Peter C. Scriba, München - Evangelische Akademie Tutzing

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Das Ausbalancieren von Verantwortlichkeiten und
Interessen als gesellschaftliche und politische Aufgabe.
Peter C. Scriba, München
Evangelische Akademie Tutzing, 28.4.2004
Verantwortlichkeiten, das ist nach dem bereits Gehörten und nach
dem Programm dieser Tagung eine Pluralität von Verantwortlichen,
die von den Betroffenen, also den Versicherten oder den Patienten, bis
zu Repräsentanten und Beschäftigten im Gesundheitswesen reicht.
Gibt es eine gemeinsame Verantwortung?, möchte ich zuerst fragen.
Ja, es gibt sie. Sie lässt sich beschreiben durch das Ziel der
Qualitätsoptimierung über das gesamte Spektrum der Versorgung, von
der Prävention bis zu Rehabilitation und Pflege. Und für die
Erreichung dieses Gesundheitszieles ist ein gewisser Altruismis
Voraussetzung.
Interessen zum anderen sind legitim. Es handelt sich vor allem um
ökonomische Interessen. Wer bei diesem Punkt von mir
wohlformulierte Empörung und ethisch verbrämte Überheblichkeit
des Arztes über die Ökonomie erwartet , der wird enttäuscht werden.
Arztsein und ökonomische Zwänge waren schon immer untrennbar.
Selbst eine Mutter Theresa konnte nicht ohne Nahrung, ohne Kleidung
und ohne Behausung ihren segensreichen Beitrag u.a. zur
Krankenversorgung leisten. Sie tat das bekanntlich auf der Basis eines
1
herausragenden Altruismus, zu dem sonst wohl kaum einer befähigt
ist. Im richtigen Leben wird es auf eine gerechte Balance zwischen
notwendigem Egoismus für sich und die eigene Familie einerseits und
eine Portion Altruismus andererseits ankommen, ohne die weder Arzt
noch andere Beteiligte auskommen, und hier schließe ich die
Betroffenen ausdrücklich ein.
Ausbalancieren das heißt letztlich politische Entscheidung durch
demokratisch authorisierte Instanzen, nach möglichst breiter
öffentlicher Diskussion und Bildung einer Mehrheitsmeinung, welche
den Minderheiten zugemutet werden kann. Dabei bewirkt dieser
Meinungsbildungsprozess schon erste Änderungen des Gesellschaftsverhaltens. Diese werden anschließend durch Anreizmechanismen
überwiegen ökonomischer Natur beschleunigt.
Dieser Vortrag hat sechs Kapitel :
1. Staatsmedizin --Beispiel : DMP Diabetes.
2. Politikerberatung.
3. Versorgungsforschung.
4. Qualitätsverbesserung durch Strukturentwicklung.
5. Finanzierung der Krankenversorgung
6. Gesundheitsförderung und Prävention.
Mit diesen Kapiteln möchte ich versuchen, meine Sicht vom
Ausbalancieren zu verdeutlichen.
2
Bei jeder Reform im Gesundheitswesen, - und von denen hat es in den
letzten Jahrzehnten sehr viele gegeben, - ertönt die Warnung vor
einer Staatsmedizin.
Staatsmedizin als Bedrohung der ärztlichen Aufgabe, was ist da dran ?
Können staatlich-ökonomische Eingriffe die ärztliche
Versorgungsaufgabe gefährden?
Die Krankenversorgungsaufgabe liegt in unserem Lande primär beim
Staat. Basierend auf dem Grundgesetz,
Art. 1 – Menschenwürde,
Art. 2 – Körperliche Unversehrtheit,
Art. 3 – Gleichheit,
Art. 20 – Sozialstaat und
Art. 74 – Nr. 7 (öffentliche Fürsorge),
Nr. 19a (Sicherung der Krankenhäuser) und
Nr. 26 (künstliche Befruchtung etc.)
wurden die Sozialgesetzbücher und deren laufende Verbesserungen
geschaffen . Das SGB steuert die Handelnden in der ambulanten
Praxis und im Krankenhaus, wobei der Staat den Versorgungsauftrag
vielfältig delegiert.
Sehen wir uns das etwas genauer an:
Wir haben hier in dem fetten Kasten, die Beziehung zwischen
Patienten und den Versorgungssektoren, den Vertragsarzt links und im
Krankenhaus rechts. Beim Vertragsarzt erfolgt die Vergütung
bekanntlich über die kassenärztlichen Vereinigungen. Krankenhäuser
erhalten ihr Geld direkt von den Kassen.
3
Auf der Ebene der Legislative regeln die bereits genannten Gesetze
diese Beziehungen. Die Exekutive beaufsichtigt als Bund die Bundes
KV, die bundesweiten Kassen und die Spitzenverbände. Die
Landesministerien beaufsichtigen die regionalen kassenärztlichen
Vereinigungen, und die regionalen Kassen sowie die Landesverbände.
Das Krankenhauswesen steuern sie über den Bedarfsplan. Für den
Versicherten besteht Wahlfreiheit bezüglich Krankenkasse,
Krankenhaus und Vertragsarzt. Kontrahierungspflicht für die Kassen
und Behandlungspflicht für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte
runden das Bild ab.
Und dann gibt es noch die Ärztekammern. Diese sind durch
Landesgesetz Körperschaften öffentlichen Rechts mit
Pflichtmitgliedschaft aller Ärzte. Die Ärztekammern haben als sehr
schwierige Verantwortung die Doppelaufgabe:
-
die Wahrung der beruflichen Belange der Ärzteschaft und
-
als hoheitliche Aufgabe die Aufsicht über die Ärzte.
Weitere Aufgaben der Ärztekammern sind:
-
Medizinische Ausbildung und Fortbildung,
-
Sorge für einen sittlich- und wissenschaftlich hochstehenden
Ärztestand,
-
Ordnung der ärztlichen Berufspflichten und der
Weiterbildung u.a.
4
Das alles sollte nur den Rahmen zeigen. Keine Frage: ärztliches
Handeln ist integraler Bestandteil des Staates und staatliches und
ärztliches Handeln könnten eigentlich gut mit einander auskommen.
