3.1.2 Bild 2

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Pädagogische Hochschule Heidelberg
Fakultät 1:
Pädagogische Psychologie
Hauptseminar: Psychologie der Kinderzeichnung
Dozent:
Dr. phil. Wolfgang Sehringer
Semester:
WS 2001/2002
Fallstudie:
Clemens, 10; 4 Jahre
Verfasser:
Stefanie Pois
3.Semester
Siegfriedstr. 15
69502 Hemsbach
Telefon:
06201/74957
Datum:
13.04.2002
1
Inhaltsverzeichnis:
1.
Einleitung und Kontext: ............................................................................................................................... 3
2.
Subsystem 1: das wahrgenommene Handlungsfeld: .................................................................................. 4
3.
2.1
Der motivationale Variablenkomplex ....................................................................................................... 4
2.2
Der kognitive Variablenkomplex .............................................................................................................. 5
Subsystem 2: Der Vorgang des Zeichnens .................................................................................................. 6
3.1 Handlungsanalyse und Werkanalyse ........................................................................................................ 6
3.1.1
Bild 1: .............................................................................................................................................. 6
3.1.2
Bild 2: ............................................................................................................................................ 13
3.1.3
Bild 3: ............................................................................................................................................ 14
3.1.4
Bild 4: ............................................................................................................................................ 16
3.1.5
Bild 5: ............................................................................................................................................ 18
3.1.6
Bild 6: ............................................................................................................................................ 20
4.
3.2
Kognitionen und Emotionen: Repertoire graphischer Fähigkeiten ........................................................ 21
3.3
Kognitionen und Emotionen: Wissensstruktur ........................................................................................ 22
3.4
Kognitionen und Emotionen: Emotionale Befindlichkeiten .................................................................... 22
Subsystem 3: Die diagnostische Urteilsbildung- Lesbarkeit der Aspekte der Erscheinung ................. 23
4.1 Spontaner Gesamteindruck ..................................................................................................................... 23
4.1.1
Reaktivwert und Materialwirkung ................................................................................................. 23
4.1.2
Thema ............................................................................................................................................ 24
4.1.3
Eigenmotivation des Beurteilers ................................................................................................... 24
4.2 Erkennen als kommunikativer Akt: die vier Verstehensaspekte .............................................................. 24
4.2.1
Der Mitteilungsaspekt ................................................................................................................... 24
4.2.2
Der Ausdrucksaspekt ..................................................................................................................... 25
4.2.3
Der Leistungsaspekt ...................................................................................................................... 26
4.2.4
Der Selbstkundgabeaspekt ............................................................................................................ 27
4.3 Gezielte diagnostische Aktivität .............................................................................................................. 28
4.3.1
Der graphische Tatbestand ............................................................................................................ 28
4.4 Bewegungsbild, Formbild, Raumbild, Farbbild ..................................................................................... 30
4.4.1
Bewegungsbild .............................................................................................................................. 30
4.4.2
Formbild ........................................................................................................................................ 31
4.4.3
Raumbild ....................................................................................................................................... 31
4.4.4
Farbbild ......................................................................................................................................... 32
5.
4.5
Selbstinterpretationen des Zeichners ...................................................................................................... 32
4.6
Zusammenfassende psychodiagnostische Beurteilung ............................................................................ 33
Literaturverzeichnis: .................................................................................................................................. 36
2
1.
Einleitung und Kontext:
Clemens ist ein Kind aus der Nachbarschaft. Er wohnt zwei Reihenhäuser nebenan. Um ihn
zu fragen, ob er mir 5 Bilder malen würde ging ich zu ihm nach hause und klingelte. Zwei
mal am selben Tag wurde ich aber leider abgewiesen mit den Worten „Er ist nicht zuhause“.
Beim dritten Versuch, abends um 19 Uhr, traf ich den viel beschäftigten Jungen an. Er war
recht erstaunt über meine Frage, willigte aber dennoch zügig ein. Daraufhin kam sein Vater
hinzu und hat ihn nochmals in seinem Vorhaben bestärkt. Da Clemens sehr viele Termine hat,
war es uns aus dem Stehgreif nicht gelungen, einen Zeichentermin zu finden. Der Vater
vereinbarte mit mir, mit dem Jungen alle freien Termine der nächsten zwei Wochen
aufzuschreiben und sie mir dann in den Briefkasten zu werfen, sodass ich dann sehen kann
wann ich Zeit habe.
Clemens hatte dann mittwochs darauf früher Schule aus und wir nutzen diese Gelegenheit um
zu malen. Daher holte ich ihn dann um 12 Uhr bei sich zuhause ab. Die Mutter zeigte mir
dann erst mal die Bilder, die von ihm an der Wand hingen. Darunter war eine Lock mit 3
Wagons. Jeder Wagon auf einem riesigen Blatt. Die Lock mit den Wagons füllte das ganze
Treppenhaus aus. Dann gingen wir zu mir nach hause. Ich fragte ihn, ob er ein Stück Kuchen
haben wollte oder was zu trinken, aber er verneinte. Im Zeichenzimmer (unserem
Wohnzimmer) angekommen schnappte sich Clemens gleich ein DinA3 Blatt und fing an zu
malen noch ehe ich die Kamera angeschaltet hatte. So entstanden an einem Tag 6 Bilder,
wobei er für das erste Bild fast genauso lange brauchte, wie für die anderen fünf zusammen.
Clemens Vater ist Schuldekan und Religionslehrer im Nachbarort. Seine Mutter arbeitet
Teilzeit in einer ernährungswissenschaftlichen Schule im Nachbarort. Clemens hat zwei ältere
Geschwister. Eine Schwester mit 13 Jahren und einen Bruder mit 11 Jahren, die beide auf das
Gymnasium im Ort gehen. Die Eltern kümmern sich sehr bewusst um die Ernährung der
Kinder, z. B. wird das Brot in einer ortsansässigen Backgruppe selbst gebacken. Aber auch
sonst lebt die Familie sehr gesund. Mit dem Auto fährt die fünfköpfige Familie fast nie. Selbst
der Vater und die Mutter fahren zu ihrer Lehrerstelle fast immer, egal ob Sommer oder
Winter, mit dem Fahrrad. Auch das Fernsehen ist bei der Familie für mich erstaunlich
eingeschränkt. Sie haben kein Kabel oder Satellitenfernsehen, sondern nur das erste und
zweite Programm.
Clemens besucht gerade die dritte Klasse der Grundschule. Er geht gerne zur Schule und ist
ein sehr guter Schüler. Seine Hausaufgaben macht er schnell und problemlos alleine.
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Momentan nimmt er gerade am Kommunionkurs teil, den seine Mutter leitet. (Vater und
Mutter sind beide sehr aktiv in der Gemeinde, auch seine Geschwister sind bereits
Ministranten.).
In seiner Freizeit spielt Clemens Gitarre und geht zu einem Sportverein. Zusammen mit
seinen Geschwistern geht er auch noch in einen Malverein, wozu er immer über das Feld in
den Nachbarort radeln muss. Dort malen sie meist überdimensional große Bilder (viel größer
als Zeichenblockformat). Daher war auch seine erste Frage, als ich ihn fragte, ob er mir ein
Bild malen würde, wie groß die denn sein müssten. Seine zweite Frage war dann, ob er alles
malen dürfe was er denn wolle. Nachdem ich ihm gesagt hatte, dass dies alles in seiner Wahl
liege, war er zufrieden.
Weiterhin fährt Clemens in seiner Freizeit Fahrrad, Inline-Skating und Skatboard und
verbringt so insgesamt gesehen sehr viel Zeit im Freien.
Clemens ist insgesamt ein fröhliches, ausgeglichenes und sehr kontaktfreudiges Kind. Er hat
viele Freunde, auch Straßenfreunde, also Kinder die in der Nachbarschaft wohnen. Hier ist es
recht ungefährlich die Kinder draußen spielen zu lassen, da wir in einem reinen Wohnviertel
wohnen.
2.
2.1
Subsystem 1: das wahrgenommene Handlungsfeld:
Der motivationale Variablenkomplex
Als ich Clemens in den Semesterferien fragte, ob er mir einige Bilder zeichnen wolle, sagte er
sofort zu. Stellte dann aber noch einige Fragen über das gewünschte Format und den Inhalt
der Bilder. Er war sehr motiviert und hätte am liebsten gleich am nächsten Tag angefangen zu
malen, da Mittwoch fast der einzige Tag ist, an dem er Zeit hat. Aber der Vater machte ihm
den Vorschlag, einen Termin in der darauf folgenden Woche zu suchen. Er schien offenbar
sehr erstaunt von seiner Nachbarin zu so etwas gebeten zu werden und war wohl auch recht
stolz darauf für mich malen zu dürfen, da ich ja auch noch erwähnte, dass es für meinen
Professor an der Uni ist.
Am besagten Tag begrüßte mich Clemens recht offenherzig. Er erschien keineswegs nervös
oder verängstigt zu sein. Nur im Laufe des Malens erwähnte er einmal, dass er noch nie beim
Malen mit der Videokamera aufgenommen wurde. Dies schien er aber durchaus als positiv zu
empfinden.
4
Bei mir fing er gleich zu malen an, ohne dass ich etwas sagen musste bzw. konnte. dabei hatte
ich noch nicht mal die Kamera an geschalten. Die Bilder malte er alle sehr selbstbewusst.
Wobei das erste noch das Stockenste ist und er von Bild zu Bild freiere und größere
Bewegungen werden. Er schien nie lange nachzudenken, sondern malte immer drauf los. Auf
die Frage, ob er denn wisse, was er malen wollte sagte er nur „ja“ und malte weiter.
Die Zeit, die Clemens von Bild zu Bild brauchte verringerte sich jedes Mal. Am ersten Bild
saß er 1 Std. 25 min. Die darauf folgenden waren dann in 13 min, 20 min, 15 min, 15 min, 8
min fertig. Seine Motivation nahm demnach mit jedem Bild ab. Wobei sein Rededrang immer
mehr zunahm und er ab dem 2. Bild immer freiwillig viel und ausführlich zu den Bildern
erzählte (mehr als abgebildet ist). Nach dem ersten Bild aßen wir zu Mittag und tranken
etwas. Danach kehrten wir sofort wieder zum Zeichenvorgang zurück. Clemens nahm nun ein
kleineres Blatt und Wachstifte, statt wie zuvor Filzstifte. Dieses Bild dauerte dann auch nur
13 min. Die weiteren Bilder entstanden dann ohne weitere Pause.
Nun war er nicht mehr zu bremsen. Er malte und malte scheinbar um mir noch eine größere
Freude zu machen. Er hörte nicht mal nach dem fünften Bild auf, sondern fing auch noch ein
sechstes Bild an. Er war also sehr motiviert seine Aufgabe gut zu erfüllen.
2.2
Der kognitive Variablenkomplex
Da Clemens von mir keine Vorgaben über das Motiv des Bildes bekam und auch seine
Malutensilien frei wählen konnte, bestand wohl keine Gefahr ihn in seiner kognitiven
Leistungskapazität zu überfordern. Auch die Arbeitsgeschwindigkeit konnte er nach seinem
Ermessen wählen, da für den Nachmittag sonst nichts mehr geplant war.
Bei der Wahl des ersten Motivs war Clemens sehr selbstbewusst. Ich hatte noch nicht einmal
die Kamera an, da legte er schon los. Auf die Frage, ob er denn schon weiß, was er malen
wolle, sagte er nur ein klares ja. Dennoch redete er in der ersten halben Stunde recht wenig
und ich musste ihn immer fragen, wenn ich wissen wollte, was er gerade malte. Auf die Frage
bekam ich dann eine kurze präzise Antwort. Daraus schließe ich, dass er am Anfang doch
auch noch etwas verunsichert war und nicht so recht wusste was auf ihn zukam und was ich
erwarte. Dies legte sich nach einer halben Stunde und er fing an fröhlich und gelassen immer
alles zu seinen Bildern zu erzählen, noch bevor ich fragen konnte. Das was er nicht malen
konnte oder wollte erklärte er mit Worten („Das sieht man von hier aus nicht.“).
Dass der Tag schon anstrengend war, da er ja gerade aus der Schule heim kam und eine
längere Pause verweigerte, merkte man ihm nicht an. Clemens malte für mein Erachten kein
5
typisches Kinderbild. Ich war erstaunt und beeindruckt zugleich, als er auf seinem ersten Bild
sofort mit einem Wasserwerk anfing.
3.
3.1
Subsystem 2: Der Vorgang des Zeichnens
Handlungsanalyse und Werkanalyse
Der Entstehungsprozess von Clemens Zeichnung hat gezeigt, dass er zu Beginn einer
Zeichnung zwar eine Vorstellung von dem hat, was er malen möchte, diese Vorstellungen
beim Malen aber immer wieder erweitert und verändert. So kam z. B. nach kurzem überlegen
beim ersten Bild zu dem Wasserwerk noch ein Berg hinzu, da wie er sagt, sonst das Bild so
kahl sei. So wurden nach und nach bei jedem Bild die Lücken noch gefüllt. Clemens malt sehr
ruhig und konzentriert. Man könnte fast sagen, dass er zu Anfang mit seinen Gedanken ganz
wo anderes war und daher auch meine Fragen als lästig empfand. Dies legte sich dann nach
einer halben Stunde und er hat sichtlich Freude daran mir zu erklären was da jetzt passiert auf
dem Bild und dann zu sehen, dass ich alles fleißig aufschreibe. Mitunter erzählte er so viel,
dass ich beim Schreiben gar nicht mitkam und letzten Endes sehr froh war sein Malen auf
Video aufgenommen zu haben.
