1 - Unité HYPOTHESEN FÜR DIE INFORMATIONSARBEIT Kritische Zusammenfassung der dreijährigen Erfahrung der Unité-Medienkommission und weiterer ähnlich gelagerter Erfahrungen. Einige konzeptuelle Überlegungen. « La vie est expression. Expression d’une idée, d’une émotion, d’une connaissance. Toute personne ou tout groupe que veut sa place dans la société doit apprendre à mettre en forme ce qu’il ressent, ce qu’il sait, ce qu’il veut... » *Ecrire,informer,convaincre* (Jean-Luc Lagardette) « Das Leben ist Ausdruck. Ausdruck einer Idee, eines Gefühls, einer Kenntnis. Jede Person oder jede Gruppe, welche in der Gesellschaft ihren Platz haben will, muss auszudrücken lernen, was sie fühlt, was sie weiss, was sie will... » *Schreiben, informieren, überzeugen* (Jean-Luc Lagardette) ************ DAS ALLGEMEINE: DIE KUNST/HERAUSFORDERUNG DER INFORMATION Eine kleine Gedächtnisübung, reduziert auf zwei Darlegungen: Erste Darlegung: WIR INFORMIEREN, UM DEN ANDERN (und uns selbst) DIE MITTEL ANZUBIETEN, UM DIE WELT ZU VERSTEHEN UND EFFIZIENT ZU HANDELN. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Abwesenheit von Information über ein Thema oder schlechte Information gegen dieses Ziel verstossen und negative Konsequenzen haben können. Die Verantwortung beim Informieren ist enorm! WIR INFORMIEREN, um dem Publikum zu ermöglichen, sich mit einem Bild zu identifizieren. Weil niemand über alles informieren kann, ist es grundlegend THEMEN UND TATSACHEN PRIORITÄTEN ZUZUORDNEN, 2 sie hierarchisch zu ordnen und im Rahmen einer logischen und kohärenten Sichtweise der Welt anzubieten. Diese Kohärenz wird unseren eigenen und kollektiven Werten entspringen. Zweite Darlegung: DIE WAHL DER INFORMATION, DIE INFORMATIONSARBEIT wird geprägt durch das GESETZ DER NÄHE. Diese Nähe kann geographischer, affektiver, psychischer, zeitlicher, sozioprofessioneller oder soziokultureller, politisch-ideologischer Natur oder das Alltagsleben sein. Wenn wir an ein breites Publikum gelangen möchten, kann man sich nicht über dieses Gesetz hinwegsetzen (unter dem Vorwand, dass wir die Demagogie ablehnten). DIE GROSSE HERAUSFORDERUNG WIRD ES SEIN, DAS GLEICHGEWICHT ZWISCHEN DEN GEWOHNHEITEN UND ERWARTUNGEN UNSERES POTENZIELLEN PUBLIKUMS EINERSEITS und DEM ANGEBOT EINER LEHRREICHEN UND EHRBAREN LESART DER AKTUALITÄT ANDERERSEITS ZU FINDEN... ************ DAS SPEZIFISCHE: UNSERE WERTE UND ERFAHRUNGEN Eine Bilanz mit Vorschlägen für die Zukunft 1. INFORMIEREN heisst TEILEN, heisst ELEMENTE DER REALITÄT LIEFERN, wodurch die Bildung eines persönlichen oder GruppenUrteils gefördert wird. Es bedeutet, die Basis zu legen für die Sensibilisierung für oftmals *verbannte*, *negierte* oder *zensurierte* Themen (solidarische Zusammenarbeit, der Süden, eine neue Form des Teilens Nord-Süd-Nord etc.) Die 70 Presseversände unserer Kommission mit allgemeinen Informationen über in den grossen Medien « inexistente Realitäten » hatten diesen Sinn. Die Unité-NGOs sollten die Zirkulation allgemeiner Informationen über den Süden systematisieren, die vielfach über den Rahmen eines Projektes oder eines Freiwilligen hinausreichen. 2. INFORMIEREN in der Schweiz über den Alltag des Südens, der Länder unseres Wirkens, unserer Partnerorganisationen/Freiwilligen/Projekte. DIES IST VOR ALLEM EINE AUSÜBUNG DER KOHÄRENZ GEGENÜBER EINER AKTIVEN INTEGRALEN BEZIEHUNG VON PARTNERiNNEN. Wir gehen nicht in den Süden um zu « helfen » oder « transferieren », sondern um zu « teilen », « lernen », « Erfahrungen einzuschätzen », « im Norden zu informieren », « sensibilisieren », « beizutragen an eine tiefgründige Veränderung der Werte unserer Gesellschaft bezüglich des Planeten und des Südens ». 