Literarische Strömungen Liter. Strömung Stichwörter Vertreter / Merkmale Neoklassizismus Risorgimento Foscolo (Figur des Übergangs zur Romantik; heimat- und vaterlos) Romantik Ab 1790 in Italien Einfluss der franz. Revolution (Revolutionäre & Fortschrittsdenker) Questione della lingua, Erster ital. Roman Manzoni, Leopardi, Belli, Pellico, D’Azeglio Post-Risorgimento, „Die Zerzausten“, orientierungslos, Großstadtliteratur: antibürgerlich, Protest, unangepasst Praga, Tarchetti, Boito, Dossi, Arrighi Verismo wahr/echt, Studien, Probleme des Südens, Pessimismus Verga, De Roberto, Serao, Capuana, (Zola) Decadentismo Jahrhundertwende Dandy, Elite, inszeniert, das Schöne, antibürgerlich, Erotik, artifizielle Frauenfiguren, Antimoral, Kunst D’Annunzio (superuomo) Juste Milieu Jahrhundertwende Haltung des Bürgertums (Mittelmaß, Positivismus) Carducci, De Sanctis, De Amicis, Croce Crepuscolarismo Jahrhundertwende Dichter der Dämmerung einfach, alltäglich, Rückzugspoetik Govoni, Corazzini, Moretti, Palazzeschi, Gozzano Langeweile und Sprach- bzw. Machtlosigkeit Moderne „moderne Gesellschaft“ (Rollen/Funktionen, Individualisierung, Rationalisierung, Spezialisierung) Svevo, Pirandello Themen: Ich & Konsumgesellschaft, Individuum als Subjekt & Objekt, Psychoanalyse, stream of consciousness Ermetismo Ab 1. WK, „Dunkles Dichten“ Parola pura Ungaretti, Quasimodo, Montale Analogismen, Reduktion, fehlende Interpunktion Scapigliatura Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Histor. Roman/Drama, Dialektdichtung, polit. Schriften Nationalbewusstsein schaffen „Italia è fatta, ora bisogna fare gli italiani“ (D’Azeglio) anders: Fogazzaro (Figur des Übergangs), Pascoli (Rückzugspoetik, Kind) Seite 1 Gegründet 1909, Avantgarde, “Manifesto del futurismo”, Serate futuriste, Nähe zum Faschismus; Großer Einfluss auf andere Kunstavantgarden Marinetti (Graf Henri de Saint Simon: Vorgeschichte, Idee) Neorealismo 1940/1950 Solidarität & Kollektivität Film: Italien Vorreiter, volksnah, Dialekte, impegno, linke Ideologie Levi, Calvino, Vittorini, Visconti, Rossellini, De Sica (Filmemacher) Sperimentalismo 1960, experimentell, politisch aktiv Pasolini Neoavanguardia 1960, Gruppo 63; bis 1968 Aufbruch, Neuorientierung, l’art pour l’art, komplexe Texte, hauptsächlich Lyrik Eco Futurismo Realismo non funzionale Letteratura industriale Verherrlichung von Krieg, Gewalt, Technik, Fortschritt Reduktion des lyrischen Ichs, Dichter soll sich zurücknehmen Seitenströmungen in den 60ern Historischer Überblick des Ottocento Italien bis ins 18. JH zerstückelt, politisches Italien daher schwach aufgrund des fehlenden Nationalgefühls, aber durch rückgewandte Kulturauffassung (Antike, 3 Corone) Gefühl der Zusammengehörigkeit; Fremdherrschaft der Spanier im Süden, vor allem die Bourbonen; im Norden Habsburger, teilweise bis in die Toskana; Wichtige unabhängige Staaten (selbstständig): - Venedig (Seenation) - Republik Genua - Königreich Piemont-Savoyen (Familie Savoyen) - Kirchenstaat 1789 Französische Revolution Verbreitung des Freiheitsgedankens 1796: Napoleonische Herrschaft in Italien ab 1796: Napoleon wird als Befreier gefeiert Vertreibung der Habsburger – „geeintes Italien“ Code Napoleon: Basis unserer Zivilgesetze, Freiheit des einzelnen auf Besitz, Eigentum, Beruf (auch der Bauern), stärkt Schicht, die neu entsteht: Bürgertum -> wird tragende Gesellschaftsschicht Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 2 1797 Friede von Campoformio: Venedig eingetauscht gegen Teile Flanderns – macht Napoleon unbeliebt (Kooperation mit Habsburger) Repubblica Cisalpina – gegründet von Napoleon (fast ganz Italien ohne Sardinien und Sizilien) 1805 Regno d’Italia 1814 Schlacht bei Waterloo: große Niederlage Napoleons Wiener Kongress (1814) -> Habsburger kehren zurück nach Oberitalien (haben weitest entwickelte Gebiete: sehr mächtig) -> Restauration unter Metternich, Ordnung wie vor Napoleon, Habsburger/Savoyen/Bourbonen RISORGIMENTO 1808: Gründung der Carboneria (= Köhler, aus Kalabrien, revolutionär, wollen aufrütteln, gegen alle autoritären Herrscher, Österreicher helfen, die Köhler v.a. im Süden auszulöschen), immer wieder kleinere Aufstände für Grundrechte In Piemont-Savoyen Keimzelle des Aufstands: dort geschieht gedankliche Verbreitung, weil durchgehend von Fremdherrschaft verschont, Exilanten und Flüchtlinge werden aufgenommen. 1831: Gründung der Giovine Italia durch Linksliberalen Giuseppe Mazzini, lebt im Exil, organisiert Aufstände, er ist ganz explizit für ein geeintes Italien. Zwei Lösungen: - repbulikanisch-demokratische Lösung: Giuseppe Mazzini - monarchistische Lösung: Rechtskonservative Camillo Benso Cavour, wollen König von Savoyen an Spitze 3 Unabhängigkeitskriege: größte Unruheprovinz ist Mailand – war unter Napoleon Metropole geworden: reges Kulturleben und Zeitungen, viele Intellektuelle 1. Unabhängigkeitskrieg 1848/49: Cinque giornate: Schlacht von Custoza – niedergeschlagen von Österreich, Feldherr Radetzky gewinnt ihn, Friede von Mailand 2. Unabhängigkeitskrieg 1858/59: „Lombardischer Krieg“; Schlacht von Solverino und Magenta, durch Hilfe von Franzosen Italiener erfolgreich (Cavour); Lombardei an Italien 1860 Spedizione dei Mille unter Giuseppe Garbibaldi (“Da Quarto al Volturno”), vertreiben die Bourbonen aus Süditalien, schlecht bewaffnete Kämpfer, von Hafen in Genua weg bis Fluss Volturno (fließt bei Genua ins Meer), Süden mit Zentralraum und Norden vereint 1860 1. Hauptstadt: Turin; Versammlung des Parlaments in Turin 1861 Vittorio Emanuele II wird zum Re d’Italia 3. Unabhängigkeitskrieg 1866: territoriale Abrundung (Venetien kommt an Italien) Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 3 Beginn von Confessioni d’un Italiano (Ippolito Nievo): … nacqui veneziano e morrò italiano … 1870 Einmarsch in den Kirchenstaat; 1871 Rom wird Hauptstadt (Hauptstädte: Turin, Florenz, dann Rom) -> -> Abschluss des Risorgimento Sieg der monarchistischen Lösung; konstitutionelle Monarchie unter Re Vittorio Emanuele II LITERATUR NEOCLASSICISMO (Risorgimento) Literatur im Risorgimento stark von Romantik beeinflusst (politisch aktive Mitarbeit) Neoclassicismo: Rückkehr zur Antike, Imitat = Kunst, Regelkanon, Antike als ideale Kunst, Rückzugsort, Kunstreligion (Mitte 18. JH Pompeij ausgegraben und Colosseum aus Trümmern gehoben -> daher aktuell) UGO FOSCOLO erlebt Franz. Revolution! am Übergang (Neoclassicismo & Romanticismo), zeigt Einheitssehnsucht in seinen Texten Lange Zeit ungeeintes Italien: Sprachproblem, viele Strömungen und neue Richtungen verspätet in Italien (Rest Europas nimmt Ideen viel schneller auf) geboren in Griechenland (Zacinto), nach Tod des Vaters nach Venedig mit