Roland Müller - Roland Seeheim

1.Teil
Verluste
5
6
1
F
rauke
m ocht e
kei ne
Überr aschun gen.
S chon
ga r ni cht , w enn Un hei l i n
der Luft l a g. Di esm al kam no ch
hi nz u, dass si e z u wi ssen
gl au b t e, w er i hr das ei ngebro ckt
h at t e: i hr Te am l ei t er, den si e
ohnehi n ni cht ausst ehen kon nt e.
Da wa r si e m al für e i nen Ta g z u
Hause
gebl i eb en,
auf
aus drüc kl i chen
W unsch
der
P roj ekt l e i t ung (wei l auf i hrem
Gl ei t z ei t kont o vi el z u vi el e
S t unden st anden u nd wei l der
neue Au ft ra g no c h auf si ch
wart en l i eß) und nu n m usst e si e
s i ch
im
P o liz ei präsi di um
m el den. Ei n Hau p t kom m i ssar
Traut e n be r g hat t e si e an ge rufe n.
Ja, es sei dri ngen d . N ei n, den
Gr und
w e r de
si e
spät er
er f a h ren .
W üt end l i eß si e den Mot or
aufheul en.
Von
Dar m st adt Bach en
aus
in
R i cht ung
Inn enst adt ,
an
der
Am pel kre u z ung
n ach
recht s.
Das
P r äsi di um
ei n
s andfarb ener,
nagel neue r
Kom pl ex - t aucht urpl öt z l i ch
auf an e i ner S t el l e, wo m an nu r
noch Grün vo r si c h si eht und
s i ch schon i m Od en wal d wähnt .
Im
Em pf an gsber e i ch
fühl t e
Frauk e si ch i r gend wi e fehl am
P l at z . Ni cht s Neues für si e! Di e
P ro b l em e
be gann en
schon
dam i t , dass si e für e i ne Frau z u
groß war. Es k am vor, dass si e
s oga r aus ei ner Gruppe m i t
M ännern he rausr a gt e. Auch i hr e
Augenfa rbe gefi el i hr ni cht : S o
ei ne
unbest i m m t e
Mi schung
z wi schen bl au und gr au. Di e
l ock i gen
Ha are
m eh r
aschbl ond al s ri ch t i g bl ond hat t e si e z u e inem di cken
P ferdesch wanz g ebu nden.
"S i e wünsch en? "
Gut e Frage an j em an den, der
vorgel aden w orden i st !
"Ei n
ge wi sser
Herr
Traut e n be r g
wi l l
m i ch
sprechen. "
N ei n,
ei nen
s c hri f t l i chen
Beschei d besaß si e ni cht .
W ährend der P ol i z i st am
Em pfan g i n se i nen Unt erl agen
bl ät t ert e, fr a gt e si c h Frauk e, ob
si e si ch vi el l ei cht an ders hät t e
kl ei den
sol l en.
Doch
d er
spor t l i che S t i l war nun ei nm al
das, wom i t si e si ch wohl fühl t e
(und wom i t si e si ch ersp art e,
den
neuest en
Modet rends
hi nt erhe rz uhet z en). Al l e rdi ngs
l egt e si e bei nah e än gst l i ch W ert
darauf, ni cht n ach l ässi g od er
ga r uno rdent l i ch z u wi rken.
Verst ohl en
kont ro l l i ert e
si e
noch ei nm al a l l es.
"Es
wi rd
gl ei ch
j em and
kom m en,
der
Sie
zu
Haupt kom m i s sar
Traut enbe r g
bri ngt . "
Aha ! Jet zt w urde es al s o
ern s t !
Das Bür o l a g au f d er S ü dsei t e
und
war
hel l
wi e
ei n
Gewä ch s haus.
Benut z t es
Kaff ee ges chi rr
a uf
ei nem
hal bhohen Akt e nsc hrank. Zwei
knal l bunt e Ki nder z ei chnungen,
m i t R ei ßz w ecken a n di e W and
geh eft et .
Was
hat t e
sie
ei gent l i ch
erw a r t et?
Ei ne
7
Fol t er kammer i m K e l l er? Den
M ann auf dem Dre hsessel vor
den Bi l de rn st el l t e si e si ch fü r
ei nen
Mom ent
mit
ei ner
R i es ent üt e C hi ps bei ei ner
Fußbal l übert r a gun g vor. Ab er
das war nun wi ede r übert ri eben
in
di e
andere
R i cht ung.
W uns chde n ken!
"S i e s i nd Fr auke Ba um ann? "
"J a."
"Gebo ren 1966 i n Berl i n?
J etz t wohnhaft i n Dar m st adt Bach en? "
"Das i s t ri cht i g. "
"Gut . Ich m öcht e gern m i t
Ihn en
üb er
i hren
P ers onal vor g eset z t e n, den Herrn
Vos s reden. "
Al s o doch! Fr auke s pürt e, wi e
ei ne Bl ut wo ge i n i hr hoc hst i eg.
"Es geht um di e Ohrfei ge.
Ni cht wahr? "
Traut enbe r g
sah
si e
mit
uner gründl i che r Mi ene an. Er
hat t e Augen von i nt ens i vem
Bl au, m i t denen er e i nen
Ges prä chspart ne r
ger ad ez u
durchbohren konnt e. W enn e r
den Körper a nspann t e, l i eß si ch
erkennen, dass e r t rot z sei ner
R un dl i chkei t
ni cht
völ l i g
uns port l i ch war. Nach ei n er
P aus e
erkundi gt e
er
si ch
bedächt i g:
"J a, und w arum al so haben S i e
i hn geoh rfei gt ? "
"W ei l er i n m ei nen persö nl i ch
S achen gekram t hat ... und wei l
er ei n M i st kerl i st ."
S i e ers chrak übe r i hre e i genen
W ort e und beoba cht et e de n
Haupt kom m i s sar. Er not i ert e
s i ch et was, al s w äre n das genau
j ene Aus sa gen ge we sen, auf di e
er gew art et hat .
" Ic h s a ge das gan z wert frei .
Es i s t ei nfach ei ne Ta t sache.
Der ad äquat e Au sdruck für
s ei ne W esensart . "
"S i e
m ocht en
i hn
ni cht
beso nders? "
"S o könnt e m an es s ag en. "
"S i e
si nd
Di pl om m at hem at i k eri n
und
arbei t en al s P ro gr a m m i ereri n? "
"J a.
Gewi sse rm a ßen.
Ich
bet reue
di e
Ent wi ckl ungsum g eb ungen, führ e
di e
Bui l dl äufe
durch
und
kü m m ere
m i ch
um
das
Konfi gu rat i onsm ana g em ent ."
Der Haupt kom m i ssa r sah ni cht
aus, al s hät t e er d as verst a nden,
doch das war nun ei nm al di e
korrekt e Ant wort auf s ei ne
Fra ge.
"S ei t wann si nd S i e bei de r
Fi rm a B IT C o. besc hä ft i gt ? "
"S ei t 1991. Ich hab e i n Berl i n
angefan gen.
W ei l
di e
Ni ederl a s sun g
dort
ges chl ossenen wur de, bi n i ch
Anfan g di es es J a hres n ach
Darm st adt
um gez o ge n.
Not ged run gen. "
"Und hi e r bek am en S i e Herrn
Voss al s C hef vor di e Nase
ges et z t? "
"J a. Aber i ch kenne i hn schon
l änger, schon vo m S t udi um
her. "
"Das war w o? "
"Hum bol dt -Uni .
Ost -Be rl i n.
Ic h st am m e aus der DDR . Der
Voss dem nach auc h. W obei er
al l es
Mensc henm ögl i ch e
unt e rni m m t , dam i t m an's i hm
ni cht a n m erkt ."
"W as
m ei nen
Sie
dam i t
gen au? "
"W i ssen S i e, w as m an bei uns
al s Wendehal s bez ei c hnet ? "
"J em anden, d er si ch den n euen
Verhäl t ni ssen seh r berei t wi l l i g
angepasst hat . "
8
"Gen au. In w eni ge n Mon at en
war
der
Gesi n nungsw andel
kom pl et t vol lz oge n. Das i st
doch ei ne erst aunl i c he Lei s t un g.
Oder? "
"W as hat He rr Voss bei Ihnen
ges u cht ? W as verm u t en S i e? "
"Kei n e Ahnun g! "
Traut enbe r g hat t e i m m er noch
s ei nen
une rgründl i chen
Ges i cht sausdruck und s chri eb
i m m er noch l an ge Not i z en, al s
würde si e i hm sonst was für
ei ne S t or y e rz ähl en . Al l m ähl i ch
m acht e si e das n erv ös.
"S a gen S i e: W om i t habe i ch
denn nun ei gent l i ch z u rechnen?
Al s
was
gi l t
das?
Körperv erl e t z ung? "
"Na ch dem akt u el l en S t and
der Erm i t t l ungen m üs sen S i e
m i t gar ni cht s re chn en. Aus dem
Beri cht
der S purens i cherun g
fol gt , dass si ch He r r Voss al l er
W ahrschei nl i chkei t nach sel bst
das Leben g enom m e n hat ."
Frauk e st ockt e der At em . S i e
re gi st ri ert e, dass Tra ut enb er g
i hre
R eakt i on
genau
beobacht et e. Er hat t e es dar auf
ang el e gt , si e so z u überrum pel n.
"S i e ... S i e m ei nen, dass ..."
"He rr Voss wurd e gest ern
Abend t ot i n sei ner W ohnung
auf gefund en. Obwo hl er ei nen
Abs chi edsbri ef hi nt erl i eß, seh en
wi r von der Mordkom m i ssi on
uns di e S ache m al an. Zur
S i cherhei t . S i e ver st ehen? Si e
s i nd al s Zeu gi n vor gel aden. "
"Abe r j et z t habe i ch m i ch
v erdächt i g gem acht . Oder? "
"W i r hal t en uns an Fakt en,
ni cht
an
B auch gefühl e.
Es
l i egen
k ei ne
z wi ngenden
Indi z i en vor, di e ge gen S i e
sprechen.
A l l erdi ngs:
S ehr
best ürz t schei nen S i e ni cht z u
sei n über d en pl öt z l i chen Tod
i hres Ko l l e gen. "
"W ürden
Sie
mir
das
abkau fen? "
"Ehe r ni cht . Da haben S i e
R echt . Ich wusst e s chon, bevor
si e
kam en,
von
Ihr em
S charm ü t z el m i t Herrn Vos s .
Ei n and ere r Kol l e ge h at den
Zwi sch enfal l be ob a cht et . Aber
wi r s uchen, wi e ge sagt , k ei nen
Mörder. Nu r d er F orm hal ber:
W as haben S i e get an i n der
Nacht
von
S a m st ag
au f
S onnt ag? "
"Mei n
Al i bi
i st
denkbar
schl echt . Ic h w ar z u Haus e
(o h ne
Zeu gen)
und
habe
z i em l i ch
spät
noch
ei nen
Tat ort kri m i
g ese hen,
ei ne
W i ederhol ung i n i rgend e i nem
dri t t en P rogram m . Danach bi n
i ch i ns Bet t ge ga n ge n."
"W er w ar Kom m i s sa r? "
" Zw ei
T ypen
mit
l ei cht
ba yr i s chem Di al ekt ."
Traut enbe r g
hol t e
ei ne
Ferns ehz ei t schri ft aus ei nem
S chrei bt i schkast en,
bl ät t ert e
kurz dari n und sa gt e dann:
" Bat i c und Lei t m a y r. S t i m m t !
Das war 's schon, Fr au Ba u m ann.
W enn si ch noch we i t ere Fr a gen
er geben, werd e i c h m i ch bei
Ihn en m el den. Ab er i ch hal t e
das für eher u nwa hrschei nl i ch.
Ent schul di gen
Sie
di e
Unanneh m l i chke i t en !"
Dann gri ff e r z um Tel efon und
l i eß
si e
z urück
z um
Ei n gan gsb erei ch b ri ngen.
2
9
F
rauke wohnt e et w a dort ,
wo si ch di e S t raßenbahn
durch den al t en B achen er
Ort s kern schl ä n gel t und dabei
den Fußw e g l ebe n s bedrohl i ch
veren gt .
In
de r
Ge gend
ü b erwi e gen
schm uck e
Ei nfam i l i e nhäuser al t en S t i l s.
Gi ebel z ur S t raße, al l e äh n l i ch
groß, abe r j ed es e i n bi sschen
anders .
Mi t
ei n
paar
Aus nahm en. Frauk e s Haus z um
Bei s pi el passt e übe rhaupt ni cht
dort hi n. Kast enfö r m i g, kl obi g,
s chm uc k l os
(w e nn
auch
i m m erhi n t adel l os wei ß). Ei n
Drei ges choss er
für
sechs
M i et part ei en. De r E i gent üm er
hat t e ei ne en ge Hausor d nun g
vorge geben,
die
ei n
bes chädi gt es Kl i n gel schi l d z um
Zei chen
al l gem e i nen
Ni eder gan gs erhob. Di e ruhi ge,
unauffäl l i ge
Fr a u ke
fr ei l i ch
konnt e dam i t um g eh en.
Ih re
W ohnun g
lag
im
Hochpart e rre auf der l i nken
S ei t e.
Küche,
Bad,
z wei
Zi m m er.
En t ge gen
den
Int ent i onen
des
Archi t ekt en
nut z t e Frauke das große Zi m m e r
s owohl z um W ohnen al s auch
z um S chl afen. Ei n hüft hohes
R egal m i t Bl u m ent öpfen drau f
di ent e
al s
R au m t ei l er.
Im
W ohnb erei ch st and ei n Ti sch
di rekt
dem
Ferns eher
ge genüber. Dort nah m si e (wenn
sie
zu
Hause
war )
ihre
M ahl z ei t en z u si ch (di e si e
z uvor i n der Küche fe rt i g
ang eri cht et hat t e ). Das TV P rogr am m fand si e e i gent l i ch
fas t i m m er z i em l i ch öde, aber
bei m Es sen brauc ht e si e di e
Beri es el un g al s Ersat z für di e
feh l ende
Ti sch ges el l sch aft .
Frauk e l ebt e al l ei n und das
ni cht erst sei t kurz em .
S i e bem üht e si ch sehr, dem
Abend
ei n en
An st ri ch
von
No rm al i t ät z u geb e n. Doch das
kl appt e
ni cht .
Nach
i hrem
Ei n druck bra cht en al l e S ender
di esel be S onderm el dung: "W i e
wi r soeben e rfuhr e n, hat si ch
der Mordve rdacht gegen F rauk e
B. aus Ba chen durch neue
Indi z i en wei t e r er hä rt et . De r
Lei t e r
de r
Mor dkom m i ssi on
erkl ärt e d az u ..." S i e st el l t e das
schm ut z i ge Ges ch i rr i n di e
S pül m aschi ne und z og si ch
z urück
i ns
kl ei ne
Zi m m er.
Ei gen t l i ch
ei ne
si chere
Maßnahm e
ge gen
Verst i m m u ngen al l e r Art .
An der Tür wa r ei n S chi l d
an gebra cht m i t de r Aufs chri ft
r eal
programmer' s
home .
Dahi nt er
b efand
si ch
ei n e
Bast el st ube, di e au f den erst en
Bl i ck
r echt
un übersi cht l i ch
wi rkt e, i n W ahrhei t aber ei ne
durc hdacht e
W ohl ordnung
aufwi es. Di e W ä nde ent l an g
z ogen si ch R e g al e i n m ehr er en
Ebenen vol l er S chäc ht el chen
und Käst en m i t B aut ei l en und
W erkz eugen, p eni be l beschri ft et
m i t gel ben Aufkl ebern . Auf
ei ner P l ane am Bod en l a g - h al b
ausei nande r
g eb a ut
ei n
C om put er, den si e für ei nen
Kol l egen auf rüst en wol l t e.
Di e
Bez ei chnun g
real
pro grammer' s home wa r m eh r
al s nur ei n S cherz . Dari n
st eckt en s o wohl Trot z al s auch
S el bst i r oni e.
Di e
ganz e
W o hnung war de kori ert m i t
ei ngerahm t en W i t z en über e cht e
P ro gr am m i erer. Zu m Bei spi el :
"Dr ei Fei nde hat ei n echt er
P rogr am m i erer:
S o n nenschei n,
10
fri s che
Lu ft
und
das
unert rä gl i ch e
Ge schrei
der
Vö gel ." D as fand si e z i em l i ch
t reffend.
Ode r:
"Echt e
P rogr am m i erer
t ri nken
l i t erwei se Ka ffe e, l ernen ab er
ni e, di e Kaff eem aschi ne z u
bedi enen. " Das p as st e ni cht so
ganz . S i e konnt e d i e Maschi ne
ni cht nur bedi enen , sondern z ur
Not sogar r epa ri ere n. S i e l i ebt e
ni cht nur C om p u t er, sondern
Techni k ganz al l ge m ei n. Im Hof
s t and ei n spor t l i cher Audi , für
den si e sün d haft vi el Gel d
aus ge geben hat t e.
Nach ei ner h al ben S t unde sah
Frauk e ei n, dass si e si ch ni cht
konz ent ri eren konn t e. Ehe si e
wom ögl i ch den C om p ut er i hres
Kol l egen
durc h
ei ne
Unach t sam kei t rui n i ert e, wol l t e
s i e di e l e i di ge An ge l egenhei t , i n
di e si e da hi nei ngerat en w ar,
offen si v an gehen. H ät t e si e si ch
ers t ei nm al sel b er e i ne Mei nung
gebi l det , würde si e si ch bei m
nächst en Gespr äc h m i t der
P ol i z ei vi el l ei cht ni cht m ehr
ganz so dum m anst e l l en.
In ei n em W andschrank auf
dem Korri do r f and si e ei ne al t e
Tapet enbahn. Di e heft et e si e
fal s ch herum an di e W and. Dann
schri eb si e g enau i n di e Mi t t e
Axel Voss und z ei chnet e ei nen
Krei s darum . Von dort aus
kon s t rui ert e si e nu n Li ni en z u
wei t eren Kr ei sen m i t neuen,
l ogi sch fol genden S t i c hpunkt en.
Der Theo ri e nach hal f di es e
Met h ode der Kr eat i vi t ät auf di e
S prünge.
Al so: Wi e kam er denn nun z u
Tode? 1 - Sel bst mord , 2 Fremdvers chu l den . Di e ers t e
Mögl i chkei t konnt e i hr e gal
sei n. Dass er si ch i hret wegen
um gebr acht hät t e, konnt e si e
si ch
nun
wi rk l i ch
ni cht
vorst e l l en.
W ei t er:
Aus
wel chem G rund br i ngen Le ut e
ei nander um ? 2.1 - organi si er t e
K ri mi n al i t ät ,
2.2
ei n
Verbrechen
mi t
pol i t i schem
Hi nt e r grund ,
2.3
Bezi ehungsko nf l i kt .
Ir gendwi e
wi derst rebt en
i hr
al l e
drei
An nahm en. In w as für ei nem
Fi l m war si e hi e r ei gent l i ch
gel andet ? (Bat i c und Lei t m a yr? )
2.3.1.
Sei t ensprung
(Ei f e r su cht )
2.3.2.
Bel ei di gung
(f anat i scher
Musl i m?) P assi ert so et was i m
ri cht i gen
Le ben?
In
i hre r
unm i t t el baren N ähe ?
F
Vorspre chen. Ebe nfal l s ohne
z ähl bares R esu l t at . U nd dann
pl öt z l i ch di eser Anruf. Brow n
Inf ormat i on
T echnol og y
C orporat i on , kurz BIT C o . Ei n
am eri kani sch es
S oft wareunt e rnehm e n m i t ei ner
Ni ederl assun g i n W est be rl i n.
Al s hät t e si e das ei ner gut en
Fee i n Auft ra g ge g e ben, l ag di e
Lösun g i hr es J obprobl em s auf
ei nem gol den en P rä sent i ert el l er
rust ri ert set z t e si ch Frauk e
auf
ei nen
S t uhl
und
schl oss di e Auge n. Di e
Zei t schnur rt e rüc k wärt s. Drei
J ahre,
fünf
J a hre,
si eben .
S ep t em ber
1991.
Mehre re
M onat e Arb ei t sl osi gkei t l a gen
hi nt er
i hr.
S t apel wei se
Bew erbun gen. Fast ebenso vi el e
Abs a gen m i t i m m er dem sel ben
Bl abl a al s B e gründu ng. Ei n paa r
weni ge
G el e genh ei t en
z um
11
vor i hr. Bew erbun gsunt erl a gen
ei nrei chen.
Zum
Gesprä ch
ers chei n en. Ei gent l i ch nur der
For m hal ber . Am erst en Tag des
nächs t en Monat s den Di enst
an t ret en. S o ei nfac h! Und wem
verdankt e si e das al l es? Ax el
Vos s , i hrem Ex kom m i l i t onen,
der nun wi rkl i ch ab sol ut kei nen
Grund hat t e, i hr ei nen Gefal l e n
z u erwei sen. W as um gekehrt
übri gens ebenso z ut raf.
Im
Gei st e
h ört e
si e
Traut e n be r g f ra gen: "W o bl ei bt
Ih re Tr auer für de n Mann, der
Ihn en d en J ob vers chafft hat ? "
Das s ah ge wal t i g nach grob em
Un dank aus! Ob e r ve rst ünde,
wi e s el t s am das d am al s gel auf en
war? Voss hat t e i hr gar kei n e
Gel e genh ei t
ge ge ben,
si ch
erkennt l i ch z u z ei ge n. S chon bei
s ei nem Anruf kl an g er wi e ei n
Anges t el l t er vom A r bei t sam t . Er
s cheut e s i ch ni cht ei nm al , durch
di e Bl um e anz udeut en, dass si e
das An gebot anneh m en müsse .
Angebl i ch
ri sk i ere
si e
ander nf al l s ei ne em pfi ndl i che
Kürz ung
des
Arbei t s l osen gel des. Das war wi e
Ei nberufun g. S i e hat t e ni cht
z ul et z t deshal b l ange g ez ögert .
W el che Ent schei du ng ba r g das
größ ere R i si k o?
Zum Gl ück er wi es si ch B IT
C o. dann (sowei t si e das
beu rt ei l en konnt e) al s norm al es
S oft wareunt e rnehm e n.
K ei n
Abl eger der Sci ent ol ogy -Sekt e .
K ei ne Maf i a -Gel d w aschanl age .
Di e Büros d er Ge schäft sst el l e
n ah m en i n ei nem Hochhaus di e
ges am t e z wöl ft e un d ei nen Tei l
der drei z ehnt en Et age ei n. W enn
Frauk e l an ge gen ug i n d en
M o ni t or gest arrt h at t e, konnt e
s i e z ur Erhol ung de n Bl i ck über
ei n
Meer
von
D ächern
schwei fen l assen. Auf ei nem
dunkel gr auen B and krochen S Bahnz üge wi e R egenwürm e r.
Ei n
ander es
bre i t er es,
hel l gr aues Band m a rki ert e di e
ehem al i ge Gr enz e.
Di e Fi rm enkul t ur e rl ei cht ert e
ei nem Neul i n g das Ei ngewö h nen
sehr. J eder redet e j eden m i t
"du " und Vorn am en an. Di e
Tü ren st anden i m m er offen,
sofern ni cht s S chwerwi e gend es
dag e gen spr ach. Mi t Ev el yn,
i hrer
dam al i gen
C hefi n,
verst and Fr auke si ch soga r so
gut , dass si e i hr ei n pei nl i ches
Defi z i t ei nz ugest e hen wa gt e.
Sie
arbe i t et e
für
ei n e
am eri kani sch e
F i rm a
und
beherrs cht e kei n En gl i sch, wei l
si e es i n d er S chul e ni cht
gel ernt hat t e. Bei schri f t l i chen
Facht ex t en o hne bel l e t ri st i schen
An spruch v erm och t e si e si ch
m i t t el s
W ört erbuch
noch
ei ni ge rm aßen
dur chz um ogel n.
Doch bei m S pre chen, wenn
z usät z li ch i hre S c hüc ht ernhei t
i m W ege st and, bracht e si e
überhaupt ni cht s m ehr z u st ande.
S i e kam si ch m anchm al vor wi e
ei ne Anal p hab et i n. Ev el yn abe r
hat t e Verst ändni s. O hne di e
S ache an di e groß e Gl ocke z u
hängen, ve r ei nbart e si e m i t i hr
S t unden
bei
Berl i t z .
Der
Ei nz el unt erri cht
war
anst re n gend, doch di e e rst en
Erfol ge z ei gt en si ch schon nach
ei n paar Mon at en.
S echs J ahre l ang ha t t e Frauke
bei B IT C o. i n Berl i n ei n e
an genehm e Zei t (m al ab ges ehen
von proj ekt bedi n gt en Hekt i k phasen
und
harm l osen
R ei bere i en).
Ax el
Voss
verschw and i m Herbst 1993
12
wi eder von i h rem R adar, al s er
s i ch z ur Fort se t z ung sei n er
Karri e re
na ch
Da rm st adt
vers et z en l i eß. Doch i m Herbst
1997
braut en
si ch
Gewi t t erwo l ken z us am m en. Erst
war es nur ei n G erücht , dann
ei ne
Hausm i t t ei l ung.
Au s
Kos t en gründen
hat t e
das
M an a gem ent
der
B IT
C o.
bes chl o s sen, nur noch ei nen
S t andort i n Deutsc hl and z u
behal t en - den i n Da rm st adt .
Ni em and
sol l t e
in
di esem
Zus am m enh an g
ei ne
bet ri ebsbedi n gt e
Kündi gun g
erhal t en.
W er
al l erdi n gs
dabei bl ei ben
wol l t e,
m usst e
ge g eben enfal l s um z i ehen. Aus
Furcht
vor
ei nem
neue n
Bew erbun gsm ar at ho n en t schi ed
auch Fr auke si ch für di esen
W eg.
Da ahnt e si e fr ei l i c h noch
ni cht , dass Ax el Voss i n
Darm st adt
i hr
d i rekt er
Vor geset z t er
sei n
und
i hr
Verhäl t ni s z u i hm in kurz er Zei t
es k al i eren würde. E r hat t e si ch
m i t t l erwei l e
e i ne
großa rt i ge
S t el l ung
im
Unt e rnehm en
erobert . S ei n neuest es Zi el w ar,
nach Bost on i n di e Zent r al e z u
wechsel n.
Di e
Ko l l ege n
respekt i ert en i hn. B el i ebt war er
ni cht - z um ei nen we gen s ei ner
hochm üt i gen
und
oft
rücksi cht sl osen
Art ,
z um
and eren
we gen
sei nes
l ux usori ent i e rt en
Lebensst i l s ,
den er prov okant z ur S chau
st el l t e.
Im Nachhi n ei n fr agt e si ch
Frauk e, wa rum si e s i ch von i hm
überhaupt hat t e h erausfo rdern
l assen. S chon ei n m al währ end
des S t udi um s und nun wi eder.
Es gab k ei nen Gr und für si e,
si ch
z um
S precher
der
Gem ei nscha ft aufz uschwi ngen.
Al l erdi ngs hat t e er i n Darm st adt
von si ch aus m e hrm al s i hre
Nähe gesu cht - i n ei ner seh r
sel t s am en
W ei se.
Di e
Verunsi che run g und di e daraus
resul t i erende i nne r e S pa nnun g
waren dann wohl der Ausl ös e r
ge wesen für i hre En t gl e i sun g.
F
si ch
i hr
Geh ör
dafü r
überdurchs chni t t l i ch
gut
ent wi ckel t .
Sie
na hm
di e
l ei sest en Töne und di e fei nst en
Nuancen wahr. Fr auke b eh al f
si ch, i dem si e si c h sel ber al s
W ah rhei t suggeri e rt e, was si e z u
s agen geda cht e.
S ei t si e von Berl i n fort
gez o gen w ar, pl a gt e si e si ch
unt erschwel l i g m i t schl echt em
Gewi ssen. Ei nen st i chhal t i gen
Grund dafür gab es ni cht . Ihr e
El t ern
l egt en
W ert
auf
S el bs t ändi gkei t und l i eßen si ch
gen erel l nu r bei best i m m t en
Arbei t en unt erst üt z en. Obwohl
rauke wu rde aus i hren
Eri nnerun gen geri ss en, al s
das T el efon kl i ngel t e. Ih re
M ut t er m el det e si ch am App arat
und wol l t e wi s sen, wi e es i hr
geht . Ei n denkb ar ungünst i ger
Augenbl i ck d afür. Frauk e gi n g
es grunds ät z l i ch gu t , wenn i hre
M ut t er si ch danach erku ndi gt e.
Fal l s das ni cht st i m m t e, m usst e
s i e s i ch konz ent r i er en, denn d as
Lü gen war i n di ese m Fal l ei ne
s chwi eri ge Kunst . Ih re Mut t er
war von G eburt an we gen ei n es
Net z haut defekt es n ahez u bl i nd.
W ei l
di e
Nat ur
al l es
aus z ugl e i chen best r ebt i st , hat t e
13
i nz w i s chen
fünfundsi ebz i g
bez i ehungsw ei se ac ht undsechz i g
J ahre al t , bewäl t i gt en si e i hren
Al l t ag no ch h ervo r ra gend. Ihr e
S t ärke best and dar i n, dass si e
s i ch ge gensei t i g gu t ergänz t en.
Al s di e Tocht er sei nerz ei t von
den Ver änderun gen bei B IT C o.
beri cht et hat t e, war di e Mu t t er
m ehr um deren W ohl besorgt
ge wes en al s um i hr ei g enes.
Vi el l ei cht handel t e es si ch bei
Frauk es schl e cht e m Gewi ssen
auch um di e Fort s et z ung ei ner
noch äl t eren V erh al t enswei se.
Sie
hat t e
sch on
i m m er
R ücks i cht
auf
i hre
El t ern
nehm en
m üssen.
Bei
i hr er
M u t t er l a g der Gr und auf de r
Hand. B ei i hrem Vat er ni cht so
s ehr. Al l e rdi n gs h a t t e er ge gen
Ende
sei nes
B eru fsl ebens
di vers e
ges undhei t l i che
P robl em e bekom m en. Ei ni ge
davon war en m ö gl i che rwei se
nervl i ch b edi n gt gewesen. W i e
dem auch sei : Di e Ärz t e hat t en
i hn
schl i eßl i ch
i nval i d
ges chri eb en. Inz wi s chen gi n g es
i hm (dem Al t er e nt sprechend)
wi eder gut . Nun hadert e er
al l erdi ngs
mit
der
neu en
Gesel l schaft ,
di e
er
wed er
verst and noch akz ept i ert e.
Nei n,
es
war
völ l i g
ausg eschl ossen, di e El t ern m i t
den unerf reul i chen Neui gk ei t en
rund
um
Ax el
Voss
zu
beunruhi gen. F rauk e m usst e das
al l ei n durc hst ehen.
"Heut e w ar i ch ga r ni cht i n
der Fi rm a. Ich hat t e doch ei nen
frei en
Ta g.
Verl än ge rt es
W o chenende. ... W as sagt est
du? ... Ach so ! Ic h h abe den
C om put er
ei nes
Kol l ege n
repari ert . ... J a, n at ürl i ch bi n
auch drauß en g ewes en. Bei dem
schönen W et t er un d m i t ei nem
echt en Url aub s gebi et di rekt vor
der N as e! ... "
3
W
i r können uns ni cht den
Hi nt ern aufr ei ßen für
j eden
Fi rl ef a nz ",
k n u rrt e H aupt kom m i ssar Zü rn.
Di e bei den Fal t en , di e über
s ei ner N ase di e S t i r n hal bi ert en,
wurden noch ei n bi s s chen t i efer .
Traut enbe r g,
de r
s ei nen
Kol l egen und P a rt ner l an ge
genu g kan nt e, l i eß si ch davon
ni cht aus der R uhe bri ngen.
Zürn wa r ( wi e s cho n der Nam e
s agt ) i mmer gri es gr äm i g. Ode r
bes s er: Er w i rkt e i m m er so, al s
ob er das wä re. D az u l ei s t et en
auch s ei n l än gl i c hes Gesi cht
und di e nach u nt e n gebo genen
Mun dwi nkel ei nen Be i t ra g. Ab er
Zürn w ar z ugl ei c h ei n gut er
P o l i zi st
gewi sse nhaft ,
enga gi ert , st et s z uve rl ässi g.
"W i r brau chen uns erst ei nm al
ga r ni cht s aufz ure i ßen, wed er
den Hi nt ern noch ei n ander es
Körpert ei l ... "
"... Der S t aat sa nwal t
hat
ges a gt ,
wi r
sol l en
di e
Angel e ge nh ei t z u den Akt en
l egen. Tode s u rsach e: S ui z i d t ragi s ch für di e Hi n t erbl i ebenen
aber
k ei n
Fal l
für
di e
Mordkom m i ssi on."
14
"... W i r l egen den F al l z u den
Akt en.
Versp roc hen!
Abe r
l as s en S i e uns doc h bi t t e noch
ei n l et z t es Mal darüber red en. "
"W arum
v erei nba ren
Sie
ei gent l i ch ni cht ga nz offi z i el l
z u s ät z li ch z u i hre m bez ahl t en
Di enst pro W oche z ehn S t unden
ehrenam t l i che
T ä t i gkei t
für
noch m ehr S i cher hei t unsere r
Bür ge r? "
"Mi ch st ört , dass si ch uns
d i es er
S el bst m ord
der art
offensi c ht l i ch
da rst el l t .
Zu
offensi c ht l i ch. "
"W i e bi t t e? Zu of fe nsi cht l i ch?
Das i st für S i e ei n Grund z um
z wei fel n?
Zu of fensi cht l i ch!
Das i st j a wi rkl i ch der Gi pfel .
Di es er Fal l w är e n orm al erw ei se
ga r ni cht bei uns an geko m m en. "
Dam i t hat t e Zü rn al l erdi n gs
R echt . Fr au Voss war über s
W o chenende bei V e rwandt en z u
Bes uch
gewes en
und
z war
al l ei n. Al s si e am S on nt ag
ge gen n eunz ehn Uhr nach Haus e
kam , fand si e i hr en Mann l ebl os
auf der C ouch i m W ohnz im m er.
Darau fhi n verl or si e völ l i g d en
Kopf
und
verst ä ndi gt e
di e
P o l i z ei .
Di e
Be am t en,
di e
daraufhi n ers chi ene n, übersah en
den A bschi edsbri e f ebenf al l s.
Nachdem
ei n
Arz t
al s
Todes ursach e
di e
Ei nnahm e
ei ner
gi ft i gen
S ub s t anz
di agnost i z i ert hat t e, wa r di e
Angel e genh ei t
bei
der
M ordkom m i ssi on gel andet - und
dort
wi ederum
be i
dem
gründl i ch en
Hau pt kom m i ssar
Traut e n be r g.
Den ganz en Mont ag über
l i efen dann di e st an dardm äßi gen
Erm i t t l ungen. S pur ensi cherun g,
Zeu genve rnehm un ge n,
Bel eu c h t ung des U m fel ds. Am
Di enst ag j edo ch ve r di cht et e si ch
al l m ä hl i ch durch neue I ndi z i en
ei ne ander e S i cht auf den Fal l .
Das Gi ft war Best a ndt ei l ei nes
et was ex ot i schen S chl afm i t t el s .
Ax el Voss hat t e d i e Tabl et t en
m i t an S i cherhei t gr enz ender
W ah rschei nl i chkei t ohne den
Ei nfl uss äußerer Ge wal t z u si ch
geno m m en. Er wä r e z u ret t en
ge wesen, h ät t e er ni cht ru n d
z wanz i g S t unden ohne Hi l fe i n
der W o hnun g ge l egen. D as
Med i kam ent war l e gal durch den
Hausarz t vers chri e ben wo rd en.
Ax el Voss hat t e ei nen kri t i schen
Best and i m Lau f e der Zei t
geho rt et .
Ob
dam i t
von
vornherei n
ei ne
A bsi cht
verbunden w ar, l i e ß si ch ni cht
m ehr fes t st el l en. Er hat t e i n der
Ver gan genhei t
di e
Ta b l et t en
wi ederhol t best i m m un gs gem äß
ei ngenom m en. Der wi cht i gs t e
Baust ei n
abe r
war
der
Abschi edsbri ef, de n das L abo r
al s aut hent i sch ei n gest uft hat t e.
"S el bst S i e, l i eber Herr Zürn,
werden z ugeb en m ü ssen , dass er
ei n ehe r unbel i ebt er Zei t genoss e
war. "
"Das bi n i ch auch. "
"Abe r, abe r! S i e gl aub en j a
ga r ni cht , wi e e r ot i sch Ihre
gri m m i ge
A rt
a uf
m anch e
Frau en wi rkt . W as hal t en S i e
ei gen t l i ch davon, dass er di e
Taschen
s ei ner
Mi t arbei t er
hei m l i ch durchwühl t hat ? "
"Vi el l ei cht h at di es e Fr au ...
äh ..."
"... Baum ann ... "
"... über rea gi e rt . Er wol l t e
i hre
Tasch e
ei nfach
nur
woanders hi nst e l l e n, wei l s i e
i hm i m W eg war. "
15
"M ö gl i ch.
Und
wel chen
Ei n druck hat t en S i e von Fr au
Vos s , gebo r en e Leri an? "
"Ei fri ge Ki rch gän g e ri n. W obei
di e Fröm m i gkei t e i n bi sschen
auf ges et z t wi rkt . M üsst e i ch m i t
i hr aus kom m en, wä r e si e m i r z u
h ys t eri s c h.
Abe r
das
i st
Ges chm ackss ach e.
S ei t
fünf
J ahren ohne Arbei t . Hat si ch
wohl
i nz wi schen
an
d as
Faul enz en
gewöh nt .
W obei :
Vi el l ei cht i st si e ja t at sächl i ch
ei ne t al ent i ert e M al eri n. Nur
m üs s t e s i e m al ei n paar Bi l der
verkauf en, um d av on l eben z u
können."
"Trot z
i hres
bü hnenrei f en
Auft ri t t s bei uns verm i sse i ch
bei i hr di e echt e Trauer. Di e
bei den war en nur drei J ahre
verhei r at et . Ich ha t t e fast d en
Ei ndruck, al s sei di e Ehe
re gel r echt verm i t t el t worden. "
"Dur ch wen? "
"Dur ch di ese am e ri kani sche
Bapt i s t en gem ei nd e, der bei de
angehören - si e s chon i m m er
und er sei t er i n Darm st adt
arbei t et . "
"Na, wenn schon ! "
"Auf j eden Fal l e r schi en m i r
der Leb ensst i l des P aares ei ne
S pur z u aufwändi g. Nur ei ner
der bei den b racht e Gel d nach
Hause. "
"Er w ar doch was H öheres bei
di eser S oft wa refi rm a. Vi e l l ei cht
hat t e er ei n di ck es Gehal t ."
"W i r bräucht en E i nsi cht i n
sei ne Kont obew e gun gen. "
"Ve r gessen S i e 's! Das wi rd
Ihn en nach La ge der Di nge ni e
und ni m m er gen ehm i gt ."
"Al so, nehm en wi r m al an, er
hat si ch sel ber um gebr acht .
Dann sol l t e e r dafür ei nen
schwerwi e genden G rund geh abt
haben. R i cht i g? "
Zürn ni ckt e z ögernd .
"Und w as fi nden w i r daz u i n
sei nem
Abschi eds bri ef?
Nur
ei nen S at z : Ich sehe i n mei nem
L eben k ei nen Si nn mehr . Ni cht
sehr ori gi nel l . Oder ? "
"Kom m t
es
da bei
auf
Ori gi n al i t ät an? "
"Das i st kei ne B e gr ündung i n
m ei nen Augen. Das hät t e j eder
schre i ben könn en."
"Hät t e. H at aber n i cht . Laut
S purensi cherun g. "
4
D
as Grundst ück l a g m i t t en
i n der S t adt , nur weni ge
hundert
Met e r
vom
Zen t rum
ent f ernt .
Trot z dem
s t and es vol l er Bä um e. Di e
hat t en
al l e
dass el be
A l t er:
fünfz i g J ahre. Di e prächt i gen
Vi l l en
der
ei n st i gen
P aradens t raß e w are n bei ei nem
Bom benan gri ff
in
Trü m m er
gel e gt wo rd en. Ei ne hohe H eck e
st and noch ni cht so l a nge. S i e
sol l t e
den
Verkeh rsl ärm
ab schi rm en, t at d a s al l erdi ngs
nur ansat z wei se . Zur B IT C o.
gehö rt en
z wei
m i t ei nander
verbundene Häus er - das ei ne
fl ach, das ander e z wei st öcki g.
Aus S i cherhei t sgrün den war das
Ober ges choss
z usätz l i ch
erschl ossen
üb er
ei n e
abent eue rl i che
16
Lei t e rkonst rukt i on aus M et al l al l em
Anschei n
nach
p ro vi sori sch, z ugl ei ch penet rant
i ns
A u ge
spri n gend,
al so
verm ut l i ch doch al s Kunst werk
für di e Ewi gkei t b es t i m m t .
Al s Fr auke n ach i h rem f r ei en
Tag wi ed er
i n der
Fi rm a
ers chi en, schl u g i hr di e Unruh e
ent ge gen, di e der m yst e ri öse
Tod des Ax el Voss unt er den
Kol l egen
aus gel öst
hat t e.
Norm al es A rbei t en war kaum
m ögl i ch, wei l di e Gesprä che
i m m er wi ede r w e g von den
fachl i chen
Th em en
dort hi n
abdri ft et en. Di e pol i z ei l i chen
Erm i t t l ungen
ha t t en
di e
P hant asi e z usät z l i ch a n gehei z t .
(S el bst m ord? Nei n, das kann i ch
m i r ni cht vorst e l l e n. Aber wi e
s ol l er denn son st z u Tode
gekom m en sei n? Du gl aubst
doch
ni cht
erns t haft ,
dass
j em and ...)
Frauk e kam si ch vo r wi e bei m
S pi eßrut enl aufen.
Ob
di e
and eren
schon
von
i hre r
Vorl adun g wusst en ? Best i m m t !
Bei
B IT
C o.
wusst e
auf
geh ei m ni svol l e Wei se i m m er
j eder
al l es
vo m
ander en.
Gez wungen l äch el nd ni ckt e si e
i n al l e R i cht ungen, während si e
z u i hrem S chrei b t i sch schl i ch.
Di e Inn en gest a l t un g hat t e wohl
(wi e di e Auße nt re ppe) ei nem
avant gardi st i schen Archi t ekt en
al s Hüpfbur g gedi en t . Kei n Büro
gl i ch hi nsi cht l i ch Form und
Größe dem ande ren. Ohne Türen
gi n g ei n R aum i n den ande ren
über. Di e Gl i ed eru ng beso r gt en
ni edri ge
S chrä nk e,
m obi l e
W ände und m annshohe P fl anz en
i n Kübel n. De r K om pl ex bot
l edi gl i ch
ei nhu ndert z wanz i g
M i t arbei t ern P l at z , wi rkt e abe r,
al s könne m an si ch da ri n
verl auf en
wi e
in
ei ne r
äg ypt i sch en P yr am i de.
Das kam Frauk e e nt ge gen an
di esem
Vorm i t t a g.
In
der
Kaff eek üch e aber rannt e s i e
dann i hrem Kol l e ge n P et er Tac k
fast i n di e Arm e.
"Hal l of rauke ! Gut dassi c hdi ch t reffe. "
Da P et er ni cht nur ex t rem
schnel l sprach , so ndern auch
undeut l i ch, war e s ni e ganz
ei nfach, i hn z u vers t ehen. W enn
er si ch aufr e gt e, st e i gert en si ch
di e
Anforde run ge n
an
das
sel ek t i ve
Hören
aber
noc h
ei nm al e rhebl i ch.
"Est ut m i rwi rkl i chl ei d
wen ndum ei net we gen
schwi eri gke i t enb eko m m enhast ."
" Ic h hat t e überha upt kei ne
S chwi eri gkei t en. Da s war nur s o
ei ne Bef ra gun g. Ic h kenne i hn
j a schon von früh er he r. Di e
P ol i z ei hat si ch nach sei nem
Leb en i n der DDR e rkundi gt . "
"Dubi st m i rni cht böse we ge n m ei
neraussa ge? "
"Nei n, n ei n. W i rkl i ch ni cht ."
"Mi rbl i ebdoch garni cht sand er e
sübri g.
D asm i t derohrfei ge
habenj aw ahrsch ei nl i chauchn o ch
andere geseh en."
"W i e bi t t e? ... J a, j a. ... W i e
ges a gt : Ich bi n ni cht böse auf
di ch. Kei n P robl em ! "
Frauk e
an gel t e
si ch
ei n
bel e gt es
Bröt ch en
aus
der
Kühl vi t r i ne, fül l t e si ch hast i g
ei ne Tasse Ka ffe e ei n (bei des
großz ü gi g gesponsert von der
Fi rm a) und fl ücht et en z urück an
i hren
A rbei t spl a t z .
Doch
angesi cht s
der
offene n
Bürol ands chaft nut z t e i hr das
weni g. Von übe ral l her dran gen
Gesprä chsfet z en an i hr Ohr, di e
17
s i ch i rgendwi e auf Ax el Voss
bez ogen. R echt s vo n i hr raunt en
ge rade z wei Frau en ei nander z u,
das s er i m m er e i ne R ol l e
ges pi el t hab e, ni e aut h ent i sch
ge wes en sei . ( Und br achen j äh
ab, wei l m an j a über ei nen
Tot en ni cht s N e ga t i ves sa gen
darf.) W ährend si e di e E -Mai l s
des Vort a gs si cht et e , schwei ft en
i hre Gedanken i m m er wi eder ab .
( Ich kenn e i hn schon von früher
her ... sei n Leben i n der DDR ...
Doch: W as wusst e si e w i rkl i ch? )
F
Dort sol l t e di e Gruppe z um
erst en Mal z usa m m enko m m en.
S i e set z t e si ch und fand auf dem
Ti sch vor si ch ei ng e ri t z t ei n
schönes
R esul t at
phi l osophi scher
S el bst bet ra cht un g: Marx i st t ot ,
L eni n i st t ot und mi r i st auch
schon ganz übel .
Al s si ch der R aum l angsam
fül l t e, sah si e s i ch ei nm al
prü fend um . E rwa rt ungs gem äß
kam i hr ni em and bekannt vor.
S o t räum t e si e al so noch ei ne
Zei t l an g vor si ch h i n. Bi s H err
Ber ger e rschi en, d er künft i ge
Bet r euer
d er
G ruppe,
ei n
wi sse n schaft l i che r
Mi t arbei t er
der S ekt i on. Zi e m l i ch groß,
z i em l i ch kräft i g, Mi t t e der
Vi erz i ge r. Fr auke m usst e bei
sei nem Anbl i ck unw i l l kürl i ch an
ei ne S t raßenb auwa l z e denken.
W as
ni cht
nur
an
sei ne n
körperl i chen
Aus m aßen
l a g.
Dass si e R echt hat t e m i t i hrer
spont anen Ei nschät z ung, sol l t e
si ch bal d h erausst el l en.
Ber ger verkünd et e z unächst
ei ne
Unm en ge
von
In form at i onen.
( Vo rl esun gen,
Übungen, Mensa, Es sensm arken,
W oh nhei m ) Di e Ku gel sch rei be r
qual m t en. Ganz am S chl u s s
set z t e er noch ei ne FDJ Versam m l un g an - zur W ahl der
FDJ -Gruppenl ei t un g.
Da
er
deut l i ch über das FDJ -Al t er
hi naus war, gi ng i hn d as
rauke e ri nnert e si ch an den
Be gi nn d es S t udi um s. Der
ers t e Ta g. D as be rühm t e
Haupt gebäud e der Hu m bol dt Uni vers i t ät Unt er den Li nden .
Sie
war
in
e i ner
ganz
bes ond eren S t i m m ung und al l es,
was s i e sah, erfül l t e si e m i t
Ehrfurcht . Di e De nkm ä l er de r
Nam ens gebe r, di e den Ei n gan g
ge gen den Zut ri t t Unwü rdi ger
z u bewachen s ch ei nen . Di e
ri es i gen S äul en, wel che di e
Front fas s ade prä gen, ant i ken
Tem pel n
nach geb i l det .
Di e
vi el en
berü hm t en
P ers ö n l i chkei t en,
di e
hi er
gel ernt und gel eh rt haben. Doc h
neben Eh r furc ht e m pfand si e
auch S t ol z , denn si e gehört e j a
t at s ächl i ch
hi erh er
al s
recht m äßi g
ei n g es chri eb ene
S t uden t i n.
P aradox er W ei se fand si e
um s o m ehr z urück a uf di e Erd e,
j e höher si e i n nerhal b d es
Gebäudes s t i e g - bi s hi nauf i ns
obers t e S t ockw erk z ur S ekt i on
M at h em at i k. Aus dem C arl Fri edri ch -Ga uß -Hör saal
s t rö m t en l ärm end S t udent en i hr
ent ge gen und z wan gen si e, si ch
ganz an di e W and z u drücken.
Ei n bi s s chen wi e i n der S chul e
nach dem Läut en z ur Hofpause.
Di e
Num m er
auf
i hrem
Ei nl adungs bl at t fü hrt e si e z u
ei nem
kl e i nen,
et was
s chm uddel i gen
S em i narraum .
18
ei gen t l i ch ni cht s an. (Es sei
denn, er gi n g davo n aus , dass
i hn al l es et was an gi nge.) Doch
um di ese F ei nhei t küm m ert e
s i ch erst ei nm al ni em and. Hi er
droht e
una n geneh m e
Arbei t .
J eder gi n g i n De ck ung. Bi s auf
ei nen.
Udo Dahm s wa r ni cht nur
kl ei n wi e ei n Ei chhörnchen ,
s ondern auch ebe nso nervös.
Ir gendwi e schi en er bes t ändi g
auf d er Fl ucht - ge geb enenf al l s
auf de r Fl ucht na ch vorn. E r
m el det e si ch und er kl ärt e schon
m al vorsi cht shal ber , dass er für
ei ne
Funkt i on
ni cht
z ur
Verfü gun g
st ün de.
S ei ne
Ans prach e dau ert e gefühl t e z ehn
M i nut en
und
sol l t e
sei nen
Gewi ssen s konfl i kt
angesi cht s
s t reng
chri st l i cher
Verwurz el un g
b eschrei b en.
Ber ger f and das nach ei ne r
W ei l e ungeheue r k om i sch (al s
ei nz i ger i m R aum ) . In di esem
Au genbl i ck
war
ei ne
sehr
s pez i el l e B ez i ehung gebor en,
di e erhal t en bl i eb, sol ange bei de
m i t ei nander z u scha ffen ha t t en.
Frauk e sah si ch d a noch al s
Zus ch aueri n
ei nes
skurri l en
S t ücks i m Lai ent h eat er. Do ch
i hr S t at us sol l t e si ch ände rn.
Ei nen Vorsi t z enden für di e neu e
FDJ - Lei t ung z u fi n den, e r wi es
s i ch
erw art un gs gem äß
al s
s chwi eri g. C hroni scher Man gel
an Kandi dat en. D och B er ge r
bewi es z um erst en, aber ni cht
z um l et zt en Mal se i nen fei n en
S i nn für P ra gm at i sm us.
"F räul ei n Baum ann, wi e wär e
es denn m i t Ihnen ? S i e haben
doch schon Erf ah rungen auf
di es em Gebi et . "
Frauk e bl i eb di e Luft we g.
W i e kam di eser Kerl daz u, si e
ei nfach so vorz usc hl agen? Und
woher wusst e er, da ss si e i n der
S chul e
schon
ei nm al
FDJ S ekret äri n gewese n war? S i e
spürt e, wi e al l e Bl i cke si ch auf
si e
ri cht et en
und
war
gl ei chz e i t i g
mit
z wei erl ei
beschäft i gt : dem Kam pf darum ,
ni cht rot z u werd en, und de r
S uche nach e i ner passenden
Ausrede. Let z t l i ch schei t ert e s i e
an bei den F ront en. S i e hat t e i n
si ch z u vi el Ei nsi cht i n di e
Not wendi gk ei t .
(E rst ens:
Es
muss ei nen FDJ -S ekret är geb en.
Zw ei t ens: Ei ner mus s si ch berei t
erkl är en. Dri t t ens: W arum ni cht
i ch ? )
Ax el Voss hat t e noch z wei
Monat e bei de r NV A z u di enen
und
nahm
an
d en
bei den
den k würdi gen
Ve r sam m l ungen
ni cht
t ei l .
Aber
di e
P rot agoni st en
de r
spät e ren
C haoskom ödi e um s e i ne P erson,
di e waren s chon m i t t en dabei
und
z war
b er ei t s
in
den
passenden R ol l en.
Auch si eben Monat e spät er
hat t e
Frauk e
noch
ni cht s
ei ng ebüßt
vo n
i hrer
anfän gl i chen
B egei st erun g.
Mat hem at i keri n w ar für si e n ach
wi e
vor
ei n
Trau m beru f.
Ungeacht et dessen m erkt e s i e
aber
auch,
d ass
si e
di e
An forde run gen
z um
Tei l
unt erschät z t
hat t e.
W i eder
ei nm al wurde si e m i t der Nas e
auf di e Tat sa che ge st oßen, das s
i hr ni e et w as ei nfa ch so z ufi el ,
dass
si e
si ch
al l es
hart
erarb ei t en m us s t e. In di es er
P hase konnt e si e di e z usät z l i che
Bel ast un g du rch di e Funkt i on i n
der
FDJ
übe rhaupt
ni cht
geb rauch en. Doch da si e si ch
nun ei nm al hat t e wähl en l assen,
19
vers ucht e
si e ,
si ch
durchz ubei ßen.
Dam al s sah si e Ax el Voss z um
ers t en M al . W ei l i hm sei n
drei j ähri ger Arm ee di enst kei ne
Nacht ei l e bri n gen durft e, hat t e
er das e rst e S em es t er i n ei ner
bes onderen
S e m i nargruppe
v erbra cht
mit
ei nem
ang epas s t en S t udi enpl an und
ei ner et w as l ei cht e ren P rüfun g
am S chl uss. Nun wechsel t e er i n
den norm al en S t udi enbet ri eb.
Frauk e eri nne rt e si ch an ei nen
durchaus ansehnl i c hen j ungen
M ann.
Brei t schul t ri g.
Bl aue
Augen, di e ohne s e i n Hi nz ut un
(und wohl sogar ohne sei nen
W i l l en)
st rahl t en.
M i t t el bl ondes, l ock i ges Haa r.
Doch
sie
war
ni cht
auf
P art ners cha ft aus, schon gar
ni cht i n di esen für si e so
kri t i s chen
W ochen.
Sie
i gnori e rt e i hn.
W enn i hr j em and auffi el i n
der S em i nar gruppe, dann Udo
Dahm s ,
wei l
dessen
unber ech enba re R e akt i onen i hr
di e
u n gel i ebt e
FDJ -Arbei t
z us ät z li ch
erschw ert en.
Bei
al l em Ve rst ändni s für sei nen
Gl auben f and si e i hn oft
aus ges proch en
al bern.
Al l erdi ngs v erhi el t si e si ch i hm
ge genüber t rot z dem ni em al s so
verl et z end, wi e B e r ge r d as t at .
Im m e rhi n
m usst e
si e
i hm
z ubi l l i gen, dass er Tal ent besaß.
Fachl i ch
wa r
er
i hr
kl ar
ü b erl e gen.
Al s i m S ept em ber 1985 das
dri t t e S em est er begann, hat t e
Frauk e ni cht nur auf de n
Gebi et en Al gebra u nd Anal ysi s
ei n i ges daz ugel ern t , si e l i eß
s i ch
i nz wi schen
auch
von
Ber ger ni cht m ehr ei nfach so
überro l l en. S i e war z war bei den
P rü fungen
im
S om m er
gl i m pfl i ch
davo ngekom m en ,
doch
m i t t e l m äßi ge
Zensuren
ent sprach en ei nfach ni cht i hren
Ansprüchen. S i e w ei gert e si ch,
noch ei nm al i n de r FDJ - Lei t ung
m i t z uarbe i t en, ega l al s was.
Erpressun g s ve rsuch e z weckl os.
Zu i hr er Übe rras ch ung bek am
si e
bei
der
fol gend en
Versam m l un g
t rot z
i hrer
R eni t enz
kei ne
Haupt rol l e
z uget ei l t . Es gab j e m anden, der
si ch nach i hrem P ost en ge radez u
drän gt e. Al l e rdi n gs gal t das
Ar gu m ent , das si e vor gebr acht
hat t e, um i hn abz ugeb en, für
den neuen K andi d at en i n v i el
st ärkerem Maß e - was Zw ei fel
an sei ner Ei gnun g aufkom m en
l i eß. Dass Ax el Voss durch
sei nen drei j äh ri gen Arm e edi enst
di e erst en W ochen i m S t udi um
versäum t
hat t e,
t äuscht e
spät e s t ens i m Mai ni cht m ehr
darüber hi nw e g, das s er fachl i ch
kei ne
Leu cht e
war.
S ei n e
Lei st un gen st abi l i si ert en si ch
ni cht . Im Ge ge nt ei l . Dass er das
Manko dann du r ch st ram m e
Lo yal i t ät
z ur
so z i al i s t i schen
Hei m at
ausz ugl ei chen
si ch
bem üht e, erschi en ni cht nur
Frauk e
höchst
durchsi cht i g.
Aber der Tri ck f unkt i oni ert e.
Bei d en m ündl i che n P rüfun gen
best and er ni cht nur, er schni t t
soga r verbl üf fend gut ab.
Di e Grupp e st e ckt e nun i n
ei nem
Di l em m a.
Ei nersei t s
wol l t e i hn aus P ri nz i p ni em and
wähl en.
And ere rs ei t s
wol l t e
ni em and an s ei ne S t el l e t ret en.
S o kam
ei nm al
m ehr de r
pra gm at i sche Her r Be r g er z u
ei nem l ei cht en S i e g. Herr Voss
wi rd gewähl t und bast a. Di es
20
war
gewi sse rm a ßen
der
Kom ödi e erst er Ak t . Oder w ar
es ei n Dr am a? Udo Dahm s (de r
grunds ät z l i ch al l es ernst nahm )
em pfand
es
s pät er
so.
Al l erdi ngs kam auc h für Frauk e
i rgend wann de r Ze i t punkt , von
dem an si e da rüber ni cht m ehr
l achen konnt e.
A
P roz ent -Ergebni sse.
Doch
wei t er unt en, dort wo ni e ei n
R eport e
sei n
Mi krofon
hi nei ngeh al t en hat , da spi el t e
si ch
m anchm al
durc haus
Bem e rkensw ert es ab . Zum i ndes t
aus F raukes Bl i ck wi nkel wa r
das so. (W as s el bst verst ändl i ch
ei n Zu fal l sei n k an n.) W äre s i e
noch wei t e r z urück gegan gen m i t
i hren Eri nnerun gen , wären i hr
noch
ei ne
R ei h e
wei t er er
den k würdi ger W ahl en b e ge gn et
(i n ei ner Zei t , al s es noch ei ne
Ehre w ar, z u kandi d i eren). Doch
das hat t e ni cht s m ehr m i t Ax el
Voss z u t un. Das war schon
wi eder
ei ne
ga nz
andere
Geschi cht e.
uf dem Moni t or m el det e
si ch Mi crosoft O ut l ook
und kündi gt e den B egi nn
ei nes Meet i ngs i n fünfz ehn
M i nut en an. Di e Proj ekt l ei t ung
hat t e si ch ent sc hl ossen, i n
Vorl ei st ung z u g e hen. Wenn
der neue Auftrag k äme,
drohten Termine, die (wie
immer) normalerweise fast
nicht zu halten wären.
Frauk es
W est kol l egen
gl au b t en, i n d er D DR hät t e es
ni em al s ei ne bed eu t sam e W ahl
ge geben. Von we gen! Nun j a,
auf pol i t i scher Eb e ne m ocht e es
s t i m m en. Di e al ternat i vl osen
Kand i dat en
d er
Nat i onal en
Front . Di e u nv erm e i dl i chen 99 -
5
T
raut enbe r g
hat t e
den
Ant ra g au f Üb erp rüfun g
der Kont endat en de s Ax el
Vos s t at sächl i ch ei n g er ei cht .
Doch er w ar R e al i st genu g, um
z u wi ssen, dass dabei nur ei ne
Abl ehnung
he rauskom m en
k o nn t e. Er hat t e noch ei nm al i n
R uhe über den F al l nach ged acht
und am Ende se inem P art ner
Zürn
R echt
ge geben.
Di e
ei nz i ge T odesurs ac he, di e si ch
s eri ös b e gründen l i eß, war
S ui z i d. Al l es andere g ehört e i ns
R ei ch der S pek u l at i on, al so
ni cht
in
di e
P ol i z ei arbei t .
Außerdem nahm ei n neuer Fal l
sei ne ganz e Au fm e rksam kei t i n
Anspruch: ei n ei nd eut i ge r (ab er
des hal b noch l an ge ni cht l ei cht
aufz ukl äre nde r) Mo rd aus dem
Ber ei ch
der
organi si ert en
Kri m i nal i t ät .
Doch abe rm al s we ndet e si ch
das Bl at t . Tr aut enbe rg und Zü rn
schreckt en gl ei ch z ei t i g hoch
durch ei n e S t i m m e, di e i hnen
nur al l z u gut beka nnt vorkam .
Granni n ger red et e st ändi g und
z war st et s so l aut , al s wär e e r
di e wi ch t i gst e P ers on auf dem
P l anet en - w as e r vi el l ei cht
21
s o ga r z u sei n gl au bt e . Er t ru g
ei ne
Hornbri l l e,
di e
so
al t m odi s ch war, da ss si e schon
wi eder
na ch
Desi gn erst i l
aus s ah. Dahi nt e r h uscht en z wei
Augen hi n und her, dene n
ni cht s , aber auch gar ni cht s
ent gi n g. D er Man n, der si ch
ge rade Zu gan g z um Büro de r
bei den
Haup t kom m i s sare
vers cha fft e
h at t e,
war
J ourn al i s t , spez i al i si ert auf S ex
and
C ri m e.
Er
t ri eb
sei n
Unwes en m i t vi el Kont i nui t ät
für
ei n
h a l bes
Dut z end
ei ns chl ä gi ger W urst bl ät t er.
"W i s s en S i e ei gen t l i ch, wi e
s chwer
es
i st ,
zu
Ihnen
durchz udri ngen? "
Offens i cht l i ch ni c ht schwer
genu g, d acht e T raut enber g.
" Ic h konnt e di esen T ypen
ni cht ernst nehm en. Der kom m t
rei n, knal l t m i r ei ne ni cht s
s agende Nam ensl i s t e auf den
S chrei bt i sch und fasel t et was
über e i ne S a che v on höchst er
pol i t i s cher B ri sanz . Dann hol t
er ei n hal bes Dut z end m i serab el
kopi ert e S ei t en Te x t i n ei ner
ex o t i s chen S prache heraus. Er
behaupt et , den Inh al t gen au z u
kennen, i st aber ni cht i n der
La ge, i hn m i r wört l i ch z u
übers e t z en. Ic h hö r e noch was
von DDR und S t asi , dann
kl appen si ch m i r di e Ohren z u.
Aut om at i sch.
Das
i st
S el bs t s chut z . S i e gl auben j a
ni cht , was für S chwachsi nn
uns erei ner so j ed en Ta g z u
hören bekom m t . Di e wo l l en
doch al l e i n di e Zei t ung. S i nd
ri cht i g gei l drauf. Bei di esem
s pez i el l en T yp en kam noch
daz u, das s er off en bar dri n gend
Gel d brau cht e. Nach j ed em
dri t t en S at z fragt e er, was für
i hn herausspri n gt . Al so, i ch
bi t t e S i e! Da war fü r m i ch doch
al l es kl ar: Ei n S pi nner, di e si ch
i n ei ner schl afl osen Nacht ei ne
ab st ruse Vers chwö rungst heo ri e
aus den Fi n gern ge nuckel t hat .
Di esen kom i schen Tex t fand er
wahrsch ei nl i ch
auf
dem
Ei nw i ckel papi er i n ei nem Asi a Markt . Na j a, ei nes Tages hab e
i ch i hm erkl ärt : 'H e Mann, di e
S t or y können S i e Ihrem Doc i n
der P s ychi at ri e e r z ähl en. Für
m i ch i st das der t ot al e Bul l shi t .
S i e kri e gen d afür kei n G el d.
Kei nen
P f enni g.
S chm i nken
S i e's si ch ab! ' Nun a l l erdi ngs i st
er t ot und i ch frage m i ch, ob i ch
i hm ni cht hät t e doch ei n
bi s s chen m ehr au f den Zahn
fühl en so l l en. Vi el l ei cht i st
doch
was
d ran
an
sei ne r
Verschwö run g und j em and hat
i hn abm urksen l ass en. S i e si nd
von der Mordkom m i s si o n. Ni cht
wahr?
Haben
Sie
ei nen
ko nkret en V erda cht ? "
"W ovon
reden
wi r
hi er
überhaupt ? "
"De r Fal l Ax el Vos s. Na, nun
t un S i e doch ni cht so!"
"W i r geh en von S el bst m ord
aus
und
h aben
den
Fal l
prakt i sch schon ab ges chl ossen.
S i e sa gt en do ch a uch ge rade,
dass Her r Voss i n ei nem
desol at en ps yc hi sc hen Zust and
war. "
"Ganz so habe i ch das ni cht
gem ei nt . Mi r ers chi en sei ne
Geschi cht e
abwe gi g.
Da rum
nahm i ch i hn dam al s ni cht ernst .
Aber wenn er nun R echt hat t e?
W er verfol gt wi rd und um sei n
Leb en fürcht et , i st auch i n
ei nem des o l at en ps ychi schen
Zust and. Ni cht wahr ? "
22
"W i e i ch schon sagt e: Der Fal l
i s t abges chl ossen un d wi r ..."
"Abe r nei n! Vi el l ei c ht war der
Fal l vor fünf Mi nut en noch
ab geschl ossen.
J et z t
i st
er
wi eder of fen, denn Ihn en l i e gt
ei ne Zeu genau s s a ge vor, di e
völ l i g neu e Asp ekt e i ns S pi el
bri ngt . "
"W as für ei ne Zeu ga ussage? "
"Mei ne n at ürl i ch. Ich best ehe
darauf, dass m ei ne Aussa ge
offi z i el l z u P rot okoll genom m en
wi rd."
"Al so gut . Mei n Kol l ege,
Haupt kom m i ssar Zü rn, wi rd si ch
ans chl i eßend
mit
Ihn en
z us am m enset z en ."
"Al s Dank für m ei ne Hi l fe
werden S i e m i ch do ch si cherl i ch
auf dem Lauf enden hal t en. S o
ganz
unbürok rat i sch.
Sie
v ers t ehen? "
"Den Teu fel w erde i ch t un!
S i e werden wei t e rhi n schön auf
di e
offi z i el l en
P res sem i t t ei l u n gen wart en. Und
j et z t darf i ch S i e bi t t e n, i m
R aum 315 P l at z z u nehm en.
Herr Zürn wi rd i n Kürz e
nachkom m en. "
"Aus gez ei chn et ! W i r bl ei ben
al s o i n Verbi ndun g! "
Dann verl i eß e r den R aum und
Traut enbe r g schi ckt e i hm e i nen
t i efen S eufz er na ch.
"De r Ke rl hört überhaupt
ni cht z u. Der i st wi e P est und
C hol era. Aber w a s er sagt ,
dürft e st i m m en."
"S ei ne
S chl ussf ol gerun gen
si nd ni cht z wi ngend . Dass Vos s
m i t se i nem Gel d ni cht auskam ,
haben
Sie
sch on
vorher
verm u t et . Das ha t si ch nun
best ät i gt .
Di e
R äuberpi st ol e
sol l t e i hn re t t en. Al s das dann
auch schi e f ge g an ge n i st , war e r
am Ende der F ahnenst an ge.
S el bst m ord i n ei ner fi nanz i el l en
Kri se. Völ l i g pl ausi bel ."
" Im Abs chi edsbri e f fehl t abe r
j eder
Hi nw ei s
auf
di e
fi nanz i e l l e
La ge.
Vos s
unt erni m m t
ke i nen
Versuch ,
sei ne S i t uat i on z u beschöni gen
oder z u ent schul d i gen. Das wä re
norm al bei
Ihr e m Ansat z ."
Traut e n be r g bl i ckt e kurz aus
dem
Fenst er, u m
si ch z u
sam m el n. "D er F al l darf noch
ni cht
ges chl ossen
werden ",
erkl ärt e
er
dann
mit
Ent schi ede nhei t . " Nehm en S i e
Granni n gers Aussa ge auf! Dam i t
geh e
i ch
d ann
z um
S t aat sa n wal t ."
"Und di es e Ma fi a - Geschi cht e
..."
"Kl a r! Di e beh äl t di e höchs t e
P ri o. Aber d er Fal l Voss i st für
m ei nen
Ges ch m ack
zu
m yst er i ös, um i hn so i m S ande
verl a u f en z u l assen. W er wei ß,
wel che Üb err aschu ngen uns i n
di esem
Zusam m en hang
no ch
erwa rt en. "
6
F
rau ke w ar m i t t en dabei ,
das
Ab endbrot
z uz ubere i t en, al s j em and
an der Haust ür kl i ngel t e. S i e
drückt e auf den Knopf z um
Öffnen, s et z t e ei n gri m m i ges
Gesi cht auf und b ere i t et e si ch
vor auf di e Ab wehr ei nes
23
Vert ret ers. ( Das ko nnt e si e gut .
Drei M i n ut en genü gt en i n der
R egel . ) Doch d an n st and ei n
Bekan nt er vo r i hr: der Mann
vom P räs i di um . Wi e hi eß er
doch gl ei ch ? Al s Verst ärkun g
hat t e e r j em a n d en m i t gebra cht ,
der
gri m m i ge
Gesi cht er
au fs et z en
ebenf al l s
gut
beherrs cht e. W i e i m m er, wenn
et was
völ l i g
Une rw art et es
ges chah, wurd e si e erst ei nm al
s ehr ne rvös.
"Gut en Abend ... äh ... Ich
wol l t e ge rade ... "
"Gut en Abend, F rau Baum ann!
Dürfen wi r r ei nkom m en? Kei ne
S orge ! Nur ei n p aar Fra gen und
s chon s i nd wi r wi ed er we g. "
S i e gab kl ei nl aut den W eg
frei . (Ei gent l i ch w ol l t e si e bei
der
nä chst en
Vernehm un g
s o u verän auft ret en. Theori e und
P rax i s !) Al l es gi ng daneben an
di es em Abend. Di e Tür z um
kl ei nen
Zi m m er
st and
s perra n gel wei t offe n, so dass
di e Beam t en ei nen l angen Bl i ck
auf
di e
Tapet e
mit
i hren
Überl e gu n ge n we rf en konnt en.
Nun wus s t en si e al so, dass si e
s i ch m i t der S ache befasst e .
War um t at si e da s, w enn si e
ni cht s dami t zu schaf f en hat t e,
w i e s i e b ehaupt et e ?
"Vi el l ei cht set z en wi r uns i ns
W ohnz im m er. W art en S i e! Ic h
geh e vor. "
W enn di e P ol i zi st en si e bi s
hi erher v erfol gt en und dann
noch z u z wei t kam en, dann gal t
s i e ga rant i ert al s Verdä cht i ge.
Da m ocht en di e bei den i hr
erz ähl en, was si e w ol l en.
Traut enbe r g set z t e si ch i hr am
Ti s ch di rekt ge ge nüber. S ei n
Kol l ege rückt e m i t dem S t uhl
ei n S t ück bei sei t e, so dass er si e
beobacht en konnt e, ohne dass
si e i hn i m Bl i ck ha t t e.
"Uns i nt er essi ert , was Her r
Voss i n Ihre r Ta sche fi nden
wol l t e,
al s
Sie
i hn
so
schwun gvol l i n di e S chrank en
ge wi esen h a ben. "
"Das wei ß i ch wi rkl i ch ni cht ."
"S i e haben si ch doc h best i m m t
Gedanken darüb er gem acht . W as
i st Ihnen d abei ei n gefal l en? "
"Al so, i ch gl aub e kaum , dass
er
au f
et was
m at eri el l
W ert vo l l es aus war. Dafür gäb e
es be s ser e Opf er. Ich besi t z e
ni cht s, was ander e ni cht auch
haben - was wi ed er um j eder i n
der Fi rm a wei ß. "
"Das b edeut et ? "
"Na
j a.
Al s
i ch
i hn
überras c h t e, hi el t e r ei nen von
m ei nen Eckspa n n e rn i n der
Hand. Ich h abe ge rn Ordnung i n
m ei nen S achen, m üssen S i e
wi ssen. W i l l i ch zum Bei spi el
nach de r Arb ei t bei m ei ner Bank
et was erl edi gen, packe i ch
Zuhaus e a l l es z usam m en, was
i ch dafür br auche. Manchm al
benut z e i ch das Fi rm ent el efon,
um et was auf dem kurz en W eg
z u kl ären. D as gi l t bei B IT C o.
ni cht al s V e rbr e chen. Aber
korrekt i st es n at ürl i ch auch
ni cht . Ei ne Grauz on e. Voss war
m ei n C hef und k onnt e m i ch
ni cht l ei den. Vi e l l ei cht wol l t e
er m i r et w as anhän gen."
"Di e
Ohr fei ge
wäre
ei n
au s rei ch ender G run d gew esen,
ei ne fri st l ose Künd i gun g ge gen
S i e z u erwi rken. S t at t dessen hat
er
di e
A ngel e ge nhei t
verschwi e gen und S i e dam i t
ge wi s serm aß en
in
S chut z
genom m en. "
24
"J a, das i st ri cht i g. Aber i ch
kann
Ihnen
k ei ne
besse re
Theori e a nbi et en. "
"Gut . Lass en wi r es dabei
bewenden ! Ist Ihn e n i n j ünge rer
Ver gan genhei t sonst noch et was
M erkwürdi ges
wi derfah ren?
Ir gendet w as,
das
Sie
si ch
ebenso w eni g e rkl ä ren könn en?
Füh l en
Sie
si ch
m anchm al
verfol gt ? "
S i e bl i ckt e i hn s o perpl ex an,
al s hät t e e r si e nach ei n em
Kon t akt
mit
Außeri rdi schen
befra gt .
" Ic h gl aub e, S i e haben ei ne
völ l i g fal sche Vor st el l ung von
m i r.
Ich
bi n
ei n
t ot al
l angw ei l i ger
T yp .
D er
S chrecken
j edes
Kl at schm a gaz i ns, wenn es denn
angewi esen wär e au f ei ne S t o r y
von m i r."
"Abe r F rau Baum ann! Das
gi bt es doch gar ni cht . D as
Leb en bri n gt Höhen und Ti efen
m i t si ch - bei j edem Menschen.
Den ken S i e bi t t e m a l nach! "
S i e dacht e m al na ch .
"Das J ahr 1991. D a s i st z war
kei ne j üngere V e rgan genhei t ,
aber das könnt e nach Ih rem
Ges chm ack sei n. E rst habe i ch
den J ob verl oren, dann bi n i ch
m i t dem Aut o verun gl ückt , d ann
i s t m i r bei nahe ei n Engel au f
den
Kopf
gef al l en
und
s chl i e ßl i ch
haben
Vandal en
m ei ne W ohnung ver wüst et ."
J etz t war es an Tr aut enber g,
verbl üfft
dr ei nz uschauen.
Frau k e wi ede rum genoss es,
das s i m Gespräc h m i t i hm
endl i ch
ei nm al
das
Überr aschun gsm om e nt auf i hrer
S ei t e l ag.
"S i e
wol l t en
do ch
et was
Au ßer ge wöhnl i ches
von
mir
hören ",
er gän z t e
si e,
verschm i t z t l ächel nd. "D a habe n
S i e es. Und das si nd al l es
Tat sachen. "
"Mom ent ,
Mom e nt !
Das
m ü s sen wi r m al sort i eren. "
"Das m i t dem J ob i st bei uns
im
Ost en
ei gent l i ch
ni cht s
Besonde rs." (S i e sa gt e wi rkl i ch:
bei uns ) "Mei n i n ei ne Gm bH
um gew andel t er VE B i st P l ei t e
ge gan gen. "
"Das kom m t so ähnl i ch bei
uns i m W est en auch vor. "
Frauk e spürt e di e k l ei ne S pi t z e
und nahm si ch vo r, i hre W ort e
bes ser abz uwä gen. "W ei t er! De r
Aut ounfal l ? "
"Mei n u ral t er Tra bi hat bei
Tem po
Hunde rt
den
Gei s t
au f ge geb en. "
" Bei Tem po Hund ert ? "
" Ic h hat t e den T ach o i m Auge.
Norm al erw ei se sch a fft e de r al t e
Knabe di ese Mark e ga r ni cht
m ehr. Der w ar wi rkl i ch kurz vor
dem Ause i nande rfal l en."
"An j enem T a g w ar es al s o
sowei t? "
"R i cht i g. Di e B rem sen hab en
versa gt . D as Bl ö dest e, was
pas si eren konnt e. E s gab ei nen
S chl ag und i ch wusst e, dass i ch
ei n P robl em ha t t e. Zum Gl ück
bi n i ch ei ne z i em l i ch gut e
Fahr eri n. " S i e wart et e (l ei cht
ag gressi onsber ei t ,
di e
gut en
Vorsät z e
schon
wi eder
ver gessend )
ob
der
Haupt kom m i ssar da s anz we i fel n
würde.
T at
er
ni cht .
Sie
vol l endet e:
" Ic h
hat t e
di e
ri cht i gen R e fl ex e und bi n ers t
an ei ne r Mau er g el a ndet , al s i ch
nur noch kn app d rei ßi g drau f
hat t e."
"Nun d er En gel . W i e m ei nen
S i e denn das ? "
25
"J edenfal l s
ni cht
rel i gi ös.
M ei ner
w ar
au sgesp rochen
i rd i s cher Art . Er konnt e auch
t rot z Fl ügel n nu r i n ei ne
R i cht ung fl i e gen, n äm l i ch vom
Dach e i nes Ha us es auf di e
S t raße. U n gefäh r z wei Met er
vor m ei ne Füß e. "
" Is t de r Vor fal l unt ersucht
worden? "
"Na kl ar ! Es gab W i rbel ohne
Ende. Der Besi t z er hät t e di ese
kom i s chen P ut t en an sei nem
m aroden H aus si ch ern m üssen.
W äre m i r et was z ugest oßen,
wäre er i n den Kn a s t gew andert .
Ic h bi n ni c ht ra ffi ni ert genu g.
Er hät t e m i r wah rs chei nl i ch bi s
ans
Lebens end e
Gel d
überwi es en, nur d a m i t i ch m i t
der S t or y ni cht z ur Bi l d - Zei t un g
geh e. "
"Al s o ei ndeut i g ei n Unfal l ? "
"J a, s i cher. Es war sehr
wi n di g an dem Ta g. Fast schon
ei n S t urm . Das ha t di e Fi gur
vom Dach gewi rbel t ."
"Gut .
Bl ei ben
noch
di e
Vand al en. "
"Daz u gi bt es ni cht vi el z u
s agen. Ir gendwel ch e T ypen si nd
in
m ei ne
W ohnung
ei ngebroch en,
hab en
di vers e
S chwei nere i en hi nt erl assen und
s i nd wi eder ge gan ge n."
"Es wurd e ni cht s g e st ohl en? "
"S o
gut
wi e
ni cht s.
Kl ei ni gkei t en,
ei n
bi sschen
Bar gel d. Di e P ol i z ei verm ut et e,
es gi n g von vornhe rei n nur um
Bar gel d. W ei l di e Ei nbrech er
ni cht
ei nm al
fü nfz i g
Mark
fanden, h aben si e si ch durch di e
S chm i ererei en
ge rächt .
Das
kom m t
ange b l i ch
oft
vor.
Let z t l i ch l i eß si ch al l es wi eder
rel at i v
schnel l
in
Or dnung
bri ngen. D er m at eri el l e S chaden
war wi rkl i ch ni cht groß. Dass
sol che T ypen si ch i n m ei nen
ei genen
vi e r
W änden
herum get ri eb en ha ben, m usst e
i ch nat ürl i ch verdau en. Ich ha t t e
wochenl an g
Al pt räu m e
desw e gen. "
"Das k ann i ch gut verst ehen.
