0546/98/Huttner-Thompson Nichtamtliche Übersetzung CM/Del/Dec(98)627 627. Sitzung - 8. April 1998 ANHANG 3 (Punkt 10.1) EMPFEHLUNG Nr. R (98) 71 DES MINISTERKOMITEES AN DIE MITGLIEDSTAATEN ÜBER DIE ETHISCHEN UND ORGANISATORISCHEN ASPEKTE DER GESUNDHEITLICHEN VERSORGUNG IN VOLLZUGSANSTALTEN (angenommen vom Ministerkomitee am 8. April 1998 auf der 627. Sitzung der Ministerbeauftragten) Das Ministerkomitee, gestützt auf Artikel 15 Buchstabe b der Satzung des Europarats - in der Erwägung, dass die medizinische Praxis in der Gesellschaft und unter den Umständen der Haft von denselben ethischen Grundsätzen geleitet sein soll, in dem Bewusstsein, dass die Achtung der Grundrechte der Gefangenen erfordert, dass Gefangene eine gleichwertige präventive Behandlung und gesundheitliche Versorgung erhalten wie die Mitglieder der Gesellschaft im allgemeinen, in der Erkenntnis, dass der Arzt in der Vollzugsanstalt oft vor schwierigen Problemen steht, die aus den konträren Erwartungen der Vollzugsverwaltung und der Gefangenen herrühren und im Ergebnis erfordern, dass der Arzt sich an sehr strenge ethische Richtlinien hält, in der Erwägung, dass es im Interesse des Anstaltsarztes, der anderen in der Gesundheitsfürsorge tätigen Mitarbeiter, der Gefangenen und der Anstaltsverwaltung ist, von einer klaren Vorstellung vom Recht auf gesundheitliche Versorgung in der Haft und der 1 Nach § 10.2.C. der Verfahrensordnung für die Sitzungen der Ministerbeauftragten möchte die dänische Delegation den folgenden Vorbehalt anbringen: „Nr. 72 des Anhangs ist für Dänemark insoweit nicht annehmbar, als darin vorgesehen ist, daß körperliche Durchsuchungen von Personen durchgeführt werden dürfen, die nicht 2 besonderen Rolle des Anstaltsarztes und der anderen in der Gesundheitsfürsorge tätigen Mitarbeiter auszugehen, in der Erwägung, dass besonders problematische Umstände in den Vollzugsanstalten wie Überbelegung, ansteckende Krankheiten, Drogenabhängigkeit, Geistesgestörtheit, Gewalt, Einzelhaft oder körperliche Durchsuchungen fundierte ethische Grundsätze in der ärztlichen Praxis erfordern; eingedenk der Menschenrechtskonvention, der Europäischen Sozialcharta und des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin; eingedenk des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe sowie der Empfehlungen zur gesundheitlichen Versorgung in Vollzugsanstalten, die im 3. allgemeinen Bericht über die Tätigkeiten des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zusammengefasst sind; unter Bezugnahme auf seine Empfehlung Nr. R (87) 3 über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, die dazu beitragen, Mindeststandards der Menschlichkeit und der Würde in Vollzugsanstalten zu gewährleisten; unter Hinweis auf die Empfehlung Nr. R (90) 3 über medizinische Forschung an Menschen und die Empfehlung Nr. R (93) 6 betreffend strafvollzugsbezogene und kriminologische Aspekte der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einschließlich AIDS und damit zusammenhängender Gesundheitsprobleme im Strafvollzug sowie die WHO-Richtlinien von 1993 über die HIV-Infektion und AIDS in Vollzugsanstalten; eingedenk der von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats erarbeiteten Empfehlungen 1235 (1994) über Psychiatrie und Menschenrechte und 1257 (1995) über die Haftbedingungen in Mitgliedstaaten des Europarats; unter Bezugnahme auf die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1982 angenommenen Grundsätze der ärztlichen Ethik zum Schutz inhaftierter Personen und Gefangener gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Ärzte sind, und nach Meinung der dänischen Behörden soll eine intime Untersuchung von Körperhöhlen nur mit 3 unter Bezugnahme auf die speziellen Erklärungen des Weltärztebundes (WMA) zur ärztlichen Ethik, insbesondere die Erklärung von Tokio (1975), die Erklärung von Malta über Hungerstreikende (1991) sowie die Erklärung zu