Klinische Frakturzeichen Man unterscheidet sichere Frakturzeichen, die die Diagnose eines Knochenbruches auch ohne Röntgenaufnahme beweisen, und unsichere Frakturzeichen, die zwar auf eine Fraktur verdächtig sind, jedoch auch durch eine Prellung bedingt sein können. Eine Röntgenaufnahme ist immer erforderlich. Sichere Frakturzeichen: Allein vom klinischen Befund sind folgende Zeichen beweisend für einen Knochenbruch: abnorme Beweglicheit, abnorme Stellung Knochenreiben (Krepitation) bei Bewegung, fühlbar oder hörbar, Sichtbarkeit eines durchgespießten Fragments bei offener Fraktur. Unsichere Frakturzeichen: Schmerzen, Schwellung, Bluterguß und Bewegungseinschränkung der betroffenen Gliedmaße. Begleitverletzungen Bei jedem Knochenbruch kann umgebendes Gewebe mitverletzt sein. Das gilt insbesondere für Haut, Muskeln, Sehnen, Nerven und Gefäße. Zur Untersuchung gehört deshalb neben der Röntgenaufnahme unbedingt der klinische Befund über die motorische Funktion und Sensibilität der gebrochenen Körperregion sowie der Pulsstatus. Überprüfung nach der sogenannten DMS- Regel: Durchblutung (Puls, Temperatur) Motorik ( = Beweglichkeit ) Sensibilität (= Gefühlsempfindung) Beispiele für häufige Begleitverletzungen: Verletzungen des N. radialis bei Oberarmfraktur (evtl. “Fallhand“) Verletzung der A. poplitea bei Frakturen im Kniebereich. Frakturheilung Bestimmte Zellen des Knochens (Osteoblasten) sowie manche Bindegewebszellen sind in der Lage, stabiles, voll belastungsfähiges Knochengewebe neu zu bilden. Voraussetzung für eine ungestörte Knochenbruchheilung sind gute Durchblutung und Ruhigstellung der Fraktur. Wie bei Hautwunden unterscheidet man eine primäre und sekundäre Frakturheilung. Primäre Knochenheilung Voraussetzung: Die Bruchenden stehen in anatomischer Stellung fugenlos adaptiert. Diese Situation ist außer bei unvollständigen Brüchen (Grünholzfraktur, Fissur) nur gegeben, wenn die Fragmente durch eine stabile operative Osteosynthese ideal reponiert (wiedereingerichtet) und absolut ruhiggestellt sind. Heilungsablauf: Bei stabiler Fixation und guter Durchblutung wird der Bruchspalt direkt von den Osteonen längs durchzogen und die Fraktur verbunden. Es kommt zur sog. Kontaktheilung. Spaltheilung: verbleiben zwischen stabil fixierten Fragmenten minimale Knochenspalten, werden diese zunächst durch Geflechtknoten aufgefüllt und dann zu endgültigem Knochen umgebaut. Eine sichtbare Kallusbildung findet nicht statt. Der definitive Umbauprozess der primären Knochenheilung dauert ca. 1,5-2 Jahre Sekundäre Knochenheilung Voraussetzung: Die Bruchenden sind nicht fugenlos adaptiert, es besteht ein größerer Frakturspalt und Bewegungsunruhe wie es bei konservativen Behandlungsmethoden meistens der Fall ist. Heilungsablauf: In den Frakturspalt sprossen vom umgebenden Weichteilgewebe kleine Blutgefäße ein, aus denen Bindegewebszellen austreten. Diese Gewebszellen wandeln den Bluterguß (Frakturhämatom), der den Bruchspalt und seine Umgebung ausfüllt, in Bindegewebe um. Diese anfangs noch weiche Verbindung der Bruchenden durch so gen. Geflechtknochen nennt man Kallus (Kallus = Narbe, Schwiele). Erst im Laufe von Wochen wird der Kallus durch Kalkeinlagerung hart und unter Belastung zu lamellärem funktionell