Briefwechsel Von Kosmetik im alten Ägypten, vom Alltagsleben und vom täglichen Speisezettel, aber auch von der Rolle der Frau handelt der folgende Brief einer jungen Griechin, die um 600 v. Chr. einen ägyptischen Kapitän heiratete und mit ihm ins Nildelta nach Xois zog. Empfängerin des Schreibens ist die berühmte Dichterin Sappho auf der Insel Lesbos, in deren Haus die junge Charikleia unterrichtet worden war. Charikleia wünscht Sappho Freude und Wohlergehen! Schon längst hätte ich Dir, meiner mütterlichen Freundin und Lehrerin, von meinem Leben hier in der großen Stadt Xois berichten sollen, dass ich's nicht gleich getan habe, daran bist auch Du ein wenig schuld, denn Du hattest mich so oft gewarnt und schließlich geradezu flehentlich gebeten, den „schwarzen Mann“ nicht zu heiraten, ihm nicht in seine ferne Heimat zu folgen. Natürlich ist Menephtha, mein liebevoller Gatte, nichts weniger als schwarz, nur etwas braun von der heißen Sonne des Südens und seinem Beruf, und auch diese Bräune hat sich schon etwas verloren, seit er sich mehr seinem Haus und seiner Familie widmen kann. Seit drei Wochen haben wir nämlich einen kleinen Buben, den wir Ramses nennen. Der ist ganz hellhäutig, und sein Haar hat einen goldenen Glanz. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie hübsch er ist! Es gibt hier überhaupt viele schöne Menschen: Die Männer sind schlank und muskulös, ihre Schultern sind breit, die Hüften aber schmal; glaube nicht, dass nur die Griechen die Schönheit gepachtet haben! Und dann die vielen vornehmen Damen, die ich bereits kennen gelernt habe! Ich muss mich schon ein bisschen anstrengen, um noch etwas attraktiver auszusehen als sie! Daher lege ich bei der Morgentoilette Rot auf meine Lippen, dass sie noch voller erscheinen, und färbe Augenbrauen und Wimpern mit schwarzem Bleiglanz. Die Schwester meines Mannes hat mir gezeigt, wie man das untere Augenlid mit feingestoßenem, bläulichem Malachit und fettigem Puder zart unterlegt. Das macht das Auge groß und eindrucksvoll. Finger- und Zehennägel lackiere ich selbstverständlich; die Mode verlangt zur Zeit ein sanftes Grün, was toll aussieht, Du würdest staunen, wenn Du meinen Toilettentisch sehen könntest: Da liegen glänzende Spiegel aus polierter Bronze mit zierlich geschnitzten hölzernen Griffen, elfenbeinerne Kämme und Haarnadeln, Salbenlöffel in Gestalt schlanker Mädchen, die eine Schale halten, Haarwickel, Puderdosen, Pinzetten, Parfümfläschchen, dazu der reiche Schmuck, den mir mein Mann schon gekauft hat; drei lange Perlenketten, einige große Ohrgehänge aus Gold, viele schöne Arm- und Fußringe aus Elfenbein und ein besonders prächtiger Halskragen aus Lapislazuli, Amethyst und Karneol. Ich kann mir gut vorstellen, wie Du nun, liebe Sappho, die Nase rümpfst und meinst, das hätte ich doch gar nicht nötig. Mag sein, aber es steht mir gut, und hier ist es eben üblich, dass eine Frau sich so schön macht wie sie kann. Schließlich nimmt mich mein Mann zu allen Festen mit, an denen er teilnimmt, und behandelt mich mit unvorstellbarer Zärtlichkeit und Achtung. Wenn ich mir vorstelle, dass ich als Frau eines griechischen Kapitäns die meiste Zeit zu Hause säße und kaum Abwechslung und Vergnügen hätte, freue ich mich doppelt über meinen Entschluss, nach Xois zu gehen. Briefwechsel 1 Der Familiensinn der Ägypter ist übrigens sehr ausgeprägt, und die Kinder, um deren Erziehung sich jeder sehr nachdrücklich kümmert, behandeln ihre Eltern äußerst respektvoll - kein Vergleich mit den ruppigen jungen Burschen, die auf Lesbos herumstreunen! Ich wollte wirklich, liebe Sappho, Du könntest Dich zu einer Reise nach Xois entschließen. Dann sähest Du, wie gut wir’s hier haben! Unser bequemes, geräumiges Haus ist leicht und luftig; zahlreiche hölzerne Gitterfenster durchbrechen die Wände, Stört uns der Luftzug, dann ziehen wir bunte Vorhänge vor, die äußerst