körperlichen Durchsuchungen von Gefangenen (1993); in Anbetracht jüngster Reformen in der Struktur, der Organisation und der Regelung der Gesundheitsdienste in Vollzugsanstalten in mehreren Mitgliedstaaten, insbesondere in Zusammenhang mit Reformen ihrer Systeme der gesundheitlichen Versorgung; unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen der Mitgliedstaaten, welche die Umsetzung von Empfehlungen sowohl auf bundesstaatlicher als auch auf einzelstaatlicher Ebene erfordern - empfehlen den Regierungen der Mitgliedstaaten, - bei der Überprüfung ihrer Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiet der gesundheitlichen Versorgung in Vollzugsanstalten den im Anhang zu dieser Empfehlung enthaltenen Grundsätzen und Empfehlungen Rechnung zu tragen; - dafür zu sorgen, dass die Empfehlung und der Erläuternde Bericht dazu die größtmögliche Verbreitung finden, insbesondere bei allen Personen und Stellen, die für die Organisation und die Durchführung der präventiven Behandlung und gesundheitlichen Versorgung in Vollzugsanstalten verantwortlich sind. Zustimmung der betroffenen Person stattfinden.“ 4 CM/Del/Dec(98)627 Anhang 3 Anhang zur Empfehlung Nr. R (98) 7 I. HAUPTMERKMALE DES RECHTS AUF GESUNDHEITLICHE VERSORGUNG IN DER HAFT A. Zugang zu einem Arzt 1. Bei der Aufnahme in die Haftanstalt und später während der Haft sollen Gefangene jederzeit ungeachtet der Vollzugsform und ohne unangemessene Verzögerung Zugang zu einem Arzt oder einer voll ausgebildeten Krankenpflegekraft haben können, wenn ihr Gesundheitszustand dies erfordert. Allen Gefangenen sollen bei der Aufnahme geeignete medizinische Untersuchungen zuteil werden. Besonderes Augenmerk soll auf die allgemeine Untersuchung in bezug auf geistig-seelische Störungen, die psychologische Anpassung an die Haft, Entzugserscheinungen wegen Drogen-, Arzneimittel- oder Alkoholkonsums und ansteckende und chronische Krankheiten gerichtet werden. 2. Zur Erfüllung der gesundheitlichen Bedürfnisse der Gefangenen sollen in den großen Vollzugseinrichtungen entsprechend der Zahl und der Fluktuation der Gefangenen sowie ihres durchschnittlichen Gesundheitszustands hauptamtliche Ärzte und qualifizierte Krankenpflegekräfte zur Verfügung stehen. 3. Der Gesundheitsdienst einer Vollzugsanstalt soll mindestens ambulante Beratungen und Notfallbehandlungen erbringen können. Erfordert der Gesundheitszustand der Gefangenen eine Behandlung, die in der Anstalt nicht gewährleistet werden kann, so soll alles Mögliche unternommen werden, um sicherzustellen, dass eine Behandlung in aller Sicherheit außerhalb der Anstalt in gesundheitlichen Einrichtungen erfolgt. 4. Gefangene sollen erforderlichenfalls zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zu einem Arzt haben. Auf dem Anstaltsgelände soll immer jemand anwesend sein, der erste Hilfe leisten kann. Bei ernsten Notfällen sollen der Arzt, ein Mitarbeiter des Krankenpflegepersonals und die Anstaltsleitung benachrichtigt werden; es ist unbedingt erforderlich, dass sich das Wachpersonal aktiv beteiligt und engagiert. 5 5. Ein Zugang zu psychiatrischer Konsultation und Beratung soll sichergestellt sein. In größeren Strafvollzugsanstalten soll ein psychiatrisches Team vorhanden sein. Ist wie in kleineren Anstalten ein solches Team nicht verfügbar, so sollen Konsultationen durch einen im Krankenhaus praktizierenden oder einen niedergelassenen Psychiater sichergestellt werden. 6. Jedem Gefangenen sollen die Dienste eines Zahnarztes zur Verfügung stehen. 7. Die Vollzugsverwaltung soll Vorkehrungen treffen, um Kontakte und eine Zusammenarbeit mit örtlichen öffentlichen und privaten Gesundheitseinrichtungen sicherzustellen. Da es nicht leicht ist, für bestimmte drogen-, alkohol- oder medikamentenabhängige Gefangene eine geeignete Behandlung in der Vollzugsanstalt vorzusehen, sollen externe Fachkräfte aus der unterstützenden Arbeit mit Abhängigen in der allgemeinen Gesellschaft zur Beratung und auch zur Versorgung hinzugezogen werden. 