Grundrechte AG - voelkerrecht.com

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Grundrechte AG
Art. 5 GG
Fall 1 Das Volksgesundheitsgesetz
Politiker sämtlicher Fraktionen im hessischen Landtag sind sich einig, dass in Hessen zu sehr Raubbau an der
Gesundheit betrieben werde und die Bevölkerung insgesamt zu krank sei. Der ungesunde Lebensstil weiter
Teile der Bevölkerung koste den Staat und die Gesundheitskassen Milliarden und mache die Bevölkerung faul
und träge, welches sich wiederum negativ auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Steuereinnahmen
auswirke.
Daher verabschiedet der Landtag formell vefassungsmäßig ein „Volksgesundheitsgesetz“ (VGesG) um dem
Raubbau an der Gesundheit zu begegnen.
§ 1 VGesG lautet:
§ 1 Ziel und Zweck
(1) Die Volksgesundheit soll gestärkt und gefördert werden und dazu werden alle Bürger zur Unterstützung
aufgerufen. Gesundheitsschädigende Tätigkeiten, die nicht auf körperlicher Arbeit beruhen sollen
künftig nicht mehr Bestandteil des Gemeinwesens sein.
(2) Um das in Abs. 1 genannte Ziel zu erreichen, werden alle Tätigkeiten, die dem in Abs. 1 verfolgten Ziel
zuwiderlaufen untersagt.
Das Gesetz wurde ausgefertigt und verkündet.
Der türkische Tabaklobbyist Turgut Tülügüt (T) verdient sein Geld mit Vorträgen und Auftritten in Hessen, in
denen er entweder die Schädlichkeit des Rauchens leugnet oder aber die Vorzüge des Rauchens gegenüber
einem „asketisch-gesunden Lebensstil“ preist. Er verweist hierzu auf Filmidole und deren nikotingestützte
Coolness sowie auf die Geselligkeit die das Rauchen mit sich bringe. Er wirbt für kein spezielles Produkt,
sondern versteht sich vielmehr als ein „Anwalt der freiheitsliebenden Raucher“. Durch § 1 Abs. 2 VGesG
befürchtet T seiner Tätigkeit als Tabaklobbyist nicht mehr nachkommen zu können und fühlt sich in seiner
Meinungsfreiheit verletzt.
Liegt ein Verstoß gegen Art. 5 GG vor?
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Lösungsskizze Fall 1
Verstoß gegen Art. 5 I 1 Alt.1 GG
I. Eröffnung des Schutzbereichs
1. persönlicher Schutzbereich
T ist natürliche Person und Art. 5 I 1 Alt. 1 GG ist ein „Jedermanngrundrecht“
Staatsbürgerschaft daher unerheblich.
Ergebnis: persönlicher Schutzbereich eröffnet
2. sachlicher Schutzbereich
Def.: Meinung und geschütztes Verhalten
Zwei Verhalten des T
a) Leugnen der Schädlichkeit von Tabakprodukten
Bloßes Leugnen erwiesener Tatsachen
Meinung ( - )
b) Das Anpreisen der Vorteile des Rauchens
Meinung und Werturteil ( + )
Ergebnis: Sachlicher Schutzbereich eröffnet und damit Schutzbereich insgesamt eröffnet
II. Eingriff in den Schutzbereich
Die Meinungen zu äußern wird T unmöglich gemacht
Finaler Grundrechtseingriff
Ergebnis: Eingriff in den Schutzbereich liegt vor.
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III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
1. Grundrechtsschranke
Hier: geschriebene Grundrechtsschranke Art. 5 II GG (Schrankentrias)
Ergebnis: In die Meinungsfreiheit darf grundsätzlich eingegriffen werden.
