Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Hausarbeit Soziologie Kerstin Brand BF/M 06 Seite 1 von 16 14.05.2016 Matrikelnummer: 2034450 Thema. Gewalt gegen Pflegekräfte in der häuslichen / stationären Pflege erstellt am: 25.02.08 Seite 1 – 16 Inhaltsverzeichnis: Nr. Thema 1 Gewalt und Aggressionen in der Pflege 2 Gewalt gegen Pflegebedürftige 3 1.1.1. Strukturelle Gewalt 3 1.1.2. fürsorgliche Gewalt 3 1.1.3. Personelle Gewalt 4 Gewalt gegen Pflegekräfte 4 Gewaltäußerungen gegen Pflegekräfte 6 2.1. Verbale und andere nichttätliche Angriffe auf Pflegekräfte 6 2.2. Tätliche Angriffe und körperliche Gewalt 7 Ursachen / Risikofaktoren und Umgang mit Gewalt 8 3.1. Pflegeprozess und Interventionen 10 3.2. Schützende Maßnahmen und Gewaltprävention 11 4. Folgen von Gewalt gegen Pflegekräfte 13 5. Methodik 13 6. Fazit 14 7. Literatur 16 1.1. 1.2. 2. 3. Seite 1 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 2 von 16 14.05.2016 1. Gewalt und Aggressionen in der Pflege Als Gewalt bezeichnen wir sowohl die sozial und rechtlich legitimierte sowie auch die missbräuchliche Anwendung von physischen, psychischen und strukturellen Machtmitteln. Sie ist eine unangemessene (d.h. vermeidbare, unverhältnismäßig heftige) bzw. nicht legitimierte Anwendung von Machtmitteln zur Durchsetzung einer Absicht gegen den Willen einer anderen Person. Aggressionen sind affektbedingt. Im Menschen spiegelt sich ein feindseliges Verhalten wieder, dessen Ziel es ist, die eigene Macht zu steigern sowie die Macht des Gegners zu mindern. Aggressionen kennzeichnen sich durch feindseligaggressive Äußerungen und Handlungen. In der Pflege wird das Phänomen der Gewalt und Aggression häufig verschwiegen, obwohl vielfältige Formen von Gewalt in der Pflege, sowohl gegen Pflegebedürftige, als auch gegen Pflegende von unterschiedlichen Personen ausgeübt werden. Gewalt kann, muss jedoch nicht, von Aggressionen begleitet sein. In Anlehnung an die amerikanische Terminologie unterteilt man die Formen der Gewalt gegen alte Menschen in Vernachlässigung (neglect) und Misshandlung (abuse). Im ersten Fall unterscheidet man passive und aktive Vernachlässigung. Im zweiten Fall werden die Unterformen körperliche Misshandlung, psychische Misshandlung sowie auch finanzielle Ausbeutung und Einschränkung des freien Willens genannt. Während die erstgenannten Formen oft bei Fällen von familiärer Gewaltanwendung zu finden sind, ist letztere, die Einschränkung des freien Willens, häufig innerhalb von Institutionen festzustellen. Als Beispiel wären hierzu die freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu nennen. In den nachfolgenden Beispielen orientiere ich mich an der Unterteilung der Gewaltarten von Sträßner. 2 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 3 von 16 14.05.2016 1.1. Gewalt gegen Pflegebedürftige 1.1.1. Strukturelle Gewalt Strukturelle Gewalt wird immer dann ausgeübt, wenn Pflegebedürftige durch Infrastruktur, Organisationsstrukturen und Arbeitsorganisation gezwungen werden sich den organisatorischen Erfordernissen einer Einrichtung anzupassen, ohne darauf Einfluss nehmen zu können. Beispiele: o Pflegebedürftige können die Zeit der Pflege nicht mitbestimmen. o Pflegebedürftige müssen auch Pflegekräfte akzeptieren, die nicht über die notwendige Qualifikation, vor allem bei der Behandlungspflege, verfügen. usw. Dadurch kann es zu einem psychosozialen Hospitalismus kommen. Bei organisatorischen Erfordernissen, ist immer das Selbstbestimmungsrecht des Pflegebedürftigen zu berücksichtigen. 