Wenn da nicht eine ganze Reihe von Ärgernissen wären, die je
nachdem von beiden Seiten unterschiedlich vorgebracht werden. Als
dieser Vortrag verabredet wurde, bestanden große Sorgen wegen der
Pläne für die jetzt als „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in
der Medizin“ nach §139a in der Erstehung begriffene Einrichtung.
Das ganze wurde in den Verhandlungen der Ministerin Schmidt und
des früheren Ministers Seehofer aber wohl doch entschärft.
Was hatten wir bisher?
-
Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen,
-
Ausschuss Krankenhaus,
-
Koordinierungsausschuss.
Ich erspare uns eine nähere Beschreibung dieser allgemeinen
bekannten Einrichtungen. Sie sind paritätisch zusammengesetzt und
dienen im wesentlichen der Definition des von der GKV, und auf
diese beschränke ich mich heute, von der GKV vergüteten
Leistungskataloges. Wer hier Rationierung im Sinne eines Vorwurfes
reklamieren will, der muß nachweisen, dass angemessene Leistungen
nicht vergütet werden.
Ich will jetzt zuerst auch in der Zukunft zu erwartende Konflikte
verdeutlichen und wähle dafür folgendes Beispiel.
5
Lautstarker und zum Teil erbitterter Streit beherrschte die Debatten
über das jüngst von der Bundesregierung eingeführte Programm für
die Behandlung von Zuckerkranken (Disease-ManagementProgramm für Diabetiker). Das eine Lager, das der gesetzlichen
Krankenkassen und der mit diesen kooperierenden Wissenschaftler,
stand auf dem folgenden Standpunkt: Disease-ManagementProgramme sind ein Angebot der Kassen, die selbstverständlich den
Leistungsumfang definieren und den Ablauf kontrollieren müssen. Als
von wissenschaftlicher Evidenz gestützte Grenze für die Absenkung
des HbA1c, wurden anfänglich 8,0% für erforderlich gehalten, da mit
einer weiteren Absenkung des HcA1c kein zusätzlicher Gewinn für die
Lebenserwartung schlecht eingestellter Diabetiker zu erwarten sei.
Das andere Lager, also z.B. die Deutsche Diabetes Gesellschaft und
der nationale Konsens zur Diabeteseinstellung hatte einen ganz
anderen Ansatz. Es ging von der ebenfalls durch wissenschaftliche
Evidenz belegten Tatsache aus, dass die obere Grenze des
Normalbereiches für das HbA1c des Gesunden bei 6,0% liegt und dass
oberhalb dieser Grenze der noch weniger kranke Diabetiker ein
erhöhtes Risiko für das Auftreten typischer diabetischer
Komplikationen hat: also des diabetischen Fußes, der diabetischen
Schädigung von Augen, Niere und Nervensystem u.a. Diesem Lager
geht es also um die Sekundärprävention, das heißt die zusätzliche
Verminderung der diabetischen Komplikationen durch ein DiseaseManagement-Programm.
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Mein Fazit: Jeder Betroffene muss entscheiden, welche Strategie er
für angemessen hält – den Kampf um Lebensverlängerung beim
schwer erkrankten Diabetiker oder, zusätzlich, die darüber
hinausgehende, natürlich teurere Vermeidung von Komplikationen bei
noch nicht so schwer kranken Diabetikern.
Was lässt sich aus diesem inzwischen gar nicht mehr aktuellen Streit
Grundsätzliches lernen?
Der nationale Konsens verschiedener wissenschaftlicher
Fachgesellschaften und der Bundesärztekammer ist ein
wissenschaftliches Beratungsergebnis. Dieses wurde einem faktisch
übergeordneten Konsensbildungsprozess im Koordinationsausschuss
zugeführt, was zukünftig in dem neuen Qualitätsinstitut vorbereitet
und im übergeordneten „Gemeinsamen Bundesausschuß“ § 91
passieren wird. Diese Konsensbildung führte zu schmerzhaften
Einschränkungen des von den evidenzbasierten nationalen Leitlinien
empfohlenen Leistungsumfanges. In viel stärkerem Maße als bei „lege
artis“ durchgeführter Entwicklung von evidenzbasierten
Konsensusleitlinien fließen in den notwendigen politischen
Konsensbildungsprozess z.B. zu den DMP-Anforderungsprofilen eben
divergierende Standpunkte, ökonomische Interessenslagen,
Zielsetzungen und Bewertungen ein. Im Zuge solcher
Diskussionsprozesse verlieren Wissenschaftler und Ärzte einen Teil
ihrer sonst gewohnten Normierungsmacht und werden sich deren
Grenzen schmerzhaft bewusst, nachzulesen beim Sachverständigenrat
im Gutachten 2003.
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Ich halte es für eine ausgesprochen glückliche Entwicklung, dass die
Bundesärztekammer dem neuen Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit in der Medizin nicht als Mitglied angehört, sondern
nach § 91-8a nur im Gemeinsamen Ausschuß angehört wird. Damit
muss die Ärztekammer, die ja, wie eingangs gesagt, für die
professionelle Qualität gerade stehen soll, nicht ökonomischpolitischen Entscheidungen zustimmen, sie kann vielmehr auf deren
Qualitätsdefizite deutlich hinweisen. Es wird die Verantwortlichkeit
der Ärztkammern bleiben, ökonomisch begründete Einschränkungen
der Versorgung mit an sich angemessenen Leistungen als
Rationierung zu geißeln.
Ich möchte als nächstes meine Auffassung von der
„Unabhängigkeit“ der Politikerberatung vorbringen:
Politische
Entscheidung
obliegt
–
nach
Abschaffung
von
Gottesgnadentum und sonstigen Formen von Absolutismus oder von
Oligarchie – zum Glück den vom gesamten Volk in freier Wahl
gewählten Vertretern. Angesichts der unübersehbaren Vielfalt der zu
entscheidenden Probleme sind Legislative und Exekutive auf
fachliche Beratung angewiesen. Neben hierfür hauptamtlich tätigen
Heeren
von
Ministerialbeamten
wird
hierbei
auf
externen
Sachverstand zurückgegriffen. Einen Teil dieser externen Berater
machen Wissenschaftler aus.