3 Anlässlich von Missionen der Co-Evaluation von Freiwilligeneinsätzen, auf zahlreichen Reisen und bei Projektbesuchen fragten uns viele PartnerInnen: ¿Was machen Sie im Norden, um die gegenwärtige Situation des Planeten zu verändern? 3. DIESE INFORMATIONSTÄTIGKEIT MUSS AN EINE LANGFRISTIGE STRATEGIE, AN EINE NEUE KONZEPTION DER SOLIDARISCHEN BEZIEHUNG GEBUNDEN SEIN, im Rahmen einer andersartigen Zusammenarbeit. Als solche muss sie geplant werden: auf Jahrzehnte (nicht Jahre) hinaus. Mit dieser langfristig ausgerichteten Konzeption wird die alltägliche Arbeit umgesetzt. Der Aufbau von Netzwerken in der Schweiz weist einen langfristigen Charakter auf. Der Kontakt zu JournalistInnen und Redaktionen ebenfalls. Für unsere “Partnerschaft” mit den Informationsmedien und Persönlichkeiten gilt dasselbe. Unsere Erfahrung zeigt uns, dass die Medienarbeit weder punktuell noch improvisiert ist. Ein Gutteil der medialen Wirkung basiert auf persönlichen Vertrauensbeziehungen zu JournalistInnen, politischen AkteurInnen, PartnerInnen der Zivilgesellschaft. Wir schlagen den Unité-NGOs vor, auf diese Weise vorzugehen. Eine Medienkonferenz oder ein Pressecommuniqué können punktuell eine grosse Auswirkung haben, aber verschwinden. Die besten Resultate gehen aus einer systematischen, regelmässigen Arbeit hervor, welche ständige Angebote, Engagement, den Besuch von Redaktionen, ein engeres Vertrauen zu unseren GesprächspartnerInnen in der Lobbyarbeit miteinschliesst. Daher zweifeln wir sehr am Konzept eines (kurzfristigen) « Mandats », um die wichtige Medientätigkeit zu fördern. Kürze ist Synonym für Eile. Die Medien werden mit Ausdauer, langfristig gewonnen, auf der Basis bewährten Vertrauens, unter Identifizierung der besten GesprächspartnerInnen. 4. DIE SEKTORIELLE UND/ODER REGIONALE ARBEIT BRINGT UNBEGRENZTE MÖGLICHKEITEN MIT SICH. Es können nicht immer alle alles machen. Jede Organisation kann – in Übereinstimmung mit ihrer programmatischen Konzeption und den medialen Erwartungen – eigene Ziele und Aktionsfelder festlegen, sich in begrenzten Sektoren spezialisieren. Der Generalismus ist nicht immer der beste Ratgeber für unsere Informations- und Sensibilisierungsarbeit. Die besonders positive Erfahrung unserer Medienkommission in der Deutschschweiz mit studentischen und universitären Medien belegt die Gültigkeit dieser Aussage. Die *Pilotarbeit* mit verschiedenen Vereinigungen und Medien aus erwähntem Bereich sicherte eine regelmässige Präsenz und trieb erstrangige öffentliche Veranstaltungen an, welche wichtige Schweizer Partner miteinschlossen (DEZA, NADEL etc.) – mit bemerkenswertem Echo. Jede NGO kann entsprechend ihrer Sichtweise, Prioritäten, Geschichte und geographischen Lage ihre bevorzugten GesprächspartnerInnen und Arbeitsfelder ausmachen. 