Donnerstag, der rechte Gesäßmuskel schmerzt durch eine leichte

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Ironman Frankfurt 2005 - Die schönste Grenzerfahrung meines Lebens
Wie alles anfing? Mit einem Nikolaus-Duathlon im Jahr 2000. Vielleicht war aber
auch das Anfeuern von Udo Schäfer bei seinem letzten Ironman im Jahr 2002 der
Grund für dieses „Projekt“. Ich muss allerdings zugeben, dass ich 2002 meinen
Freund Udo für vollkommen bekloppt gehalten habe.
07.07.2005 Donnerstag, der rechte Gesäßmuskel schmerzt durch eine Zerrung, die
ich mir bei einem Trainingslauf zugezogen habe und die Bauchmuskulatur zwickt.
Mein Physiotherapeut begrüßt mich, nach kurzer Darstellung der Lage, mit einem
gezielten Daumendruck am Oberarm. Der dadurch entstandene Schmerz soll ein
Indikator für saure Muskulatur sein. Ich werde dazu verdonnert gar nichts mehr bis
Sonntag zu machen, außer eine Überdoses Säure-Base-Mittel zu nehmen. Ein paar
kurze Einrenkungen der Rückenwirbel soll außerdem noch Blockaden lösen. Das
zweite Problem ist ein wenig kniffliger und kann nicht durch chiropraktische
Handgriffe gelöst werden. Hier soll gespritzt werden. Das Wundermittel wird
angeblich auch von Bayern Arzt Müller-Wohlfahrt benutzt. Mir ist das egal, ich
möchte das Problem beseitigt haben. Er drückt noch einmal in den betreffenden
Muskel und es schmerzt brutal. Ich warne meinen Therapeuten, dies noch einmal zu
tun. Die Spritze wird angesetzt und ich soll 15 Minuten liegen bleiben. Er fragt mich
nach der Zeit, ob alles wieder ok ist. Ich kann nur antworten, dass ich keine
Veränderung merke. Da drückt er auch schon auf den betreffenden Muskel und…Es
tut nicht mehr weh. Super, ich habe das Grinsen im Gesicht und geh zufrieden nach
Hause.
Freitag, mein erster Urlaubstag, habe ich mir zum Ausschlafen und für das Abholen
der Startunterlagen in Frankfurt aufgehoben. Keine Hektik mehr ! Nach einem
ausgedehnten Frühstück (in meinem Tagesplan steht: Fooding) packe ich mir was zu
Essen/Trinken ein und fahre nach Frankfurt. Bis zum Wiesbadener Kreuz habe ich
dann alles aufgegessen und das Trinken neigt sich auch dem Ende. In letzter Zeit
hatte ich auch eine Menge Hunger.
In Frankfurt angekommen, finde ich auch gleich einen nahen Parkplatz und stelle fest
dass das riesengroße Auto (VW Touareg), welches vor mir parkt, von einem Mann
verlassen wird, der mit mächtig großen Schritten und in Trikotkleidung Richtung
Rathaus hetzt; Kai Hundertmark. So wie der geht, kann der eigentlich kein Problem
mit dem Knie haben, wie es gemunkelt wird. Egal, der ist mir zu schnell, ansonsten
hätte ich ihn angequatscht und die Sache geklärt.
Nachdem ich mich im Rathaus mit dem Startpass legitimiert habe, bekomme ich den
ersehnten Ironman-Rucksack und die Startunterlagen. Außerdem auch etwas zu
trinken (alles hinein in den Kanal). Ich nehme auch noch ein paar Stadtpläne,
Startlisten und Poster mit. Man weiß ja nie, für was es gut es. Alles hinein in den
Rucksack und dann mal den Zieleinlauf betrachtet. Da hier noch schwer gearbeitet,
gehe ich lieber Richtung Zeil, meinen Trainingskollegen entgegen. Stolz wie Oskar
laufe ich also durch die Fußgängerzone und sehe noch zufällig ein Geschäft mit
billigen Flipflops. Vielleicht sollte ich welche kaufen, dann hätte ich keine kalten Füße
am Sonntag. Ich fang also an zu suchen, aber die Flipflops sind wahrscheinlich von
Chinesenhänden für Chinesenfüße produziert haben. Nach 20min gebe ich auf.