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Aussagen der Wissenschaftler werden mit einem vergleichsweise
hohen Eigen- und Fremdanspruch an deren Richtigkeit gemacht und
entgegengenommen. Wissenschaftliche Ergebnisse sind aber in ihrer
Richtigkeit a priori eingeschränkt
- durch ihre Abhängigkeit von der Methodik, wie von der
Erkenntnistheorie dargestellt, oder
- durch die Begrenztheit des Untersuchungsgegenstandes, wie dies
an dem Unterschied von Efficacy (das ist die Wirksamkeit im
kontrollierten Versuch, d. h. an einer ausgewählten Patientengruppe
und in der Hand des Experten) gegenüber der Effectiveness, welche
die Wirksamkeit in der Hand des Nichtspezialisten und in der
täglichen Praxis bedeutet, und
- durch die im Einzelfall zu prüfende Qualität der methodischen
Durchführung
der
jeweiligen
Untersuchung,
Validität
der
Ergebnisse und Angemessenheit der Interpretation.
Werden diese Einschränkungen berücksichtigt, so äußern sich
Wissenschaftler mit vergleichsweise hoher Autorität.
Es muß allerdings damit gerechnet werden, daß auch Wissenschaftler
nicht losgelöst von Eigeninteressen (z. B. Reputationsgewinn)
handeln. Insofern sind auch Wissenschaftler kaum jemals ganz frei
von Lobbyismus. Eine Tendenz zu menschlicher Schwäche, sei es
zum persönlichen Vorteil oder sei es zum Vorteil des eigenen
Fachgebietes, ist hochgradig verständlich.
9
Wie sollen wir diesem Bias begegnen? Mehr als 20 Jahre der
wissenschaftlichen Politikerberatung haben mir klar gemacht, daß es
eine Beratung, die völlig frei von Interessenskollisionen ist, nicht
geben kann. Wissenschaftler sind – wie alle Lebewesen – dem Einfluß
von Anreizmechanismen ausgesetzt. Da gibt es keinen prinzipiellen
Unterschied, ob man seine Drittmittel von der Industrie bekommen
kann oder ob man von irgendwelchen Kassenverbänden unterstützt
wird. Daraus folgt, daß die Offenlegung aller Verbindungen
obligatorisch werden muß. Der andere Schutzmechanismus ist in der
Bewußtmachung zu sehen, daß der Wissenschaftler seinen Ruf selbst
ruiniert, wenn seine Äußerungen zu sehr durch den jeweiligen
Sponsor beeinflußt werden.
Als
Aufgabe
einer
Qualitätssicherung
der
wissenschaftlichen
Beratung wird neben Transparenz von mir auch heute gefordert, zu
prüfen,
- ob wirklich alle Evidenz berücksichtigt wurde,
- ob bei der Beurteilung der Qualität der berücksichtigten Evidenz
manipuliert wurde,
- ob Ergebnisse, die in eine „unerwünschte“ Richtung deuten,
systematisch weggelassen wurden,
- ob über den Bereich des tatsächlichen Untersuchungsgegenstandes
weit hinausgehende Aussagen gemacht werden.
Diese Liste läßt sich ergänzen. Im übrigen vermag gerade die offene,
interdisziplinäre wissenschaftliche Diskussion hier ihre reinigende
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Wirkung zu entfalten und den mächtigen Einfluß von Hofastrologen
zu relativieren.
In der Politikerberatung kommen neben der Richtigkeit einer
wissenschaftlichen Aussage aber noch ganz andere Gesichtspunkte
zum Tragen. Jedes wissenschaftliches Ergebnis kann Auswirkungen
haben, die eben in ökonomischen, ferner in (gesellschafts)-politischen,
standespolitischen, rechtlichen, sozialen, moralischen oder ethischen
Dimensionen und für den Bereich der Wissenschaft, also für
Forschung und Lehre, Bedeutung haben. Wissenschaftler berühren im
Rahmen ihrer Beratung automatisch die nicht-wissenschaftlichen
Bereiche, da eine komplette Abgrenzung völlig unmöglich ist.
Schwierigkeiten in der Diskussion zwischen Wissenschaftlern und
Nicht-Wissenschaftlern beruhen unter anderem auch darauf, daß die
natürliche
Autorität
(Wissenschaft)
bei
des
Wissenschaftlers
Äußerungen
zu
in
seinem
ökonomischen,
Metier
ethischen,
moralischen oder politischen Fragen durchschimmert. So etwas wird
von den Nicht-Wissenschaftlern dann gerne als Arroganz aufgefaßt.
Es kommt darauf an, sich (dem Wissenschaftler) und dem jeweiligen
Zuhörer klar zu machen, daß man im nicht-wissenschaftlichen Bereich
mit keiner höheren Autorität spricht, als jeder andere Laie. Als Laie
hat der Wissenschaftler natürlich das Recht, sich zu politischen,
ethischen, moralischen usw. Fragen zu äußern, aber mit deutlich
niedrigerem Autoritätsanspruch, als es ihm in der reinen Wissenschaft
zukommt. Die Verlautbarungen der Wissenschaftler sollten daher klar
machen, wie weit die eigentlich wissenschaftliche Aussage geht.
11
Davon
abgegrenzt
sollten
ethische,
ökonomische,
politische
Aussagen, wenn sie denn erforderlich sind, in dem Sinne
zurückhaltend sein, daß sie keine überzogenen Autoritätsansprüche
stellen. Bei den strittigen Themen sollte mit einer optionsweisen
Darstellung gearbeitet werden, welche dann durchaus eigene
Präferenzen angeben kann.
Im
jahrelangen
Umgang
mit
Politikern
besteht
für
den
wissenschaftlichen Berater zeitweise die Versuchung, selbst zum
Politiker zu werden. Insbesondere im Angesicht vielleicht nur
dürftiger Ergebnisse der Politik kann diese Versuchung sehr groß
werden. Als Berater wird ein solcher Politiker/Wissenschaftler schnell
unbrauchbar. Politiker brauchen für ihre Arbeit Koalitionen,
Kompromisse,
Freundlichkeiten
gegenüber
Irrationalitäten,
Wendigkeit und Anpassung an Vorgaben, um nur einige PolitikerQualitäten zu nennen. Ich kann mir kaum vorstellen, daß ein Mensch
all diese Eigenschaften mit denen eines guten wissenschaftlichen
Beraters in sich vereinen kann. Daher plädiere ich: „Wissenschaftler
bleib bei deinem Leisten“.