Haben
Sie
si ch
ps ychot h erap e ut i sch behand el n
l assen? "
" Ic h hal t e ni cht vi el von
di esen S eel enkl em p nern. "
"Hat m an di e Tät e r ge fasst ? "
"Ach
was!
Ei n
P ol i zi st
behaupt et e,
das
wären
rum äni sche Zi geun er ge wesen.
Er wü rde si ch da auskennen.
Nach m e i nem Ei ndruck war e r
ei n bi s schen re cht sl ast i g. "
"S i e denken, dass es andere
Tät er w aren? "
"Kei n e
Ahnun g.
Di e
S chm i ererei en an den W änden
waren j eden fal l s En gl i sch: Fu ck
yo u sel f und so."
"Gut . D ann wi l l i ch S i e ni cht
l änger an Ihrem wo hl verdi ent en
Abendbrot hi nde rn. " E r kl appt e
sei n Not i z heft z u. " Ic h dank e
Ihn en
für
Ihre
Auskünft e!
Vi el l ei cht
hel fen
si e
uns
wei t er. "
Mi t sei nem P art ner sprach
Traut enbe r g erst wi eder, al s
bei de i m A ut o saßen .
" Bem erk enswe rt , da ss si e si ch
m i t Vo ss befasst !"
"J a,
das
i st
mir
auch
auf gef a l l en. "
"S i e
hat
Vos s
ni cht
um ge br acht . Da b i n i ch m i r
si cher. Aber si e w ei ß et was, das
vi el l ei cht m i t sei ne m Tod z u t un
hat . Da bi n i ch m i r auch si cher.
Mögl i che rwei se i st si e so ga r
sel ber i n Gef ahr. W as hal t en S i e
von di eser Un gl ücks seri e? "
26
"S o et was kom m t vor, ohne
das s et was dahi nt er st eckt .
M anche Me ns chen z i ehen das
Unhei l
förm l i ch
an.
Das
wi derspri cht o ft j eder Lo gi k.
P ech, S chi cksal , ungl ückl i ch e
Verket t un g von Zu fäl l en. 1991
i st l a nge h er. Ich gl aube ni cht ,
dass das m i t unserem Fal l
z usam m enhängen k a nn."
"J a. Das i st ri cht i g. Ei n weni g
S orgen
m ache
i ch
mir
t rot z dem ."
7
N
achdem di e P ol i z i st en
ge gan gen wa ren, fühl t e
Frauk e si ch m i nde s t ens
ebenso p ani sch wi e na ch de r
Vernehm un g i m P r äsi di um . Ei n
neuer b eu n ruh i gend er G edank e
hat t e
si ch
ei nges chl i chen,
s ug ge ri ert du rch Traut enbe r g.
Konnt e es sei n, d a ss Gan gst er
s i e ve rfol gt en, ohn e dass si e es
m erkt e? Absurde Vorst e l l ung!
S i e dacht e an den groß en
Bl o n den m i t d em schwa rz en
S chuh, fand den Ve r gl ei ch
al l erdi ngs ni c ht wi r kl i ch l ust i g
i n di esem Mom ent .
S i e war dopp el t v orbel ast et :
al s
Ossi
und
al s
P rogr am m i er eri n. D a kam ei ne
M enge an N a i vi t ät z usam m en.
W ährend
si e
in
i hrem
M au l wurfsbau ho c kt e und an
C om put ern
her um we rkel t e,
pas s i ert en dort d raußen (i n
ei ner für si e r ei chl i ch fre m den
W el t ) Di nge, von denen si e
k ei ne Ahnun g hat t e. W ar es al so
doch ei n Fehl er, i n den W est en
z u z i ehen? Vi el l ei cht . Hat t e si e
s ei nerz ei t ei ne Al t ernat i ve? Na
j a, ei ne gut e j ed e n fa l l s ni cht .
"Auße rdem i st das al l es nur
Ei nbi l dung", erkl ä r t e si e dem
Ferns ehbi l dschi rm ,
auf
d em
ge rade
ei n
h ype rakt i ver
M oderat or
ei ne
Unt erha l t un gsshow l ei t et e. " Das
m ei st e , was m i r hi er pa s si er en
kann, droht m i r d rüben genau
so."
Es fi el i hr schwer , aber si e
m usst e si ch l angs a m l ösen von
der Vo rst el l ung, dass es di e
Grenz e noch i r ge ndwi e gä be.
Das neue R e cht ss ys t em , das i hr
ni cht ei nl eucht et e, gal t hi er wi e
dort . Di e Kri m i nel l en t ri eben
i hr Unwesen, wo l ei cht e B eut e
l ockt e - bundeswei t . Es war für
Frauk e l et z t l i ch ei ne rl ei , wo s i e
wohnt e.
S i e beendet e i hr Abendbrot ,
schal t et e den F erns eher ab und
nahm
si ch
w i eder
di e
Tapet e nbahn i m kl e i nen Zi m m er
vor. Es gab noch vi el e wei ße
Fl eck en: Ei nl adun gen, wei t e re
Gedanken z u ent wi ckel n. S i e
war no ch z u se hr an d er
Oberfl ä che.
Was h. A.V. g esucht ?
 Völ l i g unkl ar
Besi t zt F.B. et w as, d. A.V.
braucht?
 N ei n
Besi t zt F.B. überh aupt et w as
Außergew öhnl i ches ?
 N ei n (P unkt )
S i e seufz t e, wei l si e abe rm al s
ni cht vorankam , wa ndt e si ch ab
von der Tapet enbah n und wol l t e
z um Fenst er gehen. Auf h al bem
27
W eg ab er bl i eb si e wi e vom
Bl i t z get roffen st e hen, kehrt e
um und s chri eb:
 Doch (Ausruf ez ei chen)
M i t drei schnel l en S chri t t en
errei cht e si e ei ne n S chrank,
öffnet e z i el st rebi g di e Tür oben
recht s
und
förd ert e
ei nen
Ak t enordner z ut a ge . Den t ru g
s i e z u i hrem S chrei bt i sch und
bl ät t ert e
da ri n.
S el t sam e
Zei chen,
Buchs t abenket t en,
Zahl enkol o nnen.
Auf ges ch ri eben
mit
vi el
S orgf al t und Fl ei ß. S ei t e um
S ei t e. Di e si ch verände rnde
S chri ft d okum ent i er t e, über wi e
vi el e
J ahre
hi nwe g
di e
Bem ühun gen
si ch
e rst reckt
hat t en und wi e wei t si e z urück
rei cht en i n i h rem Le b en. Do ch
ni cht s auf al l di esen S ei t en
er gab auf den erst en Bl i ck ei nen
S i nn. Über di esen erst en Bl i ck
aber
w ar
si e
ni e
hi naus ge kom m en.
Gehä s si g
bet racht et : di e C h roni k ei nes
S chei t erns.
Frauk e
hat t e
ne ben
den
C om put ern ei n z we i t es Hobb y:
geh ei m ni svol l e
Te x t e
ent s chl ü s sel n.
Das
wa r
al l erdi ngs ei ne Lei d enscha ft ,
der s i e nur spo r adi sch frönt e und di e si e m i t t lerwei l e aus
Zei t m an gel
bei na he
völ l i g
vernachl ässi gt e. Al s S chul ki nd
hat t e s i e davon g et räum t , al s
ers t er M ensch d e r W el t di e
Tafel n
aus
Ha rappa
und
M o hends cho -D aro z u l esen. Di e
Leut e i m Indust al war en vor
fünft aus end J ahren kul t urel l und
t echni s ch
eb en so
hoch
ent w i ckel t wi e di e S um erer und
Äg ypt e r. Doch w ährend di e
Kei l s chri ft en aus Mesopot am i en
und di e Hi ero gl yph en vom Ni l
überset z t werden konnt en un d
vi el e R ät sel d er al t en Zei t z u
l ösen hal fen, i st j ene dri t t e
Hoch kul t ur noch i m m er vom
Gehei m ni s verhül l t - und darum
fast ver gess en.
Frauk e hat t e ei n ges ehen, dass
si e di eses Geh ei m ni s ni cht
l ü ft en wü rd e. (S o w i e di e J ungs
aus i hrer Kl ass e ni em al s wi e
Ga gari n
in
den
W el t raum
fl o gen. ) D as w ar nu r noch S t of f
für w ehm üt i ge Mom ent e um di e
W ei hnacht sz ei t .
Auf
di esem
Ordner al l erdi n gs schi en ei n
Fl uch z u l ast en. Er wei ge rt e
si ch
hart näcki g,
aus
der
Ge ge nw art z u verschwi nden .
Und
auch
in
di esem
Zusam m enh an g kr e uz t e Ax el
Voss i hren W eg.
W eni ge
T a ge
n ach
i hr er
An kunft i n Darm st adt hat t e er
si e erst m al s m i t Anspi el ungen
behel l i gt . Zu erst be gri f f si e ga r
ni cht , was er m ei nt e. Dann
fra gt e si e si ch, w i eso er von
dem Ordne r wusst e . Dabei fi el
i hr frei l i ch ei n, dass di e se
Knobel ei
fü r
si e
ni e
ei n
Ge genst and
für
Gehei m ni skräm er ei
war.
Im
Ge gent ei l .
W enn
bei
ei ner
Bet ri ebs fei er
das
Mot t o
ausge geben wurde, ni cht über
di e Arbei t z u reden (und
m ö gl i chst
auch
ni cht
über
C om put er al l gem ei n ), wenn di e
Kol l egen
das
z um
A nl ass
nah m en,
mit
i hren
ho ffun gsvol l en
K i ndern
zu
reno m m i eren, dann ret t et e si e
si ch
m anchm al
mit
i hrem
z wei t en Hobb y al s Th em a. Di e
anderen wurd en h el l höri g, si e
konnt e
i hren
B ei t ra g
z ur
Unt e rhal t un g l ei st en - und h at t e
28
vorerst R uhe vor pei nl i chen
Fra gen.
Doch
sel bst
wenn
si ch
erkl är en l i eß, was Voss wusst e,
war di e Art , wi e er dam i t
um gi n g, i m m er noch sel t sam
genu g.
W enn
si e
i hm
vers i chert e, dass s i e i n di ese
Tex t e prakt i sch ke i ne Arbei t
m ehr hi nei nst eck e, bem üht e er
s i ch m i t al l erl ei Tri cks, si e
um z ust im m en. Bei ei ner ander en
Gel e genh ei t
wol l t e
er
herausfi nden ,
wi e
wei t
si e
gekom m en
i st
mit
i hren
Fors chun gen. Kur z vor der
Affä re m i t der Ohrf ei ge hat t e e r
s i e sogar erm u nt ert , i hr Hobb y
i n der Fi rm a z u b et rei ben. In
den P ausen n at ürl i ch, ni cht
während d er A rbei t sz ei t . Aber
aus dem Mund d es di rekt en
Vor geset z t en war das dennoch
ei ne völ l i g unm ö gl i che O f fert e.
Frauk e hat t e si ch i n erst er
Li ni e b el äst i gt ge fü hl t . Das war
für si e Ei nm i schu ng i n i hr e
P ri vat angel e genh ei t en. W arum
fi ng er i m m er wi ed er dam i t an?
Hat t e er d en Auft r a g, m i t se i nen
M i t arbei t ern
S m al l t al k
zu
pfl egen? Hi el t er das Them a für
genü gend unve rfän gl i ch? Ei nen
Annäherun gsv e rsuc h schl oss si e
al s Hi nt er grund aus.
Im Nachhi n ei n m usst e si e si ch
nun nat ürl i ch fr a gen , ob er bei m
S uchen i n i hrer Tasche de n
Ordne r z u fi nden gehofft hat t e
(oder weni g s t ens T ei l e daraus ).
Doch
aus
di es em
Ansat z
er gaben
si ch
n eue,
kaum
weni ger
sch wer
zu
beant wort end e Fr a gen. W orauf
gründ et e si ch se i n enorm es
Int e resse?
Hat t e
si e
i hm
unge wol l t durch ei ne i hrer
Ant wo rt en et was vö l l i g Fa l sch es
sugge ri ert ? W ar es al so i hre
S chul d, dass er si c h vi el z uvi el
verspra ch?
Oder wusst e e r
et was, das si e sel be r noch ni cht
erkannt hat t e? Let z t eres gl aubt e
si e ni cht . W i e konnt e er m eh r
über den Tex t wi ssen al s si e,
ohne i hn j e gesehe n z u h aben?
Ei nes näm l i ch st and fest : In der
Fi rm a war der Or d n er ni e, ni cht
ei nm al für fünf Mi n ut en.
Und wenn der Tex t doch ei ne
bedeut sam e Bot sch aft ent hi el t ?
Frauk es
G edank en
fuhr en
Karussel l
mit
i hr.
Di e
P s ychol o gen b eha upt en, das s
der
Zu fal l
m anchm al
erst aunl i che Inha l t e aus dem
Unt erbewusst sei n
hervorz aubert .
J em and
sagt
et was, ohn e si ch et was dab ei z u
denken,
und
ve rrät
dam i t
Gehei m ni sse, di e er z war sel ber
ni cht verst eht , ei n andere r ab er
sehr wohl .
29
8
ei m Bl ät t ern h at t e Frauk e
di e
unt erst e
S ei t e
errei cht . S i e s t i eß auf
fi l i gran e
Zei chnun gen,
ang efe rt i gt al s vi e r z ehnj ähr i ges
B
Mädchen.
Buchst aben
ei n er
ex ot i schen
S chrift ,
j eder
unge fähr fünf Zent i m et er hoch.
Di e dü nnen Hi l fsl i ni en waren
noch schwa ch z u er kennen.
S i e eri nnert e si ch, dass di e
Buchs t ab en
im
Ori gi nal t ex t
enger bei ei nand er st anden. Di e
Li ni e am obe ren R and m usst e
i nnerhal b
ei nes
W ort es
ei gen t l i ch durch gez ogen s ei n.
Aber sel bst das war noch
ni cht der t i efst e Grund des
Oz eans . S i e m usst e wei t ere vi e r
J ahre
z urückge hen,
um
t at s äc h l i ch z um Be gi nn de r
Ges chi cht e
zu
gel an gen.
Zehnj ähri g st and si e auf ei ne r
der i d yl l i schen S t raßen von
Berl i n - Bei ersdorf. Ei n warm er
S pät s om m ert ag. Trü g e ri sch. S i e
beobacht et e, wi e ei n ganz er
Haus hal t si ch ge ra dez u i n Luft
aufl ös t e. S ch ar enw ei se kam en
di e Leut e und schl e ppt en davon,
was s i e t r agen konnt en. Frauk e
hät t e s i ch i hnen a m l i ebst en i n
den
W eg
gew orfen,
si e
anges chri een: Gebt das her! Das
gehör t euch ni cht . Doch we r
hät t e s i e ernst gen om m en? S i e
war ei n Ki nd.
S pät er wusst e si e ni cht m ehr,
wi e l an ge si e i m schüt z enden
S chat t en
ei nes
Baum es
ges t and en hat t e.
Ir gendwann
j edenfal l s war ei ne Ide e i n i hr
ge rei ft . Ei ne unerhö rt e Id ee, di e
ei gen t l i ch ni cht z u i hr passt e.
Di e Id ee z u i hr er erst en (und
z ugl ei ch
l et z t en)
bewusst
gepl ant en
kri m i ne l l en
Handl ung. Abe r ei ne i nner e
S t i m m e sagt e i hr, dass si e es
t un m üsse. Unabhä ngi g davon,
was i hr droht e, w en n j em and si e
dabei e rt appen sol l t e. J et z t kam
i hr z ugut e, dass s i e ei n Ki nd
war.
Im al l gem ei nen Du r chei nande r
des
Verr am schen s
acht et e
ni em and auf si e. Ungehi ndert
durft e si e si ch i m früheren
W oh nz im m er um schauen. Der
Büche rschr ank! U m den hat t e
si ch z um Gl ück n och ni em and
gekü m m e rt . Lei der wusst e si e
ni cht , wi e das Buch aussah. S i e
kannt e nur den Ti t el und sel bst
den nur ungef ähr. Ei n l anges
und schwi eri ges W ort m i t "B"
am Anfan g. Dort ! D as m usst e es
sei n! Das m i t dem prächt i ge n
Ei nband und der Gol dschri ft .
S i e l as t onl os: Bhagavad Gi t a .
Ih re
Fr eundi n
hat t e
i hr
erkl ärt , dass di ese s Buch auf
kei nen F al l ve rl oren geh en
dürfe.
Von
i h r,
Fr auke
Baum ann, hi n g nun ab, dass e s
ge ret t et wurde. De r Gl aube an
i hre
Mi ssi on
v e rl i eh
i hr
Kal t bl üt i gkei t . Ei n pr üfende r
Bl i ck. No ch i m m er w ar si e
unbeobacht et . S i e öffnet e i hre
S chul t asche, nahm das Bu ch aus
dem
S chrank,
l i eß
es
30
vers chwi nden. Dann schl i ch si e
nach drauß en, vor bei an dem
Ti s ch m i t der Gel dkasset t e.
Noch b efü rcht et e s i e den R uf
von hi nt en: "He ! W as sol l das?
W i l l st du hi er st e hl en? " Doch
der R uf bl i eb aus.
Zuhaus e bem erkt e si e dann di e
s i eben l osen A4 - Zet t el , di e ganz
hi nt en
im
Buch
z us am m engef a l t et s t eckt en. Ei n
m i t der Han d geschri eb ener
Tex t mi t Buc h st aben ei nes i hr
unbekan n t en Al pha bet s. Dam al s
veranl asst e si e so et was noch
ni cht z um Tüft el n. Im Übri gen
s ah si e das Bu ch (m i t al l em ,
was daz u gehö rt e) ni cht al s i hr
Ei gent um an. S i e bewahrt e es
nur auf, um es b ei Gel e genh ei t
i hrer F reu n di n z u geb en. Dass
daraus ni cht s we rden sol l t e,
konnt e si e dam al s noch ni cht
ah nen.
Erst i n den S o m m erferi en
nach dem a cht en S chul j ahr
unt ersucht e si e di e Bh a gav ad
Gi t a
m i t sam t
den
Zet t el n
gen auer. Inz wi sche n hat t e si e
bes chl o s sen,
spät er
ei nm a l
M at hem at i k eri n z u werden. Und
i nz wi schen
war
auch
i hr
Int e resse fü r al t e S chri ft en und
Gehei m t ex t e e rwac ht . S i e fand
heraus, d ass es si ch bei d em
Buch um et was Ä hnl i ches wi e
di e Bi bel hande l t e: ei n für
Hi ndus sehr wi cht i ge r, hei l i ger
Tex t , vor vi el en J a h ren v erf asst
i n der S prache S anskri t . Di e
daz u gehöri ge S chri ft hei ßt
Devanagari . Di e Verse wa ren
z wei spal t i g g edruc kt : l i nks i n
Devana gari , re cht s i n deut scher
Überse t z ung.
Der
r el i gi öse
H i nt ergrund
i nt eressi ert e Frauk e weni g. S i e
wol l t e nur herausfi nden, was es
m i t den l osen Zet t el n auf si ch
hat t e. Di e war en e benfal l s m i t
Devana gari - Zei chen bedeckt . Es
fehl t e j edoch di e Übe rset z ung.
Zw ei der Bl ät t er e rwi esen si ch
al s Kopi en. Zu fäl l i g fi el i hr bei
ei nem
Ve rs
di e
Überei nst i m m ung der Must er
auf.
Du rch
s yst em at i sches
S uchen kon nt e si e nach und
nach au ch di e a nder en z uordnen.
Di e
ü bri gen
fü nf
Bl ät t e r
ent z ogen si ch l e i der di eser
Met hode. F rauk e gi ng z wei m al
j eden Vers der Bh ag avad Gi t a
durch.
Kei ne
E nt spr echun g.
Eher aus Ve rl e genh ei t , wei l s i e
j a doch ni cht wei t er kam , m al t e
si e ei n paar Zei l en ab - un d
l egt e so di e erst en S e i t en i hres
Ordners an. Dann b e gann das
neue S chul j ahr und si e gab
vorerst auf.
Aberm al s st and das Bu ch
j ahrel an g unb eacht e t i m S chrank
- bi s z um S om m er 1983. Na ch
Ent t äuschungen i n der Li ebe
verkroch si ch Fra uke i n i hr
Zi m m er. Unt er Lan ge wei l e l i t t
si e dennoch ni cht , denn si e war
daran gewöhnt , si c h sel bst z u
beschäft i gen. S i e l a s spannende
Büche r
und
versucht e,
schwi er i ge R ät sel z u l ösen - wi e
z um
Bei spi el
das
des
Gehei m t ex t es. Im A nhang j ene s
Gi t a-Ex em pl ars
fand
si e
Tabel l en, di e j edem Buchst aben
des D evan a ga ri -Al phabet s ei ne
Lau t um sch ri ft z uordn et en.
31
ba
ja
ca
ka
da
la
fa
ma
ga
na
ha
pa
Das bracht e si e auf den
Ei n fal l , den Tex t der fün f
rät s el ha ft en Bl ät t e r über di ese
qa
ra
sa
ta
va
za
Transl i t erat i on i n ei ne l ei cht e r
fassbar e Fo rm z u bri ngen.
t a ca t a na ca / sa sa l a / ra va +
ha t a / l a ca t a l a pa / na t a t a sa / na / ha t a / ra da ga / sa
f a / t a ra ga / na ra ca na ca / t a / ha t a / t a l a ba t a sa / f a
ma s a na ma ma ca / na / t a sa / pa ra +
...
Nachdem si e d as get an hat t e,
bem erkt e
si e,
dass
der
Buchs t ab e
" a"
ex t rem
oft
vorkam . De r Tex t ent hi el t nur
Kons onant en m i t di esem ei nen
Vokal i m G efol ge. Das " a " wa r
t ct nc s s l rv +
ht l ct l p nt t s n ht rdg s
f t r g nr cnc t ht t l bt s f
ms nmmc n t s pr +
...
al so
verm u t l i ch
ohne
Bedeut un g.
Desh a l b
schri eb
Frauk e d en T ex t noch ei nm al
ab,
di esm al
ohne
das
verm ei nt l i che Fül l z e i chen.
Lei d er br acht e si e das aber
auch
ni cht
zu
i hrem
ei gen t l i chen Zi el , näm l i ch di e
vi el l ei cht ent hal t ene Bot scha ft
z u en t s chl üssel n. Es gab j a nun
i m Tex t überhaupt kei ne Vok al e
m ehr. S i e probi ert e , durch das
Ergänz en geei gnet e r Buchst aben
si nnvol l e W ört er z u g e wi nnen.
ht Hut , hat , hüt e (bi t t e di e Schaf e )
t r g  T rog, (er ) t ru g, (L ug und ) T rug
n  ni e, ei n (e )
M ögl i chkei t en erm i t t el t e si e
vi el e,
doch
k ei n
ei nz i ger
v ers t ändl i cher S at z kam dabei
cnt ct l s s vr t h pl t cl st t n n t h gdr s
f gr t cncrn t t h st bl t f
cmmns m n st rp
...
heraus. S chl i eßl i ch hat t e si e
noch di e Id ee, di e W ört er
um z udr ehen.
32
rel i gi öse und wi sse nschaft l i che
Bedeut un g b esi t z t - sondern
auch
z um
Hi n di
und
zu
m ehrer en
ande ren
m o dernen
S prachen. Ob wohl si e ni cht
gl aubt e, dass das di e Lösun g
wäre, wandt e si e si c h an di vers e
Überset z ungsbü ros.
Di e
Ant wort en ähn el t e n ei na nder.
Ja, es s ei schon m ögl i ch, das s
der
T ext
in
i rgendei ner
i nd i schen Sprache ei nen Si nn
er gi bt . N ei n, er sel ber könne i hr
ni cht he l f en.
Anschl i eßend pro bi ert e s i e
ei nen völ l i g ande ren Ansat z . S i e
ordnet e al l en Zei chen gem äß
i hrer P osi t i on i n der Tab el l e
ei nen
Zahl enwe rt
z u.
So
en t st and
anst el l e
ei ner
Buchst ab e nfol ge
e i ne
Zi ff ernfol ge.
Das
Er gebni s
bl i eb
unbefri edi gend. S o war z um
z wei t en Mal de r B e gi nn d es
neuen
S chul j ahrs
wi e
ei ne
Erl ösung
der
unb ewusst
wahr genom m en e V o rwand, di e
fes t gefah ren en
Bem ühun gen
abz ubr echen, um ni cht dar an z u
verz we i fel n.
Den dri t t en Anl auf unt ernahm
Frauk e
1991,
wi eder
in
depres si ver S t i m m ung. S i e hat t e
i hren J ob verl oren und spürt e,
das s si e di e pl öt z l ich über si e
herei nbr echend e
Frei z ei t
s i n nvol l
ausfül l en
m usst e.
Durch Büche r, di e si e nach de r
W ende gekauft h at t e , wusst e si e
nun, dass D evana ga ri ni cht nur
z um S anskri t gehört - das
(ähnl i ch dem L at ei n) nur no ch
16
06
04
10
02 16 11 02 / 15 15 09 /
16 / 09 02 16 09 12 / 11
/ 16 14 05 / 11 14 02 11
15 11 10 10 02 / 11 / 16
14
16
02
15
17 +
16 15 / 11 / 06 16 / 14 03 05 / 15 /
/ 16 / 06 16 / 16 09 01 16 15 / 04 /
/ 12 14
Li eß
si ch
dar aus
ei n
m at hem at i sches
S chem a
abl ei t en? Frauke b esor gt e si ch
wei t ere Bü che r, di esm al wel che
über
Verschl ü s sel un gs t e c hnol ogi e.
S i e spi el t e m i t den Zahl en, z um
Bei spi el , i ndem s i e S um m en
bi l det e.
47 + 39 + 31  117
22 + 48 + 58 + 11 + 22 + 22 + 15  1 98
4 + 35 + 40 + 1 6 + 22 + 57 + 4  178
58 + 11 + 31 + 26  12 6
Auch di esm al w ar d as R esul t at
nur ei n neuer S t oß S ei t en, eng
beschri eb en
unverst ändl i chem Zeug.
F
herausfi nden wü rd e, was si e
z wanz i g J ahre ü bersehen hat t e.
Vi el l ei cht ers chl oss si ch i hr de r
Tex t j a auch d e s hal b ni cht , wei l
i hr der Bez ug d az u fehl t e.
rauke kl appt e den Ordner
z u und st el l t e i hn z urück
an sei nen P l at z . Es war
m ehr al s unwahrsch ei nl i ch, dass
s i e an di esem Abend et was
33
mit
Genau di es e Tat s a ch e ver gaß si e
ab und z u. Di e Bhagavad Gi t a
war ni cht i hr E i gen t um . S o vi el
Zei t
auch
v er gangen
sei n
m ocht e, es gab da et was, d as
unerl edi gt gebl i ebe n war. Aus
M angel an Gel e ge n hei t . Aus
Fei ghei t .
W arum überwand si e si ch
ni cht endl i ch? W as ri ski ert e si e
denn? S i e geht hi n z u i hr, z ei gt
i hr den Ordn er, fra gt si e:
K anns t du di r ei nen Rei m
d ar auf machen? Da s st ammt von
dei nem Papa. Od e r? Was mag er
dami t
gemei nt
haben?
So
ei nfach? Nei n, so ei nfach w ar es
eben ni cht . Ni cht m ehr. S i e
h at t e ni cht di e l ei se st e Ahnun g,
wo s i ch di e Fr eundi n von
dam al s j et z t aufhi el t . Kei n
Kont akt . S ei t ei n er Ewi gk ei t
ni cht m ehr.
Ei n Bri e f e rschi en vor i hrem
i nneren Au ge. Ei n Bri ef aus
Hannover. He rbst 1 982. Okt ober
oder Novem ber. Zum Gl ück
waren al l e pri vat en Bri e fe, di e
si e j em al s erhal t en hat t e, i n
m ehrer en
S chuhk art ons
in
chr onol o gi scher
R ei henfol ge
abg el e gt . Bei i hr l a ndet e ni cht s
so schnel l auf d em Mül l , ni cht
ei nm al
di e
sc hm erz l i chen
Zeu gni ss e
ges chei t ert er
Li eb esbez i ehun gen.
Lei d er
erschw ert e
d er
bet rächt l i ch e
Um fan g di eses Archi vs di e
S uche nach ei n em b est i m m t en
Bri ef.
Abe r
si e
fand
i hn
schl i eßl i ch. Auf der R üc k sei t e
des C ouvert s st and di e A dresse,
di e si e brauc ht e:
Draupadi Schmi t t
bei Beat e und Gert Z i t t l auer
Gust ave -Fl aubert -St raße 12
30159 Hannover
9
Z
unächst wol l t e Fr au ke bei
den Zi t t l auers a nrufen,
i hnen
i hr
A nl i egen
s chi l dern, si ch i m günst i gst en
Fal l
di rekt
mit
Draupa di
verbi nden l assen - oder si ch
nach
de r
ne u en
Anschri ft
erkundi gen. In fü nf Mi nut en
hat t e s i e über di e Au s kunft di e
Tel efonnum m er e r m i t t el t . Doch
al s s i e schon m i t t en bei m
W ähl en war, hi el t si e i nne. S i e
m us s t e s i ch ernst haft fr a gen, ob
sie
wi rkl i ch
Be gei s t e run gsst ürm e
ausl ösen
würde. Das V erh äl t ni s z wi schen
Draupadi und i hre n dam al i gen
P fl ege el t ern dü rft e al l es and er e
al s unkom pl i z i ert g ewesen s ei n.
In i hrem Bri ef b ez ei chn et e si e
di e bei den aussch l i eßl i ch m i t
dem Nachnam en un d durch den
Art i kel
unt erschi eden.
D er
Z i t t l auer
i st ,
b ei
L i cht e
bet rac ht et , ei n Vol l i di ot . ... Di e
Z i t t l auer
bi l det
si ch
al l en
Ern s t es i mmer noc h ei n, dass
si e mi ch u nt er i hre K nut e
bekäme . D ankbar e Zune i gun g
st el l t si ch anders da r.
Frauk e e nt schi ed si ch fü r
ei nen ande ren W e g: S i e st i eg am
darauf fol genden S a m st ag i ns
Aut o, um unverm i t t el t auf de r
Fl aubert -S t raße
a ufz ut auchen.
Dann könnt en di e Zi t t l auers si e
34
ni cht so ei nfach abwei sen.
Au ßerdem könnt e si e si ch ei n
weni g i n de r Ge gen d um sehen dort wo Draupadi ve rm ut l i ch ei n
paar
J ahre
i hr es
Lebens
v erbra cht ha t t e (o der wo si e
noch i m m er wohnt e). Al s si e
hi nt er
Da rm st adt
auf
di e
Aut obahn ei nbog, war si e gut
gel aunt .
Der
t ypi s che
S t i m m ungsschub
nach
dem
ge fasst en Ent schl us s.
W ährend si e si ch dann abe r
dem Zi el nähe rt e, sc hl i chen si ch
noch
ander e,
weni ger
angene hm e
Geda nken
ei n.
Eri nnerun gen an den R um m el i m
W es t ferns ehen
rund
um
Draupadi s an gebl i c he Be frei un g
aus
st aat l i ch
a ngew i esener
Ps ychi at ri e -Haf t . Di e Bei t rä ge
waren
ni cht
z ur
best en
S endez ei t
gel auf e n ,
so n dern
s pät am Abend. Tr ot z dem hat t e
Frauk e si e si ch al le ang esehen .
Das Bi l d der Zi t t l au ers st and i hr
noch deut l i ch vor A ugen. Zwei
W es si s, so t ypi sc h wi e aus
ei nem S ket ch. Al l e denkba ren
Vorurt ei l e ve rsa m m el t - di e
über
di e
kommuni st i sche
Di kt at ur i m Al l ge m ei nen und
di e über d as Unre c ht sreg i me i n
der
DDR
im
S pez i el l en.
W i cht i gt uer,
die
den
Ferns e hauft ri t t ge nossen, di e
s i ch
sprei z t en
und
vom
M oderat or f ast ni cht st oppen
l i eßen.
Frau Zi t t l auer wa r m i t dem
M ädchen, das z u re t t en si e si ch
ent s chl ossen hat t e, nur ent fernt
verwandt . Di e Eh efrau ei nes
C ousi ns des V at ers - ohne j eden
Kont akt sei t der Grenz z i ehung.
Ni cht sdest ot rot z
echauf fi ert e
s i e s i ch währ end de r Kam pa gn e
ganz so, al s handel t e es si ch um
i hr ei gen es, ei nz i ges Ki nd.
Frauk e fühl t e noch i m m er, wi e
absurd i hr das vorgekom m en
war. S i e wusst e, we m der gan z e
Lä rm ge gol t en hat t e. S i e w ar
Draupadi s
früh ere
S chul freu n di n.
Frauk e, gut vorb e rei t et wi e
i m m er, fand di e Fl a ubert -S t raße
ohne Um we ge. Ihr em Vorsat z ,
si ch z unächst i n der Ge gend
um z usehen, bl i eb sie al l e rdi ngs
ni cht t reu. Zu gr oß war di e
S pannung. Di e H ä user um s i e
herum erschi enen i hr ohn ehi n
ni cht sonderl i ch auf re gend. D as
Kl i ngel n
an
der
Haust ür
erspa rt e si e si ch, i ndem si e
hi nei nhuscht e,
al s
j em and
herauskam .
So
war
di e
Überr aschun g für d i e Zi t t l auers
perfekt .
"W er si nd S i e? Was wol l en
S i e? " Mi sst rau en.
" Ic h ... ähm ... i c h bi n ei ne
S chul freundi n
von
Draupadi
S chm i t t und ... ähm ..."
Ei gent l i ch hat t e si e si ch j a
vorgenom m en, ni ch t gl ei ch m i t
der Tü r i ns Haus z u fal l en.
Doch nun war es rau s. Und hat t e
auch di e be fürc ht et e W i rkung.
"Mi t der h aben wi r ni cht s
m ehr z u schaffen! " R ot er Kopf,
Zorn esfa l t en auf de r S t i rn.
"Hör en S i e! Ich bi n ex t ra von
Darm st adt aus hi erh er ge fa hr en.
Drei S t unden."
"Abe r i ch kann Ihne n w i rkl i ch
ni cht
hel fen."
S chon
fas t
versöhnl i ch.
"Ei n
kl ei ne r
Hi nwei s
vi el l ei cht? Darf i c h für ei n en
M o m ent rei nkom m en? "
Di e Frau gab den W eg i n den
Korri dor
frei .
Ei n
erst es
ernst haft es Fri ed ens angebot .
35
In de r W ohnung erkannt e
Frauk e
di e
Zi t t l auers
al s
S am m l er.
Frau
Zi t t l aue r
s am m el t e
ges chl i ffen e
Gl as fi gü rche n.
Ti e rchen,
P fl änz chen, W ürfel chen. Vo n
überal l her gl i t z ert en si e, wobei
s i e das Li cht ei ner Vi e l z ahl von
Lam p en i n den Farb en des
R egenbo gens
br a chen.
H err
Zi t t l auer i nt eressi e rt e si ch fü r
Fußbal l . S ei ne Lei d enschaft wa r
al l erdi ngs
konz ent ri ert
au f
ei nen
über m annshohen
Büche rs chr ank
u nd
dess en
nähere U m gebun g. Bundesl i ga
und Eur o papokal - ei n Band pro
J ahr, z urückrei che nd bi s z um
Be gi nn
der
m odernen
Zei t r echnun g.
W el t und
Europam ei st ersch a ft en.
Ei n
gut er M et er Na chs chl a gew erke
über Werd er Bre men . (B esaß
Hannover
ei gent l i ch
ke i nen
ei genen
Kl u b?
Fr auke
re gi s t ri ert e, dass si e das Them a
Fußbal l m ei den m us s t e.)
Da s i e nun i n den S t at us ei nes
ge acht et en
Mensch en
auf ges t i e gen w ar, bekam si e
ei ne Tasse Ka ffe e an gebot en
und dur ft e i hren Un m ut über di e
Baus t el l en auf d er A7 äuß ern.
Es fol gt en ve rschi e d ene Th em en
von al l gem ei n em Int eresse. Fr au
Zi t t l auer hat t e z u j edem i hre r
M i t bürge r ei ne kl are Mei nung.
("Kohl i st der bedeut endst e
S t aat s m ann
Europas."
"Di e
As yl ant e n rui ni e ren das La nd. ")
S i e war ni cht dum m , aber si e
bevo rz ugt e
d as
ei nfach
ges t ri ckt e W el t bi l d aus den rt l Nachri cht en,
der
Bequem l i c hk ei t
h al ber.
H err
Zi t t l auer l i ebt e groß e W ort e und
Ges t en, m i t denen er m ei st ens
di e Aus fü h run gen sei ner F rau
bekräft i gt e. Er arb e i t et e, wi e er
sagt e, i n ei nem Bü r o - wobei i m
Dunkel n bl i eb, wa s g en au e r
dort t r i eb.
Nach run d ei ne r hal ben S t unde
l enkt e F rauke da s Gesprä ch
vo rsi cht i g
z urück
auf
ihr
Anl i egen, wohl wi ssend, dass
si e dam i t ei ne S t örung der
Harm oni e ri s ki e rt e. Tat sächl i ch
verschl e c ht ert e si c h di e Laun e
von
Frau
Zi t t l aue r
unübersehba r.
"W as versp rech en S i e si ch
ei gent l i ch
von
di esem
W i eders ehen? "
" Ic h wi l l erst ei nm al nur
wi s sen, was aus i hr geword en
i st . Verm u t l i ch wohnt si e j a
ni cht m ehr bei Ihne n, aber ... "
"W o denken S i e h i n? " Fr au
Zi t t l auer l a cht e gek ünst el t . "Di e
hat es kei ne z wei Monat e bei
uns a usgeh al t en. Der wa r es
wohl ni cht fei n ge nug bei uns,
di eser ver wöhnt en Göre aus dem
Ost en."
"Ni cht ganz sechs W ochen",
präz i si ert e Herr Zi t t l auer. "Und
das war kei ne sch öne Zei t für
uns. Das kann i ch Ih nen sa gen. "
"S i e
hat
uns
S chaden
z ugefü gt , wo si e nur konnt e."
W i eder
F rau
Zi t t l auer.
"Hi nt erh äl t i g und ge m ei n."
"S i e hat R e chnu ngen vom
Versandh andel
verschwi nde n
l assen, so dass wi r ni cht bez ahl t
haben
und
Mahnunge n
bek am en. " W i eder um e r gänz t
von i hrem Mann.
"Und dann i st si e ei nfa ch
ab gehau en. Gerad e m al si ebz ehn
J ahre al t , noch ni c ht vol l j ähri g
al so. W i r haben si e suchen
l as sen, doch ohne E rfol g. "
"S i e wi ssen al so ni cht , wo si e
ge genwä rt i g wohnt ? "
36
"W i r haben kei ne A hnung, wo
s i e si ch herum t rei b t . Ir gen dwo
i n der Gosse, n eh m e i ch an,
z u s am m en
mit
i hren
P un kerfreu nd en. "
"Ach so. Na gut . Dann werde
i ch dort m al nachschau en. "
Zu nehm end hat t e Fr auke di e
Nas e vol l von den Zi t t l auers.
"W ahrsch ei nl i ch
mit
ei ner
S pri t z e i m Arm ."
"Gut e r Hi nwei s! Da rauf we rde
i ch acht en. "
" In Frank furt vi el l ei cht ."
"Tat sä chl i ch? "
Neu e
Hoffnun g.
"Ode r
in
ei ne r
ander en
größ eren S t adt . "
"Al l es kl ar! Al so da nn: Vi el en
Dank fü r Ihr e Bem ü hungen ! S i e
haben m i r sehr geho l fen."
"Kei n e Ursa che !"
Frauk e m usst e si c h beei l en
m i t dem Abschi ed. S i e kannt e
si ch.
Lan gsa m
doch
unaufhal t sam kam bei i hr der
Mom ent , von dem ab si e i hre
Mani eren
ni ch t
m ehr
hundert proz ent i g
u n t er
Kont rol l e hat t e. Au f der S t raß e
käm pft e si e für ei nen Mom ent
ge gen den Dran g, e i n Massaker
unt er
den
S t r aßenl at ern en
anz uri cht en.
10
E
s
gesch ah
auf
der
Aut o bahn kurz hi nter der
l et z t en
Ausfahrt
nach
Göt t i ngen.
W as
genau
das
P hänom en
aus gel öst
hat t e,
konnt e Fr auke hi nt erher ni cht
m ehr sa gen. (Vi el l ei cht ei n Li ed
im
R adi o? )
Noch
beunruhi gende r:
Sie
wus s t e
auch ni cht , wi e si e auf den
S t andst rei fen g el an gt und z um
Hal t en gekom m en war . Zum
z wei t en Mal i nnerh al b weni ger
Tage geschah i hr persönl i ch
et was,
das
def i ni t i v
i ns
Ferns ehen gehört e, und z war
n u r dort hi n.
Der
Fl ashback
ri ss
si e
u n v erm i t t el t z urück bi s i n i hr
s ech st es Lebensj ah r. S i e st and
auf
ei nem
S chu l hof,
ei ne
Zuck ert üt e i m Ar m . Li nks hi nt e r
der S t raße di e Kasern e der
Ber ei t schaft s pol i z ei . Vor i hr di e
neu
gebaut e
S chul e:
quer gest rei ft wi e ei n bunt es
Zeb ra - Fenst e rr ei he, r ot e r
S t rei fen,
Fenst e r,
S t rei fen,
Fenst er.
R und
um
di e
unverwüst l i che
Ti scht enni s pl at t e aus Zem ent
z wei Dut z end ander e Ki nder an
der Hand i hre r El t ern, di e
m ei st en l ei cht ve r ängst i gt wi e
si e sel bst .
Nach z wei oder dr ei Mi nut en
war
der
ei gent l i che
Anfal l
vorbei .
F rauk e
nahm
i hre
Um gebun g
wi ed e r
bewus s t
wahr, konnt e rea gi eren, konnt e
soga r m i t reduz i er t em Tem po
wei t erf ahren bi s z um nächst en
R as t pl at z . Doch der Ei ndruck
verschw and ni cht so r asch.
Nachdem si e d en Audi si cher
gep arkt und di e Tür en ve rri e gel t
hat t e, l i eß si e si c h z urück i n
den S i t z fal l en und schl oss di e
37
Augen. Im s el ben Mom ent l i ef
ei n Fi l m vor i hr a b wi e i n ei nem
Ki no.
F
au ßerde m (na kl ar ) auch noch
ei n gut e r Vat er. Das konnt e
schon
auf
die
Dau er
überford ern.
Frauk e
bem üht e
si ch
im
R ah m en i hre r K räf t e durch aus
um
R ücksi cht
auf
i hren
gen ervt en Vat i . Le i der gab es
S i t u at i onen, i n de nen si e auf
Gedei h und Ve rde rb auf i hn
angewi esen war. D a nn fühl t e si e
si ch wi e über ei nem Abgrun d
und fra gt e si ch än gs t l i ch, ob für
i hn u nverm i t t el t et w as wi cht i ger
sei n könnt e al s si e und er si e
dann ei nfach f a l l en l i eße. Der
erst e S chu l t a g w ar so ei ne
S i t uat i on.
Doch pl öt z l i ch entdeckt e si e
et was, das si e vo r Fasz i nat i on
i hre
An gst
vorüber geh end
ver gessen l i eß: ei n Mädchen,
wi e aus ei nem Märchenbu ch
herau s gehüp ft .
Ei n
braunes
Gesi cht chen m i t großen, seh r
dunkl en Au gen, bei denen si ch
ni cht
ei nm al
die
P upi l l en
abh oben; t i efschw arz es Haa r,
das si ch sel bst kurz geschni t t en
ni cht bändi gen l i eß und st ruppi g
nach al l en S ei t en abst and. S i e
bi l det e ei ndeut i g di e größt e
At t rakt i on auf d e m S chul hof.
Ei gent l i ch k annt e i n B ei ersdor f
j eder j eden, doch si e war m i t
i hren El t ern erst kürz l i ch i n
ei nes
der
Ei nfa m i l i enhäu ser
gez o gen. Fr auke wäre b ei so
vi el Aufm erks am kei t vor S cham
t ot um gefal l en. Di eses frem d e
Mädchen i ndes sc hi en si e z u
geni eßen. S i e h at t e i n i hrer
Zu ck ert üt e
fa st
nur
S chokol ade nri e gel , di e si e nun
rauke hät t e am l i ebst en
ge wei nt . Doch d an n wäre
gl ei ch
wi ede r
gesa gt
worden: "Ab er, ab er! Du bi st
doch s chon groß !" Das st i m m t e
z war, doch war si e l ei der noch
ni cht s o al t , wi e sie groß w ar,
was di e Erw a chs enen ni cht
begri ffen.
S cho n
d am al s
em pfand si e i hre Größe al s
Handi cap (au ch w enn si e i h r
m anchm al
durch a us
z ugut e
kam ). S i e passt e nicht z u i hrer
(ebenf al l s
a ngebo renen )
S chüch t ernhei t .
W i e di e anderen Ki nder hat t e
auch
si e
j em anden
al s
Bes chü t z er bei si ch : i hren V at i .
Er a rbei t et e i m Mi ni st eri um des
Inn ern, w ar al so so et was wi e
ei n P ol i z ist , t rug a ber t rot z dem
k ei ne Uni form . W ei l er ganz
l ange s t udi ert hat t e, war e r nun
Di p l omi ngeni eur . (e i n schweres
W ort , das si e i mm er noch ni cht
ri cht i g
ausspre ch en
konnt e)
Lei d er m usst e er auch i m m er
ganz vi el arbei t en (m anchm al
s oga r noch z u Hause). Da rum
wa gt e s i e si ch nur sel t en m i t
i hren
kl i t z ekl ei nen
Ki nders o r gen z u i hm (sel bst
dann ni cht , wenn M ut t i si e daz u
aus drüc k l i ch e rm u n t ert e).
W as das P robl em i hres Vat i s
war, ve rs t and Fr auk e erst ei n i ge
J ahre s pät er. Er w ol l t e i m m er
und überal l perfek t sei n. Ei n
vers i ert e r Fa c h m an n auf dem
Gebi et
der
Geo däsi e.
Ei n
v ers t ändni svol l er
Ehem ann
ei ner
bl i nden
Frau.
Ei n
verl äs s l i ches Mi t gl i ed sei ner
S ED-P art ei gruppe.
Und
38
an i hre kün ft i gen Mi t schül er
vert ei l t e. Vö l l i g u nbefan ge n t r at
s i e an ei nen nach dem ander en
heran, üb e rr ei cht e s t rahl end i hr
Ges chenk und st el l t e si ch vor.
Al s Frauk e an di e R ei he kam ,
war si e so du rch ei nander, d ass
s i e wi e ei n e S t at ue st ehen bl i eb
und kei n W ort über di e Li pp en
bracht e.
"Hal l o! Ic h bi n Draupad i
S chm i t t ."
Frauk e
spürt e
ei nen
aufm u nt ernden S t oß i hres Vat i s
i n di e S ei t e. Kei ne W i rkung.
"Das i st Frauk e Ba um ann. S i e
i s t ei n bi sschen schücht ern .
W ei ßt du? "
Draupadi
ni ckt e
vers t ändni s vol l . Und wei l j enes
s onderbar e
Mäd c hen
noch
i m m er
ni cht
re a gi e rt e,
bem ächt i gt e si e s i ch ei n fa ch
i hrer Hand und drückt e den
S chokol ade n ri e gel h i nei n.
"Hast du ges ehen? Di e Kl ei ne
i s t ni cht so ei n Hasenfuß wi e
du."
J a,
j a!
Doch
z uge geb enerm aß en:
Draupadi
war t at sä chl i ch e benso kl ei n
und z i erl i ch wi e Frauk e groß
und
kräft i g .
Ung ere cht
i rgend wi e!
Nachdem
si e
i hr e
R unde
beendet e h at t e, ke hrt e si e z u
i hren
El t ern
z urück
(di e
übri gens i m Unt ers chi ed z u i hr
völ l i g wei ße Haut f arbe hat t en,
al l e bei de). Dort al bert e si e ei n
bi s s chen m i t i hrem P apa he rum .
Frauk e st aunt e, wi e unbefan g en
di e
bei den
m i t ei nander
s chm u s t en. In i h rer F am i l i e
wurden
Zär t l i chk ei t en
unt er
Aus schl uss der Ö ffent l i chkei t
aus get auscht .
Dann kam de r M om ent , da
si ch di e El t ern von i hren
Ki n dern vera bs chi e den m usst en.
Di e ge wal t i ge Trep pe vor dem
Haupt ei n gan g e ri n nert e F rauk e
an di e Zun ge ei ne s Monst ers .
Doch we r konnt e si e davor
ret t en? Vat i best im m t ni cht .
Auch bei ei ni gen der ander en
fl ossen ei n paar Tränen. Bei
Draupadi f rei l i ch ni cht . S i e war
im
Kl a s senraum
we i t erhi n
um ri ngt
von
ei ner
Traub e
Mi t schül er. Denen erk l ärt e s i e
nun
(ebenso
ge du l di g
wi e
ent schi eden), d ass d er Mann und
di e
Fr au
do rt
drauße n
t at sächl i ch i hr P apa und i hre
Mam a sei en, t ro t z anderen
Aus sehens.
Der erst e S chul t a g d aue rt e
i nsgesam t nur z w ei S t unden.
Frau F ahrent hol z st el l t e si ch al s
Leh reri n vo r. D ann st anden di e
Ki nder der R ei he n ach auf und
nannt en i hre Na m en. Dann
wurden
m ehr ere
Büche r
ausget ei l t . Von de m , was di e
Frau dort vorn schl i eßl i ch noch
al l es e rkl ä rt e, v ers t and Fr auke
nur di e Häl ft e. S i e war vi el z u
auf ger e gt .
Nach den b ei den S t unden
wurden fast al l e Ki nder von
i hren El t ern vor der S chul e
wi eder i n Em pfan g genom m en .
Di ese hat t en ent we der gew art et
oder w aren wi ede rgekom m en.
Frauk e
hi el t
ver gebl i ch
Aus schau na ch i hre m Vat i . Bi s
nach H ause m usst e si e nur ei n
kl ei nes S t ück l auf en und si e
kannt e
den
W eg
gen au.
Trot z dem fühl t e si e si ch wi eder
ei nm al i m S t i ch ge l a s sen. W i e
si e nun so t rübsi nni g und
unschl üssi g dort st and, spra ch
Draupadi si e pl öt z l i ch an.
39
"Hal l o Fr auke! W e nn du uns
verrät s t , wo du woh nst , bri ngen
wi r di ch nach Haus e. Mei n P ap a
i s t m i t dem Aut o hi er."
Frauk e ni ckt e z aghaft . Di e
Fahrt l ohnt e si ch überhaupt
ni cht . Trot z dem schwärm t e si e
noch l an ge d avon. Di e S chm i t t s
bes aßen ni cht nur e i nen Trabant
oder W art bur g , so ndern ei nen
Lad a. Und dass Draupadi si e
pers önl i ch be acht et hat t e , w ar
nat ürl i ch auch ei ne Ehre für si e.
Bei e rs dorf
l i e gt
z war
i nnerhal b
de r
B erl i ner
S t adt grenz e, wi rkt aber ganz
und gar ni cht großst ädt i sch.
Kei ne
Mi et shä u ser
mit
Hi nt erhöfen wi e i n Mi t t e und i m
P renz l auer
Be r g;
ke i ne
P l at t enbaul andschaf t en wi e i n
M arz ah n
und
Hohens chönha us en. Hi er gi bt es
wei t
und
brei t
(fast )
nur
Ei nfam i l i enhä user,
um geb en
von Gärt en m i t ho hen Bäum en.
Und s o beso n der s wi e di e
Anwes en
w aren
auch
di e
Bewohn er. J eder hä t t e gern hi e r
ge wohnt , ni cht j ed e r bek am di e
M ögl i chkei t d az u.
Di e Ober e Li ndens t raße war
ei ne der weni gen H aupt st raßen.
Dort s t anden au snahm swei se
auch
größ ere
Häuser
mit
m ehrer en
W ohnungen
dri n.
Al l erdi ngs t ru gen s e l bst si e dem
C harakt er
der
Ge gen d
R echnun g. Bei Fr aukes Haus
hat t en
di e
Fe nst er
ei ne
Um randun g
au s
rot em
Kl i nk ers t ei n. Es ga b ei nen Fri es
unt erhal b der Da chri nne und
ei ne M a gnol i e i m V orga rt en.
Aus Freud e darüb er , nach al l
den erl ebt en Abent euern wi ede r
z u Haus e z u sei n, fi el Frauke
i hrer M ut t i gl ei c h auf dem
Ko rri dor st ü rm i sc h um den
Hal s. Ihr e Mut t i konnt e z war
kei nen B eruf ausüb en, doch di e
Her rs chaft üb er d en Haush al t
l i eß si e si ch ni cht nehm en.
Ni cht s hasst e si e m ehr al s di e
R o l l e des a rm en Krüppel s.
Tat sächl i ch b ewe gt e si e si ch i n
der
W o hnung
mit
t raum wandl eri sch er S i cherhei t .
Es gab Leut e, di e i hr deshal b
di e
Tot al bl i ndhei t
ni cht
gl aubt en. Al l e rdi n gs war si e au f
peni bl e Ordnun g angewi esen .
Al l es hat t e genau an sei nem
P l at z
zu
st ehen.
J edes
Fam i l i enm i t gl i ed
wusst e das
und ri cht et e si ch danach. Nu r
den Ei nkauf erl ed i gt e Vat i nach Best el l z et t el n, di e sei n e
Frau
(m ei st ens
am
Abend)
di k t i ert e. Für Fr auk e war Mut t i
das
Fam i l i enobe r haupt .
Sie
hat t e ni cht nur ei n Ohr für i hre
P ro bl em e, sondern t raf au ch di e
wi cht i gen En t s chei d ungen.
S chl i eßl i ch z og si ch F rauke
auf i hr neues Zi m m er z urück.
S i e war z um S chulbegi nn vom
S chl afz i m m er der El t ern nach
vorn i ns R ei ch i hres B ruders
um gez o gen. Vo rübe rgehend, wi e
es hi eß, sol an ge er noch S ol dat
war. Zum S chl afen, S pi el en und
S chul arbei t en erl e di gen. Man
sah der W ohnung ü bri gens no ch
an,
dass
hi er
ei nst
Besse r ge s t el l t e r esi di ert hat t en:
di e h o hen R äum e, der S t uck an
der
Zi m m erdec ke,
di e
Di enst m ädche nkam m er
hi nt er
der
Küche
(di e
nun
al s
Abst el l raum und Ba s t el werkst at t
di ent e). Fr auke g ef i el an i hrem
neuen Dom i z i l vor al l em , dass
si e vom Fenst er au s di e S t raße
sah, wo st ändi g et w as passi e rt e.
40
An j enem Abend passi ert e
al l erdi ngs auch i n nerhal b der
W ohnung
noch
et was.
Di e
El t ern
st ri t t en
si ch.
Mut t i
s chi m pft e m i t Vat i , wei l er vo r
der S chul e ni cht ge wart et hat t e.
Er vert ei di gt e si ch, dass er si ch
ni cht l änger hab e frei nehm en
kön nen. Frauk e wi e derum hät t e
i hnen ge rn gesa gt , si e sol l en
au fhören, si ch z u st rei t en. Es
war
ja
ni cht s
S chl i m m es
pas si ert . Doch best i m m t durft e
si e da ei gent l i ch gar ni cht
z uh ören.
11
A
nfan g Dez em ber wurde
Frauk e gem ei nsam m i t
den and eren Ki nder n der
bei den P aral l el kl a s sen i n di e
P i oni erorgani sat i on
Ernst
T hä l mann auf geno m m en. Di e
Fei er fand i n de r A ul a st at t und
bi l d et e ei nen H ö h epunkt nach
ei ner
R ei he
vo rberei t end er
Veranst a l t un gen. Zum Be i spi el
hat t en
al l e
z usam m en
di e
Gedenkst ät t e
des
Konz ent rat i onsl ager s
Sachse n hausen b es ucht . Fr auke
war abe r auch von i hren El t ern
auf
den
beson d eren
Ta g
ei ngest i m m t worden. Vat i hat t e
s i ch
frei wi l l i g
vi el
Zei t
geno m m en, um i hr al l e dam i t
z us am m enhängend e n Fr a gen z u
beant wort en. Al l ei n schon di ese
Tat s ache m a cht e si e ganz w i rr
vor Eh rfur cht .
Ih re groß e i nner e A nt ei l nahm e
bracht e f rei l i ch m i t si ch, dass
s i e ni cht al l e Anwei sun gen
recht z ei t i g
m i t bek am .
( Dort
r ü ber ! Und schö n i n ei ner
Rei he!) Un gl ü ckl i cher W ei se
hat t e si e ohnehi n d en R uf, ei ne
der grö ßt en S chnar chnasen de r
Kl as se
zu
sei n.
Fr au
Fahr ent hol z war ei n e en ga gi ert e
Leh reri n - e rst vor z wei J ahren
mit
dem
S t udium
fert i g
ge worden und no ch vol l er El an.
S i e unt ernahm m eh r m i t i hren
S chül ern al s v e rl an gt , vi el m ehr
- sowohl i m Unt erri cht al s auch
danach. Doch d a s i e fast al l es
m i t dem Herz en entschi ed, l ebt e
si e
auch
Zune i gungen
und
Vorurt ei l e aus. Di e m unt eren
und auf ges chl osse nen Ki nder
m ocht e si e, an den ruhi gen und
schücht ern en m äkel t e si e herum .
Frauk e f and unf ai r, dass si e
ausgere chnet au f denen am
m ei st en herum hac kt e, di e es
sowi eso schon sch were r ha t t en.
Dabei konnt e si e de m Unt erri cht
gut fol gen. S i e w ar b est i m m t
ni cht düm m er al s di e ande ren,
nur
eben
ei n
bi sschen
l angs am er. Und nu n hat t e di e
Leh reri n si e al so w i eder ei nm al
an der An gel .
"Es i st i mmer dassel be m i t
di r!" Zi em l i ch l aut und z i em l i ch
böse. S i e z og e rsc hrocken den
Kopf ei n, abe r das bracht e bei
i hrer Größ e ni cht vi el . "Ni m m
di r ei n Bei spi el an Draupadi ! "
Das z um i ndest wol l t e si e gern
beherz i gen.
Draupadi war so wi eso i hr
Vorbi l d.
Das
b r aucht e
i hr
ni em and sa gen. O hne Zw ei fel
41
war s i e di e Best e. S i e konnt e
s chon
al l e
Buch st aben
des
Al phabet s schrei ben , sowohl di e
groß en al s auch di e kl ei nen. S i e
konnt e vorl esen, w as i rgendwo
ges chri eb en st and, wenn auch
noch ei n bi sschen st o ckend. Vo r
al l em abe r konnt e s i e di e Tex t e
von vi el en, vi el en
Li ed ern
m ü hel os aufsa gen. Dafür du rft e
sie
s chon
in
ei nem
C hor
m i t s i ngen. Um den P l at z auf der
Bank
n eb en
i hr
hat t e
es
z wi s chen
den
Jungs
ei n e
ri cht i ge P rü gel ei g egeben. Ih re
W ahl war schl i e ßl i ch auf Mi ke
Gam l i n gef al l en. Der gehör t
ebenfal l s z u den Vorbi l dern
(wenn au ch ni cht i m sel ben
Grad). Vor al l em aber wa r er
kräft i g für s ei n Al t er. Ei n
Bes chüt z er al so für den Fal l der
Fäl l e.
Nach der Ve ranst al t ung i n der
Aul a gi n gen di e Kl assen wi eder
i n i h re R äum e und wähl t en dort
i hren ers t en Grupp enrat . Au ch
das
war
ei n
bedeut sam es
Erei gni s , l e gt e es d och Zeu gni s
ab
von
der
S t el l ung
d er
Ei nz el nen i m K ol l ekt i v . In d er
1a gab es z um indest bei m
Vors i t z enden kei n Vert un. Nur
um
di e
ü b ri gen
Mi t gl i eder
ent brannt e
ei ne
hi t zi ge
Di s kus s i on. Auf Mi ke Gam l i n
konnt en si ch al l e noch rel at i v
s chnel l ei ni gen. Da nn wurde es
ri cht i g s ch wi eri g.
Nach ei ner W ei l e sc hl ug Bj örn
Haas e
si ch
s e l ber
vor.
Aus g ere chnet Bj ör n, der fast
noch s chl a fm üt z i ger w ar al s
Frauk e (woz u schon ei ni ges
gehö rt e) und den bei m S port
n i em and i n sei ner Mannscha ft
haben wol l t e (wei l m an m i t i hm
s chon hal b v erl oren hat t e). Fr au
Fah r ent hol z bem erkt e ei n weni g
spi t z :
"Na, da st aune i ch a ber. S onst
kri egst du d en Mu nd ni cht auf
und j et z t wi l l st du gl ei ch i n d en
Gruppenrat ."
Dam i t war das S i gn al ge geben
z ur al l gem ei nen Hei t erkei t . Und
das
An gebot
ab gel ehnt .
Ei gen t l i ch.
Ab er
ni cht
endgül t i g. D enn pl öt z l i ch fl og
Draupadi s A rm nach oben.
"Es i st gem ei n, da ss i hr i hn
ausl acht .
N i emand
darf
zurüc kgel assen w er den ."
Di e Losun g, di e si e i rgendwo
auf ges chn appt
h at t e,
wo g
nat ü rl i ch schwer. Das Lach en
erst arb
und
s oga r
F rau
Fahr ent hol z
wurd e
nach denkl i ch. ( T j a, w enn man
es so si eht .) Al so gut ! Bj ö rn
wurde
ni cht
z ur ückgel a s sen ,
sondern gew ähl t . Auf P r o be.
W enn er si ch ni c ht b ewährt ,
könnt e m an i m m er noch j e m and
anderen n ehm en.
Es war di es das erst e Mal ,
dass Draupadi ei n Mi t gl i ed
i hres
Gruppenr a t s
sel bst
best i m m t e. S pät er sol l t e di eses
P ri nz i p z ur R egel we rden. Di e
W ahl l i ef dann gena u so ab, wi e
m an
si ch
im
W est en
di e
s oz i al i st ische Dem okrat i e schon
i m m er v or gest el l t hat t e: A l l es
st eht schon vorher fest und das
S t i m m vol k m uss bloß noch di e
Hand heben.
Al s Frauk e na ch H ause kam ,
erwa rt et e si e dort noch ei ne
an genehm e Über ras chung - und
z war i n P erson i h res B ruders
Lut z ,
der
von
der
NVA
S onde rurl aub beko m m en h at t e.
Da e r vi e rz ehn J ahre äl t er wa r,
hat t e si e i n i hm sei t i hre r
frühest en Ki ndhei t den z wei t en
42
Vat er geseh en. W enn ni cht gar
den er s t en. Denn e r hat t e Zei t
für s i e. Und Gedul d . S i e m usst e
i hn schon gehö ri g nerven, eh e
er s i e fort schi ckt e. Ber ei t s al s
J ugen d l i cher
h at t e
er
unge wöhnl i ch
vi el
Verant wo rt ung i n nerhal b der
Fam i l i e
übernom m en.
Das
S chi cksal ,
der
S ohn
ei ner
bl i n den
Mut t er
zu
sei n.
Let z t l i ch hi n g d er Daue rst res s
des Vat ers auch z usam m en m i t
sei nem A rm eedi enst . Lut z fehl t e
überal l . Fr auke ab er ve rm i ss t e
i hn am m ei st en. Al s si e i hn sah,
spran g si e i hn an wi e ei n j u n ge r
Hund. Dass si e nun für ei n pa ar
Tage z urück i ns S chl afz i m m er
der El t e rn z i ehen m usst e, nahm
si e ge rn i n Kau f.
12
E
nde J anuar 1973 erl ebt e
Frau k e aberm al s et was,
worauf si e sehr st o l z war:
Draupadi h at t e si e z ur F ei er
i h res
si ebent en
Geburt st a gs
ei ng el aden. And ers al s bei der
Aufnahm e
in
di e
P i oni erorgani sat i on war es i n
d i es em
Fal l
kei ne
S el bst verst än dl i chkei t , dass si e
t ei l nehm en
durft e .
Let z t l i ch
hat t e si e si ch i hren P l at z auf der
Li s t e
v erdi ent
durch
i hr e
Ber ei t schaft , b ei m Abhol en des
Kuchens
vom
B äcke r
m i t z uhe l fen. S i e t ra f z usam m en
m i t Bj örn ei n, b ei de m i t z wei
gro ß en Ei nkaufsb e ut el n.
Ei gent l i ch w ar das Haus der
S chm i t t s
ni cht
wi rkl i ch
v ornehm . Ei n gra u verput z t es
Gebäude m i t s pi t z z ul aufe ndem
Dach. Es bot ni ch t vi el m ehr
P l at z al s di e Wohnung der
Bau m anns. Doch es war vi el
aufre gender, wei l es hi nt er
m ächt i gen
Koni fer en
vers chw and
wie
das
Dornrösch enschl oss. Der Gart e n
wurde nu r not dürf t i g gep fl e gt
und fast gar ni cht z um Anbau
von Obst oder Gem üse genut z t .
Er wa r ganz und gar D raupadi s
Abent euerspi el pl at z .
Di e bei den Neu an köm m l i nge
kl i ngel t en und wur den z unächs t
von Frau S chm i t t wi l l kom m en
geh ei ßen. De ren r ese rvi ert e A rt
erwe ckt e i n Frauk e für ei nen
Mom ent di e Be fürc ht ung, et w as
fal sch gem acht z u haben. J ahre
spät er
l e rnt e
si e
di eses
Verha l t en
v erst e hen.
J ahre
spät er
wusst e
si e,
das s
Draupadi s M am a a us ei ner i m
Kri e g ve rar m t en M us i kerfam i l i e
st am m t e, dass si e aus di es e r
Fam i l i e pr akt i sch aus gest oßen
war, wei l m an di e W ahl i hrer
P art ner ni cht akz e pt i ert e, das s
si e i nsgehei m unt e r Ei fersucht
l i t t , wenn i hre l ei bli che Toc h t er
wi e ei ne Kl et t e a m S t i efv at er
hi ng. Dam al s wus st e si e nur ,
dass si e so et was wi e ei ne
Leh reri n wa r. ( Ab er ni cht i n
ei ner S chul e: Di e K i nder kam en
z um Kl avi erspi el en z u i hr i n di e
W ohnung.) A uß erd em fi el i hr
auf, dass si e si ch i m m er ei n
bi sschen st ei f bewe gt e, und das s
si e m anchm al so k o m i sch sprach
43
- wi e i n den Fi l m en am
M ont aga bend.
Im
Vorüb er gehen
gel an g
Frauk e ei n neu gi eri ge r Bl i ck i ns
W ohnz im m er. W ei l dort da s
Kl avi er P l at z fi nden m usst e,
hät t e es ar g en g gewi rkt , wär e
davor
ni cht
ei ne
ver gl ast e
Verand a gew esen. Di e Fei er
fand ab er i m Ober ge schoss st at t ,
wo Dr a u padi üb er ei n ei genes
R ei ch verfü gt e. Zwa r endet e di e
S chrä ge des D ach es erst am
Fußboden, do ch w ar das, was an
R aum übri g bl i eb , für ei ne
ge rade S i ebenj äh ri ge al l em al
au s rei ch end. Und a uch noch für
ei n Dut z end i hre r F reu nde .
Zum al s i e für di e S chul arbei t en
das Arbei t sz i m m er i hres P apas
benut z t e. Dort wa r auch d er
Gro ßt ei l i hrer S chul ut ensi l i en
dep o ni ert .
Frauk e be grüßt e Mi ke und di e
anderen, di e es si ch m i t j e e i ner
Tas s e K akao gut gehen l i eßen .
Doch
si e
v er m i sst e
di e
Gas t g eberi n, d er si e grat ul i er en
und der si e i hr Gesch enk
überre i chen wol l t e.
"Dr aup y
m uss
noch
Haus au f gaben m ach en", e rkl ärt e
M i ke. "S i e i st dort drüben. W i r
s ol l en s chon anf angen. S i e
kom m t dann gl ei ch. "
Frauk e bl i ckt e i hn ungl äubi g
an. (Draup adi hat t e es j a nun
wi rkl i ch ni cht nöt i g, w ährend
i hrer ei genen G eb urt st agsf ei er
für di e S chul e zu arbei t en.)
Un s chl üs si g,
ob
si e
st öre n
dürfe, s chl i ch si e si ch an der
Treppe vo rbei au f di e ande re
S ei t e
des
H ause s.
In
de r
hal boffen en
Tür
bl i eb
si e
s t ehen.
Von
dort
aus
beobacht et e si e et was, das
i hrem
W el t bi l d
völ l i g
wi de rspra ch.
Bei i hr Zuhaus e wa ren P fl i cht
und Ver gnü gen st ri kt get r ennt .
Das Erl edi gen der H ausauf gab en
gal t al s e rnst e An g el e genhei t ,
bei der S t i l l e z u herrschen hat t e
(ab geseh en vom Krat z en de r
Fede r auf dem P a pi er). Mut t i
m i t i hrem fei nen G ehör m e rkt e
s ofort ,
wenn
i h re
Tocht er
t räu m end i nnehi el t und aus dem
Fenst er s chaut e. B ei Draupadi
und i hrem P apa l i eßen si ch
Arbei t und Fr ei z ei t so gut wi e
ga r
ni cht
vonei nander
unt ersche i den.
D as
begann
schon dam i t , dass si e fast auf
s ei nem S choß saß und st ändi g
i rgend wi e B erüh ru ng m i t i hm
hat t e. Er st ach el t e si e z war z u
schwi eri gen Übun gen an (di e
best i m m t
ni cht
von
Frau
Fahr ent hol z st am m t en), doch
das war i m m er nur ei n S pi el .
W enn si e es sch a fft e, hat t en
bei de ei nen R i ese nspaß, wenn
ni cht , spi el t e es kei ne R ol l e.
Get adel t wu rde si e a nschei nend
ni e.
Ei n Tex t aus der Fi bel wa r
auf ge geb en. Es hät t e ger e i cht ,
i hn i rgendwi e z u verst ehen. S i e
aber l as i hn l aut u nd m i t vi el
Bet onun g.
D er
P apa
hört e
i nt e ressi ert z u. P l öt z l i ch sagt e
er m i t schal khaft em L ä chel n:
"Na, d as wa r j a ei nf ach. Ni cht
wahr? Aber kannst du das au ch
... rückwä rt s? "
S i e st ut z t e und bli ckt e i hm
forschend i ns Ge si cht . Dann
versucht e si e es. Nat ürl i ch
konnt e si e das. W el ch ei n
Geal ber gab das wi eder! S i e
qui et scht e
vor
Ver gnü gen
ang esi cht s
der
kom i schen
W ort e, di e dabei h er auskam en.
44
Et was spät er beha upt et e er:
"W i r m üssen aufpassen, dass
dei n
Gehi rnche n
ni cht
ei nro s t et ."
W ährend er bei d en echt en
Auf gaben
and auer nd
l acht e,
bl i eb er bei di esem Nonsens
t o dernst . Und si e t at es i hm
gl ei ch. Er sah si ch wi e ei n Arz t
i hren Kopf von al l e n S ei t en an.
S i e gri f f si ch an di e S t i rn,
s chei nbar besor gt , d ass da s chon
i rgend e t was kni rs ch t e.
Draupadi s M am a b ehaupt et e,
der P ap a wü rde si e überfo rd ern.
Doch nach Fr auk es Ansi cht
s i eht Über forde run g i r gendwi e
anders aus. In s geh ei m benei det e
s i e Draupadi um i hren Vat er.
Der hat t e of fenba r u n endl i ch
vi el Zei t für sei n e Tocht er,
obwohl er doch au c h j eden Ta g
z ur Arbei t g ehen m u sst e.
Über sei nen Be ru f erz ähl t e
m an si ch i n Bei ersd orf übri gens
s el t s am e G eschi cht en, m ei st ens
hi nt er vor geh al t ene r Hand und
ni cht i m B ei sei n kl e i ner Ki nde r.
Aber F rauke war n i cht auf den
Kopf ge fal l en (so se hr di e doofe
Fahr ent hol z das au ch gl aubt e).
Draupadi s P apa arb ei t et e für di e
St as i . Er m acht e dort S achen,
von
denen
ni em and
et w as
wi s s en durft e, ni cht ei nm al
s ei ne ei gene Fam i l i e. Frauk e
bracht e auch ei n n e ues W ort m i t
nach Haus e: K rypt ol ogi e . Das
hat t e si e si ch z unächst ganz
fal s ch gem erkt . Ih r Vat i hat t e
aber dann do ch gew usst , was si e
m ei nt e, und i hr ges a gt , dass
s i ch
sol che
Leut e
mit
Gehei m schri ft en
beschäft i gen.
S ei t dem sah si e H errn S chm i t t
i n i hrer P hant asi e i rgendwo i m
Ori ent m i t ei ner Taschenl am p e
durch
verf al l en e
R ui nen
schl ei chen,
i m m er
Au s schau
hal t end nach ei gent üm l i chen
Zei chen an de r W and. Ganz
best i m m t führt e e r ei n sehr
aufre gendes L e ben.
Frauk e st and ei ne ganz e W ei l e
da, ohne si ch et was z u sa gen z u
t rauen. S i e wurde erl öst dur ch
Draupadi s M am a. Al l e sol l t en
herunt erkom m en,
wei l
dort
i nz wi schen der Ku chen ber ei t
st and. Das gal t n a t ürl i ch auch
für di e Gast geb eri n, di e si ch
al so nun von i hren sonderb ar en
Hausauf gaben t ren nen m usst e.
Frauk e
konnt e
i hr
P fl i cht pro gr am m
absol vi eren
und si ch dann den ander en
anschl i eßen.
Nach dem Kuchen essen gi n g
di e
Fei er
ob e n
wei t er.
Draup adi s Mam a erl edi gt e i n
der Küche den A bwasch, i hr
P apa am üsi e rt e di e Ki nder.
Frauk e fand i hn a uch bei den
Gesel l schaft sspi el en
unge wöhnl i ch net t . Er kü m m ert e
si ch ke i nes we gs nur um di e
ei gene Tocht e r , so ndern st el l t e
si ch auf j eden ei nz el nen ei n.
Frauk e sch ät z t e vor al l em , das s
er si e bei d en Knob el ei en ni e z u
ei ner s chne l l en Ant wort drän gt e
(anders al s d as i n der S chul e
i m m er g eschah ). U nd si ehe da:
Kaum bl i eb i hr ge nügend Zei t
z um Nachdenken, schon schni t t
si e ri cht i g gut ab.
" In den großen Kl a ssen wi rs t
du es noch z u et was bri ngen ",
proph ez ei t e er i hr. "W om ögl i ch
wi rst du m ei ne D raup y ei nes
Tages
al s
Kl assenbes t e
abl ösen", fü gt e er hi nz u. Das
m ei nt e
er
sel bst verst än dl i ch
ni cht ernst und al l e l acht en über
di e kom i sche Vorst el l ung. D as s
er auf t ra gi sch e W ei se R echt
45
behal t en sol l t e, kon nt e er ni cht
ahnen.
Ei nm al
m usst e
er
di e
S t i m m ung ret t en. Ei n besonders
nas ewei s es Mäd chen t at si ch m i t
i hren
neuest en
bi ol ogi schen
Erk ennt ni ssen he rvo r. Draup adi s
M am a s ei wi r k l i ch i hre Mam a,
i hr P apa ab er ni cht und darum
s ehe s i e au ch so and ers aus. D as
war ei n Verbr ech e n, das nach
dem W i l l en der Gast geb eri n m i t
s ofort i gem R auswu rf ge ah n det
worden w äre. H err S chm i t t
i n des beruhi gt e z unäc hst sei ne
Tocht er und e rkl ä r t e dann m i t
W ort en, wel che di e Ki nder
v ers t anden, dass e r sei ne Frau
s chon
gekannt
habe,
al s
Draupadi noch i n deren B auch
war.
" Ic h habe m i t erl eb t , al s si e
gebo ren wo rden i st . Und darum
bi n i ch t rot z al l em i hr ri cht i ger
P apa."
Dam i t war d as The m a erl edi gt
und das nächst e S pi el konnt e
begi nn en.
Di rekt vor d em Abendbrot
hat t e
Draup adi
noch
ei nen
Auft ri t t z usam m en m i t i hrer
M am a. S i e san g ei n Vol ksl i ed
und l i eß si ch dabei am Kl avi er
begl ei t en. Dabei fi el Frauk e
bes onders deut l i ch au f, wi e
unt ers chi e d l i ch si e si ch i hre n
b ei den
El t ern
ge genübe r
verhi el t . S i e hört e gen au auf
das , was di e Mut t e r sa gt e, und
ri cht et e
si ch
a uch
ohne
W i ders pruch dan ac h - aber si e
s chm u s t e ni cht m i t ihr.
Di es e F ei nhei t en sah frei l i ch
nur,
we r
aus
persönl i chen
Grü n den d arau f acht et e. An
di esem Abend ere i gnet e si ch
al l erdi ngs
auch
noch
ei n e
wi rkl i ch
pei nl i c he
S z ene.
Frauk e (al s U n gl üc ksrabe vom
Di enst ) pl at z t e m i t t en hi nei n,
al s si e den E rwachs enen höfl i ch
di e Hand g eben wol l t e. Ausl öser
waren z wei Dam en , di e i n der
geö ffn et en Ei n gan gst ür st anden,
ni cht ri c ht i g dri n und ni cht
ri cht i g d ra u ßen. D i e ei ne w ar
un ge fähr so al t wi e He rr un d
Frau
S chm i t t ,
di e
andere
deu t l i ch äl t er. B ei de l i eßen
i hren Bl i ck um h ersc hwe i fen wi e
i m Kau fhaus. Aber si e wol l t en
ni cht s
m i t nehm en ,
so n dern
et was bri n gen: ei n G esch enk.
W as ei gent l i ch ga nz n at ürl i ch
hät t e sei n sol l en, e r wi es si ch i n
di esem Fal l al s echt es P robl em .
Das Geburt st a g s ki n d war ni cht
z u sehen und hä t t e ge rufen
werden m üssen. Di e ä l t ere
Dam e spra ch aber grun dsät z l i ch
nur z u der j ün geren Dam e.
Di ese
wi ede rum
gab
di e
Bot schaft en w ei t er wi e ei n
Dol m e t scher. ( "S a g i hnen, dass
wi r ... " - " Ich sol l euch sa gen ,
dass wi r ..." ) He rr S chm i t t war
dabei st ändi g i n Gefah r, von
gi ft i gen Bl i cken get öt et z u
werden. Ir gend wan n hat t e er
genu g und en t fern t e si ch m i t
ei nem Augenverd re her. Dana ch
kl ap pt e
di e
Ko m m uni kat i on
besser.
Et w as
b esser.
Gut
genu g, dass Dr aupa di z u i hrem
Geschenk
k am .
Und
di e
verbl i ebenen Gä s t e z u ei ner
Gel e genh ei t ,
si ch
zu
verabschi eden.
46
F
rauk e öffn et e di e Augen
und schaut e au f di e Uhr.
Ni cht ganz ei ne hal be
S t unde war ver ga n gen. S i e hät t e
deut l i ch
m ehr
gesch ät z t .
Inz w i schen
fühl t e
si e
si ch
wi eder i n der La ge, di e Fahrt
fort z use t z en. Das Herz rast e
ni cht
m ehr.
Di e
Gedanken
l ös t en si ch b e rei t wi l l i g aus der
fernen V e r gan genhe i t . Der Zo rn
auf di e Zi t t l auers al l e rdi ngs war
noch ni cht völ l i g verfl ogen.
Deren Behaupt un g, Draupadi
wäre
i ns
Dro genm i l i eu
abg est ürz t .
