisation der Versammlung gehindert werden, wären die hinter der Partei stehenden Menschen in der Ausübung dieser Freiheiten beschränkt. Daher ist die N-Partei diesbezüglich grundrechtsfähig. Anm.: Die Partei kann im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nicht die Verletzung der Rechte aus Art. 21 I GG rügen. Dies ist kein grundrechtsgleiches Recht. Die Verletzung von Art. 21 I GG kann nur im Rahmen des Organstreitverfahrens gerügt werden, dann aber auch nur, wenn die Norm durch ein anderes Verfassungsorgan verletzt wird. Auch auf das Kriterium der grundrechtstypischen Gefährdungslage ließe sich abstellen.3 Die Situation muss mit der Lage einer grundrechtsberechtigten natürlichen Person vergleichbar sein.4 Die Lage einer juristischen Person, die eine 2 3 4 BVerfGE 21, 362 (369); 68, 193 (205 f.); 75, 192 (196). S. dazu Dreier, in: Ders., GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 III, Rn 33. Pieroth/Schlink, Rn. 168. Versammlung organisiert, ist mit jener einer natürlichen Person, die dasselbe tut, vergleichbar. Auch nach dieser Ansicht wäre N also grundrechtsfähig. Juristische Personen des Privatrechts können sich allerdings nur auf Art. 8 GG berufen, soweit sie als solche versammlungsspezifische Verhaltensweisen praktizieren können.5 So können sich juristische Personen nicht selbst versammeln, allerdings können sie – so wie hier – Veranstalter oder Organisator einer Versammlung sein. II. Prozessfähigkeit Die N kann als juristische Person selbst aber nicht handeln und ist daher nicht prozessfähig. Sie muss sich daher durch V vertreten lassen. III. Beschwerdegegenstand Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG Weiter müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen. Ein solcher liegt gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG in jedem Akt öffentlicher Gewalt. Gemeint sind damit – anders als in Art. 19 IV GG – Maßnahmen aller drei Gewalten. Hier wehrt sich die N gegen das letztinstanzliche Urteil, somit gegen einen Akt der Judikative. Dies ist ein Akt öffentlicher Gewalt, somit liegt ein zulässiger Beschwerdegegenstand vor. IV. Beschwerdebefugnis Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG N müsste auch beschwerdebefugt sein. Die Beschwerdebefugnis ist gegeben, wenn die Beschwerdeführerin durch den Akt öffentlicher Gewalt möglicherweise in einem ihrer Grundrechte verletzt sowie selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen ist. Die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung setzt voraus, dass eine Verletzung nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Es erscheint möglich, dass der Schutzbereich des Art. 8 I GG eröffnet ist, N kann sich auf Art. 8 I GG wie dargelegt berufen. Auch ein Eingriff erscheint dann möglich, der jedenfalls nicht offensichtlich gerechtfertigt ist. Eine Verletzung des Art. 8 I GG ist also möglich. Auch eine Verletzung des Art. 5 I 1 GG erscheint nicht ausgeschlossen. Die N müsste zudem selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. N ist Adressatin des Urteils, das sie gegenwärtig und unmittelbar betrifft. Sie ist folglich beschwerdebefugt. 5 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. I, 2. Aufl. 2004, Art. 8, Rn. 56 m.w.N. V. Rechtswegerschöpfung Der Rechtsweg ist laut Sachverhalt § 90 II 1 entsprechend erschöpft. VI. Form und Frist Gemäß §§ 23 I, 92 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde schriftlich und begründet einzureichen. Dies ist hier mangels anderer Angaben im Sachverhalt zu unterstellen. VII. Ergebnis Zulässigkeit Die Verfassungsbeschwerde der N ist folglich zulässig. B. Begründetheit Die Verfassungsbeschwerde wäre auch begründet, wenn N in ihren Rechten verletzt wäre. I. Prüfungsumfang