8. Für weibliche Gefangene sollen, soweit dies angebracht ist, besondere Dienste vorgesehen werden. Schwangere Gefangene sollen medizinisch überwacht werden und in einem für ihren Zustand am besten geeigneten Krankenhaus außerhalb der Anstalt entbinden können. 9. Wenn ein Patient unter Bewachung ins Krankenhaus gebracht wird, soll er erforderlichenfalls von einem Arzt oder einer Pflegekraft begleitet werden. B. Gleichwertigkeit der Versorgung 10. Die Gesundheitspolitik in der Haft soll Teil der nationalen Gesundheitspolitik und mit ihr vereinbar sein. Der Gesundheitsdienst in einer Vollzugsanstalt soll in der Lage sein, unter Bedingungen, die denen außerhalb der Anstalt vergleichbar sind, eine allgemeinärztliche, psychiatrische und zahnärztliche Behandlung zu gewährleisten und Programme auf dem Gebiet der Hygiene und der vorbeugenden Medizin durchzuführen. Anstaltsärzte sollen Fachärzte hinzuziehen können. Ist ein zweites Gutachten erforderlich, so ist der Dienst verpflichtet, dies zu veranlassen. 11. Der Gesundheitsdienst in der Vollzugsanstalt soll über qualifiziertes ärztliches, pflegerisches und technisches Personal in ausreichender Zahl sowie über geeignete Räumlichkeiten, Einrichtungen und Geräte verfügen, die qualitativ mit den außerhalb der Anstalt vorhandenen vergleichbar, wenn nicht sogar identisch sind. 6 12. Die Rolle des für das Gesundheitswesen zuständigen Ministeriums soll im Bereich der Beurteilung der Qualität der Hygiene, der gesundheitlichen Versorgung und der Organisation der Gesundheitsdienste in Vollzugsanstalten in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften gestärkt werden. Die Aufgaben und Befugnisse des für das Gesundheitswesen zuständigen Ministeriums sollen klar getrennt werden von denen anderer zuständiger Ministerien; bei der Durchführung einer einheitlichen Gesundheitspolitik in Vollzugsanstalten sollen sie zusammenarbeiten. C. Einwilligung des Patienten und Schweigepflicht 13. Die ärztliche Schweigepflicht soll gewährleistet und ebenso streng beachtet werden wie in der Gesellschaft insgesamt. 14. Soweit Gefangene nicht an einer Krankheit leiden, die sie unfähig macht, die Art ihres Zustands zu verstehen, sollen sie außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen immer das Recht haben, dem Arzt nach Aufklärung ihre Einwilligung zu erteilen, ehe eine körperliche Untersuchung ihrer Person oder ihrer körperlichen Ausscheidungen vorgenommen werden darf. Die Gründe für jede Untersuchung sollen den Gefangenen klar erläutert werden und von ihnen verstanden worden sein. Den Gefangenen soll für jedes Medikament die Indikation zusammen mit den möglichen Nebenwirkungen, die bei ihnen auftreten können, erklärt werden. 15. Die Einwilligung nach Aufklärung soll bei geisteskranken Patienten sowie in Situationen eingeholt werden, in denen ärztliche Pflichten und Sicherheitserfordernisse sich nicht decken, z.B. bei Verweigerung einer Behandlung oder bei Nahrungsverweigerung. 16. Jede Abweichung vom Grundsatz der freien Einwilligung soll auf dem Gesetz beruhen und sich nach denselben Grundsätzen richten, die für die Bevölkerung insgesamt gelten. 17. Untersuchungsgefangene sollen das Recht haben, auf eigene Kosten ihren eigenen Arzt oder einen anderen externen Arzt zu konsultieren. Strafgefangene können ein zweites ärztliches Gutachten beantragen, und der Anstaltsarzt soll diesen Antrag wohlwollend prüfen. Aber die Entscheidung über die Begründetheit dieses Antrags liegt letztlich in seiner Verantwortung. 