Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Grundrechtsstruktur: I. Schutzbereich 1. Persönlicher Schutzbereich: - Jedermann- Grundrecht 2. Sachlicher Schutzbereich Erste Ansicht Persönlichkeitskerntheorie: Beschränkung des Schutzes auf den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung BVerfG (Elfes- Urteil, E 6, 32 ff.) Umfassender Schutz: Recht des Einzelnen, zu tun und zu lassen, was er will. = Schutz jedes menschlichen Verhaltens Kritik des BVerfG an der Persönlichkeitskerntheorie: - Kritik an der Auffassung des BVerfG: Banalisierung des Schutzbereichs -Systematik: bei Blick auf die Schranken ist nicht zu erkennen, wie die Entfaltung des Kernbereichs der Persönlichkeit die Schranken des Art. 2 I betreffen könnte; umfassende Schranken legen nahe, den Schutzbereich weit zu fassen Gesamtbetrachtung des GG: Abgestufter GRSchutz, dessen Basis Art. 2 I GG darstelle; Bereiche, die nach geschichtlicher Erfahrung besonders dem Zugriff der öffentlichen Gewalt ausgesetzt sind, seien durch besondere Bestimmungen stärker geschützt, als dies durch Art. 2 I GG der Fall sei Unterfall des Schutzbereichs: Vertragsfreiheit Ziel der Vertragsfreiheit ist die Schaffung von Privatautonomie als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit im Wirtschaftsleben - Vertragsfreiheit = Normgeprägtes Grundrecht, denn die Ausübung der Vertragsfreiheit erfordert zunächst die Schaffung von Normen, innerhalb derer sich die Privatautonomie vollziehen kann II. Eingriff Grundsätzlich: Jeder belastende Hoheitsakt (moderner/ erweiterter Eingriffsbegriff) - Problem: Ist durch den weiten Schutzbereich eventuell der Eingriffsbegriff enger zu ziehen? Nach einer Ansicht, soll in Art. 2 I GG nur final durch Rechtsakt eingegriffen werden können, nach h.M. ist aber auch hier der weite Eingriffsbegriff zu Grunde zu legen, jedoch sollen Bagatellen/ bloße Belästigungen keinen Grundrechtseingriff darstellen III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Schranken: Schrankentrias: Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz a) Verfassungsmäßige Ordnung= alle formell und materiell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze = einfacher Gesetzesvorbehalt; andere Ansicht: Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung entspricht de, des Art. 9 II GG, wonach nur die elementaren Verfassungsgrundsätze gemeint sind. Dieses enge Verständnis der Grundrechtsschranke ist aber mit dem weiten Schutzbereichsverständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit unvereinbar - Achtung: Auch Fehler im Gesetzgebungsverfahren können die Angreifbarkeit mittels der Verfassungsbeschwerde nach sich ziehen b) Rechte anderer = alle subjektiven Rechte des Einzelnen, unabhängig, ob verfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich. Sind Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung, deshalb selbstständige Bedeutung c) Sittengesetz: Soweit moralische/ sittliche Regeln normiert sind, sind sie ebenfalls Teil der verfassungsmäßigen Ordnung. Ungeschriebene Regeln verstoßen gegen den Vorbehalt des Gesetzes: Ebenfalls keine eigenständige Bedeutung 2. Schranken- Schranken: Keine Besonderheiten: Das einschränkende Gesetz muss formell und materiell verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig, sein IV. Grundrechtskonkurrenzen Was bedeutet die Aussage, dass Art. 2 I GG ein Auffanggrundrecht ist? 1. Klausuraufbau: Art. 2 I GG wird immer NACH den anderen Freiheitsrechten geprüft. Ist ein spezielles Freiheitsrecht betroffen, muss nur ein Satz folgen, dass Art. 2 I GG subsidiär zurück tritt 2. Problem: Wann ist ein spezielles Freiheitsrecht betroffen? a) Betroffenheit bei Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs - Spezialität erfordert jedenfalls, dass der sachliche Schutzbereich des speziellen Freiheitsrechts betroffen ist b) Persönlicher Schutzbereich Nach ganz h.M. gilt Art. 2 I GG für Ausländer, wenn das spezielle Grundrecht nur Deutsche schützt Sonderfall: Schutz von EU Ausländern bei Deutschen- GRen Ausgangspunkt: Art. 12 EG verbietet, EU Bürger im Anwendungsbereich des EG Vertrages schlechter zu stellen, als die eigenen Staatsangehörigen Lösung: Erste Möglichkeit Erweiterung des Begriffs der Deutschen auf EU Bürger Zweite Möglichkeit Schutz der EU Bürger über Art. 2 I GG in einer den speziellen Freiheitsrechten materiell entsprechenden Weise Vorzugswürdige Lösung, weil eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Begriffs „Deutsche“ wegen der Definition in Art. 116 I 1 GG eher nicht möglich ist Hier ist zu beachten: Spezielles Freiheitsrecht ist persönlich nicht betroffen - Zu prüfen ist eine Verletzung von Art. 2 I GG, wobei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eine Prüfung des Eingriffs am Maßstab der (engeren) Grundrechtsschranken des speziellen Freiheitsrechts zu erfolgen hat c) Eingriff notwendig für Grundrechtsbetroffenheit? - umstritten ist, ob nur der Schutzbereich des speziellen Freiheitsrechts eröffnet sein oder ob auch ein Eingriff vorliegen muss - regelmäßig wird ein Streitentscheid entbehrlich sein, da aufgrund des weiten Eingriffsbegriff regelmäßig ein Eingriff zu bejahen sein wird - Ausnahme: Z.B. bei Art. 12 I GG: Ist eine Maßnahme nicht subjektiv oder objektiv berufsregelnd, so stellt sie keinen Eingriff in die Berufsfreiheit dar. Es wäre aber unbillig, Grundrechtsschutz dann generell zu verneinen, was dafür spricht, den Art. 2 I GG zur Anwendung kommen zu lassen. Zumindest betreffend Art. 12 I GG sprechen mithin die besseren Argumente für eine Betroffenheit des speziellen Freiheitsrechts nur bei Vorliegen eines Grundrechtseingriffs