Angewandt auf unser heutiges Thema heißt das, der noch so gute Arzt
kann nicht allein bestimmen, welche Leistungen finanziert werden
sollen.
Damit komme ich zu meinem Abschnitt über Versorgungsqualität.
Die Gewährleistung der Qualität der Versorgung durch Ärzte ist
konstitutionelle Aufgabe der Ärztekammern. Auf diese
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Verantwortlichkeit habe ich schon eingangs hingewiesen. Leider ist
die Datenlage zur Versorgung in Deutschland sehr lückenhaft.
Deshalb hat der Sachverständigenrat vor zwei Jahren mit großem
Nachdruck eine Intensivierung der Versorgungsforschung gefordert,
ich zitiere:
„In Deutschland bestehen Defizite hinsichtlich der Daten zum
Versorgungsgeschehen“.
Übrigens listet schon das Sondergutachten 1995 des SVR in Textziffer
338 eine Reihe von Themenfeldern der Versorgungsforschung auf,
„bei denen es für die Kassen unter Berücksichtigung Ihrer
gesetzlichen Aufgaben und Ihrer Interessenlage durchaus attraktiv ist,
sich
an
der
inhaltlichen
Mitgestaltung
und
finanziellen
Forschungsförderung zu beteiligen“. Lange hat dieser Vorschlag
gebraucht, bis er vor 2 Jahren zum ersten Mal ganz vorsichtig grünes
Licht sah.
Im Konkreten lassen sich aus der Befragung von rund 300
Organisationen, die im Jahre 2000 für das vorletzte SVR-Gutachten
durchgeführt wurde, zahlreiche Datenlücken ableiten. Dieses gilt
sowohl für die bekannten thematischen Schwerpunkte des Gutachtens:
 Ischämische Herzkrankheiten
 Schlaganfall
 Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen
 Rückenleiden
 Krebserkrankungen
 Depressive Störungen
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 Zahn-,Mund- und Kieferkrankheiten
Es gilt auch für weitere, bisher nicht bearbeitete Themen:
 regionale Versorgungsdisparitäten,
 die Versorgung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen,
 Pflegeversorgung,
 Prävention von Unfällen,
 teilstationäre Versorgungsstrukturen,
 Rettungs- und Transportdienste.
Es geht dem Sachverständigenrat bei diesem Appell an die
Verantwortlichen um ein ausreichend ausgestattetes, befristetes und
mehrgliedriges Programm zu Gesundheitsforschung, insbesondere der
Versorgungsforschung, an dessen Umsetzung sich BMBF und BMGS
inhaltlich und finanziell beteiligen. Die Einbindung der Kassen in
Programmgestaltung, Begutachtung von Anträgen und Bewertung der
Ergebnisse soll helfen, die Versorgungsrelevanz sicherzustellen.
Der Sachverständigenrat hat darüber hinaus gefordert, daß die
Fachgesellschaften
gezielt
beteiligt
Fachgesellschaften
können
durch
werden
eine
sollen.
Unsere
forschungsbezogene
Drittmittelausstattung mit Hilfe zusätzlichen, qualifizierten Personals
projektbezogen
unabhängige
Forschungsarbeit
leisten.
Fachgesellschaften könnten den Zugang zu den Quellen für
Versorgungsdaten erheblich erleichtern. In diesem Sinne könnte ein
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finanziell unabhängiges Urteil von Fachgesellschaften bei der
Entwicklung
evidenzbasierter
Leitlinien
ebenfalls
von
großer
Bedeutung sein.
Steigerung
der
Transparenz
des
Leistungsgeschehens
und
laienverständliche Nutzerinformation sind weitere Forderungen des
vorletzten
Gutachtens.
Hier
besteht
die
Aufgabe,
jeweils
fachspezifische Modelle, z. B. für obligatorische Leistungsberichte
und für geeignete Informationsmaterialien für Nutzer zu entwickeln.
Bereits gegebene Fortschritte im Bereich der Patienteninformationen
seitens der Fachgesellschaften einschließlich der AWMF könnten
durch ein Förderprogramm noch an Schwung gewinnen und uns dem
Ziel, die Eigenverantwortlichkeit des Betroffenen zu stärken, näher
bringen.
Sie sehen, daß nicht nur
 Datenlage und Epidemiologie,
 Priorisierung von Präventionsmaßnahmen und
 Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge
sondern nach Ansicht des SVR auch die
 Entwicklung
methodischer
Standards
der
Versorgungsforschung.
Ansatzpunkte
für
eine
Versorgungsforschung
durch
Fachgesellschaften bieten könnten.
Insgesamt betrachtet der Rat diese Vorschläge als dem Ziele dienlich,
den Sachverstand der wissenschaftlichen Fachgesellschaften noch
besser
als
bisher
Krankenversorgung
für
die
Optimierung
einzubinden.
Die
der
bereits
tatsächlichen
genannten
15
Fragestellungen sind zugleich die Fragestellungen des empfohlenen
mehrgliedrigen Förderungsprogramms durch das BMBF, das immer
leicht bremsende BMGS und die Krankenversicherungen.
Es geht mir ferner um eine Allianz zwischen den wissenschaftlichen
Fachgesellschaften und den Ärztekammern. Als Ziele möchte ich
nennen:
-
Abbau von Über-, Unter- und Fehlversorgung durch
Eigeninitiative.
-
Sichtbarmachung der Bemühungen um Qualität und der
erreichten Qualität durchaus i.S. der BQS, aber auch die ÄZQ
und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärtzeschaft
wären hier u.a. zu nennen.
Wenn wir, und hier spreche ich zu uns Ärzten, diese beiden Ziele
erreichen, wird es für staatliche, d.h. politische Eingriffe sehr viel
schwieriger, dirigistisch oder rationierend einzugreifen. Qualität der
Versorgung ist der beste Schutz vor allem, was wir im negativen
Sinne unter Staatsmedizin verstehen.