Dann gibt es halt kalte Füße. Inzwischen habe ich auch erfahren, dass die Kollegen
bereits Richtung Forum Festhalle zur Wettkampfbesprechung unterwegs sind. Also
nix wie hinterher, vielleicht gibt es da noch was zu essen. Dort angekommen, treffe
ich die relaxten Kollegen und einen hypernervösen Thommy. Er weiß auch nicht so
recht, warum er nervös ist. Wir versuchen ihn zu beruhigen, aber das wird wohl heute
nix mehr. Als wir unsere Sitzplätze eingenommen haben, richte ich mein Augenmerk
auf die Vittelflaschen, die uns gereicht wurden und schau mir mal Rucksack an, ob
es da etwas zu essen gibt. Da ich wohl sehr intensiv schaue, fällt das auch Thommy
auf und so fragt er mich nach dem Grund meiner Suche. Ruckzuck werden mir
Trockenpflaumen, Studentenfutter und Riegel angeboten und meine Augen sind
auch schon ganz groß. Da Thommy nicht erwähnt hatte, ob er noch etwas haben will,
ging ich zum Frontalangriff über. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich sowohl sein Essen
(ok ok, ich hab auch ein bißchenl abgegeben) , als auch mein Essen vertilgt. Jetzt
konnte ich mich auch Kai Walter, dem Sportdirektor IM, mit voller Aufmerksamkeit
widmen und Thommy schaute weiterhin fassungslos in seine leeren Tüten.
Das übliche Frage&Antwortspiel wurde ein wenig aufgelockert, als die Frage gestellt
wurde, ob man die Startnummern-Aufkleber auch wieder vom Fahrradrahmen
entfernen kann! Das allgemeine Gelächter wurde nur noch übertroffen, durch die
Frage, ob man zur Motivation auch seine Freundin küssen kann. Diese Frage
beschäftigte uns lächelnd weiter und wir malten uns noch ganz andere Szenarien
aus. Inzwischen hatte sich auch Thommy wieder gefangen und so konnten wir die
Heimfahrt antreten.
Zu Hause angekommen, ging das „Fooding“ mit Nudeln, Brot usw. weiter und so
manchmal fragte ich mich, ob ich denn dann noch in den Neopren passen würde. Um
meine Nervosität zu beseitigen, musste ich Chips essen und so leerte ich denn auch
eine Tüte abschließend vor dem Bettgehen. Das kann ich nur empfehlen, dann
klappt es morgens auch mit der Toilette.
Da es glücklicherweise sehr kühl in der Nacht wurde, konnte ich phänomenal
schlafen und bin bestens gelaunt 9h später aufgewacht.
Der Tag begann, wie schon der Freitag, mit essen. Aber nicht mehr ganz so viel,
schließlich wollte ich am Sonntag nicht als „Wal“ wieder ins Wasser zurückgezogen
werden.
Nach dem Frühstück machte ich den Smart von Claudia startklar. Packte das
Fahrrad mit 2 Schläuchen, 3 Flaschen Kohlenhydrat/Elektrolyt, 12 Squeezy Gels und
einem Säure-Base-Mittel, sowie meine Klamotten fürs Radfahren/Laufen. Beim
vorherigen Kurzcheck am Fahrrad (der 32. Check müsste es gewesen sein) wollte
ich noch den Luftdruck optimieren und plötzlich zischt es, der Reifen ist platt und ich
habe das Ventil in der Hand. Prima! Das fehlte mir gerade noch. Ein kurzer Anruf bei
meinem Servicespezialisten Udo gab mir die Gewissheit, dass das kein Problem sein,
ich das Ventil wieder reinschrauben und den Schlauch mit Luft befüllen soll. Sein
Leitspruch: „Never change a running system“. Nun denn, mulmig war mir schon.
Los ging es Richtung Langener Waldsee zur Radabgabe. Dort angekommen reihten
wir uns in die lange Schlage der Athleten ein und schauten uns das sehr
professionelle Material und die Körperbeschaffenheit der „Konkurrenten“ an. Da fängt
man ziemlich schnell an, an sich zu zweifeln. Die Beine der Kollegen sind dicker,
definierter und ein Kuota Kaliber (der spätere Ironman-Gewinner fährt auch so was)
ist anscheinend ein Rad von der Stange und ein absolutes „must-have“. Nun denn,
auf meinem Rad steht „Lupp“ drauf und das ist auch gut so.
Freundlich wurden mir die Tüten mit den Klamotten entgegengenommen und ich
wurde von einem Assistent zu meinem Radplatz begleitet. Zusammen deponieren wir
dann mein Rad (ein 64er Rahmen ist ein wenig hoch für die niedrigen Stangen) und
verstauten die Radschuhe usw. in einem Kästchen unter dem Rad. Dann zogen wir
die Folie drüber und ich konnte mir in aller Ruhe die Radzone ansehen.