4 5. INFORMATION UND FUNDRAISING SIND ZWEI KOMPLETT VERSCHIEDENE SPHÄREN, mit möglichen Überschneidungen, aber EIGENEM ANTRIEB UND EIGENEN MECHANISMEN. Diese Arbeitsfelder zu vereinfachen, sie zu vermischen und zu einem Ganzen zusammenzufügen, kann sich als konzeptueller Irrtum herausstellen. Wenn wir diese beiden Felder auf eines reduzieren, trotz der (möglicherweise korrekten und progressiven) Absicht, riskieren wir in die Falle der grossen Verlage und Informationsunternehmen zu tappen: die Information in eine Handelsware mehr zu verwandeln. Was wir am System kritisieren, können wir nicht in unserem eigenen *Mini-System* wiederholen, mögen die Absichten noch so gut sein. Wenn wir uns dem Konzept « Information – Handelsware » widersetzen, können wir nicht ein Konzept « alternative Information – humanisierte Handelsware » verteidigen. Wir informieren, um die Welt zu verstehen helfen und eine effiziente Aktion anzutreiben, nicht um unsere NGO, unser Projekt, unseren Namen oder unser Logo zu verkaufen. Ein konzeptuelles Grundproblem. Jede NGO soll eine tiefgründige und transparente Überlegung machen. Die Verzweiflung rund um das Überleben führt manchmal zur Verwechslung von Räumen. Oftmals wird Marketing versteckt in Information betrieben und umgekehrt. Nichts provoziert mehr Reaktionen und Abstossung als beim Leser, das den unterschwelligen Hintergrund einer medialen Botschaft entdeckt. Die Kosten dieser « Konfusion » können langfristig sehr teuer zu stehen kommen. Unsere Information sollte normalerweise nicht anhand von Kriterien der Rentabilität evaluiert werden. 6. TROTZDEM IST OFFENSICHTLICH, DASS EINE REGELMÄSSIGE, SYSTEMATISCHE UND ANDERSARTIGE INFORMATION TÜREN ÖFFNET, DIE NACHGEORDNET UNSEREM EIGENEN ÜBERLEBEN ALS ORGANISATION DIENLICH SEIN KÖNNEN. Wenn wir glaubwürdige Quellen/AkteurInnen sind, wenn wir ernsthafte, professionell taugliche PromotorInnen einer Gegeninformation über den Süden sind, können wir uns nicht in Selbstzensur üben oder diese Rolle unterschätzen. Uns zu präsentieren und an dieser Art anderer Information zu partizipieren hat nichts mit fehlender Bescheidenheit zu tun... Felder zu unterscheiden bedeutet nicht, naiv zu sein. Wenn wir aktive AkteurInnen/PromotorInnen einer anderen Information sind... Wir sind es! Und die Bedingung für jegliche Art von Fundraisingaktivität ist ETWAS SEIN, JE KOHÄRENTER, DESTO BESSER. 5 7. DIE HEUTIGE INFORMATION und ihre sensibilisierende Wirkung UNTERSCHEIDEN SICH VON DEN FORMEN TRADITIONELLER MEDIENARBEIT, WELCHE VIELE VON UNS SEIT JEHER GELEISTET HABEN. Sie reicht über das kleine Bulletin unserer Organisation, unsere Pressecommuniqués, unsere Routine hinaus. Wir müssen erreichen, dass unsere alltägliche Praxis oder einige unserer Initiativen in sich selbst Quelle/Inspiration einer anderen Information sein können. Die Realität begleiten, sich mit den PartnerInnen austauschen, Tatsachen schaffen! 8. DIE INFORMATIVE WIRKUNG, DIE WIR ALS NGO HABEN, hängt zu einem grossen Teil von der Fähigkeit ab, EIGENE TATSACHEN ZU SCHAFFEN, aus UNSERER KREATIVITÄT HERAUS INNOVATIV ZU SEIN, SOZIALE DYNAMIKEN DES NORDENS UND DES SÜDENS ENERGISCH ZU BEGLEITEN, PERMANENT NEUE GESPRÄCHSPARTNERiNNEN ZU ENTDECKEN, NETZWERKE ZU STÄRKEN UND ZU SPINNEN, ETWAS ANDERES ANZUBIETEN, ZU *HÖHEREN ANLIEGEN* BEIZUTRAGEN. Die erfolgreiche Erfahrung von E-CH bezüglich des Weltsozialforums von Porto Alegre weist auf die unendlichen Möglichkeiten hin, welche Ideen, Überlegungen, Ressourcen und menschliche Kraft bieten. Es bleibt als grundsätzliche zukünftige Herausforderung für die neue Unité-Plattform zu entscheiden, wie sie sich gegenüber den bedeutenden nationalen, europäischen und weltweiten Dynamiken verhalten will, handle es sich um das Sozialforum Schweiz, das Europäische Sozialforum oder das Weltsozialforum, Netzwerke gegen die Schuldenzahlung, Stellungnahmen zu Abstimmungen und Wahlen, gemeinschaftliche Arbeit auf Ebene der schweizerischen Zivilgesellschaft, Lobbyarbeit bei der DEZA etc. Entweder man bleibt dran und ist präsent oder nicht. Nicht dabei zu sein ist die beste Form des NichtExistierens. In der Politik bedeutet nicht zu existieren – kurz- oder langfristig – zu verschwinden. 