des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“. Es ist nicht seine Aufgabe, die Rechtsprechung der zuständigen Fachgerichte bei der Auslegung des sogenannten „einfachen Rechts“ auf ihre Richtigkeit zu überprüfen oder gar zu vereinheitlichen. Es kann vielmehr erst dann tätig werden, wenn die Entscheidung eines Gerichts Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts beruhen oder wenn das Auslegungsergebnis mit den Grundrechtsnormen nicht vereinbar ist (vgl. BVerfGE 18, 85 (92 f.); stRspr). Die Verletzung einfachen Rechts wird im Folgenden daher nicht geprüft. II. Verstoß gegen Art. 5 I 1 GG N könnte in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG verletzt sein. 1. Schutzbereich Dazu müsste zunächst der Schutzbereich eröffnet sein. a. persönlicher Schutzbereich Der persönliche Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG enthält keine Einschränkungen, als inländische juristische Person kann sich die N auch auf die Meinungsfreiheit berufen (siehe oben). Der persönliche Schutzbereich ist somit eröffnet. b. sachlicher Schutzbereich Fraglich ist, ob auch der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 I 1 GG eröffnet ist. Eine Meinung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist jede wertende Stellungnahme. Kennzeichnend ist ein Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen der geistigen Auseinandersetzung. Eine Demonstration zum Thema „Gegen Sozialdumping und Massenarbeitslosigkeit“ nimmt zu beiden Phänomenen Stellung, wertet sie als bekämpfenswert und dient somit der Kundgabe einer Meinung. Auch der sachliche Schutzbereich ist also eröffnet. 2. Eingriff In diesen Schutzbereich müsste auch eingegriffen worden sein. Ein Eingriff ist jedes staatliche Verhalten, das die Ausübung einer grundrechtlich geschützten Freiheit ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert. Das Verbot einer Demonstration, das aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung der Demonstration oder der Veranstaltung ergeht, macht die Kundgabe einer Meinung (rechtlich) unmöglich und stellt damit einen Eingriff in Art. 5 I 1 GG dar. Anm.: Demgegenüber stellen Auflagen, die aus versammlungsspezifischen Gründen erfolgen (z.B. Änderung der Route) und nur die Modalitäten der Versammlung betreffen, entweder lediglich einen Eingriff in Art. 8 GG dar oder Art. 5 I 1 GG tritt jedenfalls im Wege der Grundrechtskonkurrenz zurück. 3. Rechtfertigung Der Eingriff könnte jedoch gerechtfertigt sein, wenn eine verfassungskonforme gesetzliche Grundlage im Einzelfall verfassungskonform angewendet worden wäre. a. gesetzliche Grundlage Mindestvoraussetzung ist jedenfalls das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage, die nicht nur insgesamt verfassungskonform sein muss, sondern insbesondere auch mit der Schrankenregelung der Meinungsfreiheit vereinbar sein muss. aa. Vereinbarkeit mit Art. 5 II GG Zweifelhaft ist, ob § 15 I VersG mit Art. 5 II GG vereinbar ist. Dazu müsste er, weil er weder dem Schutz der Jugend noch der Ehre dient, ein allgemeines Gesetz sein. Der Begriff des allgemeinen Gesetzes ist umstritten. Nach der früher vertretenen Abwägungslehre sollen solche Gesetze allgemein sein, die dem Schutz eines Rechtsgutes dienen, das den Vorzug vor der Meinungsfreiheit verdient. Diese Lehre ist jedoch veraltet. Heutzutage findet dieser Gedanke seinen Niederschlag im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aber auch jedem einfachen Gesetzesvorbehalt als Schranken-Schranke Grenzen setzt. Die besondere Regelung des Art. 5 II GG wäre überflüssig. Nach der Sonderrechtslehre darf sich das allgemeine Gesetz weder gegen die Meinungsfreiheit als solche noch gegen eine bestimmte Meinung richten. Diese Idee nimmt das Bundesverfassungsgericht mit seiner