7 18. Bei allen Verlegungen in andere Vollzugsanstalten sollen die kompletten ärztlichen Unterlagen mitübersandt werden. Die Unterlagen sollen unter Bedingungen weitergeleitet werden, die ihre Vertraulichkeit sichern. Die Gefangenen sollen davon unterrichtet werden, dass ihre ärztlichen Unterlagen weitergeleitet werden. Sie sollen berechtigt sein, gegen die Weiterleitung nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften Widerspruch zu erheben. Allen entlassenen Gefangenen sollen sachdienliche schriftliche Informationen über ihre Gesundheit zum Nutzen ihres Hausarztes mitgegeben werden. D. Fachliche Unabhängigkeit 19. In Vollzugsanstalten beschäftigte Ärzte sollen dem einzelnen Gefangenen dasselbe Maß an gesundheitlicher Versorgung angedeihen lassen, wie es Patienten außerhalb der Anstalt erhalten. Die gesundheitlichen Bedürfnisse des Gefangenen sollen für den Arzt immer an erster Stelle stehen. 20. Klinische Entscheidungen und andere Beurteilungen in bezug auf die Gesundheit inhaftierter Personen sollen nur durch medizinische Kriterien bestimmt werden. Die in der Gesundheitsfürsorge tätigen Mitarbeiter sollen im Rahmen ihrer Qualifikationen und Zuständigkeiten völlig unabhängig handeln. 21. Krankenpflegekräfte und andere in der Gesundheitsfürsorge tätige Mitarbeiter sollen ihre Aufgaben unter der unmittelbaren Verantwortung des leitenden Arztes wahrnehmen, der dem paramedizinischen Personal nur die gesetzlich vorgesehenen und berufsethisch zulässigen Aufgaben übertragen soll. Die Qualität des ärztlichen Dienstes und des Krankenpflegedienstes soll durch eine sachkundige Gesundheitsbehörde beurteilt werden. 22. Die Vergütung der ärztlichen Mitarbeiter soll nicht niedriger sein, als in anderen Bereichen des öffentlichen Gesundheitswesen üblich wäre. II. DIE BESONDERE ROLLE DES ANSTALTSARZTES UND DER ÜBRIGEN IN DER GESUNDHEITSFÜRSORGE TÄTIGEN MITARBEITER UNTER DEN UMSTÄNDEN DER HAFT A. Allgemeine Anforderungen 8 23. Die Rolle des Anstaltsarztes bzw. der Anstaltsärztin besteht in erster Linie darin, alle Gefangenen, für die er bzw. sie klinisch verantwortlich ist, in geeigneter Weise ärztlich zu versorgen und zu beraten. 24. Dies soll auch die Beratung der Anstaltsleitung in Angelegenheiten einschließen, welche die Ernährung oder die Umgebung, in der die Gefangenen leben müssen, sowie die Hygiene und die sanitären Einrichtungen betreffen. 25. Die in der Gesundheitsfürsorge tätigen Mitarbeiter sollen in der Lage sein, die Anstaltsleitung und das Wachpersonal über Gesundheitsfragen zu informieren sowie erforderlichenfalls geeignete Schulungen dazu durchzuführen. B. Information, Prävention und gesundheitliche Aufklärung 26. Jeder soll bei der Aufnahme in die Vollzugsanstalt Informationen über Rechte und Pflichten, die interne Anstaltsordnung sowie Hinweise dazu erhalten, wie und wo er Hilfe und Rat bekommen kann. Diese Informationen sollen für jeden Gefangenen verständlich sein. Analphabeten sollen eine besondere Unterweisung erhalten. 27. In allen Vollzugseinrichtungen soll ein Gesundheitserziehungsprogramm entwickelt werden. Gefangene sowie Mitarbeiter der Vollzugsverwaltung sollen ein grundlegendes Informationspaket über die Gesundheitsförderung erhalten, das gezielt die gesundheitliche Versorgung von Gefangenen behandelt. 28. Dabei sollen insbesondere die Vorteile einer freiwilligen und anonymen Untersuchung auf übertragbare Krankheiten und die möglichen negativen Folgen von Hepatitis, sexuell übertragbaren Krankheiten, Tuberkulose oder einer HIV-Infektion erklärt werden. Wer sich einem Test unterzieht, muss anschließend ärztlich beraten werden können. 29. Das Gesundheitserziehungsprogramm soll darauf gerichtet sein, zur Entwicklung eines gesunden Lebensstils zu ermuntern und die Gefangenen zu zweckmäßigen Entscheidungen in bezug auf ihre eigene Gesundheit und die ihrer Familien zu befähigen, die Integrität des einzelnen zu wahren und zu schützen und die Gefahr der Abhängigkeit und das Rückfallrisiko zu verringern. Mit diesem Vorgehen sollen die Gefangenen motiviert werden, an Gesundheitsprogrammen teilzunehmen, bei denen ihnen in schlüssiger Weise Verhaltensweisen und Strategien zur Verminderung ihrer gesundheitlichen Risiken beigebracht werden. 