Vorhofflimmern Arbeitsgruppe Herzschrittmacher und Elektrophysiologie der SGK Vorhofflimmern (VHF) ist die häufigste supraventrikuläre Rhythmusstörung und kann paroxysmal oder chronisch auftreten. Insbesondere ist die Diagnose des chronischen VHF einfach und kann meist bereits klinisch anhand des absolut arrhythmischen Pulses und des peripheren Pulsdefizites vermutet werden. Elektrokardiographisch finden sich im EKG neben einer absoluten Arrhythmie groboder feinwellige Flimmerwellen. Diese entsprechen multiplen Kreiserregungen von Flimmerfronten und weisen auf chaotisch ablaufende De- und Repolarisationen des Vorhofmyokards hin. Damit das Flimmern überhaupt andauern kann, muss eine entsprechend grosse Vorhofmyokardmasse vorliegen. Dies bestätigt auch die klinische Beobachtung des Fehlens von VHF im Kinderherzen (in Analogie dazu gibt es kein VHF bei „Kleintieren“). Erst im "Erwachsenenalter" und bei Grössenzunahme (Hypertrophie) kann VHF persistieren. In Analogie zur Vetrinärmedizin ist VHF in der Grosstierpraxis recht häufig (z.B. Rennpferde, Milchkühe usw.). Die prä-disponierenden Faktoren, die zu einer Grössenzunahme mit Dilatation und Hypertrophie führen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. ___________________________________________________________________ Tabelle 1: Prädisponierende Faktoren für Vorhofflimmern 1. Linksventrikuläre myokardiale Erkrankung Hypertonie, Valvulopathie, dilatative Kardiomyopathie, Multiple Infarkte 2. Pulmonale Erkrankungen Pulmonale Hypertonie, rezidivierende Lungenembolien, COPD 3. Toxisch (z.B. Aethyl) 4. Hyperthyresoe 5. Kranker Sinus-Knoten Bradyarrhythmien (brady-tachy Syndrom) und Asystolien 6. Idiopathisch (lone atrial fibrillation). ___________________________________________________________________ Die koronare Herzkrankheit ist keine primäre Ursache des Vorhofflimmerns, sondern erst ihre Folgen mit Schädigung der linksventrikulären Funktion. Somit ist das neu aufgetretene VHF nie ein Hinweis auf das Vorliegen einer neu zu entdeckenden ischämischen Herzkrankheit und verlangt diesbezüglich somit nicht weiterführende Abklärungen wie Szintigraphie oder eine Koronarangiographie. Dasselbe gilt für die Erkrankung des Sinusknotens, welcher ausgesprochen ischämieresistent zu sein scheint, beobachten wir doch immer wieder, dass selbst nach Durchtrennung der Sinusknotenarterie, z.B. im Rahmen einer Herztransplantation, dieser weiter funktionsfähig bleibt. Erwähnenswert ist, dass die Mehrzahl der kardialen Dekompensationen häufig primär nicht ursächlich wegen des VHF zu beobachten sind, sondern, dass eine zunehmende Verschlechterung der kardialen Situation (Klappe oder Ventrikel) zu VHF führen, welches dann häufig zur endgültigen Exazerbation der Situation führt. Therapeutische Massnahmen bei VHF (Tabelle 2) Das therapeutische Vorgehen verlangt folgende Entscheidungen: A: Soll eine medikamentöse oder primär elektrische Kardioversion angestrebt werden? B: Ist dann eine medikamentöse Rezidivprophylaxe sinnvoll und indiziert? oder C: Wollen/müssen wir uns lediglich auf eine Kontrolle der Kammerfrequenz beschränken? Für welchen Weg wir uns auch immer entscheiden, das Vorgehen muss jeweils individuell und abhängig von der kardialen Grunderkrankung und der Ursache des VHF abhängig gemacht werden. Stets sollte vor Einleitung einer Therapie die Ursache des VHF definiert sein, dh VHF „wegen“ oder „bei“. ___________________________________________________________________ Tabelle 2: Therapeutische Ansätze bei Vorhofflimmern 1. Konversion: - spontan (häufig) - medikamentös (Antiarrhythmika) - externe Kardioversion (200 Joules) 2. Rezidivprophylaxe: - keine - medikamentös (Antiarrhythmika) - chirurgisch (Labyrinthoperation) 3. Frequenzkontrolle bei Chronifizierung der Arrhythmie: - keine (evtl. VVI-Schrittmacher bei bradyk. VHF) - medikamentös (v.a. Betablocker/Verapamil). - AV-Knotenmodifikation oder Ablation mit dann notwendiger Schrittmacherimplantation ___________________________________________________________________ Als Grundprinzip gilt, dass jedes neu entdeckte VHF kardiovertiert werden sollte. Neu aufgetretenes bzw. wenige Tage (Wochen) dauerndes VHF konvertiert in bis zu 50% der Fälle spontan, d.h. mit oder ohne Digitalis. Digitalis hat gegenüber Placebo keine höhere Konversionsrate, wie verschiedene Studien zeigten. Dasselbe gilt für Verapamil/Diltiazem. Eine beschleunigte Konversion wird nach i.v. Gabe von z.B Flecainid, Amiodaron und andere Antiarrhythmika erreicht. Bei Herzinsuffizienz (und nur hier ist Digitalis indiziert!) mit schlechter hämodynamischer Toleranz ist die Zuweisung auf eine Notfallstation zur externen Kardioversion in Kurznarkose angezeigt (gleichzeitige Gabe von Amiodaron i.v.). Liegt das VHF seit Monaten vor, so soll vor einer geplanten Konversion, insofern keine Spontankonversion während der Vorphase stattfand, eine antiarrhythmische Behandlung eingeleitet werden, z.B. Sotalol bei guter LV-Funktion, Amiodaron bei Herzinsuffizienz und ggf. bei fehlender struktureller Erkrankung auch Flecainid/Propafenon. Vor der geplanten Kardioversion ist eine orale Antikoagulation von mindestens drei Wochen indiziert. Diese soll nach Kardioversion für mindestens 4-6 Wochen weitergeführt werden. Ist das VHF erstmalig aufgetreten oder das auslösende Moment als einmaliges Ereignis anzusehen (z.B. Alkoholabusus, Hyperthyreose, Infekt etc) kann auf eine antiarrhythmische Rezidivprophylaxe verzichtet werden. Bei der Mehrzahl der Patienten mit VHF liegt aber eine strukturelle Herzerkrankung zugrunde und gemäss grösseren Statistiken muss in vielen Fällen innerhalb eines Jahres trotz antiarrhythmischer Prophylaxe in bis zu 50% mit einem Rückfall gerechnet werden, ohne Prophylaxe bis über 75%. Die Wahrscheinlichkeit des Verbleibs in Sinusrhythmus kann anhand von Tabelle 3 abgeschätzt werden. ___________________________________________________________________ Tabelle 3: Verbleib in Sinusrhythmus nach antiarrhythmischer Konversion oder externer Kardioversion von VHF. _______________________________________________________________ 1. Guter Langzeiterfolg, häufig auch ohne antiarrhythmische Prophylaxe: Jüngerer Patient (<60 Jahre), Dauer des VHF <3 Monate, funktionelle NYHA Klasse I-II, normoton. 2. Mässiger Langzeiterfolg (50%), trotz antiarrhythmischer Prophylaxe: Patienten < 70-80 Jahre, Dauer des VHF <36 Monaten, funktionelle NYHA Klasse I-II. 3. Selten Langzeiterfolge und exzessive Rezidivraten: Aeltere Patienten (>70 Jahre), Dauer des VHF >36 Monate, funktionelle NYHA Klasse III-IV, d.h. Konversionsversuch lohnt sich häufig nicht. ___________________________________________________________________ Frequenzkontrolle bei chronischem VHF Bei mindestens der Hälfte der Patienten ist der Arzt gezwungen, sich auf eine Frequenzkontrolle zu beschränken. Es ist bekannt, dass unter VHF im Vgl. zu Sinusrhythmus die Kammerfrequenz um mindestens 20 (häufig 40 und mehr) Schlägen pro Minute in Ruhe, aber noch ausgeprägter unter Belastung höher liegt. Eine persistierende Tachykardie kann zu einer Schädigung des linken Ventrikels, zu einer sogenannten Tachykardiomyophathie führen. Der negativ chronotrope Effekt von Digitalis auf den AV-Knoten ist nur bedingt und lediglich unter Ruhebedingungen vorhanden, da es via Parasympathikus (Vagus) wirkt und somit bei Belastung und Stesssituationen seine Wirkung verliert. Digitalis ist also nur bei gleichzeitiger Herzinsuffizienz indiziert. Eine gute Frequenzkontrolle wird durch eine BetaBlockade, Calcium Antagonisten (Verapamil und Diltiazem) sowie Amiodaron erreicht. Wegen der fehlenden negativ inotropen Wirkung ist Amiodaron beim Vorliegen einer Herzinsuffizienz vorzuziehen. Interventionelle Therapiemodalitäten wie die Labyrinthoperation sind in seltenen Fällen meist in Kombination mit einer gleichzeitigen Herzoperation an der Herzlungenmaschine sinnvoll. Bei subjektiv ausgeprägtem Leidensdruck und/oder ungenügender Frequenzkontrolle mit beginnender Tachykardiomyopathie wird die Durchtrennung