Hintergrund 59. Jahrestagung der DGNC - Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie vom 1. bis 4. Juni 2008 in Würzburg Die weitaus komplexeste bekannte Materie dieses Planeten ist das Gehirn. Eigenartig robust wie filigran und empfindlich, nach einem Grundmuster aufgebaut, unerklärlich komplex und untereinander ähnlich und doch bedingungslos individuell. Das Gehirn wie das gesamte Nervensystem gelten als eigenartig abstrakt, sind aber gleichzeitig existente Materie - und täglich in Gebrauch. Ein Fach der Medizin nähert sich der Schnittstelle zwischen biologischer Materie und geistigen wie körperlichen Funktionen sehr konkret: die Neurochirurgie. Und so treffen sich diese Operateure und ihr Umfeld jährlich, um die Erkenntnisse ihrer eigenen Gehirne zu vergrößern, wie man denen der anderen gegen fatale Störfälle wie Tumoren, Blutungen, Verletzungen, Hirnwasseraufstau und vieles mehr helfen kann. Aber nicht nur das Gehirn, die Neurochirurgie beschäftigt sich auch mit den Nervenstrukturen im Bereich der Wirbelsäule und der peripheren Nerven, die Tunnel und Engpässe durchziehen und bis in die kleinste Ecke unseres Körpers vordringen. Sie sind im Wesentlichen durch unser Altern und die Beschränkung Ihres Raumes z. B: durch Bandscheibenvorfälle bedroht. Also genügend Themen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie DGNC veranstaltet vom 1. bis 4. Juni in Würzburg CCW Ihre 59. Jahrestagung. Es werden rund 800 Neurochirurgen mit Ihrem Nachwuchs, Ihren Vorbildern, Ihren Erneuerern, Ihren Verteidigern und Ihren Gästen erwartet. Der Blick an die Decke bei der feierlichen Eröffnung in der Residenz wird verraten, wer sie sind: Die Kollegen aus Italien, dem Lande Tiepolos. Der Tagungspräsident Prof. K. Roosen, seit 1991 Lehrstuhlinhaber der Neurochirurgischen Uniklinik in Würzburg, und Vorsitzender der DGNC, sieht neben dem wissenschaftlichen Programm auch das gemeinsame Treffen an vielen schönen Orten als zentrale Aufgabe an. Die DGNC ist eine relativ kleine Fachgesellschaft, die Neurochirurgie hat sich erst Anfang der 30er Jahre selbständig von der Chirurgie gelöst, um eigene Arbeitsweisen Techniken und Unabhängigkeit zu entwickeln. Seit einem Jahr rückt man mit gefestigter Tradition wieder näher zu der Deutschen Chirurgischen Gesellschaft, um in der gesellschaftlichen Debatte mit einer gewichtigeren Stimme zu sprechen. In vielen parallel verlaufenden administrativen Sitzungen werden die verschiedensten Arbeitsgruppen berichten und neue Ziele und Leitlinien festlegen. Aber was sind die Hauptthemen? Das wissenschaftliche Programm umfasst drei Kernthemen „Translationale Neurochirurgie“, „Pädiatrische Neurochirurgie“ „Hintere Schädelgrube“. Translationale Neurochirurgie: Die Begrifflichkeit der translationalen Neurochirurgie ist wohl am besten mit der schnellen Übersetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den Labors in klinische Arbeitsweisen erklärt : die enge Verzahnung von Operationssaal und Forschungslabor . Wer schon einmal die Aufgaben in einer Neurochirurgischen Klinik erlebt hat, weiß wie viele Erkrankungen trotz aller Anstrengungen noch immer begrenzt zu behandeln sind. Je mehr man davon weiß, desto bescheidener wird man - aber auch ungeduldiger: Die zunehmende Komplexität der Biowissenschaften hat zu einer notwendigen Spezialisierung 1 geführt. Der Vorteil: Neue Laborergebnisse drängen nach schneller Umsetzung, die boomende Biotechnologie, neue Erkenntnisse in der Stammzellforschung versprechen eine Beschleunigung der Erkenntnisse. Betroffen ist hierbei insbesondere die klinische Neuroonkologie. Nicht jedoch nur die Bio- sondern auch die Computertechnologie kann seit einigen Jahren neue Impulse geben, die zum Beispiel durch die präzise Implantation von Hirnstimulatoren Bewegungsstörungen zu behandeln vermag oder die Navigation bei einer Operation durch komplex verbundene Bild- und Orts- und Funktionsdaten unterstützt. Das kommt dem existentiellen Wissensdurst des Arztes entgegen, der ihn abends auf dem Gang nach dem letzten Krankenbett überfällt: Es kann nicht sein, dass wir hier nicht mehr tun können. In den Laboren muss es irgendwo einen Lösungsschimmer, vielleicht ein unscheinbares Teilergebnis geben. Selbst wenn es diesem Patienten und vielleicht auch dem nächsten noch nicht helfen mag. Aber die Zeit rennt. Man muss mit denen sprechen - und die Ergebnisse in die Arbeit übersetzen: Das ist translationale Neurochirurgie. Es ist das Anliegen, die Nachteile der notwendigen Spezialisierung aufzuheben. Die Grenze zwischen dem Forscher und dem Arzt soll überwunden, Ihre Sprache übersetzt, gemeinsame Erkenntnisse initiiert und umgesetzt werden. Dieser Kommunikationsaufgabe ein Hauptthema der Tagung zu widmen war mutig - das Echo auf die Thematik im Vorfeld war jedoch überwältigend: Eine Flut von wissenschaftlichen