Frauk e ahnt e, we shal b si e
di ese W ut ni cht überwi nden
kon nt e. S i e wol l t e di ese Vi si on
z war ni cht akz ept i eren, h a t t e
aber ander ersei t s auch kei n e
st i chhal t i gen Ar gum ent e, um si e
völ l i g ausz uschl i eß en. Zorn und
Angst
l i e gen
m e i st ens
eng
bei ei nander. Ab er si e m usst e i ns
Hi er und J et z t zurückfi nden,
wol l t e si e ni cht auch di e Nacht
noch
auf
di esem
R ast pl at z
verbri n gen.
Mi t
ei ner
ent schl oss enen
Be we gun g
en t ri e gel t e si e di e Türen i h res
Audi s und st a rt et e d en Mot or.
13
S
am st ag,
am
frühen
Nachm i t t a g, wa r ni cht vi el
Verkeh r auf der Au t obahn.
Frauk e
fuhr
b ewusst
so
ent s pannt wi e m ögl i ch, l i eß es
ei n fach
rol l en.
Doch
ei ne
ge wi sse i nner e U nruhe bl i eb.
S i e m erkt e es da ran , wi e n ervös
sie
auf
kl ei n e
S t örungen
rea gi e rt e. Zum B ei spi el , wenn
j em and vor i hr unm ot i vi ert
brem s t e oder vi el z u di cht auf
i hre S pur we chse l t e. Et wa a b
M el s ungen fühl t e s i e si ch von
ei n em dunkel bl aue n VW Gol f
v erfol gt . Hat t e si e den ni cht
auch s chon au f d e m R as t pl at z
s t ehen
sehen?
Zei t wei l i g
erhöht e si e z um Test di e
Ges chwi ndi gkei t . S pät er kam
i hr das al bern vor und si e fuhr
wi eder i m norm al en Tem po. S i e
nahm si ch vor, auf den ander en
W agen ni cht m ehr z u acht en,
wei l si e si ch ganz best i m m t nur
et was ei nbi l det e.
Doch si e
konnt e j a ni cht bl i nd fahren und bei Bad Nauhei m ent deckt e
si e i hn aberm al s. Kon nt e das
noch Zuf al l sei n, na ch so vi el e n
Ki l om et ern? S i e spürt e, dass i hr
di e Kont rol l e z u ent gl ei t en
droht e. W as w ar l os m i t i hr? Es
kom m t vor i m L eb e n, dass m an
et was ni cht i m Gri ff hat : di e
äußeren Um st ä nde, di e ei gen en
Gefühl e. Frauk e i ndes hass t e
sol che S i t uat i onen. S i e braucht e
Ordnun g.
Am Bad Hom bur ge r Kreuz bog
der VW endl i ch ab . Al so doch
kei ne Verfol gun g! Al so doch
l edi gl i ch ei n and ere r F a hre r m i t
fast dem sel ben T em pogefühl !
Di e Erl ei cht e run g e rz eugt e ei ne
bei nahe eupho ri sch e S t i m m ung,
di e ungef ähr bi s z um Ei nparken
i m Hof rei cht e. W ährend des
Abendbrot s vor d e m Ferns eher
kehrt e di e D epr essi on z urück.
Di esm al konnt e sie di e Angs t
ni cht
auf
ei nen
konkret en
47
An l as s bez i ehen. Di e Vernunft
s agt e i hr, dass di e Vorl adun g
z ur P ol iz ei si cherl i ch noch
i m m er ei ne R ol l e s pi el t e. Abe r
der u n ge re cht fert i gt e Verd acht
(der ve rm ut l i ch bal d fal l en
gel as s en wi rd) wa r vi el l ei cht
nur der Anst oß, ni c ht di e t i efer e
Urs ach e.
S i e eri nnert e si ch an ei ne
S chal l pl at t e, di e si e si ch Anfang
1991 g ekauft h at t e , ei ne gut e,
al t e Vi n yl pl at t e v on R ei nhard
M e y m i t d em T i t el Farben . Das
ers t e (und aus de r S i cht des
Li ed erm a chers
wa h rschei nl i ch
wi cht i gs t e) Li ed war i hr ni e
s ym pat hi sch gewo rden: Mei n
Ber l i n m i t dem J ubel der
M as s en am S chl uss. S i e hat t e
ge rade i h ren J ob verl oren und
k o nn t e
dabei
ni cht
gut
ei ns t i m m en. Ei n anderes Li ed
aber gi n g i h r sei t de m ni cht m ehr
aus
dem
K opf,
denn
es
wi ders pi e gel t e
ein
S t ück
Grundüberz eu gun g.
Al l ei n.
Wi r s i nd al l ei n.
Wi r ko mmen und w i r gehen
ganz al l ei n.
Wi r mögen no ch so sehr
g el i ebt ,
von
Z unei gung
umgeben sei n:
di e K reuzw ege d es L ebens
geh' n w i r i mmer ganz a l l ei n.
Al l ei n.
Wi r si nd al l ei n .
Wi r ko mmen und w i r gehen
ganz al l ei n.
In Mom ent en wi e di esem
fra gt e si e si ch nat ürl i ch auch,
ob si e ni cht bess er l eben würd e
m i t P art ner und Ki nd, ei ner
ri cht i gen F am i l i e eben. S i e
hat t e si ch für das S i ngl el eben
ni e au s drückl i ch ent schi eden.
Doch Zu f al l war e s wohl auch
ni cht . Aus de r Beoba cht un g
al l er P art ne rsch aft en, di e si e
beurt ei l en konnt e, h at t e si e ei n e
Erken nt ni s ex t r ahi ert : Ei ner i st
i m m er
der
Verl i erer.
Ei ne
S t i m m e i n i hr warnt e si e, dass
ei n P art ner i hre P robl em e eher
verschl i m m ern al s l ösen wü rd e.
S o m usst e si e al so m i t dem
Al l ei nsei n kl ar kom m en - i n
gut en wi e i n schwe r en Zei t en.
In de r Erkennt ni s, an di esem
Abend ni cht s Orden t l i ches m ehr
z u st ande z u bri nge n, l egt e si e
si ch früher al s sonst i ns Bet t .
Nachdem si e ab er das Li cht
gel öscht h at t e, be ga nn der Fi l m
aus der S chul z ei t i n i hrem Kopf
wei t erz ul aufen.
B
Zw ei en.
Auc h
im
Kl assendurchs chni t t
l ag
si e
dam i t u ngefäh r i n der Mi t t e.
(Von
we gen
die
größt e
S chnar chn as e!)
Draupadi
hat t e
erwa rt ungs g em äß i n säm t l i chen
Fäch ern Ei nsen. Ihr Zeu gni s
wurde
h eru m ger ei cht
und
best aunt wi e ei n C om i c -Heft aus
dem
W est en.
Und
di eses
Kunst st ück war i h r sogar t rot z
ei der Zeu gni saus ga be am
Ende
des
erst en
S chu l j ahrs erl ebt e Frauk e
ei ne
posi t i ve
Ü berr as chun g.
W egen der st ändi gen Kr i t i k an
i hr
hat t e
si e
mit
dem
S chl i m m s t en g ere c hnet . Aber
di e Zensuren wa r en für d en
Anfan g r echt o rd en t l i ch: di e
Ei ns i m R echnen; Drei en i m
S chöns chre i ben, i m Zei chn en
und i m Si ngen; a n sonst en nur
48
et l i cher F eh l st unde n gel un gen.
W ei l si e si ch i m U n t erri cht
s owi eso nur l angwei l t e, hat t e
Frau Fah rent hol z i m z we i t en
S chul hal bj ahr z uge l assen, dass
s i e oft früh er na ch Hause gi n g.
M ei s t ens hol t e sie daz u di e
Genehm i gun g der S chul l e i t ung
ei n, m anchm al nah m si e es au f
di e ei gene Kappe. Der A n l ass
war st et s de r P i oni ercho r, für
den Dr aupadi t ra i ni ert e wi e ei n
Lei s t un gssport l er
vor
de r
M ei st erschaft . S ei t Apri l hat t e
s i e di e Hof fnun g, b ei m ehre ren
Auft ri t t en
währ end
der
W el t fest spi el e d abei z u sei n.
Für Fr auke hi el t de r Tag na ch
der an gen ehm en ab er noch ei n e
unangenehm e
Übe rr aschun g
berei t . S i e spürt e e s schon, al s
s i e di e W o hnung bet rat . Di e
Art , wi e Mut t i si e begrüßt e. Di e
Art , wi e si e r ea gi e rt e, al s Vat i
i hr
(m i t
ei ner
gewi ssen
Fei erl i c hk ei t i n d er S t i m m e)
Beurt e i l ungst ex t
und
Not en
vorl as. Di e El t ern, di e ebenf al l s
ei n
s chl echt er es
Ergebni s
erwa rt et hat t en, freu t en si ch und
l obt en i hre Tocht e r. Das schon!
Aber si e war en dab ei ni cht ganz
bei der S ache. In i hrem Kopf
rum ort e
noch
ein
ander es
P ro b l em .
Ei nes
mit
noch
größ ere r B ede u t un g.
Zunä chst schm ol l t e Frauk e ei n
weni g - i n der An nahm e, dass
wi eder
ei nm a l
ei ne
Angel e ge n h ei t i hres Vat i s m ehr
Bea cht un g
f and
al s
ei n
Höhepunkt i hres Le bens. S pät er
aber m erkt e si e, dass di ese
andere S ach e seh r w ohl auch si e
bet raf - vi el l ei ch t sogar i n
ers t er Li ni e si e. W en i ge W oche n
nach den S o m m erf eri en wü rde
der A rm eedi enst i h res Brude rs
z u Ende sei n. Di esem Ta g
fi ebert e si e m ehr en t ge gen al s
j edem ande ren Er ei gni s. S i e
t räum t e
davon,
dass
dann
überhaupt al l es wi eder so sei n
würde wi e vor dr ei J ahren, al s
er fort ge gan gen wa r.
Lut z
hat t e ger ad e sei nen
l et z t en
Url aub
vor
der
Ent l assung. Nun s aß er schon
sei t ge raum e r Ze i t m i t den
El t ern i m großen W ohnz im m er
z usam m en und es wurde h ei ß
di skut i ert . Ki nder waren ni cht
z ugel assen. Das v e rhi eß schon
von vornherei n ni cht s Gut es .
Al s di e El t ern dann gem ei nsam
bei i hr au fkreuz t en und ewi g
l ange nur l ee res Ze ug e rz äh l t en,
ehe si e z ur S a che kam en, l i eß
di e K at ast roph e si c h schon f as t
m i t den Händen fühl en. Frauk e
war na ch Heul en z um ut e, ehe
si e überhaupt di e Ei nz el hei t en
kannt e. Und nachd em si e dan n
al l es w usst e, rannt e si e i n di e
ehem al i ge
Di enst m ädchenka m m er, schl os s
si ch dort ei n und kam erst am
spät en
Ab end
w i eder
z um
Vorschei n, um si ch i ns Bet t z u
l egen.
Das
Abendbrot
(an gebl i ch m i t Le ck erei en ex t ra
für si e) rei cht e i hr a l s Arg um ent
ni cht aus.
Lut z
hat t e
ei n
Angebot
erhal t en, sofo rt nac h dem NVA Di enst ei n S t udi um i n Moskau
z u begi nnen. D as war ei n e
Aus z ei chnung.
Erm ö gl i cht
hat t en i hm das ni cht z ul et z t
sei ne
m i l i t äri schen
Vor geset z t en, bei d enen er
ei nen
hervor ra ge nden
R uf
genoss. Er wol l t e al l erdi ngs
s ei ne Zust i m m ung ni cht g eben,
ohne sei ne El t ern gef ra gt z u
haben. D ass e r i n der Fam i l i e
49
feh l t e, wa r i hm durchaus kl a r.
Und er hat t e G e wi ssensbi sse
des w e gen. Doch s ei ne Mut t er
wol l t e auf gar kei n en Fal l , dass
er s i ch für si e opfert e, dass er
ni cht di e opt i m a l e Ausbi l dung
i n An s pruch nahm , di e m an i hm
off eri e rt e.
Hi e rbei
gi n g
es
schl i e ß l i ch um s ei ne ganz e
Zukunft . Fr auke spi el t e bei d en
Überl e gun ge n kei ne R ol l e.
14
F
rauke
e rl ebt e
di e
W el t fes t spi el e z usam m en
mit
i hrer
S chul kl asse.
Ei gent l i ch w ar si e noch z u j ung
dafür. D as wa r ei n Fe s t i val de r
J ugend und der S t u dent en, ni cht
ei nes für Ki nder. Di e vi el en
M en s chen
beunru hi gt en
si e.
M ei s t ens sor gt e si e si ch nu r,
Frau Fah r ent hol z aus den Augen
z u verl i eren. Am l i ebst en hat t e
s i e, wenn di e Kl as se vor ei ner
der Bü hnen ei ne W ei l e bl i eb
und al l e si ch s et z t en, en t w eder
auf di e Bänke od er ei nfach i ns
Gras . D ann konnt e si e si ch
um bl i cken oder v or si ch hi n
t räu m en, ohne gl ei c h i m Gewühl
verl oren z u g ehen. Dann l i eß si e
s i ch auch anst e cke n durch di e
fröhl i che S t i m m ung ri n gsum .
Überal l wurde get anz t und
ges un gen. Man chm al durft e si e
s o ga r m i t t anz en
Nat ürl i ch schn appt e si e au ch
von den R eden ab u nd z u e t was
auf. S i e hört e z um Bei spi el ,
das s i n m anchen Lä nder j em and,
der ei ne dunkl e Ha ut farbe hat ,
ni cht s t udi eren darf. Das fa nd
s i e gem ei n. In der DDR war das
anders . (D raup adi wi rd ni em and
am S t udi eren hi nde rn. S i e wi rd
s pät er ei nm al P ro fess ori n an
ei ner Uni ve rsi t ät sei n.)
Dam i t
bal d
überal l
S oz i al i sm us
i st , m uss
m an
S ol i dari t ät üben. Fr auke und di e
anderen
P i oni ere
aus
i hrer
Kl asse sa m m el t en F l aschen und
Al t papi er. Den Erl ös spendet en
si e für d en F rei hei t skam pf des
vi et nam es i schen V ol kes ge gen
di e
am er i kani schen
Aggressoren. Gut e Am eri kaner
gab es al l e rdi n gs a uch. Da wa r
z um Bei spi el ei ne Fr au m i t
ungl aubl i ch vi el en Haar en. Di e
sah Frauk e abe r i m m er nur auf
Bi l dern, l ei der ni e ri cht i g auf
der S t raße (od er we ni gst ens au f
ei ner Bü hne).
Mehr Gl ück hat t e si e bei dem
Mann
mit
dem
kom i schen
schwarz -w ei ßen Tu ch um den
Kopf. Den erl ebt e si e i n ei nem
groß en S aal . A l l erdi ngs konnt e
si e i h n von i hrem P l at z wei t
hi nt en kaum erkenn en. Er sa gt e
et was i n ei ner fr em den S pr ach e.
Das wurde z war überset z t , aber
si e verst and dann i m m er noch
ni cht , was genau er m ei nt e. Di e
J ugen dl i chen und Erwachs enen
wusst en es sel bst verst ändl i ch
besser und g aben i h m ganz vi el
Bei f al l .
Am Abend erkun di gt e si ch
Frauk e bei i hrem Vat i nach dem
Mann. Er erkl ä rt e i hr, dass das
Yasser A raf at gew e sen sei , der
50
Vors i t z ende
de s
Ex ekut i vkom it ees
der
P al äst i nensi schen
Bef rei un gs or gani sat i on
P LO .
M ut t i wi es i hn dara uf hi n, dass
er
ni cht
zu
sei nen
P art ei genossen sp re che , sond ern
zu
sei ner
si ebenj ähri ge n
Tocht er.
(D arau f
hät t e
er
ei gen t l i ch auch sel ber kom m en
können.) Nun erz ä hl t e er, dass
di e bösen Is ra el i s (wer au ch
i m m er
di e
w aren)
den
pal äst i nensi schen Menschen i hr
Land w e ggenom m en hät t en. Und
hi nt er den Isr ael i s wi ederum
s t ünden di e US A, di e i hnen
W affen schi ckt en. (Na j a, das
kl ang i r gendwi e ei n l eucht end.)
Frauk e anerk annt e das Bem ühen
i hres Vat i s m i t ei nem Küsschen.
W as i hr am nachhal t i gst en i n
Eri nnerun g bl i eb, w ar al l e rdi ngs
der Au ft ri t t des P i oni erchors.
Obwohl si e ni cht s dabei t un
m us st e, kna b bert e si e si ch vor
Aufre gun g di e Fi n ge rnä gel ab.
S i e hat t e re gel re ch t Angst um
i hre kl ei ne Kl assenkam er adi n
(denn
si e
gi ng
bei
i hren
Beu rt ei l ungen von si ch sel b er
aus ). Al l ei n di e Vors t el l ung,
vor so vi el en Leut en au f ei ne r
Bühne z u st ehen ( ei nfach nu r
dort z u st ehen) em pfand si e al s
den re i nen Ho rror. Und dann
Herr Ev ersen, d er C ho rl ei t er!
Frauk e konnt e übe rhaupt ni cht
vers t ehen, wi eso Draupadi fü r
i hn schwärm t e. E r e ri nnert e m i t
s ei n er ri esi gen, spi t z en Nase an
ei ne Kr äh e. Al l es an i hm war
s pi t z : di e Kni e, di e El l enbogen,
s oga r di e S t i m m e. Und er füh rt e
ei n st ren ges R e gi m ent . W ehe,
ei n Ki nd fand ni ch t sofort den
ri cht i gen
P l at z
in
der
Aufs t e l l ung! ( Frau ke wa r i n
di eser
Hi nsi cht
mit
Fra u
Fahr ent hol z schon m ehr al s
ausrei ch end b edi ent . )
Fünf Li ed er wurden gesun gen.
Di e Zuschau er kl at s cht en. A l l es
nahm den gepl ant en Ve rl auf.
Das beruhi gt e schl i eßl i ch s oga r
Frauk e. Ab er d an n passi ert e
doch noch et was S el t sam es. In
ei ner Bei f al l pause wi n kt e der
C horl ei t er unauff äl l i g Draup adi
z u si ch heran und redet e
fl ü s t ernd m i t i hr. Am Ende
fra gt e er si e et was , woraufhi n
si e
m eh rm al s
ent schl ossen
ni ckt e. A nschl i eße nd t rat si e
m i t ei n paa r r asch en S chri t t en
nach vorn an das ei nz el n
s t ehende
Mi krofo n
für
di e
S ol i st en.
Nat ürl i ch wa r das M i krofon z u
hoch an gebra cht f ür si e. Ih r
Versuch, H errn Ev ersen da rauf
hi nz uwei sen, schei t ert e da ran,
dass er ge rade woan dershi n sah.
Al so an gel t e si e m i t der H and
nach dem Ger ät , um es si ch
s el ber i n di e ri cht i ge P osi t i on
z u z i ehen. Dabei ri ss si e es aus
der Hal t erun g. Es fi el z u Boden
und erz eugt e ei nen Höl l enl ärm
in
den
ri esi gen
Laut spr ech erbox en l i nks und
recht s
de r
Büh ne.
F rauke
re gi st ri ert e m i t a ngeh a l t enem
At em , dass es S i t uat i onen gi bt ,
di e sel bst ei ne r wi e Dra up y üb er
den
Kopf
wac hsen.
Ei n
Techni ker st ürz t e s ofort herbei
und besei t i gt e das Ma l heur m i t
ei n paar gekonnt en Gri ff en.
Auch Evers en ka m . W i eder
wurde gefl üst e rt . Draupadi wa r
ganz of fensi ch t l i ch noch l än gs t
ni cht wi eder ri cht i g i n der S pur.
Trot z dem ni ckt e si e ab erm al s.
Und
si e
sang
i hr
Li ed
t at säc hl i ch ohne z u st ocken bi s
51
z um
Ende.
Di e
Zuschau er
fei ert en si e ansch l i eßend wi e
ei nen S t ar - n ach i hrem e rst en
groß en Au ft ri t t i m Leb en. S i e
s el bs t al l e rdi n gs ko nnt e si ch des
Tri um phs z u di esem Zei t punkt
noch ga r ni cht r echt freuen. Al s
s i e an i hren P l atz z urückgi ng,
l i ef s i e ei nen B ogen. He rr
Evers en h at t e ei n E i nsehen und
s chi ckt e si e nach dem nächst en
Li ed
fü r
den
R est
des
P ro gr am m s hi nt er di e Bühne,
wo s i e s i ch von i h rem S chock
erhol en kon nt e.
Ei n paar S t unden spät er fand
di e Kl asse ei ne Gel e genh ei t ,
den
C hor
in
sei nem
provi s or i schen Qu a rt i er (ei n em
groß en
Zel t )
zu
besuchen.
Frauk e nut z t e ei nen Mom ent , al s
der C ho rl ei t er ni cht da war, um
s i ch z u erkundi gen, ob er ni cht
ei n bi s s chen sehr st reng w äre .
Ei n i ge Ki nd er ni ck t en z agh aft .
Ei n M ädchen sa gt e, dass i hre
M ut t i ei gent l i ch ni c ht wi l l , dass
s i e wei t er dort hi n geht , wei l si e
m anchm al w ei nt , w enn si e n ach
Haus e kom m t . Dra upadi i ndes
fand
Eversen
kei neswe gs
bes o nders st ren g. ("Hö chst ens
m anchm al . W enn bei neuen
Li ed ern
al l e
d urchei nand er
s i n gen. ") Abe r si e verst ünde
s chon, dass er wi l l , dass al l es
kl appt . S chl i eßl i ch sol l der
C hor b erühm t we rd e n.
Über den S ol oauft ri t t war erst
i n l et z t er Mi nut e ent schi eden
worden.
Der
ei gent l i ch
vorges ehen e J unge hat t e si ch
krank gem el det . N orm al erw ei se
wäre sei n Li ed we ggel asse n
worden. Ni em and hät t e das
gem erkt . Doch d a Draupadi
sowohl den Tex t al s auch di e
Mel odi e si cher beh e rrscht e, war
di e
Vers u chun g
für
den
ehr gei z i gen H errn Eversen groß
ge wesen, sei nen kl e i nen S t ar ei n
hal bes
J ahr
fr üher
al s
ursprün gl i ch g epl an t i ns R ennen
z u schi cken. De r Erfol g hat t e
i hm j a l et z t l i ch auch R e cht
ge geben. W er m o c ht e da noch
an di e S chre cks eku nde m i t dem
Mi krofon denken?
Nun j a - z umi ndest Frauk e t at
das. S i e l i eß ni cht eher l ock er,
bi s si e m i t Draupad i auch
dar über reden konnt e.
" Ic h hät t e best i m m t ge wei nt ."
"Das d arf m an ni cht ."
"Doch ! Ki nder dü rfe n das."
"Abe r m an wi rd hässl i ch
davon. S agt P ap a."
"W ar e r denn da, d e i n P apa? "
"Na kl ar! E r saß l i nks i m
Gan g auf d em Fuß boden. Ohne
i hn hät t e i ch das nich t gem a cht .
Ic h wol l t e i hm z ei gen, wi e gut
i ch schon bi n. Und er hat si ch j a
dann auch ganz , ganz dol l
ge freut . "
D
bewi es si e, d ass si e käm pfen
konnt e.
Und
wi e!
Di ese r
Geda nke baut e F r auke wi eder
auf. Au ch si e du rft e si ch j et z t
ni cht unt erkri e gen l assen. Ni cht
von ei ner (völ l i g pl ausi bl en)
Vo rl adun g
z ur
Zeu genbe fr a gun g.
Ni cht
von
i ese Tapfe rkei t bewi es
Draupadi
noch
ei ni ge
M al e i n i hrem Leben.
Zw ar fi el i hr et l i c hes fast von
s el ber z u (z um i ndest bi s z um
vi ert en S chu l j ahr), doch m usst e
s i e ab und z u auch herb e
R ücks chl ä ge v e rkr aft en. D ann
52
ei nem harm l osen VW -Fahrer ,
der ei n paar Ki l om et er wei t
densel ben W e g hat t e wi e si e.
W eni g sp ät er s chl i ef si e ei n.
15
T
raut enbe r g hat t e si ch den
ges am t en
Fr ei t a g
über
au ßerhal b d es P räs i di um s
auf gehal t en, haupt s ächl i ch w ei l
bei m
Mafi am or d
Erfol g
vers pr e chende
S puren
auf get au cht wa ren. Al s er am
M ont ag i ns Büro k am , wart et en
dort ei ni ge N eui gk e i t en auf i hn.
Zürn set z t e i hn darüber währ end
der m o r gendl i ch en Tasse K aff ee
i ns Bi l d. Auch de r Fal l Ax el
Vos s spi el t e ei ne R o l l e.
"Das hi e r wi rd S i e ni cht sehr
überras chen. " Er hi el t ei nen
Bes ch ei d der S t aat s anwal t scha ft
kurz hoch. "Der Ant rag au f
Kont enei nsi cht i st abgel ehnt
worden. Kat e gori s c h! Ich hal t e
weni g davon, noc h auf ei ne
an dere
Ent schei dung
zu
drän gen. "
Traut enbe r g wi nkt e ab - ei n
weni g ver är gert , aber l et z t en
Endes ei n si cht i g.
"F rau
Voss
l ä sst
si ch
neuerdi n gs von ei nem Anwal t
vert r et en. "
Traut enbe r g z og er st aunt di e
Augenbrau en hoch.
"W arum
das?
Ni em and
v erdächt i gt
si e
i rgend ei nes
Ver geh ens."
"An gebl i ch b edrän g en wi r si e.
Und angebl i ch z i ehen wi r das
Andenken i hres verst o rbenen
Gem ahl s i n den S ch m ut z - durch
uns ere absol ut überfl üssi gen
R echer chen. W i r konst rui eren
abs urde Vers chwöru ng s t heori en.
Das i st doch s chon ei ne ga nz e
Menge. Und da di e ar m e Frau
Voss uns ohne f achkundi gen
Bei st and
völ l i g
hi l fl os
ausgel i efe rt wär e ... "
"Mi r
kom m en
gl ei ch
di e
Tränen. "
"W i e dem auch s ei : W enn wi r
wei t erhi n unt er
Mi ssacht ung
von P i et ät und Anst and i n den
i nt i m en Angel e genh ei t en di eser
ungl ückl i ch en
Fam i l i e
herum s t ochern, bek om m en wi r
es m i t di esem Herrn z u t un: Ei n
überaus
ener gi scher
Zei t genoss e, kann i ch Ihne n
versi chern. "
"W i nkel advokat ! ",
knurrt e
Traut enbe r g. " Ver m ut l i ch ei n
ent fernt e r Bek annt e r, der i hr auf
di ese W ei se G el d aus de r
Tasche z i eht . Di e W i t we al s
l ei cht es Opfe r."
"Ganz so ei nfa ch i st es wohl
ni cht . Ich hab e Er kundi gun gen
über
di es en
Dr.
Uhl i g
ei ngez ogen - di skr et , verst eht
si ch."
"Und? "
"Er l ei t et ei ne re nom m i ert e
Kanz l ei und hat es best i m m t
ni cht
nöt i g,
verz wei fel t e
W i t wen
ausz unehm en.
Mehr
noch: Ich gl aub e ni cht , das s
Frau Voss i hn si ch unt er
norm al en
U m st än den
l ei st en
könnt e
ges ch wei ge
denn
l ei st en würde für sol ch ei ne
Lapp al i e. "
53
"J a, und was schl i eßen S i e
daraus ? "
"Ers t ei nm al noch ga r ni cht s.
Ic h f ra ge m i ch nur, wel ch e
R ol l e
Uhl i g
b ei
di e se r
Angel e ge n h ei t wi rkl i ch spi el t .
S ei n
S pez i al geb i et
si nd
S chwi eri gkei t en am eri kani sche r
Arm eean gehör i ge r
mit
deut s chen G eset z en . Es gi bt da
ei ne en ge Zusam m ena rbei t m i t
US -Anwäl t en. "
Traut enbe r g st ri ch si ch übers
Ki nn.
"Das m uss ni cht s be deut en."
"Nei n.
Muss
ni cht .
Im
Übri gen hab e i ch au ch noch ei n e
gu t e N ac h ri cht . O bwohl wi r,
wi e ges a gt , kei nen offi z i el l en
Ei n bl i ck i n di e F i nanz en des
Ehepaa rs Voss bek om m en, si nd
m i r durch ei nen Zufal l ei ni ge
In form at i onen z ug ef l ossen."
"W i e das? "
"F rau Voss m uss si ch j e t zt
neuerdi n gs
um
di verse
Angel e genh ei t en küm m ern, di e
sie
fr ü her
offenba r
vert rau ensvol l
i hrem
Mann
überl as s en hat . D a bei st i eß si e
auf
ei ni ge
Fa kt en,
di e
(vors i c h t i g aus gedr ückt ) ni cht
ganz
i hren
Erwart un gen
en t s prach en. S i e gl aubt e i m
ers t en Mom ent , e i n Frem de r
hät t e di e Kont en ge pl ündert und
ri ef m i ch an - ohne W i ssen i hres
neuen Anwal t s." Zürn l ächel t e
v ers chm i t z t . " Ich sah es al s
m ei ne P fl i cht an, der Frau
s chnel l und unb ürokrat i sch z u
hel fen.
Ohn e
erst
den
S t aat s anwal t m i t Fr a gen z u
bel äs t i gen, t r af i ch m i ch m i t i hr
und
überprüft e
mit
i hr
z us am m en
di e
Kont enbewe gu n gen der j ün ger en
Ver gan ge n hei t . "
"Hab en
Sie
dab ei
et was
Au ffäl l i ges ent de ckt ? "
"Al l erdi n gs!
D as
Ehepaar
Voss hat offenkundi g übe r sei ne
Verhäl t ni sse
gel ebt .
Di e
S chu l den si nd ni cht urpl öt z l i ch
durch
d as
Abh eben
ei nes
R i esenb et ra gs ent st anden. S i e
haben si ch vi el m eh r al l m ähl i ch
angesa m m el t .
Es
wurde
kont i n ui erl i ch m ehr ab gehob en
al s ei n gez ahl t . Der Kl assi ker. "
"Hab en S i e B el e ge d arüber? "
" Lei de r ni cht . Noch i m Laufe
des Frei t a g bek am Anwal t U hl i g
W i nd von der S ache. Am
Nachm i t t a g st ürz t e er z usam m en
m i t dem S t aat s anwal t i n m ei n
Büro und übe rra scht e m i ch
dum m er W ei se bei m S t udi um
der Unt e rl a gen. S o wurde i ch
al l es m i t ei nem S chl ag wi ede r
l os."
"S chad e! "
"J a. Aber was wi r wi ssen, das
wi ssen wi r - Bel e ge hi n ode r
her.
Ax el
V oss
hat t e
bet rächt l i che S chu l den. S ei ne
Frau wus s t e bi s vor kurz em
ni cht s davon. E r h at t e ni cht d en
Mut , es i hr z u be i cht en. Und
dann: Kur z schl uss. Gel dsor ge n
si nd ei n ni cht eben sel t ener
S el bst m or dgrund. "
"S t opp!
Di e
l et z t e
S ch l ussfo l gerun g war m i r z u
schnel l . Er hat t e noch Opt i onen.
W as i st m i t dem J ournal i st en? "
"Ei n S t rohhal m . E r wol l t e i hm
ei ne bi l l i ge S t or y verkauf en.
Aber das hat j a bekannt l i ch
ni cht funkt i oni ert ."
"Und wenn di es e S t or y do ch
ni cht so bi l l i g war? Di ese
M ö gl i chkei t z i eht i nz wi schen
soga r de r J ournal i st m i t i n
Bet r acht . "
54
"R ei ne
S pekul at i o n.
Ni cht
s ehr wah rschei nl i ch aus m ei ner
S i cht ."
"F rau B aum ann! W as, z um
Teufel , wol l t e er i n i hrer Tas che
fi nden? Ei n Mensch, der vol l er
Verz wei fl un g nur noch an se i ne
S chul de n denkt , k üm m ert si ch
ni cht m ehr um sei n e Kol l e gen es s ei denn, si e sind geei gn et ,
i hn aus sei ne r La ge z u befr ei en.
Frau Baum ann bes a ß (z um i ndest
nach
sei ne r
Ü berz eugun g)
i rgend et was, das er z u G el d
m achen
wol l t e.
Und
d abei
handel t es si ch ni cht um ei n
Hand y
ode r
ei n
gol den es
Arm band. "
"Da für hab en wi r aber nun
wi rkl i ch
kei nen
ei nz i gen
gr ei fbar en A nhal t sp unkt ."
"Und was hat Fr au B aum ann
get an, dass i hr zuf äl l i g ei ne
S t at ue vor di e Füße fl og? "
"Gl aub en S i e ni cht an Zuf äl l e,
Herr H aupt kom m i ssar? "
"Nei n. Das habe i ch m i r
i rgend wann i m Laufe m ei ne r
Di enst z ei t a bge wöh nt . Ich wei ß
auch ni cht , wo i ch di esen Fal l
ei nordnen sol l . Ab er er w ei s t
für m ei nen Gesch m ack noch
ei ne Men ge Un gerei m t hei t en
auf. "
16
F
rauke i st auf dem W eg von
der B IT C o. z um Karst adt Kaufh aus am Loui se npl at z .
Di cht er R e gen pr a ssel t herab.
Heft i ge W i ndböen z erren an
i h rem S chi rm . S i e passi ert den
Am pel über gan g
an
der
Graf enst raße, l äu ft noch ei n
paar S chri t t und bl ei bt dann wi e
an gewurz el t st ehen . S i e si eht
s i e di rekt vor si c h auf dem
Fußb o den si t z en. Das W asser
ri nnt i hr i n S t röm en durch d as
s chwarz e H aar un d über di e
S t i rn. Di e Kl ei dun g i st s chon
völ l i g durchn ässt . S o st reckt si e
i hr bet t el nd di e Ha nd ent ge gen.
Doch Frauk e sch a ut we g und
wechsel t di e S t raße nsei t e. Dort
s i eht si e ei nen bl au e n VW Gol f
neben si ch he rf ahr en. S i e sagt
s i ch,
dass
das
ni cht s
zu
bedeu t en hab e. Ab er dann st oppt
der W agen und ei n i n Lum pen
gekl ei det es Geri pp e st ei gt aus .
Frauk e ru ft um Hi l fe. Um s i e
herum wi m m el t es ge radez u vo r
Leut en. Doch ni e m and acht et
auf si e. " D u bi st a l l ei n!", ruft
der Knochenm ann und l acht .
" Im Grunde si nd al l e Menschen
al l ei n. Hast du das ver ge s sen? "
An di eser S t el l e d es Traum s
erwa cht e F rauke. S i e m usst e das
Li cht ei nschal t en u nd braucht e
auch
dann
noch
ei n
paar
Mi n ut en, um si ch zu beruhi gen.
Am W ochenende ha t t e si e noch
geho fft ,
i hr e
depressi ve
Verst i m m ung
w ürde
bal d
vorüber geh en.
( Di e
neu e
Arbei t swoche
b r i ngt
i hre
ei genen P ro bl em e m i t si ch: Zum
Bei spi el das neue P roj ekt , das
al l m ähl i ch Fah rt au fni m m t . Di e
Kol l egen be ri cht en von i hren
Erl ebni ssen.)
Do ch
di es er
55
Effekt s t el l t e si ch d i esm al ni cht
ei n.
J ede
Nacht
waren
i hre
Gedanken
i r gend wann
au f
abs chüs s i ges G el än de ger at en,
in
di e
R i nne
ei ne r
R ennrodel bahn,
unaufhal t sam
ber gab
und
ohne
Aus wei chm ö gl i chke i t . Bedeut et
Al l ei ns ei n
auch
Ni cht g ebrau ch t werd en? Ist das
Leb en d ann si n nl os? W i rd es
ver gehen, ohne das s ei ne S pur
ent s t eht? Ei n Eiswürfel , de r
s i ch l an gsam i m W asser aufl öst
und ve rschwi ndet ? S pät est ens
bei di es er Vo rst el l ung kam di e
P ani k. Ei n fl aues Gefühl , das
s i ch
z u nächst
in
der
M agen ge gen d au s b r ei t et e, dann
nach oben st i eg un d schl i eßl i ch
i m Kopf ex pl odi e rt e. Frühe r
hat t e s i e si ch am Glauben an di e
l i cht e Z ukunf t der Menschhei t
auf geri cht et . Ei ge nt l i ch kei n
echt es Ar gum ent . A ber es hat t e
gehol f en. Inz wi schen fehl t i h r
j edwede
w el t anschaul i ch e
Verank erun g
Das s i hr der Tod i m Traum
ers chi en, wunde rt e Frauk e al so
ni cht , dass i hr Dr aup adi dort
bege gnet e s chon. W arum di eses
S chul dge fühl ? W as hat t e si e
s i ch vorz uwerfen? Ist es ei n
Verbr echen, ei n e S chu l freundi n
i rgend wann aus de n Augen z u
verl i er en? Oder sa gt e i hr d er
Traum et w as ganz a nd eres? W ar
er
ei n
Fi n ge r z ei g?
Di e
Auffo rd erun g,
w e i t erz usuchen
t rot z
der
e r nücht ernden
Erl ebni s s e bei den Zi t t l auers?
Frauk e sch al t et e das Li cht
wi eder aus, z o g si ch ei ne
S t ri ckj acke üb er un d set z t e si ch
ans Fens t e r. Di e S t raße schl i ef
m ens chenl ee r
im
gel bl i ch en
S chi m m er der Lat ernen. Es
re gnet e t at sächl i ch. W as sol l t e
si e t un, wenn i h r sel t sam er
Zust and noch l än ger anhi el t e?
Das S chl afdef i z i t wi rkt e si ch
auf i hr Konz ent rat i onsverm ögen
aus. Di e Kol l e gen bei B IT C o.
fra gt en s chon, wes hal b si e so
bl ass aussehe, ob si e krank sei .
W ü rde si e z u i hrem Hausarz t
geh en,
verwi ese
der
si e
ga rant i ert
w e i t er
an
ei nen
P s ychol o gen.
D a von
aber
verspra ch si e si c h überhaupt
ni cht s. Für sol che Leut e si nd
di e El t ern an a l l em S chul d.
(Mu t t er bl i nd. Vat er st a at snah
in
der
DDR .)
Über
S eel enkl em pner
l i eße
si ch
eben so
ei n e
W i t z sam m l ung
anl e gen
wi e
ü ber
echt e
Programmi erer .
Ir gend e t was
wi rd schon d ran s ei n an d em
Vorurt ei l . Und ei n W essi kom mt
sowi eso ni cht i nfra ge.
Den
Gr und gedank en,
dass
un verarb ei t et e Erl ebni sse aus
der Ver gan genh ei t bi s i n di e
Ge genw art
hi nei n
wi rken
können, wol l t e si e al l e rdi n gs
t rot z al l i hrer Aver si onen ni cht
gänz l i ch i n Abre de st el l en.
W enn j em and z um Bei spi el
ei nm al fast e rt runke n wär e, wi r d
er vi e l l ei cht ei ne dauerhaf t e
Angst
vor
dem
W asser
z urückbehal t en. Da s hat Lo gi k.
In and eren F äl l en m ögen di e
Zusam m enh än ge
k om pl i z i e rt er
sei n. Gab es i n i h rer Ki n dh ei t
ei n t raum at i sches Erei gni s? Gab
es i rgend wann ei n en M o m ent ,
an dem si e aus d em P ar adi es
vert ri eben wu rde?
Di e Hep a t i t i s z u Be gi nn d es
z wei t en S chul j ahrs war ei n
Kandi dat d afür. S i e hat t e si ch
schl echt gefühl t wi e bei ei ner
56
Gri ppe. Vat i gi n g m i t i hr z um
Arz t . Der st el l t e d i e Di a gnose
Gel bsucht
und
wi es
si e
um geh end i ns Kran kenhaus ei n.
Di e
Kl i ni k
t rug
ei n en
al t ert üm l i c h anm ut enden Nam en
und hat t e den Charm e ei ne r
preußi schen Kas er ne. Dü s t ere
Kl i nkerst ei ne, m eh r schwa rz al s
dunkel rot .
E i ne
wucht i ge
Fas s ad e,
di e
von
ei ner
S ei t enst raße bi s zur näc hst en
rei cht e. F enst er ne ben Fenst e r.
W er
al s
hoch
anst eck end
ei ngest uft er P a t i ent von de r
Quarant än est at i on
ve rschl u ckt
wurde, f and si ch wi eder i n ei n er
abgeschl oss en en Zi m m erfl ucht
i m z wei t en Obe rges choss.
Frauk e bl i ckt e si ch ängst l i ch
um i n dem ri esi gen R aum .
S i eben ander e Ki n der bl i ckt en
n eugi eri g
und
abschät z end
z urück. Al l e w ar en gr öß er al s
s i e (al so m i ndest ens z wei J ahre
äl t er).
Auf
R ü cksi cht nam e
an gesi cht s dessen h offt e si e von
vornhe rei n ni cht . S i e bekam
auch
kei ne.
Di e
Krankens chwest e rn
waren
überfo rd ert ode r l ust l os oder
bei des und t aucht en nur auf, um
et was
zu
erl edi gen
(Fi ebe rm e s sen,
Medi kam ent e
aus t ei l en, E s sen b r i ngen). Di e
Ki nder
war en
ni cht
krank
genu g, um den ga nz en Ta g üb er
i m Bet t z u l i egen u nd di e De cke
anz ust arren.
Sie
l angw ei l t en
s i ch, fühl t en si ch ei n gespe rrt ,
wurden i r gen d w ann ger ei z t und
aggressi v.
Und
wer
s i ch
abrea gi eren wi l l , su cht si ch al s
Opfer
v ernünft i ger
W ei se
kei nen aus, de r st ä r ker i st .
Frauk e konnt e s i ch ni cht
ei n m al i m Arm der El t ern
aus heul en.
B es u c he
spi el t en
si ch ab an der ve rschl ossenen
Tür
mit
den
vi el en
schul heft großen F en s t ern. An
j edem Fen st e r drüc k t e ei n Ki nd
si ch di e Nase pl at t (wenn es
si ch
recht z ei t i g
ei ng efunden
hat t e). Au f de r an deren S ei t e
st anden
di e
Angehör i gen,
gest i kul i er end aus dem Gewühl
heraus. Di e Ki nder t ei l t en si ch
durch Zei chnun gen m i t oder
durch
ei n
pa ar
gek ri t z el t e
W o rt e. Durch d en Lärm und di e
Tür
hi ndurch
war
e cht e
Verst änd i gun g unm ö gl i ch.
Al s Frauk e endl i ch wi eder z ur
S chul e geh en konnt e, hat t e si ch
i hre S chücht e rnhei t so sehr
verst ärkt , dass si e ni cht nur bei
Frau Fa hr ent hol z al s ängst l i ch
und
kont akt sche u
auffi el .
Besonde rs pei nl i ch war, dass si e
auch
im
S port
schl echt e
Zens u ren b ekam , denn dort
bracht e
si e
besser e
Vorau s set z ungen m i t al s ande re
Ki nder. B ei m Bocks pri ngen z um
Bei spi el
ha t t e
di e
kl ei ne
Draupadi kaum e i ne C hance.
Das Hi nderni s m uss aus i hrer
P erspekt i ve
unüberwi ndl i ch
ge wi rkt haben. Doc h si e spran g
t odesm ut i g aus vo l l em Anl auf
ab und fl og dr ü b er, dass sel bs t
dem Lehr er an gst und ban ge
wurde. Li eb er si ch di e Knochen
brechen
al s
si ch
den
Durchschni t t
zu
verderb en!
Frauk e hi nge gen, de r ei n Hüpfe r
ge rei cht h ät t e m i t i hren l a n gen
Bei nen, scheut e z urück wi e ei n
P ferd und knal l t e dann front al
ge gen den Bo ck, scha l l endes
Gel ächt e r ausl ösend .
Frau
F ahr ent hol z
st at t et e
ei nes Abends den Baum anns
ei nen Besuch ab. S i e l i eß
durchbl i cken, d ass e s ei ne R ei h e
57
von Hi l fsang ebot e n gäb e für
M üt t er m i t ( nun j a, w i e sol l man
s a gen ) ei ner B ehi nderun g. S i e
s el bs t
würde
i hr
s el bs t verst än dl i ch m i t R at und
Tat z ur S ei t e st eh e n, um et was
P as s endes z u fi nden. Es gi nge j a
s chl i eßl i ch um di e Zukunft i hre r
Tocht er. ( Ei g en t l i ch ei n recht
i nt el l i gent es Mädch en .) F raukes
M ut t i b edankt e si ch m i t der
W ärm e ei nes Ei swü rfel s fü r di e
gut en Ti pps. S i e w e rde das al l es
i n i hrem Herz en be we gen.
Al s di e Lehre ri n we g wa r,
fand i m Haus e Ba um ann ei ne
Kri s ens i t z ung
st at t .
Frauk es
Vat i
wi rkt e
angesp annt .
M i n d es t ens so, wi e wenn e r z ur
P art ei versam m l un g gi n g. F rauke
s el bs t s aß abwa rt en d i m kl e i nen
Zi m m er und l auscht e (ohne vi el
z u vers t ehen) d en gedäm pft en
S t i m m en der beiden (wobei
überwi e gend Mut t i sprach). S i e
war n ach l an ger Zei t m al wi ede r
ri cht i g gut er S t i m m ung. W enn
M ut t i ei ne S ache so ener gi sch i n
di e Hand nahm , da nn passi ert e
auch e t w as.
Zw ei Ta ge spät e r t aucht e
Frauk es Vat i i n der S chul e auf.
W enn er es dara uf anl e gt e,
konnt e er ei ne M en ge Ei ndruck
erwe cken. Er z og dann sei nen
Anz ug an, band si ch ei ne
Kraw at t e um und set z t e sei n
off i z i el l es
Gesi cht
auf.
Er
sprach d ann au ch anders. Fast
so,
wi e
di e
Männer
im
Ferns ehen, wenn si e ei ne R ede
hi el t en. Al s e r si c h i n di ese r
Au fm achun g
v or
Frau
Fahr ent hol z
aufbaut e ,
verfl ücht i gt en
si ch
deren
Zw ei fel an Fr auke s opt i m al er
Erz i ehung i m El t er nhaus. S ei ne
Vo rschl ä ge (ei gent l i ch Mut t i s
Vorschl ä ge )
f and
si e
sehr
i nt eressant . ( "S el bst verst ändl i ch
könnt en wi r i hr ei n best i m m t es
Am t geben. W i r suchen noch
ei nen Mi l chver ant w ort l i chen für
di e Kl asse. Da b ek om m t Frauke
ganz aut om at i sch m ehr Ko nt akt
z u den ande ren. W enn si e
S chwi eri gkei t en ha t , kann si e
j ederz ei t z u m i r kom m en.")
17
D
i e Hep at i t i skri se hat t e
al so auf Um wegen doch
noch z u ei nem gut en
Ende ge führt . Fo l gl i ch kei n
Trau m a!
Nächst er
Kand i dat !
Frauk e fuhr i n Geda nken au f
dem Zei t st rahl i hre s L ebens ei n
S t ück wei t er na ch vorn. W i e
wäre es m i t dem S om m er des
J ahres 1975? Ihr B r uder hat t e i n
m ehrer en
Bri e fen
für
den
bevors t ehend en
U rl aub
ei ne
Überr aschun g
angekü ndi gt .
S chon z u di esem Zei t punkt war
si e m i s s t raui sch. A l s si e Lut z
dann auf dem Fl u gh afen s ah, an
der S ei t e ei ne r j un gen Frau m i t
l angen,
l ocki gen
Haar en,
überschä um end
gl ückl i ch,
s p ät est ens da s chri l l t en i n i hr
di e Al arm gl ock en. Von di esem
Mom ent an war ni cht s m ehr m i t
i hr anz u fangen. Ih rem Brud er
rei cht e
si e
di e
Hand
so
58
t ei l nahm sl os wi e ei n Hund, der
P föt chen gi bt . Di e Dam e neb en
i hm i gn o ri e rt e si e k om pl et t . (Da
konnt e Vat i i hr den Zei gefi n ger
i n di e R i ppen st upsen, sol an ge
er wol l t e.)
"Das i st Ludm i l l a S t epanowa ",
verkündet e
Lut z
wi e
ei n
M ark t schre i er,
der
M el onen
anprei st . "S i e st am m t aus ei nem
Vorort von Moskau und st udi ert
S t ark st rom t echni k (gen auso wi e
i ch)."
Ach so. Und desh al b kom m t
s i e hi erher n ach Ber l i n?
"Habt i hr et was dage gen,
wenn si e über di e Feri en m i t bei
uns wohnt? "
"Nat ü rl i ch ni cht ", ant wort e t e
Vat i für al l e.
Aber i ch h abe et wa s dage gen,
dacht e Frauk e t rot z i g.
Es war nun ni cht so, dass
ni em and verst and, was i n der
Neunj ähri gen rum o rt e. Lut z i n
s ei nem Li ebes gl ück fi el es ei n
bi s s chen
schw er,
si ch
vorz ust e l l en, dass i rgendj em and
s ei n Gol dst ück a nders sehen
könnt e al s i n ei ner st rahl enden
Aura. Di e Mut t e r al l erdi ngs
hat t e
di e
Kom pl i kat i onen
kom m en s ehen. Nu n versucht e
s i e ge genz u s t eue rn, i ndem si e
Ludm i l l a be i sei t e n ahm , i hr ei n
bi s s chen über i h re Tocht e r
erz ähl t e und um V e rst ändni s für
deren Bo ck i gkei t w a rb.
Di e S chwi e gert ocht er i n S pe
wi ederum
gab
s i ch
Mühe.
S chl i eßl i ch wol l t e s i e bei i hr em
ers t en Besuch i n Berl i n ni cht
gl ei ch dum m auff a l l en - z um al
i n i hrer Kul t ur di e Fam i l i e
t radi t i onel l ei ne groß e R ol l e
s pi el t e. Anderers ei t s erwi es si ch
das
Ei nfühl ungsv e rm ögen
in
ei gensi nni ge deut s che Ki nd er
ni cht gerad e al s ei ne i hr er
größt en S t ärke. Und Fr auke
wi ederum wa r al l e s andere al s
berei t ,
auf
Fri e denan gebot e
ei nz u gehen.
S i e hat t e end gül t i g genu g von
l eeren V erspr echun gen und von
Hoffnun gen, di e s i ch ni em al s
erfül l t en.
Auch
i hr
Bruder
sel bst bekam das z u spüren. Al s
er na ch dr ei W oche n z usam m en
m i t sei ner Freundi n z u rück nach
Moskau fl og, w ar der S t rei t
noch i m m er ni cht beendet . Im
Grunde
wurd e
er
ni em al s
bei g el e gt . Ei ne ne ue S i t uat i on
war ent st a nden, für i m m er und
ewi g. D en Lut z von ei nst gab es
ni cht m ehr. E r w ar gest orben an ei nem Ta g i m J ul i auf dem
Fl u gh afe n B erl i n -S c hönefel d.
Doch al s Tr aum a i m engeren
S i nne wol l t e Frauke auch di esen
Verl ust ni cht gel t en l assen,
denn
unm i t t el bar
danach
nahm en
Er ei gni sse
i hren
Anfan g, di e den rot en Fad en de r
wah rsch ei nl i ch
gl ückl i chst en
Monat e i hres gan z en Lebens
bi l det en.
Ih r
Vat i
war
m i t t l erwei l e Vo rsi t z ender des
Kl assenel t ern a k t i vs. Da er das
al s ehren am t l i che Tät i gkei t i m
ges el l schaft l i chen Int eresse bei
sei ne r P art e i grupp e abrechn en
konnt e, bel a s t et e i hn das ni cht
z usät z li ch. In sei n er Funkt i on
konnt e
er
subt i l
Ei nfl us s
nehm en
auf
di e
G eschi cke
sei ner To cht er, z um al Frau
Fahr ent hol z i hm vi el R e s pekt
ent ge genbr acht e un d si ch dahe r
l ei cht von i hm beei nfl u s sen
l i eß.
Das wi ed erum fü hrt e daz u,
dass di e Lehre ri n si e bei der
nächst en
W ahl
für
den
P i oni e rgrupp enrat
vorschl u g.
59
Draupadi re a gi ert e i m erst en
M om ent ve rschnup ft , wei l si e
di es al s ei nen Ei n gri f f i n i hre
ang es t am m t en R ech t e em pfand.
(S i e wol l t e gern nu r J unge n um
s i ch haben, wei l di e si ch ni cht
s o "z i cki g" benah m en.) Doc h
di es m al nahm Frau ke al l i hr en
M ut
z usam m en
und
gi n g
aus nahm s wei se ei n m al i n di e
Offens i ve. S i e st a nd auf, t rat
di rekt an si e h eran, st reckt e i h r
di e Hand ent ge gen und sagt e
ei nfach:
" Ic h
m öch t e
ge rn
dei ne
Freundi n w erden. "
Draupadi w ar d av on völ l i g
überras cht und wurde z i em l i ch
verl e gen. Ei n p aa r S ekunden
s pät er aber st and si e m i t ei nem
freundl i chen L ä chel n auf - und
nahm nun ni cht nur di e Hand ,
s ondern um a rm t e F rauke so gar.
Dam i t war es (für j eden i n der
Kl as s e si cht bar) beschl ossene
S ache.
Frauk e
wurde
W andz ei t ungs redakt euri n.
Das
bedeut et e a l l erdi n gs wede r, dass
s i e für di e m onat l i ch neu z u
ges t al t end e W andz ei t ung der
Kl as s e
ganz
al l ei n
di e
Verant wo rt ung t ru g, noch dass
s i e s i ch ni cht auch a n ander en
Akt i vi t ät en bet ei l i gt e. Di e fünf
Gruppenr at sm i t gl i ed er
t r afen
s i ch
re gel m äßi g
wi e
ei n
Freund es krei s und t at en al l es
gem ei n s am . Dabei kam en si e
s i ch wi cht i g vor, a l s hi nge di e
Ent wi ckl ung des S o z i al i sm us i n
der DDR wesent l i c h von i hnen
ab.
Di e Im p ul se kam e n m ei st ens
von Draup adi . Al l e rdi ngs h at t e
s i e s e l ber oft k ei ne Zei t , si ch a n
der Aus führun g z u bet ei l i gen.
Der P i oni e rchor n a hm si e nach
den W el t fest spi el en m ehr denn
j e i n Anspruch. S i e war gef ra gt
we gen i hrer ( für ei n Mädchen)
unge wöhnl i ch krä ft i gen S t i m m e,
we gen
i hr er
Tex t und
Mel odi esi che rhei t und (ni cht
z ul et z t )
wege n
i hrer
Ausst rahl ung auf der Bühn e.
Inz wi schen
erl ebt e
si e
b ei
j edem Auft ri t t des C hors auch
m i ndest ens ei nen Auft ri t t al s
S ol i st i n. Da si e zugl ei ch d as
Le rnen ni cht v er nachl ässi g en
wol l t e (und z war w ei t über d en
S chul st off hi naus), hat t e si e
ei nen
Term i npl an
wi e
ei n
Erwac hs ener.
Fr a uke
fra gt e
si ch, ob si e sel ber di esen P rei s
auch gez ahl t hät t e. S i e braucht e
Zei t en, i n denen si e ei nfach nur
st i l l ve rgnü gt i n i h rem Zi m m er
spi el en
du rft e,
ohne
dass
j em and i hr z usa h und si e
wom ögl i ch so ga r üb erprüft e.
W ar Draupadi ni cht anwesend,
übernahm Mi ke das Ko m m ando.
Aber er nut z t e das ni em al s aus.
Al l es wurde genau so erl edi gt ,
wi e z uvor besprochen. (Das
hi eß:
Wie
von
Draupadi
fest g el e gt .)
Trot z dem
fühl t e
si ch
ke i ner
v on
i hnen
unt e rdrückt . W as si e t at en und
wi e si e es t at en, v erst and si ch
ei nfach
von
sel bst .
Bj örn
überschl u g si ch fa st vor Ei fer
und st ri t t si ch m i t sei nen E l t ern,
wenn di e i hn zu brem sen
versucht en.
Ganz so unei n gesc hränkt wi e
in
i hrem
Grup penrat
w ar
Draupadi s Aut o ri t ät nat ürl i ch
ni cht i n der gan z en Kl asse.
Aber b ewund ert wu rde si e von
den
m ei st en.
Das
hi ng
z wei fe l l os
dam i t
z usam m en,
dass si e i m m er ei n S t ück voraus
war, i n j ed er Hi nsi cht (von de r
60
Körper größe ei nm al abgesehen ).
Zum
B ei spi el
nahm en
i hre
El t ern si e s chon re gel m äßi g m i t
i ns The at er. S i e er kl ärt e, dass
s i e s pät er ei nm al O pernsä n ge ri n
werden wol l e. D i e andere n
konnt e m i t der s o genannt en
kl ass i schen Musi k überh aupt
noch ni cht s anfan ge n. Trot z dem
hört en si e i hr gespa nnt z u , wenn
si e
von
i hren
Erl ebni ssen
beri cht et e - ohne ei n W ort z u
verst ehen.
F
akz ept i eren. S i e s ah ei n, i hn
ni cht
für
si ch
al l ei n
beanspr uch en z u dü rfen. E r w ar
gl ück l i ch m i t sei n er Ludm i l l a
(na j a: mei st ens ). Aber das m i t
Draup adi ers chi en i hr noch
i m m er al s ei ne bös art i ge Laun e
des S chi cksal s, s i nnl os und
unge recht .
S i e spürt e noch di e S t i m m ung
i n der Kl asse, al s w äre d as a l l es
erst vor ei ner W och e gescheh en.
Draupadi fehl t e un en t schul di gt .
Das hat t e es noch ni e ge geb en.
Auch das Ve rhal t en der Lehr er
z ei gt e, dass et was S chl i m m es
ges chehen sei n m us s t e. (" Es i s t
ni em and er rei chb ar. Auch ni cht
di enst l i ch.") Der e rst e S chock
war so st ark, dass e i ne Zei t l an g
ni cht ei nm al R aum bl i eb für
Gerücht e. Es he rrscht e nu r
bedrückt es
S chw ei gen.
Al s
Frauk e si ch di e Ei nz el hei t en
z urück i ns G edä cht ni s ri ef,
kehrt e auch d as fl au e Gefühl i m
Magen z urück. Und das G efühl
der Hi l fl osi gk ei t .
rauke z o g di e S t ri ckj acke
aus und l e gt e si ch wi eder
i ns Bet t . W i e bei j edem
M enschen w ar au ch i n i hrer
Ki ndhei t
ni cht
al l es
gl at t
gel aufen.
Ab er
mit
e i nem
Traum a
könnt e
si e
ei nem
P s ychol o gen ni cht di enen. ( T ut
mi r L ei d, Herr Dokt or. Ich kann
mi r me i ne K unden auch ni cht
aus s uchen .) J edes P robl em hat t e
s i ch l ösen l assen, früher od er
s pät er, m i t oder ohne frem d e
Hi l fe.
Sie
drückt e
auf
den
Bel eu c h t ungsknop f
i hres
W eckers. Kurz na c h vi er Uhr.
S i e wol l t e auf j ede n Fal l no ch
ei n paar S t u n de n schl afen,
dreht e si ch z ur S ei t e und
s chl oss di e Au gen. ( Es gi bt kei n
T r auma. Es gi bt k ei n T rauma
...) Doch pl öt z l i ch schrec kt e si e
noch ei nm al hoch. E i nen Verl ust
hat t e si e ni em al s verarb ei t et :
Draupadi s
V e rschwi nde n
Anfan g des fünft en S chu l j ahrs.
Di e Hochz ei t i hres Brud ers
konnt e
si e
i nz wi schen
18
D
usi ehst j afurcht bar aus" ,
sagt e
Fr aukes
Arbei t s kol l ege P et e r und
bl i ckt e si e kopfschüt t e l nd an.
"Dusol l t est m al frühe rg ehen. "
"W i r si nd doch j et z t m i t t en
dri n i n dem neuen P roj ekt ."
61
Ei n andere r Kol l e ge kam i n
di e Kaff eekü che un d hat t e den
S chl us s des Ges prächs m i t
angehört .
"S o hei ß i st das m om ent an
noch ni cht , Frauk e" , st i m m t e er
P et er z u. "Es h at kei nen S i nn,
wenn
du
di r
j et z t
dei ne
Ges un d hei t rui ni ers t und dann
für ei n paa r W ochen auf de r
Nas e l i e gst . Na ch dem Meet i n g
am Nachm i t t a g p a ckst du für
heut e dei n e S ach en z usam m en.
Kei ne W i de rred e! "
S i e fragt e bei i hr em neuen
Team l ei t er nach, ob si e um vi er
geh en dürfe. Al s a uch der i hr
z uri et , unt ernahm si e ei nen
S paz i ergan g
rund
um
den
Gr oßen
Woog .
W enn
das
Frei bad ni cht geö ffnet hat t e,
wurde d er kl ei ne P ark am S ee
nur weni g g enut z t . Unt er der
W oche
di ent en
di e
W ege
al l enfal l s ei n pa a r beso nders
ei l i gen Le ut en al s Abkü rz ung.
Frauk e kam das en t ge gen, denn
s i e wol l t e i hre R uhe h aben.
Das vi ert e S chul j ahr wa r
k ei nes we gs der e rfol grei chst e
Ab s chni t t
i h res
Leb ens
ge wes en. Da hat t e si e spät e r
noch ganz ander e Tri um phe
erl ebt . Do ch es war i h r i n
Eri nnerun g gebl i eb en al s di e
s chön s t e Zei t . S i e hat t e s chon
i m m er m ehr auf di e Te n denz
ges chaut al s auf di e S i t u at i on.
Dam al s
gi n g
es
ei ndeut i g
aufwä rt s m i t i hr. S ei t dem
k urz en
Ei n bruch
nach
der
Hepat i t i s
wa r
i hr
Zens u rendur chschni t t
von
Hal bj ahr z u Hal bj ahr i m m er
bes s er gewo rden. Im J uni 1975
gehö rt e s i e i n d er Kl asse scho n
z ur S pi t z engruppe, was so gar
Frau Fah rent hol z l obend z u
erwähn en b el i ebt e.
Vor
der
Zeu gni sausgab e
braucht e i hr al so ni cht bange z u
sei n.
Bei
der
Abschl ussveran s t al t ung
al l er
Kl assen i n de r A ul a w urd e si e
nach vorn ge r ufe n, wo de r
Di rkt or i hr di e M edai l l e Für
gut e L ei st ungen i n der Schul e
überrei cht e (di e bl aue m i t der
P i o ni erfackel und dem rot en
Buch). S o st ol z wi e d am al s w ar
si e ni cht ei nm al , al s si e vi el e
J ahre spät er i hre Di pl om arbei t
al s Mat he m at i keri n erfol grei ch
vert e i di gt h at t e.
Di e m ei st en Ausz ei chnungen
räum t e nat ürl i ch e i nm al m ehr
Draupadi
ab,
s oga r
unt er
Berü cksi cht i gun g al l er S chül er.
Am S chl uss war i hr das sel be r
pei nl i ch. S i e hat te al l erdi n gs
ei nen sol chen C harm e, m i t
i hrem Erfol g um z ugeh en, dass
di e m ei st en Mi t schül er i hn i hr
gönnt en. W i e bei den Auft ri t t en
m i t dem P i oni erchor t rug si e
i hre schne ewei ß e P i oni e rbl use,
das rot e Hal st uc h und den
ku rz en dunkel bl auen R ock. Di e
geno rm t e Kl ei dun g st and i hr
gut . Zum ei nen we gen i hre r
braunen Haut . No c h m ehr ab er,
wei l e rk ennbar war, dass si e di e
S ym bol e
des
S oz i al ism us
t at sächl i ch
al s
Ehrenkl ei de r
bet rac ht et e.
Nach de r S chul e wurde si e
von i hrem P ap a a bgehol t . Al s
si e i hn sah, rannt e si e auf i hn z u
und fi el i hm um den Hal s.
Ei gent l i ch w ar si e d afür schon
ei n bi sschen z u al t . Ei n J unge
hät t e si ch d em Gespöt t der
ganz en Kl asse au s ges et z t , aber
auch fü r ei n Mäd c hen wa r das
schon hart an d er Grenz e. Und
62
Draupadi b e gnü gt e si ch ni cht
m i t ei nem fl ücht i ge n Küsschen.
S i e koke t t i ert e m i t i hrem P apa,
s chm i egt e si ch an i hn wi e ei ne
Kat z e. Erst , al s ei ne Leh reri n
di e
bei den
zu
beoba c h t en
begann und er i h r daraufhi n
et was z ufl üst ert e, h ört e si e au f
dam i t .
M
Koffe rn, di e si e zwi schen den
Bet t en dep oni ert en.
Da es ni cht vi el au sz upacken
gab, bl i eben bi s z um erst en
Abendbrot noch z wei S t unden
Zei t , um d en Ort z u erkunden.
Frauk e ent deckt e e i nen kl ei nen
Leb ensm i t t el l aden ( wo si e si c h
mit
S üßi gkei t en
ei ndeckt e )
s o wi e
ei n
Ge schäft
fü r
P ost kart en und Andenken (das
si e si ch für spät er m erkt e ).
Bj örn H aas e und drei and er e
J ungen dran gen v or bi s z um
Bahnhof d er S ch m a l spurbahn,
hat t en abe r ni cht das Gl ück,
ei nen
Zu g z u
Gesi cht
zu
bekom m en. Ansonst en gab e s
ni cht vi el , was di e Ki nder
fas z i ni ert e. Für di e Knei pe am
An ger hat t en si e noch kei n
Int e re s se (i m Unt erschi ed z u
i hren Bet r euern ), fü r di e Ki rche
sowi eso ni cht . Dass der Ort
drei t ausend Ei nwo hner hat t e ,
war i hnen ebenso egal wi e di e
erst e u rkundl i ch e Er wähnun g
von 1043. Di e Beh aupt ung von
Mi ke
Ga m l i n,
dass
si ch
Draupadi i n Ha s s el fel de von
i hm ei nen Kuss würde gebe n
l assen, war da schon ei n
Aufre ger von ande rer Qu al i t ät .
Es war kühn vo n i hm , das
anz ukündi gen, d enn so ganz nah
kam m an an Dr aup adi so l ei cht
ni cht heran. Es war schon
schwi eri g, di e E rl aubni s z u
bekom m en, i hren b raunen Arm
anz ufassen (um z u t est en, ob
it
dem
vi ert en
S chu l j ahr endet e di e
Unt er s t ufe.
D am i t
v erbunden
war e n
et l i che
Leh rer wechs el .
Frau
Fah r ent hol z hat t e deshal b di e
Id ee,
z um
A bschl uss
ei ne
z wei wöchi ge Kl assenfahrt i n
den
Harz
zu
unt ernehm en.
P ro b l em l os fanden si ch z wei
El t ern al s Hel fer. A l s si ch dann
auch noch di e P aral l el kl asse
bet ei l i gt e, konnt e für di e An u nd Ab rei se ei n B us gem i et et
werden. Di e S t i m mung wa r von
An fan g
an
groß art i g.
Fra u
Fah r ent hol z z ei gt e s i ch bei i hr er
l et z t en A kt i vi t ät i n der Kl asse
von i hrer an geneh m st en S ei t e.
S o kam es, d ass Fr auke si e
wei t aus posi t i ver i n Eri nnerun g
behi el t , al s das be i obj ekt i ver
Ges am t schau e i ge nt l i ch hät t e
s ei n m üssen.
Das Zi el war di e S t adt
Has s el fel de. Nach der Ankunft
bez o gen
al l e
gem ei nsam
Quart i er
in
ei n er
S chul e.
Frauk es Kl asse k a m kom pl et t
unt er
in
ei ne m
großen
Unt erri cht sr aum . G enau i n d er
M i t t e gr enz t e ei ne Ket t e Ti sch e
den B erei ch der Mä d chen von
dem der J ungen ab . Für j ed en
s t and ei n Fel dbet t berei t . Das
war schon al l es an benut z baren
M öbel n.
Doch
Ki nder
im
Feri enl a ger si nd ge nü gsam . S i e
waren hel l be gei s t ert von de r
unverm ei dl i chen U n ordnung un d
l ebt en
frö hl i ch
aus
i hren
63
s i ch i hre Haut i r gen dwi e and ers
anfühl t ).
Der n ächst e Ta g b egann m i t
der Bes p rechun g fü r ei ne erst e
W anderung.
Drau padi
hat t e
ei nen i hre r pat ri o t i schen Ta ge
und bracht e Vors chl ä ge, di e
s el bs t unt er i hren Anhän gern
ni cht m ehrhei t sfähi g war en. Di e
Id ee, bei der W anderun g di e
Hal s t ü cher
um z ubi nden,
s chei t ert e d aran, d ass ni em and
(außer
i hr)
sei n
Hal st uch
ei ng epackt h at t e. S o braucht e n
s i e der Fr a ge, ob H al st ücher i m
W al d oberpei nl i ch sei en, ni cht
wei t er n achz ugehen . Di e S ach e
m i t dem P i oni erwi m pel gi n g
l et z t l i ch z u i h ren Gunst en aus.
Den W i m pel hatt e si e i m
Koffe r.
An gebr ac ht
werden
konnt e er m i t R ei sz w ecken an
ei nem
Bes e nst i el .
Und
ei n
Fahnent r ä ge r f and si ch auch.
Frauk e näm l i ch wol l t e si ch
s el bs t bewei sen, d ass si e kei n
Fei gl i ng war.
Auch wenn es oft wi e ei ne
S el bs t verst ändl i chkei t erschi en
- ohne persönl i c hen Ei nsat z
verm ocht e
D rau padi
i hre
S t el l ung i n der Kl a sse ni cht z u
h al t en. B ei den El t ern näm l i ch
gi n gen di e Mei nun gen üb er si e
wei t aus ei n ander. D rei Gr uppen
l i eßen s i ch unt erschei den. Di e
S ED-Genossen b es t ärkt en i hre
S prös s l i nge, si ch an dem gr o ßen
kl ei nen Vorbi l d ei n Bei spi el z u
nehm en - was z um P robl em
wurde,
w enn
si e
dabei
übert ri eben. Di e Duc km äuse r
waren harm l os, w ei l si e m i t
i hren A n si cht en hi nt erm Ber g
hi el t en und di e P arol e au s gaben,
es s i ch m i t i hr l i eber ni cht z u
verderb en - was d a nn m ei st ens
(unbea b s i cht i gt )
auf
t reu e
Anhän ge rs chaft
hi nausl i ef.
Neben den An gst hasen gab es
dann ab er no ch di e Aggressi ven,
di e i hre Ki nder m i t spöt t i schen
Bem e rkun gen
re gel r echt
aufhe t z en.
Draupadi spürt e, w enn et was
i m Busch war. S i e sprach di e
Bet r e ff enden dann s ofort an und
versucht e
he rausz ubekom m en,
wel ches G e rücht m a n di esm al i n
di e W el t geset z t h at t e - um es
z u wi derl egen. Bei den Mädch en
bi ss si e m anchm al auf Grani t .
Da spi el t en R i val i t ät en ei ne
R ol l e, da gedi eh z uwei l en der
bl anke
Nei d.
Die
J ungen
hi nge gen konnt e si e fast i m m er
z u rückerobern. S i e warf dab ei
i hren w ei bl i chen C harm e i n
beän gst i gender (u n d m anchm al
i rri t i erende r)
W ei se
in
di e
W agschal e. J ahre spät er dacht e
Frauk e m anchm al , dass i hre
S chul k am eradi n i hr en ges am t en
S ex appeal bi s zum z ehnt en
Leb ensj ahr
ve rpul vert
hat t e.
S p ät er, al s j unges Mädchen i m
pas senden
Al t er
für
erst e
P art ne rscha ft en, l i e ß si e kei nen
J ungen an si ch h eran - und
kl ei det e
si ch
auch
d em
en t sprech end.
Übri gens bl endet e Draupadi
kom pl et t aus, dass m anche i hre r
S chwi eri gkei t en
z usam m enhi n gen
mit
i hrem
P apa und dessen Beru f. W enn
si e ni cht um hi n kam , si ch z u
dem Them a z u ä u ßern , ve rfi el
si e
in
ei nen
nac h si cht i g
bel ehrend en
To nfal l
und
erkl ärt e m i t Engel s g edul d z um
hundert st en Mal , i hr P apa so rge
ausschl i eßl i ch dafür , dass kei ne
bösen
Mensch en
von
"and er s wo " z u i hnen käm en.
W enn es sei n m usste, beschri eb
64
sie
di ese
Leut e
und
i hre
fi ns t eren Tat en so anschaul i ch,
das s i hre Zuh ö rer Augen wi e
Unt ert assen
b ekam en .
Bekann t l i ch si nd an dere Ki nder
i m m er noch di e gl au bwürdi gst e n
In form at i onsque l l en ,
sel bst
(oder
ger ade)
mit
den
ab s t rusest en Ges chi c h t en.
Bei al l en S ch wäch e n, di e Fr au
Fahr ent hol z
z wei fel l os hat t e
(z um Bei spi el dass si e auch i n
Has s el fel de
Zen suren
zu
vert ei l en si ch v era n l asst sah für den Appet i t und für di e
M ani erl i c h kei t
be i m
Essen),
s o bal d es um Ideen gi n g,
Ki ndern et w as Au f re gendes z u
bi et en, war si e u nschl agbar.
J eden Ab end t ro m m el t e si e di e
begl ei t enden E l t e r n z usam m en
und bespra ch m i t i hnen den P l an
für den nächst en Tag. D as
S t aubecken
de r
R ap p bodet al sperr e l i eß si ch z u
Fuß
er rei ch en.
Zu
den
R übel änder
Trop fst ei nhö hl en
fuhren si e m i t dem Bus. (F rauk e
fand wi t z i g, dass e i ne davon
gen auso hi eß wi e si e sel b er:
Baum annshöhl e.
Das
Kl as senfot o,
das
si e
al s
Eri nnerun gsst ück
auch
z wei
J ahrz ehnt e spät er n och i n Ehren
hi el t ,
ent st and
al l erdi ngs
ge g enüber
in
der
Herrm ann s höhl e vo r dem B er g
aus Bä renkn och en) . Dann di e
Fahrt
z ur
R o ß t rappe
mit
ans chl i eßende r
W a nderung
durchs Bodet al . Abe r das größt e
Erei gni s war z wei fel l os di e
Nacht wand erun g.
Fr au
Fah r ent hol z hat t e drei J ungen
aus g esucht ,
dam i t
si e
den
anderen
unt e rw egs
al s
Ges penst er
au fl au ern.
Mi ke
Gam l i n ve rsucht e d i e S i t uat i on
ausz unut z en,
um
si ch
von
Draup y en d l i ch den vol l m undi g
angekü ndi gt en Kus s z u hol en.
Doch
de r
P l an
war
zu
durchsi cht i g. Nat ü r l i ch gl aubt e
si e ni cht an Gespenst er und
hat t e fol gl i ch k e i ne An gst vo r
i hm .
Es gab a uch Gel e genh ei t en,
si ch
sel ber
Ab ent euer
zu
s u chen. Da wa r z um Bei spi el
gl ei ch hi nt er de m Ort ei n
Fel sen. Kei n große r und st ei l er
Fel sen
wi e
di e
R oßt rappe.
Vi el m ehr ei n er, de n Erwa chsene
ohne
größ ere
P robl em e
hoch kl et t ern
konn t en.
Nach
Ansi cht der Bet re uer war er
aber für Ki nder i m m er noch
ge fährl i ch genu g u nd deswe gen
al s S pi el pl at z verbot en. Al s
ei ni ge
J u ngen
a us
Frauk es
Kl asse si ch t rot zdem daran
versucht en,
b edr oht e
Fr au
Fahr ent hol z
bei m
nächst en
Frühst ück
j eden,
der
noch
ei nm al dabei e rwi sc ht wi rd, m i t
sofort i ge r Hei m r ei se.
Das Macht wort de r Leh reri n
wi rkt e. Ni em and wa gt e si ch
m ehr auf den Fel se n. Mi t ei ner
Ausnahm e. Dr aupa di wol l t e es
unbedi ngt
noch
ei nm al
probi eren. Nu r ei n e i nz i ges Mal .
Nur um z u sehen, ob si e das
schaff en könnt e. D afür z og si e
Frauk e
i ns
Vert rauen.
Di e
wei gert e
si ch
al l erdi n gs
ent sc hi eden, si ch an di esem
Unt erfan gen z u bet e i l i gen. S i e
l i eß si ch nach e i n i ger Zei t
l edi gl i ch daz u üb erred en, am
Fuße d es F el sens W ache z u
st ehen.
Draupadi be gann al so zu
kl et t ern und kam z unächst gut
voran. S i e hat t e sc hon fast di e
obere Kant e err ei c ht , al s doch
65
noch das Un gl ück ges chah. Ei n
S t ei n, an dem si e si ch fest hal t en
wol l t e, l öst e si ch aus der W and.
S i e rut s cht e ab und bekam
ge rade noch ei n B äum chen z u
fas s en, d as aus ei ner R i t z e
wuchs . An dem gi ng si e nun
hi l fl os z wi schen Hi m m el und
Erde.
Frauk e bl i eb vor S c hreck fast
das Herz st ehen. D ann handel t e
sie
al l erdi ngs
erst aunl i ch
kal t bl üt i g.
Sie
rannt e
wi e
geh et z t nach oben, sucht e si ch
ei nen genü gend groß en Ast ,
l egt e s i ch an der Kant e fl ach
auf den B od en und hi el t den Ast
nach
u nt en.
Mit
di esem
Hi l fs m i t t el e rrei cht e Dr aupadi
ei ne S t el l e, wo si e wi eder Hal t
fand, s o d ass si e das rest l i ch e
S t ück bi s nach oben kl et t ern
konnt e.
Dabei
war
de r
Größenunt ers chi ed
z wi schen
bei den eno rm wi cht i g, d enn fü r
ei n paar S ekunden hi ng si e m i t
i hrem ganz en Gewi cht an dem
As t .
Frauke
z i t t ert en
di e
M u s kel n vor Anst re ngun g, do ch
z um Gl ück war si e st ark g enu g,
um durchz uhal t en.
"W i e kann m an nu r so doof
s ei n!", s chi m pft e si e hi nt erher,
ohne s i ch z u übe rl e gen, wen si e
vor s i ch hat t e.
Draupadi s aß da wi e ei n
begos s ener P udel , daz u übersät
m i t S chram m en.
"J a, das wa r wi rkl i c h bl öd von
m i r. Ich da cht e, d ass i ch das
l ei cht s chaffe. Du hast m i r das
Leb en ge ret t et . "
"Na j a, schon gut ! "
"W enn
ei n er
von
den
Erwac hs enen das e rfährt , m uss
i ch nach H ause f ahr en."
J a,
das
st i m mt e.
Das
Abent euer
war
noch
ni cht
beendet .
" Ic h ver rat e di ch ni cht ."
"Ve rsproch en? "
"Ve rsproch en! "
Da ahnt e Frauk e aber noch
ni cht ,
dass
si e
in
di eser
Hi nsi cht schon ba l d auf ei n e
ernst e P robe gest el l t werden
würde.
Al s
bei de
näm l i ch
z urück i ns Quart i er kam en, l i ef
i hnen
au s ger ech net
Fr au
Fahr ent hol z über den W eg. A n
der Art , wi e si e Draupadi s
Bl essuren bet ra cht e t e, war kl ar
zu
erkennen,
dass
di e
Kat ast rophe b erei t s i hren Lauf
geno m m en h at t e. F r auke kannt e
di esen prüfend en Bl i ck aus
ei gener Er fahrun g. Da en t schi ed
si e si c h nach kurz em Überl e gen
z u ei ner Hel dent at .
"Es
w ar
mei ne
S chul d",
gest and si e. " Ich habe si e z u
ei nem
W et trenne n
heraus ge fo rde rt . Dabei i st si e
über ei ne W urz el ge st ol pert ."
Es
funkt i oni ert e .
Fr au
Fah r ent hol z
fi el
i nst i nkti v
z urück i n i hre A b nei gun g ge ge n
Frauk e und sa gt e (ei n weni g
spi t z ):
"S chäm di ch! Du bi st doch
vi el größer. N a j a, wol l t est wohl
auch m al ge gen si e ge wi nnen. "
"Das ve r gesse i ch di r ni e!",
fl üst ert e Draup adi a ufgere gt , al s
di e Lehre ri n we g w a r.