ausgerichteten Knochen umstrukturiert. Die sekundäre Knochenheilung ist dann abgeschlossen. Zusammenfassung: Die indirekte oder sekundäre Knochenheilung ist die natürliche Form der Frakturheilung. Sie verläuft in physiologischen Schritten: 1. Ausbildung eines Frakturhämatoms 2. Organisation des Hämatoms durch einwachsende Fibroblasten 3. Differenzierung des Zwischengewebes zu Geflechtknochen (Kallus) 4. funktionelle Adaptation zu lamellärem Knochen und Rekonstruktion des medullären Gefäßsystems unter Abbau von überschüssigem Kallus. Der Verknöcherungsprozess der sekundären Frakturheilung ist nach 2-3 Jahren abgeschlossen. Merke: Mit einer stabilen Osteosynthese erreicht man Knochenheilung in idealer Stellung ohne Kallusbildung. Bei konservativer Behandlung resultiert eine Kallusbildung. Heilungsdauer Die Heilungsdauer eines Knochens hängt wesentlich von der Bruchlokalisation (Durchblutung!) und dem Alter des Patienten (bei Kindern kürzere Heilungszeiten) Faustregel: Knochenheilungsdauer bei Erwachsenen 6-12 Wochen (Oberkörper 6, Unterkörper 12). Bei Kindern die Hälfte. Bei konservativer Behandlung gelten die genannten Knochenheilungszeiten. Eine operative (übungsstabile) Frakturbehandlung verkürzt die Heilungsdauer nicht grundsätzlich, allerdings führt sie oft zu einem besseren funktionellen Endergebnis. Wenn die biologisch determinierte Heilungszeit dem Patienten nicht zugemutet werden kann, muß eine belastungsstabile Osteosynthese erfolgen (Beispiel: Schenkelhalsfraktur des alten Menschen). Stabilität einer Osteosynthese. Die meisten Frakturen sind nach Osteosynthese übungsstabil. Darunter versteht man, daß der Patient die operierte Extremität frei bewegen, jedoch nicht belasten darf. Die Entscheidung über die Übungsstabilität einer operierten Fraktur fällt der Arzt, wenn er die postoperativ angefertigte Röntgenaufnahme gesehen hat. Vorher darf keinesfalls mit der Bewegungsaufnahme begonnen werden! Stabilitätsgrade im Einzelnen: • lagerungsstabil: die geringste Stufe eines medizinischen Behandlungsergebnisses, das weder eine passive, assistive noch aktive Übungsbehandlung zulässt. Es sind lediglich medizinisch indizierte Lagerungen gestattet. • bewegungsstabil: der betroffene Körperabschnitt ist sowohl aktiven, passiven als auch assistiven Bewegungen zugänglich. • belastungsstabil: es sind Bewegungen oder Übungen gegen Widerstand in den Grenzen der physiologischen Belastbarkeit erlaubt. • trainingsstabil: wiederholte, aktive Bewegungsabläufe gegen Widerstand und die Schwerkraft sind gestattet, ohne dass Wiederholungen einen negativen Einfluss auf die vormals verletzten Strukturen nehmen. Osteosynthese. Vor- und Nachteile Vorteile: exakte anatomische Reposition (offene = blutige Reposition) sofortige Bewegungsstabiiität der Fraktur, dadurch Verhindern der Frakturkrankheit bessere Pflege, weil die Extremität bewegt werden kann und freiliegt bei offenen Frakturen absolute Ruhigstellung der Fragmente als beste Voraussetzung zur Verhütung einer Weichteil- und Knocheninfektion Nachteile: Infektionsmöglichkeit, weil die ursprünglich geschlossene Fraktur durch die Operation eröffnet wird Narkoserisiko, besonders bei älteren Patienten in schlechtem Allgemeinzustand Nur wenige Frakturen