Die LCO Kollegen trafen inzwischen auch ein und man verabredete sich auf einen
Kaffee mit Kuchen. Vorher wollte ich mir aber auch noch die Schwimmzone, Ausstieg
und die Tribünen betrachten. Wie sich tags darauf herausstellte, waren die Tribünen
nur für die VIPs und nicht für das gemeine Fußvolk.
Nach dem Kaffeetrinken wünschten wir uns gegenseitig eine gute Nacht und fuhren
nach Hause zur letzten Essensaufnahme.
Die Nudeln waren perfekt, ich satt und zufrieden, und so konnte ich nach einem
letzten Motivationstelefonat mit einem sehr guten Freund, mich ins gemachte Bett
zurückziehen und versuchen zu schlafen. Wenn man sich das vornimmt, dann ist das
natürlich nicht einfach, schon gar nicht, wenn der Nachbar meint Steine klopfen zu
müssen (um halb zehn abends). Nachdem ich die Fenster geschlossen hatte, ging es
dann doch und ich wachte relativ gut gelaunt um 03.00 Uhr auf. Der erste Gang ging
Richtung Frühstückstisch, damit ich die letzte Mahlzeit zu mir nehmen konnte.
Hunger hatte ich genug und so ließ ich mir den Toast schmecken.
Es hätte alles klappen können, ich hatte ja die Chips auch diesmal gegessen, aber
leider wollte sich mein Magen nicht mehr entspannen. Ich dachte mir, vielleicht klappt
es am See. Nachdem mich Claudia am ganzen Körper mit Melkfett und Wundsalbe
eingeschmiert hatte, ging die Zeit erstaunlich schnell vorbei und wir machten uns um
05.00 Uhr auf den Weg nach Langen. Unterwegs sammelten wir noch Udo ein und
stellten lange vor dem See fest, dass wir nicht die einzigen Autofahrer sind, die dort
hin wollten. Einige Athleten packten Ihr Zeug und gingen zu Fuß weiter, aber ich
hatte einfach noch keine Lust dazu. Irgendwann wurde ich aber auch zu nervös und
so ging ich dem Fußvolk hinterher.
Mein lieber Mann, da waren aber viele Leute. Die meisten wohl Angehörige, aber
man wurde trotzdem genau betrachtet. Die Nervosität der Athleten schwebte, wie ein
dichter Nebel, über der ganzen Situation. Ich hatte noch meinen Auftrag auf Toilette
zu gehen, aber irgendwie wollte sich kein Bedürfnis entwickeln. Mein Fahrrad wurde
der 150. Kontrolle von mir unterzogen und für gut befunden. Da ich Claudia nicht
mehr finden konnte (wir durften nicht mehr aus der Area raus), drückte ich Rita, wie
in alten Zeiten bei den kleineren Triathlons, meinen Rucksack in die Hand. Ich
schaute mir noch mal die Wechselzone und den Wasserausstieg an und machte
mich so langsam auf den Weg zum Start. Da traf ich dann auch Claudia wieder,
sowie Ironwoman Andrea, Rita, Stefan und Thomas. Mein Geschäftskunde Uwe und
inzwischen persönlicher Freund, begrüßte mich mit Freundin Monika und deren
Schwester mit einem handbemalten, motivierenden Trikot. Was für ein Spaß und
eine willkommene Aufheiterung der Anspannung. Stefan machte sich bereits auf den
Weg und suchte wohl Anschluss zur Schnellschwimmer-Riege. Thomas und ich
folgte unmittelbar und 15 Minuten vor Start gingen wir ins Wasser. Am anderen Ufer
angekommen, betrachteten wir den weiteren Einstieg der riesigen Menge von
Triathleten. Was für ein Bild. Bis auf ein paar vereinzelte Bund (Profis)- und 10
Weißkappen (Diabetiker), sah man nur Gelbkappen (die Altersklassen-Athleten). Das
nahm überhaupt kein Ende. Wahnsinn.
Noch 3 Minuten. Ich wünschte Thomas viel Glück und schwamm jetzt Richtung Linie
auf der linken Seite des Pontons auf dem Herr Koch mit einer Pistole bewaffnet stand.
Eine Athletin teilte mit, dass sie eine 1:20h Zeit schwimmen werde und wir gerne vor
ihr starten könnten. Gesagt, getan und es dauerte auch nicht mehr lange und Herr
Koch schoss den Vogel ab. Die ersten 100 Meter waren sehr aufgewühlt und man
sah kaum etwas. Ich strengte mich an, sehr viel nach vorne zu schauen, damit es zu
keiner Kollision kommt. Irgendwann hatte ich dann auch freie Bahn und zog
möglichst gleichmäßig auf der linken, äußeren Route meine Spur. Alles ganz easy,
schon zigmal gemacht, aber doch irgendwie anders. Das Wasser war mit 20 Grad
sehr angenehm und man konnte die Gedanken ein wenig schweifen lassen. Die
erste Wendemarke kam in Sicht und damit auch hunderte anderer Schwimmer, die
um diese Boje herum wollten. Das ging aber gut und ich freute mich bereits auf den
Landgang. Claudia hatte ich dort platziert, um mir gegebenenfalls eine Ersatzbrille zu
geben, falls mein Lieblingsstück durch eine Touchierung wäre verloren gegangen.