Dafür w ar es de n Ei nsat z
wert , fand Fr auke.
66
A
m Abend vor der A brei se
aus
Hassel fel d e
kam
Draupadi z u F rauk e und
raunt e i hr z u, si e m üsse m i t i hr
reden - nur m i t i hr und z war an
ei nem ei nsam en Or t i m W al d.
Das war an si ch schon sehr
unge wöh nl i ch. Und si e gab si ch
auch w ei t e rhi n g e hei m ni svol l .
An dem von i hr ausge wäh l t en
P l at z st el l t e si e noch ei nm al
ei ndri ngl i ch kl a r, da ss di es al l es
kei n S cherz sei . Dabei em pfand
Frauk e di e Fei erl i chkei t des
Augenbl i cks auch ohne di ese
Erm ahnun g.
R i ngs
um
di e
b ei den Mädchen waren nur
Bäum e und S t räuch er z u sehen.
S o konnt en si e si ch fühl en wi e
i n der W i l dni s wei t ab j ede r
m en schl i chen S i ed l ung, ganz
aufei nand er an g ewi e sen.
"Möcht est du m e i ne best e
Freundi n
we rden ? ",
fragt e
Draupadi
s chl i e ßl i ch
und
s chaut e
F rauke
mit
i hren
s chwarz en A u gen prüfend an.
" Ic h m ei ne: m ehr al s ei ne
ge wöhnl i che
Freu ndi n,
ei ne
Freundi n,
der
i ch
al l es
anvert r auen k ann u nd di e übe r
Gehei m ni sse ni emal s redet . Ni e
und
ni m m er,
was
auch
ges chi eht ."
" Ic h hab e di ch ni ch t verpet z t ,
al s du ab gest ürz t bi st ."
"Da rum sa ge i ch d a s auch nur
z u di r. Kei nem sonst aus der
Kl as se würd e i ch da s anbi et en."
"Ni cht ei nm al Mi ke ? "
"Ach d er! Der i st st ark, aber
er i s t oft auch no ch ei n ri cht i ger
Ki ndskopf.
Du
bi st
vi el
v ernünft i ger al s er. "
Frauk e war ei nverst anden und
vol l z og
nach
Draupadi s
Anwei sun gen ei ne kom pl i z i ert e
Ze rem oni e, de ren H öhepunkt i n
ei nem
ge gensei t i gen
Ei d
best and.
( I ch
sc hw öre
bei
mei ner Pi oni erehre , dass i ch
di ch
ni emal s
v errat e
und
ni emal s i m St i ch l asse bi s ans
Ende der Wel t .)
Danach ent st and ei ne l än ger e
P ause. Frauk e d acht e schon,
dass i hre neue b es t e Freundi n
i hr
im
Mom ent
gar
kei n
beso nderes
Gehei m n i s
anvert r auen wol l t e und si ch
i hrer T reue nur vorsor gl i ch
versi chert h at t e. D och si e i rrt e
si ch. Draupadi b raucht e nu r
Zei t , um si ch z u übe rwi nden.
" Ic h habe An gst , dass m i t
P apa et w as S chl i m m es passi ert . "
Sie
sprach
im
Fl üst ert on,
obwohl ni em and i n der Nähe
war.
"W i e
kom m st
du
denn
dar auf? "
"Er e rz ähl t neue rdi ngs s o
kom i sche S achen. "
Frauk e
wol l t e
si ch
das
gen auer e rkl ären l assen, doch
Draupadi w ec hsel t e das Them a.
"P apa h at ei n Buc h, das auf
kei nen F al l verl oren geh en dar f.
Es kom m t aus Indi en und hei ßt
Bhagavad Gi t a ."
" Wi e h ei ßt das? "
Draupadi sch ri eb d as W ort i n
den S and.
"Und w arum darf es ni cht
verl oren gehen? Ist es s o
t euer? "
"Es i st w ert vol l . P apa sa gt ,
dass i ch et w as dari n fi nden
werde, was i ch er st verst ehe,
wenn i ch äl t er b i n. Das i s t
näm l i ch
ei n
phi l osoph i sches
Buch. "
Frauk e ni ckt e, obw ohl si e von
dem Buch nu r ei n e sehr v a ge
Vorst e l l ung h at t e.
67
"Abe r du dar fst ni em andem
von dem Buch erz äh l en."
" Ic h werd e schw ei gen wi e ei n
Grab. Das h abe i ch di r j a
v ers proch en. "
Danach
wi rkt e
Draupadi
erl ei cht e rt .
Sie
war
ihr
Gehei m ni s l osg ewor den. F rauk e
hat t e m i t m ehr ger echnet na ch
den
kom pl i z i ert en
Vorber ei t ungen und war ei n
bi s s chen
ent t äusc ht .
S pät er
dacht e si e al l e rdi ngs a n der s
darüber.
In
d er
fol gend e n
S t unde
red et en s i e noch ga nz al l gem ei n
über D raupadi s P apa. Frauk e
erfuhr ei ni ges üb er i hn, das si e
s o noch ni cht wuss t e. Manches
dabei m ocht e ge fä rbt gew esen
s ei n durch di e hei ße Li eb e
s ei ner Tocht er z u i hm . Doch
ganz best i m m t war er m eh r
i deal i s t i s cher
Tr äum er
al s
dum pfer Do gm at i ker. S owei t
m an das von i hm erwart et e,
kannt e e r di e B eschl üsse de r
P art ei t age. S o wei t nöt i g, konnt e
er P hr asen dres c hen. Indes
wusst e er au ch noch ei ne
Menge, w as ni c ht z u den
Errun gensch aft en d er Arb ei t er und Bauernm acht z ähl t e. Er
i nt ere s si ert e si ch fü r di e Kul t ur
der
Mens chen
in
fern en
Länd ern. Er b esc hafft e si ch
Büche r d arübe r, w o i m m er e r
si e b ekam . W i eder um war er
schl au genu g, übe r s ei n Fe rnweh
m i t ni em andem z u reden. Außer
mit
Draupadi .
S ei ner
Mahar ads cha -P ri nz e ssi n.
Dem
l ebendi gen S t ück F erne ganz i n
sei ner N ähe. Es l i eß si ch ni e
bewei sen: Ab er ga nz best i m m t
wus s t e er schon, al s er si ch um
Draupadi s M am a be m üht e, dass
er auf di es em W e g z u ei ner
Tocht er m i t i ndi schem Aussehen
ko m m en würde. Ind i en war d as
Zi el se i ner T räum e. A l l es an
di esem Land fasz i ni ert e i hn. Di e
schneebed eckt en
Gi pfel
des
Hi m al aj as. Di e Ze rem oni en i n
den hei l i gen S t ädt en am Gan ges.
Di e El ef ant en, di e Zoodi r ekt or
Ul l ri ch i n ei nem sei ner Büch er
beschri eb.
F
S t raße nbahnhal t est e l l e
gi n g,
hat t e
si e
z wei
Ent schl üsse
ge fasst . Erst ens: S i e wol l t e
Draupadi wi eder f i nden, e gal
wel che Hi nd erni sse si ch i hr
noch i n den Weg st el l t en.
Zw ei t ens:
Sie
wol l t e
heraust ret en
a us
i hrer
P rogr am m i ere rhöhl e , um das
ri cht i ge
Leb en
kennen
zu
l ernen. Man kann d er An gst nu r
ent kom m en, i ndem m an akt i v
wi rd. Li eb er der Gefahr i ns
Au ge seh en, al so di e Au gen vor
i hr z u verschl i eßen. Ural t e
W ei s hei t en.
rauke hat t e di e R unde um
den Großen W oog b eendet .
Verm ut l i ch w är e i hr j ener
Abend auch ohne di e E rei gni sse
vom darauf fo l gend en Herbst i n
Eri nnerun g
gebl i e ben.
Doch
Draupadi
h at t e
si ch
i hr
anver t r aut
nur
k napp
z wei
M onat e, bevor si e ve rschw and.
Dadurch
war
j ener
n ai ve
Treus chwu r m eh r a l s nur ei n e
Epi s ode aus der Ki ndhei t , über
di e m an al s Erwachsener m i t
m i l dem Läch el n hi nwe g geht .
Al s Frauk e dem S ee den
R ücken kehrt e und i n R i cht ung
68
2.Teil
Suche
69
70
19
A
ls
Haupt komm i ssar
Traut en be r g am Mont ag
z um Di enst erschi e n und
s ei nen C om put er anschal t et e,
fand er ei ne E - Mai l sei nes
Vor geset z t en - ge ken n z ei chnet
m i t dem S ym bol für w i cht i g . Er
l as l aut vor:
"Hi e rm i t ersuch e i c h S i e noch
ei nm al und m i t Nachdruck, Ihr e
Erm i t t l ungen
im
Fal l
Voss
unverz ügl i ch ei nz ust el l en und
i n s besondere ni em a nden m ehr i n
di es er S ach e z u bel äst i gen. " E r
l ehnt e
si ch
z urück
und
s chüt t e l t e
den
Kopf.
"S o
förm l i ch erl ebt m a n i hn sel t en.
Das m uss i hm sehr am Herz en
l i egen. W as s a gen Si e daz u?
Inz wi schen
we rde n
Zeu genbe fra gun gen
al s
Bel äst i gun gen em pf unden. W i e
s ol l en wi r ei gent l i ch kün ft i g
uns ere A rbei t erl edi gen? "
"Fü r d en C hef i st der Fal l
Vos s kei n Fal l m eh r. Dort l i egt
das
P robl em .
So
et was
Ähnl i ches habe i ch auch schon
ges a gt . S i e eri nnern si ch? "
Traut enbe r g
sch ob
das
Ar gum ent
mit
ei ner
Handbew e gun g bei s ei t e.
"Hör en S i e: W i r bei de hat t en
es heut e f rüh fur cht bar ei l i g.
W i r ha t t en ni cht ei nm al Zei t ,
uns di e E -Mai l s anz uschauen.
W i r si nd sofort a ufgebroch en
z ur Fi rm a B IT C o."
Zürn beu gt e si e wei t über
s ei nen S chrei bt i sch vor:
"Mal ehrl i ch: W enn Ihnen ei n
Verdä cht i ger d as er z ähl en t ät e,
würden S i e i hm gl au ben? "
"Nat ü rl i ch ni cht . Das sol l j a
nur der C hef gl aube n."
Zürn verd reht e di e Augen, z og
si ch aber d ennoch den Mant el
über.
Al s si e si ch bei B IT C o. am
Em pfan g m el det en, war i hnen
absol ut kl ar, dass si e auße r
i hren Di enst auswe i sen ni cht s
besaßen,
um
Ei ndruck
zu
erw e cken.
D er
Geschä ft sst el l enl ei t er hät t e s i e
abwei sen kö nn en wi e z wei
Vert ret er für vol l aut om at i sche
Kart off el schäl e r. T at er ab er
z um Gl ück ni cht . Er ve rhi el t
si ch
sogar
au sgesp rochen
freundl i ch
und
kooperat i v.
S ei ne ei nz i ge S orge gal t de n
Kundendat en.
"Geh en S i e bi t t e di s kret dam i t
um ! S i e wi ssen j a ..."
"Kei n e S or ge! Im Grunde
i nt eressi eren
uns
di e
ges chäft l i ch en Akt i vi t ät en von
Herrn Voss weni ger . W i r hoffen
vi el m ehr, Hi nwei s e auf sei n
P ri va t l eben z u fi nden."
Das
wa r
ni cht
nur
z ur
Beruh i gun g gesa gt . Um den
S chre i bt i sch, den i nz wi schen
ei n and er er Kol l e ge benut z t e,
küm m e rt en si ch di e P ol i z i st en
überhaupt ni cht , auch ni cht um
den
Akt enschr an k.
Erfol g
verspr e chend ers ch i enen i hnen
l edi gl i ch z wei Um z ugskart ons ,
wori n
di e
Kol legen
al l es
verst aut ha t t en, w as für di e
71
Arbei t i m M o m e nt ni em and
benöt i gt e. Di e st an den z i em l i ch
verl oren i n ei ner Ecke. P et e r
Track z ei gt e si e i hn en.
" Im unt er enkart on
s i nds ei ne p ri vat sach endri n."
"Äh ... W as sa gt en S i e? "
Traut enbe r g,
der
an
di e
s chnel l e
S pre chw ei se
ni cht
ge wöhnt wa r, ve rst and kei n
ei nz i ges W ort .
"Di e pri vat en S ach en si nd da
unt en dri n", spran g Zürn al s
Dol m et s cher ei n.
"Nul l ahnun gw asdas al l esi st ."
"J a .. m m h ... Vi el en Dank! "
Traut enbe r g
wuch t et e
den
oberen Ka rt on herun t er. Der war
m i t P api erkram bi s z um R and
ge fül l t , s o dass dabei fast di e
Henkel
ausri ss en.
Di e
Zuve rs i cht
hi nsi c ht l i ch
des
unt eren Ka rt on red uz i ert e si ch
frei l i ch schnel l . S ei n Inhal t
bes t and z u m ehr al s der Häl ft e
aus Bü che rn - pri vat , aber rei n
fachl i ch.
So
b l i eben
al s
Aus beut e nur Te r m i nkal ender,
di e J ahrgän ge 199 0 bi s 1997.
Auf den erst en Bl i ck bez ogen
auch s i e si ch nur auf den J ob.
Aber vi el l ei cht ha t t e si ch j a
daz wi s chen
do ch
ei ne
aufs chl us srei che N ot i z veri rrt .
(M an kann ni e wi s sen und di e
Hoffnun g st i rbt z ul et z t .) Lei d er
l i eß s i ch ei n so verst eckt e r
Hi nwei s ni ch t i m H andum drehen
fi nden. Zürn üb ern ahm deshal b
di e ni cht ganz l ei c ht e Aufgabe,
P et er Track i n ei n G esprä ch z u
verwi ckel n,
währ en d
Traut e n be r g di e A 5 -Büch er i n
s ei ne T as ch e st eckt e - ni cht so
ganz l e gal , aber i m Not fal l z u
recht f e rt i gen.
Ans chl i eßend v erab schi edet en
s i ch bei de. S i e hat ten si ch ni cht
ei nm al ei ne hal be S t unde i m
Fi rm en geb äude au f geha l t en. Mi t
et was Gl ü ck wü r de Anw al t
Uh l i g ni cht s von ihrer Akt i on
erfah ren - und fo l gl i ch auc h
ni cht der C hef.
Am Nachm i t t ag t ei l t en si e
si ch di e Arbei t . Traut enb e r g
bearbei t et e di e of fi z i el l en Fäl l e,
Zürn bl ät t ert e di e Tagebü che r
durch.
Das
Er ge bni s
bl i eb
ernücht e rnd.
Di e
Ei nt räge
hat t en al l enf al l s z u fünf P roz ent
ni cht di rekt m i t di enst l i chen
Bel an gen z u t un. Di e r ei n
pri vat en
Not i z en
wi ederum
waren fast durch we g absol ut
al l t ägl i ch.
Arz t besuche,
Verab redun gen
am
Abend,
Term i ne
bei m
TÜV.
Zü rn
bem üht e si ch schl i eßl i ch nur
noch, Hi nw ei se a uf P ers one n
außerhal b
d er
Fi rm a
zu
i dent i fi z i eren. Dab ei ent st and
ei ne Li st e m i t Kont akt en, deren
C hara kt er er nun z u erm i t t el n
ver sucht e. Nu r i n fünf F äl l en
war de r ni cht o ff ens i cht l i ch.
" Ic h fra ge m i ch, ob das noch
S i nn hat ", sagt e er nach et was
m ehr al s drei S t unden si cht l i ch
frust ri ert .
"J a, i ch hat t e m i r auch m ehr
versproch en ",
räum t e
Traut e nbe r g
ei n.
"Abe r
vi el l ei cht kön nt en S i e di ese
fünf Le ut e m al ankl i ngel n. Nur,
dam i t wi r uns hi nt erher ni cht s
vorz uwerfen b rauch en."
"J a, si cher. G eht kl a r."
Mi t et was Gedul d err ei cht e
Zürn i m Lauf e d er nä chst en
bei den Ta ge unt er j eder der
Tel efonnum m ern e i ne P erson,
di e m i t Ax el Voss i rgend wi e i n
Verbi ndun g st and. Ei ne C ousi ne
z wei t en Grad es au s Karl s ruh e,
di e er kennen l ern e n wol l t e, m i t
72
der dann abe r doch kei ne
Verab redun g z ust ande kam . Ei n
M ann aus As chaf f enbur g, dem
er s ei n Aut o verka ufen wol l t e.
Ei ner aus Frank furt , dem er es
dann t at sächl i ch v e rkauft hat .
Ei n
Her r
H en schel
aus
Ham bur g, der w i e er aus
Os t berl i n st am m t e. Ei ne Frau,
di e er wäh rend ei ne r Di enst r ei se
get ro ffen hat t e und di e z unächst
m i s s t raui sch,
dan n
ehrl i ch
bes t ürz t rea gi ert e.
"Ei n Vol l t reffe r i st ni cht
dabei , fürcht e i ch " , z o g Zürn
s chl i eßl i ch Bi l anz . "W enn i ch
überhaupt ei nen von i hnen
i nt eressant
fi nde,
dann
h ö ch st ens di esen H enschel . Mi r
i s t ni cht kl ar, was genau i hn m i t
Vos s verbi ndet . W enn i ch i hn
recht verst an den h abe, gab es
s o wohl vor al s au ch nach d er
W ende persönl i ch e n Kont akt .
Freund e i m en ger en S i nne war en
s i e aber wohl ni cht . "
"W as sa gt Ihnen Ihr Gefühl ? "
Zürn hob di e S chul t ern.
"S chwe r ei nz uschä t z en. Ei n
freundl i che r
Herr.
Ges prä chsb er ei t ,
aber
ni cht
ges chwät z i g. A l l ei n st ehender
R ent ner. Ei ne And eut ung vo n
i hm kö nnt e b edeut en, dass es
ei ne Geschi cht e aus DDR -Zei t en
gi bt ."
Traut enbe r g
z og
di e
Augenbrau en hoch:
"W as für ei ne A ndeut ung?
W as für ei ne Ges chi c h t e? "
"Al s i ch i hm sagt e, dass Voss
wahrsch ei nl i ch
S el bst m ord
begi n g, kl an g er s o, al s ob er
das habe kom m en seh en, al s ob
er s i ch das i r gend wi e erkl ä ren
könnt e."
"Na, das i st doch ei n gut er
Grund, ei nm al m i t i hm z u
reden. "
"Vi el l ei cht .
Ab er
das
Gesprä ch dauert e n ur ei n paar
M i nut en. Gut m ögl i ch, dass i ch
ei ni ges völ l i g f al sc h aufgefas s t
habe. "
"W i r werd en es he ra us fi nden."
"Da bi n i ch m i r ni cht s o
s i cher. Od er haben S i e di e E Mai l vom C hef im m er noch
ni cht gel esen? "
" Ic h werd e H errn Henschel
anrufen. Ic h we rd e i hm ganz
ei ndeut i g sa gen, da ss i ch kei ne
Erm i t t l ungsbefu gni s habe. Und
dann we rde i ch i hn fra gen, ob e r
Lus t hat , si ch m al ganz pr i vat
m i t m i r z u unt erhal t en. Das d arf
i ch doch wohl noch t un. Ich bi n
ei n neugi e ri ger Mensch von
Geburt he r. D a kan n i ch ni cht s
dafür. "
"Ma chen S i e nu r so wei t er!
S i e werd en si ch noch ei ne
M en ge Är ger ei nh an del n."
Traut enbe r g scha fft e es, ei ne
Di enst rei se nach H am burg m i t
Überna cht un g
gen ehm i gt
zu
bekom m en . Ei ne Bespr echun g
m i t den Kol l ege n dort i m
Zusam m enh an g m i t dem Mafi a Fal l . Tel efoni sch nu r m i t großen
Ei nschränkun gen
zu
bewerkst el l i gen. Le i der. Und er
schafft e es auch, si ch pri v at bei
Herrn H e nschel ei n z ul aden. Der
al t e
Her r
re a gi ert e
sehr
au f geschl ossen.
" Ic h hat t e das Gefühl , er
l angw ei l t
si ch
und
sucht
Gesel l schaft . "
"W undert S i e das? W art en S i e
m al ab, wi e es i st , wenn S i e
sel ber R ent ne r si n d und kei ne
Bösewi cht e m ehr j a gen d ü rfen ! "
73
"Dann l ade i ch m e i ne Enkel
ei n und l asse m i r von i hnen di e
W o hnung verwüst en ."
20
u
i hrer
Ver wun derun g
h at t e
der
bl oße
Ent schl uss,
nach
i hrer
S chu l freundi n z u suchen, au f
Frauk e
g ewi rkt
wi e
ei n
Beruhi gun gsm i t t el . S i e fand i n
der N acht wi ede r gen ü gend
S chl af, fühl t e si c h am T a ge
wi eder
al l en
A nford erun gen
ge wachs en und war z udem
wi eder
z um
s yst em at i schen
Den ken f ähi g, i hr er vi el l ei cht
größt en S t ärk e. Di enst a gabend
vers chob si e di e Ta pet enbahn an
der W and um ei nen Met er na ch
oben und t ei l t e si e dann dur ch
ei nen di cken schw arz en S t ri ch
i n z wei Tei l e. Ob en, nunm ehr
kurz unt er der De cke, st and en
noch di e Übe rl e gun gen z u Ax el
Vos s . Unt en, wo no ch a l l es wei ß
war, m al t e si e e i nen neuen
Aus gan gs punkt :
Draupadi
Schmi t t .
Z
Sie
wol l t e
si ch
ver ge gen wä rt i gen,
was
si e
schon wusst e. D ra upadi hat t e
si ch j a ni cht i n Lu ft auf gel öst .
S i e war nur aus der S chul e
verschwund en. F ra u ke hat t e si e
spät er noch ei ni ge Mal e geseh en
und bei di esen Gel e genhei t en
auch m i t i hr g espro chen. Lei de r
waren vi el e i hr er dam al i gen
Ei ndrüc ke
m i t t l erwei l e
verdrän gt und ver ge s sen. Kei n e
Nam en,
kei ne
ve rwe rt bare n
Ansat z punkt e.
Aufg eschri eb en
hat t e si e ni cht s. Doch was
spont an auf d er A ut obahn und
i m Anschl uss an ei n en Al p t raum
m ögl i ch w ar, sol l t e i hr au ch
wi l l ent l i ch
gel i n gen.
Mi t
gen ü gend G ed ul d h offt e si e, di e
Eri nnerun gen i n d en dunkl en
W i nkel n des Unt er bewusst sei ns
aufz uspüren.
Z
würde j et z t unt er fal sch em
Nam en i n München l eben - z u
S p i onagez we cken.
Endl i ch t rat di e Di rekt ori n vor
di e Kl asse. Bei i hrer kurz en
Anspr ach e set z t e si e ei ne de rart
ernst e Mi ene auf , dass di e
Ki nder
re gel rec ht
Angst
bekam en - un abhän gi g von dem ,
was si e m i t t ei l t e (obwohl das an
si ch sc hon schl i m m genu g war ).
"He rr und Frau S c hm i t t si nd
bei ei nem V erkeh rsunfal l au f
wei Ta ge l an g he rrscht e
völ l i ge Un gewi sshe i t über
Draupadi s
S ch i cksal .
Norm al er Unt erri ch t war k aum
noch m ögl i ch. Ei n Gerücht j a gt e
das ande re. N at ü rl i ch dreht en
s i ch vi el e S pekul at i onen um
Herrn
S chm i t t
und
sei ne
P os i t i on bei m Mi ni st eri um für
S t aat s s i cherhei t . B j örn Haase
m acht e s i ch wi c h t i g m i t ei ner
bes onders
a usge fal l enen
Ges chi cht e: Di e ga nz e Fam i l i e
74
der
Aut obahn
t ödl i ch
verun gl ückt . Eure Mi t schül eri n
Drau padi wi rd des hal b bi s auf
wei t eres ni cht z um Unt erri cht
ers chei n en."
S i e fügt e noch ei ni ges hi nz u,
was wohl al s Trost g ed acht w ar,
i n di eser Hi nsi cht al l erdi ngs das
Zi el
kom pl et t
verf ehl t e.
Hi nge gen wusst e si e auf kei n e
der vi el en Fr a ge n, di e nun
ges t el l t
wurd e n,
ei ne
befri edi gend e Ant w ort . (W o i st
sie
j et z t?
Kann
m an
si e
bes uchen? W ann kom m t si e
voraussi cht l i ch wi e der? Da rf si e
wei t er
in
i hrem
Zi m m er
wohnen? W er wi rd si ch künft i g
um s i e küm m ern? )
Frauk e heul t e z u Hause so
heft i g und ausdau er nd, dass i hre
El t ern erwo gen, m i t i hr z um
Arz t z u gehen. Bei i hr kam z ur
Trauer um He rrn und Frau
S chm i t t und z ur S orge um
Draupadi
no ch
ei ni ges
an
S el bst m i t l ei d hi nz u. S i e fühl t e
s i ch vom S chi cks al ver fol gt .
S obal d si e si ch auf ei nen
M en schen fest ve rl i eß und auf
i hn
baut e,
wu rd e
er
i hr
we ggeno m m en. S i e hat t e kei nen
ri cht i gen Vat e r, ke i nen Brud er
m ehr und nun au ch wi eder k ei ne
bes t e F re undi n. Da s al l es w ar
u n ge recht und gem e i n.
In d en fol genden W ochen
erl ebt e si e noch z wei wei t e re
s chocki er e nde Erei gni sse. Erst
s ah si e, wi e das Haus der
S chm i t t s l eer ger äum t wurde
(worau fhi n si e di e Bhagavad
Gi t a an si ch n a hm .) Dann
b eobacht et e si e, w i e Draupadi
noch ei nm al i n der S chul e
auft aucht e, um ei ni ge S ache n
abz uhol en. Das spi el t e si ch i n
weni ger al s ei ner h al ben S t unde
ab und brannt e si ch dennoch für
i m m er i n i hr Ged ächt ni s ei n.
Draupadi w ar ni cht ansprechb ar.
Al s ei n Lehr er i hr e i ne Hand auf
di e S chul t er l egt e, bl i eb si e m i t
unverände rt em
G e si cht
kurz
s t ehen. Al s er si e wi eder f rei
gab, l i ef si e w ei t er wi e ei n
auf gez ogenes
S p i el z eugaut o,
das j em and kurz an gehal t en hat .
Im N achhi nei n m us st e Frauk e
frei l i ch z ugeb en, d ass si e vom
S chi cksal
kei nesw eg s
benacht e i l i gt
wo rden
w ar.
Gerad e i m fünft e n S chul j ahr
st anden den S chi ck sal sschl ä gen
ei ni ge sehr günst i ge Um st ände
ge gen über. D a gab es z um
Bei spi el den H err n J äger. E r
hat t e
F rau
F ah r ent hol z
al s
Kl assenl ehre r ab g el öst und war
das kom pl et t e G e gent ei l von
i hr, ni cht nur hi n s i cht l i ch des
Geschl echt s.
Fac h l ehrer
fü r
Mat hem at i k und P h ysi k. S ehr
sachl i ch, seh r gen au, z i em l i ch
st reng,
aber au c h z i e m l i ch
ge recht . Di e Mädch en, di e si ch
m i t dem form al anal yt i sch en
Denken
sch we r
t at en,
em pfanden
i hn
al s
re al
ge wo rd en en Al pt ra um . Frauke
ni cht . P l ötz l i ch befand si e si ch
i n j ener P osi t i on, di e s i e
Draupadi
i ns gehe i m
i m m er
gen ei det ha t t e. Al l erdi ngs w ar
Herr J äger z u versc hl ossen, um
Günst l i n gswi rt scha f t
zu
bet rei ben.
An s t at t
i hr
S onderrecht e z u ge wä hren ode r
si e durch übe rsc hwän gl i ches
Lob i n den Mi t t el punkt z u
rücken, förd ert e er si e behu t sam
durch Zus at z auf ga ben. G enau
das braucht e si e.
Obwohl si e ei nersei t s m ehr al s
j eder and ere aus der Kl ass e
unt er Draup adi s Verschwi nde n
75
l i t t , z og si e anderer sei t s Gewi nn
daraus . U n ge wol l t rut scht e si e
i n di e R oll e ei ner Thronfol geri n
hi nei n. Gruppe nrat svorsi t z ende
wurde s i e aus N o t wendi gk ei t
s chon bal d. Üb r i gens n ach
Kam pfabst i m m ung g e gen Mi ke
Gam l i n. S o war si e di e S i egeri n
der ers t en fr ei en W ahl en i n der
Kl as s e. Al s P ri m us t rat si e das
Erbe ei n J ahr spät er an. Di e
Bel i ebt es t e al l e rdi ngs wurd e si e
ni e, di e Hübs che st e sowi eso
ni cht .
Das s
si e
ni cht
wi rkl i ch
gl ei chz i ehen konnt e , erl ebt e si e
auf S chri t t und Tr i t t . Um bei
ei ner Lei st un gsko nt rol l e ei ne
Ei ns z u bekom m en, m usst e si e
si ch grü ndl i ch vo rb erei t en. Von
sel bst gi n g d a ga r ni cht s. (An
ei n so aufwändi ges Hobb y wi e
z um Bei spi el Dra upadi s C hor
war überh aupt ni cht z u denken.)
S t el l t e si e si ch vorn hi n, um al s
Gruppe nr at svorsi t z ende
et was
z u verkünden, wur de si e (t rot z
i hrer
Größ e)
e rst
ei nm al
i gn ori e rt . S i e m usst e schrei en,
um si ch Gehör z u verscha ffen .
(Draup y
h ät t e
si ch
mit
charm a nt em Lä ch el n i n P osi t ur
geb racht und di e i hr gebüh rend e
R uhe ab gew art et .)
I
Doch dass si e z ehn M i nut en z u
spät kam , e rwi es si ch al s das
ge ri ngst e P robl em an di esem
Tag. S pät e r sagt e si e si ch, dass
ei gent l i ch dam i t z u rechnen
war. S ei ne rz ei t erl e bt e si e es al s
noch e i nen S chock m ehr.
Draupadi hat t e si c h i n ei nen
Kokon ei n gesponne n und l i eß
j eden
Kom m u ni kat i onsversuch
abpral l en - auch d e n der best en
Freundi n . Offenh er z i gkei t und
Freundl i chk ei t ,
früher
i hr e
au ffäl l i gst en
Ei gens cha ft en,
waren kom pl et t ve rschwunden.
Kei n Gesp räch ka m z ust ande.
Da hal f ni cht ei nm al das
ausdrückl i che
Herau fbesch wören
des
Ver spr echens aus Hassel fel de.
Frauk e hat t e das G efühl , ei ner
frem den
P erson
ge genüberz usi t z en. I r gendw ann
war das Unb eha ge n so groß,
dass si e nur no ch fl ücht en
wol l t e. Di e Bhagavad Gi t a
nahm si e i n i hrem B eut el wi ede r
mit.
m Novem ber spr ac h si ch i n
Bei e rs dorf
he rum ,
dass
Draupadi
i nz wi sc hen
in
ei nem Ki nde rh ei m i n Köni gs W us t erhausen
unt er geko m m en
s ei . F rauke b esor gt e si ch di e
Tel efonnum m er vo n dort und
fra gt e den Hei m l e i t er na ch d en
Bes uchs z ei t en.
Ihr
wurde
d araufhi n e rkl ärt , dass i hre
Freu ndi n
si ch
noch
ni cht
genü gend
an
di e
neue
Um gebun g gewöhn t habe und
das s
in
di eser
kri t i schen
Anfan gs phas e ei n Treff en m i t
Bez ugs p ersonen a us früh ere r
Zei t s ch ädl i ch sei . S i e sah das
z war abs ol ut ni cht ei n, m usst e
s i ch aber wohl od er übel fügen.
Im
Feb ruar
des
nächst en
J ahres bekam si e endl i ch di e
Bes uchs e rl aubni s. S i e rüst et e
s i ch m i t ei nem Stadt pl an aus,
packt e d as aus d e m Haus am
R ei s weg
ger et t e t e
Buch
(m i t s am t den si eben Zet t el n) ei n
und bes t i e g gut ge l aunt di e S Bahn. Das Hei m f and si e erst
nach ei nem l än ger en Um we g.
76
Vi el l ei cht hat t e de r Hei m l ei t er
R ech t .
Vi el l ei cht
war
es
t at s ächl i ch besser f ür Draupadi ,
wenn si e si ch erst ei nm al i m
Hei m ei ngewöhnt e, ehe si e al t en
Bekannt en be ge gn et e. F rauke
nahm Ar gum ent e di eser Art
m o nat el an g z um Vorwand, den
z wei t en Besu ch vor si ch he r z u
s chi eben.
Erst
in
den
S om m er feri en
ge wann
das
s chl echt e
G ewi ssen
di e
Oberhand ge ge nübe r der An gst
vor
wei t e ren
b efrem dl i ch en
Ei ndrücken. Da si e nu nm ehr m i t
s chl i m m st en
Befürc ht un gen
s t at t m i t hohen Erwa rt un gen
kam ,
wurde
si e
ang en ehm
überras cht . Draup ad i r edet e m i t
i hr, wenn auch ei n s i l bi g, und
erwe ckt e den Ei ndruck, si ch
über das W i eders ehe n z u freuen.
Ni cht so posi t i v war, was si e
ans chl i eßend vom Hei m l ei t er
erfuhr. Draup adi habe si ch
k ei neswe gs an d as Leb en i m
Hei m gewöhnt . Im Mai sei si e
ge fl ücht et und na ch drei Ta gen
von der P ol i z ei z urück g ebr acht
worden. In der n euen S chul e
habe
si e
eben fa l l s
kei nen
An s chl uss
gefun den.
Ihr e
Zens u ren s ei en s o schl echt
ge wesen, d ass di e Verset z ung
am sei denen F ad e n geh an gen
habe. D as al l es wa r für F rauk e
völ l i g ungl au bwürdi g. Do ch gab
es für den He i m l ei t er ei nen
Grund,
si ch
so
e t was
aus z udenken?
Indi r ekt wa r i hr a l so erneut
nahe gel e gt worde n, si ch von
i hrer
f rüheren
Kl as senkam e r adi n
fern
zu
hal t en. Dan ach ri c h t et e si e si ch
aber nur z um Tei l . S i e kam z war
ni cht m ehr pe rsönl i ch z um
Hei m , ri ef j edo ch re gel m äßi g
dort an - über ei ne Num m er, di e
von den Bet reu er n ni cht s o
st reng kont rol l i e rt wu rde. Dab ei
ge wann si e di e Ü be rz eugun g,
dass
Draupadi
groß e
S chwi eri gkei t en h at t e, über di e
si e al l erdi n gs ( a us wel chen
Gründen auch i m m er) ni cht
reden wol l t e. Es ga b off e nba r
übl e
Vorf äl l e
mit
ei nem
best i m m t en Erz i eher sowi e m i t
ei nem e t w as äl t e r en J ungen.
Aber was d as f ür Vorfäl l e
waren, e rfuhr si e ni cht ei nm al
annähernd. S i e ha t t e bi s z ul et z t
gen erel l
kei ne
re cht e
Vorst el l ung üb er d i e Z ust änd e
i m Hei m . Ende J anuar 1978 ri s s
auch di e l ose Verb i ndung über
das Tel efon wi eder ab .
Di e dri t t e Be ge gnu ng gesch ah
z ufäl l i g
wäh re nd
der
S om m erf eri en
n ach
d em
si ebent en
S chu l j a hr.
Fr auke
gl aubt e für ei ne n Mom ent ,
Kont akt z u ei ner au ß eri rdi schen
Leb ensform
b eko m m en
zu
haben. J em an d t i p p t e i hr au f di e
S chul t er
und
nannt e
i h ren
Nam en. S i e dreht e si ch um und
sah Fol gendes: gr as grün e Ha are,
ei ne Ket t e aus S t ache l draht
s o wi e Kl ei dun g, di e di rekt aus
ei nem
Al t kl ei de rbeut el
zu
st am m en schi en. S i e war s o
schocki ert , d ass s i e z unächs t
ga r n i cht auf di e Id ee kam , au ch
ei nm al
i ns
Ges i cht
j enes
abso nderl i chen
W esens
zu
bl i cken.
Aber
die
Stimme
erkannt e si e wi eder.
"W i e .. wi e si ehst du denn
aus? ", st ot t ert si e d ann anst el l e
ei ner Be grüßun g.
"W i r m üssen von der S t raße
we g! W enn di e Bul l en m i ch
s ehen, m ach en si e S t ress."
77
J etz t fühl t e si ch Frauke eh er
i n ei nen Gan gst er fi l m ve rset z t .
Al l erdi ngs l an det si e ni cht i n
ei ner S pel unke der C osa Nost ra ,
s ondern
in
ei ner
l ee ren
W o h nung.
"W i rs t du von d er P ol i z ei
ges u cht ? Bi st du wieder aus dem
Hei m a b gehau en ? "
"Di e Bul l en m ö gen ni cht ,
wenn m an so rum l äuft wi e i ch.
W ei l , i n der DDR gi bt es wede r
Bet t l er noch P enn e r. Di e gi bt 's
nur i m W est en. Außerdem bi n
i ch m i t ei ner ni cht ganz l e gal en
Band unt e rwe gs. "
"Ei ner Band? "
" Ic h bi n dort S änge ri n und
Gi t arri s t i n. Ma cht e cht S paß."
Tat s ächl i ch
w ar
Draupadi
ganz and ers dra uf al s bei
Frau k es Besuch en i m Hei m .
Trot z dem
wi rkt e
si e
beunruhi gend - z u m i ndest auf
j em anden, der ei n ger e gel t es
s oz i al i s t isches Leb en ge wöhnt
war.
"W arum fä rbst du di r di e
Haar e grün? S o etwas habe i ch
noch ni e geseh en. Und was sol l
di eser S t achel dr ah t . Tut das
ni cht weh? "
" Ic h habe di e S pi t z en rund
ge fei l t ."
"Aha. "
" Ic h hab e j et z t wi eder ei n
Zi el . W ei ßt du? "
Frauk e ni ckt e - obwohl si e
überhaupt ni cht s wusst e. Erst
j et z t fi el i hr auf, dass Draup adi
abgem a ge rt wa r. S o wär e si e
ni cht m ehr di e H übschest e i n
der Kl ass e. Di e e i ngef al l enen
W angen l i eß en di e Nase spi t z ,
di e Augen übe r groß wi rken.
"Kri e gst du ni cht genu g z u
es sen? ", erkundi gt e si e si ch
besor gt .
"Ach, d as geht sc hon. Hi er
verhun gert kei n er. A ber i ch
habe m ei s t ens kei ne n Appet i t ."
" Bi st du krank? "
"Nei n, n ei n. Es i s t al l es i n
Ordnun g."
Frauk e ni ckt e a berm al s ob wohl i hre Vors t el l ung von
Ordnun g ei ndeut i g a nders wa r.
21
A
nfan g S ept em ber 1980
m i t Be gi nn d es ne unt en
S chul j ahrs
wec hsel t e
Frauk e
au f
di e
Erwei t e rt e
Obers chul e. Dort war si e von
Anfan g an akz ept i ert , s o wohl
von den Lehr ern a l s auch von
den M i t s chül ern. A us der S i cht
i hrer El t ern hat t e si e den
Spr ung gesch afft . Das hi eß
s o vi el wi e: S i e war heraus aus
dem Al t er der S chwi eri gk ei t en
u nd braucht e kei n e besonder e
Unt erst üt z ung
m e hr.
Di eses
Vert rau en em pfand si e al s Ehre
und wol l t e es auf kei nen F al l
ent t ä uschen.
Ganz so ei nfach, w i e es nach
außen hi n wi rkt e, w ar i hr Le ben
al l erdi ngs
ni cht .
Neuerdi n gs
spi el t e das Aussehe n ei ne i m m er
größ er e R ol l e. Di e Mädch en
schm i nkt en si ch un d ve r gl i chen
i hre
P roport i onen.
Frauk e
versucht e,
i rgend wi e
m i t z uhal t en, hat t e t i ef i n si ch
78
j edoch di e Grundü berz eugun g,
unret t bar hässl i ch z u sei n. Da
hal fen auch di e R at schl äge von
Pr of essor Borrmann aus dem
N euen L eben ni cht wei t er. S i e
bl i eb das Mauerbl ü m chen - bi s
s i e Dani el F ri t sche kenn en
l ernt e.
Bei de r W ei hnacht sfei er de r
S chul e nahm si e i hn z um erst en
M al bewusst w ahr. Er gehö rt e
z ur
P aral l el kl asse
und
saß
z u nächst bei se i nen Leut en. Al s
s pät er von i h rem Ti sc h al l e
au ßer i hr t anz t en, k am er z u i hr.
"Dort si t z t Bi rgi t ", warnt e si e
i hn. Unges chi ckt wi e i m m er.
"Tat sä chl i ch! ", ent ge gn et e er
s chei nbar übe rras ch t und besah
s i ch den S t uhl von al l en S ei t en.
"S i e m uss sehr kl ei n sei n."
S i e l acht e und da s Ei s war
geb rochen. B ei de am üsi ert en
s i ch den ganz en Abend l an g
präch t i g. Er war ei n S paßvogel
aber kei n Dum m sch wät z er. W as
er sa gt e, h at t e Ni veau. Oft
erz ähl t e er ei nen W i tz ohne
Ankünd i gun g
a us
ei ner
S i t uat i on heraus. D ann st ut z t en
al l e
und
l ac h t en
mit
Verz ögerun g.
S el bst verst ändl i ch t anz t en si e
auch m i t ei nander. Dabei prü ft e
s i e di e Größenv erh ä l t ni sse. W i e
befürcht et , war er kl ei ner al s si e
- z um Gl ück nur ei n bi sschen,
ei n paar Zent i m et er . Ob i hn das
s t öre, fra gt e si e i hn spät er.
Dari n wa r si e gut : J eden
Fet t napf
auch
wi rkl i ch
aufz us u chen.
"Du bi st größe r al s i ch? "
W i eder di e pure Verbl üfft hei t
auf sei nem Gesi ch t . "Und i ch
dacht e di e ganz e Zei t , das l i egt
nur an den hoh en A bsät z e. Aber
wenn es so i st , also wenn du
t at säc hl i ch größe r bi st al s i ch,
j a dann m uss i ch mi r d as Ganz e
nat ü rl i ch noch m al überl e gen. "
Ei n paar Monat e l ang war
Frauk es
Gl ück
vol l kom m en.
J etz t gehört e si e daz u. J et zt
konnt e si e endl i ch den di verse n
P art ys an d en W ochenenden
et was
ab gewi nne n.
Darübe r
ver gaß
si e
fr ei l i ch,
das s
P art ne rscha ft
ni cht
nur
Erfül l ung
ei ner
ges el l schaft l i chen P fl i cht i s t ,
sondern (norm al er wei se) auc h
et was m i t körperl i c her Näh e z u
t un hat . Das Verl angen nach
Let z t er em sucht e si e i n si ch
ver gebl i ch. Ir gend wann be gri ff
si e, dass Dani el i n di es er
Hi n si cht sehr wohl Ansprüch e
hat t e
und
i hr
nur
großz ü gi gerw ei se Zei t l i eß was er si ch z u gut e hi el t . Von da
an fühl t e si e si ch unt er Druck,
was
wi ederu m
i hr
Zä rt l i chkei t sbedürfn i s
noch
wei t er däm pft e.
W ährend ei nes F eri enl a ge rs
im
S om m er
kam
es
z um
Ze rwür fni s. D ani el wol l t e von
i hr weni gs t ens ei ne pl ausi bl e
Erkl ärun g
hö ren
für
di es e
Abwehr nach so l anger Z ei t .
Di e konnt e si e i hm l ei der ni cht
l i efern. Im H erbst versucht en e s
bei de noch ei nm al m i t ei nander,
doch wi e am Anf a ng wurd e es
ni cht wi eder. Im D e z em ber, fas t
gen au ei n J ahr nach j en er
W ei hnacht s fei er, t rennt en s i e
si ch endgü l t i g - und Frauk e war
wi eder ganz i m Gri ff i hr er
Mi nderwe rt i gkei t s ge fühl e.
Sie
ent wi ckel t e
S t rat egi en,
um
J ungen aus dem W eg z u gehen ,
und wurde ei ne Mei st eri n für
gl aubwü rdi ge Ausr eden, wenn
Tanz veranst a l t un gen droh t en.
79
Di e P art ne rscha ft sf ra ge h at t e
Frauk e z wei J ahre l ang so sehr
i n A ns pruch geno m m en, dass
für
ander e
Ged anken
und
Gefü hl e ni cht m ehr vi el R aum
gebl i eb en
w ar
(von
den
Verpfl i cht u n gen i n der S chul e
ei nm al abges ehen). An Draupadi
eri nne rt e si e si c h erst i m
Frühj ahr des J ahres 1982 wi eder
- al s s i e Zei t z um G rübel n hat t e,
wei l
sie
si ch
bei
den
Frei z ei t akt i vi t ät en
i hrer
Kl as s enkam e raden
wei t geh end
aus s chl os s. S i e set z t e si ch ei nes
S am s t ags ei nf ach i n di e S -Bahn
und
m arschi ert e
ohne
Anm el dung di rekt z um Hei m ,
daz u b erei t , si ch not fal l s m i t
den Erz i ehern anz ul egen. Doc h
i hre Droh gebä rde er übri gt e si ch:
Draupadi
lag
im
Fachkr ank e n haus
f ür
N eur ol ogi e
und
Ps ychi at ri e
L i cht enberg .
Dort hi n fuhr si e a m nächst en
Tag m i t der S t raß enbahn. S i e
m us s t e s i ch überw i nden, denn
z ur S orge, i n wel c hem Zust and
s i e di e S chu l freund i n ant reff en
würde, kam en Eri n nerun gen an
di e Hepat i t i squara n t äne. Das
wei t l äufi ge
G el ä nde
hat t e
j edoch weni g gem e i n m i t dem
düs t eren
Krank e nhaus
am
P renz l auer Ber g. F rauke fol gt e
ei ner
schnur gera den
Al l ee.
Gepfl e gt e r R asen l i nks und
recht s . Ni edri ge Hecken und
Bl um enr ab at t en. Hi er und dort
ei ne Bank. Vö gel z wi t schert en.
Bes uch er füh rt en K i nder an der
Hand.
P at i ent en
im
Trai ni ngs anz ug
unt erhi el t en
s i ch
an ge re gt .
Kei ne
herum s chrei enden V errüc k t en.
Das
Verw al t ungs geb äude
s t and i n ex poni ert er La ge vor
ei nem
R ondel l
mit
S pri ngbru n nen.
Mi t
sei nen
Fri esl ei st en
z wi s chen
den
S t oc k werken, d en Türm chen an
den Ecken und de m von ei nem
Bal kon üb e rspannt en Ei n gan g
eri nnert e es an e i n S chl oss.
Doch di e Adr e s se st i m m t e.
Frau k e
ent d eck t e
ei ne
Anm el dung,
wo
m an
e i ne
P at i ent i n Draupadi S chm i t t nach
kurz em S uchen t a t sächl i ch i n
den Büc hern fand.
"Abt ei l un g P s ychi at ri e Ei ns
i m Haus S echs - das z wei t e
Gebäude i n der re cht en R ei he.
Di e J ugendst at i on befi ndet si ch
i m erst en Oberges ch oss. Dort
m ü s sen S i e si ch noch ei nm al
anm e l den. "
Auch an d en ei gent l i ch en
Kl i ni kgebäud en
war
ei n
Best reb en
nach
S chönhei t
erkennba r. Frauk e sah si ch di e
groß en
Fenst e r
mit
den
R undbogen
an.
Kei ne
Gi t t erst äbe. Lei ch t ber uhi gt ,
t rat si e ei n. Im Treppe n h aus
j edoch kam di e Eri nnerun g
z urück.
Krank e nhaust reppen
si nd anders al s ge wöhnl i che
Treppen - dur ch ei ne Mi schun g
aus m ed i z i ni schen Gerüchen,
ged äm pft en Ge räusc hen und den
t ypi schen
Druck e n
an
den
W änden.
Fr auke
sah
au ch
wi eder v erschl ossen e Gl ast üren .
S chon
b ei m
Drücken
des
Kl i nge l knopfs
an
der
J ugendst at i on schl ug i hr d as
Herz bi s z um Hal s und bei m
W art en i m Bes u che r raum dacht e
si e:
Gefan ge n sch aft
beda rf
kei ner Gi t t erst äb e. S i e kannt e
den Be gri f f pha rm a zeut i sche
Z w angsj acke . W äh r end si e si ch
vorst el l t e, m i t s el t sam en Leut en
z usam m enge pf ercht
zu
sei n,
80
aus gel i efe rt den Ärz t en und
P fl ege rn m i t i hren S pri t z en und
Tabl et t e, em pfand si e t i efes
M i t l ei d.
Doch wi ede r erl ebt e si e et was
völ l i g and eres al s erwa rt et . S o
ruhi g und n at ürl i ch wi e a n
d i es em Ta g hat t e s i e Draup adi
s ei t i hrem V e rsch wi nden ni cht
m ehr
ges ehe n.
An
M edi kam ent en l a g das wohl
kaum , denn d az u wa r en i hr e
R eakt i onen z u sc hnel l , i hre
Ant wort en
zu
gei s t es g e genw ärt i g.
Sie
t rug
ei nen
fast
neuen
Trai ni ngs anz ug.
Di e
Ha a re
waren m odi sch ges chni t t en und
ni cht m eh r grün. Un d si e wi rkt e
ener gi e gel aden. G ewi ss: Di e
Zei t d er ganz gro ßen Erfo l ge
war
vorb ei .
(Di e
Abs chl us s veranst al t ung
am
Ende des vi e rt en S chul j ahrs.
Di e vi el en Au s z ei chnun gen. )
Aber si e w ar z u fri ed en.
Oder wa r si e nur e rl ei cht ert ?
W er kann das unt ersch ei den bei
ei nem Menschen, de n er nur al l e
h ei l i gen J ahre si eh t? Nachdem
Draupadi
si ch
v erabschi edet
hat t e, fra gt e Frauk e si ch durch
bi s z ur Ober ärz t i n der S t at i on,
Frau Dokt or P ol z i n. Das erwi es
s i ch
für
sie
(ei ne
N i cht verw an d t e) al s unerw art et
s chwi eri ges Unt e rfa ngen. (Vom
S t at us best e Freu ndi n hat t en
di es e Leut e n at ü rl i ch noch
ni cht s gehört . ) Ab er am Ende
l i eß di e Oberär z t i n si ch doch
herab, m i t i hr z u reden. Mi t
i hrem bl endend w e i ßen Ki t t el
wi rkt e si e wi e ei n Engel . Na ch
Frauk es
Überz e u gun g
si nd
M edi z i ne r gene rel l ni cht so
ganz von di ese r W el t - was si e
durchaus
so
doppel de ut i g
m ei nt e,
wi e
es
kl i ngt .
S el bst ve rst ändl i ch hat t e Fr au
Dokt or weni g Ze i t für di e
dum m en
Fr a ge n
ei nes
kl i ni kfre m den
Erdl i ngs
abgesehen
d avon,
dass
si e
(we gen
d er
ärz t l i chen
S chwei ge pfl i cht )
sel bst
mit
m ehr Zei t ni cht m ehr h ät t e
s agen dürf en. Ihr S t at em ent
best and i m Kern aus z wei
S ät z en. (ei nem pro Fra ge)
" Ist es wi rkl i ch not wendi g,
dass m ei ne Freundi n so l ange i n
der Kl i ni k bl ei bt? "
"J a, unbedi ngt . "
"Und
wann
wi rd
si e
vorau s si cht l i c h ent l assen? "
"S i e hat ei ne gut e P rognos e,
aber übe r den Ent l a ssungst erm i n
spekul i eren
wi r
j et z t
noch
ni cht ."
Der
B esuch
im
Fachk ranke n haus
Li cht enb er g
war
Fr aukes
vo r erst
l et z t e
Be ge gnu n g m i t Draupadi . In den
fol gend en M onat en krei st en i hre
Gedanken
ern eu t
um
di e
wi cht i ge Fr a ge, o b si e doch
noch i rgen dwi e z u e i nem Freund
kom m en
könnt e
oder
grunds ät z l i ch
unt augl i ch
für
ei ne P art nersch aft sei , al s o
ge wi sserm aß en von der Nat ur
her
aus
dem
P roz ess
der
Fort pfl anz un g
des
Menschen ges chl echt s
ausgeschl ossen.
Der
Annoncent ei l des N euen L ebens
di ent e i hr al s Laborat ori um ,
dem P robl em wi ssenschaft l i ch
auf den Grund z u g ehen. Das
Ergebni s ent spra ch ni cht i hren
geh ei m en Hoffnu n gen, doch s i e
akz ept i ert e es l et z t en Endes ,
denn
es
st el l t e
si ch
i hr
ei nde ut i g
und
wi ederhol ba r,
al so unum st ößl i ch dar.
81
Al s s i e si ch z u B egi nn des
z wöl ft en S chul j ahrs wi eder ganz
dem
Le rnen
wi dm et e,
war
Draupadi auß er Land es und
somit
gänz l i ch
aus
i hrer
R ei chwei t e vers ch wunden. S i e
bekam noch ei nen Bri ef von i h r
(den aus Hannov er) . Von da an
fehl t e
j edes
Le bensz ei chen.
Genaus o gut hät t e si e ei n
R aum s chi ff best i e ge n haben und
z u ei nem fre m de n P l anet en
davongefl o gen s ei n können.
P ünkt l i ch z um Abit ur bekam
Frauk e endl i ch a uch ei n so
m akel l os es Zeu gni s wi e i hr
groß es
Vorbi l d
in
der
Unt erst ufe. Di e Lehre r w aren
al l erdi ngs großz ü gi g. In Musi k
erhi el t si e di e Ei ns t rot z ei nes
Durc h schni t t s von Ei ns Kom m a
S echs. In D eut sch durft e si e
si ch über di e m ündl i che P rüfun g
von ei ner gl at t en Zwei auf di e
Ei ns
h ocharbei t en.
Bei m
Abi t uri ent e nbal l wu rde i hr d ann
fei erl i ch di e L ess i ng -Medai l l e
i n Gol d übe rrei cht , di e erst e
Ausz ei chnung, di e ei nen W ert
hat t e (j eden fal l s so l ange es di e
DDR gab).
A
2-K rankenhaus ; 2. 1 -Oberärzt i n
Pol zi n : Di esen Nam en hat t e si e
auf ei nem S chi l d gel esen und
si ch gen au ei n gep rä gt .
Nun
gal t
e s,
di e
ent sprec h enden
Tel efonnum m ern
herausz ufi nden.
Ei ne
Frau
P ol z i n m i t Dokt ort it el gab es i n
Berl i n
nur
ei nm al .
Lei der
bracht e Frauk e da s ni cht vi el
Gewi nn. Di e res o l ut e Ärz t i n
wusst e auch na c h fünfz ehn
J ahre n
noch,
was
S chwei gepfl i cht be deut et , und
l ehnt e j edes Ges pr äch über
ei nen P at i ent en a b - ebenso
freundl i ch wi e b es t i m m t . Ol af
Markwa rt (oder Ma rquard, ode r
...) nahm si e si ch al s nächst en
vor. Dabei hat t e si e ei ne Li st e
mit
i nsgesam t
neunz ehn
Nu m m ern abz uarbei t en. Dass si e
am ri cht en Anschl u ss an gel an gt
war, e rkan nt e si e daran, d ass
der Tei l nehm e r na ch Nennun g
des Nam ens Dr aup adi S chm i t t
si gni fi kant wort ka rger wurd e
und ei ne Mi nut e spät er den
uf der Tapet enb ah n an
der W and war ei n neues
Net z
aus
N ot i z en
en t s t anden.
1-K i nder hei m :
Die
genau e
Ad res s e fehl t e Frau ke, aber si e
t raut e s i ch z u, den W eg dort hi n
von der S -B ahnst at i on aus noch
i m m er z u fi nden.
1 . 1-Hei ml ei t er :
Mi t
sei nem
Nam e h at t e si e sei nerz ei t ei ne
Lam p e
assoz i i ert .
Ganz
so
s i m pel war er aber n i cht .
1 . 2-Is ens e e :
Mi t
di esem
Erz i eh er hat t e Drau padi dam al s
di e m ei st en S chwi eri gk ei t en.
Vi el l ei cht
hi eß
er
auc h
Is enm eer,
ab er
zu
acht z i g
P roz ent war Frauk e si ch i hrer
S ache s i che r.
1 . 3-ei n et w as äl terer Junge
(Mar kw ar t ? ): Das ist l ei der ei n
Nam e, den m an verschi ed en
s chrei ben
k ann.
(Markw a rd,
M arquart ,
Ma rq uard
...)
Nachdem
si e
no ch
ei nm al
i nt ens i v nachgeda c ht hat t e, fi el
i hr der Vo rnahm e noch ei n:
Ol af.
82
Hö rer
z urück
auf
di e
G abel
knal l t e.
22
D
i e ursprün gl i ch nur al s
Vorwand
ged acht e
Zusam m enkun ft m i t den
Ham bur ger
Kol l e ge n
h at t e
l än ger
gedau ert
al s
v orher ges ehen.
Dadur ch
errei cht en Tr aut enb er g und Zürn
das Haus von He r rn Hensch el
ers t knapp ei ne S t unde spät e r
al s verabr edet . Da s war et was
pei nl i ch, vers chaf ft e i hnen abe r
i m Nachhi nei n ei n re i neres
Gewi ssen.
An ges i cht s
der
Ergebni sse wü rde kei ner m ehr
ar gwöhnen, si e hä t t en di e R ei se
aus ei nem a nde ren Grund denn
aus Not wendi gkei t a nget r et en.
Henschel
b ewoh nt e
ei n
R ei henhaus i n ei ne r et wa z ehn
J ah re
al t en
S i ed l ung.
D em
ers t en
Ei ndruck
nach
ei ne
Ge gend
mit
gehobenem
S t andard, w enn au ch ni cht z u
ver gl ei chen m i t den S t adt t ei l en,
wo Ham bur gs Mi l l i onäre i hre
Vi l l en
erri cht et en.
Gut e
Verkeh rsl a ge, g epfl egt e S t raßen
und
P l ät z e.
Kei n
heru m l i egendes P a pi er, kei ne
Graf f i t i .
Di e
P ol i zi st en
vers ucht en abz usc hät z en, was
m an i nvest i eren m uss t e, um si ch
hi er ni ederz u l asse n, kannt en
s i ch dafür aber ni c ht gut genu g
aus . S i cher wa r d as Haus für
ei nen al l ei n st eh en den R ent ner
ei n weni g übe rdi m e nsi oni ert .
Traut enbe r g
bet ät i gt e
den
Kl i ngel knopf und st el l t e si ch
über di e W echsel sprechanl a ge
vor.
" Ic h bi n gl ei ch da ", schnar rt e
di e Ant wort .
Di e Tür gi n g auf und vor
i hnen st and ei n al t er He rr, de r
Traut enbe r g
kaum
bi s
z ur
S chul t er rei cht e. S chneew ei ßes
aber e rst aunl i ch üp pi ges H aar,
das er noch i m m er ei nem
Fri seur
anv ert ra ut e.
Ei n
schm al er S chnauz b art , d er i hm
ei n l ei cht s chal khaft es Ausseh en
gab. Ei n weni g b ehäbi g und
bequem gewo rden, aber no ch
rüst i g. Mi t sei nen 68 J ahren
verm ut l i ch e i ner d er m odernen
R ent ner, di e w ei t erh i n am Leben
t ei l nehm en wol l en.
"Kom m en S i e her ei n! Dort
l i nks i st das W oh nz im m er."
Auch hi er wa r kei ne Man gel
z u erkennen, al l erdi ngs auc h
kei n Lux us. Neue Möbel und
ei ne
daz u
passende
C ouchga rn i t ur - al l es gek auft
m i t dem Haupt augenm erk auf
Hal t barkei t und Nüt z l i chkei t .
Ferns eher, S t er eoan l age - kei ne
Nobel m a rken. (W as m an hal t s o
brauc ht
für
l an ge
W i nt erabende.)
"S chön haben S i e es hi er",
bem erkt e Tr aut enbe rg.
"Dank e! J a, wi rkl i c h: Ich dar f
m i ch ni cht bekl age n." Hensch el
l i eß
ei n
pa ar
S ekunden
verst re i ch en und fügt e dann
l ächel nd hi nz u. "Od er sa gen S i e
das ni cht al l ei n aus Höfl i c h kei t ?
S i e si nd P ol iz i st ."
" Ic h bi n hi er ... "
83
"... i nof fi z i el l . Ich wei ß. S i e
erwähnt en d as am T el efon. Abe r
i ch
beant wort e
Ihn en
di e
unau s ges proch ene
Fra ge
t rot z dem , denn das i st kei n
Gehei m ni s. W as S i e hi er sehen,
konnt e i ch m i r Dank ei ne r
Erbs chaft l ei s t en. Ic h h abe
bes chl os s en,
das
Gel d
aus z ugeben. Au f der Bank nut z t
es m i r i n m ei nem Al t er ni cht
m ehr vi el ."
Traut enbe r g
fühl t e
si ch
veranl as s t , den C ha rakt er sei n es
Bes uchs
ei nm a l
m ehr
kl arz us t e l l en.
"Es
geht
um
ei ne
Angel e ge n h ei t , di e al s Fal l
kom pl et t abg eschl o ssen i st und
für di e m i t an S i cherhei t
gr enz ender W ah rs chei nl i chkei t
auch ni e wi ed er e r m i t t el t wi rd.
Vers t ehen S i e das s o, al s ob i ch
m i ch aus re i ner N eugi er nach
ei nem
Bekan nt en
erkundi ge.
Ant wort en S i e ni ch t , wenn S i e
es ni cht für ri cht i g hal t en, aus
wel chen G ründen au ch i m m er."
"Dann könn en wi r u ns j a ganz
ent s pannt hi nset z en. Machen S i e
es s i ch bequem ! Au f der C ouch
oder i n den S essel n. Ganz , wi e
S i e wo l l en."
W ährend di e bei den P ol iz i st en
P l at z nahm en, öffn et e H e nschel
ei ne M i ni bar.
"Da S i e ganz und ga r pri vat
bei m i r z u Besuch si nd, haben
S i e ei gent l i ch kei nen Grund,
ei nen
gut en
al t e n
R ot wei n
abz u l ehnen. Oder? "
Traut enbe r g m usst e l ach en.
Hens chel hat t e R e c ht . Das war
kei n Verhö r. P unkt und Ende!
"Hät t en S i e au ch ei ne Fl asch e
Bi er? "
"Di e hol e i ch b esse r aus dem
Kühl schrank. Ic h dacht e, S i e
kom m en aus ei ner W ei nge gend. "
"J a,
an
der
O denwäl der
Ber gst r aße
wi rd
t at sächl i ch
W ei n angebaut , recht gut er
soga r, wi e i ch hör t e, aber i ch
bi n ei n B an ause i n di eser
Hi nsi cht ."
Henschel
ent kor kt e
mit
geü bt em Gri ff ei ne W ei nfl asche
und st el l t e z wei passende Gl äse r
berei t , ei ns für Zü rn und ei ns
für si ch sel bst . Traut enb er g
bekam sei n Bi er.
" Ic h bi n ni cht ei nsam . Ich
habe
F reund e,
di e
m i ch
besuchen. Ic h bi n Mi t gl i ed i n
drei Ver e i nen. Abe r al s R ent ner
hat m an sehr vi el Zei t . Ich bi n
i m m er
ei n
akt i ver
Mens ch
ge wesen. Ve rst eh e n S i e? Ich
t auge
ni cht
gut
für
das
Faul enz en. "
Ei ne W ei l e pl audert en si e
ganz
al l gem ei n
über
Leb ensei nst el l un gen
und
Al l t ägl i chkei t en.
Unverf än gl i che Th e m en m i t nur
schei nbar em Ti ef ga ng. Das w ar
gut für di e Vert ra uensbi l dung.
Traut enbe r g wol l t e den ganz en
Aufwand ab er ni c ht b et ri eben
haben fü r et w as, w as i hm auch
sei ne
ei genen
Angehöri gen
hät t en bi et en könne n.
"S i e sa gt en am Tel efon, dass
S i e Herrn Voss aus DDR -Zei t en
kennen. W ann si nd S i e nach
Ham bur g um ge z oge n? S chon vor
dem Maue rf al l ? "
"Oh nei n ! Ich w ar bi s z ul etz t
t reuer
Gefol gs m ann
des
dam al i gen R e gi m e s. Erst der
Aufst and des Vol kes hat m i ch
z um Nac hdenken g ebracht . Ich
kann ni cht von Ihne n verl an gen,
das z u verst eh en. T rot z dem wi l l
84
i ch es erkl är en. Ic h gehöre z u
ei ner Gene rat i on, di e den Kri e g
m i t al l sei nem S chrecken noc h
bewusst m i t erl ebt hat . B ei nahe
wäre i ch i m Vol ksst urm verhei z t
worden. Ic h w ar 1945 knapp
fünfz ehn J ahre al t ."
Traut enbe r g und Zü rn ni ckt en
vers t ändni svol l .
" Ic h habe dam al s auf ei nen
radi kal en Neuan fa ng geset z t .
Der S oz i al i sm us al s Hoffnung,
al s Vi si on. Ich war wi rkl i ch
überz eugt von di eser S a che.
In z wi schen wei ß i c h es b esser.
Vi el es würde i ch m i t m ei nem
heut i gen
W i sse n
anders
ent s chei den. " Er t rank ei nen
S chl uck
und
bli ckt e
ei ne
M i n ut en l ang na c h denkl i ch i n
s ei n Gl as. "Abe r i ch kann das
Ver gan gene ni cht m ehr ändern. "
Nach ei n er wei t e ren P ause fü gt e
er hi nz u, wi e nach ei nem
i nn eren
Kam pf.
" Ich
wa r
M i t arbei t er i m Mi n i st eri um für
S t aat ss i cherhei t .
Vi el l ei cht
veracht en S i e m i c h j et z t . Ic h
könnt e S i e ni cht da ran hi nde rn.
M ehr noch: Ich könnt e S i e
vers t ehen. "
Di e bei den P ol i z i sten sucht en
ei ne
W ei l e
nach
ei ner
angem e s sen en Ant w ort .
" Ic h wei ß ni cht , wi e i ch m i ch
in
Ih rer
La ge
ent schei den
h ät t e",
sa gt e
Traut enber g
s chl i e ßl i ch.
"Mi ch
är gert
m anchm al , wi e an m aßend vi el e
Leut e hi er i m W est en urt e i l en.
Bei uns gal t das G ru ndges et z al s
der
N eua n f an g.
Konrad
Adenaue r.
Da nn
das
W i rt schaft swunder.
Aber
l et z t l i ch hat t en die Me nsche n
bei uns gen au so weni g ei n e
W ahl wi e bei Ihn en . Ich m ei ne:
W as das Ges el l schaft ss yst em
bet ri fft . Bei uns waren di e
Am eri kane r,
bei
Ihn en
di e
R ussen."
"J a.
Vi el l ei cht
war
es
S chi c ksal ."
"Al l erdi n gs ... ei ni ge hab en j a
wohl auch sehr e goi st i sche
Int e ressen
v erfol gt .
Ode r? "
Traut enbe r g
vers ucht e,
das
Gesprä ch
z urück
auf
sei n
Anl i egen z u l enken.
"Absol ut ", best ät i gt e Hens chel
unum wunden. " Ide al i sm us i st an
si ch kei n V erbr ech en. Ab er es
wurden du rchaus Verbr ech en
began gen. "
"W ar Voss i n ei n Verbr echen
verwi ckel t ? "
"S o würde i ch es ni cht
form ul i eren. "
"W i e dann? "
Henschel da cht e na ch, wo g
sei ne W ort e sor gfäl t i g ab.
"Es war kei n Ve rb rechen i m
j uri st i schen S i nne. Ich m ei ne:
Im j uri st i schen Kont ex t der
DDR -Geset z gebun g. "
"Abe r i m m oral i sch en S i nne? "
"Vi el l ei cht . "
"Ei n m oral i sch es V erbre chen,
dessent we gen j em a nd aus R eue
S el bst m ord bege ht ? "
"Mö gl i cher W ei se. "
"Ode r erm o rdet wi r d? "
"Ni cht nach so l a nge r Zei t .
R ache wi rd verübt , sol ange di e
erl i t t ene
Verl et z ung
noch
schm erz t .
Das
schl echt e
Gewi s sen
hi n ge gen
k ann
al l m ähl i ch wachsen. "
"S i e wol l en uns n i cht m ehr
darüber s a gen? "
"W i r
reden
üb e r
ei nen
M en schen,
der
mit
sei nem
Leb en gebüßt hat . "
Darau f war nu r sch wer et w as
z u erwi dern. Traut e nber g suc ht e
nach ei ne r Mö gl i chkei t , das
85
Ges prä ch
übe r
Voss
fort z us e t z en, ohne i n ei nen
Verhörs t i l z u ve rfal l en. Er fand
kei ne und l i eß schl i eßl i ch z u,
das s wi eder b el an gl ose Them en
i n den M i t t e l punkt rückt en.
Ei ne S t unde spät e r auf d em
W eg z um Hot el fra gt e e r
rout i nem äßi g sei n en P art ner,
was der von H ensch el hal t e.
"Ei n anst ändi ge r Kerl au f
s ei ne Art . W i e er z u sei ner
Ver gan genhei t st eh t , aufri cht i g
und ohne z u beschöni gen. Hut
ab! Al l e S t asi l eut e si nd ni cht so
wi e er. "
"J a. Den Ei ndru ck hat t e i ch
auch. Dass e r z u Voss ni cht vi el
sagen wol l t e, i st aus sei ner
S i cht verst ändl i ch."
"Voss war i n der DDR ei ner
sei ner
Kol l e gen.
Das
kam
deu t l i ch genu g z um Ausdruck.
Nach der W ende hat er kal t e
Füße b ekom m en un d ei ne neu e
Gesi nnung
geheu che l t .
Ir gendw ann i st e r m i t di eser
S chi z ophreni e
ni cht
m ehr
z urech t gekom m en."
"Fol gl i ch ei n Me nsch, den
schl echt es
G ew i ssen
in
Verz wei fl un g g et ri e ben hat ? Na
j a. S o hat Frau B aum ann i hn
ei gent l i ch ni cht bes chri eben. "
Zürn at m et e anst el l e ei ner
Ant wort ei nm al heft i g ei n und
aus .
23
F
rauke w ar z war auc h bei m
z wei t en
Versuch,
si ch
Draupadi z u nähern, völ l i g
ges chei t ert , doch anders al s
nach der Fah rt z u den Zi t t l aue rs
vers ank si e di esm a l ni cht i n
Depres s i onen , sonde rn dacht e i n
fas t freudi ge r J et zt -erst -re cht S t i m m ung
über
verbl i eb ene
Op t i onen nach. F rau Dokt or
P ol z i n würde si e wohl ni cht
um s t i m m en
können,
Ol af
M arquart vi el l ei cht schon. S i e
wus s t e
i nz wi schen,
wo
er
woh nt e, und si e wu sst e, dass e r
em ot i onal re a gi ert e , sobal d si e
i hn an der ri cht i gen S t el l e
packt e. Al so s et z t e si e si ch
gl ei ch am näc h st en S am st ag i ns
Au t o und fuhr na ch Berl i n. E gal
wi e i hre Mi s si on aus gi n ge,
z um i ndes t
könnt e
si e
i hre
Angehöri gen
b esu chen.
Di es
würde es i hr al s Nebene ffekt
erl ei cht e rn,
si ch
mit
ei ner
Ausrede
vor
den
(am
kom m e nden
W ochenende
anst ehenden )
offi z i el l en
Ost erfei e rl i chkei t en z u drücken.
Nachdem si e den Berl i ner
R i ng err ei cht hat t e, begann si e
an i hrer S t rat e gi e z u fei l en,
wohl
wi ssend,
dass
si e
ver m u t l i ch ni cht funkt i oni eren
würde. ( "J a, m ach nur ei nen
P l an, sei ei n große s Li cht ... " )
Dem Kl i schee na ch gehö rt e
Marquart
al s
ehem al i ges
Hei m ki nd
ehe
zu
den
unt erpri vi l e gi ert en
Leut en.
S ei ne Adress e (di e Al t baut en
der Inn e nst adt ) sc hi en das z u
best ät i gen . Al so be schl oss si e,
i hren Audi i n e i nem P arkhaus z u
deponi eren und den l et z t en
Ki l om et er m i t dem ÖP NV z u
86
bewäl t i gen. (Hi nsi cht l i ch der
Kl ei dung b raucht e si e si ch
k ei ne S o r gen z u m achen.)
Sie
kannt e
di e
Ge gend
al l erdi ngs nur un ge fähr. Am
Ende m usst e si e s ich m i t dem
S t ad t pl an
dur chs
S t raßenl ab yri nt h käm pfen. In
i hrem (ni cht ganz akt uel l en)
W el t bi l d
waren
Mi t t e
und
P renz l auer
Be r g
z wei
S t adt bez i rke m i t S z enei m age
und
schl echt en
W ohnungen.
M an z og dort hi n, um si ch al s
Künst l er m i t Bl ick für di e
Ni ederun gen d es Dasei ns z u
profi l i eren,
oder
wei l
m an
ni cht s
a n deres
f and.
Doch
i nz w i schen hat t e s i ch Ei ni ges
bewe gt . Al t ei gent ü m er aus dem
W es t en waren ei n gefal l en. Di e
Häuser wu rden edel sani ert . Dort
dri n wohnt en (de n Gal eri e n
nach z u urt ei l en) i m m er noch
vi el e Künst l er, nur (angesi cht s
der z u er wart end en Mi et en)
z wei fel l os wel ch e von ande rem
S chl ag.
Lä n gst
gab en
S chi cki m i ki s und Touri s i m
Ki et z den Ton an. (Vi e l l ei cht
hät t e si e den Audi doch dabei
haben sol l en? )
Frei l i ch konnt e d abei ni cht
j eder
Ei gent üm er
m i t hal t en.
Neben den sani e rt en Häuser n
(und
den
im
Um bau
befi ndl i chen) gab e s auch noch
di e i m Al t z ust and verbl i ebene n
wel ch e
nun
noch
m ehr
herunt er gekom m en wi r kt en al s
ohnehi n. W ährend Fra uk e si ch
an den Hausnu m m ern ent l an g
h angel t e, rät sel t e si e bi s z ul et z t ,
wo si e wohl l anden würde. Am
Ende l i ef es hi naus auf ei nes
der m i esest en Gebä ude ri n g s um .
Der
l öch ri ge
P ut z
hat t e
vi el l ei cht noch di e Käm pfe des
z wei t en W el t kri egs geseh en.
Das
Tr eppen gel ä nder
w ar
ge fährl i ch
l ocke r.
Däm l i che
S prüche z i ert en di e W ände. (De r
Audi
st and
r i cht i g
im
P arkhaus!)
Frauk e kl i ngel t e, de n W ort l aut
der e rkl är enden B e grüßung s rede
schon hal b auf de r Zun ge. S i e
kam i ndes aus dem Konz ept , da
di e P e rson, di e d ann öffn et e,
ganz
b est i m m t
ni cht
Ol af
M aquart wa r. (Ei ge n t l i ch wuss t e
si e das j a: Es g i bt Menschen,
di e al s P aar z usam m enl eben.)
Frau M arqua rt sah m an schon
auf den e rst en Bl i ck z wei
wesent l i che Ei ge n s chaft en an:
i hre
Gut m üt i gk ei t
und
i hr
Mi sst ra u en
(das
aus
de n
schl echt en E rfah ru ngen w egen
i hrer Gut m ü t i gkei t resul t i ert e).
W enn fre m de Le ut e kl i ngel t en ,
endet e d as oft m i t ei nem
Vert ra g, d er si ch nur unt er
Verl ust wi ed er kü nd i gen l i eß.
Frauk e
brau cht e
gut
fünf
Mi nut en, um z u erkl ären, das s
si e absol ut ni cht s z u ve rkau fen
habe, sondern (u m ei n paar
Ecken h erum ) i h ren Mann kenn e
und z u di esem ei gent l i ch auch
wol l e. Dabei ha l f en i hr Det ai l s
über das Ki nde rhei m .
Im m e rhi n
war
si e
dann
gei s t es ge genw ärt i g ge nu g, i n
der unerw art et en S i t uat i on di e
C hance
zu
erk ennen:
Ihr
Verhäl t ni s z u Fra u Marquart
war no ch ni cht b el a st et . Da si ch
der Mann noch bei ei ne m
Bekannt en aufhi el t , er gab si ch
di e
Gel e genhei t
zu
ei nem
z wangl osen G esprä ch, das den
l et z t en
R est
Mi sst rauen
abz ubauen hal f. Ganz ohne
Fal l st ri cke w ar auch das frei l i ch
ni cht . W as sol l te si e z um
87
Bei s pi el ant wort e n auf di e
Fra ge, ob si e eben f al l s i m Hei m
auf gew achsen s ei ?
"Ni cht so di rekt ... "
"S i e br auchen si ch deswe gen
ni cht z u schäm en. Haben S i e
noch e i nen J ob? "
"J a, s chon ..."
"S ei en S i e froh! Ich w ar
frü her bei m Kon sum . Dann
kam en di e Ei nsparungen. W i e
überal l .
Dann
Arbei t s besch affun gs m a ßnahm en
. M al h i er, m al dort . Ich sol l t e
auch 'n e W ei t erbi l d ung m achen.
Aber, wi ssen S i e, i ch dacht e,
das s i ch das vi e ll ei cht ni cht
s chaff e. "
"Ve rs t ehe. "
"Ach, es wi rd schon i rgendwi e
geh en! Ich h abe nur Angst , d ass
der Hausbesi t z er wechsel t . Es
gi bt da s o G erücht e. "
"Tat s ä chl i ch? "
"W enn da ei ner k om m t m it
vi el Gel d, dann wi rd das al l es
hi er ern euert und di e al t en
M i et er fl i e gen r aus. Das i st ei n e
R i es ens chwei ne rei , dass di e das
dürfen. Ab er w as wi l l st du
m achen ge gen di e m i t i hren
Anwäl t en? Am Ende bi st du
i m m er der Ve rl i ere r ."
Al l m ähl i ch kam Fr auke si ch
vor wi e ei ne Bet r üge ri n - i m
doppel t en
S i nne.
W ar
i hr
S t udi um
wi rkli ch
ei n
aus rei ch endes A r gum ent e für
di es e
Unt e rschi ede?
Ih r
Gere cht i gk ei t ssi nn r ebel l i ert e.
Di e bei den pl aude rt en noch
fas t ei ne S t unde m i t ei nander über di e Arbei t sl osi gkei t i hre s
M annes , über sei ne n z u hohen
Bi erkons um , d a rüb er dass si e
s i ch ei n Ki nd wüns cht e, sobal d
s i e et was m ehr Gel d hät t en,
über
di e
neue
Zei t
ganz
al l gem ei n, über d i e Vort ei l e,
vor
a l l em
aber
über
di e
Nacht ei l e. D ann dre ht e si ch ei n
S chl üssel i m S chl oss an der
W ohnungs t ür. J em and rum ort e
auf dem Kor r i dor. W eni g spät er
bet rat
Ol af
Ma rquart
das
Zi m m er.
Er hat t e di e Fi gur ei nes
Bod ybui l ders, de r sei t ei ni ge r
Zei t
sei n
Trai ni ng
vernachl ässi gt . Fr a uke wusst e
i nz wi schen,
dass
er
al s
Baua rbei t er
gu t
z urec ht gekom m en
war.
Di e
Kol l egen hat t en i hn anerk annt ,
auch al s Ex hei m ki nd. Di e neuen
Unt e rnehm e r i ndes bevorz ugt en
Au s l änder, auch al s Il l e gal e. E r
war sei t he r nah ez u chroni sch
schl echt g el aunt . Be such m ocht e
er gener el l ni cht . Und al s er
erfuhr, um w en es si ch hand el t e,
wol l t e er den Ei ndri ngl i n g
um geh end r auswe rf en. Nur m i t
Mühe konnt e s ei ne F rau i hn
davon abbri n gen.