1.1.2. Fürsorgliche Gewalt Als fürsorgliche Gewalt, kann man die Überwindung des Willens des Pflegebedürftigen, zur Erreichung eines Pflegeziels bezeichnen. Vom Pflegepersonal wird zielgeleitete, zielorientierte Pflege durch den Gesetzgeber und Kostenträger gefordert. Vom Pflegebedürftigen wird eine Mitwirkungspflicht gefordert. Pflegende entscheiden aber oft in bester Absicht für den Pflegebedürftigen, weil sie meinen, zu wissen, was das Beste für den Pflegebedürftigen ist, ohne seine Wünsche zu respektieren. Paternalismus kann sich auch negativ auf den Pflegebedürftigen auswirken und eine Form der Gewalt darstellen, obwohl sie gut gemeint ist. Beispiele: o Pflegebedürftige sollen zunehmen/ abnehmen obwohl sie das nicht wollen um den vom MDK empfohlenen BMI von 24 zu erreichen. o Pflegebedürftige sollen Hilfsmittel, wie Hüftprotektoren zur Verminderung von Sturzfolgen benutzen, obwohl diese sehr teuer und unbequem sind. 3 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 o Pflegebedürftige Seite 4 von 16 werden auch auf 14.05.2016 ihren Wunsch nicht mehr mit Franzbrantwein eingerieben, weil dies den Pflegekräften als Pflegefehler ausgelegt werden könnte. usw. o Pflegebedürftige werden bevormundet und wie Kinder behandelt Die compliance dieser Maßnahmen wird häufig durch Patientenedukation mittels Beratung und Aufklärung erreicht. Besteht bei einem einsichtsfähigen Pflegebedürftigen non compliance, ist diese zu beachten. Bei dieser Art der Gewaltanwendung, sind die Maßnahmen oft gut gemeint und werden häufig weder vom Täter und oft auch nicht vom Opfer und seiner Umgebung als Gewalt erlebt. Es wird vor allem im Bereich von gefahrenträchtigen Pflegesituationen (Sturzgefahr, Dekubitusgefahr, Malnutration, Dehydratation, Kontinenzförderung und anderen erforderlichen Prophylaxen) oft auch eine institutionelle Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen indirekt durch den MDK ausgeübt, weil Pflegende aus Angst vor negativen Prüfberichten, Interventionen gegen den Willen von Pflegebedürftigen durchführen um bei den Outcomes den Anforderungen von Expertenstandards und den Anforderungen des MDK Prüfkataloges, gerecht zu werden. 1.1.3. Personelle Gewalt Personelle Gewalt ist die von Personen gegen Personen ausgeübte Gewalt. Persönliche und soziale Defizite von Pflegekräften und Angehörigen sowie physische und psychische Überforderung der Pflegekräfte und Angehörigen sind häufig kausal für die Ausübung von Gewalt gegen Pflegebedürftige. Man unterscheidet dabei in Gewalt durch konkretes Handeln oder Unterlassen. Beispiele: o Pflegebedürftige werden gegen ihren Willen, oft auf Wunsch der Angehörigen, vom Pflegepersonal eingeschlossen. o Pflegebedürftige werden aus Zeitmangel oder als Sanktionsmaßnahme für unerwünschtes Verhalten nicht gewaschen, geduscht oder gebadet. o Pflegebedürftige werden gegen ihren Willen gewaschen oder gebadet. o Pflegebedürftigen wird die Transferhilfe / Schuhe weggenommen. o Pflegebedürftige werden zum Essen gezwungen, damit der gewünschte BMI erreicht wird. 4 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 5 von 16 14.05.2016 o Pflegebedürftige werden ignoriert und psychisch vernachlässigt. o Pflegebedürftige werden beleidigt, bedroht, bestraft, lächerlich gemacht, angeschrieen und beschuldigt. o Pflegebedürftige werden grob angefasst, geschubst, geschlagen und sogar getötet. usw. o Vernachlässigung und gefährliche Pflege (bei gefahrenträchtigen Pflegesituationen) o Eingriff in die Privatsphäre o Materieller Missbrauch (Zugang zum Eigentum wird versperrt, Betrug, Diebstahl) o Missbrauch der Machtposition o Demütigung, Bloßstellung Es findet keine Gewaltanwendung statt wenn der Pflegebedürftige mit Interventionen einverstanden ist. (z.B. bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen / Bettseitenteile zur Verhinderung von Stürzen) Die personelle Gewalt wird vom Gesetzgeber geahndet, wenn sie zur Anzeige gebracht wird. Gerade diese Gewalt wird häufig verschwiegen, weil sich diese Form der Gewaltanwendung viele Pflegenden bei ihren Kollegen oder den Angehörigen nicht vorstellen wollen oder können. Es besteht Angst vor einer ungerechtfertigten Beschuldigung. Die Opfer selbst sagen häufig nichts, weil sie von den Tätern abhängig sind und eventuell Nachteile befürchten müssen, wenn ihnen nicht geglaubt wird. Mit dem Thema Gewalt gegen Pflegebedürftige beschäftigen sich viele Institutionen, die Presse und der Gesetzgeber. Es gibt viele Publikationen zu diesem Thema. Wesentlich weniger im Focus der Öffentlichkeit ist das Thema zur Gewalt gegen Pflegekräfte. 