Mai 2000 Konzept der Sporttherapie in der qualifizierten Drogenentzugsbehandlung Psychosomatische Klinik Bergisch Gladbach Stephan Niggehoff Dipl. Sportlehrer für Präventions- und Rehabilitationssport Möglichkeiten und Ziele der Sporttherapie in der qualifizierten Entzugsbehandlung Drogenabhängiger ausgehend von den Eigenheiten und Symptomen der Patienten und Patientinnen : 1. Zerstreuung und Vergnügen Eigenheiten der Patienten und Patientinnen: Zerstreuung und Beruhigung mittels Drogen Eingeschränkte Erlebniswelt durch Beschaffung, Verheimlichung und Konsum von Drogen Sporttherapeutische Ziele: Zerstreuung und Beruhigung mittels Bewegung und Spiel Eigenwert des Sports „Spielen um des Spielenswillen“ Spaß entwickeln Neue Themen schaffen In Entzug fällt die Zerstreunung und die Beruhigung mittels Drogen weg Gefühle, Körperempfindungen, Probleme werden wieder deutlich (Zeit des Erwachens). In diesem körperlichen und geistigen und teilweise sozialen „Chaos“ ist die nicht stoffgebundenen Zerstreuung und Beruhigung von großer Bedeutung. Hier bietet der Sport mittels Bewegung und Spiel gute Möglichkeiten. Das Spiel oder die körperliche Belastung wird für den Augenblick zum zentralen Thema und führt hiermit zur Zerstreuung. 2. Aktivierung bzw. Motivierung Eigenheiten der Patienten und Patientinnen: Sehr unterschiedlicher Aktivierungs- bzw. Motivationsgrad Typ 1 ist motiviert und stellt somit kein Problem dar Typ 2 ist grundsätzlich motiviert muss aber noch eingeladen werden Typ 3 denkt er währe nicht motiviert wird aber letztendlich doch vom Spiel und der Gruppe mitgerissen Typ 4 denkt er währe nicht motiviert und verweigert sich die gesamte Sporteinheit (sehr selten) Sporttherapeutische Ziele: Alle Patienten zum Sport motivieren, d.h. einen Aktivierungsgrad ereichen in dem der Einstieg für den Einzelnen in die Sporttherapie möglich ist. Die Grundlage jeder Aktivität ist die Überwindung von Passivität (sich aufraffen) Grundsätzlich sind alle Menschen von der Genetik her motiviert sich zu bewegen (sonst wären wir ausgestorben). Der menschliche Körper benötigt Bewegung um in die Homeostase zu gelangen. 3. Spannungsregulation psychisch und physisch Eigenheiten der Patienten und Patientinnen: Stark schwankender Spannungsgrad Sporttherapeutische Ziele: Regulation von Spannungen Der Spannungsgrad der Patienten ist sehr unterschiedlich und kann während der Behandlung stark schwanken (entzugsbedingte psychische und physische Belastung) persönliche Situation, Rückzug und Regression, Gruppenkonstellationen, Enge der Geschlossenen Stationen u.s.w. Für eine sportliche Betätigung braucht der Mensch ein mindestmaß an Spannung und somit eine Regulierung nach oben bei Menschen mit zu wenig Spannung. Die Sporttherapie kann hier durch ihren auffordernden spielerischen Charakter wirken. Ist die Spannung zu hoch kann durch entsprechende körperliche Belastung (austoben) die Spannung gut nach unten reguliert werden. 