Als ich dann endlich aus dem Wasser kam, sah ich sie auch damit wedeln, aber ich
zeigte nur den Daumen nach oben und sprang nach 20m wieder ins Wasser zur 2.
Runde. Auch hier wählte ich die Außenbahn und konzentrierte mich auf die nächste
Boje. Wiederholt kam es zu leichten Stauungen, doch man kam ganz gut durch. Ich
kam immer weiter nach draußen und an der Kiesgrube hatte ich dann überhaupt
niemanden mehr neben mir. Ich wechselte mein Einatmen auf die rechte Seite, um
die Lage zu kontrollieren. Alles ok, man sah nur wild schwimmende Gelbkappen und
gerade vor mir auch die nächste Wendemarke. Nach dieser Boje wurde das Tempo
von fast allen merklich erhöht, da man sich auf den Ausstieg freute. Ich zumindest.
Das große Opel-Portal kam in Sicht und die Schwimmer rückten enger zusammen.
Der Ausstieg aus dem Wasser war grandios. Der Lärm der Zuschauer war
ohrenbetäubend und man wurde dadurch regelrecht den Hügel hoch gepeitscht.
Oberkörper raus aus dem Neo und weiter Richtung Rad. Unterwegs hörte ich meinen
Namen, erkannte aber nicht wer rief, und hob zum Dank den Arm. Später erfuhr ich,
dass es meine Schwester war, die auf den letzten Drücker ankam, mich kurz sah und
dann hoch Richtung Rad-Aufstieg zügig ging. Leider wohl nicht zügig genug, da Sie
mich verpasste. Die Zuschauer hatten einen weiteren Weg als die Athleten und so
konnte ich schneller auf das Rad, als sie dachte. Manche Sportler nutzten die
Umkleidezelte für einen kompletten Klamottenwechsel. Das war ich allerdings nicht
so gewohnt und rannte somit direkt zu meinem Rad. Dorthin begleitete mich auch
eine Assistent und fragte, wie mir geholfen werden kann. Ich bat darum meinen Neo
in den Transportsack zu stecken, was auch sodann erledigt wurde. Der Wechsel
klappte dieses Mal sehr gut und so saß ich endlich, Katha konnte ich noch als
Kampfrichter unterwegs grüßen (man muss sich mit diesen bösen, bösen Menschen
gut stellen ;-) , auf meinem Rad und fuhr Richtung Frankfurt.
Wie oft mal habe ich das Rad kontrolliert? Ich weiß es nicht mehr, aber ich weiß,
dass ich gerade ein konstantes Klackern vom Vorderrad höre. Nee, oder? Und jetzt
fällt mir auch noch auf, dass mein drahtgebundener Tacho nichts anzeigt. Super! Das
Klackern finde ich heraus, kommt vom Tachosender der Polaruhr. Anscheinend
wurde er durch den Transport auf dem Auto zu dicht an den Magnet gedrückt. Also
während der Fahrt nach unten beugen und fummeln. Klappt. Der Sigmatacho zeigt
dennoch nichts an. Egal. Ich fahre nach Gefühl und kontrolliere hin und wieder über
die Polar die Frequenz. Über die Hanauer Landstraße geht es mit Gegenwind nach
Bergen-Enkheim und ich hatte mir vorgenommen bis Maintal mein vorderes
Trinksystem leergetrunken zu haben. In Maintal erwartet mich das Kopfsteinpflaster
und ich wollte zu diesem Zeitpunkt noch nicht duschen. Aber was mache ich? Ich
fülle kurz nach Bergen-Enkheim mein Trinksystem und bereue es eigentlich direkt
danach. Spitze. In Maintal ist eine Spitzenstimmung und den Hügel über das
Kopfsteinpflaster hoch vergesse ich schnell die Dusche aus dem Trinksystem. Ein
Wahnsinn. Ich bin in einem Film. Nach Maintal beginnt die Routine und ich
beschäftige mich bisweilen mit dem Abklatschen von Kinderhänden, die mir
entgegengestreckt werden. In jedem Ort ist eine kleine Festlichkeit und die Stimmung
perfekt. Man wird von fremden Menschen bejubelt und fühlt sich einfach gut in seiner
Haut. Am Hühnerberg jagt Thomas erwartungsgemäß an mir vorbei und ich freue
mich für ihn. Der Junge ist gut drauf. Bei ungefähr Kilometer 70 sehe ich Stefan mit
Reifen und Schlauch in der Hand. So ein Mist. Kann es denn niemand anderen
erwischen? Weiter fahrend fällt mir ein, dass ich Stefan ziemlich früh gesehen habe.
