www.poekl-net.at - Gritas Deutsch-Seiten PROBLEMARBEIT – MATERIALIEN 1. ORGANSPENDE - PRO UND CONTRA: Dr. Klaus Ketzler, Deutsche Stiftung für Organtransplantation Prof. KlausPeter Jörns, evangelischer Theologe aus Berlin PRO Ich bin für die Organspende nach dem Tode und trage deshalb immer einen Organspendeausweis bei mir. Für mich ist das selbstverständlich, denn auf Grund meines Berufs weiß ich, wie sehr Tausende von Patienten auf eine Organverpflanzung hoffen. Außerdem schließen die für den Fall der Organentnahme vorgeschriebenen Untersuchungen durch unabhängige Ärzte (in der Regel Neurologen oder Neurochirurgen, die an der Organentnahme und -transplantation nicht beteiligt sind) jeden vernünftigen Zweifel an der Diagnose Hirntod aus. CONTRA Ich bin weder bereit, mir ein fremdes Organ einpflanzen noch mir während meines Sterbens ein Organ entnehmen zu lassen. Denn ich bestreite das Dogma der Transplantationsmedizin, dass Hirntote tot sind. Sie sind Sterbende, und jede Organentnahme ist ein Eingriff ins Sterben. Wer Leben bewahren will, muss daher auch das Recht der Menschen darauf, in ihrem eigenen Leib zu Ende sterben zu dürfen, schützen. Wer dieses Recht missachtet, verletzt deshalb die Grundlagen der Humanität. Arbeitsanregung: 1. Unterstreichen Sie im Text die Verknüpfungswörter. 2. Bestimmen Sie danach die Art der Konjunktionen nach Form, Verwendung und Bedeutung. 3. Arbeiten Sie heraus, mit welchen Argumenten die beiden Personen ihre Haltung zur Organspende begründen. Nehmen Sie selbst zur Problematik der Organspende Stellung! 1 www.poekl-net.at - Gritas Deutsch-Seiten 2 2. TEXTE ZUM THEMA: TRANSPLANTATIONEN - WANN IST EIN MENSCH WIRKLICH TOT? Kann das Leiden auf einer Intensivstation zur Routine werden? Menschen, mit fahlen Gesichtern und Leibern, liegen in ihren Betten, beatmet, mit Elektroden bedeckt, fast alle im Blickfeld der Kommandozentrale. Hin und wieder ein Alarm, in unterschiedlicher Tonhöhe und Intensität. Ein Arzt eilt zu einem Bett, beugt sich über den Menschen, hantiert an Apparaturen und Infusionsschläuchen. Die meisten Kranken werden die Intensivstation wieder verlassen, und gesundet, diese Zeit aus dem Bewusstsein streichen. Doch wenn der Neurologe Heinz Angstwurm gerufen wird, liegt immer ein Mensch in der Station, der vermutlich nie wieder Bewusstsein haben wird. Sein Gehirn, so fürchten die Ärzte, ist tot, auch wenn sich sein Brustkorb im Takt der Beatmungsmaschine hebt und senkt, der Körper warm und durchblutet ist und sich manchmal bewegt. Seine Angehörigen haben einer Organspende zugestimmt. Und wenn sich die Diagnose bestätigt, dann gibt es keine Zweifel, sagt Heinz Angstwurm, nur eine Tatsache. "Der Hirntod ist der Tod des Menschen." Der Professor, Leiter des neurologischen Konziliardienstes der Münchner Unikliniken, gilt als ein Experte in allen Fragen des Hirntodes, als Gutachter arbeitet er und in Kommissionen der Bundesärztekammer. Kein Transplantationschirurg in Bayern, der nicht an ihn verweist. Immer wieder hat er in Diskussionen erklärt, was der Hirntod ist, in langsamen Worten, die Schultern etwas vorgebeugt. "Der Mensch ist dann tot, wenn seine Wesensmerkmale, wenn die körperlich-geistige Einheit unwiderbringlich zerstört ist", sagte er an einem Abend vor Bonner Abgeordneten. Und das geschehe, wenn das Gehirn abgestorben sei. Ein totes Organ könne weder eine bekannte noch eine unbekannte Funktion ausüben. Es sei naturwissenschaftlich und medizinisch falsch, Hirntote als Sterbende zu bezeichnen. Der Hirntod sei kein metaphysischer, sondern ein biologischer Sachverhalt. "Das ist keine Wertung des Menschen, so wie es keine Wertung des Sehens ist, wenn einer ohne Augen blind ist – es ist halt nimmer. Das ist banal, aber die letzten Dinge sind immer banal." Dass sich die