Examenskolloqium WS 06/07 Trainingslehre Elke Bracke, Monika Kloss Technik nach Weineck 1. Begriffsbestimmung Unter sportlicher Technik versteht man das meist in der Praxis entwickelte Verfahren, eine bestimmte Bewegungsaufgabe auf möglichst zweckmäßige und ökonomische Weise zu lösen. Die Technik einer sportlichen Disziplin entspricht dabei einem so genannten motorischen Idealtyp, der jedoch unter Erhaltung seiner charakteristischen Bewegungsmerkmale eine den individuellen Gegebenheiten entsprechende Modifizierung (persönlichen Stil) erfahren kann. 2. Kriterien und Merkmale der sportlichen Technik Im Techniktraining geht es darum einen Istwert (=gegebenes Fertigkeitsniveau) an einen Sollwert (= motorischer Idealtyp) anzugleichen. Sportliche Technik wird charakterisiert durch ihre Phasenstruktur. Diese setzt sich zusammen aus kinematischen und dynamischen Merkmalen. Kinematische Merkmale erfassen die räumlich-zeitliche Gliederung des Bewegungsablaufes: - Einteilung in Bewegungsphasen (Anlauf – Absprung – Flugphase und Landung) - Ergänzung der Bewegungsphasen durch Zeitmerkmale - Darstellung von Längen- bzw. Wegmerkmalen - Geschwindigkeitsmerkmale Dynamische Merkmale erfassen die dynamisch-zeitliche Gliederung des Bewegungsablaufes unter dem Aspekt des Kraftverlaufs: - Beschleunigungsweg - Kraft- und Bremsstöße - Koordination von Teilimpulsen - Kraft- oder Drehmomente 3. Lernphasen bei der Schulung der sportlichen Technik 1. 2. 3. 4. Vermittlungs- und Erfassungsphase Phase der Grobkoordination Phase der Feinkoordination Phase der Festigung und Vervollkommnung sowie der variablen Verfügbarkeit 4. Handlungspsychologische Grundlagen Die Realisierung einer sportlichen Technik lässt sich in drei Phasen gliedern, die miteinander verkoppelt sind: 1. Prämotorische Phase : Erstellung eines Bewegungsplanes (=Sollwertfeststellung) 2. Motorische Phase: Realisierung des Bewegungsplanes 3. Postmotorische Phase: Ist-Sollwert-Vergleich als Beurteilung und Grundlage eines neuen Bewegungsplanes 5. Allgemeine und spezielle Technikschulung Allgemein: vielseitige Ausbildung, Fundamentalübungen Speziell: baut auf allgemeine Technikschulung auf, Perfektionierung einer Gesamtbewegung bzw. ihrer Einzelteile 6. Methoden der Technikschulung - Ganzheitsmethode Zergliederungsmethode (Übungsreihe) Massivierte Lernmethode (intensives, ununterbrochenes Lernen) Verteilte Lernmethode (unterbrochenes Lernen) Aktives, differenziertes Üben (stabilisieren der Technik durch aktives wiederholen) Passives differenziertes Üben (mentales, observatives Training – verbale Infos) 7. Das Problem der Vielseitigkeit bzw. der Spezialisierung Eine Sportart allein kann nicht alle Koordinativen Fähigkeiten gleichermaßen entwickeln. Im Kindesalter ist deswegen eine polysportive Ausbildung wichtig. Turnen (Orientierungs-, Gleichgewichts- und muskuläre Differenzierungsfähigkeit) Sportspiel (Reaktions-, Anpassungs-, Orientierungs- und Umstellungsfähigkeit Leichtathletik (schnellkoordinative Leistungen) Schwimmen (beidseitige Sportart, Entspannungswirkung) Hagedorn fasst die verschiedenen Vielseitigkeitskonzepte in drei Hauptkategorien zusammen: ● Subsidäres Konzept Beim Hilfeleistenden Prinzip steht die Spezialsportart im Mittelpunkt von sportlichen „Zubringer-Aktivitäten“, deren Aufgabe es ist, die Defizite der Spezialsportart (Einseitigkeit, usw.) auszugleichen. ● Strukturelles Konzept Beim strukturellen Konzept haben die anderen Sportarten die Aufgabe, mitzuhelfen, solche Bewegungsmuster und Handlungserfahrungen zu strukturieren, die dem Strukturmuster der Spezialsportart dienlich sind. ● Perspektivisches Konzept Das perspektivische Konzept zielt auf die Bildung der Gesamtpersönlichkeit des jugendlichen Sportlers ab, wobei Spezialsportart und andere sportliche Aktivitäten an diesem Formungsprozess beteiligt sind .polyperspektivische Begründung der Notwendigkeit der „Vielseitigkeit“ im Kindes- und Jugendtraining: - aus anthropologischer Sicht (Motorik muss über Handeln erworben werden) - aus psychologischer Sicht (Hochbegabte sind oft