3.1.1 Bild 1:
Auf meine Frage, ob er ein DinA4 oder DinA3 Papier haben wollte antwortete er nach
kurzem Nachdenken, dass er mit dem großen Papier beginnen wollte. Kaum hat er den
Malblock vor sich liegen fängt er auch schon an zu malen. Er entschied sich für seine
Filzstifte aus seinem Mäppchen, das er mitgebracht hatte. Er legt das Blatt quer vor sich auf
den Tisch und zieht in braun am unteren Bildrand eine Linie von links nach rechts. Dabei
lehnt er seinen Körper zur Seite. Danach malt er den ersten Teil des Streifens braun aus. Er
nimmt dann die grün und malt damit einen kleinen Placken. Auf meine Frage, ob er denn
schon wisse, was er da male, sagte er nur ein klares ja. Nun ging es weiter. Mit der Grün malt
er von links nach rechts kurze senkrechte Striche auf den braunen Strich. Dabei sagt er: Das
ist nicht schwer zu erkennen“. Als ich dann sagte es ist eine Wiese, sagt er zufrieden „ja“. So
entstanden dann alle Grashalme von links nach rechts, wobei der Abstand der Grashalme nach
rechts hin immer größer wurde. Rechts unten malt er einen Wasserfall. Zuerst das Wasser,
dann den Fels in grau. Dabei faltet er angestrengt seine Zunge. Dies kam oft vor, dass seine
6
Zunge bei anscheinend schwierigen Stellen zum Vorschein kam. In die untere Mitte des
Blattes malt er nun mit braun zwei senkrechte Striche mit einem Knick. Dabei ging er sehr
langsam vor und der Filzstift wurde sehr fest auf das Blatt aufgedrückt. Zudem setzt er oft ab.
Das war scheinbar Präzisionsarbeit für ihn. Danach folgte das Dach des Wasserwerkes
(mittlerweile hatte ich erfragt, dass es ein Wasserwerk wird). Dazu malt er ein graues
Rechteck über die senkrechten Striche und malt dieses dann von links nach rechts aus. Wobei
der Stift von links nah rechts hin und her bewegt wurde. Nun entstand die Wasserleitung
unten in der Erde, wobei er wieder seinem Malschema treu bleibt und zuerst die Umrisse
malt. Dabei vermalt er sich aus Versehen und sagte „hups“, was aber dem Bild keinen
Abbruch tut, da er die Leitung nun etwas dicker malt und danach noch ausmalt. Beim
Ausmalen dieses waagrechten Striches legt er das Blatt schräg. Danach malt er den Boden
über dem großen Rohr weiter aus. Dann malt er dort mit braun weiter, wo er zuvor aufgehört
hatte und den grünen Placken gemalt hatte. Nach der Hälfte scheint ihm das zu monoton zu
sein und er fängt von rechts an den Boden weiter auszumalen.
Da ich es nicht für Gewöhnlich hielt ein Wasserwerk gemalt zu bekommen fragte ich ihn
unterdessen einmal, ob er denn mit der Schule schon ein Wasserwerk besucht habe. Das
verneint er und sagt: „Aber wir gehen mit der Mama.“. Nun folgen zwei senkrechte lange
Striche links neben dem Wasserwerk: der Schornstein des Wasserwerks. „Da kommt
Wasserdampf raus“ und schon wird der Schornstein von oben nach unten mit senkrechten
Strichen ausgemalt. Es folgt mit Bleistift der Wasserdampf. Und schon ist das Wasserwerk
fertig.
Nun wendet er sich wortlos dem Himmel zu. Oben links entstehen die Umrisse einer Wolke;
einige Zentimeter daneben eine weitere und daneben noch eine Dritte. Nach einem prüfenden
Blick malt er zwischen die drei Wolken jeweils noch eine. Diese dann aber immer etwas
kleiner. Danach entsteht noch die sechste Wolke ganz rechts. Jetzt geht es rasend schnell. Er
ist wohl hier in einem ihm sehr gut bekannten, schon routinemäßig ablaufenden Schema.
Oben rechts entsteht mit Bleistift ein Kreis. Dieser wird gelb ausgemalt, dann folgen Striche
aus dem Kreis heraus. Die Sonne scheint. An der sechsten Wolke fängt er nun an den Himmel
blau auszumalen. Dabei führt er wieder die Strichrichtung von oben nach unten. Dann
wechselt er die Richtung der Striche und malt nach links weiter. Nun beschließt er, erstmal
die Bögen der Wolken mit Blau nachzumalen, dann schraffiert er grob weiter. Dabei drückt er
den Stift so stark auf, dass er quietscht. Das Blatt wird senkrecht gedreht und er umfährt den
Rest der Wolken. Dabei dreht er das Blatt immer wieder ab und zu in Normallage. Seinen
Kopf hält er dabei auffällig fast immer nach links gebeugt. Er fängt den Himmel ständig
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wieder an neuen Stellen an auszumalen. Dies hängt wohl damit zusammen, dass der Stift
langsam seinen Geist aufgibt. Als er dann den Teil bis zur 6.Wolke abgeschlossen hat nimmt
er unbeirrt einen Holzstift, testet links oben, ob er dieselbe Farbe hat, wie der Filzstift und
malt dann mit diesem weiter. Dabei geht er sehr geschickt vor, da er bei den Wolken noch
fester aufdrückt und zur Sonne hin das blau heller werden lässt, so dass man den Eindruck
von sehr schönem Wetter bekommt.
Nun wird das Bild erstmal bewundert und dann schräg gedreht. Von links nach rechts wird
oben am Horizont in braun eine Linie gezogen. Auf die Frage, was das ist, sagt er: „Wird ein
Berg.“.
„Was ich nun male ist alles auf diesem Berg zu sehen“. Jetzt folgen grüne, senkrechte Striche
am linken und dann am rechten Bildrand. Meine Vermutung, dass es sich dabei um ein Feld
auf dem Berg handelt bestätigt sich nicht. Er erklärt mir zum ersten Mal, ohne Nachfragen,
dass es sich um Weinreben handelt. (Diese sieht er hier in der Gegend sehr oft, da wir an den
Weinbergen wohnen). Die Striche bzw. die Reben scheinen ihm zu klein zu sein, denn er
verlängert den Strich überall nochmals um 1 cm nach unten. Nun folgen größere braune
Striche unterhalb der linken Reben. Diese werden dann ausgemalt und ich beginne zu
vermuten, dass es sich um Bäume handelt. Aber dann folgt kein Laub, sondern er malt rote
Punkte über die ersten zwei Stämme und über den dritten Stamm braune Punkte. Auf
Nachfrage erfahre ich, dass es sich doch um Bäume handelt und zwar konkret um
Apfelbäume (rote Punkte). („Das sind Apfelbäume. Rot die Äpfel.“). Zur Erklärung zeigt er
dabei immer mit dem Finger darauf. Danach entsteht das Laub um die Früchte. Das ist reinste
Präzisionsarbeit und dauert recht lange. Dann folgt dasselbe Spiel mit dem Nussbaum.
Hier ist mir aufgefallen, dass er gerne Sachen bzw. bestimmte Dinge doppelt bzw. mehrfach
malt: Wolken, Weinreben, Bäume und es wird noch einiges folgen. Auch folgt er seiner alt
bewährten Strategie weiterhin: zuerst die Umrisse malen, dann ausmalen. Des Weiteren habe
ich bis jetzt festgestellt, dass er immer den Stiftdeckel in der anderen Hand hält.
Die Blätter des Nussbaumes zu malen erscheint ihm mit der Zeit wohl etwas zu anstrengend
und er beschießt nur noch Bögen um die Nüsse zu malen. Nur wenn größere Flächen frei
bleiben malt er diese noch grün aus.
Nun nimmt er die Lila zur Hand und malt unter die Bäume zwei lange senkrechte Striche, die
dann anschließend noch durch kurze senkrechte Striche verbunden werden. Dann folgt der
erste waagrechte Strich unter die kleinen Lila Striche. Daraufhin folgt unten ein Gitter, dann
zwei weitere waagrechte Striche, noch 2 Kreise und fertig ist das Katzenhaus. Nun malt er auf
halber Stammhöhe bei den Bäumen noch graue Striche. Als ich ihn frage, was das sei, sagt er:
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„Damit die Katzen nicht hoch kommen – weil da kommen noch Häuser hin.“. Gesagt getan,
nun folgt eine graue Linie von unten links in die Blattmitte. Dabei dreht er das Blatt immer so,
dass er senkrecht malen kann. Das ist die Straße, die zu den Häusern führt, wird mir erklärt.
Nun entsteht eine Garage. Erst zwei senkrechte Striche, dann zwei quer, dann noch ein paar
kürzere, senkrechte Striche und fertig ist die Garage. Jetzt noch einen Kasten um die Garage
herum und fertig ist das Haus. Dann kommen noch die Tür und ein separater Weg zur Haustür
und zur Garage. Nun wirft er zum ersten Mal seinen Plan um, so dass ich es mitbekomme. Er
beschließt jetzt nicht mehrere Häuser zu malen, sondern sagt: „Die wohnen alleine dort.
Denen gehört die Landschaft und die Bäume“ und zeigt dabei auf das Gemalte. Jetzt folgt das
Grün um die Straße herum. Es soll Rasen darstellen. Rechts am Haus und auf dem Haus
wächst Efeu. Dann malt er noch blaue Blätter dazu, erzählt aber gleich, dass er weiß, dass
Efeu keine blauen Blätter hat. Dies sei aber noch eine andere Pflanze, die am Haus entlang
wächst. Meine anfängliche Idee, dass es Blüten seinen, lehnt er ab. Nun kommt ein rotes
Viereck vor das Haus und mit Bleistift folgen noch einige Striche. Meine, ihm lächerlich
erscheinende Frage, (er lacht) ob das ein Hund sei, weist er zurück. Das sind der Briefkasten
und die Klingel.
Jetzt folgt der Zaun um das Gelände herum. Diesen malt er, indem er kleine X
aneinanderreiht. Diese werden von rechts nach links immer größer. Auch eine Tür kommt in
den Zaun. Beim Schornstein sieht man den Zaun kurzfristig nicht, aber er geht laut ihm
weiter. Nach dem Schornstein geht der Zaun bis zum linken Bildrand weiter. Am Ende malt
er einen Pfosten und ergänzt in grau auch noch zwischendurch einige Zaunpfosten. Daraufhin
entsteht neben dem Katzenhaus eine braune Katze, mit einem Vogel im Mund.
Jetzt nimmt er den Bleistift und malt: linkes Bein, rechtes Bein, linker Arm, rechter Arm,
dann der Kopf. Dies hat er alles aneinander gesetzt und somit in Umrissen gezeichnet. Noch
ein paar Haare und fertig ist der Junge. Nun kommt die Oma an die Reihe. Diese wird links
oben neben das Haus gemalt. Bei ihr läuft es wieder ähnlich ab: beide Beine, dann der Rock,
Taschen im Rock, Arme, Hände, Kopf, Haare, Augen und fertig ist die Oma. Dann ein Strich
von der Oma aus zum Haus. „Hundehütte“ lautet sein kurzer Kommentar, den er mittlerweile,
ohne gefragt zu werden, automatisch abgibt. Ein Bogen entsteht, das ist die Tür wird mir
gesagt, und dann noch eine kleine Spalte, „damit der Hund rausschauen kann.“. Langsam aber
sicher wird er immer gesprächiger und das Malen scheint ihm immer mehr Spaß zu machen.
Es entsteht unter dem Hundestall noch ein Hasenstall. Jetzt entstehen zwei rote
Blumenkelche, dann deren Stängel, Blätter und fertig sind auch noch zwei Tulpen. Nun folgt
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ein Teich neben dem Nussbaum. „Für die Fische“ ist dazu sein einziger Kommentar. „Jetzt
kommt noch die letzte Tierart“ sagt er triumphierend. „Affen, eines meiner Lieblingstiere“.
Dazu sollte man wissen, dass in unserer Nachbarschaft ein Mann wohnt, der Affen besitzt.
Dieser wohnt genau gegenüber von Clemens Haus. Daher kann er diese immer gut sehen.
Nun folgt also rechts oben das Gehege für die Affen, dann entsteht das Gitter. Er sagt: „Das
ist das Gehege und das der Hinterraum für die Tiere und das Futter“. Mittlerweile redet er
fröhlich und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen vor sich hin, da er gemerkt hat, dass ich
alles, was er sagt, begeistert aufschreibe.