Mutter, vaterlos = heimatlos, sein Leben spiegelt sich in seinen Werken wider, zuerst Anhänger Napoleons dann enttäuscht (durch Vertrag von Campoformio), hat mehrere Berufe, irrt durch Italien, unglückliche Liebesgeschichten „Dei sepolcri“: Gräberlyrik Gräber können die Seele anzünden: sie sind Inspiration zu großen Taten, große Persönlichkeiten als Vorbilder, auch wir können wieder große Taten vollbringen Edikt von Napoleon zur Anonymisierung und Gleichheit der Gräber (außerhalb der Stadtmauern), Foscolo beklagt das: die Prunkvollen, präsentiert die Vorfahren als nationale Idee, wird politisch zum Ende; über Machiavelli (der den Mächtigen die Macht verstärkt hat), Michelangelo (Olymp in Rom), Galileo Galilei (padiglion rotarsi), Toskana, Dante (Ghibellini, musste fliehen), Petrarca (besingt reine/lyrische Liebe – nicht nackte/erotische), Vittorio Alfieri (irrt durch Italien, die Blässe im Gesicht), Perser gegen Griechen (vergleicht Italien mit Griechenland „Persi in Maratona“, auch Italien kann gegen Fremdherrscher gewinnen) „A Zacinto“: Sonett, zeigt Übergang zur Romantik Enjambements: deuten auf Rastlosigkeit hin Vergleicht Odysseus mit sich selbst (ist nicht klassisch) = selbstreflexiv, irrt auch herum, klassisches Thema, aber Odysseus kann seine Heimat wieder küssen, Foscolo nicht Symbolträchtige Natur; Todessehnsucht: stark romantisch, ist Faszination, Ausdruck der Einsamkeit O materna mia (Alliteration), Venus machte die Inseln durch ihr erstes Lächeln fruchtbar Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 4 Liebe für’s Vaterland; „du, Zacinto hast nichts anderes als mein Gedicht“ (Gesang/Sonett) -> das die Insel unsterblich machen soll, für ihn hat das Schicksal nur ein verlassenes (ohne Weinen) Grab vorgesehen (was auch wirklich so war: starb einsam in England) „In morte del fratello Giovanni“: Zwillingsgedicht, handelt auch von der Mutter: Erde/Heimat Le ultime lettere di Jacopo Ortis: beeinflusst von Rosseau und Goethe; beweint Fehlen von Nation, Motiv des Scheiterns – in Politik und Liebe in Einleitung schreibt Jacopos Freund namens Lorenzo, gibt Hinweis, dass es sich um Briefe handelt und es um einen unglücklichen Mann geht, er nimmt das Ende vorweg. Er will, dass sich die Menschen ein Beispiel nehmen und Trost geben (anderen geht es auch so; Mitleid und Verständnis). Er will ihm Monument errichten (etwas Bleibendes). Man erfährt nur wenig über das Aussehen von Jacopo, das wird kurz von Lorenzo angesprochen (eingefallen, mager, nachdenklich). Jacopo: zerrissener, großteils depressiver und resignierender Mensch, der scheinbar unfähig oder zu schwach ist, um zu protestieren. Seine Briefe sind oft sehr verzweifelt, negativ, traurig bis weinerlich außer als er vom Kuss mit Teresa berichtet: sehr ekstatisch und nimmt alles intensiv wahr – beschreibt die Natur (Korrespondenznatur: alles ist göttlich und harmonisch; kommt in seinen Briefen öfter vor – die Natur spiegelt seinen Seelenzustand wider). Die Liebe gibt ihm Kraft und hält die Welt zusammen, wenn es die Liebe nicht gäbe, gäbe es nur Tod und Verfall. Teresa wird sehr verherrlicht und als göttlich beschrieben – ihr gilt also seine Sehnsucht. Er ist außerdem politisch resigniert und unfähig zu handeln. Er fragt sich, ob es noch anständige, moralische Menschen gibt und je mehr er liest desto pessimistischer wird er (führt zu Chaos, so meint er). Klassische Werte, so meint er, gibt es nicht mehr - das Positive ist den Menschen nicht gegeben. Eitelkeit und Selbstliebe der Menschen führt zu negativen Ausgang. Er schreibt auch, dass er seine Heimat verlassen muss, schreibt über Kämpfe zwischen den Italienern, über Fremdherrschaft, über das Sprachenproblem (zB will er ital. Buch kaufen und man versteht ihn nicht; er sucht ein Gesetz/Gericht: geht um fehlendes Verhältnis von Bürger und Staat) und das fehlende Nationalgefühl. Auch Italiener sind an ihrer politischen Situation Schuld. Er schreibt über seine Geschichtsauffassung: Rom hat andere zu Beherrschten gemacht, alles kommt irgendwann zurück -> Zyklus der Geschichte, wir sind klein im Vergleich zum Weltgeschehen/Zeit. Jede Nation hat ihre „età“. Alles ist vergänglich. Jacopo sieht als einzige Ausfluchtmöglichkeit (aus der politischen Lage und wegen seiner unglücklichen Liebe) nur den Selbstmord. Das Thema ist von Anfang an präsent und wird vor allem immer intensiver nachdem Teresa Odoardo heiratet (obwohl er bis zum Schluss hofft, dass sie sich für ihn entscheidet). Sein Ausweg aus dem Selbstmord ist die Hoffnung auf: 1. Befreiung Italiens, 2. Teresa entscheidet sich gegen Heirat (gegen Bürgertum), 3. Kunst als Heilung -> (3fach-Illusion). Für ihn ist der Tod Protest, aber auch einzige Möglichkeit unsterblich zu werden: in Erinnerung zu bleiben und in seine Heimat zurückkehren zu können. Auch der Vater von Teresa hätte seine Tochter gerne Jacopo anvertraut -> Parallelen erkennbar zwischen der Hoffnung Foscolos in Napoleon (der ihn schließlich enttäuscht) und zwischen der Freundschaft Ortis zu Signor T***. Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 5 Odoardo hingegen ist sein Gegner, er beschreibt ihn mit vielen Widersprüchen, gibt zu, dass er gute Qualitäten hat, aber in Wirklichkeit innerlich ein kalter Mensch (er hat ein „totes Herz“) ist. Auch Jacopos Mutter wird immer wieder erwähnt und angerufen, er weint ihr nach, so wie sie ihm (schließlich kann sie ihn finanziell ein bisschen unterstützen). Sie kann auch als verlorene Heimat gesehen werden, der er nachweint. Le ultime lettere di Jacopo Ortis kann als erster italienischer Roman gesehen werden, aber nicht klassischer Roman, ist Briefroman. Diese Form erlaubt eine noch unmittelbarere und authentische, lebendige, spannende Darstellungsweise. Monologischer Briefroman mit Zwischenkommentare von Lorenzo (Freund und Herausgeber). Selbstkommunikation, authentisch, subjektiv, keine Intervention von außen (keine Widerrede zB von Lorenzo). Der Briefroman ist stark autobiografisch: Verlassen der Heimat, herumirren, unglückliche Liebe > Parallelisierung von unglücklicher Liebe und Scheitern von Einigung Italiens (eines reflektiert das andere), sehr dramatische letzte Seiten, als er sich von Teresa und ihrer Familie verabschiedet (gibt vor, auf eine Reise zu gehen) und schließlich als er sterbend entdeckt wird. ROMANITCISMO Inspiration, Spontaneität, Originalität, Sensibilität Veränderung der Denkweise – siehe KLASSISCHES vs. MODERNES EPISTEM (Epistem = alles, was Denkweise einer Zeit charakterisiert; Michel Foucault analysiert in „Die Ordnung der Dinge“ Epochen und Systeme) KLASSISCHES EPISTEM MODERNES EPISTEM Spätes 17. JH und 18. JH 19. JH Zyklische Geschichtsauffassung Graduell entwickelnde