Interview mit Brigitte Bojanowsk

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Zeitschrift "Behinderte Menschen"
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INTERVIEW
"Osterreich ist ein Entwicklungsland"
Brigitte Bojanovsky, selbst betroffene Kämpferin in Sachen Usher-Syndrom
(von) Gerhard Einsiedler
Sie hält Vorträge und hat eine eigene Homepage, weil sie Betroffenen, „die im
Verborgenen leiden", Mut machen möchte. Was sie bei der Erstdiagnose empfand, wie
sie gelernt hat, mit ihrer Krankheit umzugehen und warum Deutschland Vorbild in
punkto Aufklärung ist - das alles berichtet die Wienerin Brigitte Bojanovsky im
Interview mit der Zeitschrift "Behinderte Menschen".
Wie war das damals für Sie, als bei Ihnen die Diagnose Usher-Syndrom Typ I festgestellt
wurde?
Ich war 17 Jahre alt. Im Zuge der üblichen Kontrolle für den Führerschein hatte ich einen
Augen-Facharzttermin. Ich war total überrascht und deprimiert, als mir der Arzt nach
der Untersuchung mitteilte, dass er mir keine positive Zusage für den Führerschein
geben könne. Die Gesichtsfeldkontrolle habe bei mir nicht gepasst. Ich wollte es nicht
wahrhaben, wir sind dann zu einem Augenarzt ins Wiener AKH gefahren. Die
Gesichtsfeldkontrolle dauerte jeweils zweieinhalb Stunden für jedes Auge. Dann das
bange Warten und die niederschmetternde Nachricht: Ich darf keinen Führerschein
machen! Seine Diagnose vereinfacht gesagt: Tunnelblick. Leider wurde mir keine genaue
Diagnose gegeben. Diese erfuhr ich durch einen Zufall erst später von einem Bekannten,
der selbst Usher hat, und durch einen Zeitungsartikel, in dem ich die Diagnose erstmals
las. Ich war verzweifelt, war mir aber der Tragweite meiner Erkrankung noch nicht
bewusst. Ich erinnere mich noch, dass ich lange mit meiner Mutter gesprochen habe.
Ich weiß noch, dass meine Mutter dem Arzt vorschlug, meine Augen auszutauschen! Ich
war sehr traurig und kann im Rückblick nur sagen, dass das ein tiefer Einschnitt in
meinem Leben war, vor allem, was meine Lebensfreude betraf,
Wie ging es dann weiter mit Ihnen und Ihrer Erkrankung?
In meiner Jugendzeit war ich sportlich sehr aktiv, ich spielte beispielsweise vier Jahre
Volleyball in einem Verein. Mit der Zeit aber musste ich zur Kenntnis nehmen. dass ich
dem Ball und seiner Flugbahn nicht mehr richtig folgen konnte. Meine Kolleginnen
glaubten, ich würde schlafen. Es wurde immer schlimmer. Daraufhin wechselte ich zum
Damenfußball, wieder ein Ball-Sport. Ich hatte natürlich sofort dieselben Probleme. Ich
wollte sportlich aktiv bleiben und ging zum Schwimmverein, bei dem ich dann acht
erfolgreiche Jahre dabei war. Jetzt gehe nach wie vor noch immer schwimmen. Sportlich
gesehen mache ich bis auf Ball-Spiele fast alles. Andere Probleme kamen langsam und
schleichend. Beim Radfahren etwa hatte ich bei der Heimfahrt in der Nacht öfters
Gleichgewichtsstörungen, ich musste mein Rad dann schieben. Immer wieder musste ich
meine Einschränkungen schmerzvoll erleben: Bei Ampeln etwa war ich immer mit
lebensgefährlichen Situationen konfrontiert. Ich wollte bei Grün losgehen, da brauste
auch schon ein Auto knapp an mir vorbei. Aufgrund des Tunnelblicks muss ich jetzt
nicht nur rechts und links schauen, sondern auch extra nach unten. Das war sehr
ungewohnt am Anfang, mittlerweile bin ich es schon gewohnt.
Wie gehen Sie jetzt mit Ihrer Erkrankung um?
Meine Erkrankung bereitet mir oft Stress, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen
Behinderungen quasi unsichtbar ist und ich keine für andere ersichtlichen Hilfsmittel
zur Verfügung habe. Leicht fällt es mir, das zu machen. was ich schon kenne. Neue
Situationen sind für mich oft große Herausforderungen. Ich würde aber sagen, dass ich
mittlerweile gut mit meiner Erkrankung zu leben gelernt habe. Oft denke ich auch gar
nicht daran, dass ich krank bin – positiv denken hilft immer.
Wie schaut Ihr Blick in die Zukunft aus?