5 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 6 von 16 14.05.2016 1.2. Gewalt gegen Pflegekräfte „Nach einer Erhebung des National Health Service (NHS), der in Großbritannien zuständig für die öffentliche Gesundheitsversorgung ist, wird Pflegepersonal jährlich 65 000 Mal angegriffen, doppelt so häufig wie andere Gesundheitsberufe.“ aus Matscheko N.(Jahr unbekannt): Gewalt in der Pflege – Ein Tabuthema?, Vortragsskript des Lehrers für Pflegeberufe, Leiter der Bayerischen Pflegeakademie, Gesundheitsmanager(FH), München S 1 Meist ist nur die Rede von schlecht behandelten, alten Menschen, niemals aber von der immer weiter zunehmenden Zahl gewalttätiger, alter Menschen und ihrer Angehörigen. Gewalt gegen Pflegekräfte ist kein populäres Thema, dass in den Medien oder vom Gesetzgeber aufgegriffen wird. Durch die Literaturrecherche zu dieser Hausarbeit ist deutlich geworden wie selten dieses Thema in der Öffentlichkeit oder von der Wissenschaft aufgegriffen wird und es gibt dazu sehr wenige Veröffentlichungen. Die meisten Publikationen sind im Bereich der psychiatrischen Pflege zu finden. Durch Gespräche mit erfahrenen Pflegefachkräften in Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, ist mir bewusst geworden, dass Gewalt gegen Pflegekräfte von den Pflegenden oft verdrängt wird, als zum Beruf gehörend empfunden und vom Arbeitgeber mit einem Schulterzucken abgetan wird. 2. Gewaltäußerungen gegen Pflegekräfte Die Gewalt gegen Pflegende ist sehr vielfältig und wird von verschiedenen Personen ausgeübt. Verbale und tätliche Angriffe auf Pflegende sind leider heute keine Seltenheit mehr. Leider gehen nicht alle Pflegenden dagegen konsequent vor. Viele Pflegende und Arbeitgeber sehen diese Gewalt als zum Beruf gehörend an und ignorieren die Folgen. 2.1. Verbale und andere nichttätliche Angriffe auf Pflegekräfte Verbale und nicht tätliche Angriffe gegen Pflegende sind zum Beispiel: Beleidigungen Verleumdungen 6 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 7 von 16 14.05.2016 Beschuldigungen Abwertungen Erpressung Verbale sexuelle Belästigung Verletzen von Kommunikationsregeln – nicht ausreden lassen, nicht zuhören Meinungskampf Ultimaten, passiver Widerstand, Verweigerung Beispiele für solche Verbalen und nichttätlichen Angriffe sind vor allem Beleidigungen. Dazu gehört auch das Duzen der Pflegekraft. Äußerungen, wie: „Kannst du denn gar nichts richtig machen?“ „Das kann ja jede Dreijährige besser.“ „Du bist ja völlig unfähig.“ und Schimpfwörter aller Art und Anzüglichkeiten oder Äußerungen zum Aussehen oder zum Gewicht der Pflegekraft. Durch die Behauptung, dass Pflegeleistungen nicht oder nicht ordentlich durchgeführt wurden, werden Pflegende verleumdet. Diese Behauptungen können bis zur Beschuldigung des Diebstahls oder der Unterschlagung gehen (vor allem bei Schmuck und Geld) Die Unschuld der Pflegekraft ist immer schwer zu beweisen, da der Vorwurf in jedem Fall untersucht werden muss, da er ja auch berechtigt sein kann. Wenn der Vorwurf nicht ausgeräumt werden kann, kann es zum Verlust des Arbeitsplatzes kommen. 