Geschichte Zeitalter der Enzyklopädien -> Welt ist L’age del’histoire geordnet Geschichtswissenschaft) Imitatio veterum als Kunstprinzip: Imitieren (Zeitalter der Aufwertung der Sprache und Literatur (als Wissenschaften) Natur ist Wirklichkeit/Welt und gilt als stabil, Neue Themen: Kindheit (Unschuldigkeit & statisch und finites System Ursprünglichkeit), der „noble Wilde“ Interesse an Andersartigkeiten (anderen Völkern) und menschlichen Tiefen (das Unbewusste) Begriff der Romantik wurde im 17. JH pejorativ verwendet, im 18. JH positive Konnotation Europäische Romantik ab ca. 1790 – Einfluss der französischen Revolution (Romantiker als Fortschrittsdenker und Revolutionäre); England, Frankreich, Deutschland Vorreiter. Fokus auf Gefühle; Natur wird als Gegensatz zur Industrialisierung gesehen. Ich reflektiert über sich Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 6 selbst (neu); Individuelles setzt sich in Beziehung zur Natur; Freiheit des Einzelnen mit Rechten und Pflichten in der Gesellschaft; Vorreiter: Rousseau und Vertreter des dt. Sturm und Drang; Künstler ist Genie und braucht keine Regeln Verspätete Romantik in Italien, von Madame de Stäel (französischstämmige Schweizerin; „De l’esprit des traductions“), richtet sich an Italiener -> Italienische Literatur soll sich Neuem öffnen, nach Italien gebracht; es gibt viele Schriften zur Pro- oder Contra-Romantik Romantische Ästhetik in Italien: Gegen Neoclassicismo Gegen Rationalismus Gegen Regelpoetik Spontaneität und Echtheit Geschichte als literarische Thema (neu!) Für die gesprochene Sprache, keine formale Perfektion Literatur soll der Bildung eines Nationalbewusstseins dienen (Literatur im Dienste des nationalen Anliegens -> Wechsel literarischer Modelle; Dialektdichtung, Politische Schriften, Literaturgeschichtsschreibung, Autobiographische Schriften/Memoiren IPPOLITO NIEVO (Histor./autobiografischer Roman): Le confessioni di un italiano, fiktive Memoiren eines 80-jährigen, beschreibt Anfang des Risorgimento bis Ende SILVIO PELLICO – Hauptfigur der Romantik Besonders verdächtig für Polizei, Teil der Carboneria, kommt ins Gefängnis und schreibt seine Erinnerungen über die Haft; Historisches Drama: Francesca da Rimini, Motiv aus Dante, betrügt Mann mit dessen Bruder muss hässlichen Mann heiraten; Halbsünde bei Dante, als Drama verarbeitet ALESSANDRO MANZONI I promessi sposi: 1. großer italienische Roman; viel Inhalt, viel Aktion; Protagonisten: einfache, tugendhafte Menschen aus Volk (stehen für Menschen, die Nation brauchen würde), moralisch und ethisch anspruchsvoll Versprochenes Paar (Renzo und Lucia) darf nicht heiraten – spanischer Fremdherrscher verbietet es, Priester (Don Abbondio) ist schwach -> wird krank, Flucht der Lucia, verschiedene Abenteuer; Lucia ist tugendhaft; Wiedersehen der Liebenden 1748 bei Pest, politischer Subton: die Fremdherrscher sind die Bösen, verlegt ins 18. JH (Anklage der Fremdherrscher) Italien nimmt Roman spät auf (Land der Epen und Lyrik!) Werk trägt zur Klärung der questione della lingua bei; immer wieder neue Fassungen – Manzoni will Dialekte rauslöschen, zum Schluss ganz im Toskanischen verfasst Historischer Roman: - Topos des gefundenen Manuskripts - Religiöses Element - Politisches Interesse Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 7 Roman als neuer Wertekatalog für das Bürgertum Werk Manzonis ist Synthese der historischen, religiösen, ästhetischen, moralischen und politischen Reflexionen seiner Zeit Kursive Teile zu Beginndes Romans: geben Hintergrundinfo/Reflexion und Erklärung, gefundenes Manuskript aus 17. JH, Autor plant, das Manuskript in moderner Sprache niederzuschreiben, es geht nicht um Mächtige, sondern um persone umili, wendet sich direkt an LeserIn (Spiel aus Distanz und Nähe; Distanz: kann nicht politisch verfolgt werden) Don Abbondio erhält Auftrag von Fremdherrscher (Don Rodrigo; politisches Element: Fremdherrschaft ist nicht gut), Lucia & Renzo – Leute aus der unteren Schicht – nicht zu verheiraten. Don Abbondio ist eine schwache Figur und traut sich nicht – wird krank. Renzo und Lucia flüchten, sehen sich nach Pest in Mailand wieder. Lucia: ist sehr tugendhaft und gläubig, tut Gutes und bekehrt auch einen Bösen; Zum Schluss: Renzo zählt auf, was er gelernt hat (wie Litanei), Lucia fragt sich, was sie gelernt hat, denn sie war immer schon ein guter Mensch. Glaube an Gott: moralisch-religiöses Ende. Nur durch Glaube kann Elend überwunden werden. Auktorialer Erzähler (wie Gott): allwissend, auch Bildungsroman, denn Protagonisten entwickeln sich. Historische Distanz: daher nicht gefährlich für Behörden, Manzoni wird freigesprochen (Verdacht der Zensur) Manzoni: Sohn von Giulia Beccaria (sie ist sehr fortschrittlich, im Gegensatz zu ihrem Mann); Mutter trennt sich von Vater, Manzoni geht mit Mutter nach Frankreich (kommt mit sehr liberalen und revolutionären Ideen in Kontakt), durch seine Ehefrau wieder Hinwendung zur Religion Manzoni nimmt beides auf: Freiheitsgedanke mit katholischem Element - Risorgimento und Geschichtsinteresse - Katholizismus - Projekt einer nationalen Einheitssprache Ode „Il cinque maggio“: Tod Napoleons gewidmet, beschreibt seine Ambivalenz, Napoleons Name wird nicht erwähnt, beschreibt Taten Napoleons und dessen Auf & Ab Ei fu -> sehr bekannter Anfang! „fatal“ (ambivalentes Wort hier): fatal für ihn und andere; wie unbewegt; die Welt ist losgelöst von diesem Geist, erinnert sich still an die letzte Stunde dieses fatalen Mannes, wann kommt wieder so eine Persönlichkeit? will nicht urteilen, zuerst kritisch, Glaube bringt Versöhnung Genie sah ihn am Thron sitzen und schwieg -> hat kein Gedicht zu dessen Lebzeiten geschrieben war es echter Ruhm? (Ambivalenz), Urteil obliegt Nachkommen und dem größten Schöpfer Selbstkrönung Napoleons, wie ein Schiffsbrüchiger, Gefahr, Flucht, Sieg, über 2 Jahrhunderte …., Glaube gibt schlussendlich Hoffnung (löst Zweifel auf) -> Gott ist neben ihm schrieb auch historische Tragödien und Oden Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 8 GIACOMO LEOPARDI Hauptsächlich Lyrik, philosophisch „L’infinito“: bekanntestes Gedicht Außenseiter; wächst in sehr konservativer und religiöser Familie auf, studiert griechische und lateinische Literatur (reichhaltige Bibliothek, ist Autodidakt), wahnhaftes Studium, Augenkrankheit, schwere Krise und Depression; Gegner der „Romantik“ – kann mit Zeitgenossen nichts anfangen, ist gegen Risorgimento und für aufgeklärten Absolutismus; ist sehr rückwärtsgewandt aber kein Klassizist Pessimismo storico & cosmico Rückzug nach innen Noia (Lebensüberdruss) Zibaldone: Tagebuch, philosophische Reflexionen – Sammelsurium von Ideen und Aphorismen Operette