Schmerz macht hart - oder etwa doch nicht? Beim Durchblättern von diversen Gesundheitsmagazinen und medizinischen Fachzeitschriften, aber auch Tageszeitungen, fällt seit einigen Jahren eine zunehmende Beschäftigung der Presse mit dem Thema Schmerz auf. Verschiedene Aspekte des Schmerzes werden aufgegriffen, und immer wieder wird darauf hingewiesen, daß Schmerz nicht sein muß, daß der Verbrauch an starken Schmerzmitteln (Morphin und seine Abkömmlinge) in Österreich gegenüber z. B. Skandinavien wesentlich niedriger ist, und manche stellen die Vermutung an, daß je katholischer ein Land ist, desto niedriger der Verbrauch an Morphin sei. In breiter Front werden Ärzte und medizinisches Fachpersonal über das Wesen des Schmerzes und seine zeitgerechte Behandlung, aber auch Patienten mittels zahlreich verfügbarer Broschüren aufgeklärt. Schlagworte wie das Recht auf Schmerzfreiheit sind entstanden. Dennoch - hat sich an der realen Situation etwas geändert? Horchen Sie sich um im Verwandtenund Bekanntenkreis! Hat nicht jene Tante erzählt, daß sie nach ihrer Darmoperation starke Schmerzen hatte und sie trotz eindringlicher Bitten lange kein Schmerzmittel und dann erst gnadenhalber ein Mittel von der Schwester bekam. Und daß sich das ganze Spiel immer wiederholte, sobald die Wirkung des Mittels nachließ. Ganz zu schweigen von der Apothekerin, die nach einer Hüftoperation starke Schmerzen leiden mußte, wo sie doch wußte, was ihr helfen könnte. Was sind die Gründe, daß Schmerzmittel in Österreich so zaudernd eingesetzt werden. Denken Ärzte nicht an den Schmerz? Warum nehmen die Patienten den Schmerz einfach so hin? Ergeben sie sich einfach in ihr Schicksal? Schmerz: vom Alarmsystem zu eigenständigen Krankheit Schmerz erscheint für den Arzt in zwei Gestalten. Die eine ist der akute Schmerz, der die Funktion hat, vor einer tatsächlichen oder möglichen Gewebsschädigung zu warnen. Beispiel: Griff auf die heiße Herdplatte. Das Kind zieht sofort den Arm zurück und merkt sich, daß dies zu einer unangenehmen Empfindung führt. Der akute Schmerz dauert meist nur kurz, er ist nahezu immer umschrieben und gut lokalisierbar und wird auch vom Patienten wegen des Wissens um seine Warnfunktion akzeptiert. Der Arzt braucht diesen Schmerz zur Diagnostik. Aus seiner Art und Lokalisation kann eine Diagnose und eine nach Möglichkeit kausale, d. h. die Schmerzursache ausschaltende Therapie gefunden werden. Dauert der Schmerz jedoch an, wird er also chronisch, so verliert er seine Warnfunktion und ist nur mehr störend und sinnlos. Er wird vom Patienten daher auch nicht oder schlecht akzeptiert. Der chronische Schmerz ist aber nicht nur sinnlos, vielmehr noch, durch sein Andauern wird er quasi eingebrannt in die Erinnerung. Die Schmerzschwelle wird gesenkt, d.h. der Patient empfindet Schmerzen, obwohl eigentlich keine oder jedenfalls nicht mehr adäquate schmerzauslösende Ursache vorhanden ist. Das Nervengewebe hat sich einfach daran gewöhnt, daß die Meldung von Schmerzen an das Gehirn zu erfolgen hat. Der Schmerz ist nun zum alles beherrschenden Faktor geworden oder anders gesagt, die Krankheit heißt nun chronischer Schmerz. Es leuchtet ein, daß dieser Schmerztyp schwer und nur mit Dauertherapie zu behandeln ist. Abgesehen vom Tumorschmerz sind Beispiele für chronische Schmerzen der chronische Kreuzschmerz (eine wahre Epidemie unserer Zeit), Gelenksschmerzen durch Abnützung oder der Phantomschmerz nach Amputationen. Aus dem Gesagten wird einiges im Handeln des Arztes und des Patienten verständlich. Für den Arzt ist der Schmerz ein Mittel zur Diagnostik und als naturwissenschaftlich Ausgebildeter versucht er