Er kann doch nicht so viel für einen Reifenwechsel brauchen. Um mich zu
beschäftigen überlege ich weiter, dass Stefan mindestens 10 Minuten vor mir aus
dem Wasser gekommen sein muss und auch der bessere Radfahrer ist. Da stimmt
doch was nicht (wie ich später von ihm erfahre, war dies bereits der 2. Defekt von
insgesamt 3). Inzwischen ist Bad Nauheim erreicht und an den Salinen vorbei, geht
es mit Rückenwind in Richtung Friedberg und weiter nach Frankfurt. Jetzt macht es
richtig Spaß. Der Sigmatacho funktioniert auch wieder und zeigt eine beruhigende
Geschwindigkeit an. Schnell ist Friedberg erreicht und da steppt der Bär. Respekt,
die Fußgängerzone ist voll von Menschen, die jubeln und klatschen. Das macht
Laune. Nach Friedberg geht es über Kloppenheim nach Bad Vilbel und hier wird
dann alles übertroffen. Am Anfang stehend jubeln Sascha und Swantje, dass neue
Powerpaar des LCO, und es geht den Berg hoch durch ein enges Spalier von
Menschen. Tour de France in Bad Vilbel. Wahnsinn. Zwischendrin immer wieder
bekannte Gesichter, wie Arne und Andrea. Ansonsten nur Menschen, Menschen,
Menschen. Der Hügel hat es in sich, aber ich bin so aufgewühlt, dass es fast
spielerisch ist. Oben angekommen, geht es nur noch bergab/eben nach Frankfurt
City. Das muss man sich mal vorstellen. Man fährt mit hoher Geschwindigkeit durch
die Innenstadt von Frankfurt und man muss an keiner Ampel stehen bleiben. Ein
Genuss. Durch den Theatertunnel geht es runter zum Main und zur zweiten Runde.
Mein Name wird gerufen und ich strecke den Arm nach oben. Leider sehe ich keine
Gesichter genau und es geht nun auch weiter durch Frankfurt. Ein Blick auf die Uhr
zeigt mir die Zeit an, die ich sehen wollte. Ich freue mich auf Maintal und denke
diesmal fest an das Leeren des Trinksystems und tatsächlich fahre ich fast trocken
durch Maintal. Das könnte ich dauernd machen, wenn dieses Kopfsteinpflaster nicht
wäre. Die zweite Runde fällt mir spürbar schwerer und da mein KohlenhydratGetränk zu Ende ist, hoffe ich auf die Wirkung des Säure-Base-Mittels. Ich plane jetzt
alle 30 Minuten ein Gel ein und hoffe, dass die Beine wieder locker werden.
Glücklicherweise erfüllt sich mein Wunsch und so fahre ich ab KM 130 wieder normal.
Ein letztes Mal durch Bad Nauheim über Friedberg und mit leichten Rückenwind
nach Bad Vilbel. Es könnte so weiter gehen. In Bad Vilbel sind die ganzen Menschen
immer noch da und obwohl es deutlicher schwieriger ist, den Hügel hochzufahren,
drücken die Leute einem regelrecht nach oben. Mit einem kurzen Plausch mit einem
Kollegen und dem Fazit „jetzt geht es nur noch bergab“ geht es zur letzten
Wechselzone ans Mainufer. Bei der Anfahrt treffe ich wieder auf unser Powerpaar
und werde mit lauten Worten angefeuert. Ich steige frühzeitig aus den Radschuhen
und sehe vor mir den Balken fürs Absteigen. Das Rad wird mir von einem Assistent
abgenommen und ein weiterer Assistent läuft mit mir in Richtung Zelt. Unterwegs
wird meine Nummer gebrüllt und der Umkleidesack gereicht. Im Zelt angekommen
weist mir ein weiterer Helfer einen freien Platz zu und reißt mir die Plastiktüte auf. Ich
bitte ihn meinen Helm gut zu verstauen, ziehe meine Socken an und schnappe mir
meine Utensilien. Nach Maxdorf habe ich mir vorgenommen, auf den ersten
Kilometern nicht zu schnell zu laufen und zu trinken, da ich in diesem Jahr
anscheinend zu Seitenstechen neige. Die Beine fühlen sich gut an und es geht auf
die erste Runde. 500 Meter nach dem Umkleidezelt stehen die Freunde und jubeln,
halten Schilder hoch und schwenken Ihre Kinder. Was für ein Bild und dennoch kann
ich vor lauter Euphorie einige Freunde nicht erkennen. Eigentlich verrückt. Ich laufe
an Ihnen vorbei und es geht an der ersten Verpflegungsstation vorbei auf die Brücke.