Hirntod-Kritiker von seinen Argumenten hätten überzeugen lassen, war nicht zu erwarten. Viel zu oft haben sie gemeinsam auf einem Podium gesessen, jeder kennt die Worte des anderen. Als der Bremer Hirnforscher und Biologe Gerhard Roth referiert, der Mensch sei auch ein Mensch, weil er einen Körper habe, und wenn dieser funktioniere, dann sei er nicht tot, auch wenn das Gehirn abgestorben sei, da hat sich Heinz Angstwurm schon geärgert. Aber er sagt später nur, dass er ihn nicht verstehe. "Er stiftet Verwirrung, warum macht er das." In der Biologie bedeute Leben Verschiedenes, je nach dem, ob man von Lebewesen rede oder von der lebenden Zelle. "Auch mit dem unabänderlichen Herzkreislaufstillstand ist nicht alles Leben verschwunden, die Zellen leben noch lange weiter." Dass das Hirntod-Kriterium einmal angezweifelt werden könnte, damit hat Heinz Angstwurm nicht gerechnet. Von Anfang an habe er gedacht, dass man sich um die Grundlagen und um die menschliche Dimension kümmern müsse. Er legt Wert darauf, dass er Arzt ist, nicht Mediziner. "Medizin ist die naturwissenschaftliche Basis, aber das reicht nicht zum Arzt aus. Der Arzt muss ein www.poekl-net.at - Gritas Deutsch-Seiten 3 Herz haben für Menschen." "Man muss sich Zeit nehmen", sagt Heinz Angstwurm auch an diesem Sonntag Nachmittag. Mindestens ein bis zwei Stunden dauert die Diagnose des Hirntodes. Das EEG, das Elektroenzephalogramm, wird aufgebaut, die Elektroden am Kopf des Menschen befestigt. Wenigstens eine halbe Stunde muss das EEG laufen, um genau festzustellen, ob noch Hirnströme vorhanden sind. Nur eine Linie zeichnet das EEG beim Hirntoten auf, nicht eine Abweichung von der Geraden, nichts, es gibt nur die Stille. Heinz Angstwurm fragt die Ärzte nach der Vorgeschichte des Menschen, der da liegt, nach Krankheiten, Untersuchungsberichten, ob Medikamente festgestellt wurden oder Vergiftungen. Dann könnte auch ein tiefes Koma vorliegen, dem Hirntod ähnlich, dann wäre die Diagnose nicht erlaubt, sie könnte dem Menschen schaden. Jede einzelne Handlung der Diagnose ist festgelegt, die Beobachtungszeit danach, die zwischen zwölf und 72 Stunden dauert. Immer müssen zwei Ärzte, die nichts mit der Transplantation zu tun haben, die Diagnose vornehmen. Im Grunde, sagt Angstwurm, brauche er die Apparaturen nicht, um die Irreversibilität des Hirntodes zu beweisen. Er prüft all die vielen Reflexe, viele tausend Male hat er das in den vergangenen zwanzig Jahren getan: Er leuchtet in die Augen, wartet, ob sich die Pupillen nicht doch verengen; ob sie geweitet bleiben und nicht mehr so rund sind wie zu Lebzeiten. Er träufelt Eiswasser in das Ohr und schaut, ob die Augen auf diesen Reiz mit einer schnellen Bewegung reagieren; oder ob sie starr in ihrer Haltung verharren. Jede Stelle am Kopf, im Gesicht, an Armen und Beinen, im Rachen hat Bedeutung; wird eine gereizt, dann löst sie im Gehirn eine Reaktion aus, eine Bewegung, eine Veränderung der Pupillen, ein Husten oder Würgen. Zeigt sich nicht doch eine kleine Reaktion, ein einziger winziger Reflex? Dann ist dieser Mensch nicht hirntot. Nichts soll den Menschen gefährden, bevor die Diagnose nicht sicher ist. "Man muss sich Zeit nehmen", sagt Heinz Angstwurm. Die Ärzte in der Intensivstation haben die Angehörigen bereits gefragt, ob eine Organspende möglich ist. Doch auch er spricht mit ihnen, er sagt, sie könnten bei der Diagnose zuschauen, und er sagt ihnen auch, dass dies sehr schwer zu ertragen sei, vor allem wenn die Beatmungsmaschine abgeschaltet wird und sich die Brust nicht mehr hebt und senkt, kein Atemzug mehr kommen will. Es gebe Kollegen, die eine Anwesenheit der Angehörigen ablehnen, weil sie so viel Zeit koste. Man müsse viel erklären, man müsse an ihre durch Trauer und Schock eingeengte Verfassung denken, und man müsse trösten, sagen, dass der Mensch nicht habe leiden müssen. Schon 1976 habe er den Angehörigen angeboten, bei der Diagnose dabei zu sein, und immer mehr wollen dies. Manche verlangen auch nach den Unterlagen, um sie einem vertrauten Arzt zu zeigen. All dies tue er, "das ist ein Beitrag zur vollkommenen Offenheit, jeder kann alles wissen". (aus: Heidrun Graupner, Die Prüfung des Professor Angstwurm, in: Süddeutsche Zeitung, 25.06.97, leicht verändert und gekürzt) Arbeitsanregungen: 1. Arbeiten Sie die Position von Heinz Angstwurm heraus. 