Qualität ist die Minimierung oder Abwesenheit von Unter-, Über- und
Fehlversorgung. Wie lässt sich Qualität durch Weiterentwicklung
von Strukturen verbessern ?
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im
Gesundheitswesen, so heißt er seit dem 1.1.2004, ist durch das SGB V
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§ 142, also vom Gesetzgeber beauftragt. Der SVR bemüht sich um
Empfehlungen zur Gesundheitspolitik und zum Gesundheitswesen,
die soweit möglich frei von Lobbyismus sein sollen. Er basiert seine
Empfehlungen – ebenfalls soweit möglich – auf wissenschaftliche
Evidenz. In diesen beiden Punkten unterscheidet sich der
Sachverständigenrat von berechtigterweise lobbyistischen
Vertretungen z.B. in Verbänden und Interessensgruppen, wie sie u.a.
in der Konzertierten Aktion und analogen Organisationen zu finden
waren und sind. Dies gilt natürlich nur für authorisierte Äußerungen
und nicht für persönliche Ansichten einzelner Mitglieder des SVR.
Der Sachverständigenrat hat sich übrigens immer wieder zu
Qualitätsfragen geäußert. So beruhen die Bemühungen der AWMF
um Leitlinien auf einer Anregung des SVR aus dem Jahre 1994.
Erwähnen möchte ich auch noch, dass der ganze Band des Gutachtens
2000/2001 der Frage der Qualitätsentwicklung in Medizin und Pflege
gewidmet ist. Alle unsere Texte sind übrigens über das Internet
abrufbar ( www.svr-gesundheit.de ).
Damit komme ich zu dem Beispiel Kompetenzbündelung bei der
Hämophiliebehandlung als Strukturmaßnahme, mit dem sich der SVR
im Anhang zum letzten Band des Gutachtens 2000/2001 beschäftigt.
Die wissenschaftliche Basis für die Forderung nach
Kompetenzbündelung besteht u.a. in der Mitteilung von Evatt (2000),
nach der eine 60% höhere Mortalität beobachtet wird, wenn die
Patienten außerhalb eines Hämophiliezentrums versorgt wurden.
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Zusammenfassend stellt der Sachverständigenrat fest:
1. In der Hämophilieversorgung besteht Bedarf in der
Weiterentwicklung bestehender kompetenter Hämophiliezentren
zu interdisziplinären „Comprehensive Care Centers“ (CCCs).
CCCs sollen die bislang bestehende Fehl- und Überversorgung
minimieren, die durch zu viele und teilweise ungenügend
ausgestattete Einrichtungen sowie durch suboptimal qualifizierte
Ärzte, und damit einhergehende Verluste an klinischen Nutzen
für Patienten verursacht wurden.
2. Die Konsensusfindung über Krankheiten und Krankheitsphasen,
die der Kompetenzbündelung bedürfen bzw. gemäß Evidenz von
ihr profitieren, ist eine înterdisziplinäre Aufgabe. Dies kann also
nicht allein Aufgabe einer vorgeschlagenen wissenschaftlichen
Fachgesellschaft oder Spezialistengruppe sein. Es wird vielmehr
empfohlen, einen der Produktion von evidenzbasierten Leitlinien
analogen Prozess zum Einsatz zu bringen und die Definition der
speziellen Krankheitsphase, in der Kompetenzbündelung nützt,
zum Bestandteil von Leitlinien zu machen.
3. Die erforderliche Kompetenz muss akzeptierten
Qualitätskriterien entsprechen, welche Struktur, Prozess,
Ergebnisse und Mindestzahlen berücksichtigen. Sie müssen
extern und unabhängig evaluiert werden, bevor beispielsweise
ein Comprehensive Care Center (CCC) anerkannt wird. Als
Beispiele seien die Zertifizierung von Einrichtungen für die
Stammzelltransplantation oder von Schlaflaboratorien genannt.
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4. In der Regel werden Patienten, die von CCCs profitieren, weiter
ihren Hausarzt benötigen, da Kompetenzzentren ungeeignet
sind, die Hausarztfunktion für diese Patienten zu übernehmen.
Possessivdenken („dies ist mein Patient“) muss zugunsten einer
Stärkung der Kooperations- und Konsultationskultur sowie der
Teamfähigkeit aufgegeben werden. Dementsprechend hat sich
beispielsweise die Spezialambulanz meistens auf die rechtzeitige
und regelmäßige Beratung sowohl des Hausarztes als auch des
informierten Patienten zu beschränken.
Im übrigen hat der Sachverständigenrat das Thema
Kompetenzbündelung mit dem Beispiel neuromuskuläre
Erkrankungen im letzten Gutachten wieder aufgenommen.
Mit den in der jüngsten Gesundheitsreform vorgesehenen
Versorgungszentren wird die Idee der Kompetenzbündelung im
Prinzip aufgegriffen; manch einer von Ihnen denkt da sicher an die
alten Polikliniken der DDR. Diese wurden wohl voreilig zugunsten
einer unbalancierten Monopolisierung der Einzelpraxis aufgegeben.
Es gibt in den Gutachten des SVR zahlreiche andere Vorschläge für
Strukturverbesserungen mit wissenschaftlich nachweisbaren oder
vermuteten Vorteilen für die Versorgungsqualität. Mehr als die
Überschriften kann ich hier aus Zeitgründen nicht bringen:
-
-
Gesundheitsziele (SB 1994, SG 1995, SG 1997, GA 2000/1 I)
Gesundheitsförderung und Prävention (SB 1994, GA 2000/1 I, GA
2003)
Leitlinien (SB 1994, GA 2000/1 II)
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-
-
-
-
-
-
-
Leistungstransparenz, Ergebnisorientierte Vergütung (SB 1994, SG
1997, GA 2000/1 II)
Aus-, Weiter-, Fortbildung (SB 1994, SG 1995, GA 2000/1 II)
Nutzerkompetenz, Partizipation, Transparenz (SB 1994, SB 1995,
GA 2000/1 I, GA 2003)
Abbau von Über-, Unter-, Fehlversorgung (SG 1995, GA 2000/1
III)
Integration der Versorgungsbereiche, DMP (SG 1995, GA 2000/1
II, GA 2003)
Fortschritt, Forschung, Versorgungsforschung (SG 1995, SG 1997,
GA 2000/1 III)
Demographische Entwicklung, Versorgung im Alter (SG 1996, GA
2000/1 III)
Pflegeversorgung (SG 1997, GA 2000/1 II)
Rehabilitation (GA 2000/1 III, GA 2003)
Arzneimittelversorgung (GA 2000/1 Addendum)
Rettungswesen (GA 2000/1 III, GA 2003).