Jetzt geht es wieder oben ganz links neben den Weinreben weiter. Es entsteht ein „Feld, wo
das Gras umgedreht wurde“. Und „jetzt kommt neuer Samen rein“ (rot). Daraufhin erhält die
Oma noch eine Sprechblase in der „Fritz“ steht. Sein Kommentar dazu: „Die ruft grad den
Fritz – den Jungen.“. Anschließend entstehen zwei senkrechte Striche mit Bleistift über der
Straße. „Das wird ne Treppe für die Affen“ und schon folgen die Sprossen. „Die Affen
können net weglaufen, weil da unten bei der Straße es weitergeht. Dazu braucht man aber
einen Code. Den kennen die Affen ja net.“ Jetzt hat die Phase angefangen, in der er erzählt,
wie es ihm gefällt, auch was man das auf dem Bild nicht sieht. Alles wird detailliert
beschreiben. Er erfindet seine eigene Geschichte um das Bild herum.
Unterdessen entsteht parallel zur großen Treppe noch eine kleine. Dann geht es bei den Hasen
weiter. Es entsteht das Gitter, d.h. das Außengehege für die Hasen. Dies erläutert er alles sehr
ausführlich mit Worten.
„Die Affen haben sehr viele Treppen“ und schwups entsteht eine dritte kleine Treppe schräg
zu den anderen beiden. Zur „Sicherheit für die Affen“ entsteht nun ein Zaun hinter der Straße
mit einem Wassergraben. Dazu malt er einen Bogen mit Bleistift parallel zu Straße und malt
diesen dann blau aus. Und weiter geht es mit Utensilien für die Affen. Es entsteht in braun
eine geschlängelte Linie die hinten und vorne mit einem Quadrat endet. Das ist „ein Weg für
die Affen. Da können die laufen“ wird mir dazu erklärt. Jetzt wird der Wassergraben zu Ende
blau ausgemalt, da zuvor der Stift wieder versagt hatte. Nun entsteht unten recht ein gelber
Kreis, der dann zu einem Tunnel erweitert wird. „Für die Affen“ ist dazu der Kommentar und
er malt das innere des Tunnels mit Bleistift dunkel aus. Jetzt wird mir erklärt, dass die Hunde
wenig Auslauf haben, da sie am Zaun nicht weiter können. Die Affen hingegen haben viel
Platz. Auf meinen Einwand, dass nicht nur die Hunde so wenig Platz hätten, sondern die
Hasen noch weniger Platz haben sagte er, dass das Hasengehege offen ist. Die Hasen können
auch durch den Zaun durch. Die können sich also auf dem ganzen Bild bewegen.
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Jetzt folgen die Umrisslinien eines Elefanten. Auf meine Frage, ob die jetzt doch noch ein
Tier hätten, sagt er: „Nein der Elefant ist nur aufgeblasen.“. Diese Frage scheint ihn aber
inspiriert zu haben. Er malt in grau über dem Elefanten eine geschlängelte Linie. Stolz sagt er
dann: „Jetzt haben sie noch ein Tier, eine Schlange“.
Jetzt erst bekommen die Weinstöcke Trauben gemalt: Links grüne Punkte, also grüne Trauben
und rechts rote Punkte für rote Trauben.
Er mustert das Bild nun genau. Unten links ist noch viel Platz. Dort malt er nun eine Flasche
hin und erklärt gleich darauf, dass das eine Flaschenfabrik ist. „Da wird der Wein der Trauben
verarbeitet.“ Nun folgt unterhalb der Flaschenfabrik ein Gebilde, das wie ein Glas aussieht.
Dorthin führt eine Leitung von der Flaschenfabrik aus. Dort wir angeblich der Rotwein (daher
„rote Flüssigkeit“) abgefüllt. Dann folgt ein zweiter Schlauch von der Fabrik aus weg. Dieser
führt in ein zweites Glas. Da wird der Weißwein abgefüllt. „Der Rotwein hat es besser, denn
der Weißwein muss erst noch hergestellt werden“ sagt er dann. Diese Aussage ist mir bis jetzt
immer noch recht rätselhaft. Aber nun entsteht eine grüne Linie, die mit einem grünen Punkt
am Zaun beginnt und im Weißweingefäß endet. Durch diesen Schlauch kommt laut ihm „alles
noch rein, was man sonst noch so braucht.“. Dasselbe geschieht nun auch für den Rotwein.
Dazu malt er einen Punkt oben an den Horizont in grün. Dort fängt laut ihm die Leitung an,
sie liegt aber unterirdisch. Sichtbar wir sie erst wieder links neben dem Schornstein des
Wasserwerkes unterhalb des Zaunes. Von dort führt sie dann auch gerade zum Rotwein. Nun
bekommt die Flasche, also die Flaschenfabrik ein Etikett und wird danach lila ausgemalt. Jetzt
erst entsteht der braune Fleck um den grünen Schlauch, der zum Weißwein führt. „Da ist ein
Rohrbruch“ sagt er und schwups werden mit Bleistift zwei neue Leitungen direkt zur
Flaschenfabrik gelegt, eine Leitung angeblich vor und die andere hinter der Bruchstelle. Eine
zweite Flaschenfabrik entsteht und wird rot ausgemalt.
Das Wappen des Rotweins malt er nun noch einmal groß oberhalb des Wasserwerkes. Dazu
malt er erst den Umriss in rot, dann das rote Quadrat und die Flasche. Danach malt er den
Rest braun aus und erklärt dabei, was man auf dem Wappen sieht: „Rotwein fällt (tropft) in
die Flasche.“.
Rechts entsteht nun mit Bleistift ein weiteres kleines Rohr, aus dem blaues Wasser ausläuft.
„Das sind so Wasserröhren“ ist sein Kommentar dazu. Relativ in der Mitte des Blattes (neben
dem Haus) folgt ein weiteres, solches Rohr, diesmal ohne Wasser.
Jetzt nimmt er einen dünnen schwarzen Stift und malt das Rohr nach, welches vom
Wasserwerk wegführt. Daraufhin folgt in der Erde ein weiteres Rohr, das zur roten Flasche
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führt. Jetzt meint er seinen alle Fabriken und die ganze Landschaft ausreichend mit Wasser
versorgt.
Mit Rot malt er nun einen weiteren Schornstein aus dem Wasserwerk heraus, dann kommt der
Dampf.
Jetzt entstehen neben der großen Leiter noch zwei große U’s. „Oben gehen da die Affen rein
und unten kommen sie raus. Da kommt gerade einer raus.“ Und schon entsteht ein Affe beim
unteren U.
Über dem Wasserwerk entsteht jetzt noch ein See und ein Wal wird in schwarz daneben
gemalt. Noch bevor ich fragen konnte sagt er: „Der wird immer aufgepustet.“.
Und die Details nehmen kein Ende. Jetzt folgen auf dem Berg am Horizont schwarze Striche,
die in den Himmel hinein ragen. Als ich das sah, war ich völlig überfordert, was das sein
sollte. Aber das lag evtl. auch an mir, denn er malte jetzt schon über 1 Stunde und 15
Minuten. Ich wurde daraufhin aufgeklärt: „Das sind Solaranlagen.“.
Jetzt entsteht ein orangefarbener Knoten über dem Affenhaus und eine Linie, die das Haus
halb umrandet. Ich sage natürlich: „Das ist noch ne Schlange“, aber ich lag mal wieder falsch.
„Das ist keine Schlange. Das sind Lianen, “ bekam ich zu hören.
Nun entstand noch ein Seehund. („Der ist echt.“) Zuerst entstand der Körper, dann die
Flossen, dann der Ball. Dann wurde der Ball noch rot ausgemalt. Dann folgte noch ein See
ganz links. „Damit der Seehund wo hin kann.“ sagt er. Jetzt erst malt er mit Bleistift in den
See, den er zu erst gemalt hat und in den, den er zu letzt gemalt hat, einen Fisch.
Nach Betrachten des Bildes folgt jetzt oberhalb der Flaschenfabriken der Schriftzug „Wein“.
Dann entsteht oben links ein Luftballon. Mittlerweile wartet meine Mutter schon mit dem
Mittagessen. Daher malt er zum Schluss am Wasserkraftwerk noch eine Treppe und ein Seil
für die Affen.
Insgesamt hat er nun für dieses Bild 1 Std. 25 min. gebraucht und er hätte meiner Ansicht
nach sicherlich noch weiter gemalt, wenn wir nicht zum Essen gerufen worden wären.
Clemens versuchte das Bild meiner Ansicht nach anfangs recht wirklichkeitsgetreu zu malen.
Das merkt man auch dadurch, dass er die Tiere, die es hier in der Gegend nicht gibt, als
Aufblastiere entlarvte. Dabei fällt der Seelöwe gegen Ende hin etwas aus der Reihe. Mit
wirklichkeitsgetreu meine ich hier nicht, dass er hier unsere Umgebung malte, sondern
lediglich realistische Teile seiner Umgebung zu einem Ganzen zusammenfügte.
Er sagt mir zwar am Anfang, dass er schon wisse, was er malen wolle, aber das Bild füllt sich
doch erst nach und nach. Zuerst einmal das Wasserwerk am unteren Bildrand. Dann folgt der
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obere Bildrand mit dem Himmel. Dann füllen sich nach und nach die Seiten. Die Mitte wird
erst ziemlich zuletzt gefüllt.
Clemens befindet sich mit seinen gut zehn Jahren, laut Piaget, noch in der konkret
operationalen Phase. Er besitzt durchaus schon eine Vorstellung vom räumlichen Aufbau und
das man Dinge, wenn sie weiter weg sind, kleiner malt. Daher malt er auch einen Berg, um
seine Gegenstände nicht in der Luft hängen zu lassen. Die exakte Durchführung des
räumlichen Malens gelingt ihm allerdings erst bedingt. Er malt Dinge im Vordergrund größer
und weiß, dass die Dinge im Vordergrund den Hintergrund verdecken.
3.1.2 Bild 2:
Nach dem Mittagessen, bei dem er fröhlich erzählt hat, geht er wieder tatkräftig an die Arbeit.
Es entsteht Bild Nummer zwei. Diesmal entschied, er sich für ein DinA4 Blatt, da er meinte,
damit schneller fertig zu sein. Zudem entschied er sich diesmal für die Wachsmalstifte. Ich
musste wieder nichts sagen wegen dem Motiv, sondern er legte gleich los. Es entstand zuerst
wieder eine Wiese. Diesmal allerdings eine dickere Wiese als im ersten Bild. Dann kam
wieder der Wasserfall an den rechten Bildrand. Nochmals zuerst das Wasser (erst Umrisse,
dann ausgemalt) und erst viel später der Fels. Jetzt geht es erst einmal oben rechts weiter mit
gelben Strahlen, dann einer Kugel, die Sonne ist entstanden. Die Sonne, so wird sich zeigen,
ist bei Clemens immer oben rechts im Bild zu sehen.
Nun folgt in rot ein Feuer mit drei Flammen, wobei er die Flammen von links nach rechts
ausmalt. Dann dreht er das Blatt in Hochformat und es entsteht der Qualm. Dabei malt er
zuerst unten den Qualm, dann oben und zuletzt die Mitte. Bei Clemens ist auffallend, dass er
große Flächen nie am Stück ausmalt, sondern immer mal wieder wo anders beginnt. Das
verschafft ihm evtl. die nötige Abwechslung beim sonst so monotonen Ausmalen.
Jetzt entsteht in schwarz ein Kirchturm. Wieder erst die Umrisse (wobei er diesmal sehr
sachte aufdrückt und sie erst später, nach dem Ausmalen, nochmals kräftig nachfährt.) und
dann wird ausgemalt. „Der Kirchturm ist hinter dem Wasserfall“ ist seine Erklärung dafür,
dass die Kirche in den Wasserfall hineinragt.
Jetzt erst malt er den Fels vom Wasserfall, indem er schwarze Kugeln malt und an einander
reiht. Dann folgt in gelb ein großes Kreuz. Dieses schwebt zuerst in der Luft. Dann malt er
noch „Stelzen“(so seine Worte) auf denen das Kreuz steht.
Anschließend folgt eine braune Linie durch die Wiese und wird dann ausgemalt. „Das ist eine
Baustelle“, sagt er. Er ändert seine Meinung aber sofort wieder und meint: „Bräuchte keine
Baustelle sein, könnten auch Katakomben sein.“. Von dieser Idee inspiriert malt er das braun
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weiter nach links. Dann in die Mitte des Weges noch einen Kreis, der dann ausgemalt wird.
Unterdessen spekuliert er, wer da alles drin wohnen könnte und rein passen würde. Jetzt folgt
noch Zickzack unten links in den Katakomben. Das sind die Treppen, damit die Leute raus
und rein können. Er wirkt sehr zufrieden mit dieser Idee.
Letzten Endes malt er noch den Himmel von links nach rechts mit hellblau aus. Beim Qualm
des Feuers dreht er das Blatt und malt auch dort blauen Himmel, wobei durch das Drehen die
Strichrichtung um 90 Grad gewechselt hat.