Die ersten zwei Kilometer bin ich dann doch wieder zu schnell unterwegs und ich
versuche bewusst langsamer zu laufen. Richtung Gerber Mühle laufe ich wieder an
Sascha/Swantje vorbei (die sind ja nicht still zu bekommen) und treffe auf meine
Eltern (da freue ich mich besonders, weil die beiden Abends noch eine Ballonfahrt
starten wollten), Sonja/Heino aus Bonn, mein Geschäftsfreund Alexander, Andrea,
Sabine, Markus V., Claus mit „C „ und Arne. Zu guter letzt kommt mir unser heißes
Höschen Thommy entgegen, der mich glatt ignoriert. Nachdem ich mich aber
lautstark bemerkbar gemacht hatte (vorher hatte er glattes Haar), reagierte er
entsprechend. Bis dahin hatte ich nicht ansatzweise Seitenstechen, doch dann war
es da. Zuerst leicht, dann stärker. An der Versorgung Gerber-Mühle fange ich an zu
gehen, trinke in Ruhe und esse ein bisschen Obst. Die obligatorische Schwamm- und
Wasserbecherdusche ist der Zeitpunkt zum Weiterlaufen. Das Stechen ist bis dahin
auch wieder weg. Leider kommt es in der ersten Runde noch an ein paar Stellen,
aber ich konnte es immer wieder mit dem Essen/Trinken verbinden. Für die Fans
habe ich, soweit ich es beurteilen kann, immer ein gutes Gesicht gemacht. Claus
läuft zeitweise neben mir her, aber sowohl ihn, als auch alle anderen eifrigen
Freunde muss ich bitten, mich alleine zu lassen. Ich bin zu sehr mit mir beschäftigt
und reagiere nur zurückhaltend. Wo sind eigentlich die anderen? Bisher habe ich nur
Thommy getroffen. Die zweite Runde sollte dann alles ändern. Auf die Uhr schaue
ich nur noch gelegentlich und rechne auch keine Zeiten zusammen. Ich fühle mich
ganz wohl in meiner Haut. Auf dem Weg zur Gerbermühle treffe ich auf den
gehenden Thomas. Ich biete ihm an, dass wir zusammen laufen, aber er schickt mich
weiter. Seine Beine sind komplett zu und er kann sie nicht mehr zum Laufen
bewegen. Aber der Wille zum Finishen ist da. Vor der Gerbermühle überhole ich Kai
Hundertmarck der bemitleidenswert seine dritte Runde gehend bestreitet. Respekt.
Kurz nach der Gerbermühle werde ich von Rainer eingeholt. Das bin ich bei
Wettkämpfen schon gewohnt und so freue ich mich über seine Performance. Ich
muss aber zugeben, dass Rainer rot wie ein Ampelmännchen war und mich das ein
wenig erschreckte. An meinen Eltern wieder vorbei schnappte ich mir bei der
nächsten Versorgung ein Redbull/Wasser-Gemisch, da mein eigenes Getränk leer
war. Ich hatte Panik, dass die Kohlenhydrate nicht bis zu Claudia reichen würden, die
mit einer neuen Flasche auf mich wartete. Doch jetzt passierte etwas, mit dem ich
nicht gerechnet hatte. Mir wurde schlecht und schwindlig und ich fing direkt an zu
gehen. Was war mit mir los? Ich hatte das doch schon in Kulmbach ausprobiert. Ich
traf in meinem Delirium auf Gaby, Freundin meines Mitstreiters André, und bat sie
um etwas zu trinken. Verdünnen, das war mein Gedanke. Sie reichte mir eine halbe
Flasche Sprudel, die ich auch kurzerhand leer pumpte. Ich ging weiter die Brücke
hoch und suchte händeringend nach einer Parkbank. Setzen, ich muss mich setzen.
Es geht nicht mehr. Da treffe ich auf meine Eltern und ich glaube, ich brauche die
Reaktion meiner Mutter nicht beschreiben. Mein Vater drängte darauf mich alleine zu
lassen, was auch am Besten war. Ich ging nach kurzem Stop weiter und setzte mich
neben der Strecke auf einen Betonklotz. Meine letzten Säure-Base-Tabletten warf ich
ein und wartete. Der Gedanke von Aufgeben kam mir ein paar Mal und ich senkte
den Blick nach unten. Leider konnte ich mich auch nicht übergeben und so wartete
ich auf Besserung. Nach für mich unendlich langer Zeit wurde der Blick wieder klar.