4. Stabilisierung der somatischen Basis / Milderung der Entzugssymptomatik Eigenheiten der Patienten und Patientinnen: Muskel- und Gliederschmerzen, Magen/Darmbeschwerden, Schlafstörungen, Störung des Temperaturempfindens, gesteigerte Unruhe, Stimmungs- und Affektlabilität, depressive Symptome Antriebsstörungen, Vermeidungsverhalten Eingeschränkte Ausdauerfähigkeit Drang nach „Außen (Freiheitstendenzen)“ Drang nach „Innen (Höhlentendenz)“ Sporttherapeutische Ziele: Linderung von Entzugssymptomen Stimmung aufhellen und stabilisieren Basales Training von Ausdauer, Beweglichkeit, Kraft und Koordination Schaffung von Bewegungsräumen basales Training von Ausdauer, Beweglichkeit, Kraft und Koordination Schaffung von Bewegungsräumen Die körperliche Entzugssymptomatik wird mittels Bewegung und Zerstreuung deutlich gemindert. Durch die sportliche Betätigung kommt es unter anderem zu einer natürlichen Ermüdung. Dies kann besonders den Schlafstörungen entgegen wirken. Dem Schwimmen im kalten und warmen Wasser kommt hierbei eine bedeutsame Rolle zu. Nach einem 40 min Schwimmen selbst auf niedrigem Niveau in verschieden temperierten Becken kommt es zu einer deutlichen Reduktion bzw. zum verschwinden der Entzugssymptome. Diese Wirkung hält für enige Stunden an. Eindeutige wissenschaftliche Studien über die Wirkzusammenhänge fehlen leider. Für den Bereich des Ausdauertrainings gibt es auch wissenschaftlich bewiesene positive Effekte. Moderates Ausdauertraining bewirkt: Verbesserung der Stimmungslage Steigerung des Wohlbefindens Steigerung des Selbstwertkonzept Steigerung der Konzentrationsfähigkeit Stressabbau, Steigerung der Stresstolleranz Spannungsregulation Minderung von Ängsten Verbesserung der Fähigkeit zur Entspannung Der Bereich des Ausdauertrainings sollte im besonderen gefördert werden weil hier die größten Defizite aber auch Möglichkeiten liegen. Neben den oben genannten positiven Effekten kommt es zu einer raschen Verbesserung und damit zu Erfolgen. Schaffung von Bewegungsräumen Bedingt durch die räumliche Situation „geschlossene Stationen“ soll durch den Sport, neben den tägl. Spaziergängen, Bewegungsraum geschaffen werden. Bei Radtouren in die angrenzen Wälder werden neben der Bewegung auch alle Sinne der Wahrnehmung angesprochen. 5. Selbst- und Gruppenerfahrung Eigenheiten der Patienten und Patientinnen: Wenig realistische Selbsteinschätzung (Weltmeister oder armes Häschen) Grenzen und Möglichkeiten werden schlecht erkannt Einzelgängertum um in der Drogenszene zu überleben So gut wie keine Erfolgserlebnisse mehr weder für den Einzelnen noch in der Gruppe. Sporttherapeutische Ziele: Eigene Möglichkeiten und Ressourcen wieder entdecken Grenzen austesten und erfahren Sich in der Gruppe (Mannschaft) bewegen/absprechen/zurechtfinden Persönliche- und Gruppenerfolge erleben Das schöne aber auch harte beim Sport ist die direkte Rückmeldung des eigenen Körpers. Bei Über- oder Unterschätzung meiner Möglichkeiten spüre ich sofort in welcher Verfassung ich mich tatsächlich befinde. Wichtig ist die eigene Bestandsaufnahme um hieraus die Möglichkeiten der Weiterentwicklung abzuleiten. Der Sport bietet innerhalb der Spielregeln die Möglichkeit auf spielerische weise die eigenen Grenzen aus zu testen. Wichtig ist hierbei die Einhaltung von Regel in gleichen Maße trainiert wird. Sich in Gruppen wieder zurechtzufinden und miteinander Absprachen zu treffen ist besonders bei Mannschaftssportarten unabdingbar. Geschieht dies nicht kommt kein bzw. ein schlechtes Spiel zustande. Bei schlechten Spielen sinkt automatisch der „Spaßfaktor“ und Frustration tritt auf. Spätestens jetzt beginnt die Gruppe zu kommunizieren. Bei Bewegung und Spiel in sehr kurzfristige Erfolge möglich und können zu einer schnellen Verbesserung der Stimmungslage für den Einzelnen aber auf in der Gruppe erlebt werden. 