Abschließend folgt ein prüfender Blick. Er malt noch weitere Kugeln zum Felsen dazu. Dann
stellt er fest, dass er noch vergessen hat, das blau hinter den Stelzen des Kreuzes auszumalen.
Er macht dies jetzt noch schnell. Und fertig ist das zweite Bild nach gerade mal 13 Minuten.
Beim Malen dieses Bildes ist mir aufgefallen, dass er nicht alles 100%ig sauber ausmalt.
Zudem drückt er sehr unterschiedlich fest auf.
Jetzt legt er das Bild beiseite und schnappt sich sofort ein neues DinA4 Blatt.
3.1.3 Bild 3:
Clemens legt das DinA4 Blatt im Querformat vor sich und nimmt die schwarze
Wachsmalkreide in die Hand. Dann verkündet er mir, dass das was er male die große Brücke
in England sei. Der Name der Brücke erscheint in dem Moment nicht wichtig oder er fällt ihm
nicht ein. Es entsteht eine horizontale Linie, dann 4 Balken, dann Querverbindungen, die die
Trageseile der Brücke darstellen sollen. Darunter malt er in dunkelblau sofort Wasser, wobei
er dabei den Stift horizontal bewegt und sein Körper schräg neigt. Daraufhin entstehen die
gelben Punkte an den Querverbindungen. Das sind „Lampen“ wird mir erklärt. Jetzt erst folgt
in Verlängerung der Brücke der Weg nach außen bis zum Bildrand. Dabei drückt er nur sehr
sachte auf. Danach malt er den Boden braun aus. Nun folgt urplötzlich ein spontaner Strich
nach oben, dann noch einer. Ein Wolkenkratzer entsteht.
Nun nimmt er das Blatt schräg und malt den Himmel ganz blau aus (horizontale
Bewegungen), mit der Begründung, dass es „spät abends“ ist.
Anschließend malt er einen braunen Strich durch den Wolkenkratzer. „Der fällt bald
auseinander, der Wolkenkratzer“ sagt er währenddessen. Nun wird der Rest grün ausgemalt.
Als das Gespräch stockt frage ich ihn, woher er denn die Brücke kennt. Er antwortet: „Aus
dem Spiel Scotland Yard“. Auf weiteres Fragen erfahre ich, dass er noch nie in England war,
also die Brücke nicht live gesehen hat.
Es folgt ein Kreis oben rechts in der Ecke. „Diesmal nicht die Sonne, sondern der Mond, der
¾ Mond.“ Diese Aussage von ihm fand ich sehr erstaunlich. Er kann unmöglich gelesen
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haben, dass ich mir aufgeschrieben hatte, dass er immer oben rechts eine Sonne malt.
Scheinbar war ihm das selbst bewusst und er sagt daher, dass es diesmal der Mond ist.
Jetzt werden die oberen Balken der Brücke noch gelb ausgemalt. Dann folgen zu meinem
Erstaunen gelbe Punkte in der Luft. Sein Kommentar dazu: (wobei er lacht) „Es regnet Gold.“
Und dann weiter: „In England regnet es oft.“. Dieser Goldregen erinnerte mich sofort an das
Märchen, in dem es Gold regnet. Da mir aber der Name nicht einfiel, vergaß ich, ihn danach
zu fragen. Da ich kurz schrieb und nicht hinschaute, verwirrte mich der eine grüne Punkt und
ich fragte nach, wieso er diesen denn grün gemacht habe. Er sagte nur: „Da gelb und blau“
und ich verstand, was er meinte. Die Farben hatten sich beim übereinander malen gemischt.
Nun entstanden die Pfeiler für die Brücke, die bis zum unteren Bildrand gingen. Davon malte
er genau drei Stück.
Jetzt wird der Wolkenkratzer in grün fester nachgemalt. Er meint dazu, dass er frisch
gestrichen wird. Auch der Umriss des Wolkenkratzers wird nochmals fester nachgemalt.
Erst jetzt folgen die roten Flammen über den Balken der Brücke. Aber die Brücke brennt
nicht, sagte er mir ausdrücklich dazu. Das seien lediglich Lichter. (Diese Form von Lichtern
ist ja momentan grad sehr neu in Mode gekommen.) Bei diesen Flammen treffen wir wieder
auf ein uns vom vorherigen Bild bekanntes Objekt, nur diesmal in klein. Auch vom ersten ins
zweite Bild hat er die Sonne und den Wasserfall übernommen.
Als er die Flammen auf der Brücke fertig hatte und beteuert hatte, dass diese nicht brennt,
malt er noch solch eine Flamme in den Mond und lacht: „Der Mond brennt.“. Dann nimmt er
die weiße Wachsmalkreide und versucht den Mond weiß zu machen, was ihm allerdings nicht
glückt. Unterdessen erklärt er mir, dass er weiß, dass der Mond nicht brennen kann, aber er
malt es trotzdem so. Nun folgen am linken Bildrand noch einige Goldstücke.
Dann dreht er das Blatt so, dass die rechte obere Ecke direkt vor ihm liegt und malt diese
braun an. Das Drehen und das Anmalen wiederholt er nun mit jeder Ecke (oben rechts, dann
unten rechts, dann unten links, dann oben links). Nun folgt noch ein schwarzer Punkt oben in
der Mitte. Das ist ein „Bild mit Rahmen“ erklärt er dazu. Dann folgt der Strich für den
Rahmen rechts, dann links; beide in schwarz. Daraufhin nimmt er die gelb und malt erst unten
dann oben den Rahmen.
Jetzt wird nach seinen Worten „das Wetter verstärkt“. Dazu malt er den Himmel kräftiger
blau. Diesmal aber nicht mit horizontalen Strichen, sondern mit senkrechten Strichen. Dazu
sagt er: „Das sind ein paar Millionen Regentropfen.“. Jetzt malt er horizontal einen Streifen
des Himmels dunkler blau. Dort hinein malt er Bögen, welche Vögel darstellen sollen.
Insgesamt soll das ein riesiger Vogelschwarm sein.
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Fast zuletzt kommen jetzt noch Bögen rechts und links neben die Pfeiler der Brücke. Diese
sollen das Wasser vom Festland abgrenzen.
Dann sagt er voller Begeisterung: „Jetzt hab ich ne Idee!“. Links oben entsteht nun ein
schwarzer Klumpen. Das soll ein Planet darstellen, der auf die Erde fällt, erklärt er mir. Dann
sagt er noch: „Das soll ja in ein paar tausend Jahren mal passieren.“. Von dem inspiriert malt
er noch in hellblau ein Raumschiff mit schwarzer Maserung an den Himmel. Das soll von Star
Wars sein. Jetzt gibt er mir das Bild mit den Worten: „Fertig“.
Bei diesem Bild hat man wieder sehr deutlich gesehen, wie er nach und nach das Bild füllt.
Am Ende beim Planeten sagt er ja selbst „Jetzt hab ich ne Idee!“ Er zeigt damit viel Phantasie.
Er kann die leeren Stellen im Blatt ohne Probleme und ohne großes Nachdenken füllen.
Für das Bild hat er insgesamt 20 Minuten gebraucht. Er hat sich also wieder etwas mehr Zeit
genommen, als bei Bild 2.
3.1.4 Bild 4:
Scheinbar hat Clemens mittlerweile gemerkt, dass er mit den Wachmalstiften und den kleinen
Blättern schneller ist. Ich wollte immer die Zeit sagen bekommen, die er gebraucht hat, als er
festgestellt hatte, dass ich mir das notiere. Daher vermute ich, entschloss er sich beim vierten
Bild wieder ein DinA3 Blatt zu wählen.
Diesmal legt er das Blatt hochkant vor sich. Er sagt wieder nichts, was er den vorhabe zu
malen und zeichnete einfach drauf los. Diesmal beginnt er erstaunlicherweise mit der Sonne.
Diese malt er wieder oben rechts. Unterdessen lacht er mich an. Die Sonne erhält diesmal aber
keine Strahlen. Ich vermute, dass er zu dem Zeitpunkt, als er die Sonne malt noch nicht so
recht wusste, was er malen soll und daher mal mit der Sonne anfing, da er diese eh auf jedes
Bild setzt. Meine Vermutung wird noch dadurch gestützt, dass er sehr langsam malt.
Er behält jetzt die gelbe Wachsmalkreide in der Hand und malt in der Mitte des Blattes einen
gelben Bogen. Dann dreht er das Blatt, so dass es im Breitformat vor ihm liegt und malt alles
oberhalb des gelben Bogens blau aus. Er dreht dann das Blatt wieder in die Ausgangslage und
malt im Anschluss einen blauen Bogen direkt über den Gelben. Anschließend folgt ein Bogen
in rot unterhalb des gelben Bogens. Ein Regenbogen entsteht. Jetzt steht er auf und malt unter
dem roten einen lila Bogen. Ich vermute, dass er aufgestanden ist, um sich die Bögen von
einer etwas größeren Distanz ansehen zu können.
Jetzt erst fällt ihm das Durchgedrückte vom ersten Bild auf. Er bewundert es und geht somit
in Gedanken noch mal das erste Bild durch. „Das ist das Affenhaus,…“ Dabei malt er an
einigen Stellen die blau noch fester, um das Durchgedrückte besser sehen zu können. Und er
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erzählt dazu. Dann fällt ihm auf, dass er das Wasserwerk gar nicht sieht. Er erklärt sich diesen
Sachverhalt aber sofort selbst mit den Worten: „Das hab ich ja mit Filzstift gemalt.“ Ihm ist
also durchaus bewusst, dass man mit Bleistift im nächsten Papier mehr Spuren hinterlässt als
mit Filzstift.
Unten am Bildrand entsteht nun eine Wellenlinie und diese wird blau ausgemalt. Das soll die
„See“ darstellen, wird mir gesagt. Er hat das Blatt immer noch im Längsformat und malt nun
die See aus. Danach erst malt er den Regen bzw. das Blau unter dem Regenbogen.
Da das Bild nun von der Farbe blau dominiert ist, frage ich ihn, ob das seine Lieblingsfarbe
sei, und er bestätigt dies. Er fügt aber noch hinzu, dass er eigentlich alle Farben mag.
Erst jetzt malt er nachträglich zum Regenbogen noch unten einen brauen Bogen.
Nun malt er einige rote Striche aus der See heraus. Es entsteht ein Boot. Danach malt er den
oberen Teil des Bootes schwarz aus und den unteren Teil rot. Hinter das Schiff malt er in
hellblau noch zusätzliche Wellen, „Weil das Schiff so schnell fährt.“
Nun entsteht noch ein weiterer Bogen des Regenbogens und zwar in Orange.
Als ich ihm sagte, dass es noch eine zweite blau gibt, nahm er diese und malte einen
senkrechten Strich von oben nach unten in der Mitte des Bildes. Das ist ein „Strahl“ sagt er
dazu. Daraufhin folgt auch noch mit gelb ein Zickzack von oben nach unten. Dies soll ein
Blitz darstellen.
In braun entsteht nun oben am Himmel ein Flugzeug. Das Flugzeug fliegt laut ihm gerade
falsch herum bzw. steht auf dem Kopf. Diese Tatsache erklärt er damit, dass das Flugzeug
„sich gerade dreht“. In diesem Flugzeug, so meint er, fliegt gerade Gerhard Schröder. Dieses
hat Funkkontakt mit dem Boot in Meer. Daher malt er in blau auf das Boot noch eine Antenne
und da es blitzt malt er in schwarz noch einen Blitzableiter dazu.
Jetzt erst entstehen die schwarzen Striche um die Sonne. Diese haben mich total verwundert.
Ich hätte Sonnenstrahlen, aber keine schwarzen Striche erwartet. Seine Erklärung für diese
schwarzen Flecken ist sehr plausibel. Es handelt sich laut ihm um „Planeten, die um die
Sonne fliegen“.
Daraufhin entstehen wieder Ecken für den Rahmen des Bildes, danach die Striche für den
Rahmen, dann der schwarze Punkt für den Nagel. Dabei malt er diesmal die Striche
folgendermaßen: links, rechts, oben, unten. Beim Bild davor hat er: rechts, links, unten, oben
gemalt.
Nun wird der Regenbogen nochmals fester nachgemalt. Erst die Gelb, dann die Blau, dann die
Orange, dann die Rot. Bei der Rot vermalt er sich und kommt in die Gelb hinein, da er etwas
zu schnell malt. Daraufhin malt er dann an der rechten Seite, wo er sich vermalt hat, die ganze
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Bogenbreite rot. Er sagt dazu, dass „der Regenbogen etwas verschwimmt“. Dann malt er noch
die Lila nach. Das Blatt wird gedreht und er malt die Braun nach.
Bei diesem Bild achtet er bei keiner Farbe auf Sauberkeit im Ausmalen. Auch der Himmel
wird nicht ordentlich bzw. lückenfrei ausgemalt. Dies scheint ihm hier wohl nicht wichtig zu
sein oder er verliert allmählich die Geduld, obwohl er sich das sonst durch nichts anmerken
lässt.
Zu guter Letzt wird noch das Flugzeug gelb ausgemalt, wobei er es mittlerweile nicht mehr
Flugzeug, sondern „Privatjet des Bundeskanzler Schröder“ nennt.