primär, die Ursache zu beheben, also kausal zu behandeln. Er verordnet seine Therapie und erwartet, daß damit der Schmerz ohnedies verschwinden wird. Für den Arzt ist das Problem Schmerz somit gelöst. Der Patient kann ruhig Schmerzen haben, sie werden ja bald vergehen. Eine reine Schmerzstillung sieht er als symptomatische Therapie an, d.h. eine die Symptome, aber nicht die Ursache beseitigende Therapie, die entsprechend seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung als minderwertig einzustufen ist. Hier hat sich aber Wesentliches verändert, und wer heute noch so denkt, hat einen eklatanten Wissensmangel. Gerade die naturwissenschaftliche Medizin hat erkannt, welch schreckliche Folgen Schmerz für Organismus und Psyche haben kann. Eine Reihe von Wissenschaftlern befaßt sich mit der Erforschung des Nutzens einer Schmerztherapie schon vor und während der Operation, um die schädlichen Auswirkungen des Operationsstresses zu blockieren. Diese sind z. B. Hinaufschnellen des Pulses, negative Folgewirkungen auf das Herz bis hin zum Herzversagen, Ansteigen der Atemfrequenz, Darmlähmung, etc. Eine Reihe von neuen Methoden wurde entwickelt, nicht nur die intravenöse Verabreichung von Schmerzmitteln, sondern auch z. B. die Durchführung von Nervenblockaden sehr nahe am Rückenmark, um den Einstrom von Schmerzimpulsen in das zentrale Nervensystem zu unterbinden, die ihrerseits wiederum Auslöser für eine Reihe von Reflexen und Reaktionen sind. Schmerzverarbeitung: angewandte Psychologie des Alltags Der Patient erträgt den akuten Schmerz, weil er seine Warnfunktion kennengelernt hat. Daß zu langes Bestehen von Schmerz auch Schaden kann, weiß er vielfach nicht. Manch einer nimmt vielleicht auch an, daß „es eben nichts geben wird oder daß es eben nicht notwendig ist“. Die Schmerzschwelle jedes einzelnen ist unterschiedlich, daher wird der eine seine Nierenkolik (bekannt als besonders intensiver Schmerz) leichter ertragen, als ein anderer seinen (im allgemeinen geringeren) Schmerz nach einer oberflächlichen Operation. Dieses schematische Zuordnen der Schmerzstärke führt zu allseits bekannten Qualifikationen durch die Umgebung wie z. B. „hysterische Reaktion“ oder „Schauen Sie, was der Herr xy alles aushält, und Sie machen so ein Theater!“. etc. Bei Männern sehr verbreitet ist die Meinung „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, will sagen „Du bist toll, was Du alles aushältst“, gleichsam das Ertragen des Schmerzes als Wettbewerb und Tapferkeitsbeweis. Darüber hinaus hat Schmerz gerade im Christentum eine besondere Bedeutung. Durch den Schmerz Christi wird man Erlösung erfahren. Der Schmerz dient andererseits auch als Strafe Gottes. Die Umwelt sagt: „Der Patient ist gestraft“. Der Patient erhofft sich durch sein geduldiges Erleiden von Schmerz schließlich eine Erlösung von seinen Sünden im Diesseits oder eine Belohnung im Jenseits. Eine solche Einstellung ist zweifellos auch in der Bewältigung des Schmerzes hilfreich, vor allem in Situationen, wo in der Vergangenheit oder auch heute noch aus wirtschaftlichen Gründen Schmerzmittel nicht zur Verfügung stehen. Sie sollte jedoch nicht als Grund dienen, um Patienten Schmerzmittel vorzuenthalten. Schmerzbehandlung Zur Behandlung von Schmerzen werden heute 2 große Gruppen von Medikamenten herangezogen. Zu den sogenannten schwachen Schmerzmitteln zählen jene, die auch als Kopfschmerzmittel ( Mischpulver ) im Einsatz sind, bzw. Substanzen von der Art der Salicylsäure (Aspirin) und ihrer Verwandten, die auch antirheumatisch, fiebersenkend und entzündungshemmend wirken. Der Ausdruck schwache Schmerzmittel hat einen verharmlosenden