Fall 4

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Repetitorium Grundrechte
Prof. Dr. Gersdorf
WS 2011/2012
Fall 6: Beten in der Schulpause
Der vierzehnjährige A besucht seit dem Schuljahr 2010/2011 das städtische, bekenntnisfreie
D-Gymnasium. Er ist muslimischen Glaubens und ist nach seinem Glaubensbekenntnis verpflichtet, fünfmal täglich zu festgelegten Zeiten das islamische Gebet zu verrichten. Dies hat
er bisher stets so gehandhabt und will dies auch in Zukunft fortführen. Als A eines Tages mit
weiteren Schülern 10 Minuten lang während einer Unterrichtspause in der Ecke eines Flures
des Schulgebäudes betet, wird er von anderen Schülern und auch Lehrern kritisch beobachtet. Die Schulleitung unternimmt zunächst nichts. Vor allem die übrigen Lehrer sind hingegen
der Auffassung, dass die Schule dadurch einseitig mit einer bestimmten Glaubensrichtung in
Verbindung gebracht werde. An öffentlichen Schulen in Deutschland seien religiöse Bekundungen nicht erlaubt. Die Schule habe vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass das Neutralitätsgebot des Staates in dessen Einrichtungen Durchsetzung finde. Religiöse Bekundungen gehörten in den privaten Raum.
Während die Schulleitung nunmehr überlegt, das Beten des A zu untersagen, will A weiterhin unbedingt seinen Glaubensverpflichtungen auch in der Schule nachkommen. Er sieht den
Unterricht nicht betroffen, wenn er sich zum Beten an entlegene Orte in der Schule begebe
und meint daher, auch die negative Religionsfreiheit der anderen Schüler könne dem nicht
entgegenstehen.
Hätte A unter Berufung auf Art. 4 I GG in einem Verfahren nach § 123 I VwGO einen Anordnungsanspruch, um zu verhindern, dass sein Schulgebet untersagt wird?
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Lösungsvorschlag
A. Obersatz
 A könnte einen Anordnungsanspruch, gerichtet auf die weitere Duldung seiner Gebete in
den Räumen der Schule während der Schulpausen haben.

Da die Gebete des A bisher zumindest geduldet werden, die Schulleitung aber überlegt,
dagegen vorzugehen, erstrebt A die Wahrung des status quo. Mithin verfolgt er den Anordnungsanspruch mittels einer Sicherungsanordnung gem. § 123 I 1 VwGO.
B. Voraussetzungen eines Anordnungsanspruches
 Bei der Auslegung und Anwendung des § 123 VwGO sind die Fachgerichte gemäß GG Art
19 IV GG gehalten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn sonst dem Antragsteller
eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht,
die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei
denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonderes gewichtige Gründe entgegenstehen.

§ 123 VwGO regelt indes nur den rein prozessualen Rechtsbehelf, nicht aber materielle
Anspruchsvoraussetzungen. Der Anordnungsanspruch ergibt sich daher nicht aus § 123
VwGO selbst.

Ein Anordnungsanspruch könnte sich indes aus einem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ergeben.
o Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass eine – erstmalige oder nochmalige – Beeinträchtigung einer grundrechtlich (oder einfachgesetzlich) geschützten Rechtsposition durch hoheitliches Verwaltungshandeln
ernstlich zu besorgen und der Rechtsinhaber nicht verpflichtet ist, diese Beeinträchtigung zu dulden.
o Rechtsgrundlage:
-
Dogmatische Herleitung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs umstr.:

Rechtsstaatsprinzip
o Dagegen: begründet für sich genommen noch keine subjektiven Rechte


§§ 1004, 906 BGB analog oder aus den einzelnen Freiheitsgrundrechten (Art. 2 II 1, Art. 14 GG)?
Streit kann offen bleiben; Anspruch ist ungeachtet seiner dogmatischen
Herleitung in Rechtsprechung und Lehre allgemein anerkannt
Es müssten folgende Voraussetzungen gegeben sein:
I. Bevorstehen hoheitlichen Handelns

Öffentlich-rechtliches Handeln:
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o Gegenständlich ist die Untersagung der Gebete des A durch die Schulleitung einer
öffentlichen Schule, mithin eine Maßnahme der Exekutive und damit hoheitliches
Handeln.

Bevorstehen:
o Vorliegend bislang keine Störung eingetreten, Beten des A wird (noch) geduldet
o Daher kommt nicht der allgemeine, sondern der vorbeugende Unterlassungsanspruch in Betracht, der das Vorliegen einer Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr voraussetzt.
o Vorliegend überlegt die Schulleitung, ob eine Untersagung des Schulgebets des A
erfolgen soll und stellt konkrete Überlegungen an.
o Mithin droht ein erstmaliges hoheitliches Handeln.
II. Eingriff in ein subjektives Recht

Durch das bevorstehende hoheitliche Handeln müsste in ein subjektives Recht des A eingegriffen werden.
1. Schutzbereich

Als verletztes subjektives Recht kommt vorliegend Art. 4 I GG in Betracht, so dass hieraus
ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch folgen kann.