morali: “Dialogo dealla natura e della moda”, “Dialogo della natura e di un Islandese” (Vergänglichkeit, Leiden der Menschen); ein Drittel seines Lebens blüht der Mensch, dann erreicht er maturità und perfezione, und schließlicht kommt der Fall „L’infinito“ (Gli Idilli): … infinito silenzio; Sehnsucht nach der unendlichen Ruhe und Stille, nach dem Tod, er möchte untergehen in dieser unermesslichen Stille (in der er keine Angst zu haben braucht), drückt durch die Natur sein Inneres aus, räumliche und zeitliche Unendlichkeit (siepe = Hecke, die seinen Horizont einschränkt) und Ewigkeit „A se stesso“: Or poserai per sempre … , enttäuschte Liebe, fühlt Leere (noia), nihilistisch, hat keine Hoffnung und Sehnsucht mehr „La ginestra o il fiore del deserto“: Ginster; Wüste vom Vulkan (Vesuv) verursacht; Pessimismus und Einsamkeit; noch streckst du dich empor (Ginster) doch bald auch musst du dich dem Tod beugen GIUSEPPE BELLI (Vertreter der Dialektdichtung) Er caffettiere filosofo – in romanesco Beschreibt Menschen und karikiert sie: alle Menschen sind im Endeffekt gleich -> müssen sterben, vergleicht Menschen mit Kaffeebohnen in Kaffeemühle, einer nach dem anderen kommt dran, das Schicksal ist aber gleich, sie wechseln den Ort, der Größere jagt den Kleineren, aber beim 2. Mahlwerk stauen sich alle, durchmischt vom Schicksal – mal schneller, mal langsamer – ohne sich bewusst zu werden, dass sie alle in den Rachen des Todes fallen. POST-RISORGIMENTO SCAPIGLIATURA Abschluss des Risorgimento Neue Generation, Italien ist ein Staat mit vielen Problemen, viele (geographische und wirtschaftliche) Unterschiede, verschiedene Bildungsstandards, verschuldet durch 60 Jahre Krieg Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 9 I Scapigliati („Die Zerzausten“): sind junge Individuen beiderlei Geschlechts; anti-bürgerliche Literatur, junge Proteste; in Italien großteils in nördl. Metropolen, orientierungslos was Werte betrifft; sind entwurzelt, nirgends zugehörig, bewusst unangepasst Gemeinsamkeiten / Kennzeichen: Protest und Reaktion auf die Kunsttradition Italien Suche nach „moderner“ Kunst Protest gegen das Bürgertum (Familie, Arbeit, Fleiß) Vorliebe für die Großstadt Bewusst unangepasste Lebensform Literaturgeschichtliches Bindeglied zwischen Romantik und Symbolismus bzw. Dekadenz und Naturalismus bzw. Verismo „Die Zerzausten“ bereiten zwei verschiedene Strömungen vor, lässt sich erkennen: beschäftigen sich mit Marginalisierten (sozialpolitischer Anspruch) und beschreiben Grenz- und Sinneserfahrung (das Unheimliche/schwarze Romantik -> Decadentismo) „Italia è fatta, ora bisogna fare gli italiani” (Massimo d’Azeglio) -> kein Nationalgefühl EMILIO PRAGA „Preludio“ (noi siamo i figli dei padri ammalati, …) Handelt von Manzoni (Überdichter, dessen Zeit vorbei ist), war sehr katholisch -> antichristliche Rhetorik; das Böse & Hässliche wird beschrieben und besungen „Wir sind erkrankte Söhne oder Söhne erkrankter Väter“ -> doppeldeutig/Bruch, drückt Ambiguität aus, heroische Zeiten sind vorbei, Abgott, 7 Todsünden werden besungen, „bist Greis, der in Visionen vertieft ist“ (Manzoni), es ist die Zeit der Antichristen, der Leser ist Feind (Bürger), Zweifel, Unwissen, Langeweile wird besungen IGINIO UGO TARCHETTI La lettera U (manoscritto di un pazzo): Verrückter schreibt darüber, wie sehr er Buchstabe U hasst. Liebt Frau, die mit U beginnt und heiratet sie; er will, dass sie Namen ändert, wird verrückt Weiteres Werk: Fosca (1869) – Hässlichkeit und Anziehung, junger Offizier wird von hässlichen Frau in Bann gezogen; CLETTO ARRIGHI Gli sposi non promessi: parafrasi contrapposta ai “Promessi sposi” (1863) -> Parodie auf I promessi sposi ARRIGO BOITO „L’afier nero“ (1867): Schwarzer und Weißer spielen Schach, gehen wirklich darin über (kämpfen gegen einander); Werk zeigt, dass jeder dunkle Seite in sich hat; CARLO DOSSI La vita di Alberto Pisani (1870) Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 10 VERISMO Italienische Variante des Naturalismus (siehe auch Émile Zola: personaler Erzähler, im Vorwort als Rechtfertigung: Studie) Vorreiter: bürgerlicher Realismus (bzw. Positivismus; Abbildung der Realität 1:1, Bürgertum im Zentrum, Individuum + Versuch auszubrechen) und Determinismus (Grundanlagen des Menschen schon festgelegt) -> weil sich Wissenschaften entwickeln (alles kann wissenschaftlich erklärt werden) Verismo -> Wahrheitsanspruch (von vero – wahr): bewusste Beobachtung (Erzählungen geben oft vor Studien zu sein – erheben aber keinerlei wissenschaftlichen Anspruch), Illusion der Realität; soziale Strömung: brutale, schonungslose Darstellung der untersten Gesellschaftsschichten; personaler Erzähler, aber Handschrift durch Autor soll nicht erkennbar sein -> soll Anschein erwecken, dass Ereignisse tatsächlich vorgefallen sind; Hauptmerkmale des italienischen Verismo (nach Kapp): Zuwendung zu niedrigen Schichten und ihrer Kultur, Texte spielen oft im Süden (Arme, Entwurzelte) Ausdruck von Pessimismus und Resignation (glaubt nicht an Verbesserung) Geschichte als negative Kraft (soziale Situation Italiens) Blick von außen auf Protagonisten (personaler Erzähler) Etablierung des Romans als seriöses Genre Suche nach Wiedergewinnung der mündlichen Tradition GIOVANNI VERGA entstammt der Scapigliatura und etabliert Verismo I Malavoglia (1881): aus Zyklus (5 Bände) namens I Vinti, wollte in 5 Texten Gesellschaft zeigen -> 5 Gesellschaftsschichten darstellen; Malavoglia: arme Fischerfamilie in Sizilien, machen Spekulationsgeschäft -> wollen reich werden, handeln mit Lupinenklee, Sohn Bastianazzo soll mit Lupinenklee zur nächsten Hafenstadt fahren, doch er und seine Helfer ertrinken, Boot kann an Land gebracht werden; Boot getauft Provvidenza (Vorsehung), Klee weg, Unglück nimmt seinen Lauf, Großvater setzt Haus als Sicherheit für Rückzahlung ein (Klee wurde auf Kredit gekauft), müssen Boot verkaufen, verlieren Haus; cammino fatale (Verga) -> Menschen läufen Fortschritt nach, sind geblendet, können aus ihrer Schicht nicht ausbrechen und werden von der fiumana der Menschen überrannt. Im Vorwort schreibt Verga, dass er eine ehrliche und leidenschaftslose Studie schreiben will, die exakt und echt sein soll. Die Malavoglia sind eine gute und tüchtige Familie. Jedes einzelne Familienmitglied ist wichtig um zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Padron `Ntoni spricht in Sprichwörtern und ist der Patriarch der Familie. Er hat einen Sohn, der mit seiner Frau 5 Kinder hat. Sie alle werden mit Namen + Spitznamen aufgezählt und auch beschrieben; dialektale Einschläge sind sehr markant in diesem Werk; Es geht um Klassenunterschiede (fazzoletti di seta – Zeichen von Reichtum), die Reichen arbeiten nicht und die Armen wissen nicht, wie sie sich erhalten können, obwohl sie ununterbrochen arbeiten. Die Reichen schauen das Geld nicht einmal an (Textstelle). Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 11 Beschreibung der Cholera und ihre Auswirkungen: „Longa“ (Frau von Bastiano) stirbt an der Cholera, Unglück für ganze Familie – Waisen (Vater war schon früher am Schiff gestorben; Schiff auch kaputt) -> verlieren alles. Werden von Dorfgemeinschaft gemieden. Sohn ´Ntoni zieht aus um Geld zu verdienen, kommt arm zurück und wird von Dorf verspottet -> Stimmen des Dorfes gut in Werk dargestellt. Mastro Don Gesualdo: 2. Teil des Vinti-Zyklus; Mastro Don Gesualdo will mehr haben, will zu aristokratischer Schicht gehören, schafft es nicht, anerkannt zu werden, schlechter Ausgang; „L’amante di Gramigna“: aus Novellensammlung Vita dei campi (1876); benennt den Text auch documento umano, schreibt es in einfacher Sprache auf – so wie er es gehört hat; Schrieb auch Novelle „Nedda“ (1874) LUIGI CAPUANA schrieb Giacinta (1879) und Il marchese di Roccaverdina (1901) (objektive Darstellung psychischer Prozesse) FEDERICO DE ROBERTO hat I Viceré (1894) geschrieben: Untergang einer aristokratischen Familie, Ende sehr bekannt; (die Geschichte ist eine monotone Wiederholung, die äußerlichen Umstände ändern sich, der Unterschied ist nur äußerlich, die Menschen sind immer gleich); Filmversion: 2007. MATILDE SERAO beschreibt in Milieustudie Il ventre di Napoli (1873) die Stadt Neapel, richtet sich darin an die Regierung: das “echte” (arme) Napoli habt ihr nicht gesehen („I quartieri bassi“), … non basta sventrare Napoli (abreissen), si defe rifarla … schreibt vom schwarzen Bach – menschlichen Abfällen (Abfälle in Napoli); JAHRHUNDERTWENDE Kulturell, politisch und sozial mehrere Strömungen und Probleme innerhalb kürzester Zeit 2 Phasen: Ära Crispi und Ära Giolitti 1890er Jahre: ÄRA CRISPI Viele Krisen, trasformismo (Partei ist Kompromiss aus links und rechts – entstanden aus Cavour und Mazzini -> konstitutionelle Monarchie) -> Opposition ist somit ausgeschaltet. Kümmert sich hauptsächlich um Militär, Schwerindustrie, Außenpolitik -> also um Reiche und nicht um soziale Probleme; Beginn des neuen JH: ÄRA GIOLITTI Giolitti nteressiert sich weniger für Außenpolitik, mehr für Innenpolitik, kümmert sich um arbeitsrechtliche und soziale Fragen (wenn auch nur marginal im Süden), große Firmengründungen zu seiner Zeit (nicht sein Verdienst) -> wirtschaftlicher Aufschwung, organisierter Kapitalismus kommt schon minimal zum Vorschein; Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 12 „Transformistische Allianz“ (Giolitti): integriert extrem-andersdenkene in Partei, politische Diskussion fehlt aber immer noch; „JUSTE MILIEU“ wird eingehalten: Mittelmaß, nicht Provokatives, richtige Mitte, keine radikale (oder andere) Kunst Repräsentant dieser Richtung: GIOSUE CARDUCCI – Nationaldichter Italiens, beschwört antiken Mythos wieder herauf, große Beliebtheit beim Bürgertum, Nationalstolz (noch immer Positivismus als ideologisches Gerüst des Bürgertum) Andere Schrifsteller des „Juste Milieu“: De Sanctis, De Amicis, Benedetto Croce Zur JH-Wende schließlich Kritik an Trias Positivismus, Realismus & Naturalismus -> antibürgerliche Reaktionen: DECADENTISMO entsteht. In ganz Europa, anfangs Begriff negativ konnotiert, aber von KünstlerInnen aufgenommen (sind sich bewusst, dass sie letzte Überbleibsel einer zerfallenen Kultur sind), wollen sich absichtlich von Masse abheben; Literatur zeigt hauptsächlich das Schöne, oft Aristokraten als Autoren, Genuss und Schönheit, elitäre Strömung, (höhere Schichten fühlen sich bedroht und wollen sich abheben vom Bürgertum: exzentrisch): Verzicht auf Beobachtung der Realität Abwertung der Wissenschaften Ablehnung der sozialistischen Neigungen (sind Elite und wollen keine Vereinheitlichung) Distanz der Intellektuellen zur Masse Kultur als Privileg einiger weniger (neuer Kulturbegriff) Antibürgerlich Antidemokratisch Elitäres Selbstverständnis Ablehnung von Realismus und Naturalismus Für eine symbolische Ästhetik (Welt als Symbole, sehr bildhaft, nicht 1:1Abbildungen) Schönheitskult in Dichtung und Leben Selbststilisierung des Künstlers (Dandy): zB Oscar Wilde ist wie seine Figur Dorian Gray (schön, gebildet, reich); Leben wird als Kunstwerk gelebt Artifizielle Frauenfiguren: femme fatale (verruchte Dunkelhaarige, die mit Männern spielt) vs. femme fragile (Blonde, sittsam, tugendhaft, leidet unter Dandy, Opfer der Männer) Antimoral & Erotik: frei der Zwänge, freie Liebe Autonomie-ästhetischer Ansatz: l’art pour l’art – Zweck der Kunst liegt in ihr selbst (im Gegensatz zu Heteronomie-ästhetischen Kunsttheorien: Zweck außerhalb ihrer selbst zB in Politik und Soziales, politisch-engagierte Kunst) 3 ganz unterschiedliche Künstler, die sich aber alle der l’art pour l’art verschrieben haben: D’Annunzio, Fogazzaro, Pascoli: Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 13 GABRIELE D’ANNUNZIO Typischer Dandy und Vertreter des Decadentismo: selbstinszeniert, exzentrisches und vielseitiges Leben, elitär, abwechslungsreiches Leben, unterschiedliche Berufe, Leitfigur des Decadentismo, von ihm stammt der Begriff vittoria mutilata = verstümmelter Sieg, nimmt selbst am Krieg teil; D’Annunzio stammt eigentlich aus Verismo -> dann Decadentismo; schreibt Lyrik und Prosa und schließlich Trilogie Romanzi della rosa, ein Teil davon ist „Il piacere“ (Textauszug) „Il piacere“: Dreiecksgeschichte, dekadenter Künstler, vergnügt sich/frönt dem Schönen, Elena: Geliebte, spielt mit ihm („femme fatale“), Maria: blonde, zarte Frau, gläubig, tugendhaft, Kind, verheiratet („die Unschuldige“) Andrea Sperelli lebt in einer Wohnung, die wie ein Theater wirkt, ein Kunstwerk ist. Er ist der perfekte Einrichter, er fällt fast selbst auf dieses Kunstwerk rein. Er wird als überheblich, intellektuell und der letzte seiner Art beschrieben. Er inszeniert sich selbst, sieht Kultur und Studium als Privileg; ist unmoralisch, fühlt sich überlegen; androgyner Menschentyp (auch Männer). Begriff des superuomo: Mensch, der anderen überlegen ist, kann Nihilismus überwinden und neue Werte schaffen -> in Trionfo della morte und Le vergini della rocca Forse che sì, forse che no: Fliegen und Autofahren – neue techn. Errungenschaften als Faszination, ist für ihn auch ästhetisch Auch bei ANTONIO FOGAZZARO (Mensch des Übergangs) findet sich auch ein bisschen superuomo-Prinzip GIOVANNI PASCOLI Sehr introvertierter Mensch, kein dandyhaftes Leben; Rückzug nach Innen -> löst seine Konflikte damit, beschäftigt sich viel mit Natur -> ist Rückzugsort, idyllische Orte, Anspielung an bukolische