Fall 5: Die Elefantenrunde

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Staatsorganisationsrecht Repetitorium SS 2011
Prof. Dr. Gersdorf
Fall 5: Die Elefantenrunde
Für die bevorstehenden Wahlen zum Deutschen Bundestag konkurrieren die im Bundestag
vertretene C-Partei, S-Partei, F-Partei, G-Partei und L-Partei, daneben einige kleinere Parteien, denen keine ernsthaften Chancen eingeräumt werden. Spitzenkandidatin der C-Partei ist
die amtierende Bundeskanzlerin Mirinda Mutlos. Spitzenkandidat der S-Partei ist der Bundesaußenminister Hans-Heinrich Hoffnungslos. C-Partei und S-Partei erzielen bei den Bundestagswahlen regelmäßig Stimmanteile um die 30-40%. Die F-Partei, die bei zurückliegenden Wahlen meist zwischen 6 und 8% Stimmanteil erzielt hat, sich auf Grund günstiger Meinungsumfragen aber jetzt „10% + X" erhofft, zieht mit ihrem Spitzenkandidaten, dem Bundestagsabgeordneten Frido Föhnwelle (F) in den Wahlkampf. F gibt an, das Amt des Bundeskanzlers anzustreben. G-Partei und L-Partei lagen in der Vergangenheit teils knapp oberhalb,
teils knapp unterhalb der 5%-Hürde.
Der von der KrachMedia AG betriebene Fernsehsender KrachTV kündigt für einen Samstagabend vier Wochen vor dem Wahltermin zur besten Sendezeit unter dem Titel „Das Duell Amtsinhaberin und Herausforderer" eine Diskussion zwischen Mutlos und Hoffnungslos an.
KrachTV zählt mit einem Marktanteil von 22 % zu den beiden großen privaten Fernsehsendern. F möchte an dieser Sendung teilnehmen. KrachTV lehnt dies ab. Begründet wird die
Entscheidung mit der Programmgestaltungsfreiheit und damit, dass man sich auf die Spitzenkandidaten beschränkte, weil die dazugehörigen Parteien bei der letzten Bundestagswahl
den höchsten Wählerzulauf hatten.
F wendet sich nunmehr an das Landgericht, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken,
damit er an der bevorstehenden Sendung teilnehmen kann. Wie wird das Gericht entscheiden?
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Gesetzesauszüge:
Gesetz über die politischen Parteien (PartG)
§ 5 Gleichbehandlung
(1) Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt, sollen alle Parteien gleichbehandelt werden. Der
Umfang der Gewährung kann nach der Bedeutung der Parteien bis zu dem für die Erreichung
ihres Zweckes erforderlichen Mindestmaß abgestuft werden. Die Bedeutung der Parteien
bemisst sich insbesondere auch nach den Ergebnissen vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen. (…)
Rundfunkstaatsvertrag (in L als Landesgesetz gültig)
§ 25 Meinungsvielfalt, regionale Fenster
(1) Im privaten Rundfunk ist inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im Wesentlichen zum Ausdruck zu bringen. Die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen
Kräfte und Gruppen müssen in den Vollprogrammen angemessen zu Wort kommen; Auffassungen von Minderheiten sind zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, Spartenprogramme anzubieten, bleibt hiervon unberührt.
(…)
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Lösung
Der Beschluss des LG wird für die F-Partei günstig ausfallen, wenn sie einen Anspruch auf
Berücksichtigung hat bzw. wenn KrachTV zur Gleichbehandlung verpflichtet ist.
Es ist fraglich, woraus sich ein Anspruch der F-Partei auf Gleichbehandlung ergeben könnte.
I.
Gleichbehandlungspflicht über § 5 PartG: Verpflichtung des KrachTV als privater
Fernsehsender, Parteien bestimmte Rechte, Sendezeiten oder Programmplätze einzuräumen, ergibt sich noch nicht über § 5 PartG, denn diese Bestimmung gilt nur im
Verhältnis zu Trägern öffentlicher Gewalt und kann angesichts der unterschiedlichen
Interessenlage auch nicht analog angewandt werden: diese sind grundrechtsverpflichtet, können also im Verhältnis zu politischen Parteien gleichheitsgebunden sein
- Private sind das nicht
II.
Gleichbehandlungspflicht über § 25 RStV: Normaussage richtet sich zwar direkt an
den privaten Rundfunk, lässt aber keinen eindeutigen Anspruch auf Gleichbehandlung
bzw. Teilnahme an einer Sendung der gegebenen Art erkennen; somit direkt aus § 25
I RStV allein kein Anspruch für F herzuleiten
III.