Er hat gerade mal 15 Minuten für dieses Bild gebraucht. Und er hat wieder einige Element des
vorigen Bildes übernommen: den Rahmen und den blauen Hintergrund.
3.1.5 Bild 5:
Noch bevor ich etwas sagen konnte, greift Clemens schon zu einem neuen Blatt und malt
weiter. Diesmal hat er wieder ein kleines Blatt gewählt. Zuerst malt er in weiß einen Kreis
oben rechts in die Ecke. Dann nimmt er von den Holzfarbstiften, die ihm auch zur Verfügung
standen, die Hautfarbe und malt: Beine, Arme, jeweils erst rechts dann links, dann den Hals
und zuletzt den Kopf. Da ihm die Arme ziemlich dick geraten sind, sagt er: „Der Mann muss
ziemlich stark sein.“ Anschließend malt er dem Mann noch ein Hemd. Dann folgen Haare und
eine Kappe, die weit nach außen reicht und zu guter letzt noch die Ohren. Diese malt er erst
links, dann rechts. Dann malt er einen großen Kreis um den Menschen herum. Danach folgen
drei weitere kleine Kreise, die bis zum Boden reichen.
Jetzt malt er Gras. Er will sagen: „das Gras denkt sich…“ führt den Satz aber nicht zu Ende,
sondern sagt nun „na ja“. Dann wird der Mond zur Sonne umgemalt.
Jetzt scheinen ihm die Ideen ausgegangen zu sein und er fragt an dieser Stelle zum ersten Mal,
das wievielte Bild er denn schon male. Als ich ihm sage, dass es das fünfte ist scheint er
sichtlich erleichtert. Er bricht allerdings nicht ab, sondern malt noch weiter. Er malt ein S mit
zwei Strichen durch: Das Dollarzeichen. Erst malt er ein kleines in blau, dann schaut er mich
an. Da ich nichts gegen diese Idee habe, malt er weiter: ein großes gelbes Dollarzeichen, dann
ein großes Braunes falsch herum, anschließend ein Grünes, dann noch ein Schwarzes. Das
scheint ihm genug zu sein und er malt oben mit rot zweimal das Zeichen DM und dann
dahinter noch drei Eurosymbole. Dann folgen einige gelbe Kreise, die „Münzen“ darstellen
sollen. Daraufhin malt er in rot unten rechts in die Ecke irgendwelche Strichanhäufungen. Auf
meine Frage, was das sei, sagt er zuerst: „Irgend ein Schrott“. Er ändert dann aber seine
Meinung und sagt: „Sonnengeld.“ An der ersten Äußerung merkt man, dass seine Motivation
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jetzt ganz am Boden ist. Er hat keine Ideen mehr, was er malen soll. Er äußert dies aber nie
laut. Er fragt also nie, was er noch malen könnte.
Er macht dann mit den schwarzen Eurozeichen weiter. Danach malt er in die Denkblase Geld.
Jetzt beendet er den Satz, den er zuvor nicht ausgesprochen hat. „Das Gras denkt, es wäre
gerne so reich und stark.“ Dann dreht er das Blatt und es entsteht ein riesiges Dollarzeichen.
Jetzt geht alles rasend schnell und es wäre ein Chaos genau erläutern zu wollen, was er wann
und wo malt. Es folgen auf jeden Fall Parteiabkürzungen: CDU, SPD, DPS, CSU, FDP und
Grüne. Dazu erfindet bzw. nennt er immer einen kurzen Satz, der diese Anfangsbuchstaben
hat. Bei SPD sagt er: „Schröder pisst daneben.“ Dieser Ausspruch scheint bei ihm an der
Schule gang und gebe zu sein. Bei DPS dreht er das Sprüchlein nur um. Es entsteht:
„Daneben pisst Schröder“. Wobei ich bei diesen Aussagen nicht davon ausgehe, dass sie ernst
gemeint sind. Ich denke eher, dass das in seinem Alter so übliche Slogans sind, die ein
Klassenkamerad mal erfunden hat und die anderen es kurzfristig übernehmen. Bei den
nächsten Parteinamen sieht es da schon anders aus. Dort erfindet er die kurzen Sätze selbst.
Man sieht, dass er nachdenkt, bevor er etwas sagt. Zudem baut er dabei auch seinen eigenen
Namen bzw. den des Vaters ein. Für CSU sagt er „Clemens sucht uns“. Für FDP überlegt er
lange und sagt dann: „Franz denkt Papa“. (Franz ist der Name von seinem Vater!) Bei diesem
„Spiel“ wird er wieder sehr munter. Er denkt sich noch mehr Sprüche zu den Abkürzungen
aus. Dann fragt er mich, ob es noch mehr Parteien gibt. Da fällt ihm aber schon selbst eine
weitere Partei ein: die Grünen. Er schreibt das in Orange auf das Papier und überlegt dann
verkrampft, ob es auch dazu einen Spruch gibt. Aber es fällt ihm scheinbar nichts ein und er
sagt: „Da gibt’s nix“. Er nimmt das Blatt hochkant und schreibt nochmals in orange SPD und
CDU. Dann dreht er es wieder in die Ausgangslage und schreibt nochmals DPS und FDP.
Damit scheint für ihn dieses Thema abgehakt und er schreibt andere Abkürzungen dazu. Es
fällt ihm scheinbar zuerst 007 ein. Dies schreibt er dann auch einige Male kreuz und quer aufs
Blatt. Dann zählt er weitere Agenten auf: 008, 009 und 0010. Das sind alles Nachfolger von
James Bond, hört man ihn sagen.
Jetzt malt er in gelb noch ein großes Eurozeichen über das ganze Blatt. Dann nimmt er den
Rotstift und malt Fünfereinheiten, indem er immer 4 senkrechte kleine Striche macht und
dann einen quer. So macht er zuerst drei Stück. Dann zählt er mir vor 3*5=15. Dann malt er
sechs weitere solche Einheiten unten in den Rasen und zählt mir vor: 6*5=30. Dann nimmt er
das Blatt hochkant und malt ein Fünferpäckchen und noch einen einzelnen Strich daneben.
Dann verkündet er „6“. Jetzt ist er in vollem Eifer und malt noch überall einige solche
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Fünfereinheiten hin. Als er merkt, dass auf dem Blatt wirklich kein Platz mehr ist sagt er, dass
er fertig ist.
3.1.6 Bild 6:
Als er sich ein neues Blatt nehmen will, sage ich ihm, dass er nicht mehr weiter malen
braucht, wenn er nicht möchte. Aber er sagt, dass er weiter machen will. Er malt nun ganz
schwach mit blauer Farbe Punkte auf das Blatt. Dann sagt er mir ich solle raten, welches
Zeichen das sei, wenn man die Punkte verbindet. Ich rate. Daraufhin verbindet er die Punkte
zu einem riesigen Eurozeichen. Diesmal nicht zweidimensional, wie zuvor immer, sondern
dreidimensional. Dann malt er noch einige Eurozeichen klein dazu. In die Querstriche des
Eurozeichens malt er nun SPD, wobei das S zu einem Dollarzeichen wird. Hier zeigt er
wieder, dass er sehr kreativ sein kann und verschiedene Dinge zueinander in Bezug setzten
kann. Dann versteckt er ungeordnet einige Buchstaben im Bild und lässt mich raten, was das
heißt. Als ich alle Buchstaben gefunden hatte sagte ich: “Clemens“ und er freute sich, dass ich
das herausbekommen habe. Dann malt er weitere Fünfereinheiten in das Bild und rechnet mir
einiges vor. Als ich ihn frage, wann und wo er das gelernt habe, sagt er, dass er es bei seiner
Grundschullehrerin in der ersten und zweiten Klasse gelernt habe.
Nach einigen weiteren Strichen und Symbolen nimmt er die Lila und malt elf Fünferpäckchen
an den obern Bildrand. Dabei rechnet er mir wieder vor: 11*5=55. Zu guter Letzt malt er noch
ein paar einzelne Fünferpäckchen und ein riesiges Fünferpäckchen über das gesamte Blatt.
Das Bild ist in gerade mal 8 Minuten fertig.
Jetzt ist er sichtlich zufrieden mit sich, da er ja mehr Bilder gemalt hat, als ich erwartet habe.
Da ich die Kamera nun ausschalte will er wissen, wie diese funktioniert und ob er sich sehen
kann. Ich zeige sie ihm und spule den Film zurück. In dieser Zeit befrage ich ihn, welches
Bild ihm den nun am besten gefällt. Er breitet dazu nochmals alle Bilder auf dem Tisch aus
und deutet dann auf das Erste. Als Begründung nennt er, dass er dafür am längsten gebraucht
habe. Als dann der Film zurückgespult ist schauen wir uns einen Teil nochmals genau an und
er schmunzelt selbst über sich. Besonders lustig findet er seine Stimme. Die Stimme klingt
auf Video ja immer anders als man sich selbst hört, wenn man redet.
Danach geht er nach hause.
Innerhalb von weniger als drei Stunden sind so sechs Bilder entstanden, wobei der
Detailreichtum sofort nach dem ersten Bild geschrumpft ist. Das mag aber auch daran liegen,
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dass er sich ab dann für andere Stifte entschied. Er hätte, denke ich, auch noch mehr Bilder
malen gekonnt. Wohl aber eher im Stiel der letzten Beiden. Also Erzählbilder, bei denen man
mehr redet, spielt und scherzt, als zeichnet.
3.2
Kognitionen und Emotionen: Repertoire graphischer Fähigkeiten
Schaut man sich die sechs Bilder an, die Clemens an diesem Nachmittag gemalt hat, so
erkennt man, dass Clemens über eine breite Palette von Malschemata verfügt. Er schöpft zwar
aus den ihm bekannten Malschemata, verändert und erweitert diese aber vielfältig.
Auffallend ist aber auch, dass er Motive in seinem Bild hat, die er stets in das nächste Bild
mitnimmt. So nimmt er vom ersten Bild den Wasserfall und die Sonne auch im zweiten Bild
auf. Dort kommt dann das große Feuer hinzu. Dieses trifft man auch wieder im dritten Bild
auf den Brückenpfosten und im Mond an. Beim dritten Bild kommt der Rahmen hinzu.
Diesen malt er dann im vierten Bild auch. Zudem wird immer die Sonne (ähnlich, aber nie
gleich) bis ins fünfte Bild übernommen. Vom fünften ins sechste Bild übernimmt er dann die
gesamten Währungsabkürzungen und Parteien.
Für manche Repräsentationen finden wir mehr als ein Muster (Sonne, Gebäude, Gras).Er malt
kaum Objekte, die ganz mechanisch repräsentiert erscheinen. Vor allem die Sonne fällt auf,
da sie in den ersten zwei Bildern mit Strahlen zu sehen ist, im dritten Bild vom Mond abgelöst
wird und dann im vierten Bild wieder als Sonne erscheint. Diesmal allerdings ohne Strahlen,
sondern mit den Planeten außen herum. Im fünften Bild malt er zuerst einen Mond, ändert ihn
doch noch zur Sonne ab, wobei diese Sonne weder Strahlen noch Planeten erhält. Im sechsten
Bild fehlt die Sonne vollkommen.
Der Aufbau der Bilder zeigt kaum Wiederholungen. Beim ersten, zweiten und fünften Bild
beginnt er allerdings jeweils mit dem Boden.
Clemens Worten, Gesten und Mimik sind zu entnehmen, dass er sich stets bemüht dem
Leistungsanspruch gerecht zu werden. Er will nicht nur sein bekanntes Repertoire zeigen, er
will auch zeigen, dass er in der Lage ist, etwas Neues auszuprobieren und zu improvisieren.
Dies zeigt sich ganz deutlich darin, dass er mit einem Wasserwerk beginnt und auch sonst
keine Standardbilder malt. Auf meine Frage, ob er so was schon oft gemalt habe antwortet er
„nein“
Clemens wechselt beim Malen zwischen reeller und nicht reeller Gegenstände, dadurch weckt
er das Interesse des Betrachters für seine Bilder. Der Betrachter weiß nie, was als nächstes
entsteht, er ist automatisch gespannt auf die weitere Entwicklung des Bildes.
21
3.3
Kognitionen und Emotionen: Wissensstruktur
Beim Gestalten seiner Bilder übersteigt Clemens Sachwissen seiner Fertigkeit dies zu malen.
Er erklärt auch Dinge, die er nicht malen kann. So beschreibt er z. B. den Code, den man
eingeben muss, um über die Straße zu kommen. Er malt das Eingabegerät aber nicht dazu.
Zudem zeichnet er nicht nur, was er kennt. Schon beim ersten Bild zeichnet er einen Wal und
einen Elefanten in seine Landschaft. Diese Tiere dürfte er bis dahin nur im Zoo gesehen
haben. Zudem laufen die Robbe, der Hund, die Affen, usw. zum Teil frei herum, obwohl er
weiß, dass dies nie möglich wäre. Er macht dadurch aber deutlich, dass er seine Phantasie
spielen lassen kann und auch ein Improvisationstalent besitzt.