Kombinationslehre auf. Danach ist ein Gesetz allgemein, das sich weder gegen die Meinungsfreiheit noch gegen eine bestimmte Meinung richtet, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dient. Formal ist §15 I VersG keine Ausrichtung auf eine bestimmte Meinung zu entnehmen. Allerdings verweist die öffentliche Ordnung auf ungeschriebene Regeln, die von Mehrheitsauffassungen definiert werden (vgl. die Definition in Fn. 14), und verlagert das Problem damit auf diese. Es gilt: „Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutzzweck des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in seiner Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie zugleich sonstige Rechtsgüter -- etwa die Menschenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht -- verletzen.“ (BVerfGE 111, 147 <156>) Der Verweis auf die öffentliche Ordnung in § 15 I VersG genügt daher nicht der Schrankenregelung des Art. 5 II GG, soweit er Anwendung auf die Meinungsinhalte einer Versammlung findet. Anm.: Für die Auslegung des § 15 I VersG bedeutet das Gesagte, dass ein Erlass eines Versammlungsverbots wegen eines Versammlungsinhaltes grundsätzlich nicht auf den Begriff der öffentlichen Ordnung gestützt werden kann.6 Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung infolge der Art und Weise der Durchführung einer Versammlung kann beispielsweise bei einem aggressiven und provokativen, die Bürger einschüchternden Verhalten der Versammlungsteilnehmer bestehen, durch das ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt wird. Ein Anlass für Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unter Berufung auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung kann ferner gegeben sein, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2006 – 1 BvQ 3/06 -, NVwZ 2006, S. 585). bb. Rechtfertigung anhand kollidierenden Verfassungsrechts Möglicherweise lässt sich der Grundrechtseingriff aber aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts rechtfertigen. Dazu müsste die Meinungsfreiheit außer den Schranken des Art. 5 II GG auch noch der Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts unterliegen. Dafür spricht, dass die Rechtfertigung anhand kollidierenden Verfassungsrechts im Rahmen der Dogmatik zu den vorbehaltlosen Grundrechten allgemein anerkannt ist und die Möglichkeit von Kollisionen mit verschiedenen anderen Verfassungsinhalten auch im Rahmen des Art. 5 II GG möglich ist. Dann aber ließe sich wie bei vorbehaltlosen Grundrechten argumentieren, dass Art. 5 I 1 GG im Rahmen dieser Kollisionen nicht per se Vorrang zukommen kann, sondern die 6 anders für Auflagen, BVerfG, NJW 2001, 1401. Kollision im Sinne praktischer Konkordanz derart aufgelöst werden sollte, dass beide Verfassungswerte zu optimaler Geltung kommen. Allerdings hat der Verfassungsgeber die Möglichkeit der Kollision der Meinungsfreiheit mit anderen Schutzgütern gesehen. Deswegen hat er die Schrankenregelung des Art. 5 II GG geschaffen, die abgesehen von den Schutzgütern Jugend und persönliche Ehre eben ein allgemeines Gesetz zur Rechtfertigung des Eingriffs erfordert. Damit kommt zudem ein allgemeines Prinzip – die Meinungsneutralität – zum Ausdruck, die zunächst eine zusätzliche formelle Eingrenzung des Gesetzesvorbehalts bedeutet. Der Verfassungsgeber hat also mit Art. 5 II GG eine abschließende Regelung geschaffen, die nicht unter Berufung auf allgemeine Prinzipien umgangen werden darf. Die andere Auffassung ist nicht nur gut vertretbar, sondern herrschend. Dann wäre hier nach einem (kollidierenden) Verfassungsgut zu suchen gewesen. Das Problem, worin dieses liegen könnte, taucht hier im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Art. 8 GG wieder auf. b. Ergebnis Rechtfertigung Der Eingriff in Art. 5 I 1 GG kann nicht gerechtfertigt werden. 