2.2. Tätliche Angriffe und körperliche Gewalt Die meisten tätlichen Angriffe auf Pflegende werden in der psychiatrischen Pflege beobachtet. Aber auch in der häuslichen Pflege und in Altenpflegeeinrichtungen kommt es immer wieder zu Gewalt gegen Pflegende, die nicht immer nur von dementiell Erkrankten ausgeht. Tätliche Angriffe und körperliche Gewalt Körperverletzung - Schlagen, Beißen, Kratzen, Boxen, Festhalten, Treten Werfen von Gegenständen, Essen, Trinken, Fäkalien Gefährliche Gewalt - Angriffe mit Gegenständen (Axt, Messer, usw.) Absichtliches boykottieren von Pflegehandlungen (schwermachen, fallen lassen) Sexuelle Übergriffe 7 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 8 von 16 14.05.2016 3. Ursachen / Risikofaktoren und Umgang mit Gewalt Biologische Ursachen wie Stoffwechselstörungen (z.B. Blutunterzuckerung, hormonelle Einflüsse und hirnorganische Beeinträchtigungen) Soziale Faktoren (niedrigeren sozioökonomischen Status, frühkindliche Vernachlässigung und Traumatisierung, schwere Misshandlungen und Kriegserlebnisse) Psychische Faktoren (psychotische Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen) Kontextfaktoren (Verstrickungen in familiäre Konflikte, Verstrickung in Institutionskonflikten, fehlende soziale Kontrolle und die Anwendung von offener Gewalt als akzeptierte Verhaltensweise hinweisen) Risikofaktoren Zu den Risikofaktoren gehören: die äußeren Faktoren, welche durch massive äußere Belastung, Erschöpfung, schwere Kränkung durch Verlust der sozialen Rolle und die soziale Nähe zum Opfer gekennzeichnet sind, Abwertung des Berufsbildes in der Öffentlichkeit (siehe Beispiele) die Persönlichkeitsmerkmale, Persönlichkeit mit Überempfindlichkeit auf Kritik, schwere Kränkbarkeit, plötzliche Stimmungswechsel, Reizbarkeit, Verlust des Erkrankungen), Realitätsbezuges dissoziale (insbesondere Persönlichkeit, fehlende bei psychotischen Selbstkritik, krass egozentrisches Verhalten, Gewissenlosigkeit, fehlende Frustrationstoleranz, starke sexuelle Triebhaftigkeit sowie Rauschzustände und Psychosen Beispiele für Ursachen und Risikosituationen Die Ursachen für Gewalt gegenüber Pflegenden sind vielfältig. Eine Ursache ist natürlich auch die von Pflegenden und Institutionen gegen Pflegebedürftige ausgeübte Gewalt, denn Gewalt erzeugt wieder Gewalt. Oder das alte Sprichwort: „Wie man in den Wald hineinruft – so schallt es zurück.“ Man spricht bei der institutionellen Gewalt auch von Hospitalismus. Die Pflegebedürftigen werden gezwungen sich den Strukturen der Altenpflegeinrichtung zu unterwerfen, oder erleben selbst Gewalt von Pflegenden, Angehörigen oder anderen Mitgliedern des 8 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 9 von 16 14.05.2016 multiprofessionellen Pflegeteams. Viele Pflegebedürftige fühlen sich auch ausgenutzt und abgezockt, obwohl die Abrechnung durchaus korrekt ist, oder verstehen nicht, dass nicht jede gewünschte Leistung auch von den Kostenträgern vergütet wird und selbst zu zahlen ist (betriebswirtschaftlich – eingekauft werden muss). Das frustriert sowohl Pflegebedürftige und Angehörige und die Aggression wird dann gegen Pflegende gerichtet. Eine weitere Ursache für Gewalt gegen Pflegende ist auch das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der eigenen Erkrankung und der daraus resultierenden Pflegebedürftigkeit, die oft nicht mehr reversibel ist. Pflegende werden indirekt dafür verantwortlich gemacht, oder beschuldigt nicht genug zu tun um das Gesundheitskontinuum zu verbessern. Manchmal ist dieser Unmut auch zu verstehen, wenn dringend benötigte Hilfsmittel oder Rehabilitationsmaßnahmen von den Kostenträgern abgelehnt werden. Die Pflegebedürftigen machen die Pflegenden stellvertretend dafür verantwortlich. Gesundheitssystems) Weitere (als Ursachen einzige für greifbare Gewalt gegen Mitglieder des Pflegende sind psychische Erkrankungen auf die hier aber nicht näher eingegangen wird. Pflegende die länger als 20 Jahre im Beruf sind äußern oft, dass es eine Abwertung des Berufes der Krankenschwester nach der Wende gegeben hat. Die Ausbildung wurde von einem Studium (Fachschule) zu einer 3 jährigen Berufsausbildung verändert. Mit den Berufsbezeichnungen Altenpfleger und Gesundheits- und Krankenpfleger können viele Menschen nichts mehr anfangen und denken es wären minderwertige Ausbildungen. Die Verantwortung von Pflegenden bei der Berufsausübung ist immer mehr beschnitten worden (selbst für Einreibungen wird eine ärztliche Verordnung benötigt). Pflege ist durch die Strukturen des heutigen Gesundheitswesens zu einer reinen Dienstleistungserbringung gemacht worden und der Pflegebedürftige muss sich betriebswirtschaftlich „rechnen“. Die Medien zeigen fast immer nur negative Beispiele von Pflegeeinrichtungen. Ich habe diesen Wandel des Berufsbildes auch so empfunden. Als Gemeindeschwester war ich für alle Bewohner unseres Dorfes Ansprechpartner. Die Aufgaben waren vielfältig und reichten von der Mütterberatung bis zur häuslichen Krankenpflege, dem Vorbereiten und Begleiten der ärztlichen Sprechstunde, dem Vorbereiten und Durchführen von Hausbesuchen, 9 Durchführen einfacher Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 10 von 16 14.05.2016 Physiotherapie, Diabetikerberatung, Notfalleinsätze und vieles mehr. Der Beruf der Krankenschwester war anerkannt und hatte ein gesellschaftliches Ansehen, dass man heute oft vergeblich sucht. Bis vor 1,5 Jahren habe ich in Leitungstätigkeit in einem ambulanten Pflegedienst gearbeitet. Vor allem verbale Entgleisungen in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Beschuldigungen und Verleumdungen und auch tätliche Angriffe von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen gegen Pflegende habe ich selbst erlebt oder bei Kollegen beobachtet. Die negativen Medienberichte verunsichern viele Pflegebedürftige und deren Angehörige. Das führt mitunter auch zu makaberen Situationen. Die Äußerung einer Pflegebedürftigen in einem Pflegeheim nach so einem Fernsehbericht: „ Bei Euch (im Pflegeheim) ist es sehr schön – aber in ein Heim muss ich doch nicht? – da ist es ja furchtbar.“ aus den Schilderungen einer Teilnehmerin einer gerontopsychiatrischen Fortbildungsveranstaltung, bei der ich als Dozentin tätig war. 3.1. Pflegeprozess und Interventionen Gewalt und Gewaltbereitschaft muss im Pflegeprozess konkret benannt werden und als Pflegeproblem oder als Pflegediagnose identifiziert werden. Pflegeprozess: - eine aussagefähige Biographie- und Anamnesearbeit und weitere Informationssammlung um Probleme frühzeitig erkennen zu können - Ressourcen nutzen und erkennen (Vereinsamung verhindern, Selbsthilfegruppen, Angehörige und andere soziale Netzwerke, vermitteln zusätzlicher Hilfen) - Pflegeziele müssen immer den Wünsche und Interessen des Pflegebedürftigen entsprechen - Alle Interventionen mit dem Pflegebedürftigen absprechen und Wünsche respektieren, auch wenn sie nicht mit den neuesten pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmen. Beratungen zu den Maßnahmen durchführen, das erhöht die Compliance. - Den Pflegebedürftigen immer als Menschen akzeptieren und annehmen und für Probleme Anteilnahme und Verständnis zeigen. - Moderne Methoden der gerontopsychiatrischen Pflege anwenden. (Validation, basale Stimulation, Realitäts- Gesprächsgruppen, u.a.) 10 Orientierungstraining, Mäeutik, Brand K. - Matrikelnummer: 2034450 Seite 11 von 16 14.05.2016 Bei tätlicher Gewalt, Beleidigungen oder sexueller Belästigung aber auch deutliche Grenzen setzen, den Vorfall nicht beschönigen und korrekt dokumentieren und dem Arbeitgeber melden, den Pflegebedürftigen / Angehörigen (bei Sach- und Personenschäden) – auch finanziell – zur Rechenschaft ziehen und den Pflegevertrag eventuell kündigen. 