9. JEDER RAUM DER INFORMATION IST WICHTIG. Alle Räume, multipliziert und in Synergie zueinander, werden uns erlauben, in einer multimedialen, breiten, interaktiven Welt Einfluss zu nehmen. Die lokalen Medien (Radios), sektoriellen (universitären, gewerkschaftlichen, kirchlichen) und regionalen (Tageszeitungen, Radios und Fernsehen) sind ein zentraler Ausgangspunkt eines systematischen Einflusses. Jeder Raum, den wir der andersartigen Information über den Süden und unsere Vision einer solidarischen Beziehung Nord-Süd-Nord zu eröffnen vermögen, ist ein Beitrag an die Bildung eines anderen kollektiven Bewusstseins. Kein Raum und keine GesprächspartnerIn sollte geringgeschätzt werden. Darin kann der Reichtum einer Plattform wie einer « gut gelebten » Unité bestehen. Dass alle AkteurInnen etwas zum Profil, zu den Prioritäten beitragen. Ohne diesen Austausch und die gegenseitige Unterstützung kann jede Plattform nur noch als Name existieren. Die tiefgründige Frage behält ihre Gültigkeit: Wird Unité ein Name und ein Mittel sein oder will sie eine wirkliche Plattform sein? 6 10. DIE MENSCHLICHE PRÄSENZ IM SÜDEN IST UNSER WICHTIGSTES KAPITAL. Freiwillige, Koordinationen und direkte sowie indirekte PartnerInnen (soziale Bewegungen der betroffenen Länder) sind grundlegende Quellen, um in der Schweiz ANDERE VORSCHLÄGE DER INFORMATION ZU FÖRDERN. Dies ist unser Kapital. Das ist es, was uns unterscheidet und was wir anbieten können, was wir aufwerten müssen. Die grossen Unterschiede der NGOs, Koordinationen und Freiwilligen hinsichtlich der Frage der Sensibilisierung in der Schweiz weisen auf ein breites, zu klärendes Feld hin. 11. DAS KONZEPT DER « PARTNERSCHAFT » ALS SCHLÜSSELELEMENT DES FREIWILLIGENWESENS UND DER REICHTUM DES AUSTAUSCHS ALS gelebte SOLIDARISCHE ZUSAMMENARBEIT stellen die Hauptziele unserer Praxis dar. Darin haben weder der simple Transfer noch die einfache « Entsendung » Platz. Unsere Informations-/Sensibilisierungsarbeit muss diesen konzeptuellen Rahmen als Ausgangspunkt haben. Diese Beziehungen zwischen Nord-Süd-PartnerInnen beinhalten ein – nicht immer genügend genutztes – wertvolles Potenzial für die Sensibilisierung der Zivilgesellschaft und ihrer politischen AnführerInnen. Die reichhaltigsten Erfahrungen auf dem Gebiet der Information (in unserer Welt der Freiwilligen) waren in den letzten Jahren jene, welche sich an diesen Konzepten orientierten, oftmals unter Einbusse des Profils der eigenen Organisation. Wichtiger als die *Propaganda* unserer Organisationen ist die Forderung dieses strategischen Konzeptes, stets im Aufbau einer horizontalen und gleichberechtigten Partnerschaft. 12. DIE ZUSAMMENARBEIT, MÖGE SIE NOCH SO SOLIDARISCH SEIN, wird den Preis der kurzfristigen Ausrichtung, der «Vorwand-Aktivität» zahlen, WENN DIE BEGLEITUNG DURCH EINE INTENSIVE INFORMATIONS-/SENSIBILISIERUNGSARBEIT IM NORDEN FEHLT. Die gegenwärtige Entwicklungszusammenarbeit existiert als Ausdruck des Wunsches, die Übel eines in seinem Gleichgewicht gestörten und zutiefst ungerechten Planeten zu « kompensieren ». Wir können eine andere Erfahrung machen, wenn wir mit unserer Aktivität dazu beitragen, die Mittel zu kreieren, um die weltweiten Beziehungen zu verändern.