4. Ergebnis Verletzung Art. 5 I 1 GG Die N ist in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG verletzt. III. Verstoß gegen Art. 8 I GG Fraglich ist, ob N in ihrer Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG verletzt ist. 0. Verhältnis zu Art. 5 I 1 GG Fraglich ist zunächst, ob Art. 5 I 1 GG und Art. 8 I GG überhaupt nebeneinander zur Anwendung kommen können. Insbesondere könnte man auf Grundlage des engen Versammlungsbegriffs meinen, dass Art. 8 I GG als lex specialis die Meinungsfreiheit verdrängt. Dem ist nicht so: Beide Grundrechte sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Ein Eingriff in eine Versammlung aufgrund ihres Inhaltes ist daher an Art. 8 I GG und an Art. 5 I 1, II GG zu messen. Geht es dagegen nur um versammlungsspezifische Verhaltensweisen, nicht um in oder durch die Versammlung kundgegebene Meinungen, ist allein die Versammlungsfreiheit einschlägig.7 „Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (vgl. BVerfGE 90, 241 <246>).“ (BVerfGE 111, 147 <155>) Hier kommen demnach Art. 5 und Art. 8 GG nebeneinander zur Anwendung. 1. Schutzbereich Dazu müsste zunächst der Schutzbereich persönlich wie sachlich eröffnet sein. a. persönlicher Schutzbereich Fraglich ist, ob der persönliche Schutzbereich eröffnet ist. Persönlich ist der Schutzbereich des Art. 8 I GG auf Deutsche beschränkt. Zweifelhaft ist insofern, ob daraus Folgerungen für die Staatsangehörigkeit, die die Mitglieder haben müssen, zu ziehen sind. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass Deutschengrundrechte nur für solche juristischen Personen, die von deutschen Mitgliedern beherrscht werden, anwendbar sind.8 Mangels Angaben im Sachverhalt ist aber davon auszugehen, dass die Mitglieder der N-Partei Deutsche sind ( - die politische Ausrichtung mag ebenfalls dafür sprechen). N kann sich daher jedenfalls auf die Versammlungsfreiheit berufen. Der persönliche Schutzbereich ist eröffnet. b. sachlicher Schutzbereich Fraglich ist, ob auch der sachliche Schutzbereich eröffnet ist. Art. 8 I GG schützt das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Entscheidend ist damit der Versammlungsbegriff. Einigkeit herrscht insofern im Ausgangspunkt: Sich-Versammeln ist das Zusammenkommen mehrerer Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks.9 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl., Rn. 125 zu Art. 8. Dagegen: Pieroth/Schlink, Rn. 163; Enders, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Edition 17, Art. 19, Rn. 38. 9 Pieroth/Schlink, Rn. 749. 7 8 Zweifelhaft ist aber zunächst, wie hoch die Anzahl von Menschen für eine Zusammenkunft i.S.v. Art. 8 I GG sein muss. Zum Teil wird ein Sich-Versammeln als Zusammenkunft „mehrerer Personen“ bereits bei 2 Teilnehmern für gegeben angesehen.10 Andere verlangen mindestens 3 Teilnehmer11 oder auch 7 Teilnehmer. Das BVerfG spricht selber von „mehreren Personen“.12 Anm.: Die Ein-Personen-Demonstration fällt schon begrifflich nicht in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Zu der Veranstaltung der N soll eine Vielzahl Demonstranten erscheinen, also jedenfalls mehr als sieben. Eine Streitentscheidung ist daher entbehrlich. Umstritten ist weiter, welcher Natur der gemeinsame Zweck, den die Teilnehmer verfolgen, sein muss. Nach dem weiten Versammlungsbegriff Persönlichkeitsentfaltung in Gruppenform ist durch geschützt Art. 8 GG die (Pieroth/Schlink, Grundrechte, 23. Aufl. 2007, Rn 692 f.). Andere fordern vermittelnd, dass der gemeinsame Zweck in der Meinungsäußerung und -bildung liegen müsse. Der enge Versammlungsbegriff des BVerfG will sogar nur solche Zwecke genügen lassen, die auf die Bildung oder Äußerung einer Meinung in öffentlichen