Die früher geltende Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis (u.a. im Verhältnis des
Schülers zur Schule) ist seit BVerfGE 33, 1 aufgehoben. Denn Grundrechte sind die den
Staat verfassungskräftig verpflichtenden subjektiven Rechte des Einzelnen.
a) Persönlicher Schutzbereich
 Keine Einschränkung vorhanden

Zwar nicht positiv formuliert (z.B. „jedermann hat das Recht…“) aber aufgrund der Gewährleistungsformulierung handelt es sich gleichsam um ein Jedermannsgrundrecht

Daher kann auch A sich auf Art. 4 I GG berufen; unerheblich ist auch, dass A noch minderjährig ist. Grundrechtsträger sind nämlich alle natürlichen Personen, unabhängig von
ihrem Alter und ihren Fähigkeiten.
b) Sachlicher Schutzbereich
 Art. 4 GG garantiert – vorbehaltlos – in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens
und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses; in Absatz 2 ist das Recht der
ungestörten Religionsausübung gewährleistet.

Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches
Grundrecht.

Der Schutzbereich erstreckt sich zum einen auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht
zu glauben (forum internum).

Zum anderen ist auch die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden, erfasst (forum externum). Sie umfasst „das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren
seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln“. Hierzu gehört insbesondere auch das Beten.
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
Glaube wird dabei verstanden als die Überzeugung von der Stellung des Menschen in der
Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten. Dabei erfolgt insbesondere keine Beschränkung auf christliche Traditionen.

Der Schutzbereich ist nicht auf ein stilles, persönliches und unauffälliges Gebet begrenzt.
Aber nicht jedes Handeln kann unter Berufung auf die Religion gerechtfertigt sein. Entscheidend ist, dass der Kläger plausibel macht, dass „sein Handeln für seine Religion objektiv wesensnotwendig sei“ (= Plausibilität der Begründung).

Vorliegend:
o A will seiner inneren Überzeugung von der Stellung des Menschen zu Gott durch
ein Gebet Ausdruck verleihen. Betroffen ist mithin seine äußere Freiheit, seinen
Glauben zu bekunden. Er hat erklärt, dass dies für ihn zur wesentlichen Verwirklichung dient, er sich strikt an das Gebetsgebot gehalten hat und dies auch in Zukunft so handhaben will. Somit hat er auch die „Wesensnotwendigkeit“ seines
Handels für seine Religion plausibel begründet.
o Sein Schuldgebet ist vom Schutzbereich erfasst.
c) Zwischenergebnis
 Der Schutzbereich ist betroffen.
2. Eingriff

Nach dem modernen Eingriffsbegriff ist ein Eingriff jedes staatliche Handeln, das dem
Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechtes fällt ganz oder
teilweise unmöglich macht oder erheblich erschwert. Dem A droht eine Beeinträchtigung
seines Betverhaltens. Mithin wird in seine äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden,
eingegriffen.
III. Keine Duldungspflicht

Weiterhin bestünde ein vorbeugender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch nur
dann, wenn A nicht verpflichtet ist, den bevorstehenden hoheitlichen Eingriff zu dulden.

Eine Duldungspflicht würde sich ergeben, wenn der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. A wäre also zur Duldung verpflichtet, wenn die Gebetsuntersagung vor
Art. 4 I GG Bestand hätte.

Problematisch ist, ob und wie eine Art. 4 I, II GG betreffende staatliche Maßnahme gerechtfertigt werden kann:
1. Schranken des Art. 4 I, II GG?

Art. 4 I, II GG steht nicht unter Schrankenvorbehalt: schrankenlos gewährleistetes
Grundrecht

Keine Übertragung der Schranke des Art. 2 I GG
o Arg.: Mit dem Subsidiaritätsgrundsatz unvereinbar (Spezialität der Einzelfreiheitsrechte)

Keine Anwendung des Art. 5 II GG
o Arg.: Beide Freiheitsgrundrechte weisen fundamentale Verschiedenheiten auf.
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
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Schrankenherleitung aus den inkorporierten Artikeln der WRV?
o Str., ob Schranke der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten
auf Art. 4 GG anwendbar (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 I WRV)
o Nach überwiegender Ansicht unterliegt die Glaubensfreiheit nicht dem Vorbehalt
der Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 I WRV, da eine Überlagerung durch Art. 4 GG
stattfindet.