Ich weiß nur, dass meine Seheinschränkung mit der Zeit langsam schlechter wird. Das
heißt nicht, dass meine Sehkraft schwächer wird, das Problem ist das eingeschränkte
Gesichtsfeld, der Blickwinkel. Die Verschlechterung an sich kann unterschiedlich
verlaufen, derzeit ist die Krankheit bei mir schon lange stabil. Das einzige, was mir Angst
macht, sind unbekannte Orte. Aber der Langstock, den ich im Herbst letzten Jahres bei
einem „Mobilitätstrainings- und 0rientierungs-Kurs" in Hamburg bekommen habe, hilft
mir sehr. Er ist ein sehr nützliches Hilfsmittel. Er macht mir in Zukunft weniger Stress
und Sorgen. Ich beschäftige mich ansonsten nicht viel mit der Zukunft. Die Technik
entwickelt sich im Höllentempo weiter, Wer weiß, was da noch alles erfunden wird und
mir vielleicht helfen kann.
Sie sind in Österreich so etwas wie die Vorkämpferin in Sachen Aufklärung bezüglich
Usher-Syndrom. Wann und wie hat es damit begonnen?
2007, vor vier Jahren, als ich mich zufällig mit einem Usher-Betroffenen aus Wien traf.
Ich erzählte ihm von meiner Geschichte mit dem Tunnelblick und er konnte mir viel
mehr darüber berichten. Ich war baff, das war mein Startschuss, seither ist meine
Neugier stetig gewachsen. 2008 gab es in Linz einen Vortrag über Usher-Syndrom. Uwe
Zelle, freier Gebärdensprachdozent und Referent für visuelle Kommunikation aus
Deutschland und selbst Betroffener, war der Referent. Er erzählte unter anderem auch,
dass in Deutschland schon viele Veranstaltungen zu dieser Erkrankung stattfinden. Bei
diesem Treffen lernte ich auch andere Leute kennen. Ich knüpfte Kontakt nach
Deutschland zum Selbsthilfegruppe-Leiter aus Recklinghausen, Sebastian Wegerhoff.
Überwältigt hat mich eine Veranstaltung dort: Es waren viele Betroffene da, auch
Taubblinde, Gehörlose, Hörende und Dolmetscher. Dort konnte man viele
unterschiedliche Hilfsmittel anschauen und testen, die Bandbreite der Vorträge war für
mich total interessant. Beeindruckt hat mich auch die Kommunikation: es gab taktiles
Gebärden und Lormen. (Lormen ist eine Kommunikationsform für taubblinde mit
anderen Menschen. Der „Sprechende" tastet dabei auf die Handinnenfläche des
„Lesenden“. Dabei sind einzelnen Fingern sowie bestimmten Handpartien bestimmte
Buchstaben zugeordnet, Anmerkung der Redaktion). Mit so vielen Eindrücken und
Erlebnissen erfüllt, wollte ich auch in Österreich aufklären. Anfang 2010 war der Beginn.
indem ich selbst eigene Vorträge machte. Denn hier in Österreich gab es zu diesem
Bereich noch nichts. Und irgendwer muss beginnen. Inzwischen organisiere ich auch
Usher-Treffen in Wien. Doch der Anfang war nicht leicht, da ich bis dato nicht wusste, ob
es in Wien überhaupt Usher-Betroffene gibt. Mein erster Vortrag war beim Wiener
Taubstummen-Fürsorgeverband. Er war sehr gut besucht, was mich natürlich
motivierte. Weiters baute ich auch guten Kontakt mit der Beratungsstelle für taubblinde
und hörsehbehinderte Menschen auf. Das ist eine Initiative vom österreichischen
Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte. (Siehe S. 13)
Inzwischen besuche ich auch Fachkräftetreffen, die zweimal im Jahr in Österreich
stattfinden. Dort diskutieren Betroffene das Thema Taubblindheit und tauschen
Erfahrungen aus.
Was sind die Kernpunkte Ihrer Aufklärungsarbeit in Österreich?
Am wichtigsten ist es für mich, Usher-Betroffene Menschen in Österreich zu erreichen
und ihnen den Mut zur Selbstständigkeit zu geben. Denn viele leiden im Verborgenen,
sie haben resigniert und stecken in ihren eigenen vier Wänden und gehen nicht in die
Öffentlichkeit. Es gibt in Österreich noch keine offizielle Statistik, aber die Dunkelziffer
der Usher-Betroffenen ist vermutlich um einiges höher als man glaubt. Ein weiterer
Kernpunkt sind Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern, Freizeitaktivitäten oder
Vorträge. Hier geht es darum, dass die Menschen mehr Informationen bekommen. Meine
Hoffnung ist, dass sich Betroffene melden und Farbe bekennen. Auf meiner Homepage
www.ushersyndrom.at.tf kann man sich Informationen über diese Erkrankung holen.