9 C. Besondere Formen der Pathologie und der präventiven Gesundheitsfürsorge im Vollzug 30. Alle Anzeichen von Gewalt, die bei der allgemeinen ärztlichen Untersuchung von Gefangenen bei ihrer Aufnahme in eine Vollzugseinrichtung festgestellt werden, sollen von dem Arzt in vollem Umfang gegebenenfalls zusammen mit sachdienlichen Angaben des Gefangenen sowie den Schlussfolgerungen des Arztes aufgezeichnet werden. Darüber hinaus sollen diese Angaben mit Zustimmung des Gefangenen der Anstaltsverwaltung zugänglich gemacht werden. 31. Informationen über Fälle von Gewalt gegen Gefangene, zu denen es im Verlauf der Inhaftierung gekommen ist, sollen den zuständigen Behörden zugeleitet werden. In der Regel soll dies nur mit Zustimmung der betroffenen Gefangenen erfolgen. 32. In bestimmten Ausnahmefällen und in jedem Fall unter strikter Einhaltung der berufsethischen Vorschriften braucht die nach Aufklärung erteilte Einwilligung des Gefangenen nicht als unbedingt nötig angesehen zu werden, insbesondere wenn der Arzt der Auffassung ist, dass er sowohl dem Patienten als auch den übrigen Gefangenen gegenüber aus vorrangigen Gründen verpflichtet ist, über einen schwerwiegenden Vorfall, der eine wirkliche Gefahr darstellt, Bericht zu erstatten. Der Gesundheitsdienst soll, soweit dies angebracht ist, regelmäßige statistische Daten über beobachtete Verletzungen sammeln, um sie entsprechend den innerstaatlichen datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Anstaltsleitung und den zuständigen Ministerien mitzuteilen. 33. Das Wachpersonal soll in geeigneter Weise in Gesundheitsfragen geschult werden, damit es körperliche und seelische Gesundheitsprobleme, die ihm bei den Gefangenen auffallen könnten, melden kann. D. Die berufliche Schulung des Gesundheitspersonals der Vollzugsanstalt 34. Anstaltsärzte sollen gründliche Kenntnisse sowohl in bezug auf allgemeinmedizinische als auch in bezug auf psychiatrische Störungen haben. Ihre Schulung soll die Aneignung eines theoretischen Grundwissens, Verständnis für die Umstände der Haft und ihre Auswirkungen auf die ärztliche Praxis in der Vollzugsanstalt, eine Beurteilung ihrer Fähigkeiten und ein Praktikum unter der Aufsicht eines dienstälteren Kollegen umfassen. Ferner sollen für sie regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen vorgesehen werden. 10 35. Geeignete Schulungsmaßnahmen sollen auch für die übrigen in der Gesundheitsfürsorge tätigen Mitarbeiter vorgesehen werden; dabei sollen auch Kenntnisse über die Funktionsweise von Vollzugsanstalten und die einschlägigen Vollzugsvorschriften vermittelt werden. III. DIE ORGANISATION DER GESUNDHEITLICHEN VERSORGUNG IN VOLLZUGSANSTALTEN UNTER BESONDERER BEZUGNAHME AUF DIE BEHANDLUNG BESTIMMTER ALLGEMEINER PROBLEME A. Übertragbare Krankheiten, insbesondere: HIV-Infektion und Aids Tuberkulose Hepatitis 36. Zur Verhinderung sexuell übertragener Infektionen in der Vollzugsanstalt sollen angemessene prophylaktische Maßnahmen getroffen werden. 37. HIV-Tests sollen nur mit Zustimmung der Gefangenen, in anonymisierter Form und in Übereinstimmung mit den geltenden Rechtsvorschriften vorgenommen werden. Vor und nach dem Test soll eine eingehende Beratung erfolgen. 38. Die Isolierung eines Patienten mit einer ansteckenden Krankheit ist nur gerechtfertigt, wenn eine solche Maßnahme auch außerhalb der Anstalt aus denselben medizinischen Gründen getroffen werden würde. 39. Vorbehaltlich des Absatzes Nr. 40 soll keine Art der Absonderung für HIV-positive Personen vorgesehen werden. 