§ 826 BGB i.V.m. Art. 3 I, 21 I GG:
1. Die Beachtung der Grundrechte bei der Entscheidung über einen Kontrahierungszwang nach § 826 BGB:
dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass KrachTV nicht unmittelbar aus
Art. 3 I GG verpflichtet ist, weil die Grundrechte nach Art. 1 III GG nur die
Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden; Verpflichtung zur Gleichbehandlung über eine
mittelbare Drittwirkung des Gleichheitssatzes, als objektive Wertordnung
sind die Grundrechte zu beachten - vom Fachgericht zu berücksichtigen,
etwa bei der Auslegung der Bestimmung des RStV - wenn etwa Wahlwerbezeiten verweigert werden, kann auch der Ausschluss von Wahlsendungen,
wie der hier in Frage stehenden „Elefantenrunde", unter Umständen eine
nicht wieder aufzuholende Einbuße im Wettbewerb um Wählerstimmen
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bringen. Deshalb kann eine prinzipielle mittelbare Gleichheitsbindung bejaht werden.
2. Ungleichbehandlung: relevant ist nur die Ungleichbehandlung von „wesentlich Gleichem“; gemeinsamer Oberbegriff hier Begriff der (politischen)
Partei, den das Grundgesetz in Art. 21 GG selbst gebraucht; der Begriff erfasst nur ein bestimmtes Spektrum von Akteuren und sowohl die F-Partei,
als auch die C- und die S-Partei sind als politische Parteien solche Akteure;
allerdings dürfen nur die Vertreter des C- und der S-Partei an der „Elefantenrunde“ teilnehmen, nicht der Vertreter der F-Partei - obwohl jede der
genannten Parteien eine (politische) Partei ist, werden sie unterschiedlich
behandelt
3. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung: fraglich, ob KrachTV die FPartei und ihren Vorsitzenden F von der Diskussionsrunde ausschließen
durfte; wenn die hierfür tragenden Erwägungen die Bedeutung der
Chancengleichheit der F-Partei verletzen, liegt hierin auch ein Grundrechtsverstoß; ist eine Ungleichbehandlung - wie hier - von geringerer Intensität, so ist sie gerechtfertigt, soweit irgendein sachlicher Grund dafür
vorliegt
a) Verfassungsrechtliche Position von KrachTV: als relevante verfassungsrechtliche Position kommt hier die Rundfunkfreiheit (Programmfreiheit) aus Art. 5 I 2 Var. 2 GG in Betracht; dies gilt für private und öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter gleichermaßen; der Programmfreiheit der Rundfunkveranstalter zuzurechnen sind auch redaktionell gestaltete Wahlsendungen wie Diskussionsrunden vor Wahlen - das bedeutet aber auch, dass der Programmveranstalter bei der Gestaltung solcher Sendungen grundsätzlich redaktionelle Gestaltungsfreiheit haben muss
b) Programmkonzeption von KrachTV: die Diskussionsrunde soll unter dem Motto „Das Duell" laufen; gemeint ist ersichtlich ein Duell
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zwischen Amtsinhaberin und Herausforderer um das Bundeskanzleramt - diese Konzeption der Sendung wurde vom Veranstalter im Rahmen seiner Programmgestaltungsfreiheit entwickelt, ihr
entspricht es, eben diese Wettbewerber und damit diejenigen Kandidaten der Parteien zu der Sendung einzuladen, die in erster Linie als
Bewerber um das Kanzleramt in Betracht kommen; dass auch F diesen Anspruch erhebt, muss ihm unbenommen bleiben, doch kann der
Rundfunkveranstalter nicht verpflichtet sein, hier allein auf den subjektiven Anspruch der Wahlbewerber abzustellen
c) Sachgerechtes Differenzierungskriterium: nur Einladung für die
Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien - Differenzierung nach
der Bedeutung der Parteien; dies ist ein sachgerechter Differenzierungsgrund; es entspricht dem Grundsatz der Chancengerechtigkeit im
politischen Wettbewerb, wenn Leistungen, die den Parteien zur Verfügung gestellt, und Wirkungsmöglichkeiten, die ihnen eingeräumt werden, nach den Ergebnissen bemessen werden, die die Parteien in diesem Wettbewerb erzielt haben; dass hierin ein sachgerechtes Differenzierungskriterium liegt, wird auch durch die - hier nicht unmittelbar anwendbare - Regelung des § 5 I 2 PartG bestätigt; wenn bei redaktionell gestalteten Sendungen private Rundfunkveranstalter nach
Kriterien der Bedeutung der Parteien differenzieren, so würde es auch
ihrer Programmfreiheit widersprechen, diesem Kriterium die Anerkennung zu versagen –Nichtberücksichtigung kleinerer Parteien Konsequenz aus der redaktionellen Konzeption der Sendung.
Im Ergebnis liegt also eine sachgerechte, von der Programmautonomie des Veranstalters
und damit seiner Rundfunkfreiheit getragene Differenzierung vor. Das Gericht hat die Bedeutung des Gleichheitssatzes im Ausgleich mit der Rundfunkfreiheit des Veranstalters nicht
verkannt.
IV. Ergebnis
Der Antrag hat keine Aussicht auf Erfolg.
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