Dichtung (arkadisch: ideale/heile Welt von Vergil) „Novembre“ – Gedicht aus Lyrikband Myricae (ländliche Idyllen): Hören, Stille; prunalbo = Weißdorn; November = Todesmonat, nichts blüht mehr, extreme Kurve zum Negativen; Sommer der Toten, zerbrechliches Fallen; dekadentes Motiv – Todesmotiv, aber ganz anders als bei D’Annunzio; Il Nido: beschreibt ursprüngliche Geborgenheit und Sehnsucht Auch dargelegt in Il Fanciullino: in jedem von uns steckt Kind, kindl. Sichtweise, inneres Kind, müssen kindl. Sichtweise pflegen Zeitgleich KLASSISCHE MODERNE (beginnt mit Jahrhundertwende) Orientierung an Erkenntnissen der Psychoanalyse, oft sehr komplexe Konflikte, viele innere Monologe & stream of consciousness; Wahrnehmung des Ich; Definitionen der Moderne: 1. modern – im Alltag, das Neue, Andere, Außergewöhnliche, das sich abhebt 2. Moderne Gesellschaft – soziologische Definition: Funktional differenzierte Gesellschaft (laut Soziologen Niklas Luhmann): wir definieren uns über Funktionen Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 14 und Aufgaben (nehmen je nach Rolle verschiedene Aufgaben wahr); (vs. stratefikatorische Gesellschaft: hierarchisch aufgebaut, Gesellschaft in Ständen) Wir suchen uns also aus Vielzahl von Möglichkeiten eine heraus: enorme Freiheit und auch Zwang (Unfreiheit, da wir wählen müssen -> Zwang; Sartre: Der Mensch ist zur Freiheit verdammt) Vielfältige, komplexe moderne Gesellschaft: Autonomie und Abhängigkeit Individualisierung (wir versuchen etwas Einzigartiges zu machen) Spezialisierung (Universalwissen nicht möglich) Abstraktion (Wissen nicht mehr fassbar) Fragmentarisierung (Unmenge an Wissen & Input, nur mehr fragmentarische Wahrnehmung möglich) Technologisierung Säkularisierung Rationalisierung Verwissenschaftlichung Kunst- und literaturgeschichtliche Bedeutung MERKMALE DER „MODERNEN“ LITERATUR Implikationen der modernen Gesellschaft, Erweiterung der literarischen Sujets Individuum im Mittelpunkt – als Objekt und Subjekt Fragen der Wahrnehmung, Frage nach stabilen Wirklichkeitssystemen Darstellung von Konflikten zwischen Ich und Gesellschaft (Perspektivenkonflikte) Keine Bereitstellung von Antworten und von Lösungen Neue Ausdrucksmittel: innerer Monolog, erlebte Rede, stream of consciousness A-chronologische und a-lineare Erzählweisen LUIGI PIRANDELLO Nobelpreisträger Uno, nessuno, centomila: Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, körperliche difetti -> Gedankenexplosion über seine Wahrnehmung, muss aus Gesellschaft aussteigen; vier Stufen der Wahrnehmung in diesem Werk: 1. Vivere = leben ohne zu reflektieren, weniger Probleme 2. Sentirsi vivere = centomila, entdeckt seine schiefe Nase 3. Vedersi vivere = will sich leben sehen, nessuno – können uns nicht wahrnehmen wie andere uns sehen 4. Vedersi guardato = hält den Blick der anderen nicht mehr aus L’umorismo -> was ist der Humor (zieht sich durch alle seine Werke) Comico: wir finden etwas komisch, weil es widersprüchlich ist oder nicht üblich L’umorismo: il sentimento del contrario: man reflektiert, denkt über etwas nach – kommt dadurch zu Mitgefühl, weil man eine Erklärung findet Humorist erkennt, dass Leben aus Dualität von vita vs. forma (Schein und Sein) besteht; Masken sind notwendig um mit Leben zurecht zu kommen, aber sind wir uns dieser nicht bewusst, wird es schwierig (wir geben uns selbst die Masken, werden uns aber auch von anderen gegeben); Humorist geht in die Tiefe (da er Dualität erkennt) und ist kritischer als der Komiker, zeigt Dinge auf, mit denen sich Menschen täuschen (lassen); Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 15 Novellensammlung Novelle per un anno Metadrama Sei personaggi in cerca d’autore: Drama in Drama, über Gruppe von Schauspielern, Unterbrechungen von Figuren, die sich dann selbst spielen ITALO SVEVO, eigentlich Aron Ettore Schmitz aus Triest, viele Europa-Reisen, Kontakt zu Intellektuellen u.a. Sigmund Freud, James Joyce (zwischen diesem und Svevo entwickelt sich Freundschaft; Joyce motiviert ihn und macht Svevo bekannt) Svevos Herkunft ist sehr bezeichnend: an Grenze, zwischen Kulturen, auch beruflich: zerrissen zwischen kaufmännischem Beruf und der Schriftstellerei; schreibt über inetti = Untaugliche, Lebensunfähige -> Menschen, die alles haben, aber kein zufriedenstellendes Leben führen (Wohlstandsunglück); seine Helden sind Antihelden; schreibt über Ich, die Konsumgesellschaft und Sinnlosigkeit, beeinflusst von Nietzsche und Schopenhauer, pessimistische Weltsicht; Svevos Hauptthema: Das Indiviuum in moderner, kapitalistisch organisierter Gesellschaft; La Coscienza di Zeno: am meisten von Psychoanalyse Freuds beeinflusst; nach Themen geordnet, nicht chronologisch; Inhalt: Psychoanalytiker rät Zeno seine Lebensgeschichte aufzuschreiben; dieser macht das und schreibt über seine Vater, Ehefrau, Geliebte, wirtschaftlichen Reichtum, il fumo, ... Zeno beschreibt, dass er oft vorhatte, mit dem Rauchen aufzuhören, wie oft er die letzte Zigarette geraucht hat oder dass er eigentlich die Schwestern seiner Frau heiraten wollte; berichtet von schwierigen Beziehung zum Vater; bildet sich auch verschiedene Krankheiten ein und kommt schließlich zum Schluss, dass das ganze Leben eine Krankheit ist; Apokalypse (Krieg) am Ende des Werkes fast als Reinigung, steigt in Waffengeschäft ein und ist recht erfolgreich: WWII zwingt ihn aktiv zu werden; Psychoanalytiker gibt vor, Werk herausgegeben zu haben, um sich an Patient zu rächen (weil dieser die Therapie abgebrochen hat). Schrieb auch Una vita und Senilità CREPUSCOLARISMO Dichter der Dämmerung, ab Jahrhundertwende (zwischen Decadentismo und Futurismo) Crepuscolare: bedeutet dämmrig/melancholisch, trübe Dichtung; auch „Dichter der kleinen Dinge“; Begriff wurde ursprünglich von Giuseppe Antonio Borgese in einem Artikel verwendet, in dem er sich negativ über diese Dichtung äußert (ohne Realitätsbezug, von geringer lyrischer Qualität) Gemeinsame Merkmale: - Langeweile - Sprach- und Machtlosigkeit Können nicht als Schule bezeichnet werden, haben kein kohärentes Programm, ist lyrische Strömung, in der es um Flucht aus Realität und Gegenwart in Idylle geht, oft Ländliches und seine Intimität thematisiert; weitere Themen: Traum, Erinnerungen an Kindheit, Gedanke an Tod, schreiben über einfache, alltägliche Dinge, daher „Dichter der kleinen Dinge“ Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 16 GUIDO GOZZANO einer der wichtigsten Figuren aus Turin (La via del rifugio, 1907), I colloqui machten ihn schon zu Lebzeiten berühmt CORRADO GOVONI Gedichtsammlung: Le fiale (1903); Armonia in grigio ed in silenzio (1903) SERGIO CORAZZINI Piccolo libro inutile (1906) – negiert sich darin selbst, io