40. Wer schwer an Aids-bedingten Erkrankungen leidet, soll auf der Gesundheitsstation der Vollzugsanstalt behandelt werden, ohne dass zwangsläufig eine vollständige Isolierung erfolgt. Patienten, die vor ansteckenden Krankheiten, die von anderen Patienten übertragen werden, geschützt werden müssen, sollen nur isoliert werden, wenn diese Maßnahme ihretwegen nötig ist, um zu verhindern, dass sie sich interkurrente Infektionen zuziehen, besonders wenn ihr Immunsystem schwer geschädigt ist. 11 41. Treten Tuberkulosefälle auf, so sollen entsprechend den einschlägigen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet alle notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung dieser Infektion getroffen werden. Therapeutische Maßnahmen sollen denselben Standard haben wie außerhalb der Anstalt. 42. Die Impfung gegen Hepatitis B soll, da sie die einzige wirksame Methode zur Verhinderung der Ausbreitung dieser Krankheit ist, den Gefangenen und dem Personal angeboten werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Hepatitis B und C hauptsächlich durch die intravenöse Zuführung von Drogen zusammen mit verseuchtem Sperma und Blut übertragen werden, sollen Informationen und geeignete Präventionsmöglichkeiten zugänglich gemacht werden. B. Drogen-, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit Leitung der Apotheke und Ausgabe von Medikamente 43. Die Versorgung von Gefangenen mit Alkohol- und Drogenproblemen muss weiterentwickelt werden, wobei insbesondere die von der Kooperationsgruppe zur Bekämpfung des Drogenmissbrauchs und des unerlaubten Drogenhandels („PompidouGruppe“) empfohlenen Dienste zu berücksichtigen sind. Es ist deshalb notwendig, dem ärztlichen Personal und dem Vollzugspersonal eine hinreichende Schulung anzubieten und die Zusammenarbeit mit externen Beratungsstellen zu verbessern, damit nach der Entlassung in die Gesellschaft eine kontinuierliche Anschlusstherapie sichergestellt ist. 44. Die Anstaltsarzt soll die Gefangenen ermuntern, das System der sozialen oder psychotherapeutischen Unterstützung zu nutzen, um den Gefahren des Drogen-, Medikamenten- und Alkoholmissbrauchs vorzubeugen. 45. Die Behandlung der Entziehungserscheinungen nach Drogen-, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch in der Vollzugsanstalt soll in derselben Weise durchgeführt werden wie außerhalb der Anstalt. 46. Wenn Gefangene eine Entziehungskur machen, soll der Arzt sie ermutigen, schon während der Haft und auch nach ihrer Entlassung alle nötigen Maßnahmen zu treffen, um einen Rückfall in die Abhängigkeit zu vermeiden. 47. Inhaftierte Personen sollen sich von einer internen oder externen Fachkraft beraten lassen können, die ihnen die nötige Unterstützung während der Verbüßung ihrer Strafe und 12 während ihrer Betreuung nach der Entlassung gewährt. Solche Fachkräfte sollen auch zur Weiterbildung des Wachpersonals beitragen können. 48. Gefangenen soll, soweit dies angebracht ist, erlaubt sein, die ihnen verordneten Medikamente bei sich zu haben. Medikamente, die bei Einnahme einer Überdosis gefährlich sind, sollen jedoch einbehalten und ihnen in Einzelgaben verabreicht werden. 49. In Absprache mit dem zuständigen pharmazeutischen Berater soll der Anstaltsarzt erforderlichenfalls eine umfassende Liste der im ärztlichen Dienst gewöhnlich verordneten Heilmittel und Medikamente erstellen. Die Verordnung von Medikamenten soll weiterhin in die ausschließliche Verantwortung des Ärztestandes fallen, und Medikamente sollen nur von dazu befugtem Personal ausgegeben werden. C. Haftunfähige Personen: Schwere körperliche Behinderung; vorgeschrittenes Alter Prognose eines kurzfristig tödlichen Verlaufs 50. Gefangene mit schweren körperlichen Behinderungen und Gefangene im fortgeschrittenen Alter sollen so untergebracht werden, dass sie ein möglichst normales Leben führen können, und sie sollen von den allgemeinen Gefangenen nicht abgesondert werden. Bauliche Veränderungen sollen vorgenommen werden, um auf den Rollstuhl angewiesenen und behinderten Patienten in ähnlicher Weise wie außerhalb der Anstalt zu helfen. 