Ich setzte mich zuerst gehend, auf der Brücke dann auch wieder laufend in
Bewegung. Ab jetzt keine Fehler mehr! Puls bei 135 und leichtes Jogging. Ich kam
an meiner Fankurve vorbei und zuerst Tom, dann Udo begleiteten mich ein Stück.
Ich erzählte kurz vom Geschehenen und bat wieder darum, alleine weiter zu Laufen.
Die Wasserduschen wurden zur wichtigsten Versorgung und auf dem Rückweg fühlte
ich mich auch ein wenig wohler. Endlich beginnt die 3 Runde. ICH WILL DIESES
GELBE BÄNDCHEN HABEN! Die Brücke wird immer steiler und die Gerber Mühle
will auch nicht kommen. Ich weiß nicht mehr so genau, wer in dieser Runde noch an
der Seite stand und mich anfeuerte. Es geht alles nur noch automatisch und der
Tunnelblick wird schmaler. So langsam will auch der Kopf nicht mehr und das
Wasser/Eis kühlt inzwischen nicht nur den Körper, sondern macht den Geist auch
wieder für ein paar Sekunden lebendig. Da stehen die Assistenten mit den gelben
Bändchen. Ich hebe gerne den Arm. Endlich, schwarz-rot-gelb sieht man an meinem
Oberarm. Nur noch einmal über die Brücke. Claudia habe ich vorher mitgeteilt, sie
kam einmal auf die andere Seite der Brücke gelaufen, dass ich das spezielle
Wetten.de-Trikot doch noch anziehen werde. Das Trikot ist der Gewinn-Schlüssel zu
einer Hawaii-Reise und wir wollten schließlich alle Holger begleiten. Ich komm also
an und reiße mir mein Trikot, höre ich da die Fans johlen?, runter. Das ging noch
einfach, aber das trockene Trikot überziehen ist schwieriger. Claudia hilft mit zwei
Händen und endlich klebt das Ding an mir. Da bleibt mir fast die Luft weg und ich
sehne mir die Duschen herbei. Erst nachdem ich wieder klatschnass bin, fühle ich
mich wieder angenehm. Die Weseler Werft ist die letzte Wende, aber mein lieber
Mann, die Kilometer sind lange. Die Wende ist geschafft, eine letzte
Schwammdusche und ab geht es in den Zieleinlauf. Die Leute strecken mir die
Hände entgegen, aber ich kann die Arme nicht mehr richtig heben. Ich freue mich
trotzdem. Die letzten 200 Meter, der Zielkanal mit dem Sponsorenteppich fängt an.
Ich versuche Gesichter zu erkennen, doch es sind zu viele Menschen. Irgendwann
sehe ich um Augenwinkel die Freunde stehen und jubeln. Was ein Spaß. „Lass diese
Strecke endlos sein“. Bert hängt von der Tribüne quer im Weg und ich klatsch in ab.
Was macht Bert auf der Tribüne? Er war doch mit am Start? Weiter geht’s, die Uhr
tickt. Ich will eine 45 stehen haben und tatsächlich komme ich nach 11.45:59 ins Ziel.
Die Emotionen kann ich nicht mehr beschreiben. Das ist einfach nur Wahnsinn.
Ich bleibe stehe und stütze mich auf die Knie. Die Assistents hängen mir die Medaille
und ein Handtuch um. Ein ärztlicher Betreuer fragt mich nach meinen Zustand, den
ich mit schwindlig beschreibe. Ob jetzt schwindlig vor Glück oder wegen des
Wettkampfs weiß ich nicht. Man bietet mir eine Trage zum Sitzen und eine Flasche
Wasser zum Trinken an. Ich höre nur den Lärm der Zuschauer und grinse in mich
hinein. Der Arzt fragt mich nach kurzer Zeit, ob es mir besser ging. Aber ich bin noch
ein wenig platt und verneine es. Ich soll mich daraufhin hinlegen und ein hübsches
Gesicht kommt seitenverkehrt über mich und sagt freundlich: „Wir hätten anzubieten:
Infusion, Massage, Essen und Trinken“. Ich antworte: „Diese Reihenfolge finde ich
auch gut“. Kurz darauf geht die angenehmste Krankenfahrt los, die ich je mitgemacht
habe. Im Hintergrund höre ich Andrea rufen „Heh, Luppi“ und ich recke, wie in einem
schlechten Kriegsfilm mit Bauchschuss, den Daumen nach oben. Im Krankenzelt
angekommen, kümmern sich gleich weitere Ärzte um mich und man beschließt,
nachdem ich von meinen Redbull-Aussetzer erzählt hatte, mir eine Elektrolyt-Infusion
zu verabreichen. Hört sich gut an, her damit. Und so liege ich kurze Zeit später mit
einer Wärmedecke im Krankenzelt und höre die Schreie der Athleten, die sich mit
Krämpfen beschäftigen. Die Ärzte sind engagiert und freundlich. So wird jedem
schnellstens geholfen und alle sind zufrieden. Nach ca. 45 Minuten ist meine Infusion
durch und mir wird auf die Beine geholfen. Och, das geht ja ganz gut und so hole ich
meinen weißen Umkleidebeutel ab, damit ich endlich Duschen kann. Meine Freunde
vergesse ich leider dabei völlig, aber ich hoffe, man verzeiht mir das. Die Duschen
sind die Wucht. Hans Grohe ist Sponsor und so will ich auch hier erst gar nicht weg.