W as nun fol gt e, waren z ehn
Mi nut en
fast
unert rä gl i ch er
P ei nl i chkei t .
Frau
Marquart
versucht e
h art nä c ki g,
i hren
Mann
z ur
Offenhei t
zu
erm unt ern.
In
völ l i ger
Unkennt ni s der Hi nt e rgründe
gl aubt e si e, d ass n ur das Hei m
das P robl em sei . Frauk e hät t e
i hr am l i ebst en unt erm Ti sch
ge gen d as S chi enb ei n g et ret en.
Doch i r gend wann l öst e si ch de r
Kn ot en. Ol af Ma rq uart be gann
zu
reden
wi e
aufgez og en,
vi el l ei cht um dem Generv e ei n
Ende z u ber ei t en, vi el l ei cht
we gen des b ei ei nem Freun d
z u vor get runk enen Bi ers.
"J et z t hören Si e mi r m al gut
z u! W as geht Si e d as ei gent l i ch
an? S i e waren ni cht dort . Si e
88
haben
k ei ne
A hnung.
Sie
m ei nen,
es
i st
da
et was
p as s i ert ? J a? Aber i ch sa ge
Ihn en: Das w ar ni c ht s ! Das wa r
abs ol ut ni cht s. J eder, der dort
war, wi rd Ihnen da s best ät i gen .
Und außerd em hat si e m i ch fast
abg em urkst . W i ssen S i e das
ü b erhaupt ? Hat si e Ihnen d as
auch
e rz ähl t?
Di e
ganz e
Ges chi cht e m i t al l em dru m und
dran? W ahrschei nl i ch ni cht . Das
war wi rkl i ch k rass. S ogar n ach
den Maßst äb en von dort . S o ei n
En gel war das ni ch t . Ir gendwi e
frem d
bi s
z ul et z t .
Aber
bes t i m m t
kei n
Engel .
Und
t rot z dem haben wi r uns spät er
hal b we gs
aus ges öhnt .
Man
m us st e
dort
i rgendwi e
m i t ei nander
au s kom m en.
Vers t ehen S i e da s? S i e war
abs ol ut krass i n i hrer Art .
Gl au ben S i e m i r! Am S chl uss
haben wi r si e dafür so ga r
bewundert . "
Frauk e
konnt e
sei ner
verwo r renen
R e de
weni g
ent nehm en, w a gt e abe r ni cht ,
daz wi sche nz ufra gen , wei l si e
fürcht et e , dass b ei i hm di e
R ol l l äden
wi eder
herunt er gi n gen. Da nn brach e r
pl öt z l i ch ab und si e musst e
et was
er wi dern.
S pont an
ent s chei d si e si ch für den S at z :
"S i e wa ren d am al s ei n Ki nd und
t ragen schon aus di esem Grund
kei ne Ve rant wort un g. " - und l a g
dam i t genau ri cht i g. Kaum sah
er
si ch
ni cht
m ehr
al s
Bes chu l di gt er
a uf
ei ne r
Ankl agebank,
wurde
er
z ugän gl i cher.
" Ic h gl aub e, dass di e Draupadi
fert i g m ach en wol l t en."
"W en m ei nen S i e m i t di e? "
"Da kam ab und z u so ei n
kom i scher
Vo ge l
vorbei .
Hei m l i ch m ei st ens , abe r w i r
haben 's m i t gekri e gt . Lam pre cht
saß dann ei ne S t unde oder
l änger m i t i hm z usa m m en. Und
anschl i eßend passi ert en i m m er
so S achen. Ei nm al hat er i hr di e
Therapi e gest ri ch en. Ei nfach so.
Dabei wa r di e wi rk l i ch gut . S i e
i st
d adurch
drüber
we ggekom m en übe r das m i t
i hren E l t ern. "
"S i e hat t e, gl aub e i ch, m i t
ei nem der Erz i ehe r besonders
groß e
S chwi eri gkei t en
...
Is ensee, od er so ähn l i ch ..."
"J a, Isens ee. De r Al t e Fri t z .
W i e si e si ch ge gen den geweh rt
hat ! Das war kr ass. Der Is ensee
war näm l i ch ei n N az i ."
"Ei n Na z i ? "
"Ni cht , was S i e j et z t denken.
Ni cht m i t Hi t l er und so. Aber s o
wi e den st el l e i ch m i r Naz i s
vor. Draupadi hat i hre bl auen
Fl eck en i r gen dw ann der Ärz t i n
gez ei gt . Dan ach m u sst e er si e i n
R uhe l assen. D a gab's näm l i ch
draußen ei n p aar Freund e von
i hr. Di e wol l t en i h n a n z ei gen. "
Er gi n g i n di e Küch e, ho l t e si ch
ei n Bi e r und öffn e t e es. Nach
ei nem t i efen S chl uc k gl ei ch aus
der Fl as che r edet e er wei t er .
"De r Isens ee wa r i m Grunde
auch S chul d an di eser ei nen
Geschi cht e. Er h at uns j a
auf gehet z t .
Dass
si e
ei n
S chm ut z fi nk i st . Dass si e m al
ei ne Lehr e br auc ht und s o.
S chon kl ar: Ic h hät t e das
t rot z dem ni cht m ac hen dür fen.
Aber das war doc h ni cht nur
mei n Di ng. Di e Erwachs enen
hat t en di e Kont rol l e ."
89
"Hat m an Dr aupad i so übel
m i t ges pi el t , wei l si e anders
war? W as gl auben S i e? "
"S i e
m ei nen
w egen
der
Haup t farb e? Nei n, das war kei n
Them a, s o wei t i ch wei ß. D as
gi n g um et was a nderes. Di e
haben am Anf an g i hren S chrank
durchs ucht und si e ei n paar Mal
ri ch t i g verhö rt . Vi e l l ei cht hat t e
das m i t i hrem Vat er z u t un. De r
war
doc h
bei
der
S t asi
i rgend e t was B eson deres. Aber
ei gent l i ch kann i c h m i r ni cht
vors t e l l en,
dass
si e
was
W i cht i gem gewusst hat . S i e war
doch ers t z ehn."
"S el t s am ."
"W i r haben dam al s Ei ni ges
ni cht verst anden. Zum Bei spi el :
Ers t
wurde
si e
für
j ed e
Kl ei ni gkei t bes t ra ft , aber al s si e
m i t di es em P u nkerz eug anfi n g,
hat t e
si e
pl öt z l i ch
Narr enfr ei hei t . Von ei nem Ta g
z um anderen durft e si e si ch
al l es M ö gl i che h e rausnehm en,
ohne dass et was passi ert i st .
S pät er dann hab en si e i hr das
al l es an geh än gt al s B ewei s
dafür, d ass si e v err ückt i st . Das
war t ot al fi es. V e rst ehen S i e?
Ers t i s t et was erl aubt und dann
s perren s i e di ch ge nau dafür i n
di e Kl aps m ü h l e."
Al s Frauke si ch von den
M arquart s ver absch i edet e, hat t e
si e al s G ewi nn au f j eden Fal l
z wei
korrekt
ges chri eb ene
Nam en sowi e z we i Adressen,
di e z um i ndest vor fünf J ahren
noch st i m m t en. S i e konnt e si ch
nun m i t gut er E rf ol gsaussi cht
auf di e S uche nac h Al ex ander
Lam p recht und F ri t z Is ense e
begeben. W as si e von den
übri gen Aussa gen ha l t en sol l t e,
wusst e si e ni cht ga nz so genau.
Di e Vorst el l ung, dass ei ne
re ge l r echt e V ersch w örung ge gen
ei n Ki nd st at t gef unden habe,
erschi en i h r abw e gi g. D as sah
sehr dan ach aus, al s ob Ol a f
Marquart auf di ese Geschi cht e
verfal l en
sei ,
um
besser
daz u s t ehen - vor sei ner Fr au
und vor si ch sel bst. Al l erdi ngs
t raut e si e i hm and er ersei t s ni cht
beso nders vi el P h ant asi e z u.
S om i t bl i eben t rot z dem ei ne
Menge sel t sam e r Ei nz el hei t en
al s R ä t sel best ehen. Vor al l em
der komi sch e Vogel berei t et e i hr
Kopfz erbr e chen. Ol af Ma rquart
wusst e weder sei nen Nam en,
noch konnt e er i h n hal bwe gs
t reffend besch rei be n. Aber e r
vers i chert e m ehrf a ch, dass er
ex i st i ere.
90
24
N
achdem Fr auke i hr Aut o
aus dem P arkhaus gehol t
hat t e, fuhr si e sofort
nach Ma rz ahn hi n über, um de n
verei nba rt en B esu c h bei i hr em
Brude r und s e i ner Fam i l i e z u
abs ol vi eren. Auf d as von der
Uhrz ei t
her
überfäl l i ge
M i t t agessen verz i ch t et e si e. S i e
wus s t e,
dass
si e
ei nen
wei t gehend l ee ren Magen bal d
gut wü rd e gebr auch en können.
W enn
si e
in
Darm st adt
erwähnt e, d ass si e Verw andt e i n
M arz ahn h abe, asso z i i ert en i hre
Kol l egen
mit
P awl owschem
R efl ex sofort R au büberfäl l e und
Ver ge wal t i gun gen i m düst eren
S chat t en
der
P l at t enbaut en.
Di s kussi on
z weckl os.
(" In
Frank furt i st es j a schon
z i em l i ch schl i m m . Aber do rt ... "
Auf geri ssen e
A ugen
al s
P l at z hal t er
für
das
Unausspre chl i che. ) Frauke wa r
ent s chi eden der M ei nung, dass
di e Leben s qual i t ät i n j enem
Bez i rk besser wa r al s der R uf um s o m ehr na ch d e n Ei ndrücken
bei den Marqua rt s. Nat ürl i ch
hat t en Lut z und Ludm i l l a bei
der W o hnun gswahl auch auf d en
M i et prei s ges chaut . Ei ne große
Drei z i m m erwohnung m i t B al kon
konnt e anderswo schon ei ne
Heraus forde run g
ans
Bud get
s ei n. Di e bei d en w ol l t en l i eber
ei n paar Mark fü r U rl aubsrei sen
übri g
behal t en.
Außerd em
füh l t en si e si ch i m Haus unt e r
Ih res gl ei ch en:
Leut e
mit
j ugendl i ch em Na c hwuchs und
ei ner Ve r ga n genh ei t , st ure P DS W ähl er.
Erwart un gs gem äß
l i eß
Ludm i l l a es si ch ni cht nehm en,
dem rel at i v sel t enen Gast z u
Ehre auf russi sc he Art z u
kochen. Di e J ahre hat t en di e
S pannu ngen
al l m ähl i ch
besei t i gt . Fr auke bi l l i gt e i hrem
Brude r m i t t l e rwei l e auch vom
Gefühl her ei n ei genst ändi ges
Leb en z u. De m z ufol ge wa r sei ne
Frau für si e kei n S t örenfri ed
und kei n Di eb m ehr. W as
wi ederum ab er ni ch t bedeut et e,
dass si e und Lud m i l l a i m m er
di esel be Mei nun g ha t t en. Es ga b
soga r ei ne M en ge Them en, di e
si e l i eber ni cht a nsc hn i t t .
W ährend sei ne Fr au i n der
Küche wi rt scha ft et e, beri cht et e
Lut z
di e
i hn
bet reff enden
Neui gk ei t en. E r arb ei t et e i m m er
noch i n sei nem er s t en Bet ri eb,
nur dass der i nz wischen ei nen
anderen N am en h at t e - al s
Abl eger
ei nes
a usl ändi schen
Konz erns. E i ne si che re S t el l e
bi s z ur R ent e war das l ängs t
ni cht m ehr. Di e G erücht ekü che
bro del t e.
Verk auf?
W erksschl i eßung?
S t el l enabbau? Ir gen d wann hat t e
er beschl o s sen, si c h ni cht m ehr
darüber aufz ur e gen . Er m usst e
es auf si ch z ukom men l assen, da
er es sowi eso n i cht ändern
konnt e. Abe r m an c hm al wurde
er t rot z dem nachd en k l i ch. Er
war 47: s chon z i e m l i ch al t für
den A rbei t sm arkt , aber noch
z i em l i ch vi el Zei t bi s z ur R ent e.
91
Zwi s ch endur ch ri ef Frauk e bei
i hren El t ern an, um i hnen
m i t z ut eil en,
dass
si e
z um
Aben d brot ganz si cher n och
ni cht bei i hnen sei n würde .
Gerad e erst k am de r erst e Gan g
des E s s ens auf d en Ti sch. Und
nach
Lu d m i l l as
Kul t urverst ändni s
war
ei ne
M ahl z ei t
mit
Gäst en
ei n
kom m uni kat i ves Erei gni s und
ni cht
et wa
nur
ei n
Akt
bi ol ogi s ch
e rforde rl i cher
Nahrun gs au fnahm e.
Sie
war
übri gens
mit
der
z wei t en
Ent l as s ungswel l e au s der Fi rm a
ges pül t word en. Tro t z dem st and
s i e ni cht ganz ohne Ei nkom m en
da. S i e ve rdi ent e Gel d m i t der
Übers et z ung t e chni scher Tex t e
aus
dem
R u s si schen
i ns
Deut s che und um g e kehrt . Dab ei
kam i hr di e Ko nt a kt freudi gkei t
z ugut e: Durch si e war si e fest
ei ngebunden i n ei n Net z werk
von Lan dsl eut en.
"Abe r z u Ost ern bi st du doch
auch da? "
"Nei n, d as geht l ei der ni cht .
Des hal b bi n i ch j a an di es em
W ochenende schon gekom m en. "
"Das ve rst ehe i c h ni cht ."
Ludm i l l a wi rkt e ge kränkt . "W o
gi bt es denn so et wa s? "
Frauk e m usst e sc hon noch
et was m ehr anbi et en .
"W enn
ei ne
Dat enbankm i gr at i on l äuft , kann
di e Anwendun g ni cht benut z t
werden. D as i st an ei nem
norm al en Arb ei t st ag u n günst i g.
Di e Kunden seh en das näm l i ch
ni cht ei n, wenn d i e Fi l i al en
dann ni cht geöf f net h aben.
Uns er P robl em i st, dass di e
M i grat i on
i ns ges am t
über
s i eb z i g S t unde Ze i t benöt i gt .
W i r brauchen ei n verl ängert es
W o chenende für di ese Akt i on,
z um Bei spi el Ost ern ."
Ludm i l l a wa r i m m er noch
en t t äuscht , ab er ni cht m ehr
verär gert .
Di e
best en
Lü gen geschi c ht en si nd i m m er
noch di e, bei dene n fast al l es
st i m m t . Im J ahr z uvor hat t e
t at sächl i ch über O s t ern ei ne
Dat enban km i grat i on
st at t gefund en, aus gen au den
gen annt en Gründ en . Al l erdi ngs
konnt e Fr auke si ch ni cht l ange
i hres Erfo l gs freu en , denn schon
kam das n ächst e u nangene hm e
Them a z ur S pra c he: Ob si e
i m m er noch sol o sei , was si e
ge gen
di esen
Zust and
unt ernehm e und w a rum si e si ch
so passi v verhal t e. Ludm i l l a
m ei nt e es durch aus gut m i t i hr,
denn aus i hrer S i cht war das
Fehl en ei ner ei ge nen F am i l i e
ei n
höchst
u nnat ürl i cher
Zust and, wenn ni c ht gar ei ne
S chande (wob ei si e das so
ni em al s
form ul i ert e).
Zum
Gl ück endet e der S p i eßrut enl auf
di esm al schon bal d, wei l das
dri t t e
Fam i l i enm i t gl i ed
ei nt r udel t e und si ch nach ku rz er
Be grüßun g un gez wungen m i t an
den Ti sch set z t e.
Töcht erch en
Ni na
war
i nz w i schen neunz ehn J ahre al t
und
st udi ert e
S prachwi ssensch aft
an
der
Hum bol dt -Uni versi t ät . S i e l ebt e
noch
bei
den
El t ern
und
verst and si ch m i t i hnen so gut ,
wi e
das
in
i h rem
Al t er
gem ei nhi n m ögl i ch i st . Aber si e
l öst e si ch al l m ähl i ch von i hnen.
Zum Är ge r i hrer Mut t er hat t e
si e neuerdi n gs Geh e i m ni sse. Ei n
verst ohl ener Bl i ck i n i hren
Term i nkal ende r war vor ei n
paar W ochen i n ei n Dram a
92
aus geufe rt - m i t fünf Ta gen
k o m p l et t er
Funkst i l l e,
ei ner
s pan nungs gel aden en Aussprache
unt er Moderat i on des Vat ers
s owi e
dem
hei l i gen
Vers pr echen, di e In t i m sphäre i n
Zukunft z u re s p ekt i eren.
Der
neu e
Ti schgenosse
ändert e di e La ge i nsofern, al s
das s j et z t Ludm i l l a di ej eni ge
war,
di e
gern
den
Ges prä chs ge gen s t an d
ge wechs el t hä t t e. Doch d az u
war es z u spät , denn di e pfi ffi ge
Ni na hat t e di e l e t z t en S ät z e
ge rade noch m i t be kom m en und
s i ch den R est z usam m eng erei m t .
Nun l i eß si e si ch ni cht m ehr
daran hi ndern, d er rei f ere n
Gener at i on
di e
P ri nz i pi en
m oderner
P art ner schaft
zu
erl äut ern.
"Groß e
Hochz ei t en,
di e
Un s um m en Gel d kost en, m i t
l an gem , wei ß em Kl ei d und so,
das s i st doch t ot al spi eßi g. W er
m acht denn das heut e hi er bei
uns noch? Ei gent l i ch i st das
ganz e al t e Fam i l i e nm odel l out .
Das s
Ki nder
i hre
El t ern
brau chen, das seh e i ch j a noch
ei n. Aber was i st , wenn ei n P aar
ga r kei ne Ki nder h a t oder wenn
di e Ki nder aus d em Haus si nd?
Das m üsst e bei der Ehe so
ähnl i ch sei n wi e bei ei nem
Arbei t sve rt r a g. ..."
"Ni na, m öcht est du noch
et was von dem Fl ei sch? "
"W as? ... Nei n, nei n, i ch habe
genu g.
. ..
Wie
ei n
Arbei t sve rt r a g. Du verpfl i cht est
di ch für fünfz ehn J ahre (oder
für fünf ) und bi st dann wi ede r
frei , ohne S chei dun g und di eses
ganz e Th eat e r. W e nn i ch heut e
m i t e i nem T ypen z u sam m en bi n,
dann wei ß i ch doch noch ni cht ,
wi e i ch den i n z ehn J ahren
fi nde. Ich ent wi ck l e m i ch. Er
ent w i ckel t si ch. U nd pl öt z l i ch
passt es ni cht m eh r. Auch das
S ex ue l l e
spi el t
dabei
ei ne
R ol l e."
Ludm i l l a sa gt e e t was auf
R us si sch. Ni na ant wort et e auf
Deut sch:
"He ! W as hast du? W i r al l e
si nd doch erwa chsen e Leut e. "
Ehe si ch Fr auke aus der
Gas t freunds chaft
i hrer
S chwä geri n l ösen k onnt e, ohne
si e z u bel e i di gen , war der
Abend
schon
r echt
wei t
fort g eschri t t en.
Als
si e
in
Bei e rsdorf ankam , wo i h r e
El t ern noch i m m er i n derse l ben
W ohnung l ebt en, war es für
l ängere G esprä che schon z u
s pät . Im m erhi n bl i e b i hnen noch
das Frühst ück am fol gend en
Tag. Doch sel bst , wenn si e bi s
Mi t t ag si t z en gebl i eben wär en
(anst at t nur für et was m ehr al s
ei ne S t unde), hät t e Fra uke de n
wahren Grund i hr er ungepl a n t en
R ei se
nach
Be rl i n
ni cht
verr at en. Für i hre Angehöri gen
waren Ax el Voss und Draupadi
S chm i t t ni cht s wei t er al s S p ure n
ei ner
fern en
V e rgan genhei t .
Und das sol l t e auch so bl e i ben,
bi s si e i hnen ei n hal bwe gs
erfr eul i ches
E r ge bni s
würde
präsent i er en kö nnen .
25
93
F
rauke ver abschi ed e t e si ch
von
i hren
El t e r n
mit
s chl echt em G ewi ss en. S i e
hat t e m i t i hnen über vi el es
ges p rochen - üb er di e A rbei t ,
den Al l t ag, di e un t erhal t sam en
Epi s oden am R and - über al l es,
wo rüber si e grun d sät z l i ch z u
reden be rei t war. Doch si e
wus s t e gen au, da ss es de n
b ei den ni cht
vor ran g i g um
In fo rm at i on gi n g. S i e wol l t en
i hre Tocht e r wi ede r ei nm al i n
i hrer Nähe hab en, so wi e früher.
Und ni cht nur ger ade für di e
Zei t , di e ei n F rüh s t ück dauert .
Di e
ei nf ach e
m e n schl i che
Bez i ehun g, di e i n der Hekt i k
der m o dern en W el t ei nen vi el z u
ge ri ngen
S t el l enwert
hat .
Frauk e wusst e es und schl i ch
s i ch am End e do c h m i t ei ner
Lü ge
d avon.
Ihre
i nne re
S pannung war z u groß. S i e
wol l t e ni cht abre i sen aus Berl i n,
ohne den bei d en n euen S puren
nach ge gan gen z u sei n.
Fri t z
Isens ee
w ohnt e
in
W i l hel m s ruh. Dort m usst e si e
i hr Aut o ni cht vers t ecken. D as
Haus ähn el t e j en e m , wori n si e
woh nt e: vi er S t ockwerke, dr ei
Auf gän ge, w ahrsc hei n l i ch i n
den drei ßi ger J ahren erb aut ,
aber i n der Zwi s ch enz ei t gut i n
S chus s gehal t en. Durch den
Erfol g am Vo rt a g z uversi cht l i ch
ges t i m m t , be t ät i gt e si e den
ent s prech enden
Knopf
de r
W echs el s prech anl a ge.
Ol af Marqu art s B ehaupt un g,
Is ens ee s ei ei n Na z i , hat t e si e
für m a ß l os üb ert ri eb en geh al t en:
Di e ve rz errt e S i cht ei nes Ki ndes
auf ei nen et was st ren ger en
Erz i eher. Al s si e ihm aber an
der
W ohnungs t ür
erst m al s
ge gen ü berst and, ah nt e si e, w as
er
m ei nt e.
Ha ge re
Gest al t ,
knoch i ges Gesi cht . Der Mund
ei n schm al er S t ri ch . S t echende
Au gen. Vor de m konnt e m an
wi r kl i ch
An gst
bekom m en.
Ni cht nur al s K i nd. S ei nen
S t ock hi el t er eher wi e ei ne
W affe al s wi e e i ne Gehhi l f e.
Di e S t i m m e war et was brü chi g
ge worden,
abe r
di e
W ort e
kam en noch i m m er wi e Ha m m e r
auf S t ahl .
"S i e
si nd
ni cht
der
P ake t di enst? "
"Nei n.
Ent schul di gen
Sie
bi t t e, i ch wol l t e m i t Ihn en ... "
"Ve rschwi nden S i e sof ort ! Ich
em pfan ge k ei ne Ve r t ret er. "
" Ic h bi n kei ne V ert ret e ri n."
(S el t sam , dass j eder, den si e
ansprach,
von
i hr
ei n
Versi ch e run gsan geb ot
erwa rt et e.)
"S i e
si nd
doch
Erz i eher gew esen: i n Köni gs
W ust erhausen, i m Ki nderhei m ? "
"S i e si nd R eport eri n ? "
Frauk e ent schl oss si ch, i hn
m i t ei ner Fl ut von Ins i derwi ssen
zu
konfront i eren,
dam i t
er
en d l i ch
aufhör t e,
i hr
ges chäft l i ch e
I nt eressen
zu
unt erst el l en.
" Ic h war ge rade bei Herrn
Ol af Marqua rt , ei nem früher en
Hei m ki nd. S i e er i nnern si ch
vi el l ei cht . Er e rz ähl t e m i r von
ei nem
Vorf al l
mit
ei nem
and eren
Hei m ki nd,
ei nem
Mädchen
mit
d em
Nam en
Draupadi S chm i t t ..."
Sie
beobacht et e
i hn
aufm er ksam und s ah schnel l ,
dass i hre Takt i k ni cht auf gi ng.
Er re gt e si ch so se hr auf, dass
i hm fast di e Augen aus dem
Kopf quo l l en. J et zt schwankt e
si e, ob si e i hn eher fürcht en
oder eh er b em i t l e i den sol l t e.
94
Das Gesp räch i nd e s eskal i ert e.
Er beschi m pft e si e i n gerad ez u
unfl ät i ge r W e i se, schri e dab ei
s o l aut , dass es schri l l durchs
ganz e
Tr eppe nh au s
schal l t e,
droht e schl i e ß l i ch , i hr den
S t ock
auf
den
Kopf
zu
s chm et t ern. Let z t eres wol l t e si e
l i eber ni cht erl ebe n. S i e brac h
ab, dreht e si ch um und fl ücht et e
di e Trepp e na ch u nt en. Hi nt er
s i ch hört e si e i hn noch ei ne
W ei l e wei t er t oben.
" Best el l en
Sie
dem
W i nkel a dvokat en, der S i e al s
S pi on z u m i r ge schi ckt hat ,
ei nen sch önen G r uß! S ol l er
s i ch nur se l ber h er bem ühen,
der f ei ne H err ! D er wi rd was
erl eben ! S ol l er nur kom m en!"
Al s si e i m Aut o saß, m usst e
s i e erst ei nm al t i ef durchat m en.
Das wa r gründl i ch dane ben
ge gan gen! Al l e rdi ngs fr a gt e si e
s i ch i m Nachhi nei n auch, ob si e
ni cht
doch
ei n
paa r
S chl ussfo l gerun gen
z i ehen
konnt e. W ar Isens ee ei nfach nur
paranoi d ode r hat t e er ei ne n
pl ausi bl en Grund, si ch vor
R eport ern,
S pi onen
und
W i nkel advokat en z u fürc ht en?
Di e ande re Ad resse führt e si e
wi eder i n das groß e, über dr ei
S t adt bez i rke re i ch ende D DR Neubaua real und z war z u ei n em
der weni ger schö nen Häuse r
dort :
Ei n
acht ges chossi ger
P l at t enbau, noch n i cht s ani ert .
Auf dem Kl i n gel schi l d war
j eder
z wei t e
N am e
ni cht
ange geb en
oder
beschädi gt .
Ent weder wohnt e d ort ni em and
m ehr oder V andal e n hat t en i hr
Un wesen get ri eben. Den Nam en
Lam p recht
sucht e
Frauk e
ver gebens.
Da auch das S c hl oss der
Hau s t ür kaput t w ar , st ört e si e
das z unächst ni cht . S i e gel an gt e
auch ohne z u kl i ngel n bi s i ns
Treppenh aus. D ass si ch i n i hren
Opt i m i sm us z unehmend Zw ei fel
ei nschl i chen, l a g e her an ei ner
Ei nsi cht : W enn es für di e
Erz i eher t at sächl i c h et was z u
verbe r gen gab, wü r den si e wohl
al l e ni cht m i t i hr reden wol l en.
Des sen u n geacht et be gann si e,
ei ne W ohnungst ür nach de r
anderen z u i nspi z i eren, vom
Erdgeschoss
angef an gen
s yst em at i sch a u fwä rt s. In de r
fün ft en Et a ge t ra f si e ei n e
Mut t er
mit
z wei
kl ei nen
Ki n dern.
"Ent schul di gen
Sie
bi t t e!
W i s sen
S i e,
ob
ei n
He rr
Lam p recht i m Haus wohnt? "
"Das i st doch so ei n ganz al t e r
Mann. Ni cht wahr? "
"J a. Genau. "
"Nei n, der wohnt hi er ni cht
m ehr. De r i st vor z wei J ahren
i ns
S eni orenhei m
ge gan gen.
W er wei ß, ob er no ch l ebt . De r
war j a schon z i e m l i ch schw ach
auf den Bei nen. "
Das
kl ang
weni g
verhei ßun gs vol l .
Andere rsei t s
bl i eb di e S pur noch hei ß.
Frauk e l i eß si ch de n W eg z um
S eni orenhei m
b eschrei b en,
bedan kt e si ch und f uhr l os.
Zu i hrer Übe rras ch ung erwi es
si ch das Hei m al s schm uckes
Gebäude - ent w ed er nach der
W ende erst en t st an den ode r vor
kurz em gründl i ch sani ert . Im
Erdgeschoss b efand en si ch di e
Büros d er Ver wal t u ng so wi e ei n
S aal
für
größ ere
Veranst al t un gen.
Di e
drei
Ober ges chosse beh erber gt en j e
ei ne i n si ch a b ges chl ossene
95
S t at i on. Frauke b egann i hre
S uche i n der S t at i on Num m er
Ei ns und fol gt e ( noch ar gl os)
dem
P fei l
z um
S chwes t ernz i m m er, wo si e nach
Herrn
Lam pr ech t
fragt e.
M ögl i che rwei se
begi n g
si e
d abei berei t s ei nen Fehl er ,
vi el l ei cht hat t e si e au ch von
vornherei n schl e c ht e Kart en.
Di e S chwest e r j ede n fal l s erwi es
s i ch al s der Di e nst habende
C herubi m .
"S i e wol l en z u w em ? " Gerade
noch freundl i ch, aber scho n
l at ent a n gri ffsl ust i g.
" Zu
Her rn
Lam precht ",
wi ederhol t e
Frauk e,
bei nah e
dem üt i g.
" Zu
He rrn
Lam precht ? "
Äu ßers t es Mi sst raue n. "S i nd S i e
m i t i hm verwandt? "
"Nei n. Ni cht di rekt . Ei ne gut e
Bekannt e von m i r war i n j enem
Ki nderhei m , i n we l chem He rr
Lam p recht f rüher al s Lei t e r
ge arbei t et h at ." V i el z u l ang
und z u kom pl iz iert . Frauk e
s pürt e es, ab er so auf di e
S chnel l e
hat t e
si e
kei nen
bes s eren S pru ch par at .
"W i r dul den hi er ni cht , dass
uns ere
S eni or en
bel äst i gt
werden. "
"S chwest er Hann el ore! " (D er
Nam e s t and auf ei n em S chi l d an
i hrem Ki t t el .) " Ich wi l l Herr n
Lam p recht
wi rkl i ch
ni cht
bel äs t i gen. Vi e l l ei c ht freut e r
s i ch s o gar. " (Vi el l ei cht . Obwohl
es ni cht sehr wa h rschei nl i ch
war.)
"W i r werden j a se hen. W enn
i ch m erke, dass Her r Lam pr echt
s i ch aufr e gt , wer fe i ch S i e raus.
Haben S i e ve rst ande n? "
Frauk e ni ckt e. D as wäre so gar
ohne
Di pl om
zu
verst eh en
ge wesen. S i e fra gt e si ch, ob di e
resol ut e S chwest e r m i t den
Bewohn ern
ähnl i c h
herz l i ch
um s prang.
Lei d er wa r auch da s Gespräch
m i t Lam pre cht sel bst ei ne P l ei t e
auf ganz er Li ni e. D er ehem al i ge
Hei m l ei t er verst and di e Fra gen
frühest ens na ch der dri t t en
W i ederhol ung und ant wort et e
sel bst
dann
noch
m ei st ens
et was, das absol ut ni cht passt e.
Wie
er
so
dasaß
mit
ausgebeu l t em
Tr ai ni ngsanz u g
und
P ant o ffel n,
wi rkt e
er
st ei nal t und s eni l . Nach F rauk es
Ber ec hnun g w ar e r aber nu r
et wa z ehn J ahre äl t er al s
Is ensee,
al so
k napp
übe r
acht z i g.
"Können S i e si ch a n Draupadi
S chm i t t eri nnern? "
"W i e bi t t e? "
"Dr aupadi S chm i t t !"
"W as für ei ne S chni t t e? "
Es
war
z um
wahnsi nni g
werden. Lam p recht wi rkt e ni cht
nur seni l , sondern auch ne rvös
und ge r ei z t . S t and er unt er dem
Ei n fl uss ei nes Med i kam ent s?
Li t t er unt e r Al z hei m er?
Ir gendw ann kam , was kom m en
m usst e. Frauke w urde et was
un gedul di ge r,
et was
nachdrückl i ch er.
Lam pr echt
rast et e end gü l t i g aus. S chri e
wi rres Zeu g, d ass e s bi s hi naus
auf d en G an g s ch al l t e. Kei n e
fünf S ekunden spät er k am von
dort her S chwe s t e r Hannel or e
herei n gest ürm t .
"Hab e i ch es Ih nen ni cht
deu t l i ch genu g gesa gt ? Herr
Lam p recht
dar f
si ch
ni cht
aufre gen. "
" Ic h wol l t e doch nur ..."
"S i e verl ass en au genbl i ckl i ch
das Hei m . Ande rnfa l l s l asse i ch
96
S i e m i t der P ol iz ei ent fernen.
Es wäre ni cht d as er st e Mal ."
Das
gl aubt e
F r auke
i hr
u n besehen. Und da es auch bei
i hr ni cht das er s t e Mal wär e,
das s
si e
es
mit
den
Ordnun gshüt ern z u t un bekam ,
hi el t si e si ch l i eber an di e
An wei sun g.
Auf
der
st un denl an gen
Hei m fahrt
in
R i cht ung
Frank furt ,
im
st ockenden
Verkeh r
des
S on n t agna chm i t t ags , hat t e si e
Gel e genh ei t , di e B e ge gnu n gen
des W ochenendes i m Kopf z u
s ort i eren und z u bewert en. Ei n
ges p rächi ger Ol af Marquart , der
vi el l ei cht
ni cht
ganz
di e
W ah rhei t sa gt e; ei n chol eri sche r
Fri t z Is ense e, de r vi el l ei cht ei ne
Lei che i m Kel l er hat t e; ei n
s eni l er Al ex ander Lam pre cht ,
den ei n R ache en ge l bewa cht e.
Al l z u vi el bl i eb an E r gebni s
unt erm S t ri ch ni cht übri g.
Al s
si e
di e
Haust ür
au fschl oss, hat t e Frauk e si ch
en t schi e den, i hren Erfol g m i t
z wanz i g P roz ent zu bez i ffern.
Al s si e den B ri efk a st en öf fnet e,
hät t e si e si ch al l erdi ngs am
l i ebst en noch ei nm a l ko rri gi ert .
Di e Mi t t ei l ung, d i e si e do rt
fand, hat t e z war m i t i hrer
Berl i n -Mi ssi on ni c ht s z u t un,
war ab er al l em al geei gn et , i hr
di e Laune noch wei t er z u
verderb en.
Hau pt ko m m i ss ar
Traut enbe r g
bat
si e
i ns
P räsi di um . Nach Mögl i chkei t
sol l e si e gl ei ch am Mont ag nac h
der A rbei t ko m m en. Erst al s si e
den Tex t i m Korri dor i hre r
W ohnung noch ei n m al durc hl as ,
fi el i hr auf, d a ss es si ch
kei neswe gs um ei ne Vorl adun g
i m enge ren S i nne h andel t e. De r
Ton war auff äl l i g höfl i ch. (S i e
sol l e bi t t e a n ruf en , wenn si e
kei ne Zei t hat .)
26
O
bwohl
es
angebl i ch
frei wi l l i g
w ar
und
obwohl si e absol ut ke i ne
Lus t daz u h at t e, fuh r F rauke am
M ont ag
nach
der
Arbei t
s el bs t verst ändl i ch t rot z dem z um
P ol i z ei pr äsi di um .
Sie
st and
ni cht m ehr ganz so sehr unt er
S pan nung wi e bei m er s t en Mal ,
aber es bl i eb i m m er noch genu g
an m ul m i gem G efü hl übri g. S i e
t raut e di esem Hau p t kom m i ssar
ni cht übern W eg, m ocht e er
auch b et onen, d ass si e j ederz ei t
aufs t ehen und gehen dürfe .
Nach e i n em S m al l t al k über das
W et t er und den D auerst au am
Fran k furt er Kr euz ( wodurch s i e
ni cht l ock erer wur de , sondern
si ch l edi gl i ch gen ervt fühl t e ),
kam Traut enbe r g z u sei nem
An l i egen.
"Können S i e si ch vorst el l en,
Frau B aum ann, das s Herr Vos s
z u DDR -Zei t en ei n Verbre chen
began gen hat ode r z um i ndes t
dari n ve rw i ckel t wa r? Ich d enke
dabei ni cht so sehr an et was wi e
R aubm ord oder Ver ge wal t i gun g ,
sondern an ei n e Affä re m i t
pol i t i schem Hi nt er grund, ei ne
z war
m oral i sch
verwe rfl i che
97
j edoch vom R egi m e angeordnet e
oder
wohl wol l end
gedul det e
Tat . Verst ehen S i e unge fähr ,
worauf i ch hi n aus w i l l? "
W as genau i n sei nem Kopf
herum s pukt e,
w usst e
si e
kei nes we gs. Al l er di ngs re gt e
s i ch u n wi l l kürl i ch Är ger i n i h r.
Sie
dacht e
an
di e
schi er
unübers e hba re
Zahl
an
Ferns ehberi c ht en, S pi el fi l m en,
Büche rn und Ze i t ungsa rt i kel n,
wori n dem st a u nenden Bür ge r
erkl ärt
wi rd,
wi e
de r
Unt erdrückun gs appa rat i n der
DDR
angebl i ch
funkt i oni ert
habe. In i h ren Au ge n spi el t e di e
bös e
S t asi
in
der
z ei t genös s i schen
Gesel l schaft
ei ne ähnl i ch e R ol l e wi e f rüher
der s ch warz e M a nn i n der
Ki ndererz i ehun g.
Di e
Herrs chenden erz ä hl t en di ese
Ges chi cht en i m m er dann, wenn
aufm üpfi ge Leut e nach m ehr
Gere cht i gk ei t
ve rl angt en.
("M a cht nur so wei t er! Dann
gi bt
es
R evo l ut i on
und
ans chl i eßend kom m t di e S t asi .")
" Ic h hab e w i rkl i ch kei ne
Ah nung,
w as
Ihn en
da
vors chwebt . S o wi e si ch das di e
m ei s t en Leut e hi er i m W est en
vors t e l l en,
war
das
ni cht
ge wes en. Ich pers önl i ch hat t e
ni e i rgendwe l che P robl em e m i t
P ol i z ei oder S t asi . Das gl ei che
gi l t für m ei ne V er wandt en und
näheren B ekannt en. Ich kenne
di es e
Gr äuel ges ch i cht en
nur
vom H örens a gen o der aus den
Medi en und kann si e ni cht
überprüf en. "
S i e hat t e si ch i n R age ge red et .
Traut enbe r g hol t e si e auf den
Boden z urück m i t d em Ei nwurf :
"Das w ar ni cht so ganz di e
Ant wort auf m ei ne Fra ge. "
"Al so gut : Ich hab e den Her rn
Voss al s ei nen unangenehm en
M enschen e rl ebt . D az u st ehe i ch
auch j et z t noch, n ac h dem i ch
wei ß, dass er ni ch t m ehr l ebt .
Aber was b esa gt das s chon?
Mag sei n, dass and ere eb enf al l s
ni cht gut m i t i hm ausgeko m m en
si nd. Darüber wi l l i ch ni cht
spekul i eren. S i cherl i ch hat t e er
auch ei n paa r Fre unde. Meh r
kann i ch daz u n i cht sa gen.
S el bst wenn e r fü r di e S t asi
Beri cht e gesch ri eb en hat : Ich
wei ß von ni em and em aus der
S em i nargruppe,
der
nachwei sl i ch
d a durch
in
S chwi eri gkei t en g e kom m en i st .
W as
al so
sol l
er
denn
verbroch en hab en - i m Auft ra ge
oder m i t Dul dung d es R e gi m es,
wi e S i e es nennen? "
Traut enbe r g
m usst e
schm u nz el n, unt erdrückt e di es e
R eakt i on aber r echt z ei t i g.
"Gut . D as rei cht m i r j a schon.
Vi el en Dank, das s S i e Ih re
Frei z ei t geopfe rt haben und
geko m m en si nd! "
W i e er auf sei nen Verda cht
gekom m en w ar, ve rri et er i hr
ni cht .
A
ni cht so nai v, al l ei n au fgrun d
i hrer pe rsönl i chen Erfahrun gen
anz unehm en, dass a l l e Be ri cht e
über di e hässl i che S ei t e de r
DDR
l edi gl i ch
zu
P ropagand az wec ken
erfund ene
uf dem W e g nach B achen
b eruhi gt e si ch Frau ke so
wei t ,
dass
der
Kopf
wi eder fr ei wurde für weni ger
em ot i ons bel ast et e Ü berl e gun gen
z u Traut enber gs F r age. S i e war
98
Lü gen sei en. (Gan z abg eseh en
davon, dass si e noch i m m er
ni cht wus s t e, was genau m i t
Draupadi gesch ehe n war, dass
s i e al so vi el l ei cht z u ei ner j en er
Tra gödi en so ga r ei n e Bez i ehun g
hat t e.) Konnt e si e t at sächl i ch
mit
ruhi gem
Gewi s sen
aus s chl i eßen,
was
de r
Haupt ko m m i ssar ar gwöhnt e?
Bei m Abendb rot verz i cht et e
s i e auf das F ernseh en und l i eß
s t at t dessen
i hre
Gedanken
z u rück schwei f en. Mi t dem
vi ert en
S em est er
hat t e
das
Grundst udi um geen det . Dan ach
waren di e S em i nar grupp en ne u
z us am m e ngest el l t worden und
z war gem äß den g ew ähl t en
S pez i al i si erung s ri ch t ungen.
Frauk e
durft e
bei
di eser
Gel e genh ei t Absch i ed nehm en
von dem pragm at i schen Her rn
Ber ger. Ax el Vos s und Udo
Dahm s hi nge gen bl i eben i hr
erhal t en. Bei d e hat t en si ch so
wi e si e für di e M at hemat i sche
St at i st i k ent schi eden.
In
di eser
Zei t
nahm en
wel t p ol i t i sche Erei gni sse i hr en
Lau f, de ren w ahr es Ausm aß
dam al s
noch
ni em and
abs chät z en kon n t e , di e aber
t rot z dem
für
rei c hl i ch
Di s kussi onsst off
sorgt en.
Befü rcht un gen und Hof fnun ge n
l agen oft di cht bei ei nander .
Im m e r deut l i che r z e i ch net e si ch
ab, dass Mi ch ai l Gorba t schow
al s
neuer
P räs i dent
der
S owj et uni on
andere
Zi el e
v erfol gt e al s sei ne Vorgän ger.
Am
si eb enund z wa n z i gst en
J anuar 1987 verkündet e er i n
s ei ner l e gend ären R ede auf
ei nem
P l enum
des
Zent ral kom i t ees der KP dS U di e
P erest roi ka. Im m e r deut l i cher
z ei chnet e si ch al l e rdi ngs auch
ab, dass di e Führu ng d er DDR
m i t eben di esen neuen Moden
i m großen B ruder l and e i ni ge
P robl em e ha t t e.
Udo Dahm s hät t e ( a us Frauk es
S i cht ) ei gent l i ch z u fri eden sei n
s o l l en, da pl öt z l i ch Hi nz und
Kunz i n al l er Öffent l i chkei t
Kri t i k am soz i al i st ischen Al l t ag
z u üben wagt e. Do ch er t raut e
dem F ri eden ni cht . Tat sächl i ch
l i efen
Gerü cht e
um
über
verst ärkt e Akt i vi t ät en der S t as i ,
wei l
di e
R e gi erungs ri e ge
angeb l i ch m i t al l en Mi t t el n
versucht e,
ei n
Hi nüberschw appen
des
P erest ro i ka gei st s z u verhi ndern.
Andere rsei t s l i eß si ch kei ne
di eser
Behaupt un gen
s eri ös
veri fi z i eren. W i e dem auch
ge w esen sei n m och t e: Bei Udo
Dahm s nahm en di e schon i m m er
l at ent
vorhandenen
Verfo l gun gsän gst e
ger adez u
krankha ft e Ausm aß e an. W as
i m m er si ch an Unerfr eul i chem
i n sei nem Leb en er e i gnet e, st et s
hat t e (nach sei n er Ü berz eugun g)
das DDR -R e gi m e di rekt di e
Hand
im
S pi el .
S e i ne
Ar gum e nt e wa ren z um Tei l
verbl üffend. Al l e rd i ngs konnt e
si ch Frauk e ni cht vorst el l en,
dass
si ch
di e
S t aat s m acht
t at sächl i ch der Müh e u nt erz i eht ,
ei nen wi e Dahm s z u verfo l gen.
Durch
den
w ürde
der
S oz i al i sm us
ja
wohl
kaum
z usam m enbrechen.
Ei ni ge
Ko m m i l i t onen
bem ü ht en si ch, i hm di e Än gs t e
ausz ureden. Das waren di e
Mi t fü h l enden. Manc hm al sah er
am
Ende
sogar
ei n,
das s
m anches ei nfa ch so passi ert ,
ohne dass ei ner dran dreht .
99
Doch l ei de r gab es auf der
anderen S ei t e e i n en , der Öl i ns
Feue r goss: Ax el V oss. De r gab
i hm i n ge wi sser Hi nsi cht R echt .
("S el bs t ve rst ändl i ch wi rd di e
S t as i
ei ne
der
wi cht i gst en
Bi l dungs ei nri cht u n gen
des
Land es ni cht ohne Kont rol l e
l as s en." ) Der besch e i ni gt e i hm ,
s ehr wohl ei n l o h ne ndes Obj ekt
z u s ei n. ("W enn ni cht nur der
Vat er P f arr er i st , s ondern au ch
der G roßvat er, dann kl i ngel n b ei
denen
di e
Al ar m gl ocken. ")
Andere rsei t s st el l t e er si ch
kei neswe gs auf s ei ne S ei t e ,
sondern vert ei di gt e vi el m ehr,
was er her aufb es c hwor. ( "Di e
schl eusen von drüben S pi one
ei n, di e hi er wi s se nschaft l i che
Erg ebni sse au s späh en. Da ge gen
m uss m an doch w as t un. Ich
sage j a ni cht , dass du ei n S p i on
bi st , Udo.") Am schl i m m st en
war, dass er si ch m ei st ens auf
ei ne
dunkl e
B em erkun g
beschränkt e und dann ei nfa ch
wei t e r gi n g.
B
Genossen so se i en wi e er. In der
P art ei gruppe wi ede r um set z t e er
di e anderen unt er Druck m i t
dem Vorwurf, i m Kl a s senkam pf
ni cht forsch genu g z u sei n, und
t orpedi ert e j eden Ansat z ei ner
Li be ral i si erun g
nach
sowj et i schem Vo rbi l d.
Der Ton i n der S t asi debat t e
wurde der wei l i m m er schär fer.
Udo Dahm s v ert r at hart nä cki g
di e Beh aupt ung, di e S t asi habe
i n j eder S em i nargruppe ei nen
i nform el l en
Mi t arbei t e r
posi t i oni ert .
Obwohl
di e
m ei st en das ni cht so recht
gl aubt en, wu chs das Mi sst rauen.
Di e
Unsi che rh ei t ,
di e
z unehm end das ganz e La nd
erfasst e, t at ei n Übr i ges.
Frauk e nahm si ch hundert m al
vor, si ch aus d em ganz en
Theat er
h erausz uh al t en,
l i eß
si ch aber dann doch i m m er
wi eder d az u hi nre i ßen, ei ne r
besonders abw e gi gen Mei nung
ent ge ge nz ut ret en. Ih r Ge genüber
bei di esen Zusam m e nst ößen war
fast i m m er Ax el Voss. Am Ende
sah
si e
m ei st en s
z i em l i ch
schl echt aus. D en S oz i al i sm us
z u vert e i di gen ge ge n ei nen, d er
i s z um Ende des s e chst en
S em est ers
hat t en
si ch
Frauk es
fa ch l i chen
Lei s t un gen sowei t st abi l i si ert ,
das s s i e si ch i m Herbst 1987
daz u übe rreden l i e ß, wi eder i n
der FDJ - Lei t ung m i t z uarbei t en
und
z war
al s
W i s s ens chaft sfunkt i onär. S pät er
är gert e s i e si ch no ch m anches
M al über i hre G ut m üt i gkei t .
Zw ar l i ef das A m t auf gut
abg e grenz t e
und
si nnvol l e
Auf gaben hi naus, d och si e h at t e
ni cht dam i t g er echn et , i n wel ch
ei n C haos Ax el Voss di e
S em i nargruppe i n d en fol gend en
M o nat en st ürz en wü rde.
Nach und n ach w ar es i hm
gel un gen, pr akt i s ch j eden m i t
s ei nen S pr ü chen z u beei nfl ussen
- i n di es er oder j en er W ei se, j e
nachdem . Ohne, d ass j em and
das di rekt so wol l t e, spi el t e er
i n j eder p ol i t i schen Di skussi on
ei ne R ol l e, auch we nn er sel bst
ni cht dabei st and. W er di e S ED
ni cht m ocht e, dem bot er ei n
P aradebei spi el z ur Be gründun g
s ei ner
Ansi cht .
W er
i hr
ang ehört e,
de r
m usst e
nachwei s en, dass ni cht al l e
100
vorgab, di es eb enf al l s z u t un,
i m Effekt aber da s G egent ei l
bewi rkt e, d as wa r unm ögl i ch
wi e di e Quad r at ur d es Kre i ses.
27
F
rauke w ar f ert i g m i t dem
Abendbrot , bra cht e das
schm ut z i ge Geschi rr i n di e
Küche und st el l t e es i n di e
S pül m aschi ne.
Anschl i eßend
kehrt e si e i n i hr kom bi ni ert es
W ohn und
Schl afz i m m er
z u rück, set z t e si ch ans Fenst er
und bl i ckt e auf di e S t raße
hi nunt er.
Ei ne
Gruppe
J ugendl i cher be ei l t e si ch, noch
recht z e i t i g z ur Hal t est el l e vor
dem Ei s caf é z u ge l angen. Um
di es e Zei t fuhr di e Li ni e Acht
nur noch a l l e h al ben S t unden
nach
Da rm st adt
hi nei n.
In
Bach en gab es am Abend ni cht
m ehr vi el z u erl eben .
In de r DDR des J ahres 1988
hat t e es j ede Men ge z u erl eben
ge geben. Zwa r no ch ni cht so
vi el wi e dann ei n J ahr spät er,
al s der U m st urz kam, aber schon
genu g, um z u ahnen, dass das
Al t hergebr acht e aus den F u ge n
ge ri et . Am acht z ehnt en Feb r ua r
erkl ärt e Mi chai l Gorbat schow,
das s
j edes
Land
d er
S t aat eng em ei nscha ft
künft i g
s ei ne
Gesel l sc haft sordnun g
s el ber best i m m en dürfe. Eri c h
Honecke r und sei ne Get r euen
ge ri et en
z une hm end
unt er
Druck. Und es gi n g noch w ei t er
i n di eser W ei se. Im Mai wurde
i n Moskau unt er de n Augen der
Obri gk ei t
ei ne
ni ch t kom m uni st i sche
Verei ni gun g
ge gr ündet ,
di e
P art ei Dem okr at i sch e Uni on . Im
sel ben
Monat
begann
der
R ückz ug
der
sowj et i schen
Truppen
aus
Af ghani s t an.
Lan gs am m usst e de r l et z t e S ED Genosse ei nsehen: Der groß e
Brude r i st ni cht m ehr d as, w as
er m al war. W as abe r t au gt e
überhaupt
n o ch
al s
Ori ent i erun g?
Al l ei n
di e
ei nsam en B eschl üss e der al t en
Herr en vom P ol i t büro? Auch i n
den
a nder en
so z i al i st i schen
Länd ern
ges ch ah e n
sel t sam e
Di nge.
Frauk e war es m üde, si ch
au fz urei ben
um
Di skussi onst h em en, di e z wei
W ochen spät er sch on, von der
R eal i t ät übe rhol t , j ede R el evanz
verl oren h at t en. S i e z og si ch i n
ei ne Art i nner e Em i gr at i on
z urück, l i eß den Erei gni ssen
wei t gehend passi v i hren Lauf
(sowohl i n der Ges el l schaft al s
auch i n der S em i nargruppe).
Dass
si e
si ch
ä ußerl i ch
z urückhi el t , hi eß fr e i l i ch ni cht ,
dass
si e
auch
i nne rl i ch
unbet ei l i gt
wa r.
Ganz
im
Ge gent ei l ! In j en en Monat en, i n
denen si e m i t Ax el Voss kaum
noch spra ch (und f ol gl i ch au ch
ni cht m i t i hm st ri t t), baut e si ch
j ener Hass auf, d en si e auch
nach der W ende no ch ge gen i hn
em pfand. Let z t l i ch t rug er i n
i hren
Au gen
di e
Haupt veran t wort un g dafür, das s
di e
S t i m m ung
in
der
S em i nargruppe u m s chl ug, das s
101
s i ch di e soz i al i sm uskri t i sche
Tendenz durc hset z t e (wenn auch
ni cht gerad e i n de r neurot i schen
Übert re i bun g
ei nes
Udo
Dahm s ), dass l et z t l i ch auc h
al l es das i n Fra ge gest el l t
wurde,
was
zu
i hren
anerz ogenen
Ide al en
z ähl t e.
Gri m m i g r e gi st ri e rt e si e, dass
weni gs t e ns
ei nes
der
S t as i gerü cht e
w ohl
ni cht
s t i m m t e: W enn überal l di e
S pi t z el
l aue rt en,
hät t e
di e
S t aat s m acht l ängst angerückt
s ei n m üs sen. Frei l i ch waren di e
J ungs m i t den S chl apphüt en
wohl auch z i e m l i ch i m S t ress.
Es m ocht e j a sein, dass si e
ei nfach d en S chr ei b t i sch z u vol l
hat t en, um den Dahm s z u
verhaft en,
wi e
er
es
mit
m as ochi s t i scher I n brunst sei t
M onat en erw art et e.
Zehn J ahre sp ät er a m Fenst e r
i n Darm s t adt - Bach e n, z um i ndest
ph ys i s ch
an geko m m en
im
gol den en W est en (der al l e rdi n gs
auch s chon wi ed er an Gl anz z u
verl i eren b e gann), sah Fr auke
i hr S chm ol l en von dam al s m i t
i roni s cher Di st anz . In z wi sche n
war s i e so gar off en für ei n e
ge wi s s e Fasz i nat i o n. W i e nur
kann es sei n, dass ei n ei nz el ner
M ens ch, de r ob en drei n völ l i g
i s ol i ert
i st , t rot z dem
ei ner
Gruppe so
gänz l i ch sei nen
S t em pel aufdrückt ? S i e m üsst e
i hm Geni al i t ät b esche i ni gen,
wäre
d as
Er geb ni s
sei ner
Akt i vi t ät en ni cht das t ot al e
Ge gent ei l dess e n gewesen, was
i hm al s Bet onkom m uni st en j a
wohl al s Zi el vorg eschw ebt
hat t e.
S pät es t ens i m Herbst 1988
wundert e Fr auke si ch über ga r
ni cht s m ehr. Udo Dahm s und
ei ni ge
and ere
bracht en
re gel m äßi g
at e m bera ubend e
Nachri cht en m i t aus ei ner so
gen annt en
Umw e l t bi bl i ot hek ,
di e
im
Kel l er
des
Gem ei ndehaus es
i rgen d ei ner
Ki rche
unt erb ra cht
war.
Ino ff i z i el l , verst eht si ch. Di e
P ol i z ei behel l i gt e di e Bet r ei ber
gel e gent l i ch, doch wi rkt e das
i rgend wi e h al bherz i g. Der Ti ge r
bi ss al l em Anschei n nach nur
noch m i t künst l i che n Zähnen z u.
Im Okt obe r d em ons t ri ert en rund
z wei hundert
Le ut e
mit
Transp ar ent en ge ge n di e Zensur
von
Ki rch enz ei t ungen.
W est report er wa ren z ur S t ell e
und versuc ht en, da s Gescheh en
z u fi l m en. Unfassba r!
Andere rsei t s
re a gi ert e
de r
S t aat m anchm al un verst ändl i ch
ener gi sch
au f
K l ei ni gkei t en.
Frauk e
l as
z um
Bei spi el
re ge l m äßi g
ei ne
sowj et i sche
Zei t sch ri ft m i t dem Nam en
Sput ni k . Di e w ar ganz offi z i el l
z u h aben, w enn a uch (w e gen
i hrer Bel i e bt hei t ) nur übe r
Bez i ehun gen. Do rt st and vi el
Int e ressant es über di e pol i t i sche
Ent wi ckl ung i n der S owj et uni on
dri n.
Dan eb en
gab
es
popul ärwi ssenscha f t l i che
Art i kel und R eport agen. Dam i t
konnt e m an si ch den H ori z ont
erwei t e rn, ohne gl ei ch i n di e
recht l i che G rauz one abt a uch en
z u m üssen. Im Nove m ber j edoch
war auch d am i t Schl uss. Der
Sput ni k wan dert e a uf di e Li st e
der
verbot enen
Drucke rz eugni sse.
Bei ei ner S i l vest erfei er am
Ende des J ahres t r at Fr auke i n
ei nen kapi t al e n F et t napf. In
ei ner R unde von Leut en, di e
si ch
noch
am
S oz i al i sm us
102
fes t kl a m m ert en,
ä ußert e
si e,
s chon l ei cht anget runke n, i hre
Bedenk en, ob di e Geschi cht e
wohl ei n gut es E nde nehm en
würde. Ei ne Fr au st ürz t e si ch
daraufhi n wi e ei n e Furi e au f
s i e. ("W i e kann m an nur ...")
Am
schm erz haft e st en
si nd
i m m er j ene W ahr hei t en, von
denen
d as
Unt e rbewusst sei n
s chon fest üb erz eu gt i st , di e das
W achbewusst sei n
aber
noch
ni cht anz uerkennen berei t i st .
Für F rauk e war di eser S t rei t ei n
S chl üssel erl ebni s. Von da an
fra gt e si e si ch nur noch, was
danach kom m en würde. Ei n e
kapi t al i st i sche
D DR?
Ei ne
Verei ni gun g m i t d em ande ren
Deut schl and? Hoffe nt l i ch kei n
Bür ge rkri e g
mit
rol l enden
P an z ern und scharf schi eßenden
S ol dat en!
Frauk e ri ss si ch m i t ei nem
R uck l os vom Fenst er und von
i hren
Eri nnerun ge n
an
di e
S t udi enz ei t . Traut enber g hat t e
Un recht . D abei bl i eb es. De r
Herr H aupt kom m i ssar würd e es
j a woh l kaum al s Verbre chen
ansehen, dass j em an d durch sei n
i di ot i sches Benehm en den DDR S oz i al i sm us i m Al l gem ei n en
und di e S ED i m Besonder en
nachhal t i g
in
Mi sskredi t
geb racht hat t e. G e wi sserm aßen
war
Voss,
l ei bhaft i g
vorwe ggenom m en,
l edi gl i ch
j ene
K ari k at ur
des
P art ei genossen
ge wesen,
di e
i nz wi schen i n oberfl ä chl i chen
S pi el fi l m en
den
S t andard
bi l d et e.
28
U
nm i t t el bar
nach
dem
Aufwa chen,
noch
schl a ft runken i m B et t
l i egend, da cht e Fr a uke da rüber
nach,
was
si e
mit
dem
bevorst ehend en
l angen
Os t erwoch enende
anfa n ge n
könnt e. W i e wäre es dam i t , di e
nähere Um g ebun g der neuen
Hei m at
zu
erkunden?
Nat urve rbund en
mit
ei ner
W and erung
du rch
den
Oden wal d?
(Für
si e
ni cht
wi rkl i ch
at t rakt i v:
real
pr ogrammers )
Oder
bi l dungs ori ent i ert m i t e i nem
Aus fl ug na ch S pe ye r z um Dom?
(S cho n
i nt eressa n t er,
abe r
vi el l ei cht
ni cht
gl ei ch
am
Frei t a g) Ei n Bl i ck aus dem
Fenst er
sor gt e
für
di e
Ent sche i dung: S i e bl i eb z u
Hause.
Auf dem W eg z um Bad fi el i hr
Bl i ck
auf
di e
noch
ni cht
ausg epackt e
P l ast i kt üt e
von
Buch H a bel . Nun wusst e s i e
auch, w as si e z u Hause t un
würde. S i e ha t t e si ch unt er
anderem ei n neu es Ex em pl ar der
Bhagavad Gi t a gek a uft . Das aus
dem Haus der F am i l i e S chm i t t
war
l ei de r
bei
der
Vandal i sm usat t acke
verl or en
ge gan gen - z usam m en m i t den
si eben
Ori gi na l z et t el n
der
geh ei m ni svol l en
Bot sch aft .
Frauk e f and d as vor al l em
des hal b so är ge rl i c h, wei l s i e
ansonst en kaum S ch äden g eh abt
103
hat t e. Di eser ei ne Verl ust abe r
t at i hr weh, denn d am i t war fü r
s i e ei ne wi cht i ge Eri nnerun g
verknüpft .
Di e
Vandal e n
hi nge gen
hat t en
das
Buch
wah rs ch ei nl i ch bal d z u ei nem
ü b ers chaub aren P r ei s verkauft
oder gar we gge wo rf en.
Nach d em F rühst ück set z t e si e
s i ch m i t der Gi t a ans F enst er.
Di e Neu anscha ffun g war kei n
echt er E rsat z : ei ne bi l l i ge,
s chm uckl ose, hun dert S ei t en
dünne
dt v -P aper backaus gab e.
Frauk e hat t e nac h Besse r em
Aus s chau geh al t en, aber k ei ne
Al t ernat i ve gefund e n. S o m usst e
s i e s i ch nun begnü gen m i t ei ner
deut s chs prac hi gen
Nachdi c h t un g und ei nem ehe r
dürft i gen
An m erkungst ei l .
W i eder ei nm al b est ät i gt e si c h
di e al t e W ei s hei t, dass der
M ens ch au f di e b est en Id een
i m m er vi el z u spät kom m t . Vor
1991 war si e k ei n ei nz i ges Mal
darauf ve r fal l en, i n der Gi t a
erns t haft z u l esen. S i e hat t e si e
anges ehen al s e i ne n rel i gi ösen
Tex t aus ural t er Zei t , den ei n
auf gekl ä rt er
Men sch
ni cht
unbedi ngt
ve rst e hen
m uss.
Dem z ufol ge wusst e si e ni cht
ei nm al ansat z wei s e, was di e
über
vi el e
S e i t en
si ch
ers t reck enden Erkl ärun gen i m
Ex em pl ar von Herrn S chm i t t
bei nhal t et en.
Di e dt v -V ersi on w a r übers et z t
und heraus ge geben worden von
ei nem m i t t l erwei l e em eri t i ert en
P rofes s or
der
Uni versi t ät
Lei p z i g. Im Vo r wort erfuh r
Frauk e, dass al s Q uel l e für das
vorl i egende
Gedanke n kon gl om e r at
neben
dem vi s nui t i schen Thei s m us vor
al l em di e Upani s haden aus der
j ungvedi sch en Zei t i n Bet r acht
käm en. ( Aha !) Ei ne S ei t e spät er
l as si e, dass si ch best i m m t e
R i cht ungen de s S am kh yra m i t
P ant hei sm us am al ga m i eren. ( Mi t
dem Verb konnt e si e et w as
anf angen.
Amal gamf ül l engen!
Di e hat t e si e rei chl i ch i n i hren
Z ähnen .) S i e versucht e noch
nachz uvol l z i ehen, warum ei n
ge wi sser Her r G ar be i m J ahre
1905 i nsgesam t 17 0 Verse z u
st rei chen vo rschl u g, al s er
vedant i st i sche und r i t ual i st i sche
Tendenz en dari n i dent i fi z i ert e.
Dann bl ä t t ert e si e vor bi s z um
Be gi nn des erst en G esa n ges.
S i e eri nnert e si ch, dass si e
vor
J ahren
ei n m al
ei nen
au fschl ussre i chen
Art i kel
in
ei ner Zei t sch ri ft ge l esen hat t e .
Dem nach i st di e Gi t a ei ne
Auskop pl ung aus ei nem vi el
größ eren W e rk: de m i ndi schen
Nat i ona l epos
M ahabhar at a .
Dari n wi rd i m Ke r n der Zwi st
z wi schen z wei F am i l i enkl ans
beschri eb en.
Di e
( gut en)
P andavas st ehen den (bösen )
Kaur av as
ge gen über.
Di e
gi gant i sche Größ e des Epos
(m ehr
al s
100.000
Doppel ve rse !)
er gi bt
si ch
daraus, d ass di e H a upt handl ung
i m m er wi eder unt er brochen wi rd
durch
Ei nschübe
verschi ed en s t er A rt . S o ent st and
ei ne Enz ykl opädi e, wel che fast
das
ges am t e
W i ssen
der
dam al i gen Zei t i n si ch ve rei nt .
Der
Fam i l i enkon fl i kt
l äuft
hi naus auf ei nen S howdown: di e
S chl acht an ei nem P l at z m i t dem
Nam en Ku ruk s het ra. W i e es si ch
für Epen aus ur al t er Zei t gehört ,
bri ngen si ch d abei al l e Hel den
ge gensei t i g
um.
(Das
Ni bel u ngenl i ed l ässt grüßen. )
104
I-46:
Wenn
mich
al s
W i d e r st a n d sl os e n ,
U n b e w a f f n et e n
di e
W af f en
t r a ge n d e n D h r i t ar a s h t r a - S ö h ne
i m K a m p f t öt e n w ür d e n , da n n
wäre mir das lieber.
Di e
Gi t a
b esc hrei bt
ei n
Ges prä ch, das der P ri nz Arj una
(ei ner
de r
He e r führer
d er
P andavas)
mit
sei nem
W agenl enk er
führ t
(wel ch er
wi ederum k ei n Ge ri nge rer i st
al s Kri shna, ei ne In ka rnat i on
Got t es auf Erden ) . Der Ti t el
bedeut et , wört l i ch überset z t :
Der G esang des Er habenen . Es
wi rd fol gl i ch ei n e göt t l i che
Bot s chaft üb erm i t t el t .
Doch al l es i n al l em wusst e
Frauk e über R el i gi o n nur weni g.
Das i st Opi um fürs Vol k, hat t e
di e S chul e si e gel ehrt . Mi t
v erl ogenem
W u n der gl auben
wurden di e Mens ch en ei nst von
der herrs chenden K l asse dum m
geh al t en. ( Heut z ut age sor gen
Ferns ehseri en da fü r, dass di e
Leut e
verbl öd en. )
Ki rchen
kan n t e F rauke nur al s Obj ekt e
z ur
Besi cht i gu ng
unt er
kuns t hi st or i schen
Ges i cht spun k t en.
W ährend si e si ch i n di e V erse
hi nei narbei t et e,
h i el t en
si ch
Neu gi er und S kepsi s di e W aa ge.
Am Anfan g bei de r Aufz ä hl ung
endl os vi el er en dl os l ange r
i n di scher Nam en t at si e si ch ei n
bi s s chen schwer ( Y udhamanyu ,
Anant avi j aya ,
Dhana mj aya ).
Aber dann ent de ckt e si e et was,
das si e fessel t e. Arj una, der
Gener al ,
der
gr oße
Hel d,
wei gert e si ch,
ge gen sei ne
ei genen
An g ehö ri gen
zu
käm pfen. Di e A r g u m ent e, di e er
dabei
a n führt e,
fand
si e
groß art i g.
Ih r w ar anerz o ge n worden,
dass
Kri e ge
al l enfal l s
z ur
Ab wehr
ei ner
Aggressi on
ge recht
si nd .
Zwi schen
Verw andt en sol l t en si cher noc h
Verhandl u n gen m ögl i ch sei n,
um Bl ut ve r gi eß en abz uwenden.
Über das, was K ri shna dann
ant wort et e, wa r si e ge r adez u
ent set z t .
Sie
hat t e
den
Hi ndui sm us
für
di e
fri edl i ebendst e
R el i gi on
der
W el t gehal t en. S i e dacht e an
Mahat m a G andhi und an den
von i hm geführt en gew al t l osen
W i derst and ge gen d i e En gl ände r
- ei n Kam pf, de r ge gen al l e
Vernunft l et z t l i ch doch z um
S i eg gef ührt hat . Un d nun das:
I I - 1 8 : A l s ei n m a l e i n E n d e
h a b e nd g e l t e n di e se L e i b e r , al s
S t ä t t e n d er e w i ge n S e e l e , de r
u n z e r st ö rb ar e n , u n erm e ss l i c h e n ;
daher
k äm pf e ,
o
B h a r at a
( A r j u n a) !
II-19: Wer diese Seelen für
e i n e n T öt e r h äl t o de r w e r d e n k t ,
s i e w e r de n g et öt e t - di e se b e i de n
v e r st e h e n ni c h t s . S i e t ö t e n n i c ht
u n d s i e w e r d e n n i c h t g e t öt et .
Na
großa rt i g!
W ei l
der
Mensch ei ne unst er bl i che S eel e
hat , kom m t es auf den Körpe r
ni cht m ehr an. J eder ge fal l en e
S ol dat bekom m t bal d ei nen
neuen und es best eht kei n
Grund, um i hn z u t rauern. S o
verl i ert
de r
Kr i eg
s ei nen
S chrecken. (Di e Ki n der, di e von
Bom ben z erri ssen we rden, si nd
vi el l ei cht g a r ni cht so übel
dran. W om ö gl i ch e rgat t ern s i e
I - 4 5 : W e h e! E i n e gr o ß e S ü n de
z u b e ge h e n , ha b e n w i r u n s
v o r g e no m m e n , da s s a u s G i er
n a c h H er r s c ha f t u n d G l ü c k d i e
e i g e ne V e r w a n dt s c h af t z u t ö t e n
w i r e nt s c h l o s se n s i nd.
105
auf di es em W eg ei ne besse re
Fam i l i e.)
S chm i t t so vi el Gefal l en an
di esem Buch g e fun den? Frauke
hol t e i hren Ordne r aus d em
S chrank und sch aut e na ch,
wel che V erse er si c h ausgesucht
hat t e für sei ne Must erbl ät t er.
I I - 2 7 : D e n n de m G eb o re n e n i st
d e r T o d si c h e r , u n d s i c h e r i st
d e m T ot e n di e G eb u r t . D a h er
darfst
du
üb e r
ei n e
u n v e rm e i d l i c h e
S ac h e
n i c ht
t r a u er n .
II-37:
E n t w e de r
wirst
d u,
g e t öt et , d e n H i m m el e r l a n ge n ,
o d e r d u w i rs t al s S i e ge r d i e E rd e
b e h er r s c he n . D ar u m e r h e b e d i c h ,
K u n t i - So h n
( A rj un a ) ,
z um
K a m pf m i t E n t s c hl o sse n h e i t .
I I - 3 8 : Gl ü c k u n d U n gl ü c k gl e i ch
a c h t e n d , G e w i n n u nd V e r l u st ,
S i e g u n d N i e d er l a g e , m a c h d i c h
b e re i t z um Ka m p f ! S o w i r st k e i n
Ü b e l d u e rf a h re n .
I I - 3 1 : Wa s d ei n e w ah r e P f l i c ht
b e t r i f f t , s ol l t e st d u i n n e rl i c h
n i c h t w a n ke n d w e rd en !
III-4:
Fr ei h ei t
v on
K a rm a
e r r ei c h t m a n n i c h t , i n d em m an
a l l e T ät i gk ei t m ei de t . K ei n er
g e l a ng t d u r c h W e l t f l u c h t z u r
V o l l k o m m e n h ei t .
I I I - 2 1 : A l l e s , w a s e i n E d l er t u t ,
a h m en a n d er e M e n s c he n n a c h .
S e i n e H a nd l u n ge n w e r d e n f ü r
d i e M e n s c h he i t z um M a ß st ab .
I I I - 3 5 : Es i s t b es s er , d i e e i g e n e
P f l i c h t z u e rf ü l l e n , u n d s e i e s
u n v o l l k om m e n , a l s d i e P f l i c ht
i r g e nd e i ne s
a n de r en ,
s e l b st
w e n n d i es g ut g el än g e . E s i st
b e ss e r f ür d i e ei g e n e P f l i c h t zu
s t e rb e n ,
als
di e
G e f a h re n
e i n z u ge h e n , d i e ei n e f rem d e
P f l i c h t h er a uf b e s c h w ör t .
Frauk e kl appt e das Buch z u
und bl i ckt e ei ne W ei l e z um
Fens t er
hi naus.
Ihr
e rst er
Ei n druck st i m m t e annähe rnd
ü b erei n m i t den Anm e rkun gen
des Lei pz i ge r P rof essors. Abe r
das konnt e do ch unm ögl i ch
s chon di e ganz e W ahrhei t sei n!
Di e berühm t e Bha gavad Gi t a ni cht s al s schnöde, rel i gi ös
v erbräm t e
K ri e gs het z e
aus
l ängs t
ver gan gen er
Kul t u repoche? Di e Vorst el l un g
vom fri edl i ebenden Hi ndui sm us
- ei n ei nz i ges Mi s s verst ändni s?
Und vor al l em : W ar um hat t e ei n
hochi nt el l i ge nt e r M ann wi e H err
Das
kl ang
ni c ht
nach
Kri e gs gesch rei , so ndern eh er
nach ... J a, wonach ei gent l i ch?
Mögl i che rwei se
hat t e
Her r
S chm i t t i n den Tex t ei gene
Gedanken h i nei n gel egt , di e si ch
anderen Mensch en m i t anderem
Hi nt e rgrund
ga r
ni cht
erschl i eßen könn en .
29
V
om spät en Nachm i t t ag an
s urft e
Fr auke
ohne
b esondere
A bsi cht en
durchs Int ernet . Di e C hance,
ge wi s s e rm aß en m i t der ganz en
W el t ve rbunden z u sei n, ohne
das
Zi m m er
ve rl assen
zu
m üssen, fasz i ni ert e si e. Noch
war ni cht j ede In f o rm at i on auf
di esem W eg z u hab en, doch di e
Mögl i c hkei t en wurd en prakt i sch
m i t j edem Tag größ er. Z uwei l en
schl ug
i hr e
P hant asi e
P urz e l bäum e. W enn si e et w as
106
braucht , best el l t si e es si ch
übers Net z und bek om m t es ei n
paar S t unden spät e r d i rekt an
di e W o h nungst ür gel i efert . Ihr e
Fra gen z ur Bh a gava d Gi t a st el l t
s i e ei nfach ei n em B ra hm anen i n
Ban gal o re, de r gera de so wi e si e
dri n i st i m Net z . Wenn si e ei ne
S chul freundi n sucht , st el l t si e
ei ne Art Anz e i ge ei n. Ei nes
Tages wü rde es das al l es geb en.
S i e wusst e es. Vi el l ei cht würd e
das
Net z
das
Leb e n
der
M en schen
von
Grund
au f
v erände rn - ni cht nur das d er
r eal pr o grammers .
Für ei nen Mom ent nahm si e
di e Hände von Maus und
Tas t at ur und l ehnt e si ch m i t
ges chl ossenen Au gen z urück.
Ei nes T ages . Das k ann daue rn.
Verdam m t !
Sie
brau cht e
Drau padi j et zt und n i cht erst
ei nes
Ta ges.
N orm al erw ei se
s t rom ert e si e auf z wei Art en
durchs N et z . En t we der si e t i ppt e
UR L's ei n - Int er net adressen,
di e si e i r gendwo a ufg eschnappt
hat t e und di e si e i n ei nem
s pez i el l en, i m m er gri ffbe rei t
auf dem S chrei bt i s ch l i egenden
Ordner n ot i e rt e, be wert et e un d
ge geben e n fal l s
akt ual i si ert e.
Oder
si e
han gel t e
si ch
s chri t t wei se w ei t er über Li nks W egwei se rn z u URL's, di e i hr
noch unb ekannt wa ren (und di e
s i e, wenn es si ch loh nt e, spät er
i n i hre S am m l ung aufnahm ).
Neu erdi n gs gab es noch di e s o
gen annt en
S uc hm aschi nen.
Dam i t konnt e m an (t heor et i sch)
quer dur chs Net z n ach Art i kel n
z u ei nem b est i mmt en Be gri f f
(oder N am en) f ah nden. Di ese
Techni k nut z t e si e eher sel t en ,
wei l
si e
i hr
noch
zu
unausgerei ft erschi en. Mei s t ens
kam ni cht vi el heraus bei den
R echer chen.
Doch wa rum sol l t e si e es
ni cht
weni gst ens
versuchen?
Draup y
hat t e
ein
kl uges
Köp fchen. Vi el l ei c ht war si e
i nz w i schen
ebenfal l s
vom
Int e rnet b e gei st ert und bes aß
dari n ei ne ei gene S ei t e. Frauk e
begann
a l so
mit
den
i hr
bekannt en S uc hm as chi nen na ch
ei ner P e rson m i t dem Nam en
"Dr aupadi S chm i t t " Ausschau z u
hal t en. Zw ei R eche rchen l i ef en
i ns Le e re. W i e befü rcht et . Doch
bei der d ri t t en, al s di e Hoffnun g
schon z u schwi nden be gann ,
st and pl öt z l i ch ei n Ergebni s au f
dem Moni t or. Fra uke schaut e
m eh rm al s hi n, wei l si e es
z unächst ni cht gl au ben konnt e.
Dann spr an g si e m i t ei nem
J ubel schrei auf und hüpft e ers t
ei nm al ei ne W ei l e wi e ei n Ki nd
durch den R aum . S i e hat t e di e
S t ecknadel
im
Heuhau fen
t at sächl i ch gefund e n.
Draup y war r e gi st ri ert al s
Vorst andsm i t gl i ed
ei nes
Ki nde rschut z ve rei ns . Dort hät t e
Frauk e si e ni cht unbedi ngt
erwa rt et . Doch si e musst e es
sei n, denn i hre i ndi sch -deut sche
Nam en s kom bi nat i on
gab
es
best i m m t kei n z wei t es Mal auf
der W el t . Der Verei n nannt e
si ch "S chut z schi l d e.V.". Frauk e
assoz i i e rt e spont an "R ak et en ",
"at om ar e Abs chre ckung" u nd
"kal t er
Kri e g".
Das
wa r
nat ürl i ch
a b w e gi g,
doch
ges chossen wurd e d ort durchaus
und z war m i t schar fen W ort en.
Der Art i kel t hem at i si ert e di e z u
l asche H a l t ung des S t aat es bei m
Them a Ki nderporn ogr afi e, wa r
an d i e R egi erun g adressi ert ,
ri cht et e si ch ab er gl ei chz ei t i g
107
auch an di e Al l gem ei nh ei t .
Frauk e
l as
di e
Ar gum ent e
t rot z dem
nur
oberfl ä chl i ch,
denn s i e i nt ere s si e rt e si ch vor
al l em für di e E rrei c hbarkei t de s
Verei ns : T el efonn um m er und
Adres s e d es B üros.
Nachdem si e si ch w ährend der
Fei ert a ge ve r gebl i ch bem üht
hat t e, e rrei cht e si e am Di enst ag
ei ne
Frau
C l aa ssen.
Das
Tel ef o nat m i t i hr verl i ef i n
gut er A t m osphär e (ande rs al s
bei Ol af Marquart und Frau
Dokt or P o l z i n). Dennoch endet e
es m i t e i ner E nt t äuschung.
Draupad i w ar i nz wi schen ni cht
m ehr M i t gl i ed des Verei ns un d
angebl i ch kan nt e n i em and dort
i hre a k t uel l e Adress e. Im e rst en
Im pul s
wol l t e
F rauke
si ch
höfl i ch bedank en u nd aufl e gen.
Doch dann üb e rl e gt e si e es si ch
anders und ve rabr ed et e si ch m i t
der V erei n s vorsi t z e nden für den
Abend.
Das Bü ro best and aus z wei
R äum en i m Erdges choss ei nes
uns chei nbar en
A l t baus
im
Norden
Fr ank furt s,
gek ennz ei chnet l ed i gl i ch dur ch
ei n l ei cht z u übersehend es
S chi l d an der Ha uswand. Der
vordere R aum eri n nert e an das
W art ez i m m er
ei nes
Ki nd erarz t es.