51. Die Entscheidung darüber, wann Patienten mit der Prognose eines kurzfristig tödlichen Verlaufs in Krankenhauseinrichtungen außerhalb der Anstalt verlegt werden sollen, soll aus medizinischen Gründen getroffen werden. Bis zu einer solchen Verlegung sollen diese Patienten im Endstadium ihrer Krankheit im Gesundheitszentrum der Vollzugsanstalt die bestmögliche Pflege erhalten. In solchen Fällen soll für eine zeitweise Unterbrechung durch eine Pflege in einem Hospiz außerhalb der Anstalt gesorgt werden. Die Möglichkeit einer Begnadigung aus medizinischen Gründen oder einer vorzeitigen Entlassung soll geprüft werden. D. Psychiatrische Symptome Geistesgestörtheit und schwere Persönlichkeitsstörungen Selbstmordgefährdung 13 52. Die Vollzugsverwaltung und das für die seelische Gesundheit zuständige Ministerium sollen bei der Organisation der psychiatrischen Dienste für Gefangene zusammenarbeiten. 53. Für die seelische Gesundheit zuständige Dienste und soziale Dienste, die Vollzugsanstalten angegliedert sind, sollen bestrebt sein, Gefangenen mit Rat und Hilfe zur Seite zu stehen und ihre Fähigkeiten zur Bewältigung der Situation und zur Anpassung zu stärken. Diese Dienste sollen ihre Aktivitäten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Aufgaben koordinieren. Ihre fachliche Unabhängigkeit soll mit gebührender Rücksicht auf die besonderen Umstände der Haft sichergestellt sein. 54. Bei verurteilten Sexualstraftätern soll eine psychiatrische und psychologische Untersuchung sowie eine geeignete Behandlung während ihres Aufenthalts und danach angeboten werden. 55. Gefangene, die an einer schweren seelischen Störung leiden, sollen in einer Krankenanstalt untergebracht und betreut werden, die angemessen ausgestattet ist und über entsprechend ausgebildetes Personal verfügt. Über die Einweisung eines Gefangenen in ein öffentliches Krankenhaus soll ein Psychiater vorbehaltlich der Genehmigung durch die zuständigen Behörden entscheiden. 56. Ist eine geschlossene Unterbringung Geisteskranker nicht zu vermeiden, so soll sie auf ein absolutes Minimum reduziert und so bald wie möglich durch eine kontinuierliche Einzelpflege ersetzt werden. 57. In Ausnahmefällen kann für einen kurzen Zeitraum bei schwer geisteskranken Patienten körperlicher Zwang in Betracht kommen, während die beruhigende Wirkung geeigneter Medikamente einzusetzen beginnt. 58. Die Selbstmordgefährdung soll sowohl vom ärztlichen Personal als auch vom Wachpersonal fortwährend beurteilt werden. In kritischen Momenten sollen, soweit dies angebracht ist, körperliche Maßnahmen zur Verhinderung einer Selbstbeschädigung, ergriffen und die betreffende Person eingehend und dauernd beobachtet, in ein Gespräch eingebunden und beruhigt werden. 59. Für eine Folgebehandlung entlassener Gefangener durch Fachdienste außerhalb der Anstalt soll gesorgt werden. 14 E. Verweigerung einer Behandlung Hungerstreik 60. Im Fall der Verweigerung einer Behandlung soll der Arzt eine von dem Patienten in Gegenwart eines Zeugen unterzeichnete schriftliche Erklärung verlangen. Der Arzt soll den Patienten in vollem Umfang über die zu erwartenden Vorteile der medizinischen Behandlung sowie eventuelle therapeutische Alternativen informieren und ihn auf Gefahren in Zusammenhang mit seiner Weigerung hinweisen. Es soll sichergestellt werden, dass der Patient seine Situation in vollem Umfang versteht. Gibt es wegen der vom Patienten benutzten Sprache Verständnisschwierigkeiten, so sind die Dienste eines erfahrenen Dolmetschers in Anspruch zu nehmen. 61. Die klinische Beurteilung eines Hungerstreikenden soll nur mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Patienten vorgenommen werden, es sei denn, er leidet unter schweren seelischen Störungen, welche die Überweisung an einen psychiatrischen Dienst erfordern. 62. Hungerstreikenden soll eine sachbezogene Erklärung der schädlichen Auswirkungen ihres Handelns auf ihr körperliches Wohlergehen gegeben werden, damit sie die Gefahren eines längeren Hungerstreiks verstehen. 