3.2. Schützende Maßnahmen und Gewaltprävention Selbstschützende Maßnahmen für Pflegende müssen durch den Arbeitgeber möglich gemacht werden, denn der Arbeitgeber hat gegenüber den Pflegenden eine Fürsorgepflicht. Diese ergibt sich aus dem ArbSchG, den daraus resultierenden Unfallverhütungsvorschriften der Unfallkassen und dem SGB VII. Manche Arbeitgeber sind gegenüber dem Thema "Gewalt gegen Pflegekräfte" blind und beratungsresistent. Probleme mit Gewalt werden entweder verleugnet oder mit einem Schulerzucken abgetan. Pflegende müssen die Möglichkeit haben: - die Situation zu verlassen. - sich zu melden (Diensthandy, Möglichkeit außerhalb der Institution zu telefonieren). - sich außer Reichweite des Angreifers zu begeben. - sich dem Vorgesetzten oder Kollegen anzuvertrauen. - Betreuung und Nachsorge nach einem Übergriff zu erhalten. - verbale und nonverbale Deeskalationsstrategien zu erlernen. - sich als betroffener Mitarbeiter ablösen zu lassen. - sich Hilfe zu holen, wenn sie unmittelbare Vorzeichen für Gewalt und Aggressionen erkennen. (Drohgebärden – non verbal, Gereiztheit, motorische Unruhe) - den Vorfall im Verbandbuch zu dokumentieren und ärztliche oder psychologische Hilfe zu erhalten. - einen Ansprechpartner zu konsultieren, Kontakt zu halten, Ursachen ermitteln und Maßnahmen einleiten zu können um sich selbst und die Mitarbeiter zu schützen. - Sachschäden ersetzt zu bekommen. 11 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 12 von 16 14.05.2016 Deeskalation bzw. Gewaltprävention erfolgen dabei auf mehreren Ebenen. Die patientenbezogene Prävention erfolgt über Zuwendung und basiert auf modernen Konzepten der Patientenbetreuung. Die mitarbeiterbezogene Prävention kann durch Supervision, Teamgespräche und Fallbesprechungen unterstützt werden. Die Prävention im persönlichen Umfeld (Familie, Mitbewohner, Nachbarn) kann durch das multiprofessionelle Team unterstützt werden. Kommt es zu einer schweren Gewaltgefahr, sollte ein Vorgehen auf mehreren Ebenen erfolgen. Denn gewaltbereite Menschen brauchen eine einfache, klare, authentische und vom ganzen Helfersystem getragene Botschaft und eine klare Positionierung des Arbeitgebers bei Gewalt gegen Pflegende. Möglichkeiten der Beeinflussung von Gewalt (Hirsch, 1997, zit. In Hirsch, 2000) Institution: „Philosophie“ ,Struktur, Arbeitsbedingungen, Unterstützung des Personals, Qualifikation des Personals, Qualitätssicherung, Pflegemanagement, Ausreichende Anzahl des Personals, Fortbildungsmaßnahmen (auch Supervision), Psychohygiene, Räumliche Aufteilung der Zimmer u.a., Architektur, Arbeitsmittel Personal: Teambesprechung, Dokumentation, Gegenseitige soziale Unterstützung, Fachliche Kompetenz, Klärung von Beziehungsproblemen (Nähe/Distanz), Arbeitsmotivation Vorgesetzte: Soziale Unterstützung, Förderung von Emanzipation und Teamarbeit, „Helfen“ statt „Strafen“, Förderung von Problembewusstsein, Erarbeitung von Alternativen zur Gewalt Region: „Runder Tisch“, Beratungs- und Krisenstelle, „Gewalt-Telefon“, Öffentliche Veranstaltungen Gesellschaft: Anerkennung der Arbeit mit alten Menschen, Enttabuisierung von „Gewalt“, Einstellung zum Alter u. Altern, Gleichstellung von somatisch und psychisch Kranken 12 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Wissenschaft: interdisziplinäre Seite 13 von 16 Forschung 14.05.2016 zur „Gewalt“, Untersuchung von Alternativen Um in der Situation eines tätlichen Angriffes die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu bewahren bzw. wieder bekommen, hat FELDT et al. (1992) folgende Strategie für Pflegekräfte entwickelt: „S.T.O.P. Strategy“ S – Slow down (Werde langsamer) T – Think about what happening (Überdenke das Geschehen) O – Options (Wahlmöglichkeiten) P – Plan to have some time for yourself (Plane Zeit für dich zu haben) 4. Folgen von Gewalt gegen Pflegekräfte Gewaltfolgen sind körperliche und vor allem seelische Schäden und Beeinträchtigungen. Dazu gehören Schlafstörungen, Angst, Gefühl der Ohnmacht, Hilflosigkeit, Stress, psychosomatische Beschwerden, und vieles mehr. Wenn vom Arbeitgeber keine Hilfe gewährt wird, oder das Problem verharmlost wird, kann Gewalt gegen Pflegende zu Arbeitsunfähigkeit und oder zu Burout führen. Dieses Wiederum kann auch Gewalt gegen Pflegebedürftige zur Folge haben. 