Besonders ungern verzichte ich darauf, auf das Thema Privatisierung
von Kliniken , eines meiner Lieblingsthemen, einzugehen, aber die
Uhrzeit gebietet das.
Bedauerlicherweise sind qualitätsverbessernde Strukturreformen z.Zt.
in der öffentlichen Diskussion mehr im Hintergrund zu finden im
Vergleich zur ubiquitären Finanzierungsdebatte.
Damit komme ich zum Ausbalancieren der Finanzierung der
Krankenversorgung. Bekanntlich hat sich der SVR für eine
Weiterentwicklung des bestehenden Systems und gegen einen
Systemwechsel (Stichworte: Kopfpauschale, Bürgerversicherung)
ausgesprochen und eine Reihe von z.T jetzt auch umgesetzten
20
Vorschlägen zur Eigenbeteiligung und zur Steuerfinanzierung
gemacht, die 2 – 3 Prozentpunkte Beitragsminderung gebracht hätten.
Solidarität muß erhalten bleiben als Transfer
 von reich zu arm
 von jung zu alt
 von Singles zu Familien und
 von gesund zu krank.
Darüber besteht wohl Konsens. Ob diese Solidarität durch Steuern
oder im Beitragswesen finanziert wird, ist eine politisch zu
verantwortende und zu entscheidende Frage. Als persönliche
Auffassung bringe ich meine Sorge vor, dass bei Steuerfinanzierung
mir das Versorgungsniveau zu direkt in die eben doch fachfremden
Hände der Parlamente gerät.
Warum steigen die Kosten für das Gesundheitswesen unaufhörlich,
quasi einem Naturgesetz folgend und in allen Industrieländern?
Es lassen sich neben fiskalischen Gründen (Einnahmeschwund der
GKV sowie politische Zuordnung versicherungsfremder Leistungen)
fünf hauptsächliche, im Versorgungsgeschehen angesiedelte Gründe
finden:
1. Ineffizienz im Versorgungsablauf: Es wird nicht immer das
Richtige zur richtigen Zeit an den richtigen Patienten gegeben. Dies
führt zu Überversorgungen, an anderer Stelle aber zugleich zu
Unter- und Fehlversorgung .
21
2. Überkapazitäten: Diese gibt es z. B. bei Krankenhäusern,
Apotheken,
aber
auch
bei
wettbewerbenden
Krankenversicherungen und in abnehmender Form bei Ärzten; das
Phänomen der angebotsinduzierten Nachfrage ist ja genügend
bekannt.
3. Der Fortschritt: Dieser geht meist mit Kostensteigerung einher;
neben echten Verbesserungen gibt es hier zweifellos nicht immer
ganz rationale Effekte der Vertriebsförderung durch Industrien.
4. Der
demographische
Effekt:
Eine
immer
älter
werdende
Bevölkerung bedarf der Versorgung über eine wachsend längere
Zeit.
5. Die Anspruchsmentalität: Es geht hier vor allem um fehlende
Gelegenheit für und tatsächlichen Mangel an Eigenverantwortung
unserer Patienten.
Das Gutachten des SVR zu Über-, Unter- und Fehlversorgung wurde
unter
anderem
dahingehend
kritisiert,
daß
keine
klaren
Wirtschaftlichkeitsreserven aufgezeigt wurden. Dies hängt damit
zusammen, das eine präzise rechnerische Bilanz zwischen Über- und
Fehlversorgung auf der einen Seite und Unterversorgung auf der
anderen
Seite
aufgrund
der
Schwäche
der
vorliegenden
Versorgungsdaten nicht möglich ist. Es kommt hinzu, daß der Abbau
der Defizite ein dynamischer Prozeß wäre, der zumindest zeitweilig
Kostensteigerungen zur Folge haben könnte. Der Abbau von Über-,
Unter- und Fehlversorgung bleibt zwar ein lohnendes positives Ziel an
sich, aber rasche Wirkungen sind nicht zu erwarten.
22
Wenn es denn zweifelhaft bleibt, ob und wann diese Maßnahmen
insgesamt Kosten senken, so folgt hieraus nur ein logischer Schluß: Es
kommt vor allem darauf an, den Gesundheitszustand unserer
Bevölkerung zu verbessern.
Gesund länger leben ist der aussichtsreichste Weg für eine
Kostenreduktion.
Damit komme ich zu meinem letzten Kapitel Prävention und
Gesundheitsförderung.
Die Kunst zu heilen kann viele Leiden lindern,
doch schöner ist die Kunst, die es versteht,
die Krankheit am Entstehen schon zu hindern.
Dieses ehrwürdige Zitat stammt vom großen Münchner Hygieniker
Max von Pettenkofer (1818 – 1901). Hygiene, darunter verstehen wir
heute Hände waschen und entsprechende Maßnahmen. Der historische
Hygienebegriff war viel weiter; er umfaßte die Gesundheitsförderung
im weitesten Sinne, Städtesanierung eingeschlossen. Neu ist der
Gedanke der Vorbeugung also wirklich nicht; innovativ wäre aber
eine konsequente Präventionspolitik, die es bisher in Deutschland
ebensowenig gibt wie Nachhaltigkeit der Gesundheitsförderung.
Kaum ist irgendein Vorbeugungsziel deklariert, ist es meistens auch
schon wieder vergessen. Was wir alle brauchen ist tägliche
Selbstverständlichkeit von Prävention, welche eine kompetente und
gesundheitsbewußte Eigenverantwortung einschließt.