Schon im ersten Bild zeigt Clemens, dass er auch schreiben kann. Er schreibt „Fritz“ und
„Wein“ in das Bild. Dass er gut, sicher und gerne rechnet zeigt er ab dem fünften Bild. Dort
rechnet er mir die komplette Fünferreihe mit Hilfe der Fünfereinheiten vor. Zuvor erklärt er
die Funktionsweise dieser Fünfereinheiten.
Zudem weiß er, dass man aus Trauben Wein herstellt und hat eine grobe Vorstellung vom
Vorgang der Weinherstellung. Auch Solaranlagen sind ihm nicht fremd und er weiß, dass
diese nur bei direkter Sonneneinstrahlung aktiv sein können.
Im zweiten Bild zeigt er, dass er weiß, dass zu einer Kirche auch immer ein Kreuz gehört.
Außerdem kennt und malt er den Begriff Katakomben. Dies fand ich erstaunlich für einen
Zehnjährigen.
Im dritten Bild hat mich sein Wissen über die Brücken in England, sowie das Wetter dort
erstaunt. Besonders auffallend fand ich dabei, dass er selbst von der Wahrscheinlichkeit
wusste, dass irgendwann einmal ein Komet auf die Erde fallen kann.
Ab dem vierten Bild fand ich den Bezug zur Politik erstaunlich. Er weiß, dass Herr Schröder
Bundeskanzler ist und er kann die Parteien aufzählen. Zudem zeigt er, dass er einige
Währungen kennt. Beeindruckend fand ich zudem im vierten Bild noch, dass er wusste, dass
die Planeten um die Sonne kreisen.
3.4
Kognitionen und Emotionen: Emotionale Befindlichkeiten
Clemens ist am Anfang sehr ruhig. Dadurch zeigt er Konzentration, Ausdauer und
Leistungswillen, da er einsilbige Antworten gibt und sich nicht auf ein längeres Gespräch
einlässt. Eventuell war auch die neue, ihm fremde Umgebung, Schuld an seinem anfänglichen
Schweigen.
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Er versteht es die Neugierde des Betrachters zu wecken, der nie weiß wann das Bild endgültig
abgeschlossen ist. Zudem erfährt man meist nicht, welches Motiv als nächstes entsteht.
Clemens erklärt, so denke ich, zu Anfang bewusst nicht, was er malen will, um sich so mehr
Sicherheit und Kontrolle zu verschaffen, auch seinen Plan ändern zu können. Er kann dadurch
das Bild immer noch zu seinen Gunsten verändern, so dass er gut dasteht.
Clemens malt nicht nur reine Schemazeichnungen. Bei einigen Sachen sagt er selbst, dass er
so etwas noch nie gemalt hat.
Nach der Hälfe des ersten Bildes ist er wieder der ausgeglichene und fröhliche Junge, so wie
man ihn kennt
4.
Subsystem 3: Die diagnostische Urteilsbildung- Lesbarkeit der Aspekte der
Erscheinung
4.1
Spontaner Gesamteindruck
4.1.1 Reaktivwert und Materialwirkung
Bild 1 wirkt auf mich, wenn ich den Zeichenvorgang vergesse, beim bloßen Betrachten sehr
chaotisch. Erst wenn man eine Erklärung dazu hat erschließt sich einem das Bild. Besonders
beeindruckt bin ich dabei vom Detailreichtum. Man weiß gar nicht, wo man zu erst
hinschauen soll.
Das zweite Bild wirkt auf mich sehr kahl und leer. Ich hatte den Eindruck hier reiht er nur ihm
bekannte Formen aneinander.
Bild Nummer 3 beeindruckt mich durch die schöne Brücke in der Nacht. Das ganze Bild
wirkt auf mich sehr romantisch. Wobei mir auffällt, dass die Farbe blau dominiert.
Das vierte Bild ist fast genauso blau wie das Dritte. Es wirkt auf mich sehr bekannt. Der
Regenbogen und das Schiff darunter erinnern mich an die biblische Geschichte von der Arche
Noah. Trotz Regen und Blitzen wirkt das Bild auf mich harmonisch und ruhig und ich habe
nicht den Eindruck in Gefahr zu sein.
Das fünfte Bild wirkt auf mich negativ. Ich mag die Farbe orange nicht sonderlich, dazu
kommt noch die chaotische Anordnung der Schriftzüge.
Das sechste Bild, obwohl es genauso chaotisch ist, wirkt auf mich hingegen wieder
freundlicher. Dazu habe ich einen Bezug. Ich durfte raten, was er aus den Punkten malte und
ich musste seinen Namen suchen. Ich war also in gewisser Weise Teil des Bildes.
23
4.1.2 Thema
Die Thematik der Bilder erschließt sich mir nicht ohne weiteres. Schon bei Bild 1 habe ich
meine Probleme. Das gedachte Wasserwerk würde ich nur als Industrie erkennen. Der Berg
hingegen verschließt sich mir völlig. Auch bei den Tieren hätte ich meine Probleme diese zu
erkennen. Den Affen hätte ich beispielsweise als Geist abgetan.
Bild 2 ist relativ klar, ein Feuer und eine Kirche. Das braune am Boden hätte ich als
Maulwurfslöcher bezeichnet.
Bild Nummer 3 könnte man als brennendes Auto ansehen. Selbst wenn man es als Brücke
erkennt ist es nicht gewährleistet, dass es die Towerbridge ist. Den Wolkenkratzer hätte ich
als überdimensionalen Grashalm angesehen und den Kometen als Stein. Die Thematik ist hier
also nicht so leicht ersichtlich.
Das vierte Bild ist allerdings klar. Ein Regenbogen und ein Schiff darunter. Dass oben am
Himmel ein Flugzeug fliegt, ist allerdings schwer zu erkennen und dass darin noch
Bundeskanzler Schröder sitzen soll, ist nicht erkennbar.
Das fünfte und sechste Bild sind ohne Erklärung sehr schwer zu deuten und wirken wie
Zeichenübungen von Währungen.
4.1.3 Eigenmotivation des Beurteilers
Ich kenne die Familie seit sie vor einigen Jahren zu uns in die Straße gezogen sind. Ich kenne
alle seine Geschwister. Da ich sonst kein Kind in meinem Verwandtenkreis habe, das die
Altergrenze nicht sprengt fragte ich ihn. Als er zugesagt hatte, war ich erstmal sehr erleichtert
und ab da ging alles schnell und problemlos voran.
4.2
Erkennen als kommunikativer Akt: die vier Verstehensaspekte
4.2.1 Der Mitteilungsaspekt
In der ersten Zeichnung möchte Clemens mitteilen, dass er Tiere gerne mag und auch über
deren Wohnorte/Behausungen bescheid weiß. Zudem will er mir zeigen, dass er Wasserwerke
kennt und Weinfabriken. Von diesen ist er fasziniert und möchte sie gerne mal besichtigen.
Aber vor allem zeigt er, dass er fähig ist, ein schönes und komplexes Bild zu produzieren.
Durch die zweite Zeichnung zeigt er, dass er auch schneller ein Bild fertig stellen kann und
dass er die Natur und Landschaftsbilder mag. Er ist ein Fan von Lagerfeuer und hat auch
momentan viel mit der Kirche zu tun, da sein Vater Dekan ist und er selbst gerade zur
Kommunion geht.
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Durch die dritte Zeichnung teilt er mit, womit er sich bei einem Brettspiel beschäftigt hat
(Tower Bridge). Er zeigt, dass er auch in der Lage ist eine Landschaft nicht nur am Tage,
sondern auch in der Nacht darzustellen.
Mit dem vierten Bild teilt er mit, dass ihm Regenbögen gefallen und er gerne mal in einem
Flugzeug oder auf einem Schiff fahren würde.
Durch die fünfte und sechste Zeichnung zeigt er, dass er sich viel mit der neuen Währung,
dem Euro, beschäftigt hat und sich damit auskennt. Zudem zeigt er durch seine
Fünfereinheiten, dass er großen Spaß an der Mathematik hat. Auch Deutsch scheint ihm
Freude zu machen, da er zu den Abkürzungen sich pfiffige Aussprüche ausdenkt.
4.2.2 Der Ausdrucksaspekt
Im Ausdrucksaspekt werden die Wirkungen gefasst, die Clemens vielleicht erzielen wollte, in
Zusammenhang mit jenen, die die Zeichnungen auf den Beurteiler ausüben.
Das erste Bild wirkt auf mich auf den ersten Blick eher chaotisch und nicht einladend zum
Betrachten. Beim genaueren Hinsehen gewinnt es allerdings sehr schnell an Reiz. Das Bild
wirkt trotzdem sehr verhalten und bewegungsarm. Es lässt fast nichts in der Zeichnung auf
Bewegung schließen. Andererseits vermittelt mir das Bild auch den Eindruck einer friedlichen
Atmosphäre, in der sich sogar die Natur und die Industrie im Einklang befinden. Das Bild
zeigt, dass Clemens mit Konzentration und Bestimmtheit die Zeichenanforderung erfüllen
will. Es ist ein gutes Erzählbild.
Das zweite Bild wirkt auf mich sehr nüchtern. Obwohl der Himmel ausgemalt ist herrscht in
dem Bild eine Leere, die nicht mal durch die Bewegung des Wasserfalls oder des Feuers
gemindert werden kann. Das Bild wirkt wie eine Aneinanderreihung ihm bekannter Motive,
die ohne Beziehung zueinander sind. Daher wirkt es wohl auch so bewegungslos und leer.
Die dritte Zeichnung beeindruckt mich hingegen schon mehr. Das Bild strahlt etwas sehr
romantisches und vertrautes für mich aus, wobei die linke Bildhälfte dem entgegenwirkt. Dies
wirkt eher bedrohlich und beängstigend auf mich. Insgesamt wirkt das Bild durch den Regen
und die Vögel aber bewegungsreicher als das zweite Bild.
Das vierte Bild wirkt auf mich am bewegungsreichsten. Die Sonne scheint, es regnet, das
Schiff fährt (deutlich zu sehen an den Wellen, das es hinterlässt), es entsteht ein Regenbogen,
der aber auch schon langsam wieder verschwimmt. Trotz des Blitzes wirkt das Bild auf mich
sehr harmonisch und beruhigend. Das Bild drückt für mich zudem große Lebensfreude, gute
Laune und Abenteuerlust aus.
25
Das fünfte und sechste Bild wirkt auf mich noch weit chaotischer als das Erste. Selbst bei
genauem Betrachten erschließt sich einem dort nicht der Bildinhalt. Erst durch das Erzählen
des Jungen kann man einen Bezug zu dem Bild finden. Das Bild drückt für mich aus, dass
sein Ideenreichtum nun ausgeschöpft ist.
Konzentration,
Spontaneität,
Improvisation,
Erzählfreude und
Leistungswillen
sind
Eigenschaften Clemens, die mir beim Betrachten der sechs Bilder in den Sinn kommen. Jedes
dieser Bilder spricht mich auf eine andere Art und Weise an, vor allem beeindrucken mich
Bild 1 und Bild 4. Mich spricht aber auch Bild 6 an, da ich an diesem Bild in gewisser Weise
mitgewirkt habe.
4.2.3 Der Leistungsaspekt
Clemens will zeigen was er alles kann, welche Malschemata er beherrscht und wie er sie
verwendet und verändert. Er weiß, dass er gut malen kann, da er ja auch in einer
Zeichenschule ist.
Der Leistungsaspekt im ersten Bild ist eindeutig: Clemens will zeigen, dass er eine
Vorstellung davon hat, wie ein Wasserwerk aussieht. Zudem will er zeigen, dass er durchaus
schon dreidimensional malen kann bzw. eine Vorstellung davon hat. Dieses gelingt ihm aber
in der Umsetzung noch nicht so richtig. Die Größenverhältnisse stimmen nicht immer
überein. Allerdings ist er sich dessen bewusst, dass man Dinge im Vordergrund größer malt
als im Hintergrund und er weiß, dass die Dinge im Vordergrund den Hintergrund verdecken.
In seinem ersten Bild zeigt er schon fast alle seine Malschemata vereint. Er zeigt, dass er die
unterschiedlichsten Tiere und Pflanzen, aber auch Gebäude und Solaranlagen, malen kann. Er
lässt uns wissen, dass er fähig ist, Bekanntes zu verändern und seine Phantasie spielen zu
lassen. Auch wenn er nicht alles realistisch darstellt, tut dies seinem Leistungsausdruck
keinen Abbruch. Beim Ausmalen ist er mitunter etwas großzügig (beim Nussbaum) oder die
Filzstifte geben ihren Geist aus (Himmel), was ja nicht seine Schuld ist.
Im zweiten Bild fällt seine Leistungsfähigkeit abrupt ab. Vielleicht ist er ja noch zu träge vom
Mittagessen. Hier reiht er nur einzelne Motive aneinander.
Beim dritten Bild steigt sein Leistungswille wieder an. Clemens zeigt, dass er Gegenstände,
die er nur mal auf einer Kopie sah, malen kann. Beim Kometen und den Lichterflammen zeigt
er, dass er seine Phantasie spielen lassen kann. Beim Wolkenkratzer, der beinahe auseinander
fällt zeigt er, dass er auch das Zeitgeschehen wahrnimmt.