Schranke des kollidierenden Verfassungsrechts
o Gleichwohl ist nicht jede staatliche Maßnahme, durch die sich der Träger des
Grundrechts aus Art. 4 I und II GG in seinen Freiheitsrechten beeinträchtigt sieht,
rechtswidrig.
o Eingriffe in die freie Religionsausübung sind zulässig, wenn sie zum Schutz kollidierender Grundrechte Dritter oder zum Schutz anderer Rechtsgüter mit Verfassungsrang mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte
gesamte Wertordnung notwendig sind.
2. Ermächtigungsgrundlage

Eingriffe in schrankenlos gewährleistete Grundrechte bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage aus dem Schulgesetz?
o Keine Angaben im Sachverhalt, welches SchulG gilt; Ermächtigungsgrundlage im
SchulG M-V?
-
§ 53 II 2 SchulG M-V: „Sie (die Schülerinnen und Schüler) haben die Weisungen der Lehrerinnen und Lehrer zu befolgen, die dazu bestimmt sind,
den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule zu erreichen und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten.“
-
Hinreichend bestimmt? (+), da klare Zielbestimmung der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Schule
3. Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht?
a) Negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schüler und Lehrer
 Möglicherweise steht der Religionsfreiheit des A die negative Glaubensfreiheit der anderen Schüler und Lehrer gegenüber.

Der Staat hat bei der Gestaltung des Schulwesens im religiösen Bereich im Sinne einer
Konkordanz der verfassungsrechtlichen Wertvorstellung einen Ausgleich zwischen den
verschiedenen Grundrechtspositionen vorzunehmen.

Durch Nichtteilnahme oder ablehnende Haltung von Schüler und Lehrern gegenüber der
Praktizierung des Gebets durch A, könnte auf ihre eigene religiöse Einstellung geschlossen werden. Insoweit ist anerkannt, dass Art. 4 I und II GG auch die Freiheit schützt, einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung nicht anzugehören.

Jedoch lässt sich aus Art. 4 I und II GG kein allgemeines Recht gegen den Staat herleiten,
vor fremden Glaubensbekundungen und kultischen Handlungen schlechthin verschont zu
bleiben, weil andernfalls die positive Religionsfreiheit, die unterschiedlichen Glaubens5
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überzeugungen und damit auch glaubensgeleiteten Handlungen Raum gibt, nicht gewährleistet werden könnte.

Die negative Religionsfreiheit steht – wie auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 IV WRV verdeutlicht – vielmehr nur staatlichen Maßnahmen entgegen, mit denen der Betroffene zur
Vornahme bestimmter glaubensrelevanter Handlungen gezwungen werden soll.

Vorliegend erscheint zumindest fraglich, ob Schüler und Lehrer durch die arbeitsvertraglichen Anwesenheitspflichten oder die allgemeine Schulpflicht ausreichend betroffen
sind, um eine durch staatlichen Zwang hervorgerufene Konfrontation anzunehmen (Annahme, dass neg. Religionsfreiheit betroffen ist, mit guter Argumentation möglich).

Die negative Religionsfreiheit der Schüler und Lehrer ist nicht betroffen (a.A. möglich).
b) Erziehungsrecht der Eltern
 Art. 6 II 1 GG kann vorliegend nicht ergänzend fruchtbar gemacht werden.

Zwar beinhaltet dieser das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher
Hinsicht. Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen.

Hierzu liefert der Sachverhalt jedoch keine verwertbaren Angaben.
c) Störung des Schulfriedens
 Rechtfertigung des Eingriffs in die Religionsfreiheit des A mit Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung?

Aus Art. 7 I GG folgt ein staatlicher Erziehungsauftrag. Dieser dem elterlichen Erziehungsrecht gleichwertige Erziehungsauftrag muss erfüllt werden können. Eine erhebliche Störung des Schulfriedens könnte daher möglicherweise die gegenständlichen Maßnahmen
rechtfertigen.

Eine solche Störung könnte in der zunehmenden Kritik von Schülern und Lehrern zu sehen sein. Nach dem Sachverhalt ist dies offen, da nicht mitgeteilt wird, welche konkreten
Auswirkungen bestehen. Jedoch dürfte es an der Erheblichkeit der Störung fehlen (a.A.
mit guter Argumentation vertretbar).
d) Staatliche Neutralitätspflicht
 Rechtfertigung durch staatliche Neutralitätspflicht?

Lässt die Leitung einer öffentlichen Schule das Beten in der Schule zu, könnte dies dazu
führen, dass die Schule mit der praktizierten Glaubensrichtung einseitig identifiziert wird.
Das staatliche Neutralitätsgebot ist dabei nicht als Befassungsverbot zu verstehen, sondern nur als Nichtidentifizierungsgebot bzw. Identifizierungsverbot. Dem Staat ist es
verwehrt, sich einseitig mit einer Religion zu identifizieren.