dekorativ wirken. Oft halten wir uns in dem ausgedehnten, schattigen Garten auf, der das Haus umgibt. Dort haben wir auch einige Teiche angelegt, die voll sind von schmackhaften Fischen. Wir sitzen gern am Ufer dieser Teiche und lassen uns von unserer Dienerschaft mit Harfenoder Flötenmusik, Tänzen und Liedern unterhalten. Wenn Ramses groß genug ist, darf er mit den anderen Kindern im Wasser planschen oder im Papyrusboot darauf fahren. Später kann er dann seinen Vater auf die Vogeljagd begleiten. Hier wimmelt es nämlich von Vögeln alter Art, und mein Mann versteht sich ausgezeichnet darauf, mit einem glatten Krummholz vom Boot aus wilde Enten und Gänse im Flug aus der Luft zu holen. Trifft er einmal nicht, kommt das hölzerne Ding doch tatsächlich zu ihm zurückgeflogen! Unsere Diener haben eine Menge Gänse gefangen und in ein Gehege im Garten gesperrt. Dort werden die armen Tiere gemästet, damit man sie rascher in den Kochtopf stecken kann. Mir gefällt es gar nicht, wenn sich eine dicke nubische Sklavin so eine arme Gans greift, sie zwischen die Beine klemmt, den Schnabel gewaltsam öffnet und mit einem Löffelstiel oder sonst einem Stück Holz ihr einen fetten Brei in den Hals stopft. Ich werde Menephtha sagen, dass ich fette Gänse gar nicht mag und Nilfische vorziehe. Das freut ihn bestimmt, denn er geht auch gern zum Fischen. Als besonders sportlich gilt es, die Fische mit einem langen Speer vom Boot aus aufzuspießen. Fast alle unsere Bekannten schwärmen von diesem Hobby, bei dem die Fische natürlich eine gute Chance haben, zu entwischen. Ein bisschen Angst habe ich davor, dass Menephtha bei einer Treibjagd mitmachen könnte, wie sie die Beamten des Pharao gelegentlich organisieren. Schließlich ist mit einem verletzten Wildstier, Elefanten oder Löwen nicht zu spaßen. Wenn er schon auf Großwildjagd gehen muss, dann sollte sich mein Mann auf Gazetten und Mähnenschafe beschränken oder für mich ein paar Äffchen einfangen, die ich zähmen kann. Da Du nun weißt, wie reich die Tierwelt Ägyptens ist, kannst Du Dir ausmalen, dass unser Speisezettel nie langweilig wird. Bei größeren Einladungen werden oft zehn verschiedene Arten Fleisch und ebensoviel verschiedenes Geflügel aufgetragen, dazu ein gutes Dutzend Brot- und Kuchensorten, tiefe Schalen voll von appetitlichem Obst und drei bis vier verschiedene Biere. Bier, das ist eine Art Wein aus Getreide; es schmeckt sehr erfrischend und macht ein wenig beschwipst. Auch die Damen trinken es gern, und es ist keine Schande, wenn man schließlich ein bisschen unsicher auf den Beinen steht. Ägypter sind heitere Leute und feiern die Feste, wie sie fallen. Ich finde diese neue Welt, in die ich durch meine Ehe gekommen bin, ganz hinreißend, und nütze jede Gelegenheit, sie besser kennen zulernen. Briefwechsel 2 Da mein Mann viele Verwandte und Bekannte hat, die alle Geselligkeit lieben, ist an Abwechslung kein Mangel. Ich muss nur darauf achten, meiner Toilette jedes Mal ein neues Glanzlicht aufzusetzen, damit die Schwägerinnen und Schwestern aus dem Staunen nicht herauskommen. Gerade von diesen Schwestern hätte sicher die eine oder andere meinen Menephtha gern für sich gehabt. Was? Die eigene Schwester? fragst Du. Du hast richtig gelesen! Hier ist es durchaus üblich, dass ein Bruder seine Schwester heiratet, vor allem in den vornehmen Familien. Niemand findet etwas dabei, mir kommt es aber doch etwas eigenartig vor. Aber ich wollte Dir ja von meiner Festtagstoilette berichten! Die Kleidung von Männern und Frauen ist hier bei uns sehr schlicht. Das liegt einfach am Klima, Menephtha trägt meist nur eine Art Schurz und lässt den Oberkörper unbedeckt. Bei festlichen Anlässen legt er noch einen breiten Halskragen an, dazu Sandalen. Zu Hause gehen wir gern barfuss. Das übliche Frauengewand lässt sich als ein ziemlich enges, faltenloses, knöchellanges Hemd mit zwei Trägern beschreiben. Da