2. Formelle Verfassungsmäßigkeit des VGesG
Laut Sachverhalt ( + )
3. Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
a) Spezielle Anforderungen
qualifizierter Gesetzesvorbehalt
Vorliegend evtl. Allgemeines Gesetz
Nach Formel vom BVerfG:
(1) Nicht eine Meinung als solche darf verboten werden (kein Sonderrecht)
(2) Gesetz muss dem Schutz eines Gemeinschaftswertes dienen, der der Meinungsfreiheit vorrangig ist
Ergebnis: § 1 II VGesG erfüllt Formel des BVerfG ein Allgemeines Gesetz liegt vor.
b) Allgemeine Anforderungen
(aa) Verhältnismäßigkeitsprinzip
(1) legitimer Zweck
hier: Schutz der Volksgesundheit
(2) Geeignetheit ( + )
(3) Erforderlichkeit
Kein ebenso effektives Mittel ersichtlich der Volksgesundheit zu dienen als sämtliche gesundheitsschädlichen
Tätigkeiten zu untersagen.
(4) Angemessenheit
Trotz wichtigem Gemeinschaftsgut -----völlig unangemessen; Unzumutbar; Eingriff wiegt zu schwer.
Ergebnis: § 1 II VGesG unangemessen; unverhältnismäßig; materiell verfassungswidrig, Eingriff nicht
gerechtfertigt und daher Verstoß gegen Art. 5 I 1 Alt. 1 GG
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Art. 5 GG
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Die Schrankentrias des Art. 5 II GG
Art. 5 II GG stellt einen qualifizierten Gesetzesvorbehalt mit drei Grundrechtsschranken dar
- allgemeine Gesetze (Nicht zu verwechseln mit einfachem Gesetzesvorbehalt wie z. B. Art. 12 I 2 GG)
- gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend
- Recht der persönlichen Ehre
1. allgemeine Gesetze
Nach dem BVerfG müssen „allgemeine Gesetze“ zwei Voraussetzungen erfüllen
(1) Das Gesetz darf nicht eine Meinung als solche verbieten; es darf sich auch nicht gegen die Äußerung einer
Meinung als solche richten (Meinungsneutralität; keine Sondergesetze).
Beispiele für Sondergesetze:
-
§ 130 III StGB
Gesetze, die die Werbung für bestimmte Produkte verbieten
(2) Gesetze, die sich –ohne Sonderrecht zu sein- dennoch im Schutzbereich der Meinungsfreiheit auswirken,
müssen dem Schutz eines Gemeinschaftswerts dienen, der gegenüber der Meinungsfreiheit vorrangig ist.
Beide Voraussetzungen sind nacheinander zu prüfen und müssen erfüllt sein.
2. Gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend
Es muss kein allgemeines Gesetz sein, zulässig ist auch ein Sondergesetz, welches aufgrund des Jugendschutzes
eine bestimmte Meinung verbietet.
3. Recht der persönlichen Ehre
Es muss auch ein formelles Gesetz sein; es gilt das zum Jugendschutz ausgeführte
4. Art. 17a GG
Spezielle Schranke für Soldaten, Wehr- und Ersatzdienstleistende
5. Das Zensurverbot in Art. 5 I 3 GG
-
keine eigenständige Schranke
in Verbindung mit Art. 5 II GG zu lesen
verboten ist nur die Vorzensur, nicht die Nachzensur
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Fall 2 Das Anti-Adipositas-Gesetz
Mehrere aktuelle Studien belegen eine deutliche Zunahme an übergewicht bei Kindern und Jugendlichen sowie
auch Erwachsenen. Etwa 30 % aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig. Bei 7- 8 %
aller Kinder und Jugendlichen liegt eine Adipositas vor, d. h. sie sind krankhaft übergewichtig. Übergewichtige
Personen leiden häufig an unterschiedlichen Folgeerkrankungen (u.a. ist eine dramatische Zunahme des sog.
„Altersdiabetes“ unter übergewichtigen Kindern und Jugendlichen zu beobachten). Verschiedene Studien
belegen, dass übergewichtige Kinder und Jugendliche zumeist auch im Erwachsenenalter an Übergewicht
leiden und dass der signifikant gestiegene Anteil übergewichtiger Personen an der Gesamtbevölkerung vor
allem auf den stark gestiegenen Verzehr von Süßwaren, Fast Food und zuckerhaltigen Getränken sowie
Bewegungsmangel zurückzuführen ist.