Im vierten Bild zeigt Clemens, dass er die Naturphänomene kennt und malen kann. Sein
Leistungswille ist nochmals etwas angewachsen, da er sich zutraut noch ein großes Blatt
26
auszufüllen. Dem widerspricht allerdings, dass er bei diesem Bild sehr eilig malt und daher
auch alles nur sehr ungenau ausmalt. Die Größenverhältnisse und die Komposition der
Motivanordnung gelingen ihm hier sehr gut.
Im fünften und sechsten Bild sinkt der Leistungswille beim Malen drastisch. Obwohl er
unbedingt noch das sechste Bild malen will entsteht dort nichts Neues. Er will damit eher
spielen. Allerdings zeigt er in seiner Konzentration noch eine enorme Leistung. So zählt er ja
alle Parteien auf und denkt sich dazu pfiffige Aussprüche aus. Dann rechnet er auch noch die
Fünferreihe vor. Er zeigt hier also nochmals deutlich, dass er rechnen und schreiben kann und
auch über Politik und das aktuelle Tagesgeschehen (Einführung der Euros) bestens informiert
ist. Die Strichführung ist hier sehr stabil und fest. Er ist sich darin, so schließe ich, sehr
selbstsicher.
Allgemein kann man feststellen, dass Clemens fähig ist, jedem Bild eine Bedeutung
zuzusprechen. Wenn er dies in der Zeichnung nicht eindeutig schafft, verstärkt er dies durch
verbale Äußerungen.
4.2.4 Der Selbstkundgabeaspekt
Berichtet Clemens von sich? Welche Vorstellungsinhalte bewegen ihn? Redet er –
zeichnerisch- über seine Probleme?
Er sagt in allen vier Zeichnungen offenkundig nichts über aktuelle Probleme aus. Auch sein
motorischer Gestus zeigt keine Probleme an.
Eindeutig zu sehen ist, im ersten Bild, dass Clemens Tiere sehr gerne hat. Durch das Zeichnen
der vielen Tiere in einem großen Anwesen drückt er wahrscheinlich den Wunsch aus, auch so
viele Tiere haben zu wollen. Er erzählte mir beispielsweise einige Wochen zuvor, dass er
gerne einen Hund haben wolle, die Eltern dies aber nicht wollen. Daher haben die drei
Geschwister nun einen Hasen erhalten. Dieser befindet sich auch auf dem Bild. Da er die
Hasen aber nicht zeichnet und diese auch kaum erwähnt schließe ich, dass er gerne ein
größeres Tier gehabt hätte, mit dem man mehr spielen kann.
Indirekt spricht er hier auch noch mal den Wunsch aus, dass die Eltern sich Zeit nehmen und
mit ihm ins Wasserwerk gehen. Mit zwei weiteren Geschwistern und der Berufstätigkeit der
Eltern erhofft er sich wohl etwas mehr Zeit für Ausflüge (Wasserwerk, Zoo). Das dritte Bild
hingegen zeigt, dass er seine Freizeit auch gut alleine gestalten kann und auch durch Spiele
und Bilder neue Eindrücke erwirbt.
Im zweiten Bild sagt er uns, dass er gerne Lagerfeuer mag und sich gerade viel mit der Kirche
beschäftigt.
27
Im dritten Bild sagt er uns indirekt, dass ihm das Attentat in Amerika auf das World Trade
Center immer noch in Erinnerung ist. Hier kracht zwar kein Flugzeug, dafür aber evtl. ein
Komet auf die Erde. Hier überarbeitet er wohl nochmals das ihm noch aktuelle Geschehen in
der Welt. Dabei erwähnt er allerdings kein Wort von diesem Attentat.
Im vierten Bild eröffnet sich nochmals der Wunsch irgendwo hinzufliegen oder mit dem
Schiff hinzufahren.
Im fünften Bild setzt er sich nochmals mit einem aktuellen Thema auseinander: der
Euroumstellung. Das erkennt man daran, dass er zuerst zweimal das DM-Zeichen schreibt
bevor er das Eurozeichen malt. Alle Währungen werden von ihm in einem zweiten Durchlauf
nochmals aufgeführt. Die DM fehlt beim zweiten Durchgang. Man erkennt, dass auch er sich
noch nicht völlig an das neue Geld gewöhnt hat und intuitiv zuerst noch DM schreibt. Dann
merkt er aber, dass es das nicht mehr gibt und lässt es im zweiten Durchlauf weg.
Das sechste Bild schließlich ist voll dem Selbstkundgabeaspekt gewidmet. Er lässt mich die
Zusammensetzung von Punkten raten und Wörter suchen. Er sagt damit ganz deutlich, dass er
jetzt spielen möchte und nicht mehr weiterarbeiten.
Die Anspannung beim ersten Bild vermag er in Leistung und Detailreichtum umzusetzen. Die
mangelnde Motivation vor allem bei den letzten beiden Bildern kann er durch
Improvisationstalent und Spiel ausgleichen. Für eine wirkliche Problembelastung spricht
nichts, wohl aber, dass er mit sich und der Welt gut zu Recht kommt.
4.3
Gezielte diagnostische Aktivität
4.3.1 Der graphische Tatbestand
4.3.1.1 Bildinhalte
1. Zeichnung: Das Wasserwerk und der Berg
Auf der Bildoberseite ist rechts eine Sonne und daneben sechs Schäfchenwolken zu sehen.
Dahinter ist der Himmel hellblau ausgemalt.
An der Bildunterseite sieht man in braun einen Boden, auf dem Gras wächst. In diesem Boden
liegt eine Wasserleitung. In der Mitte des Bildes befindet sich ein Industriegebäude bzw. ein
Wasserwerk mit zwei großen Schornsteinen, aus denen Rauch hervorquillt. Links daneben
sieht man einige kleine Flaschen, die durch Striche untereinander verbunden sind. Darüber
steht Wein. Es handelt sich also um die Weinfabriken. Darüber sieht man einen Zaun, darüber
ein Gebäude (Katzenhaus) und wieder darüber Bäume, Felder, Weinstöcke, ein Tier, ein
28
Junge und zwei Seen. Über dem Industriegebäude sieht man einen Fisch und einen weiteren
See und ein Wappen. Darüber befindet sich ein Zaun mit einer Tür. Nochmals darüber
befinden sich zwei Tulpen im Qualm, eine Frau, Tierkäfige und eine Wiese, die an ein Haus
anschließt. Links von der Industrie befinden sich am unteren Bildrand einige Leitern und ein
Rohr. Darüber sieht man ein Tier in einem Rohr sitzen. Daneben sind in braun wahllose
Linien, welche Wege darstellen sollen. Oberhalb befindet sich ein weiteres Tiergehege, das
für die Affen. Rechts daneben ist ein Luftballon und links daneben sind Weinstöcke. Links
neben diesen Weinstöcken ist eine Schlange. Unterhalb der Schlange befinden sich ein
Elefant, ein Rohr, ein Briefkasten und eine Robbe mit Ball.
Am Horizont unterhalb der Sonne befinden sich noch Solarzellen.
2. Zeichnung: Landschaft
An der Bildunterseite befindet sich eine Wiese, in die braune Tunnels eingegraben sind. Man
sieht das Bild aus einem Querschnitt. Fast in der Mitte des Bildes befindet sich ein riesiges
Feuer, das fast die halbe Blatthöhe einnimmt. Darüber sieht man Qualm aufsteigen. Rechts
daneben sieht man ein Kreuz, das auf Stelzen steht und eine schwarze Kirche zu der dieses
Kreuz gehört. Vor der Kirche am rechten Bildrand befindet sich noch ein Wasserfall. In der
rechten oberen Ecke ist eine strahlende Sonne. Der Hintergrund des Bildes ist insgesamt
hellblau ausgemalt.
3. Zeichnung: Tower Bridge
An der Bildunterseite sieht man rechts und links Festland. Dazwischen einen Fluss über dem
sich eine Brücke befindet. Diese ist hell beleuchtet mit gelben Lichtern und auf den Pfeilern
befinden sich noch flammenartige Lichter. Links auf dem Festland ist ein sehr hoher
Wolkenkratzer zu sehen. Links über diesem Wolkenkratzer sieht man eine schwarze Kugel.
Oberhalb der Brücke sieht man einen riesigen Vogelschwarm fliegen. Rechts oben in der
Ecke sieht man den Mond, auf dem ein Feuer brennt. Links daneben sieht man ein
Raumschiff. Insgesamt ist das ganze Bild dunkelblau ausgemalt und hat einen Rahmen außen
herum.
4. Zeichnung: Der Regenbogen
An der Bildunterseite ist das Meer zu sehen, auf dem ein Schiff fährt. Über dem Meer
erstreckt sich ein großer Regenbogen. Von oben nach unten zuckt ein Blitz durch das Bild
und ein Strahl zeigt auf die Erde. Am oberen Bildrand fliegt ein Flugzeug und ganz rechts
29
befindet sich die Sonne, um die Planeten kreisen. Im Hintergrund regnet es. Zudem hat dieses
Bild wieder einen Rahmen.
5. Zeichnung: Symbole
Hier sieht man Dollarzeichen, Eurozeichen, DM-Zeichen, Münzen, Sonnengeld, und
Parteinamen wild auf dem Blatt verteilt, ebenso noch Fünfereinheiten. Am unteren Bildrand
sieht man Gras. In der Mitte etwas oberhalb des Grases sieht man eine Denkblase mit einem
Menschen und Geld darin.
6. Zeichnung: Symbole
Hier sieht man wieder Dollarzeichen, Eurozeichen, DM-Zeichen, Münzen, Sonnengeld und
Parteinamen wild auf dem Blatt verteilt, ebenfalls noch Fünfereinheiten.
4.4
Bewegungsbild, Formbild, Raumbild, Farbbild
Bewegungs-, Form- und Raumbild sind Kategorien der Graphologie, die jedoch für das
Verständnis von Kinderzeichnungen von Bedeutung sind.
Ich versuche hier Clemens Zeichnungen in die Eindruckscharaktere (schwach, geprägt und
gestört) einzuordnen, wie sie in dem Lehrbuch der Graphologie von H. Pfanne zu finden
sind.1
4.4.1 Bewegungsbild
Das Bewegungsbild innerhalb einer Zeichnung entspricht dem unbewussten Teil des
Menschen,
der
Antriebsseite.
Auf
Freuds
Menschenbild
bezogen
entspricht
das
Bewegungsbild dem Es des Menschen. Es gibt Auskunft über die Aktivität, das
Temperament, die Spontaneität und die Unwillkürlichkeit eines Menschen.
Betrachtet man das Bewegungsbild von Clemens, so kann man feststellen, dass seine
Strichführung zu Anfang eher gebremst ist (Wasserwerk). Dies legt sich aber schnell und
seine Strichführung wird flüssig und gelöst (voll Schwung malt er beim Regenbogen über den
Rand hinaus). Mit steigender Bilderzahl wächst der Mut zu größeren und schwungvolleren
Bewegungen. Sein Bewegungsablauf ist sehr konzentriert, gesteuert und bestimmt. Die
Flächen sind ab dem zweiten Bild mit eher eiligen, wenig sorgfältigen Bewegungen
ausgefüllt. Er verwendet hierfür hauptsächlich Winkelbewegungen (Auf- und Abbewegungen
und Rechts- und Linksbewegungen).
1
Vgl. H. Pfanne, Berlin 1961, S. 23-25.
30
Die Druckstärke variiert ab dem zweiten Bild absichtlich von sehr kräftig bis ganz schwach
(Hintergrund). Im ersten Bild hingegen arbeitet er noch recht verkrampft mir kräftiger
Strichführung.
Clemens hat seine Bewegungen stets unter Kontrolle. Eine große Arbeitsdisziplin ist
unübersehbar. Sein Bewegungsbild zeigt vor allem Spontaneität und Temperament. Er zeigt
sich nach außen hin am Anfang eher verhalten, lässt aber bald sein Temperament in Worten
und im Bild zur Geltung kommen.
4.4.2 Formbild
Das Formbild einer Zeichnung entspricht der Steuerungsseite des Menschen. Betrachtet man
das Formbild einer Zeichnung, so kann man Aufschlüsse über die Steuerungsabsicht und
–möglichkeit, die Gestaltungsfähigkeit und –willen, die Intentionalität und die Willkür sowie
über Regularität eines Menschen gewinnen.
Clemens Formbild differiert zwischen den einzelnen Zeichnungen. Bild Nummer 1 würde ich
der Kategorie gestört zuordnen, da zum Beispiel folgende Eigenschaften zu entdecken sind:
anspruchsvoll, auffallend, einmalig, zusammengestückelt, vielfältig. Dieses Bild zeigt also ein
vermehrtes Formbild.
Bild Nummer 2-4 würde ich der Kategorie geprägt zuordnen. Die folgenden Charaktere finde
ich darin verwirklicht: angemessen, differenziert, eigenständig, eindeutig, einfach (Bild2). Sie
zeigen ein eher vermindertes Formbild.