Angelegenheiten gerichtet sind. Eine Versammlung ist danach eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.13 Dies soll sich aus dem Bezug des Art. 8 Abs. 1 GG zum Prozess öffentlicher Meinungsbildung ergeben.14 Die sehr enge Grenzziehung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG durch das BVerfG kommt etwas überraschend, weil zuvor durchaus ein wesentlich weiterer Versammlungsbegriff in Literatur und Rechtsprechung herrschend war (siehe hierzu die Zusammenstellung der verschiedenen Auffassungen bei Brenneisen, NordÖR 2006, 97, 98; Laubinger/Repkewitz, VerwArch. 90 [2001], S. 585, 615 ff.) und das Vgl. z.B. VGH Mannheim, Urteil 25.4.2007 - 1 S 2828/06; wohl auch h.M. in der Literatur Sachs, in: Stern, Staatsrecht, Bd. IV 1, 2006, § 107, S. 1196 ff., mit umfangreichen Nachweisen (in Fn. 122), auch zur Gegenansicht (in Fn. 123). 11 Vgl. z.B. Wache, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtl. Nebengesetze, Bd. 4, V 55 (Dez. 2005 ), § 1, Rn. 23 m.N. 12 BVerfGE 104, 92 (104). 13 vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 u.a. -, BVerfGE 104, 92 (104). 14 Vgl. zum Ganzen Pieroth/Schlink, Rn. 749 ff., die den weitesten Begriff vertreten. 10 BVerfG sich insbesondere auch nicht veranlasst gesehen hat, sich mit den gegenteiligen Auffassungen - die nicht der Erwähnung wert gefunden werden - näher auseinanderzusetzen. Hier liegt der Versammlungszweck gerade in der politischen Meinungsbildung. Somit sind sogar die Voraussetzungen des engsten Versammlungsbegriffs erfüllt. Folglich liegt eine Versammlung i.S.d. Art. 8 I GG hier vor. Schließlich muss die Versammlung friedlich und ohne Waffen stattfinden. Unfriedlich ist eine Versammlung immer dann, wenn die Versammlung als Ganzes zu Gewalttätigkeiten und Aufruhr führt und damit kollektive Unfriedlichkeit gegeben ist. Hier liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Versammlung unfriedlich ablaufen wird. Der Schutzbereich des Art. 8 I GG ist demnach eröffnet. 2. Eingriff In diesen Schutzbereich müsste durch das Verbot auch eingegriffen worden sein. Ein Eingriff ist jede staatliche Maßnahme, die dem einzelnen die Ausübung seiner Grundrechte ganz oder teilweise unmöglich macht bzw. erschwert. Durch das Verbot wird die Versammlung gänzlich unmöglich gemacht. Dabei handelt es sich um einen Eingriff in Art. 8 I GG. 3. Rechtfertigung Allerdings könnte der Eingriff gerechtfertigt sein, wenn eine verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage (a.) im Einzelfall verfassungskonform angewandt worden wäre (b.). a. Verfassungskonforme gesetzliche Grundlage Zunächst müsste die gesetzliche Grundlage, § 15 I VersG, verfassungskonform sein. aa. Übereinstimmung mit Schrankenregelung Zunächst müsste § 15 I VersG mit der Schrankenregelung des Art. 8 II GG übereinstimmen. Dieser unterstellt Versammlungen einem einfachen Gesetzesvorbehalt – wenn sie unter freiem Himmel stattfinden. Versammlungen in geschlossenen Räumen unterliegen dagegen keinem Gesetzesvorbehalt. Zur Abgrenzung kommt es – dem Wortlaut entgegen – nicht auf die räumliche Begrenzung der Veranstaltungen nach oben, sondern zur Seite an. Die Demonstration soll auf dem Alexanderplatz ohne seitliche Begrenzungen stattfinden. Es handelt sich also um eine Veranstaltung unter freiem Himmel i.S.d. Art. 8 II GG, die dem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegt. Diesem genügt § 15 VersG. Anm.: Veranstaltungen in nach oben offenen Stadien sind daher keine Veranstaltungen unter freiem Himmel. „Es geht nicht um die Gefahr des Nasswerdens durch Regen, sondern darum, dass die räumliche Offenheit die Versammlung besonders störanfällig und gefährlich macht.