Der Bundesgesetzgeber, der dies unter anderem auf die „permanente Berieselung mit entsprechender Werbung“
zurückführt und die Bevölkerung künftig vor den damit verbundenen Gefahren für die Volksgesundheit (Art. 2
II 1 GG) besser schützen will, verabschiedet daher folgendes „Anti-Adipositas-Gesetz“ (AAG), das vom
Bundespräsidenten ordnungsgemäß ausgefertigt und am 15. September 2007 im Bundesgesetzblatt verkündet
wird:
§ 1 Für Süßwaren, Fast Food und zuckerhaltige Getränke (es folgen jeweils präzise, nicht zu beanstandende Definitionen dieser Begriffe) darf nicht mehr geworben werden.
§ 2 Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 2007 in Kraft.
Der 45-jährige deutsche Süßwarenhersteller Siegbert Süß (T) möchte seine mit großem finanziellen Aufwand
entwickelte neue Süßware mit Namen „Kinder-Kantrie“ auf dem deutschen Markt einführen. Da er einem
neuen Produkt wie „Kinder-Kantrie“ aber nur bei entsprechender Werbung Marktchancen einräumt, plant er
großangelegte Werbeaktionen mit Hochglanzflyern, die in sämtliche Haushalte geschickt werden sollen, auf
denen die Herstellung und Zusammensetzung des neuen Proddukts erklärt und dessen leistungsfördernde sowie
stimmungsaufhellende Eigenschaften angepriesen werden. Die Durchführung dieser Werbeaktionen ist ihm
nunmehr verwehrt. S fühlt sich in seinem Grundrecht aus Art. 5 verletzt.
Ist S durch das AAG in seinem Grundrecht aus Art. 5 GG verletzt?
Bearbeitervermerk: Von der formellen Verfassungsmäßigkeit des AAG ist auszugehen.
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Lösungsskizze Fall 2
Verstoß gegen Art. 5 GG
A. Verstoß gegen die Pressefreiheit, Art. 5 I 2 Var.1 GG
Eröffnung des Schutzbereichs
1. Persönlicher Schutzbereich
S ist natürliche Person und als deutscher i.S. v. Art. 116 GG kann er sich auf jedes Grundrecht berufen und
bring die Flyer heraus.
2. Sachlicher Schutzbereich
Geschützt wird die Presse. Unter Presse versteht man alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten
Druckerzeugnisse. Geschützt sind alle mit der Eigenart der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten von
der Beschaffung bis zur Verbreitung der Information. Dazu gehört insbesondere das Recht, Art und
Ausrichtung, Inhalt und Form eines Presseerzeugnisses frei zu bestimmen.
Hier: Es geht um die Verhinderung der Werbung auf den Flyern.
Problem
Konkurrenze
n bei GR
Der Inhalt einer Meinung wird jedoch von Art. 5 I 1 Alt. 1GG
umfasst, auch bei Publikation über die Presse. Die Pressefreiheit
schützt das „WIE“ der Meinungskundgabe, nämlich das
Presseerzeugnis als solches, die im Pressewesen tätigen
Personen in Ausübung ihrer Funktion, die Voraussetzungen und
Rahmenbedingungen für ein Preseerzeugnis sowie die freie
Presse überhaupt.
Subsumtion: Vorliegend geht es um die Werbung auf dem Flyer und nicht um den Flyer als solches.
Ergebnis: Der sachliche Schutzbereich der Pressefreiheit, Art. 5 I 2 Var. 1 GG ist nicht eröffnet.
B. Meinungsfreiheit Art. 5 I 1 Alt. 1 GG
I. Eröffnung des Schutzberichs
1. Persönlicher Schutzbereich
- siehe oben
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2. sachlicher Schutzbereich
Def. Meinung und geschütztes Verhalten
Problem
Wird kommerzielle Wirtschaftswerbung von der
Meinungsfreiheit umfasst?
contra (insb. alte Rspr.)
-
Werbung soll nicht im Rahmen geistiger
pro (insb. neuere Rspr.)
