Pressemitteilung Hessens erste Einrichtung zur stationären Therapie der Online- und Computersucht bietet Hilfe für Betroffene Kinzigtal-Klinik in Bad Soden-Salmünster will therapeutische Lücke in Hessen schließen – Enge Kooperation mit ambulanten Einrichtungen geplant - Bisher nur wenige stationäre Angebote in Deutschland (BvT) „Obwohl die exakte diagnostische Begrifflichkeit noch umstritten ist, ist das Phänomen des pathologischen Internetgebrauchs weltweit in Gesellschaften mit Internetnutzung feststellbar“, erläutert der Hamburger Suchtexperte und Ärztliche Leiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, Prof. Dr. Rainer Thomasius, anlässlich der Vorstellung des ersten Angebots zur stationären Therapie der Online- und Computersucht in Hessen. Internationalen Studien zufolge sind es zwischen zwei und acht Prozent der Computer- und Internetnutzer, die von problematischem oder exzessivem bzw. obsessivem Nutzungsverhalten betroffen und als süchtig oder zumindest suchtgefährdet einzuschätzen sind. Auch wenn für Deutschland derzeit noch keine exakten Daten aus repräsentativen Stichproben vorliegen, so gehen Expertenschätzungen doch von bis zu zwei Millionen Betroffenen hierzulande aus. Häufig verbringen die Betroffenen zehn und mehr Stunden täglich im Internet oder mit Computerspielen. Soziale Isolierung, Erschöpfung bis hin zum Burn-OutSyndrom und sogar der Verlust des Arbeitsplatzes können Folgen der Sucht sein. Um erstmals in Deutschland die Grundlage für eine medizinische und wissenschaftliche Bewertung des pathologischen Computerund Internetgebrauchs zu schaffen, hat Prof. Thomasius mit seiner Arbeitsgruppe im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit einen systematischen Überblick über die publizierten wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Themengebiet erstellt. Zu den Ergebnissen aus den bisher vorliegenden Untersuchungen über die individuellen Auswirkungen der Computer- und Onlinesucht führt Prof. Thomasius aus: „Klar ist mittlerweile, dass pathologischer Internetgebrauch das individuelle und gesellschaftliche Leben von Menschen in einem Ausmaß beeinträchtigen kann, dass professionelle fachliche Hilfe erforderlich wird.“ Allerdings sind die meisten therapeutischen Einrichtungen in Deutschland bislang nur sehr unzureichend auf eine adäquate Behandlung dieser Suchtform eingestellt. Zwar stehen mittlerweile einige ambulante Beratungsangebote zur Verfügung, stationäre Therapien, die speziell für die Behandlung dieser Suchtform ausgewiesen sind, fehlen - wie bisher in Hessen - jedoch fast völlig. Mit ihrem neuen Angebot zur stationären Therapie der Computer-, Medien- und Onlinesucht stellt die Kinzigtal-Klinik in Bad Soden-Salmünster als erste klinische Einrichtung in Hessen ein therapeutisches Konzept vor, das speziell auf die Behandlung der pathologischen Internetnutzung abgestimmt ist. „Mit unserem Therapieangebot wollen wir einen Beitrag leisten, die therapeutische Lücke, die bei der Behandlung dieser auch gesellschaftlich zunehmend relevanten Suchtform besteht, in Hessen zu schließen“, erläutert Christian Baumbach, kaufmännischer Leiter der zur Pitzer-Gruppe gehörenden KinzigtalKlinik. Indikative Gruppe als Kernelement des Therapiekonzeptes Der konzeptionelle Ansatz der stationären Therapie an der Kinzigtal-Klinik sieht eine individuell abzustimmende Kombination aus interaktioneller psychotherapeutischer Gruppentherapie und verhaltenstherapeutischen Einzelgesprächen vor. Kernelement des therapeutischen Konzeptes ist die so genannte „indikative Gruppe Internetsucht“, in der ein therapeutisch begleiteter Austausch zwischen mehreren von Online- und Computersucht Betroffenen stattfindet. „Hier werden Informationen durch den Therapeuten und personenzentrierte Problembearbeitung zusammengeführt, so dass die Suchtentwicklung rückblickend be- und verarbeitet, in einer gemeinsamen Reflektion Risikofaktoren erkannt und Handlungsstrategien zur Rückfallprophylaxe entwickelt werden können“, erläutert der Therapeut, Leiter der Abteilung Psychosomatik und Leiter des Therapieprogramms für Onlineund Computersucht an der Kinzigtal-Klinik, Dr. Rolf Czwalinna. Auch sollen die Gruppenmitglieder lernen, gegenseitige Hilfestellungen zu erarbeiten um sich so gegenseitig zu stützen und zu stärken. „Mit der indikativen Gruppe Internetsucht steht erstmals in Hessen eine Therapieoption speziell für diese Betroffenen zur Verfügung. Dies unterscheidet unser Therapiekonzept von den therapeutischen Angeboten, die zurzeit in Hessen vorhanden sind“, so Dr. Czwalinna und führt dazu aus, dass Betroffene mit Online-, Medien- und Computersucht häufig in etablierten Programmen für andere Suchterkrankungen quasi „ko-therapiert“ würden. Allerdings müsse ein wirksames Therapiekonzept auch die Komplexität und Vielschichtigkeit der Online- und Computersucht berücksichtigen. Ein multimodaler Ansatz sei daher auch Teil des therapeutischen Konzeptes an der Kinzigtal-Klinik: „Verschiedene Studien weisen beispielsweise auf eine hohe Komorbidität der pathologischen Internet- und Computernutzung mit anderen psychischen Störungen hin“, kommentiert Dr. Czwalinna dazu die Datenlage. Vor allem das gemeinsame Auftreten mit so genannten affektiven Störungen wie der Depression oder der ADHS (AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung) lassen sich Dr. Czwalinna zufolge durch die vorliegenden Daten gut belegen, auch wenn die Ursachen für diese Zusammenhänge bislang nicht eindeutig geklärt sind. „Klar ist, dass es sich bei der Online-, Computer- und Mediensucht um ein komplexes Phänomen handelt. Ein speziell abgestimmtes Therapiekonzept muss dieser Komplexität Rechnung tragen und auch therapeutische Maßnahmen für diese Komorbiditäten vorhalten." Auch andere Begleitsymptome wie gravierende Haltungsschäden, Störungen der Grob- und Feinmotorik bis hin zu Herz-, Gefäß- oder Stoffwechselerkrankungen wie Typ-II-Diabetes könnten bei Betroffenen beobachtet werden und müssten daher therapeutisch berücksichtigt werden. „Diese Störungen gehen vor allem auf Bewegungsmangel und Fehlernährung zurück, denn wer stundenlang vor dem Rechner sitzt, hat weniger Zeit, sich mit körperliche Aktivität oder ausgewogener Ernährung zu beschäftigen“, so Dr. Czwalinna. Entsprechende Therapie- und Beratungsmaßnahmen sind daher ebenfalls Bestandteil des Therapieprogramms. Schließlich sollen auch therapeutische Elemente wie Kunst-, Musik- oder Entspannungstherapie die Betroffenen dabei unterstützen, kommunikative Fähigkeiten, Körpergefühl und das Einschätzungsvermögen für reale Zusammenhänge wieder zu erlangen und zu stärken. Während der zusätzlich angebotenen Hippotherapie auf einem benachbarten Pferdehof haben Patienten die Möglichkeit, sich im Umgang mit einem anderen Lebewesen zu erproben. „Durch den langen und chronischen Aufenthalt in einer virtuellen Welt gehen auf Dauer eine Reihe von körperlichen Fähigkeiten und Fähigkeiten im Zusammenhang mit körperlicher Selbstwahrnehmung verloren. Diese müssen mühsam wieder erlernt werden, können dann aber helfen, Therapieerfolge zu stabilisieren“, so Dr. Czwalinna. Insgesamt sieht Dr. Czwalinna den Vorteil einer stationären Behandlung vor allem darin begründet, dass die Betroffenen über einen Zeitraum von bis zu acht Wochen Abstand zu ihrem alltäglichen Suchtumfeld gewinnen können. „Nach unserer Erfahrung aus der Suchttherapie erleichtert dies die Einübung alternativer Verhaltensstrategien und kann helfen, die Einflüsse suchtfördernder Umgebungsfaktoren zu minimieren.“ Enge Kooperation mit ambulanten Einrichtungen und Selbsthilfe geplant Damit eine therapeutische Begleitung auch nach einem stationären Aufenthalt dazu beitragen kann, dass Therapieerfolge langfristig stabilisiert und Rückfallrisiken minimiert werden, sieht Dr. Czwalinna vor allem die professionelle ambulante therapeutische Betreuung und Beratungsangebote im Rahmen der Selbsthilfe als zwingend notwendig an: „Die meisten von einer Suchterkrankung betroffenen Menschen benötigen auch über die Phase der Akuttherapie hinaus Unterstützung und Beratung. Je besser das funktioniert, umso geringer ist das Rückfallrisiko.“ Wie wichtig diese Begleitung ist, weiß auch Gabriele Farke, Gründerin des Vereins Hilfe zur Selbsthilfe bei Onlinesucht e.V. (HSO) und Betreiberin des Onlineportals www.onlinesucht.de, zu berichten: „Der Austausch mit anderen Betroffenen, die es geschafft haben, kann extrem motivierend auf diejenigen wirken, die nach Auswegen aus der Sucht suchen und hilft bei denjenigen, die sich bereits für eine Therapie entschieden haben, den Therapieerfolg zu stabilisieren. Die OnlineSelbsthilfegruppen, die wir in unserem Portal anbieten, dokumentieren dies deutlich.“ Um das neue stationäre Therapieprogramm möglichst eng mit der ambulanten Suchtberatung und –therapie zu verzahnen, strebe die Kinzigtal-Klinik die enge Kooperation mit ambulanten Beratungsstellen und etablierten Selbsthilfeorganisationen an, wie der kaufmännische Leiter Baumbach abschließend ausführt: „In einem ersten Schritt haben wir dazu eine engere Kooperation mit dem Beratungsnetzwerk der Guttempler vereinbart. In der Perspektive muss es aber vor allem darum gehen, ein qualifiziertes Kompetenznetz zu bilden, das die Erfahrungen aus wissenschaftlicher, ambulanter, stationärer und aus Sicht der Selbsthilfe bündelt. Dafür wollen wir uns einsetzen. Denn nur so wird es möglich sein, therapeutische Programme auszubauen und vor allem auch in der Diskussion mit der Politik und den Kostenträgern den Handlungsbedarf hinsichtlich der Anerkennung als eigene Indikation und damit der Finanzierung deutlich zu machen.“ Pressekontakt: Christian Baumbach Kaufmännischer Leiter Kinzigtal-Klinik; Pitzer GmbH & Co. KG Telefon: 06056 737-0 Fax: 06056 737-654 E-Mail: [email protected] Dr. Berend von Thülen Pressesprecher C3 Public Relations Telefon: 0641 4809940 Fax: 0641 4941813 E-Mail: [email protected]