Praktisch wichtige Beispiele können der Serie Prävention der
Deutschen Medizinischen Wochenschrift entnommen werden. Für
diese Serie wurden Empfehlungen zusammengestellt werden, die
23
evidenzbasiert und zielgruppenorientiert sind. Die Tabelle zeigt wie
bei vielen der erschienenen Artikeln mehr „Bewegung“ eine
entscheidene Rolle spielt, und zwar sowohl im Sinne von
Gesundheitsförderung (Salutogenese)
als auch von spezieller
Risikominderung (Primärprävention).
Ausreichende Bewegung ist aus ärztlicher, individualtherapeutischer
und ebenso aus bevölkerungsmedizinischer Sicht neben angemessener
Ernährung das universellste Therapeutikum, das wir kennen.
Positive Auswirkungen von regelmäßigem Ausdauertraining im Sinne
von Primärprävention lassen sich an zahlreichen Organen und
Gewebssystemen zeigen:
- Ruhepuls und Belastungspuls sinken ab. Das maximale Schlag- und
Herzminutenvolumen
Herzmuskeldurchblutung
werden
wird
vergrößert.
verbessert.
Die
Die
maximale
Sauerstoffaufnahmefähigkeit nimmt zu.
- Das Arterioskleroserisiko wird verringert, die Blutfettspiegel
nehmen ab und der positive HDL-Anteil nimmt zu. Die
Thromboseneigung wird verringert, die Fließeigenschaften des
Blutes werden verbessert.
- Das
maximale
Atemminutenvolumen
wird
vergrößert,
die
Belastbarkeit nimmt zu.
- Das Diabetesrisiko von normalgewichtigen Frauen wird halbiert .
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- Bewegung ist ferner die wichtigste Komponente in der Vorbeugung
der Osteoporose mit der Neigung zu Knochenbrüchen im
fortgeschrittenen Alter.
- Aber auch die Verbesserung des psychischen Wohlbefindens und
der Abbau von Anspannung und Ängsten sowie die Entwicklung
eines verbesserten Körperbewußtseins und die Steigerung des
Selbstbewußtseins sind nicht zu vergessen.
MDH, ökonomische Anreize, als Bonus- oder Malusregelung, sind
äußerst wirksame Instrumente der Steuerung im Gesundheitswesen.
Der potentielle Nutzen ökonomischer Anreize für die erwünschte
Verhaltensänderung ist durchaus erkannt. §20 SGB V erlaubt es nach
dem Leitfaden der Spitzenverbände der GKV (2001) zur Umsetzung
des Paragraphen, Teilnehmerkosten für gesundheitsorientierte Sportund Bewegungsangebote von Sportvereinen zu erstatten. Dem liegt
das Qualitätssiegel „Sport pro Gesundheit“ zugrunde, welches von
der Bundesärztekammer und dem Deutschen Sportbund verabredete
Qualitätskriterien voraussetzt ( qualifizierte Übungsleiter u.a.m.).
Leider ist die Wirklichkeit ganz anders: 50 – 85 % unserer
Bevölkerung sind körperlich inaktiv, d. h. sie bewegen sich weniger
als es die trainingsmedizinisch definierte motorische Mindestbelastung
des Organismus nach P. Wagner verlangt. In den USA gilt
Bewegungsmangel als das zentrale Gesundheitsproblem des dritten
Jahrtausends, und bei uns in Deutschland ist die Lage nicht besser. Es
gibt zwar zahlreiche Programme und Initiativen zur Anregung und als
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Einstiegshilfe, aber deren Crux ist, daß die Abbrecherquote viel zu
hoch ist und die wirklich relevanten Zielgruppen bislang in keiner
Weise ausreichend erreicht werden. Die durchaus dramatisch zu
nennenden Folgen dieser kollektiven Bewegungsverweigerung müssen
kurz dargestellt werden.
Übergewicht und Fettsucht bei Kindern sind in der Bundesrepublik
seit Jahren immer häufiger anzutreffen. Zur Zeit ist jedes fünfte
Schulkind zu dick. Wenn hier keine Umkehr gelingt, werden sich die
Krankenkassen
demnächst
multimorbiden
alten,
nicht
sondern
nur
auch
die
Versorgung
einer
morbiden
einer
jungen
Bevölkerung finanzieren müssen.
Nach einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung (Nr.231 v.
8.10.2003) müssen US-amerikanische Bestattungsunternehmer wegen
der Adipositas der verstorbenen Erwachsenen zunehmend „Särge in
Übergröße“ auf den Markt bringen, für die die Standardgrabstätten
auch noch zu klein sind. Fettsucht, definiert als BMI > 30 kg/m²,
betrifft auch in Deutschland nach Hauner 18 % aller erwachsenen
Männer und 24,5 % aller Frauen. Zur Fettsucht gehörende
Komorbiditäten wie Diabetes mellitus Typ 2, Hochdruck, Arthrose
usw. verursachen mindestens 10 % aller Ausgaben im deutschen
Gesundheitswesen. Die relativ schlechte Behandelbarkeit einer bereits
eingetretenen Fettsucht bei Erwachsenen ist bekannt. Die Behandlung
ist dagegen im Kindesalter besonders lohnend: „Mehr Zeit auf dem
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Sportplatz und weniger Fernsehen, weniger Fast Food und
Süßigkeiten!“, das seien die Devisen.
Im übrigen hat sich der Sachverständigenrat für die Konzertierte
Aktion im Gesundheitswesen (SVR) schon in früheren Jahren an der
Diskussion beteiligt, ob ähnlich wie bei einigen Versicherungstarifen
der PKV eine höhere Versicherungsprämie für Fettsüchtige oder
alternativ eine Bonusregelung als Motivationshilfe auch in der GKV
sinnvoll
sein
üblicherweise
könnte.
schon
im
Leider
werden
Theroriestadium
solche
als
Überlegungen
diskriminierend
verworfen, ohne daß die Kritiker sagen können, wie man das
Gesundheitssystem in Zukunft bezahlbar halten könnte.