mehrfachbegabt) - aus pädagogischer Sicht (Mensch ist „Lebenszeit-Spieler“) - aus anatomisch-physiologischer Sicht (Entwicklungsreize) Thesen zur Notwendigkeit der Vielseitigkeit: - entspricht den Entwicklungserfordernissen und -bedürfnissen - wichtiges motivations- und lernpsychologisches Leitprinzip - verhindert Stagnationsphänomene - Bedeutung im taktischen Bereich und für sportliche bzw. berufliche Leistungsfähigkeit - Ausgleich in vielen Einhand- / Einbein-Sportarten Thesen gegen ein Frühspezialisierung: - führt zu einer unvollständigen Ausnutzung der anlagemäßig gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten - widerspricht den langfristigen Entwicklungserfordernissen von Kindern und Jugendlichen und beeinträchtigt die Ausbildung von Anpassungsreserven für das Erreichen späterer Spitzenleistungen - ausschließlich das Ergebnis von ehrgeizigen Trainern und Eltern - Drop-out-Rate außergewöhnlich hoch (bis zu 80%) - Führt zum „Ausbrennen“ und verhindert stetigen Leistungsaufbau 8. Das Phänomen der Seitigkeit Morphologische Seitigkeit: bezieht sich auf das äußere Erscheinungsbild des jeweiligen Körperteils Funktionelle Seitigkeit: bezieht sich auf die Funktion eines Körperteils hinsichtlich einer Verwendungspräferenz oder Leistungsdominanz: - Händigkeit / Beinigkeit: Minderheit Linkshänder haben Vorteile: Überraschungseffekt und schnellere Reaktion bei überraschenden; besonders erwünscht: Beidhändigkeit; Existenz einer dominanten Hand gehört zur Ökonomie des menschlichen Verhaltens (es kommt sonst zu zeitlichen Verzögerungen durch Abwägen) in den ersten Lebensjahren funktionelle Seitendominanz fördern (durch Geschicklichkeits- und Koordinationsübungen) und dann versuchen, die Seitendifferenz bzw. den Ausprägungsgrad möglichst niedrig zu halten - Drehseitigkeit: Wendigkeit: bezieht sich auf die Bevorzugung von Drehrichtungen um die Längsachse; Seitwendigkeit: ... um die Tiefenachse (z.B. Radschlagen); Linksbevorzugung: 70% Bevorzugung einer Drehseite korreliert mit geringen Erregbarkeit des Vestibulärapparates 9. Das Phänomen der Seitigkeitstypologie - - acht Seitigkeits-Konstellations-Typen: A-H mit dem Leistungsniveau und der Wettkampfbewährung nimmt der Anteil an Seitigkeitstypen zu, die dem idealtypischen Technikmodell ihrer Sportart oder Disziplin entsprechen es gibt keine Seitigkeit unabhängig von einer speziellen Aufgabe Seitigkeitstypologie und motorischer Lernprozess: Seitigkeit kann zu Lernproblemen führen 10. Der kontralaterale Transfer US: - - - - symmetrischer gegenseitiger (kontralateraler) Transfer - gleichseitiger (homolateraler) Transfer - asymmetrischer diagonaler kontralateraler Transfer - antagonistischer Transfer stärkster Effekt: von der dominanten Hand (/Fuß) zur Gegenhand (/Fuß); Transfer von der nicht bevorzugten (linken) Hand auf die bevorzugte (rechte) Seite ist größer als umgekehrt läuft mehr oder weniger automatisch ab Ausmaß dieser Übertragung hängt von einer Reihe lerninterner Bedingungen (Übertragungen sind besonders bei niedrigem Lernniveau relativ hoch) und lernexterner Bedingungen (Übungsdauer und Pausenintervalle; bei längeren Pausenintervallen höhere Transferwerte als bei kurzen) ab Motivation als wichtiger Faktor 10.2 KLT und motorische Hauptbeanspruchungsformen - Transfer im Koordinativen Bereich - - positive Transferbefunde sowohl bei kleinräumigen (Dart) als auch bei großräumigen Bewegungen Erklärung aus lerntheoretischer Sicht durch die sog. Schema-Theorie von Schmidt: Bewegungsschemata stellen generalisierte motorische Programme für eine ganze Klasse von Bewegungen dar; generalisiertes Bewegungsprogramm setzt sich zusammen aus: unveränderlichen Elementen: Invarianten, z.B. Reihenfolge d. Elemente, relative zeitliche Struktur, relativer Krafteinsatz veränderlichen Programmparametern: Gesamtdauer d. Bewegung, Gesamtkrafteinsatz Grund für Phänomen: gekreuzte Pyramidenbahn, die Informationsaustausch der zwei Gehirnhälften über den Balken (corpus collosum) ermöglicht Vorteile des KLT / positive Auswirkungen auf: Lerngeschwindigkeit / -effektivität