können durch eine Osteosynthese belastungstabil versorgt werden. Hierzu gehören die Marknagelosteosynthese beim Oberschenkel- oder Unterschenkelschaftbruch sowie die operativen Versorgungen der hüftgelenksnahen Femurfrakturen beim alten Menschen (Gamma-Nagel, dynamische Hüftschraube, Endoprothese). Bei belastungsstabiler Osteosynthese darf der Patient (nach Röntgenkontrolle!) bereits in den ersten postoperativen Tagen auch mit dem verletzten Bein voll auftreten und alle Gelenke frei bewegen Akromioklavikulargelenkluxation Anatomie. Das Akromioklavikulargelenk ist ein Diarthrodialgelenk. Die Gelenkflächengrößen betragen 9 x 19 mm. Das Gelenk ist umgeben von einer dünnen Gelenkkapsel und wird durch kräftige Ligg. acromioclavicularia oben und unten sowie ventral und dorsal gehalten. Die Fasern des Lig. acromioclaviculare superius strahlen in die Fasern des M. deltoideus und des M. trapezius ein. Als primärer Stabilisator fungiert das Lig. coracoclaviculare mit den Anteilen Lig. trapezoideum und Lig. conoideum. Das Lig. coracoclaviculare übernimmt etwa 80 % der Kraft im Schultergelenk, das Lig. acromioclaviculare nur ca. 20 %. Pathogenese. Durch Sturz auf die Schulter bei abduziertem Arm kann es aufgrund der starken Hebelwirkung am Schultergürtel zu Gelenkverletzungen unterschiedlichen Ausmaßes kommen. Klassifikation Nach Rockwood werden 6 Typen unterschieden. Gebräuchlich ist die Einteilung nach Tossy, die 3 Formen unterscheidet: Tossy 1: Überdehnung oder Zerrung der Ligg. acromioclaviculare und coracoclaviculare Tossy 2: Ruptur des Lig. acromioclaviculare und Überdehnung des Lig. coracoclaviculare mit daraus resultierender Subluxation im Akromioklavikulargelenk Tossy 3: Ruptur der Ligg. acromioclaviculare und coracoclaviculare mit daraus resultierender Luxation im Akromioklavikulargelenk. Unterarmluxationsfrakturen Monteggia-Verletzung Definition. Die Merkmale einer Monteggia-Verletzung sind die Ulnafraktur und die Sprengung des proximalen Radioulnargelenkes (Ellenbogen) mit Luxation des Radiusköpfchens. Etwa 10% der Ulnafrakturen sind von einer Radiusköpfchenluxation begleitet. Galeazzi-Verletzung Definition. Das Charakteristikum dieser Verletzung besteht in einer Radiusschaftfraktur des distalen Drittels und einer Luxation im distalen Radioulnargelenk. Hand Kahnbeinfraktur (Os scaphoideum) Die häufigsten Karpalknochen-Frakturen sind am Os scaphoideum zu beobachten. Unfallmechanismus ist hier in der Regel der Sturz auf die ausgestreckte Hand. Gemäß der Lokalisation werden Frakturen des proximalen, mittleren, und des distalen Drittels sowie Frakturen des Tuberculums unterteilt. Diese Einteilung ist von prognostischer Bedeutung, da sie die Blutversorgung des Kahnbeins berücksichtigt. Das distale und mittlere Drittel sind gut ernährt. In diesem Bereich heilen Frakturen innerhalb von 6-8 Wochen aus. Das proximale Drittel weist eine schlechtere Blutversorgung auf. Hier benötigen Frakturen bis zur knöchernen Konsolidierung eine Ruhigstellung von 3 Monaten. Entsprechend dem Frakturverlauf können horizontalschräge, quere und vertikal-schräge Frakturen unterschieden werden (B-28.24). Die Einteilung nach der Verlaufsrichtung des Frakturspaltes erfolgt ebenfalls nach prognostischen Gesichtspunkten. Bei