Beiträgen erforderte eine außergewöhnlich strenge Auswahl, um den zeitlichen Rahmen nicht zu sprengen. Die Labors und die Operationssäle rücken wieder näher zusammen. Die Frage nach der Orientierung im Hirn ist eine weitere grundlegende praktische Frage der Neurochirurgie. Obwohl der Mensch formal anatomisch schon lange keinen weißen Fleck mehr auf der Landkarte trägt, stellen sich immer wieder Fragen, auf welchem Weg man einen Ort im Hirn so sicher wie möglich erreicht. Eine Operation wird wie eine Expedition geplant: Landkarten erstellt, Streckenoptionen und Rückzugsszenarien durchgespielt. Hintere Schädelgrube: Ein besonderer Bereich stellt hierbei die hintere Schädelgrube dar. Ein kleiner Raum, kaum größer als eine geballte Faust, ist für die Neurochirurgie eine große Herausforderung: Ihre Abgeschlossenheit in der Tiefe schützt sie, macht sie aber auch hochempfindlich gegen Drucksteigerungen bei Blutungen oder Tumorwachstum. Auf engstem Raum werden hier vitale Funktionen wie der Herzschlag, Blutdruck, der Atemrhythmus wie die Temperatur generiert, überwacht und geregelt. Entwicklungsgeschichtlich sehr alt beherbergt sie im Hirnstamm all das, was für das schlichte Überleben -und damit für alles weitere- unabdingbar ist. Dort befindet sich das Kleinhirn und gewinnt derzeit Bedeutung über die bekannte Bewegungskoordinationsregelung hinaus. Alle Funktionen des Kopfes, des Gesichtes und der Sinnesorgane werden über die Hirnnerven gesteuert oder geleitet - sie ziehen wie die Takelage eines Segelschiffs vom Hirnstamm kommend durch einen schmalen Raum und verschwinden in knöchernen Kanälen. Hinzu kommt, dass in diesem Raum das Hirnwassersystem in den Spinalraum mündet - quasi eine Wasserquelle aus dem Höhlensystem im Inneren des Gehirns. Das ist weniger abstrakt als es klingt, ca. ein halber Liter Hirnwasser muss hier täglich reibungslos abfließen. Schließlich wird die hintere Schädelgrube von einem System fingerdicker venöser Blutleiter wie ein Äquator nach außen hin umgrenzt. Und mittendurch verläuft noch das Hauptdatenkabel zur Verbindung von Gehirn und Körper, benachbart von einem geschlängelten und verästelten Hauptblutleiter für die Versorgung dieser Hirnteile. Niemand möchte also ohne Not da hinein und wenn, dann gut vorbereitet. Genau darüber werden wir uns austauschen. Leonardo da Vinci war auch hier - auf der Suche nach der Seele. Er hat sie nicht gefunden, wir übrigens auch nicht– man muss sie wohl mit anderen Mitteln ausfindig machen: Trotzdem - eine Faszination liegt darin, dass sie sich hier befinden könnte, selbst wenn sie sich dann als ein hohes Maß an Organisation offenbaren sollte. Ein Neurochirurg und Da-Vinci-Sammler R. del Maestro aus Montreal wird in einer Special Lecture dieser ewigen Suche nachspüren. 2 Pädiatrische Neurochirurgie: Ein weiteres Kernthema wird die pädiatrische Neurochirurgie sein. So wie in Würzburg 1934 die erste eigenständige Neurochirurgische Klinik in Deutschland unter Prof. Tönnis entstand, wurde in den 80ern die erste eigenständige Abteilung für pädiatrische Neurochirurgie gegründet. Insofern klingt bei Würzburg für die deutsche Neurochirurgie immer ein wenig Anfang mit, ein Sachverhalt, der einen Steinwurf von Herrn Röntgens Labor in einem nicht mehr vorhandenen OP-Saal im Juliusspital seinen Ausgang nahm. Nach wie vor ist die Neurochirurgische Universitätsklinik Würzburg eine der größten Kliniken Deutschlands mit einem exzellenten Ruf. Die Vorgehensweise der pädiatrischen Neurochirurgie und insbesondere deren Patienten unterscheiden sich von der Erwachsenenneurochirurgie. Naturgemäß stehen die Behandlung von Fehlbildungen des Nervensystems und der oftmals damit einhergehende Hirnwasseraufstau im Vordergrund. Darüber hinaus die Behandlung von zum Teil hochmalignen Tumoren im Kindesalter. In Kooperation mit der Kinderklinik konnte in den letzten Jahren an dramatische Behandlungserfolgen durch die Kombination von OP und Chemotherapie mitgewirkt werden. Ein ehemals sicher tödlicher Hirntumor kann heute heilbar sein. Es wird also etwas zu erfahren geben. Wenn die fränkische Kulturlandschaft vor Jahrhunderten die Inspiration Europas aufsog, um einen Tiepolo den riesigen Horizont eines Neumannschen Treppenhauses gestalten zu lassen und die Gegend doch nie Ihre Eigentümlichkeit verloren hat, so ist dies Konzept angemessener für die heutige Zeit als sich auf Anhieb vermuten ließe. Viele Treffen finden im reichen kulturellen Umfeld Würzburgs statt und sollen uns wie unsere Gäste ein wenig verzaubern. Seien Sie also nicht überrascht wenn sie Anfang Juni an kühlem Ort einen Italiener und Deutschen bei Frankenwein über den richtigen Weg in Ihr Dachstübchen diskutieren hören. Falls es etwas zu übersetzen gibt - helfen Sie Ihnen. Dann ginge das Konzept unserer Tagung auf. Dr. G. Eckle, Neurochirurg 3