Inzwischen bin ich auch österreichische Ansprechpartnerin für die DACH-Gemeinschaft
geworden. (DACH steht für Deutschland (D), Österreich (A) und die Schweiz (CH),
Anmerkung der Redaktion) Zweimal im Jahr findet ein DACH-Treffen statt, und so
erfahre ich vieles aus Deutschland und aus der Schweiz. Mein ehrgeiziges Ziel ist es, eine
Selbsthilfegruppe bzw. eine eigene Beratungsstelle zu gründen. Das scheitert derzeit
aber nicht zuletzt noch am Geld.
Gibt es besonders schöne Erlebnisse in diesem Zusammenhang?
Ein besonderer Moment für mich war in Recklinghausen, als ich das erste Mal mittels
taktiler Gebärden kommunizierte. Natürlich auch schöne Erlebnisse, mit der Umgebung
und auch die vielen Leute, mit denen ich mich auf Anhieb sehr gut verständigen konnte.
Ich konnte sehr viele Kontakte aufbauen und die Gespräche waren viel lockerer. Ohne
dass man es merkte, gab es viel Rücksicht, die Wege im Garten waren sehr gut markiert.
wenn man was brauchte, eine Assistenz war schon zur Stelle. So etwas gab und gibt in
Österreich (noch?) nicht.
Wie ist der Stand in Sachen Aufklärung in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern?
Österreich hinkt Deutschland und der Schweiz deutlich hinterher. Bei uns in Österreich
ist man entweder gehörlos oder blind. Alles, was Hör-Seh-Beeinträchtigung betrifft,
bewegt sich im Graubereich. Deswegen gibt es kaum Veranstaltungen für taubblinde
Menschen. Es gibt keine Beratungsstelle für Gehörlose mit Sehbeeinträchtigung, sprich
extra für Taubblinde, wo man nicht extra mit eigenem Dolmetscher anreisen muss.
Weiters fehlt ein Mobilitätstraining für taubblinde Menschen, zu dem auch UsherBetroffene gehören. Taubblinde Menschen werden für die Pflegestufeneinteilung derzeit
nach ihrer Sehbehinderung eingestuft, nicht aber in der Kombination mit Gehörlosigkeit.
Und genau das würde bedeuten, dass sich die Pflegestufe von derzeit 3 auf Stufe 5
erhöhen würde. In Deutschland gibt es eine eigene Sehschule für Usher-Syndrom.
Vorbildhaft ist dort die eigene Ausbildung für Assistenz. In Österreich ist diese noch
nicht einmal ansatzweise gesetzlich geregelt. In Deutschland gibt es schon acht
Selbsthilfegruppen, in der Schweiz zwei (gemischt mit Gehörlosen). Österreich ist in
dieser Hinsicht leider noch ein Entwicklungsland.
Wie schauen Ihre Ziele für die Zukunft aus?
Ich möchte alle Betroffenen ermutigen, zu der Krankheit zu stehen. Ich bin der Meinung,
dass es nicht notwendig ist, sich mit dieser Erkrankung zu verstecken. Ich möchte allen
Mut machen, über die Krankheit nachzudenken und auch Kontakt mit mir aufzunehmen,
damit die Betroffenen erfahren können, wie es anderen Betroffenen geht. Es soll eine
Selbstvertretung aufgebaut werden. Das Fachpersonal in Österreich soll über die
Notwendigkeiten unterschiedlicher Unterstützungs- und
Kommunikationsmöglichkeiten lernen taktile Kommunikation, taktiles Gebärden etc.
Informationen:
Brigitte Bojanovsky
Ansprechpartnerin für Österreich
www.ushersyndrom.at.tf
Uwe Zelle
Ansprechpartner für Deutschland
www.uwezelle.de
Beat Marchetti
Ansprechpartner für die Schweiz
www.sichtbar-gehoerlose.ch
Brigitte Bojanovsky ist 30 Jahre alt und kommt aus Wien. Seit ihrer Geburt ist sie
gehörlos. Nach der Pubertät wurde bei ihr Usher-Syndrom Typ 1 festgestellt. Seit 2000
arbeitet Frau Bojanovsky als Vertragsbedienstete im Bundesministerium für
Landesverteidigung und Sport. Bojanovsky ist ausgebildete Malerin. Eine im wahrsten
Sinn des Wortes berührende Randbemerkung: Ihre zwei Perserkatzen haben mit der
Zeit gelernt, ihr aus dem Weg zu gehen, weil sie wissen, dass sie die Katzen nicht sofort
sieht und nichts hört. Wenn die Katzen Hunger oder das Bedürfnis nach
Streicheleinheiten haben, dann miauen sie nicht, sondern kratzen leicht an ihren Beinen
oder an Ihrem Arm, „und zwar so, als wären die Katzen wie Menschen, die mit
jemandem durch Berührungen in Kontakt treten wollen statt zu rufen", so Bojanovsky.
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