den horizontal-schrägen und den queren Frakturen sind die Kompressionskräfte stärker als die Scherkräfte. Bei der vertikal-schrägen Fraktur hingegen überwiegen die Scherkräfte, sodass diese Frakturform einen unsicheren Heilungsverlauf nimmt, wobei es nicht selten zu Pseudarthrosenbildung kommt. Diagnose. Die klinische Symptomatik der Skaphoideum-Fraktur ist mannigfaltig. Ein Druckschmerz im Bereich der Tabatiere ist jedoch als pathognomonisch zu betrachten. Im Daumen- und Zeigefingerbereich findet sich ein Stauchungsschmerz. Bei Verdacht auf eine Skaphoidfraktur ist die Röntgenuntersuchung in 4 Positionen vorzunehmen (Skaphoidquartett). Wenn das Röntgenbild am Unfalltag bei Verdacht auf eine Skaphoidfraktur die klinische Diagnose nicht zu bestätigen vermag, muss nach 10-14 Tagen eine röntgenologische Kontrolluntersuchung vorgenommen werden. Kann bei fortbestehender Symptomatik auch diese keine eindeutige Diagnose erbringen, muss eine Szintigraphie oder eine Computertomographie angeschlossen werden (B-28.25). Therapie. konservativ Kahnbeinfrakturen können konservativ behandelt werden. Zumindest bei den Frakturen im proximalen Drittel und bei den vertikalen Schrägbrüchen ist eine Ruhigstellung unter Einbeziehung des Ellenbogengelenkes (Ausschaltung der Unterarmdrehbewegung) erforderlich. Die Dauer der Ruhigstellung beträgt in der Regel 12 Wochen. Bei horizontalen Schrägbrüchen Versorgung durch einen Unterarmgips mit Einschluß des Daumengrundgelenks in Dorsalextension und Radialadduktion für 12-16 Wochen (sog. Navikulare-Gips). Eine perilunäre Luxation mit zusätzlicher Fraktur des Skaphoids wird als De-Quervain-Luxationsfraktur bezeichnet (B-28.28). Symptome und Diagnose. Klinisch findet sich ein starker Schmerz, der begleitet ist von einer Schwellung, Bewegungseinschränkung und Fehlstellung. Manchmal finden sich Parästhesien im Versorgungsbereich des N. medianus. Die Röntgenuntersuchung des Handgelenkes mit den Handwurzelknochen in 2 Ebenen zeigt ein pathologisch verändertes Os lunatum, welches auf der a.p. Aufnahme eine dreieckige Form zeigt. Auf der seitlichen Röntgenaufnahme wird das Mondbein je nach Schwere der Luxation aus der proximalen Handwurzelreihe herausgedrängt und kann nicht mehr mit dem Os capitatum korrespondieren ( B-28.29). Therapie. Für die geschlossene Reposition wird die verletzte Hand mittels »Mädchenfänger« aufgehängt und die Handwurzel durch ein Gegengewicht von etwa 10-15 kg distrahiert. Durch die Spannung der Beugesehne und durch den punktuellen, manuellen Druck springen das Mondbein bzw. die übrigen Handwurzelknochen in die ursprüngliche Position. Eine Ruhigstellung ist für 6-8 Wochen erforderlich Besteht ein Repositionshindernis, muss eine operative Behandlung erfolgen. De-Quervain-Luxationsfraktur: Bei frischen Verletzungen können ein Längszug durch Mädchenfänger an Daumen und Zeigefinger und Gegenzug am Oberarm sowie lokalisierter Druck von dorsal über 10-20 min die Reposition gelingen lassen. Die Retention benötigt durchschnittlich 16 Wochen. Alternativ wird operiert. Komplikationen. Es kann zu einer Schädigung des N. medianus und zu einem posttraumatischen Karpaltunnelsyndrom kommen. Sekundär Durchblutungsstörungen führen zur Lunatummalazie (Nekrose).