der AV-Leitung (Radiofrequenzablation des AV-Knotens) mit Implantation eines frequenzadaptiven Herzschrittmachers empfohlen. Thromboembolie-Risiko und Antikoagulation bei VHF Bekanntlich geht VHF mit einer signifikant erhöhten Thromboembolierate einher. Das Insultrisiko ist um ein Fünfaches, bei gleichzeitigem Vorliegen eines rheumatischen Vitiums sogar um das 18 fache erhöht. Beeindruckend sind auch Autopsiedaten, welche in gut einem Viertel der Patienten mit VHF stumme zerebrale Infarkte beschreiben. Eindeutig ungenügend ist Aspirin als Sekundärprophylaxe bei Patienten, die bereits einen Insult erlitten haben. Ein allgemeiner Konsensus bzgl antithrombotischer Therapie ist in Tabelle 4 zusammengefasst. Verschiedene VHFStudien haben gezeigt, dass beim nichtvalvulären VHF folgende Merkmale die Pat. in einer höheren Risikoklasse einschliessen und, sofern keine Kontraindikation vorliegt, eine Antikoagulation verlangen. Zu diesem Kollektiv zählen Patienten mit 1. bereits erlittenem Insult, 2. mit einem Diabetes mellitus, 3. mit einer Anamnese einer arteriellen Hypertonie, 4. mit Herzinsuffizienz und 5. mit einem Alter >65-75 Jahren, dies auch ohne Risiko 1-4. Relativ neu ist das Ausmass der Antikoagulation. Es scheint, dass ein Quickwert von 30 bis 35%, bzw. INR um 2.5 ausreichend ist. ___________________________________________________________________ Tabelle 4: Antithrombotische Therapie bei Vorhofflimmern 1. Keine Thromboembolie-Prophylaxe Idiopathisches VHF, Alter <65 Jahre ohne Thromboembolie-Risiko*. 2. Thromboembolie-Prophylaxe mit Aspirin (evtl orale Antikoagulation) Idiopathisches VHF, Alter 65-75 Jahre ohne Thromboembolie-Risiko*. 3. Orale Antikoagulation Alle Patienten mit einem Thromboembolie-Risiko* und / oder älter als 75 Jahre. *Thromboembolie-Risiko siehe Text. Externe Kardioversion Die Durchführung einer elektrischen Kardioversion gilt ohne vorherige Antikoagulation als sicher, wenn die Dauer des VHF unter 48 Stunden liegt. Eine umgehende Liqueminisierung erlaubt diese Grenze nach oben auszuweiten und dem Patienten die Möglichkeit einer (spontanen/medikamentösen) Konversion in einen Sinusrhythmus zu geben. Ansonsten soll der Patient, wie oben erwähnt, 3 Wochen vor und mindestens für 4 weitere Wochen nach der durchgeführten Karioversion antikoaguliert bleiben. Die initiale Energie beträgt 200 Joules. Zusammenfassung: 1. 2. VHF ist sehr häufig, insbesondere im geriatrischen Krankengut (>6%), und ursächlich oft bei LV-Dysfunktion oder arterieller Hypertonie zu finden. Prinzipiell sollte jedes neu entdeckte VHF medikamentös, und wenn notwendig elektrisch konvertiert werden. 3. 4. 5. 6. 7. 8. In über 95% liegt die primäre Ursache des VHF nicht im Vorhof, sondern das VHF ist Folge einer ventrikulären Dysfunktion oder Valvulopathie mit konsekutiver Hypertrophie und Dilatation der Vorhöfe. Digitalis und Verapamil weisen die identische Konversionsrate wie Placebo auf. Deshalb sollte Digitalis bei Herzinsuffizenz und Verapamil nur zur Frequenzkontrolle eingesetzt werden. Eine antiarrhythmische Prophylaxe nach Kardioversion ist meistens indiziert, trotzdem verbleibt nur die Hälfte der Patienten nach 1 Jahr im Sinusrhythmus. Das Frequenzverhalten bei chronischem VHF sollte ebenfalls unter Belastung überprüft werden um einer allfälligen Tachykardiomyopathie vorzubeugen. Bei stark symptomatischem und therapierefraktärem tachykardem VHF ist eine Ablation des AV-Knotens mit Schrittmacherbehandlung indiziert. Chronisches VHF mit entsprechendem Thromboembolie-Risiko (St.n. Insult, Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus) sollte antikoaguliert werden. Empfohlene Literatur: Atrial fibrillation: current knowledge and recommendations for management. Working Group on Arrhythmias of the European Society of Cardiology. Levy S, Breithardt G, Campbell RW, Camm AJ, Daubert JC, Allessie M, Alliot E, Capucci A, Cosio F, Crijns H, Jordaens L, Hauer RN, Lombardi F, Lüderitz B Eur Heart J 1998 Sep;19(9):1294-320. Vhf-ageps und sm 6.10.99