2. Nehmen Sie dazu Stellung. www.poekl-net.at - Gritas Deutsch-Seiten 4 ES GEHT UM LEBEN UND TOD Heribert Prantl Der Mensch schwitzt. Sein Herz schlägt. Sein Blut pulst durch die Adern. Ist er tot? Sein Hirn ist tot, also ist er tot, sagen die Mediziner. Doch der Mensch, den die Transplantationsmedizin "hirntot" nennt, ist noch keine Leiche. Eine hirntote Frau kann eine Schwangerschaft austragen. Trotzdem: Der Mensch mit abgestorbenem Gehirn ist tot, sagen die Mediziner – weil er nichts mehr empfinden, wahrnehmen, beobachten und beantworten, nichts mehr denken und nichts mehr entscheiden kann. Die Transplantationsmedizin will deshalb, dass das Gesetz eindeutig sagt: Hirntod = so gut wie tot = tot. Die Mediziner wollen davon ausgehen dürfen, dass sie das Herz einem Toten entnehmen – um vor dem Vorwurf der Tötung geschützt zu sein. Der Gesetzgeber soll also für den hirntoten Menschen generell den Totenschein ausstellen. Das ist eine Materie, die man sich schwieriger kaum vorstellen kann. Es geht um Leben und Tod - beim Empfänger des Organs und bei dem, den man den Spender nennt. Lange Zeit hat die Rechtswissenschaft den Tod als ein vorgegebenes Ereignis hingenommen. Friedrich Carl von Savigny, einer der berühmtesten deutschen Rechtsgelehrten, schrieb vor 150 Jahren: "Der Tod ist ein so einfacher Naturereignis, dass derselbe nicht, wie die Geburt, eine genaue Feststellung ihrer Elemente nötig macht." Genau das aber ist jetzt gefordert: Die genaue Feststellung der Elemente des Todes. Im Grundgesetz steht nichts davon, wann der Mensch stirbt. Dort heißt es lapidar: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Ist derjenige, dessen Gehirn nicht mehr arbeitet, kein "Jeder" mehr? Ist ein Kind, das ohne funktionsfähiges Gehirn geboren wird, kein lebender Mensch? Muss man die Lehre vom Hirntod so verstehen, dass das Gehirn der Sitz des Menschlichen ist und der "Restkörper" nur eine Sache darstellt? Viele Verfassungsjuristen sind verwirrt von solchen Fragen. Sie stellen fest, dass die Medizin den Zeitraum zwischen Leben und Tod schier beliebig verlängern kann und nun vom Recht die eindeutige Zuordnung dieser Zwischenphase in die alten Kategorien „lebendig" oder „tot" verlangt. Dieser Forderung verweigern sich viele Juristen: Ein Gesetz könne einen Sterbenden nicht zum Toten erklären, genau so wenig wie es einen Toten lebendig machen könne. Das ist plausibel. Alles was Recht kann ist dies: festlegen, welche Rechtsfolgen an irreversibles Hirnversagen geknüpft werden. Der Gesetzgeber kann nicht den Tod dekretieren, sondern nur Kriterien für die Organentnahme festlegen. Diese Kriterien müssen streng sein: Transplantation bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Spenders zu bewussten Lebzeiten; in besonderen Fällen mag die Zustimmung des Angehörigen genügen. Ein Transplantationsgesetz darf keinen Berechtigungsschein zur "nützlichen" Verwendung entscheidungsunfähiger Menschen ausstellen. Das wäre der Weg zur Euthanasie. (aus: Süddeutsche Zeitung, 25.06.97, leicht verändert und gekürzt) www.poekl-net.at - Gritas Deutsch-Seiten Arbeitsanregungen: Geben Sie den Inhalt des Textes in Form einer strukturierten Textwiedergabe wieder. Nehmen Sie zu den Auffassungen des Autors Stellung. 5