Super. Nach dem ausgiebigen Duschen lockt mich der Hunger ins nächste Zelt.
Hatte ich vorher nicht schon Bier getrunken (0% Alkohol)? Kann sein, egal, ab ins
Zelt und das Schlaraffenland hätte nicht besser sein können. Ich haue mir die ersten
Schnittchen, Äpfel, Orangen, Kuchen und was weiß ich noch rein. Nach dieser ersten
Fressattacke gehe ich zum Familientreffpunkt und treffe tatsächlich auch auf einige
Freunde, die dann auch den Rest herbeitelefonieren. Jetzt muss ich aber nicht nur
für mich essen holen, sondern auch für alle anderen. Macht nix, das Verpflegungszelt
ist gleich daneben. Nacheinander schleppe ich das Material bei und werde immer
zufriedener. Man verabredet sich beim Italiener auf der Zeil. So habe ich dann noch
Gelegenheit mit Stefan und Jacek ein kleinen Happen zu essen. Nachdem beim
besten Willen nichts mehr in uns reinpasst, machen wir uns auf den Weg und
verlassen die heilige Stätte in Richtung Zeil. Dort angekommen, picken wir die
Freunde, nach einer kurzen Rast, auf und gehen auf die Tribüne zum Zielbereich.
Was für eine Stimmung, unglaublich. Ist hier ein Rockkonzert? Es ist 22.30h und die
Leute feiern die letzten Ankömmlinge. Jeder einzelne wird mit einem Applaus bedient,
der eines Siegers gerecht werden würde. Die Leute vom HR3 heizen die Stimmung
durch weitere Sprüche und guter Musik immer mehr an. Es ist 22:59, die letzte
Minute vor dem Ende. Die Sieger sind auch noch mal versammelt und tatsächlich
kommt noch eine Athletin aus England um 22:59:30 an. Ein frenetischer Jubel bricht
los und die Light-Show beginnt. Man hat so etwas schon häufig gesehen, aber jetzt
in dieser Situation und mit Rückblick auf den Tag ist es wie eine Blick in eine neue
Welt. Ich genieße es bis zum letzten Lichtstrahl und dem Ende des Lieds „One
Moment in time“.
Jetzt geht es nur noch zur Wechselzone um die Räder zu holen und um endlich nach
Hause zu fahren. Die Uhrzeiten weiß ich jetzt nicht mehr so genau, aber vor uns geht
der Weltmeister und Sieger des Tages. Doch wir fühlen uns alle wie ein Sieger. Der
Weg zum Auto ist noch ein weit: Rita und Claudia haben in „sicherer „ Entfernung
geparkt. Hut ab. Das könnte man als vierte Disziplin werten. Da Claudia ziemlich
müde und ich ziemlich aufgedreht bin, fahre ich das Auto heim. Ich fühle mich wohl,
es tut mir nichts weh, außer vielleicht das Völlegefühl im Magen. Nach 23h Wachsein,
ein bisschen Bewegung falle ich mit äußerster Genugtuung in mein Bett. Was für ein
Tag !
Ich danke an dieser Stelle ganz besonders Claudia, die mich über Monate in einem
schwierigen Zustand ertragen musste und die mich sehr stark unterstützte. Natürlich
allen anderen, für die ich während dieser Vorbereitung keine Zeit hatte und die dafür
Verständnis aufgebracht haben. Allen Fans und Freunden an der Strecke, die mich
motiviert haben. Den vielen Menschen, die mir Glück wünschten und mir später
gratulierten. Sowie natürlich Udo, der mir mit Rat und Tat immer zur Seite stand. See
you in 2007.
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