es alle Körperformen deutlich hervortreten lässt, ist's gut, wenn man als Dame auf seine schlanke Linie achtet. Form und Schmuck der Träger wechselt mit der Mode. Zur Zeit sind breite, mit Blumenranken bestickte der letzte Schrei. Wenn ich ausgehe, trage ich über diesem Kleid noch einen Umhang aus ganz zartem, fast durchscheinendem Leinengewebe. Wie Du siehst, bin ich auf Schmuck und Kosmetik angewiesen, um dem Ganzen noch eine persönliche Note zu geben. Ein bisschen leid tut es mir, dass ich meine schönen, langen Haare bei gesellschaftlichen Anlässen unter einer Perücke verstecken muss. Diese Art Kopfputz ist allgemein üblich, auch bei den Männern, und es gibt ganz sorgfältig aus Menschenhaar gearbeitete Perücken ebenso wie billige, primitive aus Schafwolle. Wer so ein Ding trägt, sieht aus, als hätte er mit einem Krokodil gerauft! Einige Damen der feinen Gesellschaft pflegen ihr echtes Haar sehr sorgfältig, und es gibt zahlreiche Salben und Tinkturen, die es glatt und geschmeidig machen und Haarausfall verhindern sollen. Andere Frauen sparen sich all die Mühe und lassen sich die Haare ganz kurz schneiden. Vielleicht denkst Du jetzt: „Die spinnen, die Ägypterinnen!“ Das hab' ich zuerst auch gedacht, aber diese Art von Haartracht hat auch ihre Vorteile in einem so heißen und manchmal auch staubigen Land. Nun, ich jedenfalls nehme gern die kleine Mühe auf mich, täglich das Haar zu waschen. Wir baden sowieso jeden Tag, manchmal sogar mehrfach. Nun aber muss ich den kleinen Ramses aus der Wiege nehmen: er ist schon ungeduldig und macht ein kräftiges Geschrei. Diesen Brief verschließe ich mit dem Siegel Menephthas! Er wird ihn dem nächsten Schiff mitgeben, das Lesbos anläuft, und ich hoffe sehr, dass Du ihn erhältst. Vergiss Deine Charikleia nicht, liebe Sappho! Leb wohl! Nach einem halben Jahr schon bekam Charikleia Antwort aus Lesbos: Sappho wünscht ihrer lieben Charikleia Freude und Wohlergehen! Der Tag, an dem mir ein nubischer Matrose Deinen Brief überbrachte, war ein Festtag für mich. Ich bin ganz Briefwechsel 3 unglaublich erleichtert und beglückt, dass es Dir in Deiner neuen Heimat so gut geht. Ach, was habe ich mir für Sorgen gemacht, als Du mit Deinem Menephtha abgereist warst! All das fiel mir wieder ein, was man in Griechenland über die Ägypter erzählt: Schlau sollen sie sein, verschlagen und hinterlistig. Musste ich nicht befürchten, dass er Dich auf irgendeinem Sklavenmarkt verkaufen würde? Und dann erinnerte ich mich an die vielen tierköpfigen Götter, die die Ägypter verehren. Vielleicht warst Du schon einem von ihnen als Opfer bestimmt. Es soll da Teiche geben, die von heiligen Krokodilen wimmeln und in die lebende Menschen von den Priestern hineingestoßen werden. Ach, liebe Charikleia, ich glaube, ich war ein wenig dumm! Man redet so viel über die Sitten fremder Menschen, und weiß doch so wenig von ihnen. Darum bin ich Dir sehr dankbar dafür, dass Du Dein Leben in Xois so ausführlich beschrieben hast. Bei uns in Lesbos hat sich ein gewisser Myrsilos zum Tyrannen aufgeschwungen und schikaniert die Bevölkerung nach Kräften. Dem Dichter Alkaios, den Du gewiss noch kennst, trachtet dieser Kerl sogar nach dem Leben. Alkaios hat nämlich böse Spottgedichte auf ihn verfasst. Ich selber trage mich mit dem Gedanken, für einige Zeit zu verreisen, bis der ganze Spuk vorüber ist. In Sizilien habe ich Bekannte, und dort soll man sich als Frau recht selbständig bewegen können, vor allem, wenn man ein bisschen prominent ist. Doch seit Du mir geschrieben hast, welche Freiheit die Frauen in Ägypten genießen, lockt mich Sizilien gar nicht mehr so sehr. Ist es arg unverschämt, wenn ich meine Gedanken in eine andere Richtung lenke? Bitte laß mich wissen, ob in Menephthas Haus auch eine Kammer ist für eine alte, dichtende Frau aus Griechenland. Leb wohl! (aus "Geschichte mit Pfiff" Nummer 7, 1979) Briefwechsel 4