Charakter. In Wahrheit sind diese Mittel bei chronischer Einnahme nicht so harmlos: ein großer Teil der heute mit Nierenersatz behandelten Patienten (Dialyse oder Nierentransplantation) hat seinen Nierenschaden durch chronische Einnahme von Substanzen aus dieser Gruppe von Medikamente erworben. Die schlechte Magenverträglichkeit der sog. Antirheumatika bis hin zur Geschwürsentwicklung ist allgemein bekannt. Demgegenüber hat die zweite Gruppe von Schmerzmitteln, jene der stark wirksamen Schmerzmittel, deren wichtigster Vertreter das Morphin ist, praktisch keine organschädigenden Wirkungen, da ihre chemische Struktur mit der von körpereigenen Stoffen verwandt ist. Ihr Potential zur Auslösung einer Sucht ist dieser Substanzgruppe zum Hemmschuh in der breiten Anwendung geworden. Dabei hat sich erwiesen, daß bei Schmerzpatienten unter ärztlicher Kontrolle im Gegensatz zur mißbräuchlichen Verwendung durch Gesunde die Gefahr der Suchtentwicklung nicht zu befürchten ist. Innerhalb der Gruppe der starken Schmerzmittel liegt die Bandbreite der Wirkstärke der einzelnen Vertreter zwischen einem Zehntel und dem Dreihundertfachen der Wirkung von Morphin. Auch Art und Häufigkeit von Nebenwirkungen können beträchtlich divergieren. Neben diesen eigentlichen Schmerzmitteln, die durchaus auch in Kombination verwendet werden können, gibt es eine Reihe von Medikamenten, die unterstützend wirken. So heben Antidepressiva die Stimmung, andere Substanzen wirken angstlösend und muskelentspannend. Manchmal, vor allem bei tumorbedingten Schmerzen, müssen auch die Nebenwirkungen der Schmerztherapie behandelt werden, z. B durch brechreizhemmende oder abführende Medikamente. Alles in allem stehen dem Arzt heute eine Reihe von Substanzen zur Verfügung, mit denen er den individuellen Bedürfnissen seiner Patienten gerecht werden kann. Die richtige Dosis eines Schmerzmittels ist die, die wirkt Schmerztherapie muß mit dem Patienten erfolgen. Der Patient bestimmt die Dosis. Dies ist grundsätzlich anders als bei anderen medikamentösen Therapien. Denn im Fall des Schmerzes erfolgt die Dosierung nicht nach einer fixen Menge an Medikament , sondern nach Wirkung. Und dazu wird der Patient gebraucht. Er muß sagen, ob die Wirkung ausreichend ist. Dann erst wird der Arzt ein Einnahme-Schema nach einem fixen Zeitplan entwerfen. Dieser ist so gestaltet, daß der Patient keine Schmerzen verspürt. Der Patient ist angehalten, diesen Plan dann auch einzuhalten, da sonst Schmerz wieder auftreten kann und die Lebensqualität des Patienten empfindlich gestört wird. Nichts zu halten ist von einer Dosierung von Schmerzmitteln nach Bedarf. Dabei wird immer abgewartet, ob Schmerz auftritt. Und wenn ja, dann wird Medikation gegeben. Bis diese aber wiederum wirken kann, vergeht Zeit, lange schmerzerfüllte Zeit. Bei dieser Form der Therapie kann eine Sucht bzw. Abhängigkeit geradezu gebahnt werden, da der Patient es als angenehm erlebt, wenn der Schmerz nachläßt. Bei einer Verabreichung nach fixem Schema, erlebt er den Schmerz im Idealfall nie, eine psychische Abhängigkeit kann sich gar nicht entwickeln. Überhaupt wurde und wird das Suchtproblem bei Schmerzpatienten völlig überschätzt. Darin sieht man auch den Hauptgrund für den zögerlichen Einsatz von Morphin und seinen Abkömmlingen in der Schmerztherapie. Eine weitere Hürde, nämlich eine gewisse Bürokratie im Verordnen dieser starken Schmerzmittel wurde vom Gesetzgeber in letzter Zeit entschärft. Somit sind von Seiten der Wissenschaft, der Behörden und der Gesellschaft die Wege geebnet, um dem Schmerzpatienten eine effektive Therapie zukommen zu lassen. Dr. Gerhard Diridl zurück