63. Wenn sich der Zustand des Hungerstreikenden nach Meinung des Arztes erheblich verschlechtert, ist es unbedingt erforderlich, dass der Arzt diesen Umstand der zuständigen Behörde meldet und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften (einschließlich der Standesgrundsätze) Maßnahmen ergreift. F. Gewalt in der Vollzugsanstalt Disziplinarverfahren und Sanktionen Disziplinararrest, körperlicher Zwang Hochsicherheitsvollzug 64. Gefangene, die aus irgendeinem Grund Gewalttätigkeiten einschließlich möglicher Sexualdelikte von Seiten anderer Gefangener befürchten oder die vor kurzem von anderen Mitgliedern der Vollzugsgemeinschaft angegriffen oder verletzt worden sind, sollen den vollen Schutz durch das Wachpersonal in Anspruch nehmen können. 65. Es soll nicht zum Tätigkeitsfeld des Arztes gehören, die Anwendung von Gewalt durch Vollzugsbedienstete zu erlauben oder darüber hinwegzusehen; diese Verantwortung 15 bei der Herstellung von Ordnung und Disziplin müssen die Vollzugsbediensteten selbst übernehmen. 66. Im Falle eines Disziplinararrestes, einer anderen Disziplinarstrafe oder einer Sicherheitsmaßnahme, die eine nachteilige Wirkung auf den körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand des Gefangenen haben könnte, sollen Mitarbeiter der Gesundheitsfürsorge auf Wunsch des Gefangenen oder der Vollzugsbediensteten für die medizinische Versorgung oder Behandlung zur Verfügung stehen. G. Besondere Programme der Gesundheitsfürsorge: Soziotherapeutische Programme Familiäre Bindungen und Verkehr mit der Außenwelt Mutter und Kind 67. Soziotherapeutische Programme sollen ähnlich wie in der Gesellschaft organisiert sein und sorgfältig überwacht werden. Die Ärzte sollen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit allen beteiligten Diensten bereit sein, damit die Gefangenen aus diesen Programmen Nutzen ziehen und sich so die sozialen Fähigkeiten aneignen können, die zur Verminderung der Rückfallgefahr nach der Entlassung beitragen können. 68. Es soll die Möglichkeit geprüft werden, Gefangenen zu erlauben, ihre Sexualpartner zu treffen, ohne dass während des Besuchs eine visuelle Überwachung erfolgt. 69. Sehr kleine Kinder inhaftierter Mütter sollen bei ihren Mütter bleiben können, damit diese ihnen die zur Erhaltung ihrer Gesundheit nötige Zuwendung und Fürsorge geben und eine gefühlsmäßige und psychische Verbindung aufrechterhalten können. 70. Für Mütter, die von ihren Kindern begleitet werden, sollen besondere Einrichtungen (Krippen und Tagesstätten) vorgesehen werden. 71. An verwaltungsrechtlichen Entscheidungen in bezug auf die Trennung der Kinder von ihren Müttern in einem bestimmten Alter sollen Ärzte nicht beteiligt werden. H. Körperliche Durchsuchungen Ärztliche Berichte Medizinische Forschung 16 72. Körperliche Durchsuchungen sind Sache der Verwaltungsbehörden, und Anstaltsärzte sollen an diesen Vorgängen nicht beteiligt werden. Eine intime medizinische Untersuchung soll jedoch von einem Arzt durchgeführt werden, wenn ein objektiver medizinischer Grund vorliegt, der seine Beteiligung erfordert. 73. Anstaltsärzte sollen außer auf förmlichen Antrag des Gefangenen oder gemäß Verfügung eines Gerichts keine medizinischen oder psychiatrischen Berichte für die Verteidigung oder für die Anklagebehörde anfertigen. Sie sollen Aufträge als ärztliche Sachverständige in gerichtlichen Verfahren, die Untersuchungsgefangene betreffen, meiden. Proben sollen sie nur zur diagnostischen Untersuchung und ausschließlich zu medizinischen Zwecken nehmen und analysieren. 74. Medizinische Forschung an Gefangenen soll nach den Grundprinzipien der Empfehlungen Nr. R (87) 3 über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, Nr. R (90) 3 über medizinische Forschung am Menschen und Nr. R (93) 6 über strafvollzugsbezogene und kriminologische Aspekte der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einschließlich AIDS und damit zusammenhängender Gesundheitsprobleme im Strafvollzug durchgeführt werden.