5. Methodik Die Methodik zur Bearbeitung dieses Themas erfolgte vor allem durch eine Literaturrecherche in den Datenbanken Pub med und Medline. Bei Google scholar wurde nach wissenschaftlichen Beiträgen zu dieser Thematik gesucht sowie in den Zeitschriftenkatalogen des Springer Verlages und beim Huber Verlag. Außerdem erfolgte eine Handsuche in der Universitätsbibliothek in Erfurt und bei der Unfallkasse Thüringen in Gotha. Suchbegriffe Gewalt, Pflege, Pflegende, Pflegebedürftige, Aggression, force, care, nurse 13 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 14 von 16 14.05.2016 Eine weitere Methode war die Auswertung und Zusammenfassung von Interviews, Erzählungen und Brainstorming von Pflegenden in Veranstaltungen der Fort- und Weiterbildung (Pflegedienstleiterkurs 20 Teilnehmer aus Thüringen und Sachsen; Weiterbildung zum Praxisanleiter 10 Teilnehmer aus Thüringen; Qualitätsmanagement 15 Teilnehmer aus Thüringen und Sachsen; Fortbildung für Pflegedienstleiter zum Thema Pflegevisite 14 Teilnehmer aus Thüringen, Sachsen und Berlin) und aus Interviewergebnissen bei Mitarbeiterbefragungen zu Qualitätsprüfungen (QPP TÜV Rheinland) in der Pflege. 6. Fazit In einer Befragung von Heimleitern und Pflegepersonal zur Gewalttätigkeit in Altersund Pflegeheimen kommt SCHNEIDER (1990) u.a. zu folgenden Hypothesen: Gewalttätigkeit und prosoziales Verhalten unter den Bewohnern, von den Bewohnern dem Personal gegenüber, unter dem Personal sowie vom Personal den Bewohnern gegenüber beeinflussen sich gegenseitig. Eigenschaften der Bewohner wie Verwirrtheit, geringe soziale Kompetenz, geringe Berücksichtigung der Situation des Personals, Unzufriedenheit mit der Lebenssituation, erlebte Belastung und die Sozialisationserfahrungen können zur Gewalt beitragen. Eigenschaften des Personals wie niedriges Lebensalter, geringe Motivation zur Veränderung des eigenen Verhaltens, geringe Zustimmung zur Heimorganisation, hohe Belastung, geringe Lebenszufriedenheit und häufige Gewalterfahrungen in der Kindheit sind gewaltfördernd. Je größer die Institution (viele Bewohner, viel Personal, starke Arbeitsspezialisierung), umso leichter kann es zu Gewalt kommen. Auf die Frage nach möglichen Prädiktoren für körperliche und seelische Misshandlung fanden PILLEMER UND MOORE (1989, 1990) drei wichtige Faktoren heraus. Die Arbeitszufriedenheit, das Ausmaß der Infantilisierungstendenzen gegenüber den alten Menschen und die Burnout-Symptome. Mitarbeiter, die mit ihrer Arbeit unzufrieden waren, alte Menschen wie Kinder behandelten und sich stets überlastet und ausgebrannt fühlten, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu Misshandlungen zu greifen. 14 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 15 von 16 14.05.2016 Die Autoren führen Misshandlungen in der stationären Altenpflege einerseits auf konflikthafte Beziehungen insbesondere auf zwischen belastende Personal und Arbeitsbedingungen Heimbewohner, zurück. Unter aber belastende Arbeitsbedingungen fassen sie konflikthafte Arbeitsbeziehungen, aggressives Verhalten von Seiten der Bewohner/Innen gegen die Pflegekräfte, körperlich anstrengende Arbeit, geringe Bezahlung, mangelndes Berufsprestige und fehlende Kenntnisse im Umgang mit Stress und Konflikten. STANNARDS (1973) hat anhand einer teilnehmenden Beobachtungsstudie festgestellt, dass Misshandlungen von Seiten des Pflegepersonals oft die Reaktion auf Angriffe der Heimbewohner/Innen gegen das Personal waren. Hinzu kamen Situationen, in denen das Personal der Meinung war, dass die Heimbewohner/Innen