Bewegungsqualität Bewegungsvorstellung Kinästhetisches Empfinden Motorische Hauptbeanspruchungsformen Erholung: „Setschenow-Phänomen“ Rehabilitation Taktische Leistungsfähigkeit 10.3 Transfereffekte im konditionellen Bereich - - Transfer im Kraftbereich: von der arbeitenden auf die nicht-arbeitende symmetrische Muskulatur; in Abhängigkeit von der Intensität; kann auch bei den Antagonisten auftreten Transfer im Schnelligkeits- und Ausdauerbereich: keine endgültige Klärung 10.3 Verbesserung des kinästetischen Bewegungsempfindens durch „Kontrastlernen“ - Bewegung muss durch beidseitige Ausführung nochmals neu durchdacht werden Vergrößerung der Bewegungsvorstellung Gilt auch für automatisierte Bewegungen und Fehler: durch Kontrastempfinden zwischen der flüssigen Bewegungsausführung und der „ungelenkten“ Bewegung im Schul- und Vereinssport, v.a. im Kindesalter und auf niedrigem Leistungsniveau unbedingt beidseitige Schulung durchführen (Leistungsoptimierung, langzeitige Verletzungsprophylaxe und Vermeidung muskulärer Dysbalancen) 11. Problem der Stagnation in der technischen Entwicklung Auf allen Könnensstufen im langjährigen Trainingsprozess anzutreffen: Stagnation / Lernplateaus diskontinuierlicher Verlauf der technischen Entwicklung erfordert gezielte Maßnahmen zur Beeinflussung Ursachen: - Informatorische Lernüberforderung (sensomotorische Regression) - Lernüberforderung durch Ermüdung (motorische Ermüdungs-Regression) - Informationsmängel (falsche Bewegungsvorstellung) - Motivationsmängel (motivationale Regression) - Konditionelle Mängel 12. Kontrolle und Tests - - zur Objektivierung des technischen Niveaus wichtige Kriterien (nach Djackov, 1973): Effektivität der Schlüsselelemente in der kinesmatischen Kette Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Bewegung Automatisation und Stabilität der Bewegungsfertigkeiten gegenüber ungünstigen inneren und äußeren Einflüssen Mensch erkennt nur 16 Bilder pro Sekunde Einsatz von Video, Film Fall 1: Technik entspricht „Idealtyp“ Weiterentwicklung mittels „quantitativen“ (Kraft, Schnelligkeit) Kriterien Fall 2: Technik entspricht nicht „Idealtyp“ Entwicklung unter „qualitativen“ Gesichtspunkten Technik kann nur über Kontrollinformationen und ihre Verarbeitung verbessert werden fortlaufender Entwicklungsprozess 13. Methodische Grundsätze - Spezielle Technik erfordert spezielle Trainingsmaßnahmen und spezielle konditionelle Vorbereitungen Die Technik schulen, die die rationellste Lösung der Bewegungsaufgabe darstellt (erleichtert späteres Umlernen) Beobachtungsfähigkeit bzw. Wissen über eine Technik mit in den Schulungsprozess einbeziehen Vorbereitendes Training von Fundamentaltechniken ( Bereitstellen von Teilprogrammen) erleichtern den Schulungsprozess Präzise Bewegungskorrekturen sind notwendig ( Einsatz von objektiven Kontrollverfahren) - Verfrühte Wettkampfteilnahme bei kaum stabilisierter Technik kann technische Entwicklung negativ beeinflussen Technischen Prozess ohne lange Unterbrechungen vollziehen Technisches Training sollte im erholten Zustand erfolgen (den konditionellen Voraussetzungen / der Konzentrationsfähigkeit anpassen) Technische Fähigkeit unterliegt Schwankungen 14. Techniktraining im Kindes- und Jugendalter ( Training der Koordinativen Fähigkeiten) - - im Vorschulalter: Erlernen einer Vielzahl von Bewegungsfertigkeiten (durch Nachahmen und Erfahrung) im frühen Schulkindalter: Erweiterung des Bewegungsschatzes und gezieltes Techniktraining auf der Basis einer vielseitigen Allgemeinausbildung im späten Schulkindalter: bestes motorisches Lernalter; gut für allgemeine technische Grundausbildung geeignet (Methode: Vormachen – Nachmachen = Imitationsmethode); oft nur ein Herausfiltern von Teilelementen einer Bewegung, die dem augenblicklichen Entwicklungs- und Könnensstand entsprechen in der Pubeszenz: oft erschwert durch schnelles Längenwachstum gekonnte Techniken festigen in der Adoleszenz: gut entwickelte Beobachtungsgabe und gute koordinative Voraussetzungen Vermittlung von Techniken mit hohen koordinativen Anforderungen möglich