Es ist insofern zu differenzieren zwischen
o dem Anbringen religiöser Symbole durch den Staat (Identifizierungsverbot) und
o der Ausübung grundrechtlicher Freiheit durch einen Schüler (hier ist begründungsbedürftig, ob sich der Staat hierdurch schon einseitig identifiziert oder sich
nicht vielmehr bereits durch das Nichteingreifen neutral verhält; anknüpfen ließe
sich nur an die Bereitstellung eines Forums durch Stellung des Raumes).
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Ein weiteres Problem ist, ob es ausreicht, dass Dritte eine Zurechnung vornehmen, obwohl der Staat sich selbst nicht mit der Religionsausübung identifizieren will (objektive
oder subjektive Bestimmung der Neutralität).
e) Herstellung praktischer Konkordanz
 Ob die vorgenannten Argumente eine Duldungspflicht für A begründen können, ist unter
Herstellung des schonendsten Ausgleichs zu ermitteln (Gebot der praktischen Konkordanz).

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die negative Religionsfreiheit der Lehrer und Schüler
(höchstens) mittelbar betroffen ist. Sie werden nicht unmittelbar zur Offenbarung ihrer
religiösen Überzeugung angehalten, sondern diese ergibt sich lediglich aus einem (zweifelhaften) Schluss aus ihrem tatsächlichen Verhalten.

Ferner besteht kein Zwang zur Teilnahme. Die negative Glaubensfreiheit wird dann nicht
verletzt, wenn ohne Zwang über die Teilnahme am Gebet entschieden werden kann.

Einem Zwang steht es nur gleich, wenn dem Gebet nicht ausgewichen werden kann.

Auf der Seite der Religionsfreiheit des A ist zu berücksichtigen, dass A sich für strikt verpflichtet hält, während der Pausen zu beten und aufgrund der Schulpflicht keine Ausweichmöglichkeiten nutzen kann.

Insofern kommt der religiösen Überzeugung und der nachgelagerten Verwirklichung dieser Überzeugung maßgebliches Gewicht zu.

Hinsichtlich der Anstaltsordnung ist davon auszugehen, dass keine erhebliche Störung
vorliegt, wenn dem A ein entsprechender Raum zugewiesen wird. Er selbst ist an der
Ortswahl nicht interessiert, für den Schulbetrieb bedeutete die Zuweisung eines Raumes,
dass der Schulunterricht/Schulfrieden nicht mehr relevant betroffen sein kann.

Solange, wie durch organisatorische Vorgaben eine ungewollte Konfrontation vermieden
werden kann, ist prinzipiell gegen religiöse Betätigung einzelner nichts einzuwenden.

Dies setzte aber voraus, dass die Schule entsprechende Kapazitäten aufweist (auch hierzu bestehen keine Angaben, so dass davon auszugehen ist, dass in den Pausen freie
Räume zur Verfügung stehen, insbesondere weil dann regelmäßig Wechsel in die Fachräume vorgenommen werden).

Bringt man die kollidierenden Positionen zum schonendsten Ausgleich, wird man dafür
plädieren müssen, dass das Beten auf den Fluren unzulässig ist, weil die anderen Schüler/Lehrer dem Verhalten des A sonst nicht ausweichen könnten und A ersichtlich nicht
an einer bestimmten Stelle für die Religionsausübung interessiert ist. Sofern A aber in
den Pausen einen ausgewiesenen Raum belegt, spricht nichts gegen die Durchführung
des Gebetes, wenn andere Schüler und Lehrer nicht (unfreiwillig) betroffen sind.
4. Zwischenergebnis

Das Verhalten des A ist grundrechtlich geschützt. Den Staat trifft andererseits die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Schule und eine religiöse Neutralitätspflicht, um Konflikte zu verhindern. Wird ein solcher Konflikt virulent, müssen die
betroffenen Positionen im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden. Hier gilt, dass eine pauschale Untersagung des Gebets bei ausreichenden Ausweichkapazitäten unverhältnismäßig wäre.
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A ist nicht zur Duldung der Untersagung verpflichtet, da diese unverhältnismäßig wäre.
IV. Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs liegen somit alle vor.
C. Ergebnis
 A hat insofern einen vorbeugenden öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch aus
Art. 4 I, II GG, den er im Verfahren nach § 123 VwGO als Anordnungsanspruch geltend
machen kann.
Ergänzender Hinweis:
Aktuelle Entscheidung vom BVerwG, Az.: BVerwG 6 C 20.10
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