“15 bb. Verfassungsmäßigkeit im Übrigen Der § 15 I VersG müsste auch im Übrigen verfassungsmäßig sein. In formeller Hinsicht könnten hier Zweifel bestehen, da sich nach der Föderalismusreform kein Kompetenztitel mehr für den Bund im GG findet, der zum Erlass eines Versammlungsgesetzes berechtigt. Allerdings führt der Wegfall der Gesetzgebungskompetenz nicht zur Nichtigkeit des alten Bundesrechts. Das Bundesrecht gilt nach Art. 125a I GG bis zur Ersetzung durch Landesrecht fort. Somit ist § 15 I VersG formell verfassungsgemäß. § 15 I VersG müsste auch materiell verfassungsmäßig sein. Bedenken könnten insoweit bestehen, als dass die Begriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung16 zu unbestimmt sind. Allerdings steht dem offenen Wortlaut eine Jahrzehnte währende Rechtspraxis gegenüber. In der Rechtsprechung und Literatur ist der Begriff in dieser Zeit hinreichend konkretisiert worden.17 Selbst im Grundgesetz (Art. 13 Abs. 7, 35 Abs. 2 GG) wird der Begriff der öffentlichen Pieroth/Schlink, Rn. 764. Unter dem Begriff öffentlich Ordnung versteht man die ungeschriebene Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>; BVerfGK 2, 1 <6>) 17 A.A. durchaus vertretbar, vgl. zur Kritik z.B. Denninger, in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Auflage, E 26 ff. 15 16 Ordnung neben dem der öffentlichen Sicherheit verwendet. Zudem enthält der Tatbestand des § 15 I VersG weitere Einschränkungen, die bewirken, dass Verbote und Auflösungen im Wesentlichen nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter in Betracht kommen können. Zum einen enthält § 15 I VersG die Möglichkeit, die Versammlung mit Auflagen zu versehen, so dass Verbote und Auflösungen nur als ultima ratio in Betracht kommen. Dies ist Ausfluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Zum anderen kommen Verbote und Auflösungen nur bei einer „unmittelbaren“ Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Betracht, deren Feststellung auf „erkennbaren Umständen“ beruht. Bloßer Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen. § 15 I VersG sieht mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit beschränkende Verfügungen gegenüber Versammlungen daher nur für den Fall vor, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die beschränkende Verfügung soll Rechtsgütern dienen, deren Schutz im betroffenen Fall der Ausübung der Versammlungsfreiheit vorgeht, und sie soll den Gefahren auf eine Weise entgegenwirken, die stärker beeinträchtigende Maßnahmen, etwa ein Verbot der Versammlung, nicht erforderlich werden lassen. Nicht auf der Grundlage des § 15 I VersG werden demgegenüber behördliche Maßgaben erlassen, die nicht eine Abwehr konkret bevorstehender unmittelbarer Gefahren bezwecken, sondern sich in bloßen Hinweisen auf die allgemeine Rechtslage erschöpfen, Vorkehrungen für abstrakt gefährliche Tatbestände vorsehen oder im Sinne vorsorgender Maßnahmen lediglich den reibungslosen Ablauf einer Versammlung gewährleisten sollen.18 Das für beschränkende Verfügungen vorauszusetzende Sachlage voraus, Wahrscheinlichkeit entgegenstehenden Erfordernis die zu bei einer unmittelbaren ungehindertem einem Schaden Interessen führt.19 für Nur Gefährdung Geschehensablauf die der unter setzt mit eine hoher Versammlungsfreiheit Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, aus denen sich vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. März 2007 - 1 BvR 232/04 -, NVwZ 2007, S. 1183 <1184>, und vom 25. Oktober 2007 - 1 BvR 943/02. 19 vgl.BVerfGE 69, 315 (353, 360). 18 die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich.20 Bloße Vermutungen reichen nicht aus.21 Hierdurch wird die Feststellung einer „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ im Gegensatz zum allgemeinen Polizeirecht noch einmal stärker eingeschränkt. Zudem ist § 15 I VersG eine Ermessensvorschrift, die eine verfassungskonforme Anwendung im Einzelfall erlaubt. § 15 I VersG ist mithin materiell und daher auch ingesamt verfassungsgemäß. bb. Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes Das Verbot der Versammlung müsste weiter auch im Einzelfall verfassungskonform sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn es verhältnismäßig ist. Mit dem Verbot bezweckt die Behörde den Schutz des 1. Mai als Feiertag zur Erinnerung an die Verdienste der Arbeiterschaft für die freiheitliche Demokratie. Dieser Zweck ist durch die Verfassung nicht verboten und damit zunächst legitim. Auch das Mittel des Verbots ist nicht per se verfassungswidrig und daher legitim. Das Verbot müsste zur Erreichung des Ziels zudem geeignet sein. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie das Ziel zumindest fördert. Durch das Verbot der Versammlung wird die Inanspruchnahme des Feiertags durch Rechtsextreme geschützt und damit verhindert, dass die Erinnerung an die Beiträge der Arbeiterschaft zur freiheitlichen Demokratie in den Hintergrund gespielt wird. Die Maßnahme ist dem Zweck daher förderlich, mithin zu seiner Verfolgung geeignet. Das Verbot müsste auch erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn kein gleich geeignetes, aber grundrechtsschonenderes Mittel zur Verfügung steht. In Betracht käme hier eine Verschiebung der Demonstration auf einen anderen Tag. Allerdings ist auch die Demonstration der N-Partei auf den 1. Mai als vgl.BVerfGE 69, 315 (353 f.); 115, 320 (361) ; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. März 2002 - 1 BvQ 9/02 -, NVwZ 2002, S. 983 21 vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1998 - 1 BvR 2311/94 -, NVwZ 1998, S. 834 (835). 20 Veranstaltungstermin angewiesen. Eine Demonstration an einem anderen Tag wäre wegen der Bedeutung des 1. Mai auch eine andere Demonstration. Sie wäre daher schon kein milderes Mittel. Das Verbot müsste auch angemessen sein. Das Mittel dürfte also nicht außer Verhältnis zum Zweck stehen. Hierbei gilt die Formel, dass je schwerwiegender der Eingriff ist, desto gewichtiger der Zweck der Einschränkung sein muss. Konkret geht es somit um die Abwägung zwischen dem Schutz des 1. Mai und der Versammlungsfreiheit der N-Partei. Eine besondere Bedeutung des Ziels, Schutz des 1. Mai vor Inanspruchnahme durch rechtsextreme Bewegungen, ließe sich aus der Verfassung begründen, wenn diese ein „antinationalsozialistisches Grundprinzip“ 22 enthielte. Insbesondere das OVG Münster23 hat dies in der Vergangenheit der Sache nach versucht. Danach stehen das Friedensgebot der Art.1 II, 24 II, 26 I GG und vor allem die Menschenwürde des Art. 1 I GG, die Strukturprinzipien der Demokratie, des Föderalismus und der Rechtsstaatlichkeit dem Nationalsozialismus diametral entgegen. Die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG schützt diese Wertentscheidungen. Eine Ideologie, die auf Rassismus, Kollektivismus und dem Prinzip von Führung und unbedingtem Gehorsam aufbaue, sei damit unvereinbar. Sie sei auch mit den Mitteln des Demonstrationsrechts nicht zu legitimieren. Jedoch ist zu beachten, dass auch und gerade die rechtsstaatlichen Garantien des Grundgesetzes eine Reaktion auf den Nationalsozialismus sind.24 Hierzu gehört auch die Versammlungsfreiheit. Diese hat als grundlegendes Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens besondere Bedeutung für die demokratische Willensbildung.25 Die Versammlungsfreiheit steht grundsätzlich auch dem zu, der sich in feindlicher Haltung gegen das Grundgesetz stellt.26 Solange eine Partei nicht verboten ist, Art. 21 II 2 GG, stehen ihr die gleichen Rechte zur Verfügung wie allen anderen Parteien.27 Dem 22 23 24 25 26 27 Ausdruck BVerfGE 124, 300 <330> (ablehnend). Vgl. OVG Münster, NJW 2001, 2111 ff. BVerfG, NJW 2001, 2076, 2077. BVerfGE 69, 315 (346). BVerfG, NJW 2001, 2076, 2077. vgl. zur Vertiefung: BVerfGE 107, 339 ff. zum gescheiterten NPD-Verbotsverfahren. Grundgesetz ist daher kein antinationalsozialistisches Grundprinzip zu entnehmen. 