-
Wirtschaftswerbung soll dem Konsumenten
Auseinandersetzung im Wege argumentativer
positive Werturteile über das Produkt
Überzeugung zur Meinungsbildung beitragen
vermitteln
-
Werbung soll lediglich zum Konsum anregen
-
Werbung verfolgt nur einen rein
-
Wirtschaftswerbung wird von der Meinungsfreiheit umfasst, wenn diese:

wirtschaftlichen Zweck
(BVerfGE 2, 172 (178f.); BVerfGE 40, 371 (382)
einen wertenden, meinungsbildenden
Inhalt hat oder

Angaben enthält, die der
Meinungsfindung dienen
Fazit nach neuer Rspr. und ganz h. M
-
Im Einzelfall muss abgewogen werden, ob eine Werbung einen wertenden meinungsbildenden Inhalt
hat, dies ist vor allem der Fall bei Fachzeitschriften u. ä.
-
KEINE Meinung i.S.d Art. 5 I 1 Alt. 1 GG ist:

„Erinnerungswerbung“ (Licher Bier- Schild am Kiosk)

„Emotionswerbung“ (Marlboro- Cowboy)
Keine wertende Stellungnahme!!
Subsumtion: Flyer enthält einige wertende Stellungnahmen zum Produkt und ist somit als Meinung zu werten,
. Der sachlich Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist eröffnet.
II. Eingriff
-
Meinung wird verboten, d. h finaler Grundrehtseingriff
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III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
1. Grundrechtsschranke
- grds. einschränkbar über qualifizierten Gesetzesvorbehalt nach Art. 5 II GG (Schrankentrias)
2. Formelle Verfassungsmäßigkeit des AAG
- liegt Bearbeitervermerk vor
3. Materielle Verfassungsmäßigkeit des AAG
a) Spezielle Anforderungen
qualifizierter Gesetzesvorbehalt
Vorliegend evtl. Allgemeines Gesetz
Formel (vom BVerfG) Allgemeines Gesetz
(1) Nicht eine Meinung als solche darf verboten werden (kein Sonderrecht)
(2)Gesetz muss dem Schutz eines Gemeinschaftswertes dienen, der der Meinungsfreiheit vorrangig ist
Hier: Gesetz verbietet die Meinung für Süßwaren Werbung zu machen, also Sonderrecht
Ergebnis: Es liegt kein allgemeines Gesetz vor, der qualifizierte Gesetzesvorbehalt ist nicht einschlägig
Aber evtl. verfassungsimmanente Schranken
Problem
Kann man auf verfassungsimmanente Schranken
zurückgreifen, wenn die geschriebenen
Grundrechtsschranken nicht einschlägig sind?
Zwar umstritten ist aber unbedingt zu bejahen, denn:
Eine spezifische Schrankenregelung ermöglicht viel weitergehende Einschränkungsmöglichkeiten als
Grundrechte Dritter sowie weitere Güter von Verfassungsrang, die im Rahmen der verfassungsimmanenten
Schranken zu prüfen sind. Wenn schon z.B durch ein Allgemeines Gesetz in die Meinungsfreiheit eingegriffen
werden darf, dann erst recht, wenn Grundrechte Dritter oder andere Güter von Verfassungsrang betroffen sein
könnten. Die verfassungsimmanenten Schranken gelten also immer.
Prüfungshinweis
Zunächst
sind
immer
die
geschriebenen
Grundrechtsschranken zu beachten, sollten diese nicht
einschlägig sein, sind verfassungsimmanente Schranken
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Hier: kollidierendes Verfassungsrecht könnte die Volksgesundheit (Art. 2 II 1 GG) sein. Um dieses
kollidierende Verfassungsgut zu schützen, darf der Gesetzgeber Gesetze erlassen, die nicht den Anforderungen
des
Art. 5 II GG entsprechen.