die Absicht hatten, mehr Arbeit zu verursachen. Dies war besonders der Fall bei Einkoten. Aggressionen der Heimbewohner sind für das Pflegepersonal ein vielschichtiges Problem. In einer Studie von FISCHER (1981) bezeichnen 51% der von ihm befragten 39 Pflegepersonen die Aggressivität der Heimbewohner als ein Problem, das in ihrer täglichen Arbeit oft vorkäme. Viele der in den Interviews und im Brainstorming zusammengetragenen Ergebnisse dieser Hausarbeit decken sich mit den oben vorgestellten Forschungsergebnissen zu Ursachen, Auswirkungen und Wechselwirkungen von Gewalt in der Pflege. Nahezu alle zu dieser Thematik befragten Pflegenden äußerten sich dahingehend, dass sie sich von der Gesellschaft und den Pflegebedürftigen/ Angehörigen nicht oder nicht mehr anerkannt und emotional, körperlich und finanziell ausgenutzt fühlen. In der Unterrichtssituation wurde das Problem der Gewalt gegen Pflegende von den Pflegenden erst an zweiter Stelle erkannt. Es wurde auf die Frage: „Was ist für Sie Gewalt in der Pflege?“ zuerst immer die Gewalt gegen Pflegebedürftige benannt. Zuerst wurde die Problematik der Gewalt gegen Pflegende von den Pflegedienstleitern in Ausbildung erkannt. Ohne die Information die Problematik noch einmal zu überdenken wurde das Problem durch die angehenden Praxisanleiter nicht erkannt. Das kann zum einen an der Alterstruktur und in der größeren Berufserfahrung der Pflegedienstleitungen liegen. 15 Brand K. Matrikelnummer: 2034450 Seite 16 von 16 14.05.2016 Es besteht ein großer Forschungsbedarf zu diesem Thema. Die Öffentlichkeit sollte von den Medien zur Thematik Gewalt gegen Pflegende genauso informiert werden, wie über die Thematik Gewalt gegen Pflegebedürftige. Der Beruf der Gesundheitsund Krankenpfleger/in und der Altenpfleger/in sollten durch die Gesellschaft wieder aufgewertet werden und die nötige Anerkennung erhalten. Im Bereich Bildung besteht in den Gesundheitsberufen großer Handlungsbedarf. In anderen Ländern (Skandinavische Länder, Schweiz, Amerika) sind diese Berufe Studiengänge wie dies auch in der DDR üblich war. Ein erster Anfang ist mit den Bachelor Studiengängen (Bachlor of nursing) durch die in der Bologna Konferenz beschlossene Angleichung des europäischen Hochschulraumes gemacht worden. Das kann auch die Akzeptanz und die Anerkennung des Berufes in der Gesellschaft fördern. 6. Literatur Matscheko N.(Jahr unbekannt): Gewalt in der Pflege – Ein Tabuthema?, Vortragsskript des Lehrers für Pflegeberufe, Leiter der Bayerischen Pflegeakademie, Gesundheitsmanager(FH), München Berger A. (2005): Aggression, Gewalt und Zwang in der psychiatrischen Pflege, Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten für Pflegepersonen in eskalierenden Situationen, Institut für Fort- & Weiterbildung der Gesellschaften der Alexianerbrüder in Kooperation mit der Charité - Universitätsmedizin Berlin, Lutherstadt Wittenberg Graß H.(2006): Gefahren für alte Menschen in der Pflege, Institut für Rechtsmedizin Klinikum der Universität zu Köln in Zusammenarbeit mit Staatsanwältin Gabriele Walentich, Landespräventionsrat Nordrhein-Westfalen Kranich M.(Jahr unbekannt):Umgang mit Aggressionen und Gewaltimpulsen in der Pflege alter Menschen, Rheintaler Alterstagung, Köln Rieder K. (1999): Zwischen Lohnarbeit und Liebesdienst – Belastungen in der Krankenpflege, Juventa Verlag Weinheim und München Sträßner H.(2006): Gewalt in der Pflege – ein Überblick, Pflege und Krankenhausrecht 9.Jg 02/06 S. 44/45 Unfallkasse Thüringen(2004): GUV-I 8599, Traumatisierende Ereignisse in Gesundheitsberufen, HrsG. Bundesverband der Unfallkassen, München Zimbardo Phillip G. (1995): Psychologie, Springer Verlag, Berlin Heidelberg Herausgeber der deutschen Ausgabe Hoppe Graff S. und Keller B. 6.Ausgabe Mittelhausen den 29.02.08 _______________________________________ 16