Natürlich sind Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur „ mehr
Bewegung“. Neben der für einen Arzt immer wichtigen individuellen
krankheitsbezogenen Prävention, also z. B. dem Impfschutz, der
Früherkennung bei Krebs, der Allergenkarenz bei Asthma usw., geht
es vor allem um die Ernährung. Da gibt es die durchaus positiven
Beispiele der Jodpoprophylaxe des Kropfes und der Fluorprophylaxe
der Karies, die beide ausschließlich durch Aufklärung der
Bevölkerung und Appell an die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen
erreicht wurden. Deutschland weist aber unverändert ungünstige
durchschnittliche Ernährungsmuster in seiner Bevölkerung auf : Zu
fett und zu süß und deutlich zu wenig Obst und Gemüse.
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Angemessene Ernährung und Bewegung sind sicherlich nicht generell
Gegenstand von Leistungen der Krankenkassen. Aber wie sind die
Anleitung zu mehr Bewegung einschließlich gesünderer Ernährung
bei Personen mit behandlungsbedürftigem Bluthochdruck zu
beurteilen? wie Bewegungsprogramme für statisch besonders belastete
Berufsgruppen? oder wie Bewegungs-Koordinationsprogramme für
alte Menschen als Maßnahme der Sturzprophylaxe?.
Damit wird die Frage nach den Grenzen der Eigenverantwortung und
der Rolle des Staates und der Krankenkassen beim Präventionsthema
aufgeworfen. Der SVR hat für die Klärung solcher Fragen plädiert, für
die Bündelung der derzeit über 7 soziale Versicherungs- und
Versorgungszweige allein des Sozialgesetzbuches verstreuten
Präventionsaufgaben und für eine übergreifende Präventionsgesetzgebung in Deutschland, die ja bekanntlich in Arbeit ist.
Angesichts der Vielfalt der zu Beteiligenden (z.B.Ernährungswissenschaftler, Verbraucherberater, Psychologen, Pädagogen) und
der besonderen Bedeutung von Information und Steigerung der
Eigenverantwortung des gesunden Nutzers ist zu hinterfragen, ob es
klug ist, die Finanzierung dieser Aufgabe allein den gesetzlichen
Krankenkassen zu übertragen.
1. Miteinander im Wettbewerb stehende gesetzliche Krankenkassen
könnten durch attraktive Gesundheitsförderungs- und Primärpräventionsprogramme sogenannte gute Risiken an sich ziehen. Es
erscheint daher verständlich, daß bei anderen gesetzlichen
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Krankenkassen
Reserve
und
Zurückhaltung
gegenüber
Gesundheitsförderung und Primärprävention weiterbestehen.
2. Vielen Ärzten fehlt überhaupt der Zugang zu den gesunden
Nutzern,
denn
im
Idealfall
ist
der
Kandidat
für
Gesundheitsförderung und Primärprävention ja noch gesund und
kommt gar nicht zu seinem Hausarzt.
Es erscheint daher notwendig, Gesundheitsförderung und
Primärprävention zu den nationalen Aufgaben zu ordnen und zu einer
staatlichen, steuer- oder abgabenfinanzierten Aufgabe zu machen. Das
erforderliche Geld ließe sich aus den Steuern für Alkohol und Tabak
holen und könnte ferner durch zweckgebundene Abgaben oder
freiwillige Einzahlungen aufgebracht werden. Ein Beispiel dafür ist
der Vertrag, den die Bundesgesundheitsministerin Anfang 2002 mit
Vertretern der Tabakindustrie geschlossen hat. Mit einer beachtlichen
Summe Geldes soll die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung eine Aufklärungskampagne durchführen, um Kinder und
Jugendliche vom Rauchen abzuhalten. Der SVR begrüßt das ebenso
wie die erfolgte Gründung des Deutschen Forums Prävention und
Gesundheitsförderung.
Gesund länger leben ist der aussichtsreichste Weg für eine
Kostenreduktion. Die Sorge, daß das Erreichen eines sehr hohen
Alters die Kosten im Gesundheitswesen nur noch weiter ansteigen
lassen könnte, kann vermutlich für den Fall entkräftet werden, daß der
Versicherte bei guter Gesundheit sehr alt wird. Mit dem höheren Alter
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gehen nämlich die stationären Kosten für die Versterbenden in ihrem
letzten Lebensjahr sehr deutlich zurück. Dieses Phänomen wurde auch
als Kompression von Krankheit beschrieben. Der sehr alte Mensch
stirbt an seiner terminalen Krankheit offenbar schneller als der
jüngere. Wenn ersterer bis dahin weitgehend gesund leben konnte, so
lassen sich die Ziele mehr Prävention, Kostenreduktion und
Langlebigkeit unserer Bevölkerung miteinander versöhnen und
verbinden.
Den Versuch einer Zusammenfassung möchte ich mit dieser Tabelle
machen: Ich habe gesagt, „es kommt auf eine gerechte Balance
zwischen notwendigem Altruismus und verständlichem Egoismus an“.
Hier haben wir die wichtigsten acht Akteure und was ich mir von
ihnen am dringlichsten wünsche:
Gerechte Balance
Akteur
Altruismus
Verantwortlichkeiten
Egoismus
Interessen
Staat
Strukturverbesserung
Versorgungsforschung
Gesundheitsförderung
Beitragssatzstabilität
Rationierung
Gemeins.Ausschuß §91
InstitutQWM §139a
Leistungskatalog
Kassen (GKV)
Prävention
Gesundheitsförderung?
Überversorgung
(Kassen)
Ärztekammern
Qualität
Pflichtfortbildung
Nationale Leitlinien
Ärztevertretung
(alle)
Kassenärztliche
Vereinigung
Qualität (Umsetzung)
Sicherstellung
Nutzer
Eigenverantwortung
(Bewegung, Ernährung)
Anspruchshaltung
Industrie
Innovation
Selbstkontrolle (Preise)
Indikationsausweitung
Preisdurchsetzung
Pseudofortschritte
Qualitätssicherg.WB
Selbstkontrolle
Abhängigkeiten
Transparenz
Nicht-Finanzierung
angemessener (?) Leistu ngen
Niedergelassene
Ökonomisches Ergebnis
Integrierte Versorgung
Wissenschaft.Beratung
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