Ergebnis: Grundrechtsschranke ist die verfassungsimmanente Schranke der Volksgesundheit (Art. 2 II 1 GG)
b) Allgemeine Anforderungen
aa) Verhältnismäßigkeitsprinzip
(1) legitimer Zweck
Der Schutz der Volksgesundheit stellt einen legitimen Zweck dar
(2) Geeignetheit
Ein Werbeverbot für Süßwaren, Fast Food und zuckerhaltigen Getränke fördert die Volksgesundheit
(3) Erforderlichkeit
Als weniger belastendes Mittel käme in Betracht die Werbung mit Warnhinweisen zu versehen, dies ist aber
nicht ebenso effektiv wie ein komplettes Verbot
(4) Angemessenheit
Gesamtabwägung zwischen
Schwere des Eingriffs, Gewicht und Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe, Grenzen der Zumutbarkeit
-
-
unangemessen
umfassendes Verbot belastet betroffene
Unternehmen ganz besonders
nicht die Süßwarenwerbung als solche
gefährdet die Gesundheit, sondern das
Konsumverhalten Verbraucher
Verbraucher wird „entmündigt“
Allgemein geänderte Eßgewohnheiten und
Bewegungsmangel
-
-
angemessen
dramatische Zunahme an übergewichtigen
Personen
erhebliche Gefahren für die Volksgesundheit
große Belastung für soziale
Sicherungssysteme und für die von der
Allgemeinheit finanzierten Krankenkassen
nachteilige Auswirkungen für die gesamte
Volkswirtschaft
Meinungsbeschränkungen für Hersteller
besser als Verkaufsbeschränkungen etc.
Ergebnis: gesetzliche Regelung ist angemessen (a. A. gut vertretbar), damit verhältnismäßig.
bb) Beachtung sonstigen Verfassungsrechts
Ein Verstoß gegen sonstiges verfassungsrecht ist nicht ersichtlich. Gesetz ist damit materiell verfassungsmäßig
und der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt. S ist nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 GG verletzt
worden.
( Nachlesen: Detterbeck, Öffentliches Recht, 6. Auflage, S. 555 ff. Übungsfall 3)
(weiterer Tipp: Ü-Fall zur Meinungs-, Presse-, Kunstfreiheit: Fehling, JuS 1996, 431 ff.)
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Exkurs Grundrechtskonkurrenzen
1. unechte Grundrechtskonkurrenz
liegt vor, wenn ein Verhalten eines
Grundrechtsträgers in den
Schutzbereich mehrerer Grundrechte
fällt, die untereinander in einem
Spezialitätsverhältnis stehen
2. echte Grundrechtskonkurrenz
(auch Idealkonkurrenz)
liegt vor, wenn auf ein Verhalten
eines Grundrechtsträgers mehrere
Grundrechte Anwendung finden.
Beispiel:
Beispiel:
Die Pressefreiheit umfasst die
Verbreitung von Druckerzeugnissen
an die Allgemeinheit
-
Dies ist ein Teilbereich der
Meinungsfreiheit
Aber speziell von der
Pressefreiheit erfasst
Aufgrund dieses
Spezialitätsverhältnisses
wird die Meinungsfreiheit in
diesem Fall von der
Presefreiheit verdrängt
Im Bereich einer Versammlung
kommt die Meinungsfreiheit
selbstständig neben Art. 8 I GG zur
Anwendung, denn die Tätigkeiten
des Art. 8 I GG sind auch auf den
Zweck der öffentlichen
Meinungskundgebung gerichtet
- Ein Versammlungsverbot muss
sich daher auch am Maßstab des
Art. 5 II GG messen lassen
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Fall 3 Der Sprayer
G produziert Graffiti, die ihn heimlich auf die Fassaden von Büro und Geschäftshäusern
bizarre, vom Betrachter durchaus als künstlerisch ausdrucksstark empfundene Gestalten
sprühen lässt. Die Eigentümer sehen dadurch ihre Büro- und Geschäftsgebäude beschädigt. Als
G schließlich gefasst wird, wird er wegen Sachbeschädigung (§ 303 StGB) zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt.
Verletzt die Verurteilung G in seiner Kunstfreiheit?
Hinweis: Von der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit des § 303 StGB ist
auszugehen.