non sono poeta; Todessehnsucht; MARINO MORETTI Poesie scritte con lapis (1910) ALDO PALAZZESCHI I cavalli bianchi (1905); Lanterna (1907); Poemi (1909); 1. WELTKRIEG ERMETISMO Sammelbegriff für das „dunkle Dichten“; ab dem 1. Weltkrieg (bis 2. Weltkrieg), lyrische Strömung; große Lyriker, schwer zugängliche, verschlüsselte Literatur; moderne, niveauvolle, komplexe Lyrik, reagieren auf Zeit: Beginn des Faschismus; diffuser Begriff, weites Phänomen mit unterschiedlichen Bezeichnungen Dichter versuchen reines Dichterwort (parola pura) zu finden; schwierig zu lesen, da extreme Reduktion, verwenden oft Analogismus (ohne Vergleichspartikel, ), Synästhesie (Objekt mit Sinneswahrnehmung verbunden, die für uns nicht logisch ist) Francesco Flora prägt den Begriff, indem sie „la poesia ermetica“ kritisiert -> wird übernommen und bekommt somit positive Konnotation; GIUSEPPE UNGARETTI Bekanntestes Gedicht “Mattino”: sucht im Unermesslichen nach Erleuchtung -> sucht nach poetica della parola Il porto sepolto: lyrisches Kriegstagebuch, Kriegserfahrung macht restliches Leben absurd; starke Reduktion, keine Interpunktion, metapoetisch, Dichter zieht sich zurück auf Inneres (Reinigung), Oxymoron (was bleibt ist Nichts aus unerschöpflichem Geheimnis); SALVATORE QUASIMODO „Ed è subito sera“: Kurzform des Lebensverlaufs oder der Erleuchtung, erhält Nobelpreis; EUGENIO MONTALE Sonett Non chiederci la parola; Inhalt/Übersetzung: können nur sagen, was nicht ist; 2. Strophe politischer Subtext: der Mensch wirft seine Schatten, doch er kümmert sich nicht darum und er kümmert sich nicht darum, was hinter der Mauer ist (Faschismus); Ossi di seppia: modernes Leben ist dürr und nutzlos, innere Dürre durch Krieg, beschreibt menschliche Existenz Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 17 Zeitgleich: FUTURISMO Italien als Impuls, Start: 1909 (Gründungsjahr der Futuristen); erste literarische Avantgarde in Europa, Künstlergruppe, die sich bewusst formiert, bewusster Beitritt mit Unterschrift (diese Strömung bildet sich also in der Gegenwart und wird nicht wie so oft im Nachhinein eingegrenzt und zugeordnet), Manifest mit Richtlinien, Künstler verstehen sich als Vorhut/Anführer, schaffen Revolutionäres, oft sehr provokativ (avantgardistisch), ihre Kunst soll aufrütteln, veranstalten serate futuriste – in denen sich Bürger aufregen -> gelungen Reaktion; Begriff: militärische Bedeutung (Vorhut, Spähtrupp) und politische Bedeutung (marxistische Partei ihrer Zeit voraus); Vorgeschichte der künstlerischen Avantgarden: Graf Henri de Saint Simon hatte Vorstellung, dass Künstler die Führung der Gesellschaft übernehmen sollten, da sie besondere Eigenschaften haben (Seher, schöpferische Einbildungskraft, Propagator neuer Ideen, können auf die Massen Einfluss nehmen) -> Künstler hat sozusagen Missionarsfunktion; Erster, der dies schafft ist TOMMASO MARINETTI. Er schreibt auch 1909 das Gründungsmanifest „Il manifesto del futurismo“ (11-PunkteProgramm), das am Titelblatt der französischen Tageszeitung Le Figaro erscheint; Marinetti hat viele Anhänger, da er sehr polemisch und charismatisch ist; Marinetti ist auch Kriegsberichterstatter im bulgarisch-türkischen Krieg (1912), schreibt später Gedicht darüber: „Zang Tumb Tumb“ – in dem die Schlacht über den Klang der Laute dargestellt (viele Aspekte der futuristischen Poetik sind darin enthalten); Futuristen wollen neue, aggressive Literatur, die Fortschritt und Krieg verherrlicht, im Detail: Faszination von Technik & Fortschritt Geschwindigkeit Pro-Krieg/Pro-Gewalt (begrüßen anfangs auch Faschismus, distanzieren sich dann aber) Gegen Tradition/Bruch mit der Vergangenheit („Anti-Passatismus“) Poetik: Auflösung der Syntax Substantivreihen – parole in libertà Onomatopoetische Wörter Mathematische Zeichen Neue typographische und orthographische Techniken Verb im Infinitiv Abschaffung von Adjektiv, Adverb und Interpunktion Beseitigung des „Ichs“ aus Literatur (siehe auch Bilder von Umberto Boccioni: oft Blick durch Glas, unterschiedliche Perspektiven, weg von Zentralperspektive, Umgebung fällt oft auf Menschen (im Bild) & Betrachter ein, Geschwindigkeit und Bewegung in Malerei verarbeitet) Futurismo breitet sich in allen Kunstsparten aus, beeinflusst auch andere Avantgarden wie zB Kubismus, Surrealismus, Expressionismus, Dadaismus, …; Italien ist tonangebend, aber Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 18 Futurismus hat generell große Resonanz in Europa – es passiert viel Austausch; KünstlerInnen steigen aber auch immer wieder aus, wieder ein, zerstreiten sich und widmen sich auch anderen Kunstrichtungen; 3 Phasen der Avantgarde-Bewegung Von Gründung bis Kriegseintritt Kriegsende bis zum 2. Kongress der fasci 1920 1923/24 – 1944 Unterwerfung unter Faschisten Andere Vertreter, die kurzzeitig Mitglieder des Futurismus waren: GIOVANNI PAPINI CORRADO GOVONI ALDO PALAZZESCHI PAOLO BUZZI ZWISCHENKRIEGSZEIT IN ITALIEN Nachkriegsprobleme des Landes -> instabiles Parlament durch: Wirtschaftskrise Nationale Bedürfnisse unbefriedigt Entwurzelte durch Krieg -> viele Arbeitslose 1921 Gründung des Partito Nazionale Fascista (mit 20.000 Mitgliedern); im selben Jahr Gründung des Partito Communista unter Amadeo Bordiga und Antonio Gramsci 1922 Marcia su Roma Kulturell zwei divergierende Denkrichtungen in den 20er und 30er Jahren: Stracittà: Organ Novecento (Gründung 1926) - Vertreter: MASSIMO BONTEMPELLI, CURZIO MALAPARTE et. al. -> Europäisierung der italienischen Intellektuellen Strapaese: entgegengesetztes Programm: Förderung des provinziellen Volkstum La Solaria (1926 in Florenz gegründete Zeitschrift): Ort der Begegnung für nichtfaschistische Intellektuelle und Schriftsteller wie EUGENIO MONTALE, UMBERTO SABA, CARLO EMILIO GADDA et. al. Die Autoren der Kriegs- und Zwischenkriegszeit: GRAZIA DELEDDA ALBERTO MORAVIA IGNAZIO SILONE Fontamara 2. WELTKRIEG 1940: Italien steigt in Krieg ein (unabhängig von Deutschland) 1943: Alliierte in Sizilien – vertreiben Faschisten, dauert aber lange bis sie in den Norden vordringen -> Norditalien und Mittelitalien noch unter deutscher Macht Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 19 Mussolini wird vertrieben, kann aber noch kurz kleines Reich am Gardasee regieren (Repubblica Sociale Italiana in Salò); politischer Widerstand recht spät, Mussolini schickt viele ins Exil -> oft auf‘s Land, später auch in KZ, erst als Alliierte in Süden landen bildet sich Widerstand; Vereinigung von Kommunisten, Sozialisten und Literaten unter Croce – Comitato di Liberazione (CLN) gegen Faschisten und Nazis, politische Erneuerung des Landes, sehr locker organisiert, unterschiedliche Schichten kämpfen Seite an Seite: Partisanenkampf als Widerstand (ganz neu in Italien: Solidarität & Kollektivität), resistenza durch Flugblätter; Im Süden keine spontane Bürgerbewegung wie im Norden – im Norden Solidarität und Kollektivität durch Propaganda der linken Intellektuellen (Schriftsteller, Filmemacher, …) wollen Kunst, die Zweck hat -> neue Gesellschaft, Kunst, die engagiert sein will (impegno!) Kunst soll aktuelle Themen behandeln und für alle sein (für’s Volk) -> verbindet Unterschiedliche Erfahrungen im Norden und Süden – verstärkt dadurch wieder Unterschiede und Kluft; altes Machtverhältnis wieder hergestellt im Süden durch Amerikaner: wollen Leute einsetzen, denen sie vertrauen: Mafiosi reinstalliert (waren jene, die von Faschisten vertrieben wurden, von Emigration/Exil in USA) NEOREALISMO 1940er bis Mitte 1950er (schwer abgrenzbar) Literatur und Filmkunst (1. Film -> Europa bezieht sich auf Italien), wichtige Strömung für Italien, setzt große Impulse – besonders für Film; Neorealismo ist aber keine Schule, diffuser Begriff, Künstler kommen aus dieser Zeit; stehen für Veränderung; Italien ist Vorreiter, oft Thema: 2. Weltkrieg, Widerstand der Partisanen nach Kampf gegen Faschismus, authentische Darstellung in Literatur und Film, politisch engagierte Künstler -> bessere menschlich demokratische Ausrichtung (viele Mitglieder der kommunistischen Partei) Film: neues Medium LUCHINO VISCONTI Ossessioni -> gilt als Beginn ROBERTO ROSSELINI Roma città aperta (Kriegstrilogie): geht um Widerstandskampf und Nachkriegszeit VITTORIO DE SICA Ladri di bicicletta (mit Laiendarsteller, nur im Dialekt: römisch) Besonderheiten der Filme: Verwendung von natürlichem Licht Dreh an Originalschauplätzen (raus aus Studio) Oft Laiendarsteller Im Hintergrund: Linke Ideologie Kunst als impegno -> utilitaristisches Kunstkonzept Solidarität: Fokus auf untere Gesellschaftsschichten Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 20 Merkmale: Unmittelbar und lebensnah: nah an Wirklichkeit, viele Dialoge, Alltagssprache und Dialekte (Dialekte wieder wichtiger, weil unter Faschismus unterdrückt), authentische Ausdrucksweise; Volksnähe und Volkstümlichkeit Themen: kollektiver Widerstand, resistenza und Partisanenkampf Inhaltlich: das Menschliche im Mittelpunkt (Solidarität) Einfluss auch der amerikanischen Literatur und Kultur (Amerika-Mythos) CESARE PAVESE: Paesi tuoi, La casa in collina, La luna e i falò; Gedichtsammlung: Lavorare stanca (1936/1943); “Verrà la morte e avrà i tuoi occhi” (1951; immagine racconto) -> siehe Lektüreliste Weitere SchriftstellerInnen: ITALO CALVINO: Il sentiero dei nidi di ragno (schreibt in Prefazione über Neorealismo); Il barone rampante ELIO VITTORINI: Conversazione in Sicilia (Thema: Il genere umano perduto)K, Uomini e no (Partisanenkampf im Norden) BEPPE FENOGLIO: Una questione privata PRIMO LEVI: Se questo è un uomo CARLO LEVI: Cristo si è fermato a Eboli NATALIA GINZBURG: Lessico famigliare 1960 Realität anders als sich Liberalen/Intellektuellen erhofft hatten: 1948 Christdemokraten regieren bis 1992 (Democrazia Cristiana = DC) -> Rechtsruck; Linke in Europa in Krise: Enthüllungen über Stalin (sehr brutales Niederschlagen in Ungarnaufstand) 1950er Mythos des Kommunismus verblüht Europäischer Kommunismus in Krise, Welt teilt sich durch kalten Krieg in Kommunismus und Nicht-Kommunismus; Italien gegen Kommunismus, Angst vor Kommunismus wird geschürt 1960er: Förderung der Wirtschaft -> miracolo economico durch DC, Italien unter 10 reichsten Industriestaaten 1968/69: Arbeiter- und Studentenaufstände, 1968er Bewegung Anfang 1960er: 2 Strömungen; Suche nach neuen Aufgaben und Ideen 2 Seitenströmungen: Realismo non funzionale: Festhalten an alten Ideen; Autoren: BASSANI, MORANTE, CASSOLA; Letteratura industriale: linksorientiert, zeigt menschenverachtende Seite der profitorientierten Industriegesellschaft, gegen Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter, beschäftigt sich mit Auswirkungen der Massenproduktion auf den Einzelnen; zB VOLPONI, BALESTRINI; Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 21 2 große Strömungen gegen Neorealismo – ist zu verklärt: Sperimentalismo und Neoavanguardia SPERIMENTALISMO Experimentelle & politische Aktivität, wollen etwas bewirken, sind unzufrieden, rund um Zeitschriften officina und Il Menabò PIER PAOLO PASOLINI Lyrik, Romane und dann Filme, sehr exzentrische Figur; schreibt über Randgruppen, gehört diesen selbst an (nicht nur weil homosexuell, Mitglied der komm. Partei) Ragazzi di vita: beschreibt Leben von Jungen in Roms Vorstadtslums, gezeichnet als Helden, sehr unverblümte Darstellung, in römischem Dialekt; Weitere SchriftstellerInnen: ROBERTO ROVERSI FRANCO FORTINI NEOAVANGUARDIA Bedürfnis nach Aufbruch und Neuorientierung; wollen nicht breite Kommerzmasse ansprechen: Kunst nicht als Massenprodukt, sondern l’art pour l’art, kein Kitsch, sehr komplexe Texte; 1963 Kongress in Palermo: Gruppo 63 gegründet (ECO, MALERBA, ARBASINO): hauptsächlich Lyrik mit vielen formalen Spielereien; theoretische Texte (was ist Kunst, Literatur?), ab 1969 gelten sie als aufgelöst Reduktion des lyrischen Ichs, Dichter soll sich zurücknehmen; keine klar definierte Programmatik wie alte Avantgarden zu Beginn des Jahrhunderts; stimmten überein an Kritik der damaligen gesellschaftlichen und kulturellen Zustände: Ablehnung veralteter realistischer und naturalistischer Schreibweisen, des Hermetismus und des Neorealismus Bedürfnis, Beziehungen zw. Literatur und Gesellschaft neu zu definieren Gesteigerte Aufmerksamkeit für die neuen Strukturen der Industrie- und Massengesellschaft (wollen neue Form des impegno finden) Verweigerung jeder Form von kulturellem Konsum Literatur, die der neuen komplexen Welt gerecht werden sollte (komplizierte, antitraditionelle und antinarrative Schreibweise) Unpersönlicher und unpathetischer Stil Destruktion und Parodie Ablehnung von konventionell schreibenden Erfolgsautoren Es gibt keine geschlossenen Systeme, sondern offene: vgl. ECO Opera aperta Innerhalb dieser Richtung entstehen eigentlich zwei Strömungen: Eine phänomenologische Orientierung (RENATO BARILLI und ANGELO GULGIELMI) Eine ideologische: zB EDOARDO SANGUINETI: propagiert im Rückgriff auf Marx einen neuen, antibürgerlichen Realismus; Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 22 Weitere Infos zu 1960er und 1970er Jahre: siehe „Die Erzählexperimente der 1960er und 1970er Jahre“ von Dr. Doris Pichler (VU Storia della letteratura italiana 2) Dieses Skriptum dient der Ergänzung des Handouts von Dr. Doris Pichler (VU Storia della letteratura italiana 2) aus dem SS 2011, KF Uni Graz. Birgit Kuntner, Storia della letteratura italiana 2, SS 2011 Seite 23