6. Unterstützung der Diagnostik Bedingt durch den „Spielplatz Sport“ kommt es zu einem Lupeneffekt der Handelnden welche in die Diagnostik einfliesen sollten. Folgende Punkte führen zum „Lupeneffekt“: Scheinbares unbeobachtet sein Verstellen und blockieren mit dem Körper ist weniger trainiert als verbale Äußerungen Spielsituationen verdeutlichen Charaktereigenschaften des Menschen. Das handeln ist mehr von Affekten und Emotionen geleitet. Unter spielerischem Druck von sportlichen Turnieren zeigen sich deutlich Resoursen und Defizite. 7. Freizeitgestaltung Eigenheiten der Patienten und Patientinnen: Während des Drogenkonsums bleibt weder Zeit noch Motivation zur Freizeitgestaltung Das zentrale Thema Droge lässt alles in den Hintergrund treten. Sporttherapeutische Ziele: Anregungen für Möglichkeiten der Freizeitgestaltung Der Mensch lebt nicht alleine für Wohnung, Arbeit und Beziehung. Der Freizeitgestaltung kommt gerade in unserer Gesellschaft eine große Bedeutung zu. Zusätzlich lassen sich hier auf einfache Weise neue cleane Kontakte aufbauen. Ein immer noch unterschätztes Thema! 8. Nebenwirkungen Die sportliche Sozialisation ist von großer Bedeutung für das Erleben des Sports. War ich im Schulsport z.B. der kleine Dicke der verschenkt wurde erlebe ich Sport ganz anders als wenn ich der Klassenheld war denn die Mädchen vergötterten. Sport kann sehr erniedrigend erlebt werden und sollte entsprechend sensibel gehandhabt werden. Körperlichkeit z.B. beim Schwimmen seinen Körper in der Öffentlichkeit zeigen sollte gerade bei Menschen mit Missbrauchsgeschichte sehr vorsichtig behandelt werden. 9. Struktur der Sporttherapie in der qualifizierten Entzugsbehandlung Drogenabhängiger 4 x wöchentlich hat jeder Patient/Patientin Sport: 1 x wöchentlich Schwimmen 1 x wöchentlich Beachvolleyball/Badmintonturnier aller Akutstationen 1 x wöchentlich eine ruhige möglichst kommunikative Einheit 1 x wöchentlich Ausbelastung Durch den stark schwankenden psychischen und physischen Zustand der Gruppen muss immer eine flexible Planung möglich sein. Teilnahmepflicht Praxiskatalog: 1. Aufwärmen und Gymnastik: 1.1 Aufwärmspiele mit und ohne Gerät 1.1 Funktionsgymnastik 1.2 Ausdauergymnastik 1.3 Wirbelsäulengymnastik 2. Krafttraining 2.1 ohne Gerät 2.2 Krafttraining mit dem Theraband 2.3 Krafttraining mit Geräten 3. Große Spiele 3.1 Fußball - Außenplatz - Halle 3.2 Beach-Soccer 3.3 Volleyball 3.4 Beach-Volleyball 4. Rückschlagspiele 4.1 Badminton 4.2 Tischtennis 4.3 Uni Hockey 4.4 Beach Ball 4.5 Tamborello 6. Kleiner Zirkus 5.1 Jonglieren - Tücher - Bälle 5.2 Diabolo 5.3 Therapiekreisel 5.4 Rola-bola 5.5 Einrad 7. Ruhe und Entspannung 7.1 Jakobsen Entspannungstraining 7.2 Massage/Igelbälle 7.3 Traumreisen 8. "Natursportarten" 8.1 Fahrradtouren (angrenzende Wälder) 8.2 Geländewanderungen (mit Erklärung der heimischen Bäume) 8.3 Bosseln 9. Sport und Spiel im Wasser 9.1 Schwimmen -Halle -Außenbecken 9.2 Wasserspringen 9.2 Wasserrugby 9.3 Tauchen 10. Sonstige: 10.1 Box-Konditionstrainingszirkel 10.2 Frisbee 10.3 Boule