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Lösungsskizze Fall 3
Verletzung der Kunstfreiheit, Art. 5 III 1 Alt. 1 GG
I. Eröffnung des Schutzbereichs
1. sachlicher Schutzbereich
a) Gegenstand der Kunstfreiheit
Verschiedene Definitionen von Kunst:
Der materiale Kunstbegriff: „Das wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische
Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten
Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.“ (Mephisto, BVerfGE 30, 173 (188f.)
Der formale Kunstbegriff: Das wesentliche eines Kunstwerkes liegt darin, dass es einem bestimmten Werktyp
(Malen, Bildhauern, Theaterspiel, etc....) zugeordnet werden kann.
Der offene Kunstbegriff: Das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung liegt darin, dass es
wegen der Mannigfaltigkeit ihres Ausdrucks möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten
Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche,
vielstufige Informationsvermittlung ergibt. (BVerfGE 67, 213 (226 ff.)
Prüfungshinweis
Jeder der Begriffe hat seine Vertreter, ein Streit muss
nicht geführt werden, es sollten nur alle Begriffe einmal
dargestellt werden. Wenn ein Verhalten sich bereits unter
den formalen Kunstbegriff subsumieren lässt, als engstem
Begriff, liegt in jedem Falle Kunst vor.
Subsumtion: Unter jeden der drei Kunstbegriffe können Graffiti gefasst werden, grds. liegt also Kunst vor.
b) geschütztes Verhalten
Geschützt sind alle Tätigkeiten, die mit der Kunst untrennbar zusammenhängen, also auch Akte der
Vorbereitung der Produktion, z. B das Üben.
NICHT geschützt: Tätigkeiten, die nur in einem äußeren Zusammenhang mit der künstlerischen Betätigung
stehen
Beispiel: Ein Bildhauer, der Marmor für seine von ihm herzustellende Statue stiehlt.
geschütztes Verhalten ist vor allem:
Werkbereich: umfasst die künstlerische Betätigung selbst, also die Umsetzung des künstlerischen Willens in
die Realität
Wirkbereich: umfasst die künstlerische Wirkung, d. h. die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerkes, also
diejenige Tätigkeit, die der Öffentlichkeit den Zugang zum Kunstwerk verschafft
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Hier aber: strafrechtliche Verurteilung wegen Sachbeschädigung
Problem
-
-
Wird von der Kunstfreiheit nur erlaubtes Verhalten
erfasst?
Pro
Zwar wird die Freiheit der Kunst
gewährleistet, nicht aber die Freiheit, die
Rechte anderer zu beeinträchtigen
Die Reichweite der Kunstfreiheit erstreckt sich
von vorneherein nicht auf die
Inanspruchnahme z.B fremden Eigentums
-
-
(BVerfG NJW 1984, 1293 (1294) )
-
-
-
Contra (h. M)
Die Kunstfreiheit schützt auch die
Anstößigkeit und Provokation
Derartige Schutzbereichsbegrenzung hat zur
Folge dass der Schutzbereich durch einfaches
Recht bestimmt wird
Bewertung wird schon im Vorfeld
vorgenommen; trotz staatlicher
Neutralitätspflicht
Die Begrenzung kann erst im Rahmen einer
Abwägung im Bereich der
verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eine
Rolle spielen
Man kann den Inhalt von Grundrechten die
nur verfassungsimmanenten Schranken
unterliegen nicht durch einfaches Recht
bestimmen lassen (anders bei Art. 12 und Art
14 GG)
anderenfalls zieht ansonsten der Staat eine
„Niveaugrenze“
Fazit: Folgt man der Herrschenden Meinung ist der sachliche Schutzbereich eröffnet.
2. Persönlicher Schutzbereich
Die Kunstfreiheit erstreckt sich auf den Künstler, also den „Hersteller“ bzw. „Darbieter“ des Werkes oder der
Kunst. Geschützt ist aber auch derjenige der eine „unentbehrliche Mittlerfunktion“ zwischen Künstler und
Publikum ausübt (Theaterintendant, Galeriebetreiber etc...).
Hier: G ist Urheber des Werkes und kann sich persönlich auf Art. 5 III 1 Alt. 1 GG berufen.