28 In den Worten des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Meinungsfreiheit: „Das Grundgesetz gewährt Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit. Der Parlamentarische Rat bekannte sich hierzu auch gegenüber dem soeben erst überwundenen Nationalsozialismus. In den Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG legte er fest, dass nicht schon die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen als solche die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung bildet, sondern erst eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 5, 85 <141>). Entsprechend gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>). Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen.“29 Im Gegenteil ist gerade die abweichende Meinung, d. h. immer auch die streitbare und (möglicherweise) falsche, und ihre Kundgabe von Art. 8 I GG und Art. 5 I GG geschützt. Diese Kommunikationsgrundrechte sind ihrerseits Grundpfeiler des vom Grundgesetz geschaffenen Gegenentwurfs zum Nationalsozialismus, Grundpfeiler der freiheitlichen Demokratie. Ein Verbot der Veranstaltung allein aufgrund eines selbst nicht verbotenen oder gar strafbaren Inhalts der kundgegebenen Meinungen kann daher auch an einem Feiertag nicht vor Art. 8 I GG bestehen. Dies gilt zumal, wie gesehen, da der Feiertag nicht nur die Abwehr der Demonstration argumentativ zu stützen vermag, sondern auch für deren eigene, grundrechtlich geschützte Sinnhaftigkeit von immenser Bedeutung ist. Eine Demonstration am 1. Mai kann eben nur am 1. Mai stattfinden. Das Verbot ist daher nicht angemessen und folglich unverhältnismäßig. Die Anwendung im Einzelfall verletzt daher Art. 8 I GG. III. Ergebnis Begründetheit 28 29 BVerfGE 124, 300 <330> ebd. Die Verfassungsbeschwerde der N ist begründet. C. Gesamtergebnis Die Verfassungsbeschwerde der N hat Erfolg. Zusatzfrage: Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.30 Bei einem offenen Ausgang eines möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens sind gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre31 (doppelt hypothetische Folgenabwägung). Anm.: Allerdings gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz. So prüft das BVerfG die Erfolgsaussichten von Verfassungsbeschwerden auch dann, wenn sich die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen richtet, die ihrerseits im einstweiligen Rechtsschutz ergangen sind und die die Hauptsache vorwegnehmen. Insbesondere gilt das, wenn die Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>). Derartige Feinheiten des Verfassungsprozessrechts sind in der Klausur jedenfalls nicht mehr relevant. Im kürzlich ergangenen Beschluss zu ESM und Fiskalpakt prüfte das BVerfG im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung summarisch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstelle einer solchen Folgenabwägung (vom 12. September 2012, Az. 2 BvR 1390/12 u.a.). Darin lag ein pragmatischer Kompromiss in einem Einzelfall, der grundsätzlich nicht verallgemeinerbar ist. Einerseits brauchte man schnell eine Entscheidung darüber, ob die 30 31 vgl.BVerfGE 71, 158 ,161; 111, 147, 152 f.; stRspr. Vgl. BVerfGE 71, 158 ,161; 96, 120 ,128 f.; stRspr. Bundesrepublik Verträge ratifizieren durfte. Andererseits ist die damit eintretende völkerrechtliche Verbindlichkeit im Grundsatz unumkehrbar. Die Hauptsache steht noch zur Entscheidung an (mündliche Verhandlung am 11. und 12. Juni 2013).