Die Bilder 5 und 6 sind sehr schwer zuzuordnen. Ich würde sie schon fast dem Charakter
schwach zuordnen, da diese auf mich sehr dürftig, formarm, nüchtern, trivial und unlebendig
wirken.
Insgesamt würde ich sagen, hat Clemens, eher ein vermehrtes Formbild, da seine Bilder zum
Großteil eher ungegliedert sind und Völle ausstrahlen. Wenn diese Völle fehlt, tritt dafür eine
andere Eigenschaft von Vermehrtheit auf und zwar die, der Größe.
Über Clemens Persönlichkeit lässt sich auf Grund seines Formbildes folgendes sagen: Er hat
einen sehr hohen Leistungswillen. Er zeigt durchgehend Steuerungsfähigkeit, der
Gestaltungswille lässt aber von Bild zu Bild nach. Er ist dennoch sehr zielstrebig beim Malen.
4.4.3 Raumbild
Das Raumbild einer Zeichnung gibt über das Ich-Bild der zeichnenden Person Auskunft.
Clemens Bilder wirken nur selten über den Bildrand hinaus (Wasserfall, Flugzeug). Seine
Bilder sind eher in sich abgeschlossen, aber trotzdem Raum füllend. Er lässt keinen Platz leer
31
(dies merkt man besonders im ersten Bild). Clemens bemüht sich bei all seinen Bildern das
ganze Format auszufüllen. Beim ersten Bild ist das durch die Filzstiftwahl etwas mühselig,
aber selbst dort schafft er es, das Bild nicht leer wirken zu lassen. Sein Raumbild wirkt beim
ersten Bild auf mich eher gestört, da es anspruchsvoll, ausgeladen, chaotisch, gequetscht,
undurchdringlich und unübersichtlich wirkt. Auf dieses Bild würden auch einige
Eigenschaften von geprägt passen (aufgeteilt, dicht, eingeständig, ordentlich, überlegt). Die
Bilder 2-4 würde ich der Eigenschaft geprägt zuordnen, wobei die Bilder 5 und 6 auch schon
einige Aspekte von Schwachheit aufweisen (geometrisch, schematisch).
Insgesamt malt Clemens eher mittelpunktflüchtig. Seine Bilder sind ausgewogen und weit.
Für Clemens Persönlichkeit bedeutet dies, dass er ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein besitzt.
Dies bestätigt sich auch durch meine Erfahrungen mit ihm. Zudem zeigt er kreative
Leistungsfähigkeit. Man stellt aber fest, dass seine Motivation und Energie von Bild zu Bild
merklich nachlassen kann. Clemens scheint normal entwickelt zu sein, da sein Raumbild ein
positives Selbstbild ausstrahlt. In Bezug auf Freuds Persönlichkeitsmodell würde ich sagen,
dass sich die drei Instanzen (Über-Ich, Ich, Es) relativ im Gleichgewicht befinden. Ich könnte
keine Instanz angeben, die ich als dominierend empfinde.
4.4.4 Farbbild
Clemens verwendet in der Regel alle Farben, die ihm zur Verfügung stehen. Das erste Bild
wirkt daher sehr farbenfroh. Auch das zweite Bild ist farblich noch voll ausgeglichen. Im
dritten, vierten und sechsten Bild dominiert die Farbe blau. Auffallend ist, dass er nach dem
zweiten Bild die Farbe grün fast gänzlich meidet. Insgesamt versucht Clemens die Dinge in
ihrer realen Farbe darzustellen.
Dunkle Farben verwendet Clemens nur, um Dinge in der Entfernung dazustellen.
Das gewählte ausgeglichene Farbverhältnis mit der Vorliebe für Blautöne spiegelt auch einen
Teil seines Charakters wider. Es gibt Hinweise darauf, dass Clemens ein fröhliches und
weltoffenes Kind ist, das aber auch mal geängstigt sein kann.
4.5
Selbstinterpretationen des Zeichners
Clemens erscheint zu Anfang eher etwas verschlossen, was sich darin äußert, dass er nicht
sehr erzählfreudig ist. Immer muss man ihn fragen, wenn man etwas nicht erkennt, ansonsten
erfährt man nichts über diesen Gegenstand. Auf meine Fragen gibt er dann zumeinst auch
noch eine sehr kurze, wenn nicht sogar einsilbige Antwort. Alle meine Bemühungen ihn in
ein Gespräch zu verwickeln scheitern in der ersten halben Stunde. Er konzentriert sich hier
32
wohl voll und ganz auf das Bild. Nach und nach wird Clemens aber immer lockerer und
kommentiert das Gemalte schon bald ohne gefragt zu werden. Zu Anfang immer nur mit
einen Wort, aber nach und nach erzählt er Geschichten dazu. Allgemein erzählt er mir beim
ersten Bild beispielsweise, dass er gerne mal ein Wasserkraftwerk besichtigen will und Tiere
sehr gerne hat. Dann erzählt er mir noch die Handlung auf dem Bild, welche zum Teil vorne
in der Werkanalyse nachzulesen ist. Clemens legt im ersten Bild auf einige Benennungen sehr
großen Wert. Er akzeptiert beispielsweise meine Aussage nicht, dass beim Efeu am Haus
noch Blüten wären. Bei den weiteren Bildern setzt sich das oben genannte fort. Er erzählt und
ist vergnügt. Im letzten Bild baut er mich als Betrachter sogar sehr bewusst mit ein.
Clemens hält sich für einen guten Zeichner, da er auch in eine Zeichenschule geht. Dies zeigt
sich darin, dass er mir oft sagt, dass ich das ja erkennen müsse und mich dann raten lässt.
Clemens ist ein Kind, das schnell Kontakt knüpft und dann auch sehr redselig und
aufgeschlossen ist. Er ist wortgewandt (Code bei Straße. Bild 1) und hat auch Ansprüche an
sich selbst.
4.6
Zusammenfassende psychodiagnostische Beurteilung
Die Beobachtung der Entstehung der Zeichnungen gibt Gelegenheit, Verhaltensdaten und
graphische Daten im Zusammenhang zu sehen und als ein komplexes Wirkgefüge eigener
Qualität aufzufassen. Nach drei Richtungen soll es abschließend befragt werden:
1. In welcher Funktion stehen die Details zum ganzen?
2. Zur Erschließung von Wirkungsbeziehungen benötigen wir Fragen, die einen gezielten
Aspektwechsel ermöglichen. Wir verwenden dazu die Fragen nach der Positionalität der
Betrachtung, nach der Funktionalität des Verhaltens und den Text- Kontext- Beziehungen
des Lebenszusammenhanges der Daten im engeren und weiteren Sinne.
3. Abschließend geht es um die Reflexion über die diagnostische Aktivität selbst, um ihre
Begründung aus spontanen und theoretisch- reflexiven Annäherungsweisen.
1. Die Stellung der Details zum Ganzen
Die Verhaltensbeobachtungen während des vor- und nachmittags und die graphischen Daten
weisen gleichsinnig auf eine hohe Leistungsmotivation hin, der eine ihr angemessenen
Leistungsfähigkeit entspricht. Seine Kraft ist besonders im Zweiten und dann ab dem fünften
Bild stark vermindert, wie ich oben schon beschreiben habe. Das erste Bild hat für ihn den
höchsten Wert, wie er es selbst sagt. Die nachlassende Motivation wird durch großflächigeres
Zeichnen und weniger Details sichtbar.
33
Clemens Wille, dem selbst gewählten Thema zu entsprechen, bleibt immer erhalten. Clemens
schafft es jeden Gegenstand des Bildes in das Bild passend zu machen. Dazu gibt er ihm die
von ihm bestimmte Bedeutung. Auch wenn die Bilder (1 und 2) etwas zusammengestückelt
wirken, passen doch die meisten Motive in diesen Raum. Nicht so ganz passen meiner
Meinung nach der Komet und das Raumschiff in das Bild 3. Aber auch dies kann er erklären
und somit passend machen. Die Details erhalten ihre Bedeutung vom Bildganzen. Clemens
schafft es, einen jeweils kompositorisch angezeigten Leistungsanspruch mit der Gestaltung
der Details in Einklang zu bringen. Er kann seine Leistungskapazität frei entfalten und tut dies
auch. Er setzt sich selbst nicht unter Leistungsdruck, da er meist nicht vorher erklärt, was er
malt, sondern nachher. Aber selbst dann erklärt er es mit Worten, so dass wieder alles passt.
Dabei lässt er seine Phantasie spielen.
2. Wirkungsbeziehungen
Diese sollen unter drei verschiedenen Aspekten untersucht werden:
Positionalität
Meine Einschätzung von Clemens dokumentiert sich weitgehend sowohl von der Position der
Verhaltensbeobachtungen wie von der Position der Analyse seiner Bilder, von der Position
der Aufmerksamkeit auf das von ihm wahrgenommene Handlungsfeld wie von der Position
der Verlaufsanalyse. Die Aussagen in diesem Bereich bestätigen einander. Kleinere Probleme,
die sich während des Zeichnens ergaben (Bei Bild 1: dort vermalt er sich bei den
Wasserleitungen; bei Bild 4: als er sich beim Regenbogen vermalt), hatten keine negativen
Folgen für seine Leistung noch für seine Stimmung. Ganz im Gegenteil beflügelten diese
„Missgeschicke“ seine Phantasie und sein Improvisationstalent. Für sein Alter zeigt er somit
auch
ein
erstaunliches
Leistungsanforderungen.
Dies
Durchhaltevermögen
weist
auf
eine
und
große
beachtliche
Belastbarkeit
integrative
Kraft
bei
im
Persönlichkeitsbereich hin.
Funktionalität
Clemens Verhalten zeigt sich durchgehend im Dienste der Erfüllung des Arbeitsversprechens,
das er mir zugesagt hatte. Sein Selbstbewusstsein wird durch die Erfahrung seines enormen
Arbeitswillens und seiner Ausdauer gestärkt. Seine Motivation scheint mit der emotionalen
Stimmung im Einklang. Clemens zeigt beim Malen aber keine Überheblichkeit oder
behauptet alles zu können. Er zeigt allerdings schon, was er kann und ist auch stolz darauf.
Sowohl in den graphischen Daten als auch im Verhaltensprotokoll wird dies deutlich. Daraus
kann man schließen, dass Clemens eine ausgeprägte Ich- Stabilität besitzt. Er zeigt, dass er im
34
Leben zu Recht kommt und lässt soziale Wachheit und Durchsetzungsvermögen erkennen.
Das erkennt man daran, dass er, wenn ich mal eine Deutung eines Bilddetails wage, diese nie
unüberlegt übernimmt. Er hat seine eigenen Vorstellungen und verwirklicht diese.
Text-Kontext-Beziehungen
Stützen die einleitend mitgeteilten Kontextdaten die Befunde aus den graphischen Daten und
Verhaltensbeobachtungen? Im Abschluss dieser Analyse und der genauen Betrachtung seiner
Bilder, den Verhaltensbeobachtungen und auch seiner verbalen Äußerungen ist die Frage zu
bejahen. Er ist sich bewusst, was er leisten kann. Er zeigt in seinen Bildern vor allem
Kreativität, Leistungswille und Ausdauer. Er ist ein ausgeglichenes und fröhliches Kind.
Seine Eigenschaften bzw. meine Einschätzung dieser wird durch die Befunde belegt.
3. Reflexion zur diagnostischen Aktivität
Am Anfang ist es mir sehr schwer gefallen von Bild 1 weg zu kommen. Dazu hat er eine so
ausgeschmückte und facettenreiche Geschichte erzählt, dass ich immer wieder daran denken
und schmunzeln musste. Anfangs habe ich die anderen Bilder oft mit diesem verglichen und
fand dadurch die anderen Bilder sehr ernüchternd. Erst die systematische Einbeziehung des
Entstehungszusammenhangs und die Arbeit an den Bildern anhand der nach einzelnen
Aspekten zergliederten Fragestellungen half mir eine objektive Haltung einzunehmen.
Ohne die Erläuterungen von Clemens hätte ich aus dem ersten Bild auch nur ein Chaos
herauslesen gekonnt. Genauso wäre es mir mit den Bildern 5 und 6 gegangen. Mit dem
Entstehungshintergrund und den lustigen Geschichten von Clemens hat es mir sehr viel Spaß
gemacht mich intensiv mit diesen Bildern zu beschäftigen. In Zukunft werde ich, wenn ich
Kinderzeichnungen sehe, diese nicht mehr so schnell abstempeln und weglegen, sondern mir
von dem Kind auch die Geschichte des Bildes erzählen lassen.
35
5.
Literaturverzeichnis:
 Wolfgang Sehringer, Zeichnen und Malen als Instrument der psychologischen
Diagnostik. Ein Handbuch, 2. Auflage, Heidelberg 1999.
 H. Pfanne, Lehrbuch der Graphologie, Berlin 1961.
 Herbert
Gudjons,
Pädagogisches
Grundwissen.
Studienbuch, 4. Auflage, Bad Heilbrunn 1995.
36
Überblick-
Kompendium-
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