II. Eingriff
Durch Verurteilung wird G die Ausübung erschwert, gar unmöglich gemacht. Ein finaler Eingriff kann auch
vorliegen, wenn man ein grundrechtlich geschütztes Verhalten nachträglich sanktioniert. Ein Eingriff liegt
durch die Verurteilung vor.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs
1. Grundrechtsschranke
-Art. 5 III 1 Alt. 1 GG unterliegt nur verfassungsimmanenten Schranken; Art. 5 II GG gilt nur für Art. 5 I GG
-
aber Eingriff in verfassungsimmanente Schranken darf auch nur auf gesetzlicher Grundlage geschehen
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(erst-recht Schluss)
- verfassungsimmanente Schranke ist hier vorliegend ein Grundrecht Dritter nämlich die Eigentumsfreiheit der
Hauseigentümer (Art. 14 I 1 GG)
Grundrechtskollision
2. Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes auf dem die Maßnahme (hier: Verurteilung) beruht
Die Verurteilung erfolgte aufgrund § 303 StGB dieser ist formell und materiell und damit insgesamt
verfassungsmäßig.
3. Verfassungskonforme Anwendung der Einzelmaßnahme (hier: der Verurteilung)
a) legitimer Zweck
erfolgte zum Eigentumsschutz
b) Geeignetheit
war hierzu auch geeignet
c) Erforderlichkeit
milderes Mittel, evtl niedrigere Strafe, Bloßer Schadensersatz ABER: nicht ebenso effektiv
d) Angemessenheit
-
Bei Grundrechten Dritter: „Praktische Konkordanz“ der Güterabwegung
Zu fragen ist nach beiderseitiger Eingriffsintensität
Unangemessen
-Kunstfreiheit wird vorbehaltlos gewährleistet
- Künstler kann nicht in der gewollten (illegalen)
Ausdrucksform aufgrund der Verurteilung handeln
angemessen
- Das Besprühen der Hauswände entzieht dem
Eigentümer die Möglichkeit selbst nach Belieben mit
Sache zu verfahren
- Kernbereich des Eigentumsschutzes ist berührt
- G kann sich grds auch in legaler Weise künstlerisch
ausdrücken (Beispiele nennen)
- Wenn die Schwelle zu einem strafbaren Verhalten
überschritten ist, Indiz dafür dass Kunstfreiheit
zurücktreten muss
- Durch Sanktionierung des verbotenen Verhaltens in
der künstlerischen Ausdrucksform wird nur der
Randbereich (Peripherie) der Kunstfreiheit berührt
Ergebnis: Die Verurteilung war angemessen, damit verhältnismäßig, das Gericht hat § 303 StGB
verfassungskonform angewendet, mithin ist der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt und G ist nicht in
seiner Kunstfreiheit verletzt worden.
(Lesetipps: BVerfG NJW 1984, 1293 ff. ; Klausuren zur Kunstfreiheit: Mückl, Jura 1998, 152 ff.; Strauß, JA
1996, 577 ff.)
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Worksheet für 3. Stunde
Art. 4 GG
I. Die Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG
1. Aus welchen drei Grundrechten setzt sich das einheitliche Grundrecht der Glaubensfreiheit zusammen?
2. Was versteht man unter Glaube bzw. Weltanschauung?
3. Was bedeutet forum internum und forum externum?
4. Was versteht man unter negativer- und was unter kollektiver Glaubensfreihet?
5. Was sind mögliche Eingriffe des Staates und welches staatliches Verhalten ist z.B nicht als Eingriff zu
sehen?
6. Wie begegnet man einer „Ausuferung“ der Inanspruchnahme der Glaubensfreiheit?
II. Die Gewissensfreiheit, Art. 4 I GG
1. Was versteht man unter Gewissen?
2. Wann können Eingriffe in das Gewissen vorliegen?
III. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, Art. 4 III 1 GG
1. In welchem Verhältnis steht dieses Grundrecht zur Glaubens- und Gewissensfreiheit?
2. Nenne Beispiele durch welches staatliche Verhalten ein Eingriff vorliegen kann und in welchem kein
Eingriff zu erblicken ist?
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