Fr eundl i che
Farb en,
um
ni e m anden
zu
v ers chr ecken. Ei n paar P l ak at e
m i t ei nschl ägi gen Losun gen.
Ei n
runder
Ti sch.
S t ühl e
vers chi ed ener Größ e. Durch di e
anfan gs hal b ge öffnet e Tür
konnt e Fra uk e ei n en Bl i ck i n
den
d ahi nt er
befi ndl i chen
ni cht öffent l i chen R aum werfen .
S i e s ah z wei m i t P api erkr am
überl aden e
S chrei b t i sche,
offene R e gal e vol l e r B üch er und
Akt enordner.
J e de
Men ge
produkt i ve U nordnu ng.
Frau C l a assen w ar e i ne kl ei ne,
rundl i che P erson, d i e ni cht nur
Ki nder wi e Ki nder behandel t e ,
sondern grund s ät z l i ch j eden,
m i t dem si e sprach. Frauke w ar
überz eugt , dass s i e noch i n
ei nem Dut z end anderer V er ei ne
m i t wi rkt e.
Ei ne
Frau
mit
Unen t beh rl i chkei t ss yn drom . S i e
l i eß durchbl i cken, vorz ei t i g i n
den R uhest and gesc hi ckt worden
z u sei n. Nun t rieb si e das
Bedür fni s nach Nüt z l i chkei t um .
S i e fül l t e den R aum so sehr aus
m i t si ch und i hrer Mi ssi on, dass
Frauk e fast ei n en Anfal l von
Kl aust rophobi e
bekam .
Im m e rhi n war si e e i ne eh rl i che
Haut .
Ei n
Ei l and
von
W ahrhaft i gk ei t
in
ei ner
korrupt en W el t . S ie gl aubt e an
di e Du nkel z i ffern, von dene n
si e redet e.
Aus Furch vor ei n em l angen
Vort ra g üb er Ki ndsm i ssbrauch
überspran g Fr auke di e übl i chen
Höfl i chkei t sfl oskel n und pl at z t e
gl ei ch he raus m i t der Fr a ge, di e
si e am al l erm ei st en beunruhi gt e:
"Mi r i st z u Ohren gekom m en,
dass Fr au S chm i t t ei n weni g
ab gerut scht
s ei n
sol l ,
mit
Dro gen und so. "
Frau C l aassen st ut z t e. Dann
l acht e si e und z wa r l aut er und
fröhl i cher, al s Fra uke i hr das
z uget raut hat t e.
"Von we gen Dro ge n! Al s i ch
mit
i hr
z usam mengearb ei t et
habe, w ar si e Ve get ari eri n,
rau cht e ni cht und t rank ni cht
ei n m al ei n Gl as W ei n m i t uns."
"Ei n Gesundh ei t sap ost el? "
"Das passt hi e r n i cht ganz .
Apost el m i ssi oni eren, si e aber
versi che rt e i m m er wi eder, dass
108
i hre
Leb enswei se
i hre
P ri vat a n gel e genh ei t sei . W enn
i hre Freund e si ch z udrö hnt en,
war das für si e auch i n
Ordnun g."
"S el t sam ."
"Al l erdi n gs.
A ber
so
wi dersprüchl i ch
i st
si e
in
vi el erl ei Hi nsi cht . S ehr z um
Är ger von P ol i z i sten, Lehre rn,
J ugendä m t ern,
S t reet work ern
und so we i t er. S i e h at den Draht
und ko operi ert ni c ht m i t den
offi z i e l l en S t el l en, weder für
Gel d noch für gut e W ort e.
Erpressen l ässt si e si ch au ch
ni cht . "
"Das hei ßt : S i e ge hört ni cht
di rekt daz u, aber h at z u den so
gen annt en
R and gr uppen
vi el
Kont akt ? "
"Gest r andet e al l er Art , das i st
i hre W el t . J a. Eine Hei l i ge,
wenn m an so wi l l . Al l erdi ngs
ei ne H ei l i ge m i t Ecken und
Kant en. Ei nm al i st si e m it
M ari huana e rwi sch t worden ge rade so vi el , da ss es (na ch
am t l i cher Vor gab e) ni cht m ehr
i n di e Kat e gori e Ei genb edar f
fäl l t . Zu ei ner Ank l age kam es
am Ende ab er doc h ni cht . Di e
Abs i cht war z u o ffensi cht l i ch
und au ßerdem wi l l di e P oli z ei
wohl
di e
Hoffn ung
ni cht
auf geben, si e ei nes Tages doch
noch z u gewi nn en."
"Abe r m i t Ihrem Verei n hat
s i e i m m erhi n kooper i ert ? "
Frau C l a assen seufz t e.
"J a. Ei n paar Monat e war si e
bei uns."
"S ogar i m Vo rst a nd . Ni cht
wahr? "
"S i e
besi t z t
ei ne
enorm e
Aus s t rahl ung. Mi t i hr hat t en
uns ere
Ver anst al t ungen
ei n e
vi el gr ö ß ere W i rkun g. S i e hat es
ei nfach
dr auf,
dass
ei ne
Bot schaft unt er di e Haut geht .
Ei n
Nat u rt al ent
in
di es er
Hi nsi cht . Aber l ei de r ..."
"W as? "
Es hat t e d en Anschei n, al s
m üsse
Frau
C l a assen
si ch
überwi nden, di e Ge schi cht e von
Draupadi s Ab gan g z u e rz ähl en.
"Al so, das w ar so: W i r hat t en
wi eder ei nm al ei ne größer e
Veranst a l t un g or gani si ert , s o
ei ne m i t vi el Ö f fent l i chkei t :
Verei nsm i t gl i ed er, Bet ro ffen e,
M edi envert r et er, d az u et l i che
Leu t e, di e si ch über unser e
Arbei t
i nform i ere n
wol l t en.
Frau S chm i t t saß ne ben m i r vorn
im
P räs i di um .
Al l es
l i ef
z i em l i ch gut bi s, j a, bi s es d ann
passi e rt e. Es he rrs c ht e ger ade
völ l i g S t i l l e i m S aal . Ich wei ß
ni cht m ehr gen au waru m . Ich
gl aub e, ei n Bet ro ffene r hat t e
ge rade
sei n e
Erl ebni ss e
beri cht et und di e Leut e wa ren
ganz ei nf ach ersc hüt t ert . Da
pl öt z l i ch pl at z t e sie he raus m i t
dem S at z : 'W enn i ch gewus s t
hät t e, dass m ei n P a pa so et w as
m ag, w äre i ch m i t i hm frei wi l l i g
i ns Bet t ge gan gen. ' Das habe i ch
m i r wör t l i ch gem erkt - m i t
di esen Konj unkt i ven dri n. J eder,
wi rkl i ch j eder konn t e es hören .
Frau S chm i t t spri c ht (wenn si e
wi l l ) l upe nrei nes H ochdeut sch l ei der, m uss i ch sa gen i n di esem
Fal l ."
Frauk e benöt i gt e ei ni ges an
Behe rrschun g, um ni cht l aut
l osz ul achen,
was
di e
Vorsi t z e nde, i n deren Au gen
si ch noch i m m er ungl äub i ges
Ent set z en spi egel t e , si cherl i ch
übel
genom m en
hät t e.
Es
bedurft e se i ne r z war ni cht , doch
wäre di es der end gü l t i ge Be wei s
109
ge wes en, d ass es s i ch wi rkl i ch
um Dra u pad i hand el t e. W enn es
um i h ren hei l i gen P apa gi n g,
kannt e s i e kei n P a rd on.
" Ic h da cht e m i r z u nächst : S i e
wi l l provoz i eren, wi l l ei ne
Di s kus s i on ent fach en. Ic h f and
di e
Art
ei n
bi sschen
ges chm ackl os,
sc haut e
m i ch
nach den Bet ro ffen en um , wi e
di e
rea gi e ren.
Ic h
wol l t e
hi nt erher m i t i hr reden. Aber es
kam noch vi el s ch l i m m er. Al s
di e Di s kussi on dann l osgi ng,
bl i eb s i e st ur bei i hr er Mei nun g.
Nei n, das sei k ei n S cherz , da s
m ei ne s i e absol ut ernst . J a,
s el bs t verst ändl i ch h abe si e si ch
das gut überl e gt . Und si e
vers chont e uns au c h ni cht m i t
Be gründun gen, di e so pei nl i ch
waren, dass i ch am l i ebst en i m
Boden v ersu nken wär e. Ic h
vers i cher e Ihn en: Ic h dacht e fü r
ei nen M om ent , di es sei d as
Ende des Ve rei ns. W i e sol l t en
wi r j e wi ed er
gl aubwü rdi g
werden? "
"Und d ann? W as ha ben S i e
m i t i hr gem acht ? "
"S i e wa r j a i m V erei n nun
völ l i g unm ögl i ch ge worden. D as
s ah s i e i rgend wi e a uch ei n und
l i eß s i ch frei wi l l i g aus den
Li s t en s t rei ch en. S i e t aucht e ni e
wi eder auf. Abe r wi ssen S i e,
was außerd em noch passi ert
i s t? "
Frauk e hob di e S c hul t ern.
Frau C l aassen drüc kt e m i t ei ne r
wi s che n den Handbe we gun g übe r
den
Ti sch
i hr e
völ l i ge
R at l os i gkei t aus.
"Ei ni ge Bet rof fen e , di e wi r
bet reut hat t en, T eena ger so
z wi s chen z wöl f und sechz ehn
J ahren, di e wol l t en pl öt z li ch
auch ni cht s m eh r von uns
wi ssen .
Sie
w arfen
uns
re gel r echt gi ft i g v or, dass wi r
Frau S chm i t t ver gr aul t hät t en di e ei nz i ge, di e sich auskennt ,
di e ni cht nur dum m es Zeu g
l abert und so we i t e r . W as sa gen
S i e daz u? "
Frauk e hol t e t i ef Lu ft .
"Tj a. Kei ne Ahnun g. Al so, i ch
st ecke i n dem Th e m a ni cht so
t i ef dri n wi e S i e. Ich habe m al
i n ei ner Ferns ehsen dung gehört ,
dass
Mi ssbrauchs opfer
t rot z
al l em sehr l o yal z u i hren
Fam i l i en si nd. Di e wol l en dort
ni cht raus ge ri ssen werden. Di e
wol l en nur, dass si ch di e
Verhäl t ni sse änd er n, dass der
Mi ssbrauch aufhör t und so.
Nach m ei nem Ei n druck hab en
m anche Ki nde rs chu t z verei ne z u
sehr di e Tät e r i m Bl i ck. Da geht
es dann vor al l em darum , dass
m an Monst er z ur S t recke bri n gt ,
Ver gel t un g übt , ei n bi sschen
dem l i eben Got t vo rgrei ft . Ab er
i ch wi l l darüber ni cht urt e i l en.
Daz u h abe i ch gar kei n R echt .
Ic h en ga gi ere m i ch ni cht so wi e
S i e, o pfere kei ne Zei t für di es e
Di nge. Im G runde geht es m i r j a
nur um m ei ne S chul freundi n.
Ic h ve rs u che, m i ch i n si e
hi nei nz ude n ken. Und i ch gl aub e
ni cht , dass si e sol ch ei nen
Aufst and a n gez et t e l t hat , nur
um si ch wi cht i g z u m achen. "
"S i e h at i hren P ap a al s Ki nd
wohl sehr gel i ebt ? "
"Ga r
kei n
A usdruck! ",
m u rm el t e Fr auke.
"W i e bi t t e? "
"Ach, ni cht s."
"Könnt en S i e si ch vorst el l en,
dass ..."
"Nei n, könnt e i c h ni cht !",
ent ge gnet e Fr auke - ge rei z t er,
al s si e es ei gent l i ch wol l t e.
110
Danach ent st and ei ne l än ger e
P aus e. Al s das S chwei gen gar
z u b el ast end wurd e, bot Fra u
C l aassen ei ne Tass e Kaff ee an.
Das ent spannt e di e S t i m m ung
t at s ächl i ch.
"W i e auch i m m er: Ich m öcht e
m ei ne S chul fr eundi n unb edi n gt
wi eder seh en. W as können S i e
m i r rat en? S i e haben do ch
vi el l ei cht ei ne V e r m ut ung, wo
und wi e si e j et z t l ebt ."
Frau C l a assen da cht e nach.
"Na j a. Al so wenn Ihnen das
hi l ft : S i e i st si cherl i ch i m m er
noch
S ängeri n
ei ner
M us i kgru ppe.
De n
Nam en
bekom m e
i ch
ni cht
m ehr
z us am m en.
Ir ge n d et w as
Engl i sches. "
"W el che S t i l ri cht ung? "
" Ic h bi n schon z u a l t , um bei
der Musi k d er J ugendl i chen
noch durchz ubl i cke n."
"S i e hat si ch ei nm al für P unk
i nt eressi ert . Das si nd so Leut e
mit
bunt en
Haa ren,
Hundehal s bänd ern
und
z erri ssenen S ach en. "
"J a, das könnt e s ei n . S i e hat t e
m ei st ens ei nen gi ft grün en Zopf
al s Kranz um i hr schwarz es
Haar gel e gt . Zi em l i ch au ffäl l i g.
J edenfal l s
t rat
si e
dam al s
re gel m äßi g i n Fr ankfurt und
Um gebun g auf. S i e kön nt en si ch
ja
in
den
Kl ubs
m al
um schauen. "
"Das
kl i n gt
gut .
Vi el en
Dank! "
30
A
m S am st ag n ach i hrem
Treff en
mit
der
Vorsi t z enden
des
Ki nderschut z verei ns reservi e rt e
s i ch Frauk e ei nen vol l en Tag,
um
durch
Fr a nkfurt
zu
s chl endern. Di e C hance, d abei
t at s ächl i ch ei nen brauc hba ren
Hi nwei s auf Dr aupa di z u fi nden,
s chät z t e si e r eal i st i sch von
vornherei n
g eri n g
ei n.
Sie
bedauert e
sehr,
dass
Fr au
C l aassen si ch ni cht ei nm al
unge fähr an den Nam en der
Band e ri nnern ko nnt e. Doch
l os z uz i ehen auf gut Gl ück, gab
i m m erhi n ei n bess eres Gefühl ,
al s frust ri ert z u Hause z u
bl ei ben.
Von ei nem Kol l e ge n hat t e si e
erfah ren, dass es i m S -Bahnhof
Haupt w ache
ei nen
Ti cket ve rk auf gab u nd z war auf
der Eben e B . S el b i ge erwi es
si ch al s Lab yri nt h m i t Läden
l i nks und recht s (Bä cker m i t
Kuchen und bel e gt en Bröt chen ,
Fl ei sche r
mit
W urst
und
bel e gt en Brö t ch en, ...) F rauke
dacht e
an
ei n
al t es
C om put erspi el , bei dem si e al s
P unkt durch fast l eere R ä um e i n
Draufsi cht saust e, i m m er auf
der Hut vor b ösen Ugl ys
(dam al s, al s noc h P hant as i e
ge forde rt war). S i e dreht e ei ne
vol l e
R unde,
kehrt e
z um
Aus gan gspunkt z urück - und
en t deckt e
di e
V erkaufsst el l e
gen au dort . Hi nt er ei ner Art
Theke l auert en z wei Angest el l t e
auf
Ku nd en.
S c hl echt
für
Frauk e, di e si ch ei nfach nur m al
um schauen wol l t e. Fl i nk wi e
111
ei ne Di ebi n bem ä cht i gt e si e si ch
ei ni ge r Fl ye r und fl ücht et e.
Oben auf ei ne r Ba nk i n der
berühm t en Z ei l , von not ori sch
ei l i gen
Touri st en
um spül t ,
begut acht et e si e i hre Beut e.
Ei ner der Ver an st al t ungsort e
hat t e e i nen i nt eress ant en Nam en
und l ag ganz i n der Näh e, z u
Fuß e rrei chbar. Das N acht l eben
h at t e, wi e si ch z ei gt e, auch ei n
Tagl eben, n äm l i ch al s C afe .
Verm ut l i ch war vor l anger Zei t
von ei nem Erd gei st unt en re cht s
vom
Gebäude
des
Verkeh rs s i cherh ei t sam t es
ei ne
Ecke ab gekn abbert worden. Dort
hi nei n
kam
d ann
j enes
R es t aurant . Mi t t en i n der C i t y.
Von ei ne r b est i m m t en Uhrz ei t
an Di s co für Le ut e, di e S paß
haben wol l en. S chi cki m i cki s
verm ut l i ch. Ni cht s f ür Draup y.
W ar es übe rhaupt ei ne so gut e
Id ee,
di e
am
m ei st en
um worb enen
Kl ubs
abz ukl appern? Fra uke änd ert e
i hre Takt i k und s t udi e rt e di e
kl ei neren
P l akat e
an
den
Häus erw änden und di e i l l egal en
Hi nwei s z et t el
an
den
unm ö gl i chst en
S t el l en.
Das
m ei s t e passt e überhaupt ni cht .
(di e S u che na ch ei ner bi l l i gen
W o h nung,
der
Kursus
z ur
s pi ri t ue l l en Erl euch t ung i n acht
Tagen, de r Aufru f z um S t urz
des Kap i t al i sm us ...) Und di e
Bands , di e si ch vorst el l t en,
hat t en ga ra n t i ert ni cht s m i t
Draup y z u t un. Al so ebenf al l s
Fehl anz ei ge.
Al l m ähl i ch
wur de
si e
pfl as t erm üde. Der R ücken t at
weh.
D er
E nt h u si asm us
s chwand. S i e sch a ut e si ch nur
noch j edes dri t t e P l akat an,
wurde unkonz en t ri e rt . Zuw ei l e n
ert appt e si e si ch da bei , dass si e
nach südl ändi sch aussehende n
Mädchen i m Al t er von et wa
z ehn J ahren Au s schau hi el t .
Draup y
von
d a m al s.
Di e
ent deckt e si e m as senhaft . S i e
hal fen i hr z war bei der Lösun g
i hres P robl em s ke i n bi sschen
wei t er, übe rt ün cht e n abe r ei n
weni g di e Er fol gl o si gkei t . S i e
l ächel t e si e an un d m anc hm al
l ächel t en si e z urück .
Al s
si ch
am
spät en
Nachm i t t a g
i m m er
gebi et eri sch er
de r
Hunger
m el det e, gab si e v orl ä ufi g au f
und
st randet e
in
ei nem
gri e chi schen R est aurant . S i e
t rank z uerst ei n groß es Gl as
Li m onade f ast i n ei nem Zu g
l eer. Dann genehm i gt e si e si ch
ei nen üppi gen Akro pol i s -Tel l er.
S chl i eßl i ch, al s es i hr wi eder
gut gi n g, best el l t e s i e si ch noch
ei ne
Ka raf fe
R ot wei n.
Ge gen ü be r l i ef d as W asser ei nes
S pri ngbrunnens
gl ei chm äßi g
pl ät schernd
du r ch
ei ne
Lan ds chaft
mit
st i l i si ert en
ant i ken R ui nen. D as Ge räusc h
bracht e ei ne S ai t e i n i hr z um
S chwi ngen.
Ei n
angen ehm es
Gefühl
dur chst r öm t e
si e.
Al l erdi ngs br aucht e si e ei ne
W ei l e, um aus i hrem Gedächt ni s
den
Ursp run g
dafür
hervorz ukram en. D er Leh r gan g
i n Köl n. J uni 1990.
S i e arbei t et e d am al s für ei n e
Maschi nenbau fabri k .
Ei n
eh em al s vol ksei ge ner B et ri eb,
j üngst
in
ei n e
Gm bH
um gew a ndel t . Ni e m and wusst e
wi rkl i ch, was d as bedeut et e,
obwohl
in
den
hei ßen
Di skussi onen auf den Gän gen
j eder
sei ne
Mei nung
daz u
ab gab. Zum i ndest bah nt e si ch
112
ei ne Koop erat i on m i t ei ner
W es t fi rm a an. Vi er Kol l e gen
aus der ED V -Abt ei l ung wurd en
z ur
S chul ung
nach
Köl n
ges chi ckt . (W ei l j a bekann t l i ch
di e da drüben vi el wei t er si nd
auf di esem Gebi et .) Fr auke
gehö rt e z u den Ause rwähl t en.
W as befürcht et e si e ni cht
al l es ,
al s
si e
aufbrach
z u s am m en m i t den Kol l egen i n
ei nem gut en al t en W art burg!
Ti ef hi nei n i ns Gebi et des
Kl as senfei nds. S i e kam si ch vor
wi e ei n Kosm onaut auf Mi ssi on
in
unbekannt e
W e i t en
des
W el t al l s, wo grüne Al i ens m i t
Ant ennen au gen l aue rn. Doch i n
W ahrhei t erl e b t e si e dann ei ne
s o gl ückl i che Zei t , dass nur di e
weni gst e n i hrer U rl aubsrei sen
da
m i t hal t en
konnt en.
Der
Leh r gan g
w ar
ki nderl ei cht .
J edenfal l s aus i hre r S i cht . Di e
Tei l nehm er aus dem W est en
hat t en
verbl üff en der
W ei se
wei t aus m ehr S ch wi eri gk ei t en.
Al l ei n di eser Tr i um ph war
s chon den Au fwan d wert . Di e
Übungs au f gab en
hat t e
si e
s pät est ens
um
vi er
Uhr
nachm i t t ags erl edi gt . Dann gi n g
es auf Besi cht i gun gst our.
In d er Innenst adt i n t eressi ert e
s i ch kei n Mensch d a für, dass si e
aus dem Ost en kam . W enn si e
überhaupt j em and beacht et e,
dann al s Touri st i n. Al s ei n
s chäbi g gekl ei det er j unger Mann
s i e fra gt e, ob er ei n S t ück i hres
bel e gt en Bröt ch ens abbeko m m en
dürfe, st aunt e si e i h n an, wi e si e
es kurz z uvor m i t dem Dom
get an hat t e. Er m e i nt e es
offenba r ernst . S pät er erkund et e
si e di e S t adt s yst e m at i sch m i t
ei ner prei s günst i g erworben en
Broschü re. (das rö m i sche Köl n,
das m i t t el al t erl i che Köl n, das
m oderne Köl n.) Es gel an g i hr,
in
al l en
z wöl f
großen
rom an i schen
Ki r chen
ei n e
Führun g m i t z ue rl eben. Am Ende
war
si e
f ast
e i ne
Baust i l ex pert i n.
Zu
ei ni gen
di eser Ort e gew an n si e sogar
ei ne
em ot i onal e
Bez i ehun g.
Sankt Mari a i m K ap i t ol m i t dem
ge wal t i gen Kl eebl at t chor g e fi el
i hr am b est en. D ort saß si e
m anchm al über e i ne S t unde
ganz i n si ch ve rsun ken . W er s i e
dabei sah, hi el t si e verm ut l i ch
für
ei ne
vorbi l dl i che
Kat hol i ki n. (W enn di e ge wus s t
hät t en ...)
Und am Abend dan n gi n g s i e
re gel m äßi g i n j enes R est aurant ,
das i n i hren G edan ken für al l e
Zei t en ei n Inbe gri ff des Gl ücks
schl echt hi n we rden sol l t e. D en
Nam en wusst e si e bal d ni cht
m ehr. Aber si e er i nnert e si ch
noch an den S pri ngbrunn en,
wo ri n ei ne Mi ni at ur wasserm ü hl e
si ch unabl ässi g dr eht e; an di e
rust i kal en
Bö gen
und
di e
gem ü t l i chen W i nkel ; an di e
M u si k i m Hi nt ergrund von
i m m er dem se l ben Tonband; an
di e freundl i che K e l l neri n, di e
si e
al s
S t am m kundi n
akz ept i ert e, o bwohl si e si ch von
den
S pesen
(na ch
A bz u g
di verser Aus gaben für Ei nt ri t t
und
Broschür en)
nur
ei n
ei nz i ges G eri cht l ei s t en konnt e:
S oufl aki m i t P om mes und ei ner
C ol a (sowi e dem Gr at i s -Ouz o).
113
31
D
er Vol ksei gen e Bet ri eb
Maschi nenbau
B erl i n K öpeni ck
b est and
aus
z wei fl achen, abe r a u s ged ehnt en
P rodukt i on s hal l en und ei nem
(am
R and
gel e gen en)
z wei ges chossi gen
Verw al t ungsbau. Fr auke war am
Ende des S t udi um s ohne ei gen es
Daz ut un
dort hi n
verm i t t el t
worden.
(J eder
Hochs chul absol vent m usst e für
weni gs t e ns
drei
J ahre
dort
arbei t en,
wo
vol ks wi rt schaf t l i ch ges ehen der größt e B edar f b est and.) S i e
hat t e kei ne groß en Erwart u n gen
geh e gt . Trot z dem war si e ei n
bi s s chen en t t äuscht , al s si e i hr
künft i ges
W i rku ngs f el d
z um
ers t en Mal sah. Di e Ha l l en
s t am m t en noch aus der Zei t vor
dem W el t kri eg (d em z wei t en
i m m erhi n) und ass o z i i ert en bei
i hr Mohr und di e Raben von
L ondon . Dut z e n de der kl ei ne n
Gl as s chei ben feh l t en, was für
di e Arbei t er i m W i nt er si cher
kei n
Ver gnü g en
war.
De r
m aus gr aue,
b ara cke n ähnl i ch e
Verw al t ungsbau
wi rkt e
gl ei ch fal l s ni cht ei nl adend. Di e
EDV-Abt ei l un g
nahm
im
Erdg es choss di e recht e S ei t e
ei n. Di e Zu gan gst ü r war i m m er
abg es chl o s sen.
W er
Zut ri t t
hat t e, bekam ei ne n S chl üssel
(ge gen
Unt e rs c hri ft
im
Ans chl us s an ei ne B el ehrun g).
Li nks bef anden si c h drei kl ei ne
Büros
fü r
j e wei l s
vi er
M i t arbei t er (di e si ch dari n ei n
bi s s chen fühl t en wi e Kani n chen
im
Verkaufska rt on).
R echt s
st and der ES ER -R echner (au f
ei ner Fl äche d ersel b en Größe ).
Al s Frauk e i n i hr A rbei t sl eben
st ol pert e, war d a s Land i n
Au fruhr:
W endehe rbst
1989.
Dem ent spre chend erfuhr si e
von i hren neuen Ko l l egen m eh r
über
i hre
pol i t i schen
Vorst el l ungen al s über i hr e
fachl i chen Qu al i t ät en. Annet t e
Urban h at t e i hr W i ssen über den
Kapi t al i s m us aus zwei Q uel l en
ges chöpft :
dem
S t aat sbürgerkundeu nt e rri cht i n
der
S chul e
und
der
P ro dukt rekl am e
im
W est fernsehen. Frü her w ar i h r
di e erst e Qu e l l e hi nrei chend
pl ausi bel
erschi en en,
i nz wi schen gl aubt e si e eher der
z wei t en.
Al s
di e
W i ederv erei ni gun g
z ur
real i st i schen
Op t i on
wurde,
begannen i h re A u ge n z u gl änz en
wi e
bei
ei nem
Ki nd
an
W ei hnacht en. S i e hat t e i n de r
DDR ni cht schl echt g el ebt , doch
nun würde al l es noc h vi el besse r
werden. Ei n bi s s ch en fühl t e si e
si ch auch al s Opf er (b et ro gen
um 40 J ahre i hres L ebens).
W i l hel m W al d sah di e W el t
pess i m i st i scher. Obwohl auch er
kei n
W i derstandskäm p fer
ge wesen w ar, hat t e n i hm doch
sei ne ve rqu eren Id een bei den
ganz ha rt en Genoss en den ei nen
oder
and eren
R üffel
ei n gebra cht . Er ent wi ckel t e si ch
z um
Vol l bl ut gewerksch aft e r
(m i t
üppi gem
Bart
und
rust i k al em R ol l kragenpul l ove r)
- schon z u ei ner Ze i t , al s sei ne
Kol l egen
noch
gar
ni cht
114
wus st en, was ei n B et ri eb s rat i st
und woz u m an den braucht .
Das J ahr 1990 warf den
kl ei nen
VEB
und
sei ne
M i t arbei t er i n ei n t osendes
M eer.
K aum
e i ne
W oche
ver gi ng ohne ei n ne ues Gerü cht .
W el l enberg, W el l e nt al . C hefs
vers chw anden übe r Nacht , neu e
t aucht en
auf.
Abt e i l unge n
wurden
au f get ei l t
und
z us am m engewo rfen,
R ep arat ur en be gon nen und aus
Gel dm a n gel ab gebr ochen. Di e
Übernahm e
dur ch
ei ne
W es t fi rm a kam i ns Gesp rä ch.
Dann droht e di e kom pl et t e
Abwi ck l ung du rch di e gerad e
ge gründ et e
Treu handa nst al t .
S chl i eßl i ch ent st and doch noch
ei ne sel bs t ändi ge G m bH, di e am
neuen
M arkt
zu
b est ehen
vers ucht e.
W el l enberg,
W el l ent al .
J e besser di e Kol l egen den
real ex i st i erenden Ka pi t al i sm us
kennen l ernt en, d est o deut l i cher
ahnt en si e fr ei l i ch, dass di e
Fi rm a am Ende unt er geh en
würde, d ass si e m i t i hrem
hoffnun gsl os veral t e t en Invent a r
kei ne
C hanc e
hat t e
im
Konku rrenz kam pf. Ir gendw ann
begri ff das di e Meh rhei t . S obal d
al l erdi ngs j em a nd das Them a
di rekt ansprach, w urde er von
den a nde ren ni ede rgeschri e en.
P s ych ol o gi sche r S el bst schut z .
Der Febru ar 1991 z wang s i e
dann, der W ahrhei t i ns G esi cht
z u bl i cken. Nachdem schon
z uvor
z wei
Gehäl t er
ni cht
hat t en
ausbez ahl t
werden
können,
m usst e
di e
Geschä ft sl ei t ung
endgül t i g
Konkurs a nm el den. Frauke und
i hre Kol l e gen wu rd e n von ei nem
Tag au f den a nd ere n arbei t sl os .
Annet t e
U rban
t raf
das
besonders ha rt . Im bl i nden
Vert rau en
in
de s
Kan z l ers
bl ühende Lands chaf t en ha t t e si e
si ch "ei nen et w a s größ e ren
S chl uck
aus
der
P ul l e
gen ehm i gt ". Nun s t and si e da
m i t hohen S chul den und ohne
Ei nkünft e,
um
si e
zu
begl e i chen.
F
Zunä chst pl ant e si e, si ch
i nnerhal b
de r
nächst en
Vi ert e l st unde
z urückz uz i ehen.
( Ihr
W ei n
war
f as t
ausget runken. )
A ber
dann
ent wi cke l t e si ch doch noch ei n
Gesprä ch und z w ar ei n s ehr
aufschl ussrei ches. Nac h dem s i e
i hm (eher wi derwi l l i g und se hr
rudi m ent är) von i hr em Anl i egen
in
Frankfurt
e rz ähl t
hat t e,
konfront i ert e e r si e m i t ei nem
hal ben Dut z end Nam en von
Musi kkl ubs.
Offensi cht l i ch
kannt e
er
si ch
aus.
Das
wi ed erum wa r ei n gut er Grund,
noch ei ne W ei l e z u bl ei ben -
rauke wu rde aus i hren
Gedan ken geri ssen, al s ei n
Mann
m i t t l eren
Al t ers
l ächel nd fra gt e, ob am Ti sch
noch ei n P l at z frei sei . S i e war
al l es andere al s begei st ert , hat t e
k ei ne Lust auf Kon versat i on m i t
ei nem Her rn, de r si e wom ö gl i ch
für ei n ei nsam es Herz hi el t .
An dere rsei t s besan n si e si ch
d arauf,
d ass
fas t
nur
in
Deut sc h l and si ch Frem de erst
dann z usam m enset z en, wenn es
s i ch
a bsol ut
n i cht
m ehr
verm ei den l ässt . S i e wol l t e
ni cht u n höfl i ch sei n und ni ckt e.
115
auch auf das R i si ko hi n, dass er
fal s che S chl üsse z o g.
"Br auer ei ? Tat sächl i ch? In
Berl i n ent st eht , gl a ube i ch, ei n
Verans t al t un gshaus
mit
ähnl i chem
Nam e n:
Kul t u rbrauer ei . "
"Al t e Br aue rei en, di e kei n
Bi er m ehr he r st el l en und für
al l es M ögl i che gen ut z t werden,
di e gi bt 's i n m ehre ren S t ädt en.
Bei uns si nd da j et z t z wei
Gas t s t ät t en
dri n,
außerdem
vers chi ed ene P roj ekt e, soga r
ei ne W e rbea ge nt ur. "
"Und ei n R aum fü r Konz ert e."
"Gen au. Es können soga r z wei
Verans t al t un gen
gl ei chz ei t i g
s t at t fi n den."
"Und
wi e
ko m m e
i ch
d ort hi n? "
"Das fi nden S i e l ei cht ." Er
erkl ärt e es und m al t e daz u ei ne
S ki zz e auf sei ne S ervi et t e. "Und
bei m Bat schkapp können S i e
überhaupt ni cht s fal sch m ach en.
Das l i egt di r ekt a m S -Bahnhof
Es chers hei m . "
"W as hat es dami t a uf si ch? "
"M i t dem Nam en od er m i t dem
Kl ub? "
"M i t bei dem . "
" Bat s chkap nennt m an hi er bei
uns ei ne S om m erm üt z e. S i e si nd
ni cht i n Hessen geb oren? "
"Nei n. "
"W o kom m en S i e her? "
"Aus Berl i n. "
"J a, das dacht e i ch m i r gl ei ch.
Nun, der Kl ub i st Mi t t e der
S i ebz i ger ge gründ et worden.
W ar dam al s z i em l i ch l i nks und
aut onom vom C h ara kt er her. "
"Und heut e? "
"Ei gent l i ch i m m er noch. Aber
es t ret en ganz verschi ed ene
Bands dort auf. D as i st ni cht
m ehr nur S t udent ent reff. De r
groß e S aal rei cht auch für
Leut e, di e si ch s chon ei nen
Nam en gem a cht haben. Di e
hat t en dort i hre ers t en Erfol ge,
si nd dann i n di e W el t raus
gez o gen
und
k e hren
nun
gel e gent l i ch z u i hren W urz el n
z urück."
Aus der Vi ert el st unde wurde
ei ne ganz e S t unde. Al s Frauke
z urück i n R i cht ung D arm st adt
fuhr, hat t e si e erst ens di e
Erfa hrun g ges am m e l t , dass ei ne
Ei n l adung z u ei nem net t en
Gesprä ch ni cht z wangsl ä u fi g
ei ne pl um pe An m ache s ei n
m uss, und z wei t ens ei ne erst e
Ori ent i erun g
gewon nen
i nnerhal b
der
verwi rr enden
Geo gra fi e
d er
Fr ankfu rt er
Musi ksz ene. S chon am näc hst e n
Tag wol l t e si e m i t den ne uen
Erkennt ni ssen
im
Gepäck
z u rückkehren.
32
F
rauke
h at t e
i hr
Aut o
au ßerhal b des Ze nt rum s
gep arkt und suc ht e si ch
nun den W eg z ur Bauerei m i t
ei ner S ervi et t e i n der Hand. S i e
fand s i ch hervorr a gend z urecht
dam i t , nur sah es ei n bi sschen
sel t sam aus. Di e Gegend wi rkt e
übri gens ni cht , al s wü rden dort
wi l de R ockkonz ert e st at t fi nden:
drei geschossi ge
Mehrfam i l i e nhäus er ,
saubere
116
Vor gärt en,
bi eder er
Bal konschm uck.
Al l e rdi n gs
ent deckt e
si e
an
ei nem
Lat ernenp fahl d i r e kt vor dem
Kl ub ei nen han d geschri eb enen
Zet t el m i t der Bot s chaft : Bl aue
Umhänget asche
(Auf schri f t
Hamburg )
bei
Überf al l
ent w en det
w orde n.
Ent häl t
w i cht i ge Unt e r l agen. Oh, oh!
Ih re ei gene Um h änget asch e
fes t er fassend, bet rat si e d en
Hof der ehem al i gen Fabri k. Do rt
hat t e si e abe r ni cht das Gefühl ,
m i t ei nem Überfal l rec h n en z u
m üs sen. Ni cht um di ese Uhrz ei t .
Ih r fi el nu r di e spez i el l e
Unü bersi cht l i chkei t
auf,
di e
Indus t ri e anl a gen ge nerel l ei gen
i s t . Nachdem si e ei ne W ei l e
um hergei rrt war, bl i eb i hr Bl i ck
an ei ne m S chi l d hängen. Es s en T r i nken - K ul t ur . Daneben d er
Ei ngan g
zu
ei n er
kl ei nen
Gas t st ät t e. Da si e sowi eso esse n
wol l t e, sucht e si e si ch ei nen
frei en P l at z . Völ l i g v er geb ens
würde i hr Ausfl ug h i erher schon
m al ni cht sei n.
Andere rsei t s war si e ni cht
z um Ver gnü gen na ch Frank furt
ge fahr en. S i e m üsst e si ch spät er
är gern, fänd e si e j et z t ni cht
noch ei n bi sschen m ehr heraus.
Al s o raf ft e si e si ch auf, di e
Kel l neri n anz usprechen. W as
für Konz ert e es d en n so gäb e i n
nächst er Zei t . Und ob si e si ch
vors t e l l en könnt e, dass j em and
wi e Dr aupadi m i t ei ner Ban d
hi erher käm e. Lei de r m usst e si e
bei i hrer B eschr ei bung z i em l i ch
vage bl ei ben: Ei n Mi x aus z ehn
J ahre al t en Eri nn er ungen, dem
s ubj ekt i v gef ärbt en B eri cht von
Frau
C l aaß en
und
(al s
Haupt b est andt ei l )
frei er
P han t asi e. D i e Ke l l neri n hob
ent schul di gend di e S chul t ern.
Nei n, so genau wü rde si e si ch
ni cht auskennen.
Doch nun m el det e si ch j em and
vom Nachb art i sch. Frauk e h a t t e
den j ungen Mann schon ei ne
Zei t l an g aus den A ugen wi nkel n
beobacht et . Ei n T yp m i t l angen
Haar e (di e er höch s t en ei nm al
pro W oche k äm m t e), schw arz es
T-S hi rt m i t ei nem Monst er
drauf, u ral t e J ea ns. S chwer
best i m m bares Al t e r, vi el l ei cht
Mi t t e
Zw anz i ge r,
vi el l ei cht
j ü nger. Und ei ne p ot ent i el l e
Gefah r für di e Um hä nget asch e.
"He, das i st i ch j a echt cool ,
dass du auf so was st ehst . Hät t e
i ch di r e cht ni ch t z uget raut .
Aber das fi ndest du hi er ni cht .
Kannst du ver ge s s en ."
Er nahm sei n Bi er und z og z u
i hr an den Ti sch um (ohne
um st ändl i ches Nac hfra gen, ob
i hr das gen ehm sei ). S ei ne
S t i m m e war l aut und ei n
bi sschen sch ri l l . W ährend er m i t
i hr sprach, ri ss e r di e Au gen
auf, dass si e i hm f ast aus dem
Kopf rol l t en. Fr auke fra gt e si ch,
ob das Bi er und das Th em a
ausre i ch en konnt en, dass er s o
au f gekr at z t war.
"W el che Kl ubs has t du denn
schon ab gekl app ert ? He? "
Lei cht ei n gesc hü cht ert , sucht e
si e nach ei ner Ant wort , di e i hn
z ufri eden
st el l t e.
Sie
fand
kei ne, abe r er l i eß i hr ohnehi n
kei ne Zei t , si e z u ge ben.
"Das hi e r i st Fran kfurt . He?
Al l es t ot al versnobt . Echt z um
kot z en. Das m erkst du nat ürl i ch
auch i n den Kl ubs. Fi g u ren m i t
S t ock i m Arsch. Überal l , wohi n
du guckst . Du m usst echt
au fpassen, wo du da hi ngehst . "
117
Er t rank ei nen t i ef en S chl uck
von s ei nem Bi er. S i e ni ppt e
(m ehr aus Ve rl e genhei t denn
aus
Durst )
an
i hrem
M i nera l wasse r.
" Ic h em pfehl e di r das U.
W ars t du da schon? Laut er
l u s t i ge, fröhl i ch e Fre aks. Und
net t e Tü rst ehe r. Tol erant . W ei ßt
du? S ehen ni cht so gen au hi n.
Echt l i beral al so. Dort kannst
du noch du sel ber sei n. Das i st
wi cht i g. Vor al l e m hi er i n
Frank furt . Vor al l e m hi er."
Der nä chst e S chl uck Bi er.
"W i e kom m t 's ei gen t l i ch, dass
du auf P unk und so S achen
s t ehs t? He? Du si ehst echt ni cht
s o aus ."
" Ic h kenne ei ne S ä nge ri n, di e
so
was
m acht ",
m urm el t e
Frau k e. " Von der S chul e her.
S i nd
in
di esel be
Kl ass e
ge gan gen. Al s Ki nd er eben. "
"He ! Is t j a e cht coo l . Und wi e
hei ß t s i e? "
"Dr aupadi S chm i t t ."
"Dr aupadi ? Di e Fro nt frau von
L os t
C hi l dren ?
So
ei ne
Ind eri n? "
"J a, genau! "
Frauk es Herz m ac ht e ei nen
S prung. J et z t begl ückwünscht e
si e si ch i nnerl i ch da für, dass si e
i hrem
erst en
Im pul s
wi derst a n den h at t e und vor dem
sel t sam en T i sch gen ossen ni cht
ge fl ücht et wa r.
"Ve rdam m t !
Las s
m i ch
nach denk en! H e! D u hast echt
Gl ück.
Nächst en
Mi t t woch
m üsst e i m U wi eder LC -Ti m e
sei n. Das i st so hal b Ko nz ert
und hal b P art y. Ic h war auch
schon paar Mal d a. Musst du
erl ebt
haben.
Echt
gei l e
S t i m m un g. Mi t Freaks, di e du
da sonst ni e si ehst . S t raßenki t s
oh ne Kohl e kom m en um sonst
rei n. Ni cht nur w egen S oz i al
und so , sondern au c h we gen d er
S t i m m ung, wei l das si nd j a i hr e
di ckst en Fans. Für d i e m acht si e
di e S ongs. D aher der Nam e.
W ei ßt
du?
Also,
ni cht
ver ge s sen: Nächst e n Mi t t woch
i m U. W i rd di r echt g e fal l en. "
"Und wo i st di es es ... äh ...
U? "
"U6. W a rst du da echt noch
ni e? Du fährst m i t gen au di es er
U-B ahn bi s z um Ende. Dan n
recht s di e S t raße ho ch."
N
t at säc hl i ch ei n e V eranst al t un g
m i t e i ner Band n am ens L ost
C hi l dren
gepl a nt
war.
Ei nt ri t t skart en d af ür gab es
al l erdi ngs kei ne. ( " Di e m üssen
S i e si ch an Ort und S t el l e
beso r gen. ")
Anschl i eßend fuhr Frauk e m i t
der U - Bahn bi s Fr ankfurt Ost .
Das w aren nur dr e i S t at i onen,
ei n
Kat z ensprun g.
Al s
si e
j edoch vor dem Ba hnhof st and,
hat t e si e den Ei ndruck, schon
am S t adt rand z u s ei n. W ei t es,
ach j en er rudi m e nt äre n
Besch rei bun g
m ocht e
Frauk e si ch noch ni cht
auf di e S uche be geb en nac h
j enem
geh e i m ni s vol l en,
l i ber al en Kl ub, w o Draup adi
angebl i ch
am
kom m enden
M i t t woch au ft ret en würde. Abe r
sie
konnt e
si ch
im
Ti cket verk auf
an
de r
Haupt wach e
probl em l os
di e
gen aue Adress e b esor gen und
erfuhr b ei di eser Gel e genhei t
s o ga r, dass an j enem Ta g
118
frei es Gel änd e brei t et e si ch vor
i hr aus. G rün wi e ei n P ar k, ab er
weni ger gepfl e gt . Ei ne al t e
Hafen anl a ge,
deren
urs prün gl i cher
Zw eck l än gst
Ges chi cht e wa r. In der F ern e
l i eß der Mai n si ch a hnen.
Ei n Bl i ck auf den S t adt pl an
bel ehrt e si e, dass si e si ch auf
der fal schen S ei t e der Bahn
befand. Al so gut ! Das l i eß si c h
korri gi eren. Di e ri c ht i ge S t raß e
war dann probl em l o s z u fi nden.
Nun gi ng es (der T he o ri e n ach)
i m m er gerad eaus ent l ang de r
Gl ei se. S o wei t , so gut . Das
S ys t em
der
Hausnum m ernve r g a be
zu
ent s chl üssel n,
er wi es
si ch
al l erdi ngs
al s
überras chend
s chwi eri g. Ers t ens ex i st i ert en
nur
weni ge
S c hi l der
mit
ent s prech enden
Angaben,
z wei t ens l i eßen si ch m i t unt er
auf
kurz e r
Ent fernun g
at em beraub ende
S prünge
beobacht en.
Frauk e fi el ei n Ba uwerk auf,
das an ei n e F est ung eri nnert e .
Li nks neben der S t raße gi ng e s
hi nunt er i n e i nen Gr aben, d er
aber ni cht m i t W asser ge fül l t ,
s ondern
gepfl as t ert
war.
Dahi nt er ra gt e e i ne ri esi ge
Mauer aus rot en S t ei nen auf.
W urde dam i t l edi gl i ch de r H an g
abg est üt z t? Ganz oben gab es
ei ne R ei he F enst er ( al l esam t m i t
höl z ernen
Läden
versehen ),
ganz u nt en m ehre r e Ei ngän ge
(di e i n den Ber g hi nei n führt en
wi e
S t o l l en).
Ei ne
Leu cht rekl am e wi e s auf ei n e
Aut orepar at urwe rkst at t hi n.
S i e hät t e ge rn m eh r erf ahren,
doch si e wa r ni ch t auf ei ne r
S t adt b esi cht i gun g, sondern auf
Kl ubsuche. Und da bei kam s i e
ni cht we i t er. Aus gerechn et di e
Num m er, di e si e braucht e, l i eß
si ch bei m best en W i l l en ni cht
l okal i si eren. Drei m al l i ef s i e
den fr a gl i chen B ere i ch auf und
ab. Kei n U6. S ol l t e si e al s o
kurz
vor
dem
Zi el
noch
schei t ern? Nei n, nat ürl i ch ni cht !
S i e braucht e nur j em ande n
fra gen. ( Zum B ei spi el i n j ener
W erkst at t )
Do ch
ei ne
i rri t i erende Vo rst el l ung st i e g i n
i hr hoch: S ol che Kl ubs sucht
m an ni cht m i t dem S t adt pl an i n
der Hand. Do rt hi n l ässt m an
si ch m i t ne hm en
von gl ei ch
gesi nnt en Fr eu nden . W enn m an
daz ugehört , d ann w ei ß m a n, wo
das i st , und ansonst en hat m a n
dort ni cht s z u suchen.
33
T
rot z des Mi sserfol gs bei m
Erkundungst ri p
war
Frau k e am Mi t t woc habend
z u versi cht l i ch, an s Zi el z u
gel an gen. Di es e rschi en i hr
i nz w i schen al s da s g eri n gst e
P robl em . S i e wus st e vi el m ehr
gener el l ni cht , wor auf si e si ch
ei nl i eß. Dennoch em pfand s i e
ei nen Anfl ug von Euphori e:
Ni cht s G eri nger es st and i hr
bevor, al s e i ne R ei se i n ei n e
andere W el t , vi e l l ei cht m i t
Fol gen, wom ö gl i ch dem B e gi nn
ei nes neuen Le be nsabschni t t s .
Ni cht z ul et z t darum brach si e
119
m i t ei ner G ewohnh ei t : S i e fuhr
ni cht m i t i h rem Audi nach
Frank furt ,
so n der n
benut z t e
S t raßenbahn
und
R egi onal ex press. Tr eu bl i eb si e
s i ch nur dahi ng ehe nd, dass si e
im
Voraus
den
Fahrpl an
s t udi e rt e
und
s i ch
g enau
not i ert e, wann si e spät est ens
den R ückwe g an t re t en m usst e,
um di e l et z t en An schl üsse z u
errei chen.
Um den Kl ub z u fi nden, war
s i e ni cht ei nm al auf and er e
Konz ert b esucher an ge wi esen: In
der Däm m e run g f i el i hr der
l eucht ende
W ürf el
mit
der
Aufs chri ft U6 sof ort auf. S i e
braucht e nur i n de n om i nösen
Graben hi nunt e r z u st ei gen und
di es em bi s z um Ende z u fol gen.
Dort war m i t ei ne r Heck e ei n
ge radez u i d yl l i sche r Berei ch m i t
hal bhohen Bäum e n ab g et ei l t .
Unt er
S chi rm en
st anden
Bi erz el t t i sche, di e
si ch i m
Hochs om m er si che rl i ch groß er
Bel i ebt hei t
erf reu t en.
Et was
v ers t eckt führt e e i ne Tür i n
z wei gem au ert e R ö h ren hi nei n.
W as
auch
i m m er
das
urs prün gl i ch ei nm a l war, j et z t
ei gn et en
si ch
di e
R äum e
hervorr a gend
für
Verans t al t un gen i n bel i ebi ger
Lau t s t ä rke.
W as i hre Befür cht ung an gi n g,
das s s i e auffal l en w ürde wi e ei n
Ei s bär i m Urw al d, behi el t si e
al l erdi ngs R echt . D age gen h ät t e
auch
ei ne
angep asst e
Kl ei de rordnun g ni c ht gehol f en.
Di e
an der en
waren
f ast
durchwe g j ü n ger - skurri l e
T ypen z um ei st . Zum Gl ück
herrs cht e
ei ne
au ffäl l i g
ent s pannt e
S t i m m ung,
w as
m ögl i cher wei se z u sam m enhi ng
mit
dem
(sel bst
ei nem
Unb edar ft en ni cht verbor gen
bl ei benden) Ma ri huanakonsum .
(Net t e Türst ehe r. Echt l i beral .)
Dadurch
hat t e
Frauk e
weni gs t e ns kei ne A ngst m eh r, i n
grö ß ere
S chwi eri gkei t en
zu
ge r at en.
Der
Ei nt ri t t sprei s
bet rug z wanz i g D -Mark. Di e
m ei st en b ez ahl t en i hn auch,
doch we r gen au hi nschaut e,
konnt e
sehen,
dass
di e
Verkäu fer Ausnahm en z ul i eßen.
Di e Ent schei dun g d afür l a g
offenba r i n i hrem E rm essen.
Manchm al gab es Di s kussi onen.
Nach l än ger em Zö gern set z t e
si ch Frauk e auf ei n en P l at z am
R and,
von
dem
aus
si e
ei ne rsei t s di e Büh ne gut sah,
der i hr ab er and e rersei t s das
Gefühl gab, si ch n ot fal l s l ei cht
z urüc k z i ehen z u können. Kaum
hat t e si e si ch ni e der gel assen,
wurde si e an gesproc hen.
"Du bi st z um erst en Mal hi er.
Oder? "
S i e dreht e si ch z ur S ei t e und
bem erkt e
ei n
et wa
sechz ehnj ä hri ges
Mädchen.
R uhi g und unau ffäl l i g, l ei cht z u
übersehen, ab er fre undl i ch und
offen
s o gar
Frem d en
ge genüber. Ihre Fra ge l i eß
darauf
s chl i eßen,
dass
si e
re gel m äßi g k am - i n den Kl ub
oder z u Draupadi . A ndere rsei t s
s ah si e ni cht so au s, al s ob si e
m ehrm al s i m Monat z wanz i g D Mark ent beh ren kön nt e.
" Ic h
wohne
e rst
sei t
J ahresb egi nn i n d er Ge gend",
wi ch Fr a uke aus. ( W as m usst e
si e t un, um das unverdi ent e
Vert ra u en ni cht gl ei ch wi eder
z u verspi el en? !) "B i n ei gent l i ch
Berl i ne ri n. Und ... äh ... i ch
m ag di e Band ... d as hei ßt : vor
120
al l em
di e
S äng eri n."
De n
Zu s at z , dass si e al l e C D's von
Draupadi
besi t z e
und
si ch
i m m er wi eder anhö re, l i eß si e
l i eber w e g. S i e wus st e j a ni cht ,
ob es sol che C D 's i m Handel
überhaupt gab.
"J a, si e i st ri cht i g gut ",
ent ge gnet e
d as
Mädchen,
s i cht l i ch begei s t ert . "Dass si e
bei den groß en S hows ni cht
m i t m acht , l i egt dar an, dass si e
es ni cht wi l l . S i eh di r doch an,
was für ei n S ch ei ß di e da
bri ngen i m F erns e hen! Dam i t
wi l l si e ni cht s z u schaffen
haben. D as i st es. "
Frauk e ni ckt e und m usst e i hre
Überz eu gt hei t
ni cht
ei nm al
h euchel n.
Drau padi ,
di e
Id eal i st i n - das pass t e schon.
"Du bi st wahrs che i nl i ch oft
bei i hren Konz ert en dabei ? "
" Zi em l i ch o ft . Im m er, wenn
s i e hi er i n d er Nähe auft ri t t . Ich
hei ße übri gens J essi ca. "
Frauk e sa gt e ebenf al l s i hren
Vornam en
und
fühl t e
si ch
erl ei cht e rt . Zum ei n en hat t e si e
nun
j em anden,
der
i hr
Erkl äru n gen gab, z um and eren
war
si e
e i ni germ aß en
l egi t i m i ert . (Vi e l l ei cht dacht en
j a di e and eren nun, si e wäre
z us am m en
mit
J essi ca
gek om m en. )
Nach und n ach su cht en si ch
auch di e ander en ei nen P l at z .
(Ei gen t l i ch hät t e das Konz ert
s chon
vor
z ehn
M i nut en
begi n n en sol l en, do ch di e kl ei ne
Un pünkt l i chkei t em pfanden al l e
offenba r al s no r m al .) Zwei
S t uhl rei hen wei t er vorn m acht e
s i ch ei ne Grupp e J ugendl i cher
brei t : l ange, wi rr e, kunt erbunt
ge färbt e
Ha are;
z erri ssene
Ho s en und J acken; Led erb änder
m i t ri esi gen Met al l dornen um
Hal s und Hand gel e nke. P unker
von der un gepfl e gt e n S ort e, di e
i hr
Im a ge
z usätz l i ch
unt erst r i chen
dur ch
l ässi ge
Hal t ung und co ol e S prüch e.
Frauk e war ei n w e ni g gene rvt .
J essi ca i ndes kannt e ei ni ge von
i hnen und grüßt e.
"Das dort i st D ef ect ", erkl ärt e
si e. "Ei gent l i ch he i ßt er R i co,
aber so nennt i hn k ei ner i n d er
S z ene."
Defe ct oder R i co wa r m i t z wei
Be gl ei t e rn
gekom m en,
ei ner
Freundi n und ei nem große n
schwarz en Hund un defi ni erb a rer
R asse. Dass er d en Hund l i ebt e,
sah m an deut l i ch. W i e er z u
s ei ner Freundi n st and, m us s t e
m an ahnen. S i e hat t e si ch z war
den andere n P unkern angep ass t ,
wi rkt e aber i r gen dwi e ni cht
gl ückl i ch dam i t . J ede nfal l s w ar
das Fr a u kes Ei ndru c k.
"Kennst du das Mädchen
neben i hm auch? "
"Na kl ar. Das i st Q." (S i e
sprach es en gl i sch a us: Kj u)
"W as i st denn da s für ei n
Nam e? "
"Kei n e Ahnun g, woher das
kom m t ."
"Di e h aben wohl al l e ei nen
S pi t z nam en? "
"J a. Das st i m m t . Fast al l e."
"Du au ch? "
"Nei n. Ic h gehöre da ni cht
daz u. Ich kenn e di e ei gent l i ch
bl oß von den Konz ert en her. "
J essi ca gab noch z u anderen
Besuch ern
Kom m ent are
ab.
Nach ei nem von i h nen, den s i e
ni cht
erw ähnt e,
erkundi gt e
Frauk e si ch anschl i eßend. Ei n
m i ndest ens
fünfz i gj ähri ge r
Mann, m i t Abst and der Äl t es t e
von al l en. Aber best i m m t ni cht
121
z ufäl l i g dort . Er un t erhi el t si ch
ges t i kul i er end m i t sei nen bei de n
Nachba rn und war z wei fel l os
akz ept i ert .
"Das i s t S chorsch. Ich gl aub e,
dem geht 's ni cht so sehr um di e
M u s i k. D er m a g nu r Draup adi s
Tex t e."
"W i e s ol l i ch das ve rst ehen? "
"Er i s t Gewerks c haft er ...
Kom m uni st . S o ei ner, der d en
Kapi t al i s m us abschaffen wi l l . "
S i e l ächel t e und es bl i eb unkl ar,
ob s i e gut fand, da s z u wol l en,
oder nur a l b ern.
Frauk e hakt e n ach:
"Und Dra up adi ? Ist di e dei ner
M ei nung
nac h
auch
Kom m u ni st? "
J etz t l acht e J essi ca l aut und
fröhl i ch.
"Hast du An gst , dass du
P ro bl em e kri e gst ? "
"Ach w as! In m e i nem J ob
spi el t das kei ne R ol l e."
"S chorsch
würde
Draupadi
ge rn i n sei ne P art e i hol en. S i e
sol l dann bei d e r W ahl a nt ret en,
R eden hal t en und so . Ich gl aub e
schon, dass si e das könnt e. Abe r
si e wi l l ni cht . P ol it i k i st ni cht
i hr Di ng. S i e wi l l u n abhän gi g
bel i eben von al l di e sem Zeu gs."
"Ve rst ehe ! Das i st vi el l ei cht
auch besse r so."
"Auf al l e F äl l e. "
34
E
ndl i ch t at si ch et was auf
der
Bühn e.
W ei l
di e
m ei s t en
Zus chauer
i nz wi s chen
saßen,
konnt e
Frauk e
deren
A nz ahl
übers chl a gen.
Sie
kam
auf
ei nhunder t fünfz i g. Mi ndest ens.
Genaue r wusst e si e es ni cht ,
denn s i e überbl i ck t e di e l an g
ges t r eckt e R öhr e n ur t ei l wei se.
Dan n dreht e si e si ch wi eder
nach vorn und w ar j et z t so
ges p annt , dass si e di e Händ e
k net et e wi e ei nst al s Ki nd i m
P up pent heat er.
Sie
fürcht et e
noch
i m m er,
di e
bösart i ge
P rophez e i ung
der
Zi t t l a uers
könnt e
si ch
best ät i gen,
i rgend wi e.
Ers t al s si e Drau padi sah,
beruhi gt e si e si ch. Das wa r eh er
di e
P ersönl i chkei t
aus
der
P i oni erz ei t al s j ene von der
Be ge gnu n g i m Kr an kenhaus. Di e
P unkel em ent e
geh ört en
z um
Auft ri t t : das auf fäl l i ge (fü r
un vorberei t et e Leut e wohl au ch
schocki er ende)
S t achel drah t st i rnban d,
der
(z usam m e n
mi t
dem
S t achel draht ) ei nm al um den
Kopf geschl un gen e neo ngrüne
Zopf,
di e
ei ngeri ssene
J eanshose, di e kl obi gen S ch u he.
Di e Ausst rahl ung war weni ge r
anarchi st i sch. Von A n fan g an
st and si e i m Kont akt m i t i hren
Fans. Bem erkun gen fl ogen hi n
und her. P a rt yst i m m ung, wi e
von dem Freak aus der Br aue rei
an gekündi gt .
"W ei ßt du, dass di e Ki rche si e
verkl a gen
wi l l? ",
fl üst ert e
J es si ca.
"W arum denn das ? "
122
"W ei l si e an geb l i ch J esu
C hri st us verungl i m p ft ."
"S o ei n Unsi nn! Al l erdi ngs:
W as wi l l si e eigent l i ch i n
W i rk l i chkei t aussagen m i t dem
S t achel draht ? "
J es si ca hob di e S chul t ern.
"W ei ß i ch auch ni cht so genau.
Aber i st doch cool . Oder? Und
es gehö rt nun ei nm al z u i hr. S i e
t ri t t j a schon i m m er so auf."
Al l erdi ngs , dacht e Frauk e bei
s i ch.
Ei ne l et z t e kurz e P ause t rat
dadurc h ei n, dass Draupadi aus
unerfi n d l i chen G rü nden Höhe
und W i nkel i hres Mi krofons
noch ei nm al ve rst el l t e. S i e l öst e
di e S chrauben a m S t änder,
drückt e
und
s chob
mit
ge runz e l t er S t i rn, dreht e di e
S chrauben wi eder fe st . Am Ende
der u m st ändl i chen P roz edur war
al l es wi eder wi e z uvor. J essi ca
ki chert e hi nt e r v orgehal t ene r
Hand und raunt e z u Frauk e
hi nüber:
"Das m acht si e oft . Ei ne
kom i sche Marot t e. Ni cht wahr? "
"Vi el l ei cht hat si e al s Ki nd
m al
schl echt e
Erfahrun gen
ges am m el t
mit
ei nem
M i krofon."
J es si ca
schaut e
Fra uk e
m i s s t raui sch i ns Gesi cht .
"Du bi st doch ni ch t et wa so
'ne bl öd e P s yc hol ogi n? "
"Nö. K ei n bi sschen. "
Di e erst en Töne erkl an gen.
S chwere R o ckm usi k bracht e di e
R öhre
z um
Vi bri eren.
Di e
Zus ch auer dari n wurden vom
d u m p fen
R h yt h m us
durch gerü t t el t wi e ei n Arbe i t e r
am P ressl uf t ham m er. Di e das
S chl agz eu g
ü berl a ge rnden
Gi t arrenkl än ge ufe rt en i m m er
wi eder i n s chri l l e Exz ess e aus.
In di eser Hi nsi cht hat t e Fr auke
i hre Freundi n u nt er schät z t . Das
war kei n P i o ni er chor m ehr.
Draupadi hat t e z u vi el ges eh en
und erl ebt , um noch di e schöne,
hei l e
W el t
zu
besi ngen.
T ödl i cher T raum war ei n S ong
über Dro gen, de r z we i fel l os
warnen sol l t e, der dabei j edoch
auch
so
vi el
Verst ändni s
ausdrückt e, d ass er l et z t l i ch
hi nausl i ef auf ei ne verst örend e
Grat wand erun g.
Der
Tod
erschi en
al s
Dr o hung
und
m ögl i che
Erl ösung
gl ei ch erm aß en. Bei SOS i n der
verpi sst en U nt erf ührung brül l t e
Draupadi di e ga nz e P al et t e
übl er
Haus wan d sprüch e
nat ural i st i sch unver b l üm t i n den
S aal . Ni em and nahm Anst oß
daran. D en F ans l e ucht et en di e
Augen. S i e fa nd en si ch wi ede r.
L ost C hi l dren hat t e z wei fel l os
ni cht den kom m erz i el l en Erfol g
i m Auge. Hi nt er d em Konz ept
st eckt e ei n Anl i ege n . Di e T ex t e
waren d eut schspra c hi g und gut
z u verst ehen. Das ände rt e aber
ni cht s daran, dass Frauk e di e
Fl ucht e r gri ff en hät t e, wä re
ni cht
Draup y,
i hre
bes t e
Freu ndi n ,
di e
S än geri n
ge w esen. Di e R öh re war m i t
Lä rm an gefül l t bi s z um R and.
Di e Band gi n g gnad enl os bi s an
di e
S chm er z grenz e
un d
darüber hi n aus.
Nach fünf Ti t el n di eser Art
ändert e
si ch
d er
S ound
al l erdi ngs
abru pt .
Das
L i ebesl i ed
hi el t ,
was
es
verspra ch.
Di e
ei nprä gsam e
Mel odi e
und
d as
bei nah e
sent i m ent al e Them a st anden i m
t ot al en Gegensat z z u a ll em
Vorheri gen - z um i ndest auf den
erst en Bl i ck. Et was b esor gt
123
s chaut e Frauk e i n di e R unde.
Di e
Fans
fol gt en
de r
Kehrt we n dun g. W er den Hal t
verl o ren
hat
und
si ch
durchs chl ä gt i n ei ner rüden
W el t , i s t de n noch ni cht ohne
S ehns ucht .
Bei m
ge naue ren
Hi nhören e rs chi enen di e ruhi gen
S ongs ü bri gens auc h gar ni cht
m ehr s o arg ki t schi g. S i e
endet en o ft i n real i st i scher
Ernücht erun g. Und Draupadi s
S t i m m e war z u rau für echt e
S chm us em usi k. (Opernsän ge ri n,
i hr Beru fsz i el al s Ki nd, hät t e
sie
verm ut l i ch
ni e
werden
k ön nen.)
Di e At em pause gab Fr auke
Gel e genh ei t ,
si ch
di e
Bandm i t gl i ed er
genaue r
anz us ehen. N ach D raupadi war
der M ann am Ke ybo ard de r
größt e Bl i c k fan g. E i n R i ese m i t
dunkl er
Le de rkl ei dun g.
S chi rm m üt z e und S onnenbri l l e
gab en i hm ei n z i em l i ch fi nst eres
Aus s ehen. An ei ne m ei nsam en
Ort wäre Fra uk e i hm wohl
aus gewi chen . Di e j unge Fra u
m i t der El ekt ro gi t a rre bi l det e
(gewol l t oder z ufä l l i g) das
Ge gens t ück
zu
i hm .
Mit
Al l t ags kl ei dun g
und
s chul t e rl an gem Bl ondhaar hät t e
s i e vorn vi el l ei cht depl az i ert
ge wi rkt .
Hi nt en,
hal b
im
S chat t en, fi el si e o pt i sch kaum
auf. Ab er si e war verm ut l i ch
ei ne
gut e
Mus i keri n.
De r
Bas s i s t wi ed erum e rweckt e den
Ei ndruck, al s h ät t e Draupadi aus
P ers ona l m an gel j em anden aus
dem P ubl i kum auf di e Bühne
gehol t . B ei i hm fra gt e si ch
Frauk e,
ob
di e
st rähn i gen
l angen
H aar e
und
di e
s chl am pi ge
Kl ei dung
ei n
Kos t üm waren ode r das Zeu gni s
ei ner Le bensw ei se. Aber s ei nen
J ob
erl edi gt e
er
wohl
z uverl ä s si g. S ehr a uffäl l i g t rot z
sei nes P l at z es wei t hi nt en war
der A f ri kane r am S chl agz eu g.
Ei n unerschü t t erl i c h fröhl i che r
T yp, st ändi g i n Be we gun g wi e
ei n Gum m i bal l . Frauke m usst e
l ächel n,
sobal d
i hr
Bl i ck
z ufäl l i g auf i hn fi el .
Dann w echsel t e d er S ound
aberm al s,
wi ede r
nahez u
über gan gsl os. Ei ne R ei he Ti t el
dreht e si ch um Them en, di e
l et z t l i ch fast j eden bewe gen und
aufr e gen: W i rt scha ft bosse m i t
di cken
G ehäl t ern,
di e
i hr e
An gest el l t en erst au sbeut en und
dann auf di e S t raße set z en;
rei che F a u l enz er, di e von de n
Zi n sen d es gee rbt en Verm ö gens
l eben; P ol i t i ker, di e kei nes i hrer
Verspr echen
h a l t en
und
i nsgehei m
mit
Ihres gl ei chen
über das dum m e W ahl vol k
l äs t ern.
Das
ent sprach
si cherl i ch d em G eschm ack vo n
S chorsch, dem K om m uni st en.
Frauk e, di e gel e rnt e DDR Bür ge ri n,
wu nd ert e
si ch
al l erdi ngs, dass m an das i n al l e r
Öffent l i c hkei t so k rass bri n gen
durft e.
Oder
du rft e
m an
das
ei gen t l i ch
ga r
ni cht?
Das
Mari huana, dessen Dünst e durch
di e R öhre wabe rt en, war j a
schl i eßl i ch
au ch
verbot en.
W i eder pei l t e Fra uk e verst ohl en
di e La ge, di e sm al nach d er
P ol i z ei Au s schau hal t end. Das
al l es hat t e si e si ch z uvor ei n
bi sschen
a nders
vorgest el l t .
Draupadi
war
doch
auch
gel ernt e DDR - Bür ge ri n, m ehr
noch: si e w ar di e T ocht er ei nes
S t asi offi z i ers.
Doch
Herr
S chm i t t z äh l t e wohl ni cht i n
124
di es er Hi nsi ch t . Von dem hat t e
s i e gewi ss kei ne Le kt i on i n
duckm äuseri sch em
B enehm e n
gehö rt . Eher wa r er (wenn auch
unbeabsi cht i gt ) di e Mot i vat i on,
das s si e j et z t von Schw e i nen i m
Anz ug sang.
Nach
un gefäh r
neunz i g
M i n ut en fol gt e de r vi ert e Tei l
des Konz ert s und m i t i hm für
Frau k e
di e
nächst e
Überr aschun g. De r Über gan g
vol l z og si ch di esm al gl ei t end.
Der Gesan g und m i t i hm di e
i nhal t gel ad enen T e x t e t rat en i n
den Hi nt er grund. Der nunm ehr
s ehr gl ei chm äßi ge R h yt hm us
vers et z t e den Kö r per i n ei ne
S chwi ngun g, di e a l l m ä h l i ch i n
ei ne Art Tran ce ver set z t e. Hel l e
Gi t arrenkl än ge
dr a n gen
i ns
Gehi rn und l öst e n dort auf
m ys t eri öse
W ei se
ei n
ang enehm es, fast ekst at i sches
Gefühl aus.
Frauk e
fra gt e
si ch,
ob
Drau padi di e ps ychedel i sche n
Effek t e du rch r ei n es P robi eren
ent deckt hat t e od er ob s i e si ch
auch t heoret i sch d a m i t befasst e.
Al s Lai e konnt e s i e si ch di e
W i rkung
j edenf a l l s
ni cht
erkl är en.
D a ss
di e
m ari huanasel i gen P unker d avon
abhoben,
war
ja
noch
vers t ändl i ch. Ab er J essi ca, di e
ni cht unt er D ro ge n st and und
auch kei n en Al koh ol g et runken
hat t e, rea gi ert e ge na uso. Und
s el bst Frauke al s ske pt i sch
ei ngest el l t e
Ni ch t ei ng e wei ht e
spürt e es deut l i ch.
Draupadi st eu ert e f ür di e an
Obert önen rei che K l angw el t ei n
ex ot i sches S ai t eni nst rum ent bei
und
gab
ei n
Vorbi l d
im
Ver ge s s en des Al l t ags, i ndem
si e schei nbar wel t ent rückt di e
Au gen schl oss. Aber si cherl i ch
wusst e si e no ch se hr wohl , w o
si e war und w as s i e t at . N ach
Frauk es
Überz eu gun g
m i s s braucht e
si e
das
Inst rum e nt , dam i t es i n i hr
Konz ept passt e. Di e Musi k bl i eb
z upackend. Kei n fernöst l i ches
Gez wi t s cher.
Frauk es anf än gl i c he S orge,
dass si e Mi ssfal l en er re gen
würde,
hat t e
si ch
al s
unbegrü ndet erwi es en, ni cht nu r
Dank
der
Be ge gnun g
mit
J essi ca. Inz wi schen verst and s i e
z udem i m m er bess er, w as di e
Band
v erm i t t el n
wol l t e.
Trot z dem hat t e si e das G efühl ,
dass i n der R öhre noch et was
abl i ef, wo ran si e ni cht t ei l nahm ,
et was S ubt i l es, das i hr ni cht
ei nm al
b ewusst
wurde.
Mi ndest ens di e Häl ft e der Ti t el
war den Fans o ff enbar ni cht
neu, denn si e san gen si e m i t .
W arum kam en si e i n di eser
sensat i onssücht i gen
Zei t
t rot z dem? Verm ut l ich, wei l s i e
ei ne Art Gem ei nde bi l det en und
wei l das Konz ert e i ner ri t uel l en
Zusam m enkun ft
gl ei chk am .
Ersat z rel i gi on.
35
125
N
ach z wei Zu gab en war
das Konz ert z u End e. Di e
m ei st en Besuch er st anden
auf und st re b t en d em Aus gan g
z u. Da s i ch di e R öhre nur auf
ei ner
S ei t e
verl assen
l i eß,
erford ert e
d as
ei ni ges
an
Gedul d. Frauk e m ocht e ni cht
daran de nk en, das s hi er dri n
auch m al ei n F euer ausbrech en
könnt e. An di esem Abend hat t e
s i e es al l e rdi n gs t at sächl i ch
ni cht
ei l i g,
denn
s el bs t verst än dl i ch wo l l t e si e
noch m i t Draupadi persö n l i ch
reden. Di e Band wa r i nz w i schen
in
ei nen
Nebenraum
v ers chwu n d en.
Ei ne hal be S t un de spät er
wurde
d as
Haupt l i cht
abges chal t et . Di e verbl i ebene n
Lam p en gaben der R öhre nach
al l dem Au fruhr z uvor di e
anhei m el nde S t i m m ung ei nes
überdi m ensi on al en
W ohnz im m ers. Auf der Bühne
wurde di e Techni k ausei nande r
genom m en
und
ei ngep ackt .
Ob wohl das z um Tei l ei n
Knoche n j ob war, packt en ei n
Dut z end Fans m i t z u, daru nt er
ei ni ge der sonderb a rst en T ypen.
Frauk e
wunde rt e
si ch,
mit
wel chem E i f er z um Bei spi el
R i co s i ch b et ei l i gt e.
Ei n Bl i ck auf di e Uhr z ei gt e
i hr, das s si e bi s z u i hren l et z t en
An s chl üs sen noch et was Zei t
hat t e. Dr aupadi m usst e auf
j eden Fal l noch ei nm al nach
vorn kom m en - um si ch bei den
Hel fern z u bedank en. Und so
ges chah es ei n e Vi ert el st unde
s p ät er
auch
t at sächl i ch.
Al l erdi ngs b rauc ht e Fr auke si e
dann ni cht ex t ra a nz usprechen
(und z u e rkl ären, wer si e i st ),
denn si e st euert e von si ch aus
di rekt auf si e z u.
"Hal l o! Du bi st m i r schon von
der Bühne aus auf ge fal l en.
Un gl aubl i ch ! Di e F reundi n aus
al t en
Ta gen.
Ei n
S t ück
Ver ga n genhei t . S o sagt m an
doch?
Wi e
hast
du
m i ch
ei gent l i ch gefu nden ? "
"Na j a: Ei nfach war 's ni cht ."
Draupadi f reut e si c h ehrl i ch obwohl si e nach j enem ei ne n
Bri ef
aus
dem
W est en
verm u t l i ch ni e wi eder versucht
hat t e ,
mit
i hr
Kont akt
au fz unehm en, au ch nach d er
W ende ni cht . Do c h das w ar
ni cht der Zei t pu nkt , sol che
Fra gen z u st el l en. Frauk e n ahm
es j eden fal l s ni cht pe rsönl i ch
und genoss ei nfa ch nur da s
W i edersehen na ch der l an gen
Trennun g.
"W i e geht es di r? Du hast
dei ne Best i m m ung gefund en,
wi e es au s si eht . "
" Ist das ni cht das W i cht i gst e
i m Leben? Kom m ! Ich st el l e
di ch m e i nen Leut en vor."
" Ic h wei ß ni cht , ob . .."
"Ach w as! Di e s ehen z war
wi l d aus m i t i hren bunt en
Haar en und i hren Kl am ot t en,
aber si e si nd ei gent l i ch net t .
Auf i hre Art . Di e m ei st en
j edenfal l s. W enn d u si e näher
kennst , wu nderst du di ch, aus
was für F am i l i en m anche von
denen st a m m en. "
S i e nahm si e bei m Arm und
z og si e, d a si e no c h i m m er ei n
weni g
wi derst r e bt e,
kurz
en t schl ossen hi nt er si ch her.
"Das i st m ei ne S ch ul freundi n
Frauk e ", verkündet e si e dann
st ra hl end. "Und d a s i st Defe ct
al i as R i co. Das dor t i st Q al i as
S arah -Ann. "
126
W ei t ere Nam ensp aa re fol gt en,
i m m er m i t al i as daz wi schen.
Und Händes chüt t el n. Fast w i e i n
der Fi rma , dacht e F rauke. ( "D as
i s t unser S ys t em an a l yt i ker, H err
M ei er "). N ur der D resscode i st
anders . Di e P unker fühl t en si ch
durch di e von i hnen verehrt e
S änge ri n daz u auf g eforde rt , m i t
deren F reundi n ei n paar W ort e
z u wechsel n. Zum gege nsei t i gen
Ers t aunen
funkt i o ni ert e
das
recht gut . (W enn di e Au sst ei ger
für ei nen Mom ent den S l ang
i h rer Gruppe ver ga ßen, konnt en
s i e si ch pl öt z l i ch ri cht i g gut
aus drücken. ) Dr aup adi z og si ch
währen d d essen m i t J essi ca i n
ei nen W i nkel z urück. W orüber
s i e dort spr achen, war ni cht z u
vers t ehen. Abe r es m uss t e ei n
erns t es Them a sei n. Draupadi
redet e auf J essi ca ei n, schi en
s i e z u t röst en, um a rm t e si e am
S chl uss. Dann kam si e z urück
und fra gt e:
"Gehst du noch m i t z um
Treffpunkt ? "
" Zum T ref f punkt ? W as i st
das ? "
" Lass di ch üb err asc hen! "
Frauk e hat t e an di esem Ta g
für i hre Ve r häl t ni sse m ehr al s
genu g Üb err aschun gen erl ebt .
Zudem sa gt e i hr ei n erneut er
Bl i ck au f di e Uh r, dass es nun
doch
l an gsam
Zei t
z um
Aufbruch wurde. Al s si e j edoch
z u s am m en m i t Draupadi und
ei nem Dut z end J ugendl i cher am
Bah nhof vo rbei ka m , si egt e di e
Neu gi er.
Anst at t
ei nfach
abz ubi egen, fol gt e si e i hnen
wei t er auf i hrer geh ei m ni svol l en
Tour durch di e Du n kel hei t .
Hi nt er dem Bahnh of unt er der
Brück e hi ndurch, dann nach
recht s h i nei n i n das fr ei e
Gel ände, das i hr sc hon bei der
erst en E rku ndun g auf gefal l en
war. D a s S t adt z en t rum l a g
recht s
ei n
p aar
Ki l om et er
ent fernt . Um di ese Zei t wi rkt en
di e W ol kenkrat z er a l l erdi ngs
verl assen
und
kaum
noch
at t rakt i v. Vor i h n en l i eß der
Mai n si ch ahnen. Li nks b efan d
si ch auf dem Are al des früher en
Ost hafens
ei n
Indus t ri epark.
Auch dort w ar ni c ht m ehr vi el
l os.
Hi nt er der Haf enei nfahrt bog
di e S t raße nach l i nks ab und
verl i ef nun paral l el z um Fl us s .
Ab und z u führt en Tram pe l pfad e
durch di cht es G est rüpp di e
st ei l e Böschun g h i nab. Ei nen
davon
st euert e
di e
Gruppe
z i el si cher an. ( Frau ke hät t e i hn
ni e und ni m m er ge funden. )
Nach ei ne r kurz en Kl et t erpart i e
hat t en si e i hr Zi el errei cht . De r
T ref f punkt war ei n P l at z am
Ufer, ge rade groß genu g fü r
z wanz i g Leut e. Ei n Feue r wu rde
her geri cht et und ent z ündet .
Für ei n en Mom ent fühl t e si ch
Frauk e z u rückv ers et z t i n di e
Feri enl a gerz ei t . Ha ssel fel de i m
Harz . Doch di e r üde Art der
J ugendl i chen
m i t ei nander
um z u gehen, hol t e si e i n di e
R eal i t ät z urück. W ar das nur
Gruppe nve rhal t en,
aufgeset z t
und ri t u al i si ert , o der fühl t en
und dac ht en si e wi rkl i ch so?
Draup adi wu rd e erst aunl i che r
W ei se akz ept i ert , ohne si ch
anpassen z u m ü s sen. S i e war
t at sächl i ch Veget ari eri n und
Abst i nenz l eri n. A l l erdi ngs wa rf
si e auch t at sächl i ch ni em andem
vor, wenn e r and er s l ebt e. Das
war wohl der spri n gend e P unkt :
Sie
hat t e
kei ne
Berüh r un gsän gst e
und
127
res pek t i ert e di e S t raßenki nde r,
egal wi e t i ef si e i m S chl am assel
s aßen. S o et was m u ss von i n nen
her kom m en. Dr aupadi war
s el bs t ei nm al Ausrei ßeri n und
S t raßenki nd.
Frauk e fehl t e di ese Erfahrun g
und des hal b bem üh t e si e si ch,
m ö gl i chs t unsi cht bar z u sei n.
Al l erdi ngs er fuhr si e auch, ohne
danach fr a gen z u m üssen, ei ne
M enge.
De fe c t
l ebt e
aus s chl i e ß l i ch vom Bet t el n und
von der S oz i al hi l fe. W arum
ei gent l i ch erni edri gt e e r si ch
ei ners ei t s für e i ne n l ächerl i ch
kl ei nen Bet r a g, wä hrend er es
andere rs e i t s
al s
Zum ut un g
em pfand,
si ch
in
e i nem
Arbei t s verhäl t ni s an ei nf a che
R egel n z u hal t en? S obal d ei n
C hef i hn erm ahnt e, schm i ss er
den J ob hi n. Er l as se si ch ni cht
verbi e gen,
erkl ärt e
er.
S el t s am er W ei se li eß er si ch
von
Draup adi
m i t unt er
re gel r echt herum ko m m andi eren.
Das ve rbo g i hn ni cht . Und
Frauk e m usst e ei n m al m ehr an
di e P i o ni erz ei t de nken. (W i e, i n
al l er W el t , schafft si e es, dass
i hr das kei ner üb el ni m m t? )
Q war bei d en P unkern
gel andet , wei l si e e s bei si ch z u
Hau s e ni cht m eh r aushi el t .
W el che P robl e m e si e dort h at t e,
kam ni cht z ur S prache. Es
m us s t e aber ei ne n t ri ft i gen
Grund
geb en,
denn
si e
kl am m ert e si ch an Defe ct ni cht
nur, wei l si e i hn l i e bt e , sondern
auch, wei l si e k ei ne Al t ern at i ve
s ah, um ei nen H al t i m Leb en z u
haben. O ffe nb ar erhofft e si e
s i ch ei nen pos i t i ven Ei nfl uss
von Draupadi au f i hn. Frauk e
war da s kept i sch. Jem anden wi e
R i co konnt e ni em and ei nfach so
um erz i ehen.
Län ger e
Gesprä ch e
kam en
kaum z ust ande. Mei st ens fl ogen
nur Bem e rkun gen hi n und her.
Im Üb ri gen bl i e b Draupadi
ei n deut i g d er Mi t t el punkt der
Gruppe, obwohl si e j et z t opti sch
gl ei chb ere cht i gt m i t i m Krei s
saß. S i e hat t e e i ne Gi t arre
m i t genom m en und s ang ei n pa ar
Li ed er,
di e
si ch
(aus
unt e rschi edl i chen Gründen) für
ei n Konz ert ni cht ei gn et en. In
der Haupt sa che e rz ähl t e si e
j edoch Ge s chi cht en - m ei st ens
aus dem S t egr ei f, ausgehend
von ei nem S pruc h, den si e
auf gri ff. Ei n i ge da von bracht en
Frauk e z um Grübel n . S i e m erkt e
daran:
Es
war
vi el
Zei t
ver gan gen sei t dem vi ert en
S chul j ahr. Vor a l l em : Es war
vi el ges chehen s ei t dam al s. Und
aus de n J ahren daz wi schen
wusst e si e über i hre frühe re
Freundi n ei gent l i ch so gut wi e
ni cht s.
"W i e
war
das
ei gent l i ch
dam al s i m Ost en? Hast du da
ri ch t i g m i t gem ach t bei dem
ganz en S ch ei ß? ", wol l t e Q von
Draup adi wi ssen.
"W as für ei n S chei ß ? "
"Na, i ch m ei ne: F DJ und so.
Di ese Or gani sat i onen. Das wa r
doch vol l wi e Mi l i t är. Oder? Ich
kann m i r ni cht vor st el l en, dass
du da m i t gem a cht h ast ."
"He !
S pi nnst
du? ",
fuhr
Defe ct i hr über den Mund. "Das
gi n g do ch dort gar ni cht anders.
Da wä rst du vol l i n den Kn ast
ge wande rt ."
"S i e war doch auch i m Knast .
Oder? "
"J et z t hal t et m al bei de di e
Kl appe! ", st oppt e Draupadi den
128
s i ch
anbahn end en
S t rei t
z wi s chen den bei den. Zu gl ei ch
errei cht e si e d am i t , dass si ch
al l e
Augenpa are
auf
si e
ri cht et en.
Und
Frauk e
wa r
ges p annt e
wi e
bei
ei nem
Thri l l er,
wenn
di e
Musi k
ei ns et z t . "Na kl ar habe i ch d a
m i t gem acht ", erkl är t e si e na ch
ei ner P aus e und z u ckt e m i t den
S chu l t ern, um z u z ei gen, d ass
di es doch di e norm al st e S ache
der W el t sei .
"Ach,
kom m ! ",
ri ef
Q
ungl äu bi g. "Du kan nst m i r doch
ni cht erz ä h l en, dass du ..."
" Im dri t t en S chul j ahr war i ch
Gruppenr at svorsi t z ende: so was
wi e Mi ni st erpräsi dent für ei ne
Kl as se. Ei nes Ta ges kam d er
s owj et i sche
S t aat sche f
Bres chnew n ach Be rl i n und aus
i rgend ei nem G rund fuhr sei n
Konvoi i n der N ähe unse rer
S chul e vorbe i . W i r P i oni ere
s ol l t en i hn an der S t reck e
begrüßen, h at t en aber ni cht s
v orberei t et : kei ne P l akat e, kei ne
Fähnch en. D as w ar von d er
Leh reri n v e rschl a m pt worden.
Am Vorabend wu r de m i r das
pl öt z l i ch
kl ar:
Leoni d
Bres chnew, de r F reund al l er
Ki nder, kom m t z u B esuch und
wi r st ehen m i t bl oßen Hä n den
da. Al so hab e i ch d i e J ungs aus
m ei nem Gru ppen ra t anger uf en
und für den n ächs t en Mo rgen
sechs Uhr i n di e S c hul e b est el l t ,
dam i t wi r vor dem Unt e rri cht
noch ras ch was b ast el n. W ar
kei n
P robl em ,
hat
j eder
ei ngesehen.
Bi s
auf
di e
Leh reri n. Di e m usst e nat ü rl i ch
auch z ei t i ge r aufst e hen: um uns
den
R aum
auf z uschl i eßen.
Obwohl si e uns das al l es
ei ngebrockt
hat
mit
i hrer
Ver ges s l i chk ei t , i st si e spät er
z u uns nach Hause gekom m en.
Ic h würd e i m m er übe rt rei ben.
S o war d as Le ben i n der DDR :
vol l er Undank. "
Draupadi erz ähl t e d i e absurde
Geschi cht e t ode rnst , ohne auch
nur ei n ei nz i ges M al den Mund
z u ei nem Läch el n zu ve rz i ehen.
Deshal b
wusst en
auch
di e
Zuh ör er ni cht rec ht , was si e
dam i t ausdrücken wol l t e. Ers t
al s
i rgendw ann
j em and
zu
l achen b e gann, brachen di e
Däm m e. Abe r sel bs t j et z t kl ang
di e Fröhl i c hkei t unecht . Frauk e
j edenfal l s fand di e S t i m m ung
sel t sam . Draup adi unt erdesse n
st ochert e m i t ei nem S t öckchen
i n der Gl ut , al s gi nge si e d as
al l es gar ni cht s an.
36
T
rot z
al l er
Fasz i nat i on
an gesi cht s
di eses
Ei nbl i cks i n ei n e i hr
z uvor völ l i g frem de W el t , t rotz
des brenn e nden In t eress es an
der S chu l fr eundi n (und dem ,
was aus i hr ge worden i st ),
begann Fr auke si ch z unehm end
unwohl z u fü hl en. Im m e r öft er
ri cht et en
di e
J ugendl i chen
fra gen d e
Bl i ck e
auf
si e.
Zum i ndest bi l det e si e si ch das
ei n. (W as schon sc hl i m m genu g
war.) S i e b e gann, wi eder über
129
den Hei m we g na chz udenken.
Mit
öffent l i chen
Verkeh rs m i t t el n zurück nach
Bach en
zu
gel a ngen,
w ar
i nz w i s chen
kei ne
Tri vi al i t ät
m ehr. Di e Uhr z ei gt e k urz nach
ei n Uhr a n. Ihr e akri bi schen
Vorb er ei t ungen nut z t en i hr nun
ni cht s m ehr.
Zunehm end hekt i sc h gi n g si e
i m Kopf i hre Opt i onen durch.
Zunä chs t m usst e sie i rgend wi e
i n di e Innenst adt gel an gen.
Vi el l ei cht m i t ei nem Tax i?
Doch wo sol l t e si e das j et z t
herb ekom m en? Ei n Hand y bes aß
s i e noch ni cht . Di e ander en
braucht e si e dan a ch erst gar
ni cht z u fragen. U nd wi e dann
wei t er?
In
ei n em
Hot el
ü b ernacht en? Daz u war si e z u
gei z i g. Al so bl i eb nur di e
Hoffnun g, d ass si e ei nen Zu g
ü b ers ehen hat t e. Ei ne schw ach e
Hoffnun g. Le i der war si e ei n
gründl i ch er Mens ch.
Draupadi
führt e
si e
den
Tram pel pfad hi na uf bi s z ur
S t raße und br acht e si e dann
noch
bi s
z um
Ende
des
Indus t ri e parks. Das gab i hnen
i m m erhi n ei ne Gel e genh ei t , ei n
paar W ort e u nt er vi er Au gen z u
wechs el n.
"Di es e G eschi cht e vorhi n, di e
m i t Bres chn ew - di e ve rst eh e
i ch ni cht ."
"Aus ge rechn et du verst ehst
di e ni cht ? Du warst doch
ge wi s s erm aß en
sel ber
mit
dabei ."
"J a, s chon. Ich m ei ne et was
anderes : Gl aubst du da noch
dran? "
"S el bs t verst ändl i ch gl aub e i ch
da noch dran ."
"Das hört e si ch i r gendwi e ...
i roni s ch an."
"Tat sä chl i ch? Da m uss i ch
m al drüber na chden ken."
"Na gut : Dann bi s z um
näch st en Mal . Ich hoffe, m i ch
fän gt unt e rw e gs kei ner we g. "
"Hast du An gst ? S oll i ch noch
wei t er m i t kom m en? "
"Nei n, nei n. Ich k ann schon
auf m i ch au fpasse n. Und ei n
Angst has e bi n i ch auch ni cht .
Geh nur z urück z u dei nen
Freund en! "
"W enn du di e fi nst eren Eck en
m ei dest und di e Augen off en
häl t st , bi st du i n Frank furt so
si cher wi e i n j e der and eren
S t adt ."
"Al l es kl ar ! "
S i e gaben ei nande r di e H an d
und t rennt en si ch. S chon bal d
hat t e
di e
Dunkel hei t
si e
verschl uckt .
Auf der Haupt st r aße hi el t
Frauk e kurz Ausschau nach
ei nem Tax i st and. Al s si e kei nen
sah, m arschi ert e si e z u Fuß l os i m m er am Mai n ent l an g i n
R i cht ung der Hoc hhäuser. D a
kon nt e ni cht s s chi e f gehen. U und S -Bahnhö fe w a ren i hr ni cht
geh euer um di ese Zei t und auf
ei ne S t unde m ehr o der weni ger
kam es nun auch ni c ht m ehr an.
Ge gen hal b d rei t r udel t e si e
auf dem Haupt b ahnhof ei n.
Hi nt er i hr l a g ei ne echt e
sport l i che Lei st un g, wi e si e
fand. E rschöpft l i eß si e si ch auf
ei ne der vi el en f r ei en B änke
si nken und sah si ch um . Auch
al s pa s si oni ert e Aut ofahre ri n
kannt e si e sel bst verst ändl i ch
di esen Ort , z um Bei spi el durch
Di ens t rei sen
z usa m m en
mit
Kol l egen. D ann al l e rdi ngs wa r
di e Hal l e e rfül l t gewesen vo n
l ärm endem
Bi enenko rb g ewi m m el .
W el ch
130
ge wal t i ge Größe al l es hi er
h at t e, bem e r kt e si e e rst j et z t .
S i e fühl t e si ch wi e i n ei ner
verwu n sch enen K at hedral e.
S chri t t en hal l t en. Ei n Mann
bewe gt e si ch i n i hre R i cht un g.
Er war noch sechs Gl ei se von
i hr ent fernt und würdi gt e si e
kei nes
Bl i ckes.
Trot z dem
k o nt rol l i ert e
sie
i hre
Fl ucht we ge. Di e harm l osest en
Leut e
wi rkt en
j et z t
wi e
Verbr eche r. Auch si e sel ber.
Di e bei den Mi t ar bei t er ei n er
S ecuri t yfi rm a durc hboh rt en si e
m i t i hren Bl i cken, sooft si e an
i hr vorüber gi n ge n. Ei nm al
erkundi gt en si e si ch nach i hrer
Fahrk art e. (" Ich k a ufe m i r ei ne
am Aut om at en, soba l d i ch m ei ne
Bei ne
wi ed er
spüre.
Vers pro chen! ") Ir ge ndwann kam
s i e si ch sel b er u nsol i de vor.
W as hat ei ne anständi ge Fra u
um di ese Zei t hi er z u suchen?
Et wa ab vi er Uh r kam en di e
Leut e, di e besond e rs früh z um
Di enst m usst en. Zu gl ei ch st i e g
al l m ähl i ch
der
Lä rm pe gel .
Lo kom ot i ven
drö hnt en.
Di e
Brem sen
d er
erst en
berei t gest el l t en
Zü ge
qui et scht en. Frauk e st u di ert e
nun endl i ch d en F ah rpl an und
l ös t e i hr Versprec hen an di e
(i nz wi schen
vers chwund enen )
S ecuri t yl eut e ei n. Müdi gkei t
em pfand si e no ch ni cht . Zu
v i el e Ei ndrück e r um ort en i n
i hrem Kopf. Aber i rgendw ann
würde der Körp er sei n R echt
fordern. Es wä re f ah rl ässi g, i n
di es em Zust and di e für di esen
Tag gepl ant e Um st el l ung d es
Bui l d proz esses du rchz uz i ehen.
S i e wol l t e si ch von z u Hause
aus krank m el den. (Auch das
noch! W ar das et w a schon das
erst e Tei l st ück der so gen annt en
schi efen Bahn? )
Das
Tel e fon gespr äch
mit
i hrem Team l ei t er be rei t et e kei ne
S chwi eri gkei t en. O ffenba r wa r
s i e sehr überz eu gend. Kaum
dass si e i m Bet t l a g, fi el si e i n
ei nen
t i efen
Erschöpfun g s schl a f, aus dem s i e
erst am sp ät en Nachm i t t a g
erwa c ht e. Und sel bst da fühl t e
si e si ch noch längst ni cht
wi eder fi t . D arum war si e auch
al l es andere al s erfr eut , al s
ge gen si eben j em and bei i hr
kl i ngel t e.
"S i e wünschen? ", fra gt e s i e
m ürri sch - ent schl os sen, di e Tür
bei der erst en si c h bi et enden
Gel e genh ei t z uz uknal l en.
Vor i hr st and ei n Mann m i t
al t m odi scher Hornb ri l l e, fl i nken
Augen und drei st e m Auft ret en.
Dem t raut e si e ni cht übern W eg,
egal
ob
super günst i ge
Gel danl a ge
oder
hungernd e
afri kani sch e Ki nder.
"Gut en Abend. Mei n Nam e i s t
Granni n ger. "
"Das t ut m i r Lei d fü r S i e. "
" Ic h bi n J ournal i st ."
"Um so schl i m m er. "
" Ic h
r eche rchi e re
in
der
Ang el e genh ei t Ax el Voss. W i e
i ch wei ß, z wei fel n auch S i e
daran, dass e r ei nes nat ürl i chen
Todes gest orben i st . "
"W i e
kom m en
Sie
denn
dar auf? " Dass er den Nam en
i hres
Ex chefs
(und
Ex kom mi l i t onen)
erwähnt e,
beunruhi gt e si e. D i ese l ei di ge
Geschi cht e hat t e si e über i hre
S uche na ch D ra u padi völ l i g
verdrän gt .
"F rau Baum ann, w i r sol l t en
das
ni cht
hi er
an
der
131
W ohnungs t ür b espre chen. Geb en
S i e m i r ei ne hal be S t unde!"
Frauk e t rat bei sei t e und l i eß
i hn i ns W ohnz im m er, al l erdi ngs
ohne freundl i ch er z u werden.
"Al l es w as m i t dem Tod von
Herrn Voss z u t un hat , i st S ache
der P o l i z ei . Erkundi gen S i e si ch
dort !"
"Di e P ol i z ei ni m mt das auf
di e l ei cht e S chul t e r. Das wi ssen
S i e genau so gut wi e i ch. Darum
erm i t t el n S i e auf e i gen e F aust ."
" Was m a che i ch? "
"S i e hab en wi rkl i ch Mut . Das
bewunder e i ch an Ih nen."
"Hör en S i e, i ch ... "
"W i e wei t si nd S i e inz wi schen
m i t dem verschl üs sel t en Tex t
gekom m en? "
Al l m ähl i ch wurde i hr di eser
J ournal i s t unhei m l ich. W ar er
überhaupt
ei n
J ournal i st?
Erz ähl en konnt e er i hr vi el .
"W as wol l en S i e von m i r?
W arum bel äst i gen S i e m i ch hi er
i n m ei ner W ohnung? W enn S i e
m i ch ni cht i n R uhe l assen ..."
"Nun s ei en S i e do c h ni cht so
fei nds el i g! Ich st e he auf Ihr er
S ei t e. Gl auben S i e m i r! W i r
bei de
si nd
nat ürl i che
Verbünd et e. Di e P ol i z ei wi l l
den Fal l z u den Akt en l egen,
wi r aber wo l l en wi ssen, was
wi rk l i ch dahi n t er s t eckt . Ist es
ni cht so? "
"Nei n. Ist es ni cht . Mi ch
i nt eressi ert di es er Ax el Voss
ni cht i m G eri ngst en. Ich war auf
der
S uche
n ach
ei ne r
S chul k am eradi n.
Draupadi
S chm i t t . S i e hat m i t dem Tod
di eses Her rn ni cht d as Geri n gst e
z u t un. Be i de si nd si ch ni em al s
bege gnet . S i e si n d nur rei n
z ufäl l i g bei de m i t m i r bekannt .
R ei cht Ihn en das? Bast el n S i e
si ch ei ne Mo rdk om pl ot t st or y
z usam m en, wenn Ih nen das S paß
m acht , abe r l assen S i e m i ch da
raus! "
"J a. Gut . Al l es kl ar." E r
brei t et e di e A rm e a us z ur Gest e
des Unschul dsengel s. " Ich habe
s oga r noch weni ge r gebr aucht
al s ei ne hal be S t unde. Und
schon bi n i ch wi ede r we g! "
132
133
3.Teil
Alte Geschichten
134
135
37
i e nervös si e i n l et z t er
Zei t
geword en
war,
m erkt e Frauk e i m m er
wi eder, s o z um B e i spi el al s si ch
am Frei t a g das Tel efon auf
i h rem
S chrei bt i sch
mit
Drei fa c h kl i ngel n
m el det e
(wede r i nt ern n och ex t ern ,
s ondern di rekt von der P fort e).
" Baum ann. " Zö ge rn d.
"Ei ne F rau S chm i t t m öcht e
S i e s prechen. "
"S chm i t t? Ni e ge hört ! Von
wel cher Fi rm a den n? ... Hal t !
Doch, n at ürl i ch ken ne i ch Frau
S chm i t t !
S t el l en
Sie
bi t t e
durch? ... Draup y? He! W oher
wei ßt du, wo i ch arb ei t e? "
"W i l l s t du m i ch bel ei di gen?
Ic h bi n di e To cht er ei nes
S t as i off i z i ers."
" Ic h ver gaß ..."
" Im Übri gen h ast du was
erz ähl t
von
ei ner
am eri kani sch en
S oft wa re fi rm a
mit
Darm st ädt er
Ni ederl as sun g. "
"Du r e gi st ri erst aber au ch
al l es ."
" Bi s t
du
gut
zu
Hause
ang ekom m en
na c h
unserer
S es s i on? "
"Na j a. Ir gend wan n i n der
Früh fuhr wi eder e i n Zu g. Fü r
di ch wäre sol ch ei n e Nacht auf
dem Bahnhof wah rs chei nl i ch di e
norm al s t e S ache d e r W el t . Hast
W
du ei gent l i ch kei ne Angst , wenn
du m i t sol ch kom ischen T yp en
l osz i ehst? Ich wi l l j a dei nen
Freund en ni cht z u nah t r et en ,
aber ... "
"S chon kl ar! Al l er di ngs l ebst
du i n dei ner W el t j a wohl auc h
ni cht
ohne
R i siko.
S m art e
T ypen i m schw a r z en Anz ug
können di r dei ne Kohl e gen au
so a bknöpfen. Du k ennst di ch i n
dei ner W el t aus und i ch m i ch i n
m ei ner.
Man
m uss
i m m er
wi s sen, was m an m achen d arf
und was ni cht . Ich hal t e m i ch
raus
aus
al l en
ernst haft
krum m en Di ngern und wi rke
z um i ndest auf den er st en Bl i ck
arm genu g, dass m i ch kei ner
au s raubt . "
" Ic h hoffe für di ch, du kennst
di ch i n dei ner W el t besser aus
al s i ch i n m ei ner. "
"W as sol l denn das hei ßen? "
"Das m uss i ch di r i n R uhe
erkl är en, ni cht hi er am Tel e fon.
Gest ern z um Bei s pi el i st ei n
R eport er bei m i r au f gek reuz t ."
"Und w as wol l t e er? "
"Tj a! W enn i ch d as so gen au
wüsst e ..."
"Hast du m or gen fr ei ? Kannst
du bei m i r vorb ei k om m en? Ich
geb e di r m ei ne Ad re sse."
"Das w äre t ol l . Ich gl aub e,
wi r haben uns na ch al l den
J ah ren ei ne Men ge z u erz ähl en."
D
en t fernt
in
ei nem
z wanz i ggescho s si ge n Hochhaus.
Das Kl i nge l f el d am Ei n gan g l as
raupadi wohnt e obe rhal b
des Kl ubs U6, nur et wa
hundert
Met er
davon
136
s i ch wi e ei ne Tel ef onbuchsei t e.
Al l erdi ngs kei n e aus ei nem
deut schen Tel efon buch . Hi er
hät t e Fr auke so gar für di e
Graf fi t i
ei nen
Dol m et scher
geb raucht (m al una bhängi g von
der Fra ge, ob si ch das l ohnen
würde). D er F ahrst uhl rea gi ert e
ni cht auf i hr e Ve rs uche, i hn z u
hol en. Nun gut : S i e braucht e
nur bi s i n di e dri tt e Et age z u
l aufen. (W e nn j em a nd m i t z wei
s chw er en Ei nkaufst aschen k äm e
und i n di e z wanz i gst e m üsst e,
nähm e e r das wa hrschei nl i ch
ni cht so l ocker hi n.)
Al s Draup adi di e T ür öffn et e,
hat t e F rauke das Gefühl , di e
Zei t z urückdr ehen z u können.
Durch ei nen Zaub e r spruch wi rd
al l es wi e der wi e f rüher. Do ch
s chon ei n p aar Mi n ut en spät er,
nach der Be grü ßun g s z erem oni e
i m Korri dor, wur de si e si ch
i h res W unsc hdenke ns bewusst .
Di e Ei ndrück e v om Konz ert
kam en i hr wi eder i n den S i nn.
Überhaupt durft e si e kaum
erwa rt en, d ass z we i J ahrz ehnt e
Bi ogr afi e ni cht s be wi rkt hä t t en.
W i e al s unm i tt el bare Ant wort
auf di es e Ei nsi cht t raf si e i m
W ohnz im m er
noch
ei nen
and eren Gast an: e i n Mädchen
i m Teena ge ral t er, das dort an
ei nem Ti sch übe r H ausauf gab en
s aß.
"Das i st Li sa. "
"Hal l o! "
"Das
i st
Fr au ke.
Ei ne
Freu ndi n von m i r aus de r
S chul e."
"C ool !
Ihr
wo l l t
j et zt
wah rsch ei nl i ch unt er euch sei n.
W enn i ch st öre, dan n ..."
"Nei n, nei n, n ei n! Du st örst
überhaupt ni cht . Du m achst hi er
s chön dei ne Auf gab en fert i g. "
Draupadi
gab
Frauke
unauffä l l i g
ei ne n
W i nk,
woraufhi n b ei de i n di e Küche
gi n gen.
" Li sa gehört z u j ener S ort e
J ugendl i cher,
den en
unser e
Gesel l schaft
von
vornher ei n
kei ne C hanc e l äs st . S i e i s t
drei z ehn. Der Vat er kü m m ert
si ch ni cht um di e Fam i l i e. Di e
Mut t er i st an gebl i c h herz krank
und t ot al dam i t aus gel ast et , si ch
z u b edauern. Li s a m uss si ch um
so z i em l i ch al l es küm m ern: den
t ropfenden W asse r hahn i n der
Küche, di e kaput t e Bi rne i m
Korri dor. Ei nfa ch so geht ga r
ni cht s,
ni cht
ei nm al
das
Früh s t ück vor der S chul e. Daz u
kom m en di e S orgen um di e
M am a, di e d rei m al t äg l i ch den
Löf fel abz u geben behaupt et . "
Draup adi s Mi ene verdüst ert e
si ch. "S o et was m acht m i ch
wü t end. Li s a i st m i t den Ne rven
am Ende, kann i m Unt erri cht
ni cht au fpassen. S pät er kri e gt
si e m i t i hren Zens uren kei n en
Ausbi l dungspl at z und kei nen
J ob." S i e st em m t e ihre Fäust e i n
di e S e i t e. Ihr e Au gen wurd en
noch ei n weni g sc hwärz er al s
si e es o hnehi n ware n und hat t en
j et z t et was W i l des an si ch.
"S ol che S chi cksal e fi ndest du
m asse nhaft : un genu t z t e Tal ent e.
Und dann gi bt es S pi eßer, di e
auf si e herabseh e n und si ch
anschl i eßend s el be r großa rt i g
fi nden."
Frauk e wusst e ni cht recht ,
was si e dar auf ant w ort en sol l t e.
"Du
b et reust
di es e
J ugendl i chen? ",
fra gt e
si e
schl i eßl i ch.
"Ni cht wi rkl i ch. Ic h bi n kei n
Gut m ensch, w enn d u das m ei ns t .
Man kann ei gent l i ch ni cht s
137
bewi rken und i ch wei ß das. S o
et was wi e m i t Li s a er gi bt si ch
z u fäl l i g. S i e beko m m t von m i r
As yl fü r ei n p aar S t u nden. Das
i s t al l es ."
"J es s i ca i st auch s o ei n F al l .
Ni cht wahr? "
Nachdem
Draup a di
schon
wi eder et was ruhi ger ge worden
war, f euert e d as S t i chwort i hren
hei l i gen Zo rn neu a n.
"W enn
i ch
du rch
di e
Nobel vi ert el gehe, dann fra ge
i ch m i ch, m i t welchem R echt
di es e Leut e i n schi cken Vi l l en
wohnen. W as haben di e gel ei st et
dafür? " Ih re Au ge n funkel t en
j et z t r egel recht . "J essi ca pfl e gt
i hre M ut t er, di e w i rkl i ch krank
i s t : Krebs i m Endst adi um . Das
i s t ei n verdam m t er Ful l t i m ej ob,
s owohl für si e sel bst al s auch
für i hren V at er. Al l e drei l eb en
von S ozi al hi l fe und kei ner von
i hnen i s t cl ever g en ug, um si ch
al l es z u erkäm pfen , was es a n
s t aat l i chen
Zuwendun gen
vi el l ei cht gi bt . Manchm al hel fe
i ch
bei m
Ausfüll en
di eser
bes cheue rt en Ant r ägen. J et z t
erkl är e m i r nur ni cht , dass das
norm al wär e! "
"W ürde i ch m i r ni e wa gen! ",
m urm el t e Frauk e. D raup y wurde
al l m ähl i ch
bei na he
Fur cht
erre gend.
"Di es es
S yst em
i st
z um
Kot z en. Dabei si nd ni cht ei nm al
di e
Kapi t al i st en
das
Haupt probl em , wi e wi r uns das
früher da c ht en. D i e schaffen
i m m erhi n Arbei t s pl ät z e, t ra gen
Verant wo rt ung,
s pi el en
ei ne
R ol l e i n der Gesel l schaft . Di e
Gel ds äcke si nd es, Mi l l i onäre,
di e
von
Zi n sen
und
S pekul at i onen
l eben.
J eder
Zi nspfen ni g i st i m Grunde ei n
Di ebst ahl pfe nni g. "
Frauk e da cht e an i hr ei gen es
Bank gut hab en und fra gt e si ch,
ob si e desw e gen ei n schl echt es
Gewi ssen hab en m üsst e.
"Di e wah ren Hel den l eben
ganz unt en. Manche Arschl öche r
würden
s a gen:
'J a,
warum
s t ecken denn J essi ca und i hr
P apa di e Mam a ni cht i ns
Kranke nh aus? ' S o würden di e
sel bst das m ach en . Krankh ei t
passt ni cht z u i hren Möbel n,
Tod schon gar ni cht . Doch
J essi cas Mam a darf i n W ürde
st erben, um geben von der Li eb e
i hrer F am i l i e. Manchm al i st es
ei n S egen , wenn di e Ki nder
ni cht s gem acht hab en aus i hr em
Leb en - j eden f al l s ni cht s, was
in
di eser
G esel l schaft
Anerkennun g fi n d et . Na j a,
l assen wi r das! "
Draupadi set z t e si ch nach
ei ner
w egwer fende n
Handbew e gun g. F r auke i ndes
m usst e pl öt z li ch l achen. Es kam
so u nverm i t t el t über si e, dass
si e
si ch
ni cht
beher rschen
konnt e.
"W as i st l os? W as ist daran so
l ust i g? ",
kam
prom pt
di e
m i s s bi l l i gende Erwi derun g.
"Ent schul di ge!
Ic h
dacht e
ge rade d aran, wi e du uns
sei ne rz ei t
al s
Gruppenr at svorsi t z ende
um hergesch eucht h ast . D u bi st
i m m er
noch
ei n
gl üh ender
Käm pfer für di e R echt e de r
Arm en und Unt erd rückt en. Ei n
m oderner R obi n Hood. Ich
bewunder e das. E hrl i ch! Abe r
i ch
sel ber
...
Vi el l ei cht
ent t äuscht di ch d a s j et z t : Ich
sel ber habe m i ch i rgendw ann
angepasst . W i e häl t m an das
138
aus , i m m er ge gen d en S t rom z u
s chwi m m en? "
"W i e häl t m an das aus, i m m er
mi t dem S t rom z u schwi m m en?
Erz ähl m i r ni cht , dass du
gl ück l i ch bi st ! "
"Nei n,
m ach e
i ch
ni cht .
S t i m m t auch ni cht ."
"R obi n Hood ..." Draupadi
bet racht e
ei ne
W ei l e
i hre
Hände. Al s si e den Kopf wi ede r
hob, war i hr Gesi cht sausdruck
z u Fraukes Überr as chung völ l i g
ent s pannt . " Es i st fal sch, si ch
darüber
au fz ure ge n.
Es
i st
grunds ät z l i ch fal sch, si ch g eh en
z u l assen, egal we shal b. Dass
m i r das i m m er no ch passi e rt ,
bewei st ,
dass
i ch
noch
m ei l enwei t we g bi n von m ei nem
ei gent l i chen Zi el . "
"W as i st dei n e i gent l i ches
Zi el ? "
"Das erz ähl e i ch di r ei n
an derm al . ... Vi el l ei cht . ... Od er
auch ni cht . ... Das Best e i st , du
s chaust di ch ei nfa ch m al bei m i r
um ! Ich bl ei b e hi er und erspa r
m i r den Museum sf ührer. Fühl
di ch wi e Zuhause ! "
Frauk e z ögert e z unächst , doch
Draupadi ni ckt e bekrä ft i gend
und so t at si e si ch kei nen
Zw an g m ehr an.
Di e W ohnung b e st and aus
z wei kl ei nen Zi m m ern, ei ne r
Küche und ei n em q uadrat i schen
Korri dor.
Di e
Ei nri cht ung
s t am m t e wohl du rchwe g aus
Haushal t saufl ösu n ge n oder von
Fl ohm ärkt en.
Ni c ht s
passt e
z u s am m en, ni cht ei nm al di e
b ei den F rühst ückst el l er i n de r
S pü l e. Obwohl si ch al so kei n
k l ares S yst em erk ennen l i eß,
z ei chnet e si ch ei ne ge wi sse
Ten denz z um Ori ent al i schen ab:
Tücher i n l eu cht e nde n Fa rben
al s
Dekor at i on,
di vers e
S i t z ki ssen, P ost er m i t i ndi schen
Mot i ven. Hi ng e ge n ent deckt e
Frauk e nur dr ei S t ühl e (z wei
davon i n der K ü che) s owi e
ei nen ei nz i gen Ti s ch (auf dem
ei n C om put er st and und an dem
Li sa j et z t i hre Hausauf gab en
erl edi gt e).
Inn erh al b
di eses
z i em l i ch
chaot i schen Haush al t s gab es
al l erdi ngs ei n en er habenen Ort :
den Vi t ri nenschrank i m hi nt eren
Zi m m er. De r war f ast neu und
hat t e
bl i t z bl ank
geput z t e
S chei ben. Fr auke f i el en z uers t
m ehr er e Fi gur en a us Messi ng
auf. W ahrsch ei nl i ch st el l t en s i e
i ndi sche Göt t er dar. Daz w i schen
st and
in
ei nem
hübschen
R ahm en
das
F ot o
ei nes
dunkel hä ut i gen
Mannes
mit
oran gef arb en em Mönchgewand .
Vi el l ei cht hand el t e es si ch auch
um ei ne Frau. Di e l angen,
sei di gen
H a ar e
und
das
fei ngl i ed ri ge, sanf t e Gesi cht
deut et en da rauf h i n. J edoch:
Gi bt es i n Indi e n übe rhaupt
wei bl i che Mö nche ? Und um
wel che R el i gi on gi ng es hi e r
ei gent l i ch?
Frauk e m erkt e, wi e weni g si e
si ch auskannt e. Hat t e das z u t un
m i t Buddhi sm us? (Daz u fi el i hr
ni cht vi el m ehr ei n al s d er
Dal ai - Lam a und desse n Kam pf
um di e B ef rei un g T i bet s.) Ode r
eher
mit
Hi ndui sm us?
(Kast enw esen,
W i t wenverbrennun gen,
Tause nde Leut e b e i m r i t uel l en
Baden i m Gan ges) Et was t i efe r
i m S chrank st ande n rund z wei
Dut z end Bücher, d i e Draupadi
offenba r
besonde rs
wi cht i g
waren, d arunt e r ei ne prä cht i g
139
gebund ene
Aus gab e
der
Bhagavad Gi t a .
In di es em Mom ent sah Frauk e
endgül t i g ei n, dass si e bei i hrer
wi eder
gefunden e n
Freundi n
ni cht ei nfach n aht l os an di e
Ver gan genhei t
anknüpfen
k o nn t e. In m an ch er Hi nsi cht
m ocht e s i e si ch t r e u gebl i eben
s ei n, i n anderer ha t t e si e si ch
verände rt . Vor al l e m das Fot o
bes chä ft i gt e
i hre
P hant asi e.
Frühe r war D raup y ganz auf
i hren
P apa
ausgeri cht et
ge wes en. D e s sen Bi l d gab es i n
der W ohnung au c h noch. Es
s t and
auf
dem
Nach t s chr änkch en neben dem
Bet t , ab er eb en n i c ht i n der
P racht vi t ri ne.
Al s Frauk e i hren R undgan g
beendet h at t e und wi eder i n d er
Küche ankam , sa ß Draup adi
noch
i m m er
in
dersel ben
Hal t ung auf dem S t uhl .
"Al s o, i n der W ohnung könnt e
i ch m i ch vi el l ei cht wohl fühl en,
al l erdi ngs
ni cht
in
di esem
Haus ."
"W as hast du gegen d as
Haus ? "
"W i l l s t du m i r ei nr eden, d ass
i hr hi er ni e P robl em e habt ? Zum
Bei s pi el i st der Fah rst uhl kaput t
und
i ch
kann
ni rgend wo
erkennen, dass si c h da ger ade
j em and drum küm m ert ."
"Ande rswo gi bt 's Er dbeben. "
"W enn du so rangeh st , fi ndest
fas t überal l auf d er W el t das
P aradi es . "
"Gen au! Im Üb ri ge n passi ert
hi er
weni ger,
al s
du
wahrs ch ei nl i ch denk st . Zwei der
W ohnu n gen
si nd
angebl i ch
S t üt z punkt e
von
i l l egal en
Zi ga ret t enhän dl ern. Di e werden
ab und z u von den Bul l en auf
den Kopf g est el l t . S el t s am er
W ei se fi nden di e dabei abe r
sel t en et was B el as t endes. Und
di e Bri e fkäst en w er den von den
Ki t s gepl ündert . Da s i st so ei n
Frei z ei t spaß von d e nen."
"Na t ol l ! "
"Unkri t i sch! Ic h l ei st e m i r ei n
P ost schl i eßfach
für
di e
wi cht i gen S a chen. "
S i e wurden unt erbro chen, wei l
Li sa auft aucht e - schon fi x und
fert i g an gez o gen.
" Ic h m uss j et z t l os."
" Wi eso m usst e du j et z t l os?
Ic h dacht e, du i sst noch z u
M i t t ag
bei
m i r.
Bi st
du
weni gst e ns fert i g geworden m i t
dei nen Haus au f gab e n? "
"Mut t i hat t e heut e Mor gen
Mi grän e. "
"Mi grän e? Mal was Neu es!
Ic h denk e, si e hat 's m i t dem
Herz en? "
"Du sol l st ni cht i m m er so üb er
si e reden! "
" Ist j a gut ! Kom m vorbei ,
wenn 's wi ede r m al p asst !"
Di e
Tür
kl appt e.
Li sas
S chri t t e ent fe rnt en si ch r asch
und verkl an gen. D r aupadi i ndes
st arrt e m i t gerun z el t er S t i rn vor
si ch
hi n,
off ens i cht l i ch
in
Gedanken
noch
mit
der
Drei z eh nj ähri gen
beschäft i gt .
Um si e aufz um un t ern, l enkt e
Frauk e si e z urüc k auf das
Them a W ohnung:
" Ic h habe den Ei n druck, al s
ob du di ch i nz wi schen z um
i nd i schen Bl ut i n dei nen Adern
beken nst . Oder i rre i ch m i ch? "
Tat sächl i ch s chaut e Dr aup y
bel ust i gt z u i hr auf:
"Man wi rd f rüher o der spät e r
z u dem , was di e Le ut e ri ngsum
aus e i nem m achen wol l en, i m
Gut en wi e i m Bösen . Aber offen
140
ges t and en: Ich gl aube ni cht ,
das s i ch von ei nem Brahm an en
abs t am m e. W o sollt e der denn
her gekom m en s ei n, dam al s i n
der DDR ? Ich denk e eher, d ass
ei ner
von
di esen
pal äst i nens i schen
Frei hei t skäm pf ern s i ch an Mam a
ran gem a cht hat . Ei ner, dem d er
Boden unt er d en Fü ßen z u hei ß
ge wo rden
i st ,
nachdem
er
genü gend j üdi sche Frau en und
Ki nder i n di e Luf t g esp ren gt
hat . Ei ner, d er si ch vorm
Mossad
verkri e ch en
m us s t e.
S ol che T ypen sol l e n j a i m Bet t
t i eri sch gut s ei n. Kurz um : Ich
bi n
verm ut l i ch
ei n
Terrori s t enb ast ard. Merkt m an
j a auch i r gend wi e. Oder? "
"Du bi st z u dunk e l für ei ne
Arabe ri n."
"Das b esa gt ga r ni c ht s."
38
D
u kl angst am Tel efon
geh ei m ni svol l ",
sagt e
Draupadi , na c hdem si ch
bei de i m vorderen R aum auf j e
ei nem S i t z ki ssen nieder gel assen
hat t en.
Frauk e
ant wort et e
ni cht
s o fort , denn si e bra ucht e ei ni ge
Zei t , um m i t i hren l a n gen
Bei nen ei n e hal bwe gs bequem e
P o s i t i on z u fi nden.
" Ic h habe n ach di r gesucht ,
wei l i ch endl i ch wi ssen wi l l ,
was dam al s wi rkl i c h gesch ehen
i s t ."
"Dam al s? "
"De r Un fal l dei n er El t ern, di e
Zei t i m
Ki nderh ei m , dei ne
Fl ucht von do rt . Ich wi l l di ch
dam i t aber ni cht q uäl en. W enn
du
darüber
ni ch t
sprechen
m öcht est , i st es für m i ch auch
i n Ordnung. Nur ... "
Draupadi spi el t e m i t ei nem
M andal a aus Draht , form t e es
ers t z u e i nem W ei ngl as, dann z u
ei ner fl i e genden Unt ert ass e.
"W arum j et z t? W arum nach so
vi el en J ahren ? "
"W ei l es vi el l ei c ht i m m er
noch von B edeut un g i st ."
"W i e? "
"Das kann i ch di r so genau
noch ni cht sa gen. Es i st m ehr
ei n Ve rda cht , ei ne Verm ut un g."
"Es war ei n Ver k ehrsunf al l .
Kei nen Tod nehm e n di e Leut e
so gl ei c h gül t i g hi n wi e den auf
der S t raße. G anz e F am i l i en
werden aus gel öscht , doch auße r
den
nächst en
Angehöri gen
i nt eressi ert
si ch
nur
das
st at i st i sche Bundesa m t d afür."
"Ve rkehrsun fäl l e
erei gnen
si ch unvorhersehb a r, du aber
w usst est , dass dei nem P apa
et was
z ust oßen
könnt e.
Eri nnerst du di ch ni cht m ehr:
der S chwur i n Hassel fel de, al s
du di ch m i r anvert r a ut hast? "
Das Mandal a wu rd e z u ei ner
perfekt en Ku gel .
"S chocki e rt es di ch , wenn i ch
di r
sage,
dass
i ch
dei ne
R ückkehr
in
m ei n
Leb en
gef ürcht et habe? "
"Nei n. Ic h ve rst eh e das. Es
l i egt ve rm ut l i ch an gen au d i es er
Fra ge. "
141
"M i r geht es ni cht anders al s
di r. Auch i ch k an n m i t ni cht s
Bes s e rem di enen a l s m i t ei ner
dunkl en Ahnung. P apa war i n
S chwi eri gkei t en un d i st dann
verun gl ückt . Hat das et was
m i t ei nander z u t un oder ni cht ? "
Das Mandal a wurd e z u ei ner Art
S chal e. "Al so gut ! Gehen wi r es
noch ei nm al durch ! J et zt i st es
z um Auswei chen sowi eso z u
spät .
J et z t
si nd
di e
Eri nneru n gen wi ede r da. "
D
geb rauch en. Ihr P a pa würd e i n
den nächst en Mi nut en ei nt re ff en
und si e wol l t e i hn j et z t für si ch
haben.
"Mei n Vat e r i st noch ni cht
da", e rkl ärt e si e ei n weni g
neunm al kl ug. " Ich ri cht e i hm
aus, dass er S i e anruft , sobal d
er kom m t ."
S i e wol l t e di e Tür wi eder
schl i eßen, doch H err Mei ßne r
erwi dert e, das s e r m i t i hr
spr echen m üsse. Di e Art , wi e er
das sagt e, gefi el i hr ni cht . S i e
bat i hn not gedrun ge n herei n. E r
set z t e si ch an den ged eckt en
Ti sch, st arrt e auf den l eer en
Tel l er vor i hm und sucht e
un übersehba r
n ach
dem
passenden Anf an g. In di esem
Mom ent b ekam si e pl öt z l i ch ei n
fl aues G efühl i m Magen und
fra gt e z unehm end h ys t eri sch:
"Es i st ni cht s m i t Papa! S a gen
S i e, dass ni cht s m i t P apa i st ! Er
kom m t nur ei n bi sschen spät e r.
Ni cht wahr? "
Den arm en Her rn M ei ßner, de r
z war ei n braver P ol i zi st war
aber
kei n
h el l es
Li cht ,
überfo rd ert e di e S i t uat i on. Ehe
er den erst en S at z sei ner
ei nfühl sam en R ed e auf der
R ei he hat t e, dreht e Draupadi
durch. S i e schri e so l aut , al s
würde
er
si e
gerad e
ver gew al t i gen,
und
so
durc hdri n gend, das s ei ne Fr au
aus dem N achb arh aus besor gt
raupadi w ar al l ei n. Mam a
h at t e P apa n ach Dr esden
begl ei t et . W ä hrend er aus
di ens t l i chem Anl as s u nt erwe gs
war, wol l t e si e si ch m i t ei ner
Freundi n t re f fen. Der gl ei chen
kam z war ni cht j ede W oche n
vor, abe r auch ni cht wi rkl i ch
s el t en. Draupadi ha t t e den Ta g
genos s en, denn obw ohl si e al l es
andere
al s
st ren g
erz ogen
wurde,
wusst e
sie
es
zu
s chät z en,
ei n m al
unei nges chr änkt üb er d as ganz e
Haus verfü gen z u dü rfen. Al s
di e Abendbrot sz ei t hera nkam ,
deckt e s i e den Ti sch. Erst al s
s i e dam i t fe rt i g w ar und ei ne
wei t ere h al be S t unde g ewa rt et
hat t e, wurde si e unruhi g frei l i ch ehe r aus Är ge r denn aus
S orge.
In di es e r S t i m m ung t raf der
für
di e
G e gend
z ust ändi ge
Ab s chni t t s bevol l m ächt i gt e
si e
an.
Draup adi
hat t e
Her rn
M ei ßner
ni e
als
echt en
P ol i zi s t en em pfunden , sondern
i m m er nur al s e i nen net t en
M ann
in
Uni form ,
der
Bet runk ene na ch Ha use bracht e,
s t rei t ende N achb arn m i t ei nander
vers öhnt e und (ni cht z ul et z t )
den Ki ndern hal f, wenn si e
al l ei n auf d er S t raße ni cht
wei t er wusst en. S i e m oc ht e i hn
i m Grunde, b ea cht et e i hn abe r
ni cht wei t er. Und an di esem
Abend konnt e si e i hn ni cht
142
kl i n gel t e. Ei gent l i c h hät t e si e i n
ei n Krank enhaus ei n gel i ef ert
werden m üssen, do ch er n ahm
s i e s t at t dessen m i t z u si ch nach
Hause. Dort br acht e er si e m i t
ei ner Dosi s Faust an z ur R uhe
und st eckt e si e i n s Bet t .
Aber sel bst wenn der ABV m i t
s ei nen Ent schei du n gen oft ei n
S t ück neben de m Opt i m um
l i egen m ocht e, so war er do ch
auch ei n er, de r ni em al s ei nen
S chut z bedürft i gen i m S t i ch l i eß.
Er versch afft e D raupadi ei n
ärz t l i ches At t est , so dass si e
ni cht i n di e S chule z u gehen
braucht e. E r nahm Verbi ndun g
auf z u i h rer Tan t e C ornel i a
Ebbi n ghaus. Er hal f di eser, di e
Adopt i on
zu
beant ra gen.
Unt erst üt z ung e rhi el t er erst
nach ei ner W oche , und z war
durch ei nen Kol l e ge n von H errn
S chm i t t . S el t sam er W ei se gab es
kei nen ei nz i gen Verw andt en,
der
si ch
frei wi l l i g
z ur
Verfü gun g st el l t e.
Draupadi re a gi ert e drei T a ge
l ang au f ni cht s und ni em anden.
Dann
e rst
er w acht e
si e
al l m ähl i ch
aus
i hrem
S chockz ust and. Das erst e, was
s i e nun em pfand, war der
Ei ndruck, He rrn Mei ß ner und
(m ehr no ch) sei n er F am i l i e z ur
Las t z u fal l en. Trot z dem bat si e
den ABV noch um ei nen l et z t en
Gefal l en: m i t i hr z usam m en z ur
Unfal l st el l e z u f ahr en. Er hät t e
s i ch gern davo r ge drückt , wei l
er
ei nen
erneut en
Nervenz u sam m enbr uch von i hr
befürcht et e, doch si e überr edet e
i hn.
Unt erwe gs
im
Aut o
erku ndi gt e si e si ch, wi e es
pas s i ert i st .
"Das
i st
S ac he
der
Verkeh r s pol i z ei ."
"S i e wi ssen es auch, Herr
Mei ßner. Ich s ehe Ihnen an,
wenn S i e schwi ndel n."
Dam i t hat t e si e z u sei nem
Bedau ern R e cht .
"Dei n P ap a i st an e i ner Kurv e
ge rade aus w ei t er ge fahren und
dann m i t dem W agen ge gen
ei nen Baum gepr al l t ", sa gt e e r
nach
ei ner
P aus e.
"W ahrsch ei nl i ch
i st
er
ei ngeschl af en. "
"Mei n P apa schl äft ni cht ,
wenn er Aut o fährt . "
"Das k ann j edem passi eren,
wenn er s ehr m üde i st ."
"W enn er si ch n i cht wohl
fühl t , m acht er ei ne P ause oder e r l ässt M am a fahren. " S i e
redet e üb er i hn h art näcki g i n
der Ge genwa rt sform .
"Di e Verk ehrspol i z ei sa gt : Es
waren ni cht ei nm al Brem sspur en
z u erkennen. "
"W enn schon! M ei n P apa
schl äft ni cht ei n, w enn er ni cht
ei nschl afen d arf. "
Nach knap p z wei S t unden
hat t en si e di e U ngl ücksst el l e
errei cht . Di e S t r aße füh rt e
durch
f rei es
Gel änd e
schnur ger ade
auf
di e
verhän gni s vol l e Ku rve z u. Das
war
al l es
an dere
al s
unü bersi cht l i ch. Un t er no rm al en
Um st änden hät t e hi er sel bst ei n
Anfän ge r kei n en F e hl er be gehen
dürfen.
Herr Mei ßner hi el t auf dem
S t andst rei fen
an.
Draup adi
kl et t ert e di e Bös chu ng hi nu nt er.
In d er V erl än ge run g de r S t raße
st and ei n Baum v on m ehr al s
ei nem
Met er
Durchm esse r.
S ei ne R i nde war beschädi gt ,
ansonst en sah m an i hm ni cht s
an. S i e übe rl e gt e, ob si e ei ne n
Bl um enst rauß hät t e m i t bri ngen
143
s o l l en. Doch für w en sol l t e der
s ei n? Könnt e P apa i hn sehen?
Vom
Hi m m el
aus?
Al l e
behau p t et en, dass es ei nen
Hi m m el und ei n Leb en nac h
dem Tode gar ni ch t gäbe. Und
di e Lebe n d en i nt ere ssi ert en si ch
j a ni cht für d en Tod i hrer
El t ern.
W ährend
si e
si ch
bewusst e wurde, nu n ganz al l ei n
auf der W el t z u sei n, schossen
i hr Tränen i n di e A u gen. Di e
al l erdi ngs wi scht e s i e sor gfäl t i g
ab, ehe si e d en H an g na ch oben
z urück z ur S t raße kl et t ert e.
D
Di e ei nz i gen Angehö ri gen,
Mut t er und Tocht e r Ebbi n ghaus,
wi rkt en verl oren, bei nahe fehl
am P l at z . W ährend Draupadi si e
verst ohl en b eoba ch t et e, fra gt e
si e si ch, w arum b ei i hr al l es
an ders w ar al s bei g ewöhnl i chen
Ki ndern. Di e Gro ßm ut t er war
sel bst j et z t kei ne echt e Om a.
S t ei f wi e ei n R oboter st and s i e
am Grab. Zw ar l i e fen i hr ei n
paar T r än en übe rs G esi cht , doch
z ugl ei ch fl üst ert e s i e, dass i hr
K i nd
si ch
durch
unsol i de
Mä nnerbekannt s cha f t en
das
Leb en rui ni e rt habe . ("E rst de r
Au s l änder,
da nn
der
S t asi bonz e.") Dr a up adi verst and
j edes W ort - und hasst e si e
dafür.
Tant e C ornel i a hat t e (warum
auch i m m er) ei n schl echt es
Gewi ssen.
Sie
redet e
verschwo m m en
von
Wi ed ergut machung ,
wofür
ge rade d er ri cht i ge Zei t punkt
gekom m en
sei .
Draupadi
wusst e,
dass
si e
von
de r
Ado pt i on
sprach.
Bei
dem
Gedanken, bei i hr ei nz i eh en z u
m üssen, war i hr ni cht wohl . Mi t
i hren Männ ern h a t t e es di e
Tant e ni e l an ge au s gehal t en.
Di e wa ren st et s n ac h spät est ens
ei nem
ha l ben
Jahr
wi ede r
verschwund en. Gal t das auch für
Ki nder? Doch wel che W ahl
i e Trauer fei er w a r ei n
groß e s Er ei gni s. Nac h
den ei nsam en Ta ge n bei
Herrn M ei ßner hät t e Dr aupadi
ni e und ni m m er er wa rt et , d ass
s o vi el e Mensch en z um Fri edho f
kom m en und dass am E nde so
vi el e Kränz e auf dem Grab
l i egen wü rden. U nwi l l kürl i ch
m i s cht e si ch i n i hr ei n w eni g
S t ol z unt er di e abgrundt i efe
Verz wei fl un g.
Obwohl
au s drückl i ch s owo hl Herr al s
auch Fr au S chm i t t di e l et z t e
Ehre e rwi es en be kam en, war
doch un übersehb ar , wer von
bei den
den
Aufw and
recht f ert i gt e. Di e Trauer gäst e
arbei t et en,
von
w eni gen
Aus nahm en a b ges eh en, al l esam t
bei m
Mi ni st eri um
für
S t aat s s i cherhei t . Di e Kränz e
kam en auch von do r t .
Or gani si ert
hat t e
al l es
offenkundi g dersel be Kol l ege
i hres Vat ers, d er auch al s
ei nz i ger bei H er rn Mei ßner
auf get au cht war, u m si ch nach
i hr z u erkundi gen. W arum er
s i ch s o ei nset z t e, k onnt e si e nu r
verm u t en, denn si e hat t e i hn
z uvor nur z wei m al kurz geseh en
und ni e m i t i hm ger edet .
S i cherl i ch
war
er
aus
i rgend ei nem Grund zust ändi g .
In i hr er Vo rst el l ung gab es fü r
al l es j em anden, de r z ust ändi g
ist.
144
hat t e si e? Bei den Mei ßners
konnt e si e ni cht bl e i ben.
Im Na chhi nei n behi el t si e di e
W oche, di e si e be i der Tant e
verbra c ht e, i n gut er Eri nnerun g.
Dabei
m ocht e
ei ne
R ol l e
ges pi el t haben, d ass es m i t
i hrem
S chi cksal
unm i t t el bar
danach
st ei l
be rgab
gi n g.
Tat s ache war abe r auch, dass
si ch C o rnel i a Ebbi nghau s groß e
Mühe gab, i hrer Ni cht e ei n
schönes
neu es
Zuhaus e
zu
bi et en - ei nes, wo s i e si ch (d en
Um st änden en t spre chend) wohl
fühl en konnt e. S i e räum t e z u
di esem
Zweck
di e
hal be
W ohnung
um .
W i edergu t m a chun g eben.
39
E
s
war
Mont a gm orgen
ge gen
a cht
Uhr.
Ei gent l i ch hat t e Dr a u padi
an di esem Ta g erst m al s wi eder
z ur S chul e gehen sol l en. Es wa r
abgespr och en, dass si e t rot z des
deut l i ch wei t eren W egs vorerst
in
i hrer
vert rau t en
Kl asse
bl i ebe. Doch i r gen det was h at t e
s i ch kurz fri s t i g ge ä ndert . Tant e
C ornel i a führt e e i nen Ordn er,
wori n si e di e rasch anwac hs ende
Fl ut
von
Bri efen
und
Dokum ent en sa m m el t e, di e m i t
i hrem
P fl egeki n d
z us am m enhi ngen. Frühe r wä re
Draupadi
neu gi e ri g
genu g
ge wesen, hei m l i ch ei nen Bl i ck
dort hi nei n z u werfen. J et z t
i ndes krei s t en i hr e Gedan ken
fas t nur um das Ve rl orene. S i e
l i t t unt er Al pt rä u men und l i ef
t ags übe r um her wi e i m Trance.
Al s es kl i ngel t e, saß si e noch
bei m Frühst ück. Ta nt e C orn el i a
s chi en ni cht überr a scht z u sei n,
aber si e war si cht l i ch ne rvös.
S i e redet e z i em l i ch l ange auf
dem Korri do r m i t e i nem Mann.
Dann kam si e m i t di esem
gem ei nsam i ns W ohnz im m er.
Ers t j et z t erwa cht e i n Draup adi
das Mi sst rauen. Di e Mi enen der
bei den e ri nnert en si e dar an, wi e
Herr Mei ßne r i hr di e Nachri cht
vom Tod der El t ern überbra cht
hat t e. E rfol gl os e S uche nach
ei nfühl sam en
For m ul i erungen .
Di esm al erl i t t si e al l erdi n gs
kei nen Nervenz usa m m enbruch.
S i e em pfand vor a l l em W ut W ut auf Tant e Cornel i a, di e
ni cht
so
schul dbewus s t
drei nbl i cken würde , wenn si e
ni cht
z uvor
ei n en
Ve rrat
began gen h ä t t e.
"W as st eht i hr da rum ? ",
faucht e si e. "S ei t i hr z u fei ge,
um m i t m i r z u sprechen? "
Der Mann n eben der Tant e
war redsel i ge r al s H err M ei ßner.
Vi el redsel i ger. E r hört e gar
ni cht wi eder auf z u reden.
Draupadi ent nahm frei l i ch nu r,
dass di e Tant e al s al l ei n
st ehe nde
Fr au
ohne
j ede
Erfah run g
in
der
Ki ndererz i ehun g
al s
Ado pt i vm ut t er ni cht i n Fra ge
käm e, dass m an d eshal b na ch
rei fl i cher
Üb erl e gun g
di e
Ent sche i dung get r offen habe ,
ei nem Hei m di e V erant wort un g
z u übert ra gen, und dass dort di e
145
al l erbes t en
Bedi n gun gen
v orhanden sei en. Noc h ehe er
z um E n de sei ner Li t anei gel an gt
war, s t and si e au f und z og si ch
den M ant el über. Dann fr a gt e
s i e aggressi v:
"W as i st? Können wi r endl i ch
geh en? "
Al s
di e
Tant e
si e
z um
Ab s chi ed
um arm en
wol l t e,
dreht e s i e si ch brüsk von i hr
we g. Al s si e spät e r i m Au t o des
frem den Mann es saß, bl i ckt e si e
s t arr z um Fenst e r hi naus und
l i eß s i ch auf kei n Gespräch ei n.
Das war i h re R ach e.
Di e
F ahrt
d aue rt e
ei ne
Ewi gkei t : e rst na ch Trept ow,
dann über das Adl er gest el l bi s
Grünau,
wei t e r
über
ei ne
Lands t r aße ganz aus Berl i n
heraus , bi s schl i eßl i ch das
Ort s s chi l d
von
K öni gs
Wus t er haus en
auft auc h t e.
Ei ni ge hunde rt Met e r spät er bo g
der W a gen i n ei ne ruhi ge
Nebens t raß e ei n und hi el t vor
ei nem z wei st öcki ge n Gebäude,
d es s en ei nz i ger S ch m uck i n ei n
paar von i nnen an di e Fenst er
gekl ebt en
Bunt p api erbl um en
bes t and.
Draupadi fra gt e si c h, wo di e
Ki nder wä ren. S i e hört e i hre
S t i m m en, konnt e sie aber ni cht
s ehen. Im E rd g es choss l i efen
nur Erwachs ene um her. An
ei nen von i hnen, ei ne kn app
drei ßi gj äh ri ge Fr au , wurde si e
ü b er geben - schön orde nt l i ch
wi e ei ne P aket sendung m i t
Li e fers chei n. Di e Frau st el l t e
s i ch al s T ant e Rit a vor und
wi rkt e
net t .
J edenfal l s
beant wort et e si e g edul di g al l e
Fra gen. Und si e ha t t e sogar
Vers t ändni s da für, dass ei n
Neul i ng si ch i m Hei m ni cht
gl ei ch wohl fühl t .
"Am Anf an g hat t en al l e i hre
S chwi eri gkei t en. A ber das wi rd
besser m i t der Zei t . Gl aub m i r!
Di e
Erwa chsen en
und
di e
äl t eren Ki nde r we r den für di ch
da sei n, wenn du t r a uri g bi st ."
Dann gi n g si e m i t der N euen
z unächst i ns Oberg e schoss. Dort
waren au ch kei ne Ki nder, doch
dort
befanden
si ch
di e
Unt e rkunft sräum e - recht s vom
Trep penh aus di e für di e J ungen,
l i nks di e für di e Mädchen. In
j edem
davon
st anden
drei
Do ppel st ockbet t en. Tant e R i t a
bem erkt e D raupadi s skept i schen
Bl i ck und erkl ärt e:
"S echs
Ki nder
unt erschi edl i chen Al t ers bi l den
j ewei l s
ei ne
Gr uppe.
Di e
Äl t eren hel f en de n J üngeren:
W i e i n ei ner ri cht i gen Fam i l i e. "
" Ic h hat t e überha upt kei ne
Geschwi st er, w ede r äl t ere noch
j ünger e
und
wi r
war en
t rot z dem ei ne ri cht i ge Fam i l i e. "
Tant e R i t a gi n g ni cht dar auf
ei n. S i e pri es st at t dessen di e
S chränke an: ei n hal ber für
j edes Ki nd, daz u ein ganz er m i t
Bret t spi el en und z usät z li chen
Decken für al l e z us am m en. Ei n
persönl i ches,
ab schl i eßbares
Gehei m fa ch. N un schön, aber
das i st j a w ohl auch das
Mi n dest e, w as ma n erw art en
kann !
Zurü ck auf d en G an g.
"Dort hi nt en recht s fi ndest du
den
W aschraum
und
di e
Toi l e t t en."
Draupadi vers chrän kt e t rot z i g
di e Arm e. Tant e R i t a m ocht e j a
t at sächl i ch ei ni ger m aßen net t
sei n. (Vi el l ei cht a l s Lehr eri n
oder so) Abe r hi er z u bl ei ben
146
(m onat el an g
wom ög l i ch)
ers chi en
i hr
aus ges chl ossen.
Das al l es konnt e nu r ei ner i hrer
bös en Träum e s ei n!
Lei d er wacht e si e ni cht auf ,
s ondern
wurde
von
der
Erz i eh eri n auf ei n e n hi nt er dem
Haup t gebäud e ve rb orgenen Hof
ge führt . Ei n höl z e r ner Fl achbau
und
ei n
Masc hendraht z aun
um grenz t en i hn. Kl et t er gerüst
und
S andkast en,
daz u
ei n
kl ei ner Ga rt en m i t Beet en.
Fr ei gehege .
D rau padi
hi el t
ver gebens Au s sch au nach ei nem
Tor. Man kommt hi er nur durch
den Haupt ei ngang r aus !
Auf dem Hof bekam si e
endl i ch auch di e Ki nder z u
s ehen, m i t den e n si e es i n
Zukunft
zu
t un
bekom m en
s ol l t e. Äl t ere und J üngere. Ob
j em and ei nem an d eren h al f,
konnt e si e ni cht
erke nnen.
Vi el m ehr
wu r de
i hre
Aufm erksam k ei t in Anspruch
genom m en
von
ei nem
durchdri n gend en B rül l en. Ei n
et wa z wöl fj ähri ge r J unge hat t e
den
Unm ut
ei nes
groß en,
spi ndel dürren E rz i e hers er re gt .
Ei gent l i ch gab de r Mann ei ne
l ächerl i ch e Fi gu r ab , wi e er dort
st and
und
we t t ert e.
Ei ne
sprechend e
Vo ge l sch euch e.
Doch der J unge h at t e Angst vor
i hm . Und Tant e R i t a war
si cht l i ch
unan gen ehm ,
das s
Draupadi d as erl eb t e an i hrem
erst en
Ta g.
Der
Maschendrah t zaun i st zi eml i ch
hoch, hat aber - anders al s i n
ei nem ri cht i gen Gef ängni s oben kei nen St a che l draht . Man
könnt e es v ers uchen !
W
und b enahm en si ch t rot z dem so,
wi e si e es gewo hnt waren .
Gefan g ene i m Teuf e l skrei s."
"Konnt en
si e
di ch
ni cht
l ei den, wei l du anders warst al s
si e? "
" Ic h hat t e vo r al l em ei n
P ro bl em m i t der R ango rdnun g.
J eder sol l t e si ch d a ei ngl i ed ern,
ei n Neul i n g s el bst verst än dl i ch
ganz unt en. D az u war i ch ni cht
berei t . Fol gl i ch bl i eb nur di e
Au ßensei t err ol l e - m i t al l en
Konsequenz en. "
"W oran l a g es i n der S chul e?
Dort
war en
ni cht
nur
Hei m ki nder. "
"Kei n er k ann m eh rm al s am
Tag um schal t en. Da s i st wi e ei n
Modus bei ei ner M aschi ne. Ic h
war i m Abweh rm odus. Al so:
kei nerl ei
B et ei l i gun g
am
Unt erri cht , l eer e Zet t el bei
ar
es
wi rkl i ch
so
schwer aus d em H ei m
zu
fl i ehen? ",
fr agt e
Frauk e un gl äubi g.
"Nei n,
n at ürl i ch
ni cht ",
erwi dert e Draup adi . "Di e Tür
war
t a gsüber
ni cht
abgeschl ossen. Nu r : W o sol l t e
i ch al s Zehnj ä h ri ge hi ngeh en? "
"Du
konnt est
ni cht
we g,
k o nn t est di ch ab er auch ni cht
ei ng ewöh nen? "
"Ei n Ki nd wi e i ch kam
norm al erw ei se ni c ht dort hi n.
Di e an der en hat t en El t ern, di e
al k o hol sücht i g
w aren
oder
ge wal t t ät i g ode r ps ychop at i sch
oder a l l es z usam m e n. S i e kam en
aus der Höl l e und schl eppt en
ei n S t ück davon m i t si ch herum :
ei n gi ft i ges und t rot z dem l i eb
ge wonnenes
S ou veni r.
Sie
has s t en, was si e e rl ebt hat t en,
147
Kl as s e n arb ei t en,
Ant wort verw e i gerun g s el bst bei
ei nfachs t en Fr a gen. "
Frauk e bal l t e di e Fäust e und
s chüt t el t e den Kopf.
"Das d arf d o ch ni cht wahr
s ei n! Du h at t est gerade dei ne
El t ern ve rl oren. Du warst z ehn.
Du s t andest unt er S chock. Und
kei ner von d en Leh rern und
Erz i ehern hal f di r. Das i st doch
ei n Fal l für d en S t aa t s anwal t !"
"Nei n, nei n ! Das ge ht z u wei t .
Das i s t ni cht f ai r. Di e h a ben
s chon versu cht , si ch i n m ei ne
La ge z u verset z en. Di e haben
s i ch M ühe ge g eben . Vi el l ei cht
waren s i e üb erfo rd ert m i t der
S i t uat i on. Ich hab e es i hnen
üb ri gens au ch ni cht eben l ei cht
gem acht . Kei ne R eakt i on auf
Angebot e. S t ur und aggressi v.
Ic h war ( wi e d u j a wei ßt ) ei ne
Per s ö nl i chkei t . Das passt ni cht
gut z u ei nem Hei m . Mal ganz
obj ekt i v
bet rach t et .
Und
i rgend wann e nd et f ür j eden di e
S chonz ei t ."
"Di es e Tant e R i t a, konnt est du
weni gs t e ns m i t i hr ..."
"Ve r gi s s es! Di e net t e R i t a
war i m Hei m ni cht sehr b el i e bt .
Ir gendw ann wusst e i ch auch
warum . Im Zwei f el sfal l gi n gen
näm l i ch i hre ei ge nen Ki nder
vor. S i e hat t e drei davon, al l e
i m Vors chul al t er. W enn m an
R i t a braucht e, war si e ni cht da.
Grunds ät z l i ch."
"Und d er Hei m l e i t er? W i e
verhi el t der si ch? "
" Lam pr echt ? De r w ar fü r uns
ei gent l i ch ei ne fern e Aut ori t ät .
Nur P robl em f äl l e w urden z u i hm
best el l t - Fäl l e wi e i ch. Nach
drei Mon at en k ann t e i ch j edes
Buch i n dem ri esi ge n R egal über
sei nem Bürose s sel . Aber ei ne
Ausz ei chnung war das ni cht .
Manchm al
hat t e
i ch
Hoffnu n gen. J a. Im m erhi n l i ef
ei ne B eschw erde m ei ner Tant e
ge gen di e Abl eh nung i hres
Vorm un d schaft sant r ags.
Ich
gl aub e auch, das s er si ch
ehrl i ch S orgen g em acht hat . Er
wi rkt e auf m i ch m anchm al
re gel r echt r at l os. Erst aunl i ch!
S onst t rat er nä m l i ch auf wi e
ei n Köni g. "
"Et was
passt
hi er
ni cht
z u sam m en."
"W i e m ei nst du das? "
"Du hast es vor hi n sel ber
ges a gt : Ei n Ki nd wi e du kam da
norm al e rw ei se ni cht hi n. S i e
haben di e Mö gl i ch kei t en ni cht
ausgeschöpft . W aru m ni cht? "
"Aus
form al en
Gründen.
Al l ei nst ehende b ek om m en auch
hi erz ul ande
sch wer
ei ne
Vo rm undschaft . "
"Ei ne P fl e ge fam i l i e ! Du warst
doch l ei cht verm i t t e l bar."
"W i rkl i ch? Ei ne verwöhnt e,
reni t ent e Zehnj ä hri ge? "
"Di es er
Kol l e ge
dei nes
Vat ers? "
" Ic h
gl aube,
der
wa r
ges chi eden, al so eb e nfal l s al l ei n
s t ehend."
40
148
D
raup adi wa r nur de shal b
aufs
Da ch
gekl et t ert ,
wei l si e i hre R uhe h aben
wol l t e.
Sie
hat t e
di e
u n v erschl ossene Lu ke en t deckt
und di e Gel ege n he i t genut z t ohne z u ahnen, wa s si e dam i t
aus l ö sen würde. S i e war dar auf
ge fasst gewes en, vom Al t en
Fri t z ent deckt und a n den O hren
von i hrem Beob ac ht ungspost en
herunt er gez errt z u werden. S i e
hat t e si ch drohende S t rafen
aus gere chnet . Tat s ächl i ch abe r
war
Hei m l ei t er
Lam pr echt
z us am m en m i t der z ust ändi gen
Ki n derärz t i n auf ge t aucht . Di e
b ei den hat t en dann m i nut enl ang
überaus
s e l t sam
auf
si e
ei nger ed et . Dana ch genoss si e
im
Hei m
ei ne
Zei t l an g
Narr enfr ei hei t .
Hänsel ei en
durch and ere Ki nder w aren
nunm ehr st ren gst ens ve rbot en.
Außerdem wurd e si e ei nm al
pro W oche i n d en Nachb arort
Ei chwal de
zu
Fr au
Dokt or
Hut t er gefah ren. D as war ei n e
bes ondere Ärz t i n - ei ne, di e
kei ne Medi kam ent e verschri eb ,
s on dern nur m i t i hr r edet e - und
z war
über
al l e
m ögl i ch en
Them en. An fan gs verst and si e
das P ri nz i p der Beh an dl un g
noch ni cht . Erst na ch ei n paa r
W o chen m erkt e si e, wel che
Hi l fe si e an F rau Hut t er hat t e.
W enn
si e
et w as
mit
i hr
bes prach,
b ek am
si e
ans chl i eßend ei nen z u gekl ebt en
Um s chl a g für den Hei m l ei t er
m i t auf den W eg, und was da
dri n st and, wurde verwi rkl i cht .
Al s si e z um Be i spi el kl agt e, wi e
s ehr
der
P i o ni erchor
und
überhaupt di e M u si k i hr fehl t en,
wurde i hr
Gi t a r r enunt erri cht
verordnet . Lam p rec ht war sofort
ei nve rst anden, obw ohl si e daz u
z ehn S t at i onen m i t der S -Bahn
bi s z um
Bah n hof Ost kreuz
fahren m usst e.
Der Unt erri cht fan d i n ei ner
W ohnung st at t - i n ei nem
Hi n t erhaus i m erst en S t ock. Das
ei n z i ge Zi m m er (neben d er
Kü che)
w ar
ei n
Berl i ner
Z i mmer . Es hat t e nur ei n
Fenst er ( an der a bges chrä gt en
Ecke), und an g esi ch t s des en gen
Hofs schi en di e S onne so sel t en
herei n wi e i n di e ast ronom i sch
ausgeri cht et en
G ra bkam m ern
der Az t eken. Dort z og nur ei n,
wer ni cht wähl eri s c h sei n durft e
- wi e z um Be i spi el j em and, der
Musi kst unden gab. Das Zi m m er
di ent e
He rrn
J ahn
gl ei ch erm aß en z um S chl afen,
W ohnen und Arbei t en. Am
spät en Abend kl a ppt e er ei n
Bet t herunt er. D er W ohnl i chkei t
di ent e ei n Fe rns eh er, der bi s
et wa z ehn Mi nut en nach dem
Ei nschal t en ver rü ckt spi el t e,
dann ab er r el at i v z u verl äss i g
l i ef. Fü r de n Unt e rr i cht st anden
z ehn S t ühl e berei t , di e si ch
s t apel n l i eßen.
Draupadi
fühl t e
si ch
auf
An hi eb wohl . Her r J ahn war
z war (na ch i hr e m Maßst ab)
schon z i em l i ch al t , doch er wa r
kei ner
von
j ener
S ort e
Erwachs ener, di e si e vom Hei m
und von der her S c hul e kannt e.
Bei i hm braucht e si e ni cht z u
überl e gen, w as si e sagt e, b ei
i hm durft e si e auch m al schl echt
gel aunt sei n. S cho n äußerl i ch
war e r and ers: No c h ni e z uvor
hat t e si e b ei e i nem Mann ei nen
P ferdesch wanz gese hen. E i ni gen
Leut en aus sei nem Haus gefi el
das ni cht . Das wa re n di esel ben,
di e si ch au ch übe r di e Musi k
149
aufre gt en.
Di e
Ki nder
und
J ugendl i chen,
di e
er
unt erri cht et e, be wu nde rt en i hn:
Er
konnt e
ei n
Dut z end
vers ch i ed ene
Inst rum ent e
s pi el en; er t r at m i t ei ner
J azz band öffent l i ch auf (w enn
auch nur i n Gast st ä t t en); und er
wus s t e auf fast j ed e Fra ge ei ne
Ant wort .
Al l e i n
aus
Bewund erun g t at en si e al l es,
was er s a gt e. H aus au f gaben i m
engeren S i nne gab e s kei ne, nu r
Vors chl ä ge, di es o der j enes z u
üben.
Im Mai redet e Fr au Hut t er
davon, dass Draupa di i m Hei m
ni cht gut auf gehob en sei , w ei l
si e
dort
i hre
überdurchs chni t t l i ch
ausgeprä gt en
Tal ent e
ni cht
ent fal t en könne. S i e ve rspr ach,
si ch
persönl i ch
um
ei ne
P fl ege fam i l i e
zu
kü m m ern.
Doch d az u kam es dann ni cht
m ehr.
W
m achen wol l t e. D as sa gt e er
wort wör t l i ch."
"Ei ne Vers chwörun g? Ach du
l i ebe Zei t ! D az u war i ch j a wohl
ni cht wi cht i g genu g. "
"Nenn
mir
bi t t e
ei nen
ei nz i gen pl ausi bl en Grund für
den Ther api eabbru c h!"
"Das E r gebni s der B ehandl un g
ent sprach
ni c ht
den
Erwart u n gen ."
"Das w ar di e Ei nschät z ung
von Lam p recht . Od e r? "
"J a."
"W as
ve rst and
der
denn
davon? Der i st kein Arz t . Ich
wet t e, dass Fr au Hut t er di e
Behan dl un g fort set z en wol l t e."
"Di e W et t e hast du ge wonnen.
Lam p recht fun gi e rt e aber al s
Vorm und
und
durft e
ent sche i den. "
" Ist
das
ni c ht
ei n
W i de rspruch: Erst veranl asst er
di e Therapi e auf ä r z t l i chen R at
hi n, dann würgt er si e i m
ent sche i denden Mo m ent ab ent ge gen dem ärz t l i chen R at?
W urde er g est eu ert ? "
"Gest euert ? "
"Ol a f Marqua rt sa gt e, dass ab
und z u j em and hei m l i ch z u
Lam p recht i ns Büro kam ."
arum bi st du da m al s
abgeha u en? ",
fr agt e
Frauk e
na chden kl i ch.
" Ic h m ei ne: W aru m z u di esem
Zei t punkt ? Das Bl at t schi en si ch
doch z u dei nen Gunst en z u
wenden. Oder ha st du das
anders em p f unden? "
"Hi nt erh er i st man i m m er
s chl auer al s vorhe r . Hät t e i ch
ge wus s t , dass i c h m i r den
Kont akt
zu
Frau
Hut t er
vers che rz e, w äre i ch nat ürl i ch
brav gebl i eben. A ber i ch bi n
ei nem i nneren Im p ul s gefol gt ,
ohne P l an und Zi el . Di e Bul l en
hät t en
m i ch
ga r
ni cht
ei nz ufangen brauch en. Ich wär e
nach ei n paar T a gen fre i wi l l i g
z urückgekom m en. "
"Has t du das dem Hei m l ei t er
s o erkl ärt ? "
"S i cherl i ch ! Ab er so genau
eri nner e i ch m i ch ni cht m ehr.
Ic h w ei ß nur no ch , dass di ese
Ges chi cht e
sof ort
al s
R i es en verbr echen
hi ng est el l t
wurde. "
" Ic h
hat t e
kü rz l i ch
ei n
Ges prä ch m i t Ol a f Marqu art .
Der
b eh aupt et ,
dass
i rgendj em and
di ch
fert i g
150
"Al s Hei m l ei t er hat Lam p recht
nat ürl i ch öft er m al Besuche r
em pfan gen,
a us
den
unt erschi edl i chst en
Gründen.
Aber di e k am en ni c ht hei m l i ch ,
s on dern ganz offi z i el l . Kei ne
Ah nung, w as de r Ol af da
beobac ht et haben wi l l . Mi r
j edenfal l s si nd ke i ne dunkl en
Ges t al t en auf gefal l e n."
"Noch et w as: Ist de i n S chrank
durchsucht word en? "
"Na kl ar! Hei m ki nder si nd
kei ne En gel . Es wu r de öf t er m al
was gekl aut . "
"Das war ni cht m e i ne Fra ge.
Haben si e spez i e l l bei di r
u n ab hän gi g
von
akt uel l en
Di ebst ä h l en
mal
et was
ges u cht ? "
"Nei n, n ei n, nei n ! S chl uss
j et z t ! Ich l asse m i r kei ne
Agen t en gesc hi cht e
ei nreden.
W i r si nd doch hi er ni cht bei
J am es Bond. "
Frauk e
wol l t e
ger ade
ges t eh en, wi e si e d i e Bahg a vad
Gi t a z u ret t en v er sucht hat t e.
Vi el l ei cht waren j a di e dari n
verst eckt en Zet t el der Grund fü r
di e
Durchsu chun gen.
Doch
Draupadi ha t t e kei n e Lust m ehr,
si ch z u eri nnern. Si e st and m i t
ei nem R uck auf un d wechsel t e
das Them a.
"W as wol l en wi r z u Mit t ag
es sen?
Mei ne
Kochkünst e
m öcht e i ch di r ni cht z um ut en."
"S o schl i m m? "
"Fü r m i ch i st das Essen i n
ers t er Li ni e ei ne not wendi ge
Ener gi ez ufuhr: so ähnl i ch wi e
das Tanken b ei m Aut o. Ich
schl age vor, dass wi r z u ei n em
Ind er ganz i n der Nähe geh en.
Kannst du scharf e Gewürz e
vert ra gen? "
" Ic h bi n ei n F an dav on."
"Groß art i g! Al so da nn: Ni cht s
wi e
hi n!
Di e
P rei se
si nd
übri gens
m oder at .
S chl i cht e
W oh nl agen
hab en
auch
Vort ei l e."
41
E
i ne W ei l e war Frauk e
ab gel enkt
durch
di e
Ei ndr ücke
in
der
Gas t st ät t e und das S t udi um der
S pei s ekart e. D ann schwei ft en
i hre Ged anken u nwi l l kü rl i ch
wi eder ab z u den E r ei gni ssen i m
Hei m . Es kam kei n ordent l i ches
Ges prä ch z u st ande. Ir gendwann
hat t e Dra u p adi genu g d avon.
"W as i st l os m i t dir? W o b i st
ge rade? Ich m ei ne: gei st i g. "
"Das kannst du best i m m t
errat en."
"W enn ei ner von uns bei den
t raum at i si ert sei n sol l t e, m üss t e
i ch das doch ei ge nt l i ch sei n.
Gi bt es et was, wov on i ch noch
ni cht s wei ß? "
"J a und nei n."
"W i e j et z t? "
" Ic h t appe i m Dunkel n und
hoffe, dur ch di ch ei n S t ück
wei t erz ukom m en.
Ei n
abendfül l e ndes Th e m a."
"W oran denkst du j et z t , i n
di esem Mom ent ? Ic h e rkenn e
über dei nem Kopf ei n ri esi ges
Fra gez ei chen. "
151
" Ic h bi n m i r ni cht si cher, ob
m i ch
das
überh aupt
et was
angeht . Es gi bt Di n ge, di e wi l l
m an für s i ch b ehal t e n. Verst ehst
du, was i ch m e i ne? "
"Nei n, k ei n bi ssche n."
"Es geht um ei ne Andeut ung
von Ol af Maqua rt ."
"Noch
ei ne
Vers chwö run g s t hese ? St eht er
neuerdi n gs au f so et was? S o
hät t e
i ch
i hn
gar
ni cht
ei nges chät z t ."
" In di esem Fal l bet r i fft e s i hn
s el bs t . Er hat ei n schl echt es
Gewi s s en. Zwar s pi el t er di e
ganz e G eschi cht e h e runt er, doch
ge rade das i st fü r m i ch ei n
Zei chen d afür, da ss es kei n e
Kl ei ni gkei t w ar. "
W ährend si e sprac h, behi el t
s i e Draup adi gena u i m Auge,
daz u b erei t , sofort abz ubrec hen,
wenn s i e i n der en Mi enenspi el
erns t haft e Abwehr ent decke n
würde. Do ch si e fan d eher ei n en
Anfl ug von Bel u s t i gung.
"Das hat er si ch sosehr z u
Herz en genom m en, dass er es
j et z t noch erwähnt? Er verbl üfft
m i ch i m m er m ehr."
"M öcht est du da rüb er red en? "
"Du gi bst j a am Ende doch
kei ne
R uhe.
Im
Übri gen
erwa rt es t
du
wa hrschei nl i ch
m ehr, al s i ch di r bi et en kann.
Ol af wa r dam al s v i e rz ehn, ei n
paar J ahre äl t er a l s i ch. Ei n
t ypi s ches
H ei m ki nd:
Konnt e
s i ch an ei ne F am i l i e ni cht m ehr
eri nnern und hat t e ni e ei ne
C hance au f Ado pt i on. In d er
S chul e kam er ni cht m i t , wurde
wohl auch gehäns el t . Im m e rhi n
war er fü r sei n Al t e r groß; daz u
s port l i ch
und
ei n i germ aß en
hübs ch.
Er
kam
m ei s t ens
z i em l i ch
drei st
daher:
ei n
Anführe rt yp. Aber t i ef i n si ch
hat t e
er
j ed e
Men ge
Mi nderwe rt i gkei t s ge fühl e."
"S o ähnl i ch em pfa nd i ch i hn
heut e noch. "
"Di e m ei st en w erd e n von i hre r
Ver gan genhei t
ei ngehol t .
P ar t nerscha ft en
si nd
für
Hei m ki nder
gen erel l
ei n
P robl em . Das In t e resse für
S ex uel l es kom m t von sel ber,
aber für ei nen vernünft i gen
Um gan g m i t ei nande r fehl en di e
Vorbi l der. Di e e rl eben di e
Erwachs enen j a i m m er nur bei
der Arb ei t ."
"Hat Ol af si ch fü r di ch ...
i nt eressi ert ? "
"Er war verl i ebt , wenn m an
das so nennen da rf. An fan gs
benahm er si ch e i ni germ aß en
net t , gab d en Bes chüt z er. Al s
i ch i hm se i ne ungeb et enen
Di enst e ni cht dankt e, wurde e r
ungedul di g. S chl i eß l i ch war e r
ri cht i g sau er, wei l e r dacht e, i ch
würde au f i hn her ab bl i cken."
"Hat er di ch m i ssbra ucht ? "
"Das w ar kom pl i z i ert er. Ic h
gal t
al s
Auß ens ei t er.
Den
besonderen
S ch ut z
hat t e
Lam p recht z usam m en m i t der
P s ych ot her api e gest ri chen. W ei l
i ch ni cht so scharf darauf wa r,
noch
m ehr
V e rehre r
zu
ge wi nnen, z o g i ch m i ch bewusst
et was na chl ä s si ger an: noch
ni cht di e echt e P u nkernum m er,
aber schon i n di eser R i cht ung.
Das wi ederum na hm Ise n se e
z um
An l ass,
m i ch
al s
S chm ut z fi nk
hi nz ust el l en.
Ei nm al versucht e ei ne C l i que,
m i ch gew al t sam z u waschen.
Das sch afft en si e ni cht , wei l i ch
m i ch z u sehr wehrt e. Der Al t e
Fri t z kam au f m ei n Geschr ei hi n
daz u und m usst e di e anderen
152
wohl oder übel v ert rei ben. Aber
i ndi rekt gab e r i hne n auch R e cht
und goss d adu rch Öl i ns Feuer. "
"Das si nd j a Zust ä nde wi e i n
ei nem übl en Fi l m ! "
"Norm al e
Ki nderhei m z ust ä n de .
Di e
Ges chi cht e eskal i e rt e, al s ei n
paar Mäd chen m i r e i nes Abends
bei m Duschen di e Kl e i dun g
kl aut en und dann ei n paar J ungs
Bes ch ei d sa gt en. "
"Da runt er Ol af Ma r quart ? "
"Er hat den P l an verm ut l i ch
aus geheckt . Ab er es i st wi rkl i ch
ni cht vi el passi ert . Er hat m i ch
ange graps cht . Ich h abe i hm i ns
Ges i cht g espuckt . Er hat m i ch
al s
Zi cke
b esch i m pft
und
behaupt et , dass e r si ch n i cht s
aus m i r m acht ."
"Hast du di ch d ana ch an i hm
i rgend wi e ge rächt . Er ..."
Erst m al s spi egel t e si ch auf
Draupadi s G esi cht ei ne st ärke re
R eakt i on. S i e verz o g d en Mund,
al s habe si e i n e i ne Zi t rone
gebi ssen und ant wort et e ers t
nach ei nem Zö gern.
"J a. Verd am m t noc h m al ! Ic h
hat t e ei ne S t i nkwut auf i hn. Is t
das ni cht nachvol l z i ehbar? "
" Ic h wer fe di r j a ni c ht s vor."
" Ic h habe i hm ei ne n S chl uck
R ei ni gun gsm i t t el
in
di e
Li m onade geki ppt . Das i st i hm
aber
noch
recht z ei t i g
auf gef a l l en. Bei de n Erz i ehern
gab 's nat ü rl i ch K ri sensi t z ung.
Ic h wu rde h erbei z i t i ert und
st ri t t erst ei nm al al l es ab.
S ol l t en
si e
es
mir
doch
bewei sen, bi t t e s eh r! Doch i m
Verl auf e d es V erhör s wurde m i r
das Leu gnen pl öt z l i ch z u bl öd
und i ch knal l t e i hnen an den
Kopf: Wenn er da s noch mal
macht , br i nge i ch i h n um . Dam i t
war es raus. "
H
Ih re La ge ver änd ert e si ch
derart
gründl i ch,
dass
sie
z unächst ni cht einm al gena u
wusst e,
ob
es
eher
ei ne
Verbess erun g oder eher ei n e
Verschl e c ht erun g
war.
Den
anderen
Ki nder n
wurde
ei ngeschä rft ,
si ch
ni cht
prov oz i eren z u l assen. Das l i ef
darauf hi naus, si e z u m ei den
wi e
ei ne
P est kranke.
Bei
P robl em en, gl ei ch wel cher Art ,
waren u m gehend di e Erz i eher
ei nz uscha l t en. Das wi ederum
l i ef hi naus auf Den unz i at i o n .
Di e
größt en
Fo l gen
h at t e
al l erdi ngs der Au ft ra g an F ri t z
Is ensee,
si ch
um
si e
zu
kü mmern .
Ei n S adi st war der Al t e Fri t z
ni cht , auch k ei n N az i (wi e von
i nt er dem W aschraum
gab es z wei R äum e, di e
z u kl ei n waren für ei ne
Gruppe von sechs Ki ndern und
des hal b nur al s La ge r di ent en .
Nachdem
de r
Hei m l ei t er
ent s chei den h at t e, d ass ni em and
m i t D raupadi ausko m m en könne,
wurde
ei ner
d avon
z um
Verbannun gso rt . D rei Le i t ern
und ei n paa r K ar t ons fanden
P l at z i m R aum ge genüber. Di e
Bes en und S t aubsau ge r bl i eben ,
ebenso
d as
G e rüm pel
im
hi nt eren Dri t t el . Das Dom i z i l
hat t e ei ne d em üt i ge nde Näh e z u
ei ner
Hu nd ehü t t e.
Draupadi
i ndes b eschwert e si ch ni cht aus E rl ei cht erun g darüber, aus
dem S echsbet t z i m m er raus z u
s ei n.
153
Ol af M arqua rt verm ut et ). Er war
vi el m ehr ei n P ädago ge vom
al t en S chl age, der das, was er
t at , für ri cht i g un d not wendi g
hi el t . Nach sei n er Überz eu gun g
würden di e Ki nder i hm sei ne
S t renge sp ät er ei n m al danken.
Er kannt e es ni cht anders aus
ei g enem Erl eben. Zw ar wa r er
m i t s ei nen Ansi cht en ni cht m ehr
ganz auf d er Höh e der Zei t ,
doch
konnt e
m an
i hm
an dere rs ei t s ni cht absprech en,
das s er unt er den schwi eri gen
Hei m i ns assen
für
Ordnun g
s orgt e.
S ol an ge
kei ne
Kont rol l kom m i s si on
größe re
Beans t andun gen z u P r ot okol l
gab, s ah Lam pre cht ke i nen
Handl ungs b edar f.
Draupadi j edo ch b racht e di e
unges chri eb enen G eset z e und
Abs prach e nun durchei nand er.
Ers t m al i g
wäh re nd
sei ner
l an gj äh ri gen Tät i gk ei t i m Hei m
erl ebt e Is ensee, d a ss ei n ni cht
ei nm al z wöl fj ähri ges Mädchen
s i ch i hm daue rhaft w i derset z t e.
Ei ne W ei l e hat t e si e Angst vor
i hm . Das spürt e er. Aber d ann,
al s er s chon fest d a m i t rechnet e,
das s s i e fol gs am w e rden wü rde
und al l es so käm e w i e i m m er, da
vers chw and di ese A ngst wi ede r.
Von da an ent gl i t t i hm di e
Kont rol l e - j ene ü ber si e und
j ene über si ch s el bst .
Ih re s t rat e gi sch e W affe war
i hre P fi ffi gkei t . D e r Al t e Fri t z
gi n g s t et s den di rekt en W eg,
ri s s l i eber ei ne W and ni eder,
ans t at t di e Tür z u benut z en,
konnt e ni cht gut um di e Ecke
denken. D as gab i hr di e C hanc e,
i hn
öffent l i ch
der
Lä che rl i c hkei t
prei sz ugeb en,
wi eder und wi ede r. Dass e r si e
dafür j ä m m erl i ch verprü gel t e ,
nahm si e i n Kau f , denn di e
Mi s s handl ungen l i efert en i hr
wi ederum ei ne H an dhabe ge gen
i hn. S i e t rug i hre Verl et z ungen
wi e Trophäen z ur S chau - vor
dem Hei m l ei t er, a ber au ch i n
der S chul e und s o ga r i m B ei sei n
von Fre m d en.
Moral i schen R ückha l t fand si e
bei R ol f J ahn und bei den
Freund en, di e si e i n sei ner
Um gebun g gefund en hat t e. Zwar
versucht e Isense e a l l es, um si e
an i hren Fah rt en na ch Ost kreuz
z u hi ndern, doch ersann si e
i m m er wi eder ei ne Mögl i chkei t ,
i hn
ausz ut ri cksen.
Sie
bet rac ht et e das al s ei ne A rt
s p ort l i che Her ausfo rderun g: S i e
kl et t ert e auf hal s breche ri sche
Art i m Oberges cho ss aus dem
Fenst er;
si e
t äuscht e
Zah ns chm erz en
vor
und
verschw and au f de m W eg z um
Arz t ; si e fäl scht e drei st ei ne
Anwei sun g des Hei m l e i t ers.
Ei nm al st ürz t e si e, um z u
en t kom m en, d as hal be Hei m i ns
C haos. Kurz nachdem Isens ee
si e i n i hrem Verl i e ß ei n g espe rrt
hat t e, l ockt e si e i hn m i t ei nem
sel t sam en
Ger äusch
wi ede r
herbei .
Al s
er
di e
Tü r
aufschl oss, kl am m e rt e si e si ch,
nur m i t e i nem S l i p bekl ei det , an
i hm fest . Zu gl ei c h st i eß si e
oh renbet ä ub ende S chrei e aus.
Nat ürl i ch bi l det e si ch sofort
ei ne Traube von Zusch auern .
Der Al t e F ri t z , der i n sex uel l er
Hi nsi cht
m i ndest ens
ebenso
konservat i v dacht e wi e bei der
Ki ndererz i ehun g, geri et völ l i g
aus der Fa s sun g. W ährend er um
Erkl äru n gen r an g, z og si e si ch
wi eder an und fl ücht et e durc h
ei n Toi l e t t enfenst er.
154
W egen j ene r Angel e genhei t
braucht e
er
si ch
s el bst verst än d l i ch
ni cht
zu
s orgen.
Di e
Mi s s handl ungen
j edoch t ri eben s e i nem C hef
z unehm end den S chwei ß auf di e
S t i rn. Lam pr echt ah nt e, dass da
früh er oder spät er ei n echt es
P robl em dro h t e. Das wusst e
frei l i ch auch Isense e. S o dum m
war nun auch wi eder ni cht .
Ungl ückl i ch erw e i se
hat t e
er
s i ch di e An gel e ge nhei t abe r
s chon z u sehr z u He rz en geh en
l as s en,
um
ge genüber
der
El fj ähri gen
di e
R uhe
des
Erwachs en en
be wahren
zu
k ön nen. A l l en gut e n Vorsät z en
z um Trot z rut scht e i hm i m m er
wi eder di e H and au s .
Anfan g D ez em ber kam , was
kom m en
m usst e.
Draup adi
nut z t e ei nen Term i n bei j ener
Ärz t i n, von der si e nur ei n paar
Monat e
z uvor
al s
sui z i dgefäh rd et
ei ngest uft
worde n w ar. S i e z ei gt e i hr e
Verl et z ungen und b racht e ei nen
S t ei n i ns R ol l en, der dem
Hei m l ei t er bei n ahe den P ost en
gekost et h ät t e. La m precht z og
di e Not brem se, i nde m er Isense e
z urückpfi ff
und
mit
der
reni t ent en
Insa ssi n
ei n
Ab kom m en schl oss: S i e durft e
wi eder ganz offi z i el l ei nm al pro
W oche z u R ol f J ahn und l i eß i m
Ge genz ug i hre V orwürf e auf
si ch b eruhen.
D
i gn o ri e rt , al s wäre i ch Luft . Und
i m Ansehen der an deren Ki nd er
bi n i ch gest i e gen, auch wenn
i ch
nach
wi e
vor
ei ne
Außense i t eri n w ar. "
"Das h ät t e ni cht j edes Ki nd
durch gehal t en. "
"Vi el l ei cht ... "
"Ol a f Marqua rdt behaupt et
übri gens, e r w äre angest i ft et
worden. "
"Um m i ch anz ugrapschen? "
Draupadi m usst e l a chen bei der
Vorst e l l ung. "N ei n. Das gl aube
i ch ni cht . Auf den Ei nfal l
kon nt e er j a wohl l ocker von
sel ber kom m en. W ie i ch vorhi n
schon m al sagt e: Hei m ki n der
si nd
in
i hrem
sex uel l en
R ei feproz ess oft ni cht so ganz
l ehrbuchko n fo rm ."
"Al so gut : B el as sen wi r 's
dabei für heut e ! Tsc hüs bi s z um
nächst en Mal ! "
"J a, m ach 's gut ! "
er
K el l ner
k am
und
erkundi gt e si ch, ob noch
et was
gewünscht
sei .
Frauk e ve rnei nt e un d bat um di e
R echnun g. Da si ch di e kl ei ne
Gas t st ät t e
i nz wischen
gut
ge fül l t
hat t e,
wurden
z wei
Gäs t e, di e vo r l e eren T el l ern
s aßen und ei nen Vi erert i sc h
bl ocki e rt en, z unehm end l ä s t i g.
"Kom m st du noch m al z u m i r
nach oben? ", fra gt e Draupadi
s pät er auf d er S t raß e.
"Ei n and erm al . Z um ei nen
m us s i ch d as, was du m i r da
al l es
erz ähl t
ha st ,
erst m al
verdau en, z um and eren m öcht e
i ch heut e ni cht gar so spät
Zuhaus e sei n. "
"Al l es kl a r. Ich b e gl ei t e di ch
noch bi s z um P arkplat z ."
"Hat das m i t dem Abkom m en
ei gent l i ch funkt i oni ert ? "
" Im
G roßen
und
Ganz en
s chon. Is ensee hat m i ch fort an
155
42
E
nde Apri l schwand en bei
Haupt kom m i ssar
Traut e n be r g
di e
Hoffnu n gen, i m Fal l Voss noch
auf ve rwe rt bar e
S puren z u
s t oßen. Darum b e auft ra gt e er
s ei nen Kol l e gen Zü rn, di e hal b
i l l egal aus dem B üro bei der
B IT
C o.
m i t g enom m en en
Term i npl aner i ns Archi v z u
s chaff en. De r pa ckt e di e Bü che r
daraufhi n i n ei nen Kart on und
fül l t e
das
ent spr echend e
Form u l ar aus. B e vor er si e
j edo ch t at sä c hl i ch i n den K el l er
t rug, bl ät t ert e er si e noch
ei nm al o berfl ä chl i ch durch: aus
Neu gi er, ohne ei n b esonderes
Zi el . Dab ei st i eß er pl öt z l i ch
auf ei nen Ei nt ra g, d er i hn
s t u t z i g we rden l i eß.
Erb t ant e
aus
de m
W est en
ei ng ez ahl t .
Der gl ei chen
wa r
öft er vor gekom m en . Aber di e
Form u l i erun gen l i e ßen eher an
den verspro chenen Lohn fü r
ei nen Di enst denke n al s an ei n
gro ßz ü gi ges Ges c henk. Voss
hat t e si ch offenb ar geb ärdet , al s
sei i hm et was vorent hal t en
worden, w as i hm z ust and.
S o kam es, dass Zürn das
ei gent l i ch schon ges chl ossene
Fass
wi ed er
ö ff net e.
Und
au s nahm swei se wa r Traut enber g
derj en i ge, der überz eugt we rden
m usst e . Al l erdi ngs bl i eb di e
W el t nur so l ange verkehrt , bi s
di eser
di e
Bed eut ung
d er
Mi t t e i l ung gänz l i ch be gri ff en
hat t e.
" Zei gen S i e m al her! ...
Tat sächl i ch! Das i st j a ni cht z u
fas sen. W i e konnt en wi r das
bei m erst en Mal übersehen? Ich
gl aub e ni cht an di e Va ri ant e m i t
der Erbt ant e. Di e h ä t t e das Gel d
doch ni cht gl ei ch bi s i n di e
S chwei z t ransferi e rt ."
"Ei ne
Erbt ant e
aus
der
S chwei z? "
"Das m ei nen S i e doch ni cht
ernst . W i r m üssen Frau Voss
noch ei nm al i nt ervi e wen."
"Ei gent l i ch sol l en wi r das j a
ni cht m ehr t un. S i e eri nnern
si ch? "
"Dann
h ät t en
Sie
das
unb edi ngt für si c h behal t en
m üssen. Kom m en S ie! Mut i g au f
z ur Tat !"
An der W ohnungst ü r von Frau
Voss
erl ebt en
di e
bei den
Kri m i nal i st en
ei ne
wei t ere
Überr aschun g. Dass si e bei i hr
ni cht sehr wi l l ko m m en sei n
K o n t o e nd l i c h v e rf ü gb a r .
E i n g ä n ge ü b er p r üf t :
'86 bis '88 o.k. / '89
u n v o l l st ä n di g / ' 9 0 f eh l t .
Di e daneb en not i ert en Zahl en
verwi es en au f ei ne Bank i n der
S chwei z . Aus wel chem Grund
hat t e ei n DDR -S t udent dort hi n
Zahl u n gen erh al t en? W arum war
das Kont o für i hn erst m ehrer e
M onat e
nach
der
W ende
verfü gba r
gew es en ?
Zürn
unt ers ucht e d as 91 - er T a gebuc h
ei n wei t er es Mal , n un m i t vol l er
Aufm er k s am k ei t .
Mi ndest ens
z wei Not i z en l i eßen si ch so
deut en,
al s
h abe
Voss
(z unehm end un ge du l di g) m i t
vers chi ed enen Leut en Kont akt
auf genom m en, um an sei n G el d
heranz ukom m en.
Für al l d as konnt e e s durchaus
ei ne ha rm l ose Erkl ärun g geb en.
Vi el l ei cht hat t e ei ne rei ch e
156
würden,
d am i t
hat t en
si e
ge rechn et , ni cht aber m i t dem
akt uel l en Grund da für: J ust am
Tag z uvor w ar ei n J ournal i st
nam ens Granni n ge r bei i hr
auf get au cht .
"W arum
we rd e
i ch
fort wä h r end bel äst i gt ? ", re gt e
s i e s i ch auf.
"W i r wol l en S i e wi rkl i ch
ni cht
st ören",
versucht e
Traut enbe r g z u beschwi cht i gen.
"Uns i st et was auf gefal l en, w as
wi r
ni cht
verst ehen .
W ah rschei nl i ch kön nen S i e m i t
z wei S ät z en al l es aufkl ären. "
S i e wi sse ni cht s von j enem
Kont o, ant wort et e si e schroff
und vers i ch ert e üb erdi es, d ass
weder si e noch i hr vers t orbene r
M ann
i r gend et was
mit
der
S chwei z z u schaffen hät t en.
"Gl aubst du i hr? ", wandt e
Traut enbe r g si ch hi nt erher an
s ei nen P ar t ner.
"Ei fri ge Zusam m ena rbei t si eht
anders aus, abe r si e wi rkt e ni cht
i rri t i ert
oder
ga r
s chul db ewusst ."
"S t i m m t . Und dass Herr Voss
s ei ner Gem ahl i n i n fi nanz i el l en
Di n gen ni cht j edes Det ai l auf
di e Nase z u bi nden pfl e gt e,
wi s s en wi r o h nehi n. "
Am
nächst en
Tag
ge gen
M i t t ag erschi en e i n Herr i n
Bus i nesskl ei dun g
im
Büro.
Unan gem el det .
"W i e kam en S i e hi e r her ei n? ",
herrscht e Traut enb e r g i hn an.
" Ic h werde da für sorgen, dass
..."
"Nei n, S i e werd en m i ch ni cht
raus we rfen,
Her r
Haupt kom m i s sar."
Mi t
arro gant em Lä chel n nahm der
Anz ugt rä ge r
P l at z .
Unauf ge forde rt .
Traut enbe r g
wa r
ei nen
Augenbl i ck l an g sp rachl os übe r
sovi el Unve rsch äm t hei t .
"Nu r, um Ihn en ei n si nnl oses
Tel efonat z u erspa r en: Offi z i el l
gem el det bi n i ch bei Herr n
Lehm ann.
Ih r
C hef
wei ß
sel bs t verst ändl i ch, dass i ch hi er
bi n." Traut enb er g wol l t e et was
ei nwerf en, kam ab er ni cht z u
W ort . "Und um auch di e Fra ge
nach m ei nem Anl i e gen vo r we g
z u nehm en, erl au be i ch m i r,
Ihn en di eses S chrei ben z um
Les en z u em pfehl e n: di e Kopi e
ei ner o ffi z i el l en Bes chwerd e. "
Traut enbe r g nahm di e bei den
Zet t el m i t ei ner rucka rt i gen
Bew e gun g. Das S ch rei ben erhob
den Vorwur f, pe rsönl i che und
z ugl ei ch
kom prom i t t i erende
Angaben
üb er
ei nen
unbescho l t enen Bü r ge r an ei nen
J ournal i s t en wei t erge geben z u
haben. T raut enb er g hat t e k ei ne
Ah nung, was gen au gem ei nt
war. Di e e rwähn t en Nam en
al l erdi ngs sa gt en i hm durchaus
et was.
Der
u nbeschol t ene
Bür ge r w ar Ax el Voss. De r
J ourn al i st war Gra nni nger. D er
wi derl i che
Anz u gt rä ger
in
sei nem Büro war D o kt or Uhl i g,
der Anw al t von Frau Vos s .
Traut enbe r g hat t e Lust , U h l i gs
Droh gebä rde z u ko nt ern. Doch
das war ei n P rofi , kei n kl ei ner
Ganove m i t große r Kl appe. D er
Vorwurf wa r sch werwi e gend,
wenn er si ch b e grün den l i eß.
" Ic h l ese hi er ni cht s al s
hal t l ose Behaupt un gen ", sa gt e
er schl i eßl i ch. "W o si nd di e
Bew ei se
für
Ihr e
Unt erst el l u ngen? " Er m uss t e
i rgend wi e
di e
Ini t i at i ve
z urückge wi nnen.
157
Uhl i g i ndes gi ng darauf gar
ni cht ei n. Er st and a uf und sa gt e
nur:
"Ve r gessen S i e ei nfach, dass
es m ei ne Mandant i n auf di esem
P l anet en
überh a upt
gi bt !
Ver ges s en
Sie
di e
ganz e
Angel e genh ei t , di e S i e al l ei n
für ei nen Fal l hal t en !"
Al s der An wal t dr a ußen wa r,
donnert e
Tr aut en ber g
sei ne
Faus t auf d en Ti sch. Zür n
z u ck t e nur m i t den S chul t ern.
"Er i s t ei n Arschl och, doch
wi r s ol l t en i hn ernst nehm en."
" Ic h fra ge m i ch, was di eser
Granni n ger t r ei bt . W as für uns
bei S t ra fandrohun g kei n Fal l
m ehr s ei n dar f, i st für i hn sehr
wohl noch ei ner. W a rum? "
"Vi el l ei cht
h at
er
In form at i onen, di e uns fehl en,
vi el l ei cht auch ni c ht . Ich h al t e
di es en T ypen fü r kei ne große
Num m er. Es könnt e sei n, dass er
s i ch an di es er S ache nur
fest kl am m ert , wei l er m om ent an
ni cht s Bess e res hat . "
"Abe r di eses Kont o i st doch
sel t sam ."
"J a. Gewi ss. Ich w ürde dafü r
t rot z dem ni cht m ei ne Zukun ft
auf S pi el set z en. W enn wi r au f
di e Unst i m m i gkei t hi nwei sen,
haben wi r uns ere P fl i cht get an.
W enn wi r di e S pur anschl i eßend
ni cht wei t er verfo l gen sol l en,
l assen wi r es eb en b l e i ben."
Traut enbe r g
bl i ckt e
ged a nkenv erl o ren
aus
dem
Fenst er.
"Das si eht ganz s o aus, al s
hät t en wi r ve rsehen t l i ch m i t t en
i n ei n W espennest gest ochen.
Ic h h asse es, w e nn m i r das
Erm i t t el n verbot en wi rd. Der
C hef dar f P ri ori t ät e n set z en. J a,
das schon. Doch darf e r e i n e
Erfol g
v erspre chend e
Erm i t t l ung ohne Be gründun g
unt erbi nden ? "
158
43
D
er erst e Mai fi el i n j enem
J ahr
arbei t nehm e rfr eun dl i ch
(wi e si ch das ei gen t l i ch auch
gehö rt )
auf
ei nen
Fr e i t a g.
Frauk e nut z t e das verl ä n gert e
W ochenende für ei nen Ausfl ug.
Durchs rom ant i sch e R hei nt al
mit
Zwi sche nau fe nt hal t en i n
M ai nz , Kobl enz und Bonn bi s
nach Köl n. Übe r nac h t un g i n
gen au j enem Hot el , wo si e bei
i hrem erst en Tri p i n den W est en
s chon ei nm al gesc hl afen hat t e .
S purensuche
mit
der
unverm ei dl i chen Ent t äuschun g
darüber, d ass si ch di e G efühl e
von
ei nst
n i cht
wi eder
ei ns t e l l en und st att dessen nur
W ehm ut
bl ei bt
we gen
d es
gnad enl osen
Ve rr i nnens
der
Zei t .
Mi t t age s sen
im
Gri echen rest au rant ,
das
es
i m m erhi n noch ga b. R ückre i se
dann
am
S onnt ag
au f
Neben s t raß en dur c h Ei fel und
Hun s rück. Zw i sch en durch fr a gt e
s i e s i ch i m m er m al wi eder, ob
Draupadi den s ym bol t rächt i gen
Tag
z weck ent spre chend
dem
Kam pf ge gen den Kapi t al i sm us
ge wi dm et hat - z um Be i spi el bei
ei ner
j en er
D em os,
di e
ge wöh n l i ch
auf
ex t rem
kurz l ebi gen,
h and t el l ergroßen
Zet t el n an gek ündi gt w erd en.
Zuz ut rauen war es i hr.
Nun saß Fr auke wi eder an
i h rem
S chrei bt i sch
im
Großrau m büro und hat t e m i ese
Laun e. N i cht s i st schw erer zu
er t r agen, al s ei ne Rei he von
gut en T agen . S i e wi derspi e gel n
schon ei ne Men ge W ei shei t , di e
al t en
S pri chwört er.
S pät e r
ges el l t e
si ch
zur
di ffusen
schl echt en S t i m m ung noch ei n
konkret er Ä r ger: i n Form ei nes
über den Em pf an g verm i t t el t en
Tel ef onat s, di esm al l ei der ni cht
von
Draup adi .
Ei n
Anwal t
nam ens Uhl i g w a r auf der
anderen S ei t e am Apparat un d
beo rdert e si e i n se i ne Kanz l ei .
Zu ei nem Term i n i n ei ner
S t unde.
"W i e st el l en S i e si ch das
vor? ", prot est i ert e si e. " Ic h
s i t z e ni cht z u Hause und drehe
Däum chen. Ich kan n hi er ni cht
urpl öt z l i ch m al eben so we g."
"W as i ch Ihn en m i t z ut eil en
habe, sol l t e es Ihn e n wert sei n,
si ch z w i schendurc h m al kurz
frei z u nehm en. "
"Ach ! S ol l t e es d as ? Und was ,
bi t t e,
haben
Sie
mir
so
W i cht i ges m i t z ut ei len? "
"Das sa ge i ch Ihnen , wenn S i e
hi er si nd."
"Hör en S i e m al : S i e dürfen
m i ch hi er ni cht ei nfa ch s o
vorl aden. S i e si n d ni cht di e
P ol i z ei . W as m ache n S i e, wenn
i ch Ihn en sa gen, i c h habe kei ne
Zei t ? "
" Ic h
kann
di e
ganz e
unerfr e ul i che An gel egenhei t m i t
Ihn en sel bst ve rst ä ndl i ch auch
schri f t l i ch
abwi ck el n.
Unt er
Um st ä n den fal l en d ann ei n paa r
z usät z li che Gebühr en an. Das
m i t der pol i z ei l i chen Vorl adun g
l i eße si ch von mei ner S ei t e
159
übri gens eben fal l s arra n gi eren ,
s ofern Ih n en dar an gel e gen i st ."
Frauk e
üb erl e gt e
ei nen
Au genbl i ck, ob sie si ch st ur
s t el l en s ol l t e. Der bl uf f t doch
n u r , s agt e si e si ch. Was sol l der
denn i n der Hand h a ben gegen
mi ch , ve rsucht e s i e, si ch z u
beruh i gen.
Ab er
di e
Veruns i che run g
bl i eb.
Al so
s agt e s i e i hrem Team l ei t er
Bes ch ei d und set z t e si ch i ns
Aut o.
Al s s i e Uhl i g ge ge nüber saß,
brach i hr i nner er W i derst and
endgül t i g z usam m en . S i e konnt e
s i ch das ni cht re cht erkl är en. Es
gi n g et was Ei nschücht ernd es
aus vo n di esem An wal t und das
l ag ni cht al l ei n an s ei nen
W o rt en.
Auch
wenn
di e
wi s s en s chaft l i che
Be gründun g
dafür no ch ausst e ht : Manche
M en s chen
b esi t z en
ei ne
bes ondere Aura . D r a upadi hat t e
sie
und
Uhl i g
auch,
mit
unt ers chi edl i che r
P ol ari t ät
al l erdi ngs.
"W as s a gen S i e daz u? "
Er rei cht e i hr ei n wei ßes A4 Bl at t , auf das ei n kl ei ner
Zei t un gs a rt i kel gekl ebt war, de r
dort i n der Mi t t e z i em l i ch
verl oren wi r kt e. F ra uke l as:
"Das
i st
doch
bl anker
Un si nn."
"Aha ! S i e wi ssen n i cht s über
ei nen vers chl üssel t e n Tex t? "
"Nei n, v erdam m t no ch m al !"
"S i e brauch en hi er ni cht zu
schrei en. Al l e rdi ngs sol l t en S i e
di e
W ahrhei t
sagen.
Das
näm l i ch t un S i e i m Augenbl i ck
ni cht ."
"W i e kom m en S i e darauf? "
" Lass en
wi r
da s
vorerst
bei sei t e! W as hat es auf si ch
mit
Ihr en
Ko n t akt en
z ur
Frank furt er P un k sz e ne? "
"Das
geht
Sie
überhaupt
ni cht s an."
"Es geht m i ch et was an,
s owei t es i n Zu sam m enhan g
st eht m i t m ei ner Mandant i n,
Frau Voss. S i e gebe n al so z u, i n
Frank furt z u rech e rc hi eren? "
"W i e bi t t e? Ich re cherchi ere
ni cht . Ich besu che ab und z u
m ei ne fr ühe re S ch ul kam eradi n.
Ist das n euerdi n gs v erbot en? "
"F rau Baum ann, i ch gl aube
Ihn en kei n W ort . N ach m ei nem
Ei ndruck haben S i e den Kont akt
z u dem J ournal i st en Granni n ger,
wenn schon ni cht a kt i v gesu cht ,
so doch z um i ndest b erei t wi l l i g
angenom m en. S i e wol l en si ch
wi cht i g m a chen. S i e g eni eßen
di e Aussi cht , i n di e Medi en z u
kom m en. Aber i ch m uss S i e an
di eser
S t el l e
ei ndri ngl i ch
warnen. Zum ei n en werde i ch i m
Auft ra g m ei ne r Ma ndant i n das
Andenken i hr es Mannes m i t
wi rksam en Mi t t el n z u schüt z en
wi ssen. Zum and e ren fü rcht e
i ch, dass S i e si ch au f ei ne S ache
ei ngel assen h aben, di e S i e ni c ht
überbl i cken und de ren R i si ken
S i e i n kei ner W ei se ei nschät z en
können. Hab e i ch m i ch deut l i ch
genu g au s gedrü ckt ? "
Wa r e s w i r k l i c h Se l bst m o r d o de r
s t e ck t
me h r
d a h i nt e r?
H a u p t k o m m i s s ar
T r a u t en b e rg
m u s s a u f h ö ch s t e A nw e i s u ng h i n
s e i ne E r m i t t l u n g e n e i n s t e l l e n.
E i n e c o u r ag i er t e A r be i t s k ol l e g i n
d e s T o t e n a b e r wi l l s i c h d a mi t
n i c ht a bf i n d e n . E s gi b t G e rü c ht e
ü b e r ei n e n v er s c hl ü ss e l t e n Te xt
m i t b r i s an t e m I n h al t . E x i s t i e rt
e i n e Ve r bi n d u ng z u r F r a n k f u rt e r
S z e n e ? F r a uk e B . re c h e rc h i e rt
i m U m f e l d de r i n P un k e r kr e i s en
sehr
b e ka n n t e n
M u s i ke ri n
D r a u p a d i S c h mi t t .
160
Frauk e spürt e, wi e i hre Händ e
feucht
wu rde n.
Di e
unverhohl ene
Drohun g
ent fal t et e i h re W i rkung. Ihr
war, al s gi nge es i n di esem
Ges prä ch um v i el m ehr, al s um
das
Andenken
ei nes
Vers t orben en. Hat t e wom ögl i ch
auch Ax el Voss si ch w i cht i g
machen w ol l en ?
"Hi e r
l i e gt
ei n
M i s s verst än dni s
vor.
Das
m üs sen S i e m i r gl auben. Bi t t e
s agen S i e m i r, wa s genau S i e
von m i r erwa rt en. "
"S i e können gehen, wohi n S i e
wol l en, m ei net we gen auch z u
i hrer Ex -S chul kam eradi n und
deren Anhan g - m al ganz
u n ab hän gi g
von
m ei nen
Zw ei fel n da ran, d ass S i e z u
di es en Kre i sen wi rk l i ch passen.
Nur l assen S i e di e Medi en raus!
Kei n
Ko nt akt
m ehr
zu
Granni n ger ! Und kom m en S i e
auch ni cht a uf den Ei nfal l , ei n
Buch z u schr e i ben! "
M i t wei chen Kni en kehrt e
Frauk e an i hren S chrei bt i sch
z urück und bracht e für den R est
des Tages ni cht s Ordent l i ches
m ehr z ust ande. Ih r Kopf l i ef
hei ß. Hat t e si e ei nen wi c h t i gen
Zus am m enh an g üb e rsehen? Di e
ei nz i ge Ve r knüpfu ng z wi schen
Draupadi S chm i t t , Ax el Voss
und dem verschl üs sel t en Tex t
aus der Bha gavad Gi t a i st si e
s el bst . Oder et wa ni cht? Ax el
Vos s hat D raupa di m i t an
S i cherhei t
grenz end er
W ah rschei nl i chkei t ni e geseh en.
Der T ex t st am m t wahrschei nl i ch
von Draupad i s V at e r. Voss war
brennend i nt e ressi e rt am Inhal t
di eses Tex t es, warum auch
i m m er.
Der
J ournal i s t
Granni n ger b ehau pt et , di eser
Inh al t sei br i sant , bl ei bt den
Bew ei s dafü r ab e r schul di g.
Haupt ko m m i ssar
Traut enbe r g
hegt Zw ei fel da ran , dass Vos s
durch S el bst m ord st arb, t appt
aber ve rm ut l i ch i m Dunkel n und
darf
of fenb ar
ni cht
wei t er
erm i t t el n. Und di eser Dokt or
Uhl i g po cht dar auf , dass übe r
di e An gel e genhei t gen erel l d er
Mant el
des
S chwei gens
geb rei t et wi rd, an gebl i ch aus
Gründen de r P i et ät .
W ann endl i ch ni m m t di es er
Al pt raum ei n Ende? Frauke
wusst e wi r kl i ch ni cht , wi e s i e
si ch
verhal t en
sol l t e.
Di e
harm l osest en
Akt i vi t ät en
wurden
i hr
al s
Recherch e
ausgel e gt .
Sie
hat t e
den
Ei ndruck, aus Unwi s senhei t von
ei ner F al l e i n di e nächst e z u
t appen. W ol l t e si e das i n
Zukunft verm ei den, m usst e s i e
herausfi nden , wo di e Fal l en
st anden. Al so wei t er fo rsch en.
Al so gen au das t un, w ovor
Uhl i g si e g ew arnt hat t e. S o
ähnl i ch
m uss
sich
j em and
fü h l en, der i n ei nen S um pf
ge rat en i st . Ob er si ch ruhi g
verhäl t oder et w as unt e rni m m t ,
l äuft
auf
dassel be
hi naus ,
näm l i ch i m m er no ch t i efe r z u
versi nken.
44
161
F
rauke
brau cht e
ei nen
v ert rau enswürdi gen
Ber at er und ent schi ed si ch
für Draup adi . (A n w al t Uhl i g hat
i hr i m m erhi n e rl au bt , i hre Ex S chul freundi n z u be suchen. W i e
großz ü gi g von i hm !)
"W enn du m agst , kannst du
gl ei ch m or gen na c h der Arb ei t
kom m en. Mögl i che rwei se si nd
aber di e Leut e von m ei ner Ban d
dann noch da. "
"Kei n P robl em ! "
Frauk e m ocht e di e R ol l e des
beobacht en d en
Mäuschens.
Gl ei ch nach d er B egrüßun gm i t
Nam ens a gen
und
Händes chü t t el n
g i ngen
di e
unt erbroch enen
Di skussi onen
wei t er und si e wu r de prakt i sch
ni cht
m ehr
b eacht et .
Norm al erw ei se m u ss m an bei
ei nem
Qui z
g ew i nnen,
um
Küns t l er, di e m an auf ei ner
Bühne s i eht , auch e i nm al pri vat
erl eben
zu
dürfen.
Frauk e
bekam das grat i s gebot en und
fühl t e s i ch al s Gl üc k s pi l z . Zum
Tei l gewann si e von den
Ban dm i t gl i ed ern
überr as chend
neue Ei ndr ü ck e.
M arco
W esol owski
z um
Bei s pi el , d en K e yboarder m i t
der S chi rm m üt z e, den hat t e si e
v öl l i g fal sch ei nge schät z t . Der
war
in
der
Band
de r
Bodens t ändi ge, der Ver nünft i ge.
Er
hat t e
W i rt s chaft swi ssensc haft st udi ert
(wenn au ch ni ch t bi s z um
Ex am en)
und
arbei t et e
al s
s el bs t ä ndi ge r
S t euerbe rat er .
Al l es , was m i t Fi nanz en und
Buchha l t un g
z u sam m enhi ng,
m us s t e er erl edi gen.
Ant j e Bä cker, di e Gi t arri st i n,
hat t e s i e re al i st i sch beurt ei l t m al ab ges ehen dav on, dass si e
in
W i rkl i chkei t
vi el
sel bst si ch erer war, al s si e au f
der Bühne wi rkt e. S i e l ebt e al s
ei nz i ge von den fün f al l ei n von
der Musi k. A l l erdi n gs ve rdi ent e
si e si ch i hren Leb ensunt erhal t
vor al l em m i t ei n er Kapel l e, d i e
vor gut bet u cht en Leut en für
m el od i sches
Grundrausche n
sorgt e. Dr aupadi s B and wa r für
si e i deal i st i sches Hobb y. S i e
braucht e de ren Au ft ri t t e (nach
i hren ei gen en W o rt en) für i h r
seel i sches Gl ei ch ge wi cht .
W ol l e P erl , der Bassi st , bl i eb
für Frauk e wi de rsp r üchl i ch. Er
nahm st aat l i che Unt erst üt z ung
in
Anspruch,
war
al l em
An schei n na ch ei n weni g l abi l ,
hat t e wohl vor J ahren schon
ei nm al m i t Drogen Berührun g
geh abt . Doch D raup adi hi el t i hn
si cherl i ch ni cht nur aus Mi t l ei d
in
der
B and.
Mi t
sei nem
Bedür fni s nach Ha rm oni e und
s ei ner S ensi bi l i t ät wi rkt e er
au s gl ei chend, was oft genu g
dri ngend n öt i g w ar.
S am ,
der
dun kel häut i ge
S chl agz eu ge r, wan dt e si ch al s
ei nz i ger ab und z u an F rauke ,
dam i t si e si ch ni cht ausge grenz t
fühl e. Von i hm e rhi el t si e (ohne
fra gen z u m üssen ) noch wei t er e
In form at i onen ü be r di e Band. E r
sel ber hat t e sei ne W urz el n i n
Keni a, l ebt e abe r sc hon sei t der
Ki ndhei t i n Deut schl and. Er
war, was di e Brot j obs angi n g,
ni cht wä hl eri sch. W i e er sa gt e,
hat t e e r schon al l es Mö gl i che
get an, z um ei st durch Lands l eut e
verm i t t el t . W enn si ch ei ne
Gel e genh ei t dafü r bot , t rat e r
al s S t raßenm usi ker auf.
Der Zuf al l wol l t e es, dass
Frauk e am Ende doch no ch
ei n m al i n den Mi t t el punkt des
162
Int e resses ge ri et . S chul d daran
war ei n C om put erpr ogr am m , m i t
dem
si ch
(der
P rodukt bes chre i bun g
na ch)
auf gez ei chnet e M usi k m i schen
l i eß m i t m aschi nel l generi e rt en
Kl ängen. Di e Inst a l l at i on hat t e
kei nen
F ehl er
g em el det .
Trot z dem
funkt i oni ert e
ans chl i eßend so gu t wi e ni cht s
so
wi e
beschri e ben.
Auch
Drau padi wa r z u nächst rat l os.
Doch dann hat t e si e ei ne Ide e.
"Mei ne
Freund i n
i st
C om p ut erex pert i n."
Al l e
dreht en
si ch
um
wi e
au f
Kom m ando. "Kennst du di ch m i t
s o et was auch aus? "
" Ic h
kann
es
mir
m al
ans cha uen, o hne G a rant i e."
S el bst verst ändl i ch war es für
s i e dennoch Ehr e nsache, das
P robl em z u l öse n.
" Ihm
fehl en
i r gendwel ch e
D LL's ", m urm el t e si e na ch ei n er
P eri ode
s yst em at i schen
P robi erens.
"W as fehl t wem ? "
"Ach, s chon gut ! Ge bt m i r m al
bi t t e di e C D rüber ! ... Danke. ...
J a, da si nd si e. Ic h könnt e si e
auf di e F est pl at t e kopi eren und
dann
di e
Inst al l at i on
wi ederh o l en. Dar f i ch? "
"Na kl a r! Mach, w as du für
ri cht i g häl t st ! "
W ährend si e si ch durch ei ne
S eri e
kr ypt i sch er
Abfr a gen
h angel t e (de ren S i nn si e si ch
an hand d es Be gl ei t heft s z u
ers chl i eßen v ersuch t e), st anden
di e B andm i t gl i ede r um
si e
herum . Und w ei l s i ch al l e ei n
weni g l an gwei l t en (t rot z der
S pan nung, ob d er neue Anl au f
von Erfol g gekrönt sei n würde ),
t ranken di e drei M ä nner j e ei ne
Fl as che Bi e r. Dann k am en al l e
auf das Them a Fam i l i e z u
sprechen. Das wa r für Fr auke
norm al erw ei se ei n e pei nl i che
S i t u at i on.
Di esmal
j edoch
genoss si e doppel t en S chut z .
Zum ei nen erwa rt et e ni em and
von i hr, dass si e si ch an der
Unt erhal t un g b et e i l i gt e, z um
anderen h ä t t e si e si ch für i hr
S i ngl edasei n
au s nahm swei s e
ohnehi n ni cht z u recht f e rt i gen
brauchen.
Marco wa r al s ei n z i ger auch
i n di esem P unkt grundsol i de:
S ei t z ehn J ahren verhei r at et ,
z wei
schul pfl i cht i ge
S öhne.
Ant j e l ebt e m i t einem Freund
z usam m en, doch an sonst en gi n g
für si e erst ei nm a l der Be ruf
vor. (" Ic h bi n sechs undz wanz i g.
Für ei n Ki nd h abe i ch noch Zei t
genu g. " )
W ol l e
wurde
b ei
P art nerscha ft en al l e m Anschei n
nach vom P ech v erf ol gt . Ob d as
S chei t ern sei ne r Bem ühun gen
wi rkl i ch al l ei n a m S chi cksal
l ag, st and au f ei n em ande ren
Bl at t . Ni em and k om m ent i ert e
es. Kom pl i z i ert er waren di e
Verhäl t ni sse bei S am . Obwohl
er i n Deut schl and l ebt e, gal t en
für
i hn
di e
R egel n
d es
Großf am i l i enverb a n des.
S ei ne
El t ern würden ei ne Frau für i hn
auss uchen, w enn der ri cht i ge
Zei t punkt gekom m en i st . W as
das für di e Ban d bedeut e n
könnt e,
wurde
al l gem ei n
verdrän gt .
" Ic h gl aube, j et z t i st es i n
Ordnun g", verkün det e F rauk e
nach ei ner knap pen hal ben
S t unde. "W as di ese Menüpunkt e
hi er
bedeut en,
wei ß
i ch
al l erdi ngs ni cht ."
"Das si eht gut aus ", best ät i gt e
Draupadi . "W enn i c h Zei t habe,
probi ere i ch das al l es aus . "
163
Dann wandt e si e si ch wi eder
den ande ren z u un d sagt e hal b
s cherz haft , hal b ern st : "W as i st
das für ei n Verf al l der S i t t en?
W enn i hr schon vo r den Au gen
m ei nes
Gurus
wi e
di e
Baua rbe i t er Bi er a us Fl aschen
t ri nken m üsst , dann t ut es
weni gs t e ns i m Nam en ei nes
hi nrei chend
groß e n
Erei gni s s es."
"Äh ... wi e nun? " Marco und
W ol l e
sahen
ei nander
an,
eh rl i ch rat l os.
"Heut e i st der a cht e Mai ."
"J a
kl ar.
Morgen
i st
dem ent s prech end de r neunt e und
wi r haben u n se r Ko nz ert ."
"He ! Hat t et i hr hi er i m
W es t en auch so et w as Ähnl i ches
wi e Ges chi cht sunt erri cht ? I ch
m ei ne: Außer da ss i hr di e
Abfol ge der d eut schen Kai se r
durch ge gan gen sei d. "
Kopfs chüt t el nd
nahm
Draup adi ei n W ei ngl as aus dem
S chrank,
fül l t e
es
mit
El i s ab et henspr udel und erhob es
l ei cht pat het i sch.
" Las s t uns t ri nken auf den Tag
der
Bef rei un g
vom
Hi t l erfas chi sm us
und
i ns bes ondere
auf
di e
hel denhaft en
S ol dat en
der
S owj et arm ee
u nd
i hrer
Verbü n det en ! "
M arco, W ol l e und S am st i eßen
nachei nand er m i t i hr an - noch
i m m er ei n w eni g i r ri t i ert , abe r
berei t wi l l i g. S i e w usst en, dass
es i n s ol ch en Fäl l en kei nen S i nn
hat t e, m i t i hr z u di sk u t i eren. S i e
würde i hnen ei n en Vort ra g
h al t en,
ni cht
u nt er
z ehn
M i nut en. Genau das befürcht et e
Ant j e t rot z al l em , weshal b si e
v ors i cht s hal ber ei n warf:
"Al so, i ch wi l l j a ni cht
res pekt l os sei n, aber wenn wi r
das vi el l ei cht ei n anderm a l
vert i efen könnt en. W i r si nd j a
sowei t durch und i ch m üsst e
noch ..."
"J a, i ch habe ei gen t l i ch auch
noch z u t un", sc hl oss Marco
si ch i hr rasch an un d t rank sei n
Bi er aus.
Darau fhi n rüst et en si ch di e
anderen b ei den aus Höfl i chkei t
gl ei ch fal l s
z um
Aufbru ch.
Frauk e
i ndes
hat t e
si ch
we ggedr eht , wei l es i hr ei nf ach
ni cht gel an g, ei n S chm unz el n z u
unt erdr ück en. Al s si e dann
al l ei n war m i t Dra upadi , sagt e
si e z u i hr:
" Ic h st aune, dass du sol che
Num m ern i m m er noch bri ngst nach so vi el en J ahren i m
W es t en."
" Ic h b i n j a ni cht über di e
P rager Bot scha ft ab geh auen. "
"S t i m m t . Du wol lt est ni cht
we g."
" Ic h hab e das i m Kr ankenhaus
anfan gs gar ni cht m i t beko m m en.
Und auch spät e r bi n i ch ni e
nach m ei ner Mei n ung ge fra gt
worden. Ic h ve rst e he bi s heut e
ni cht , warum di e D DR -Behö r den
so wi derst andsl os m i t m ei ner
Übersi ed l un g
e i nverst anden
waren. "
"Hast du ei nen Ve rd acht ? "
"Übe rhaupt ni cht . Ich wa r i n
der Kl i ni k gut unt e r Kont ro l l e."
"W i e l i ef das ei gent l i ch ab bei
dei ner Ausr ei se? "
" Ic h
hab
m i ch
dem
Tränenp al ast
absol ut
würdi g
erwi esen, h ab R ot z und W asser
geh eul t . Und di e Zi t t l auers
haben d en e rst en S chock du rch
m i ch erl i t t en. Näm l i ch al s si e
m i ch s ahen. Mei ne Haar e war en
164
ges t yl t wi e bei Li sa S i m pson,
nur gr ün st at t gel b. Ent sprach
ni cht ganz i hren Erwart un gen .
Ehe si e de r W ah rhe i t (al so m i r)
i ns Auge z u s eh en wa gt en,
haben si e ei ne W e i l e Ausscha u
geh al t en,
ob
noch
j em and
anderes kom m t . "
"Es gab al so von Anfan g an
Kri e g z wi schen eu c h? "
"Und ob! Abe r i ch m ag m i ch
an di ese W i t z fi guren ni cht
eri nnern. Da kom m t m i r 's heut e
noch hoch. E hrl i ch! "
"S i e sa gen, dass si e di ch
p o l i z ei l i ch hät t en suchen l assen,
al l erdi ngs ohn e Erfo l g. "
" Ic h bi n z i em l i c h schnel l
wei t er gez o gen: na c h Dubl i n."
"Geht d as denn so e i nfach? "
"Nat ü rl i ch ni cht . Aber das i st
wi eder ei n K api t el f ür si ch."
"Dr aup y! "
"J a? "
" Ic h m öcht e di r gern et was
s chenken ... et w as, das di r i m
Grunde z u st eht ." F r auke gri ff i n
i hre Tasch e und hol t e ei ne
M edai l l e hervor. "D u wei ßt , was
das i st? "
Draupadi nahm si e i n di e
Hand und s ah si e si ch von
b ei den S ei t en an.
"Di e Le ssi ngm ed ai l l e i n Gol d .
Das i st dei n e . Ni cht wahr? Hast
du di e Zwöl ft e t at sächl i ch m i t
ei nem
perf ekt en
Zeu gni s
abg eschl ossen? "
Frauk e ni ckt e.
"Das i st ri esi g! Di e m usst du
i n Ehren hal t en. "
"Abe r ... "
"Kei n aber ! Di ese s st ändi ge
s chl echt e Ge wi sse n i st ei ne
t ypi s ch wei bl i che Ei g ens chaft .
S agen di e P s ycho l ogen. Und
nat ürl i ch
di e
F e m i ni st i nnen.
Das m usst du di r unbedi ngt
abg ewöhnen. Kom m m al m i t !"
Sie
führt e
si e
zu
ei nem
P appkart on,
bi s
z um
R and
ge fül l t
mit
dü nnen,
verschi ed enfa rbi gen
P aperbackbü che rn,
hundert e
dem A nschei n nac h. " Nu r z u
dei ner B eruhi gun g: Fernschul e
neunt e bi s dre i z ehnt e Kl ass e.
Hat
mir
das
Arbei t sam t
spendi ert . W ei l i ch j a ei n Opfer
des st al i ni st i schen R egi m es bi n.
Ir gendwo da dri n m üsst en auch
di e Zert i fi kat e l i e ge n."
"Al l e
mit
P rädi kat
ausg ezei chnet , n eh m e i ch a n.
Brau chst du di e ni c ht? "
"W oz u? Ich hab e ni e ei ne
Ausbi l dung
absol vi ert ,
di e
darauf aufbaut . Ich wol l t e m i r
ei nfach nu r et was b ewei sen. "
"Abe r von d en Ei nn ahm en de r
Band k annst du doc h si che rl i ch
gen au so weni g l eben wi e di e
anderen? "
"Nat ü rl i ch ni cht ."
"Und w as m achst du ? "
" Ic h bi n Lehre ri n."
"Tat sä chl i ch? "
"W as st aunst du so? Das i s t
doch ei n anst ändi ge r Be ruf. "
"J a. S chon. Aber wi rd dabei
ni cht
nach
Abschl üssen
ge fra gt ? "
" Ic h
bi n
bei
ei nem
P ri vat u nt ernehm en, ni cht bei m
S t aat .
Deut sc h
al s
Frem dspr ach e. Di e wi ssen dort ,
was si e an m i r h a ben. Ic h bi n
vert ra u enswürdi g
bei
der
Zi el grupp e. "
"W e gen dei n er Haut farbe? "
"Unt e r ander em . Mei ne (z um
Tei l schon et was i n di e J ahre
geko m m en en) S ch ül er hal t en
m i ch für ei ne von i hrer S ort e
und t rauen si ch des hal b aus de r
Deckun g. Ei nes er gi bt dann das
165
andere.
Mei ne
Kl assen
s chnei den sehr gut ab bei den
P rüfu n gen.
Ich
werd e
nam ent l i ch
ang eford ert .
M i t t l erwei l e kann i ch m i ch
kaum ret t en vor An geb ot en."
"S uper! "
"Al l erdi n gs
mit
m ehr
Veran t wo rt ung ver bunden, al s
m i r recht i st . Manche kl a m m ern
s i ch ri cht i g an m i r fest . W ei l
i ch
m anchm al
auch
bei
Al l t ags kr am
hel fe . Hi er i n
Frank furt
t i ckt
ei ni ges
ei n
bi s s chen ande rs al s i n i hrem
Dorf i r gendwo am a n deren Ende
der W el t ."
Draupadi schl oss d en Kart on.
Frauk e s et z t e si ch a uf ei nes d e r
S i t z ki s s en.
"Abe r di e Musi k i s t für di ch
nach wi e vor das W i cht i gst e? "
"Abs ol ut ! D arum wi l l i ch
m i ch j a von der S prachschul e
ni cht ve rei nnahm en l assen."
"W arum l ässt du ei gent l i ch
di e El ekt ro gi t arr e von Ant j e
s pi el en? Könnt est du das ni cht
auch? "
"Ant j e i st d arau f ga nz ei nfach
bes s er al s i ch. Au ch wenn es auf
den ers t en Bl i ck ni cht so
au s s i eht : Ich bi n bi s z um
An s chl a g
ausgeb ucht .
Di e
S chul e,
der
K am pf
um
Auft ri t t s m ögl i chke i t en,
Or gan i s at ori sch es
rund
um
uns ere C Ds, Ko m posi t i onen,
Arran gem ent s,
T ex t e.
Im
Unt ers chi ed z u di r habe i ch nu r
das große Gl ück, m i r di e Zei t
s el ber ei nt e i l en z u k önnen."
"Abe r du fühl st di ch wohl? "
" Ic h wi l l so l eben. Genau so. "
"Du könnt est di r si cherl i ch
auch ei ne b esser e W ohnung
l ei s t en? "
"Du m ei nst : ei n e t eure re
W ohnung.
J a,
könn t e
i ch.
Ob wohl : Ich hab e auch ei n
ri cht i g
kost spi el i ges
Last er,
m ei ne
M usi kausrüst ung
näm l i ch. Inst r um e nt e, di verse
Techni k."
Draupadi n ahm si c h ebenf al l s
ei n Ki ssen und set z t e si ch
Frauk e
ge genüb er.
Dab ei
verknot et e si e i hre Bei n e ganz
sel bst ve rst ändl i ch
wi e
ei ne
echt e Ind eri n.
"Um genau z u sei n: Ic h könnt e
m i r das kei neswegs l ei st en,
wenn i ch ni cht noch ei ne
wei t ere Ei nnahm eq uel l e hät t e ei ne, von d er ni e m al s j em and
et was e rfah ren d arf. " S i e senkt e
di e S t i m m e z um Fl üst ern und
bl i c kt e di e Freundi n m i t gro ßen
Au gen an. " Ich ka nn m i ch au f
dei n S chwei gen ve rl assen? "
"Hab e i ch di ch dam al s i n
Has sel fel de
verrat en? ",
ent ge gnet e F rauke und re chnet e
m i t dem S chl i m m st en.
" Ic h
schrei be
a ußer
den
ges el l schaft skri t i sch en Li ed ern
auch ri cht i g ki t sch i ges Zeu gs.
Unt er ei nem P seu don ym . Du
bi st doch versess en darau f, ei n
Gehei m ni s i n m ei nem Leben z u
ent decken. Hi er ha st du's: di e
skandal öse
K ehr sei t e,
den
dun kl en P unkt , di e Lei che i m
Kel l er. "
"Mei n Got t , i ch da cht e al l en
Ernst es ..."
"R asch gi ft ? P rost i tut i on? Das
wäre h arm l os. Das könnt e i ch
m ei nen F ans e rkl ären. Aber
wenn das m i t dem P seudon ym
rauskom m t . ... R ed en wi r ni cht
m ehr drüber ! "
Frauk e bl i ckt e Drau padi i n di e
spöt t i sch funkel nden Augen und
fra gt e
si ch,
ob
si e
di e
166
rom ant i schen Li ed er wi rkl i c h
nur
z um
Zw ecke
der
z us ät z li chen Ei n nah m en schri eb.
Im Not f al l würde si e
nat ürl i ch
st ei f
und
behaupt en.
das
fes t
45
Z
um Abendbrot set z t en si ch
bei de
in
di e
Küche.
Drau padi hat t e ei n g ekauft ,
was aus i hr er S i c ht geb raucht
wurde: ni cht das, w as Ludm i l l a
in
di eser
S i t uat i on
für
angebra cht g eh al t en hät t e, ab er
i m Grunde ausrei ch end. F rauk e
war m i t i hren Gedan ken ohnehi n
m ehr bei Anwal t Uhl i g al s bei m
Es s en.
Sie
n ut z t e
di e
Gel e ge nh ei t ,
von
j enem
unangenehm en
T erm i n
zu
beri cht en.
Erst au nl i cherwei se
genü gt e
schon
das
R eden
darü ber, um si ch z u b eruhi gen.
Noch ehe di e Fr e undi n et was
erwi dert ha t t e, war i hr be rei t s
pei nl i ch, si e überha upt behel l i gt
z u h aben.
"Es i st dum m , si ch darüber
aufz ure gen ",
sa gt e
si e
am
S chl uss.
"Der
gut e
Mann
erl edi gt nur sei nen J ob, so wi e
i ch z um Bei spi el m ei nen bei
B IT C o.. "
Dann spra chen si e ü ber ande re
Them en: über Drau padi s Band,
über Musi k ganz al l gem ei n und nat ürl i ch auch wi eder übe r
di e al t en G eschi cht e n.
"W i e
bi st
du
ei gent l i ch
dam al s dar auf gek om m en, di r
di e Ha are grün z u färben? Ei ne
P unkbewe gun g gab es i n der
DDR ni cht , sowei t i ch wei ß. "
" Im Unt er grund ga b es al l es
M ögl i che.
Abe r
was
m i ch
p ers önl i ch b et ri f ft , hast du
R echt . Ich gehö rt e z u kei ner
Bew e gun g i m en ger en S i nn. Das
i st l an gsam gew a chsen. Ei ns
kam z um anderen. Am Ende
st aunt e i ch sel ber, wohi n i ch da
pl öt z l i ch gerat en w a r."
"W ar das al l es noch abged eckt
durch
das
Abko m m en,
das
Lam p recht m i t di r geschl ossen
hat ? "
"S i cherl i ch ni cht . "
" Bekam
er
kei n en
Är ge r
dei net we gen? "
"F ra ge m i ch ni cht s o schwer e
S achen! Ic h habe j edenfal l s
ni cht
beobacht et ,
d ass
er
m ei net we gen behel l i gt word en
i st .
Und
abgese hen
d avon:
W om i t sol l t e er m i ch denn
best r afen? Mi t Gewal t hat t e es
Is ensee j a schon ohne Erfol g
versucht . "
"Mi t
ei nem
st ren gen
Ausge hverbot hät t e n si e di ch
t reffen können: w egen di es em
R ol f
J ahn
und
den
M usi kfreunden. "
"Das wa r ni cht p rakt i kabel .
S i e m usst en m i ch i n di e S chul e
geh en l assen. Auf dem W e g
dort hi n
bi n
ich
ei nm al
abgeha u en und fü r vol l e z wei
W ochen spurl os verschwunden.
Das hat ei n Mo rdsspekt akel
ge geben.
Di e
si nd
mit
Lei chenhunden
d urch
den
an grenz enden W al d m arschi e rt .
Das vol l e P ro g ram m . Ich w ar
z wöl f J ahre al t , ei n Ki nd dem
167
Ges et z nach. In di e ser Zei t si nd
dem Lam p recht ga rant i ert ei n
paar gr aue Haa re z usät z l i ch
ge wachs en. "
"Hät t e e r di ch ni c ht i n ei n
s t renger
ge führt es
Hei m
s ch i cken können? Ich kenne
m i ch dabei ni cht s o genau aus,
nehm e ab er an, d ass es d as
gab. "
"Er
durf t e
m i ch
ni cht
woanders hi n schi ck en. Ich wei ß
das aus bel auscht en Gespräch en
z wi s chen
den
Erz i ehern.
Vi el l ei cht st and i ch unt er dem
S chut z di eses Kol legen m ei nes
P apas ,
der
ab
und
zu
vorbei g ekom m en i st , um si ch
nach
m e i nem
B efi nden
zu
erkundi gen. Lam p recht ha t t e
m i ch auf dem Hal s und m usst e
z us ehen, wi e er m i ch unt er
Kont rol l e behäl t ."
"Di es er
Kol l e ge
dei nes
Vat ers , wi e hi eß der ? "
"Ei n rel at i v kurz er Nam e m i t
H am An fan g. Lass m i ch
ü b erl e gen !"
"Hens chel ? "
"J a, genau! W oher kennst du
den? "
" Ic h habe i hn um R at gef ra gt
we gen ..." S i e st ockt e, wei l i hr
ei nfi el , dass si e i hr Gest ändni s
hi nsi cht l i ch der Bh agavad Gi t a
und der Zet t el n noch i m m er
ni cht hi nt er si ch ge bracht hat t e.
"...
we gen
ei n e r
anderen
Geschi cht e. "
Zu
i hrer
Erl ei cht erun g hakt e Dr aupadi
ni cht nach , sondern fra gt e:
"W ann hast du i hn denn
get ro ffen? Nach der W ende?
W ohnt er noch i n Be rl i n? "
"Er
i st
nach
Ham burg
um gez o gen. Im Ost en hat t en si e
j a kei ne V erw endu ng m eh r für
i hn."
"Al l erdi n gs! Dort gab 's für
di e Hel den von der unsi cht baren
Front bl oß no ch f a ul e Tom at en
z u gewi nnen. In Ha m burg kennt
i hn kei ner."
" Ic h fand i hn net t . "
" Ic h auch. Abe r so vi el hat t e
i ch m i t i hm nun auch wi eder
ni cht z u schaffen. "
D
nahm et wa ei n Vi ert el de s
P l at z es
ei n.
Der
Nachba rn
we gen w ar en di e schm al en
Fenst er u n t er der Deck e m i t
Lum pen v e rst opft . E i ne ei nz el ne
60 -er
Gl ühbi rn e,
an
ei nem
Kabel hä n gend, e rz eugt e nu r
funz el i ges Li cht . Di e vor J ahren
wei ß gest ri chenen W ände waren
nu nm ehr vol l er S pi nnenweben.
Auch da rauf kam es ni cht an .
Di e
Fr eunde
h at t en
i hre
Musi ki nst rum ent e
und
i hren
al t en
S chwarz w ei ßfernseh er.
R ei c ht um genu g.
W enn di e ander en k am en, wa r
Gunt er i m m er sc hon da. Er
as Haus war für di e
Zu sam m enkun ft günst i g
gel e gen. Gu n t er w ohnt e
i m s el ben O rt , di e ande ren
kam en m i t der S -Bahn dort hi n
(Draup adi
von
S üden
her,
Tho m as und K ai aus d em
Zent rum ). Dass Herr P a asch
s t ändi g m i t R epar at uren an dem
m aroden Geb äude beschäft i gt
war, s t ört e di e J ugendl i chen
weni g. S ör en br üst et e si ch
s o ga r:
"W eni gst ens wohn en wi r i n
kei nem R i esenbet o n kl ot z ."
Das Haus wa r vol l st ändi g
un t erkel l ert . Der P robenraum
168
v erbra cht e au ch au ßerhal b de r
P ro ben vi el Zei t be i S ören. Ei n
M i t l äufer, de r n i cht i m m er
m erkt e, wenn er l äs t i g z u fal l en
beg ann. S ei n Tal ent rei cht e
ge rade
so
für
das
Tas t eni nst r u m ent ,
das
al s
Ke yboard di ent e (obwohl es
ei gent l i ch
m ehr
ei n
Ki nderspi el z eug
war).
Au ch
Draupadi fühl t e si c h anfan gs oft
gen ervt dur ch i hn. S pät er, al s
pers önl i che Tr eue und Mut
wi cht i ge r
wur den
al s
M el odi efest i gk ei t , l ernt e si e i hn
s chät z en.
Thom as l i t t unt er sei ner al l ei n
erz i ehenden Mut t er, von der e r
s i ch
ge gän gel t
fühl t e.
(Al l erdi n gs l ernt e si e kei ner der
and eren
j em al s
pe rs önl i ch
kennen.) Er w ar vi el l ei cht (von
Drau padi ab ges ehe n) der am
m ei s t en b egabt e Musi ker (vor
al l em al s Bassi st ). Doch das
bracht e ni cht vi el , denn erst ens
durft e er b ei si c h z u Hause
ni cht
genü gend
üben
und
z wei t ens st i eg e r schon i m
Herbst 1978 wi ede r aus.
Kai wa r de r fün ft e i m Bunde.
Er
wurde
r e gel m äßi g
von
s ei nem ewi g besof f enen Vat e r
v erprü gel t e.
Di e
Mut t er
küm m ert e si ch ni cht darum , um
ni cht
se l ber
no ch
S chl ä ge
abz ubeko m m en.
Auf
den
Ins t rum e nt en bra ch t e er kaum
m ehr
z ust ande
als
Gunt er.
Trot z dem
prägt e
er
spät er
i ndi rekt den S t i l der Band we gen
der
S chi cksal s gem ei n sc haft
mit
Draupadi . Di e b e i den saßen
i rgend wi e i m se l ben Boot und
s pürt en das. S i e l i eß si ch vo n
i hm i nspi ri eren und s chri eb
S t ücke, bei denen er sei nen
Frust ausl eb en konn t e.
Draupadi w ar m i t A bst and am
j üngst en
und
t r ot z dem
mit
Ab st and am ehr gei z i gst en und
z i el st rebi gst en. W äre es na ch
i hr ge gan gen, hät t en si e j ede
gem ei nsam e Mi nut e z um Üben
genut z t . B ei den an deren j edo ch
rei cht e
di e
Aufm erksam k ei t s spanne
nur
m ax i m al z wei Stu n den. Di e
übri ge Zei t verb rac ht en si e
ei nfach
nur
al s
Freund e
z usam m en. S i e rede t en, w enn es
et was z u bered en ga b. S i e sahen
fern. Und si e ve r gnügt en si ch
mit
Verbot enem
al l er
Art :
R auchen,
Al kohol
t ri nken,
P orn oheft e aus d em W est en
ansehen.
An j enem Abend hi ngen si e z u
spät er S t unde noc h vor dem
Ferns eher. S ör ens El t ern war en
bei de ni cht z u Hause: Ei ne
günst i ge G el e genh ei t , di e es
unbedi ngt z u nut z en gal t . Doch
bei der W ahl des P r o gram m s
kam es z um S t rei t . Di e J ungs
wol l t en ei nen z i em l i ch wi rren
Fi l m s ehen, von dem si e si ch
S z enen m i t nackt en Fr auen
verspra chen.
Dr au padi
hat t e
ei ne Dokum e nt a rse ndung üb er
di e neuest en T re nds i n der
Musi ksz ene en t deck t . Nach fünf
Mi nut en hi t z i gen W ort gef echt s
set z t e si e si ch durch .
In En gl and gab e s offenbar
ei ne
neue
J uge ndbewe gun g,
deren
Anh än ger
z erri ssene
Lum pen al s Kl ei d ung t ru gen,
R asi erkl i ngen
oder
Hund ehal sbä nd er a l s S chm uck
bevorz ugt en und si ch di e Haa re
schni t t en wi e di e Irokesen. S i e
l ungert en i n Gruppen auf den
S t raßen
und
P l ät z en
der
169
Großs t ädt e h erum u nd pöbel t en
di e
Leut e
an.
Und
s el bs t verst ändl i ch
hat t en
si e
i hre
ei gene
Musi k:
den
P un krock.
Ihr e
bekannt est e
Band p räsent i ert e ge rade i hre
ers t e LP : di e Se x Pi st ol s . S ören,
Gunt er und Thom as konnt en nur
den Kopf schüt t el n. Was f ür ei n
N ons ens ! Draupad i und Kai
i n des s t arrt en wi e geb annt auf
di e M at t schei be - und fand en
s i ch am Ende sel be r wi eder.
Es
w ar
t at sächl i ch
ei ne
s chl ei chende
Ent wi ckl ung.
Zu e rs t t rug D ra u pa di l edi gl i ch
ei n ei nz el nes S t ück S t achel draht
an ei nem S chnürsenkel um den
Hal s , unt erm P ul l over verbo r gen
wi e ei nen T al i sm an. Dass si e
s i ch dam i t ab und z u verl et z t e,
s t ört e s i e ni cht . Im Geg ent ei l :
Es b efri edi gt e ei nen ge wi ssen
Han g z ur S el bst z erst örung. S o
wi e ande re M ädch en i m Hei m
s i ch
i m m er
w i eder
di e
Hand gel enk e auf ri t z t en.
Drei Monat e spät e r m i ssfi el
i hr di e H ei m l i chkei t dabei und
sie
ers et z t e
den
Anhänger
p ro bewei se durch e i nen ganz en
Haark ranz
aus
S t achel draht .
Verm ut l i ch wäre si e si ch d am i t
früher
oder
spä t er
al be rn
vorg ekom m en, hät t e si e ni cht
ei nen
gew al t i gen
Aufruhr
verursa cht . Erz i eher und Lehre r
unt erst el l t en
i hr
Verun gl i m pfun g d er i n den
Naz i -KZs
erm orde t en
W i derst andskäm pfer
in
Tat ei nhei t m i t verkl ausul i ert er
Kri t i k
am
ant i fa schi st i schen
S chut z wal l .
Durch
di esen
kei neswe gs
b e a bsi cht i gt en
Erfol g an ge feue rt , b l i eb si e von
nun an st ur bei i hrem neuen
Acce s soi r e.
S el bst verst ändl i ch wurde i hr
das provokant e S chm uckst ück
re gel m äßi g we ggen om m en. Da
aber
di e
W i ede rbescha ffun g
äu ßerst
l ei c ht
zu
bewerkst el l i gen w a r, bewi rkt e
das
l edi gl i ch,
dass
di e
konfi sz i ert en C orpus del i ct i ei n
ganz es
Fach
in
Hei m l ei t er
Lam p recht s S ch rank bl o cki ert en
und
dort
ei ne
ni cht
zu
unt erschät z ende
Unfal l gef ahr
darst el l t en. S örens El t ern sahe n
di e
S ache
da m al s
noch
en t spannt .
Jugen dl i che
in
di esem
Al t er
müssen
Verschi eden es ausprobi eren, um
den ri cht i gen We g z u ent dec ken.
Auch w i r w aren f rüher so
verrückt . Erst sp ät er bekam en
si e es m i t der Angst z u t un. Das
al l er di ngs
h at t e
b esondere
Gründe.
46
F
rau Fah rent hol z hat te bei m
Aus t ei l en der Ze ugni sse
s t et s bei den schl echt est en
S chül ern be gonnen und dann
kont i nui erl i ch g es t ei ge rt , um
z um kröne n den A bschl uss di e
Vorbi l der h e rausz ust rei chen. S o
konnt e si e sel bst bei di esem
eher
p rofan en
Vor gan g
dem on s t ri eren,
wi e
im
S oz i al i sm us u nverm ei dl i ch al l es
auf ei nen p osi t i ven Ausgan g
170
hi nausl äuft . Fr au Nessel böck
aus Köni gs W ust erhausen wa r
weni ger t he ori e fes t und gi ng
al ph abet i sch vor. S i e hob si ch
l edi gl i ch j ene F äl l e auf, di e
ei ner Erl ä u t e run g bedurft en, i m
Gut en wi e i m B ö sen .
Ohne den Dej a -vu -E ffekt hät t e
Draupadi d en T a g vi el l ei cht
bes s er überst anden . W i e nach
dem vi ert en S chul j a hr wurde i hr
Nam e auch na ch dem sechst en
ers t ganz am Ende aufgeruf en,
frei l i ch aus ei n e m andere n
Grund:
Sie
war
si t z en
gebl i eb en. S t ren g genom m en,
hat t en i hre Lei st ungen scho n
z wöl f Monat e z uvor ni cht den
Norm en ent spr o ch en. Dam al s
war
i hr
no ch
ei ne
S onderre gel un g
z u gest anden
worden, nun gab es ke i ne Gnade
m ehr.
Nat ürl i ch wusst e si e schon
s ei t ei n p aa r W ochen, was i h r
droht e.
Sie
h at t e
si ch
vorg enom m en, kei ne S chwäch e
z u z ei gen. Das a usdrückl i che
Verbot ge gen i hre n ge wohnt en
Kopfschm uck um gi n g si e dam i t ,
das s si e den S t achel draht al s
Ket t e t rug - und e r st i m l etz t en
M om ent he rvorhol t e. Al s si e
j edoch
vorn
st and,
ei ner
s ch adenf roh gri ns e nden Meut e
ge g enüber, und al s di e Lehr eri n
al l e ver gebl i ch en Bem ühun gen
z ur R et t ung d er unbel ehrb ar
aufs äs si gen S chül e r i n aufz ähl t e,
ganz hekt i sch i m Bem ühen, si ch
dam i t sel bst z u rech t fert i gen, d a
kam en i hr schl i eßl i ch doch di e
Tränen. S i e kul l er t en ei nfach
herunt er, ohne das s si e et was
dage gen t un konnt e . Und dam i t
hat t e si e si ch sel bst geri c ht et .
Zum i ndest fühl t e si e si ch so.
Zum Gl ück wa ren b erei t s al l e
Vorber ei t ungen für di e Fl ucht
get ro ffen. Thom as und Kai
wart et en m i t dem Gepäck i n
ei nem Verst eck na he dem S Bahnhof.
S ören
al l erdi n gs
wusst e ni cht s von den P l änen.
Ei n l ei der no t wend i ger Ver rat .
S ei n Verhäl t ni s z u sei nen El t ern
war z u eng. Er h ät t e si e um
Erl aubni s g efr a gt - und i n
di esem Fal l s i che rl i ch kei ne
erhal t e n. S o wei t gi n g dere n
Tol eranz nun auch wi eder ni cht .
Gunt er wa r nach anfän gl i che r
Zusa ge
kurz fri st i g
wi ed er
abgesprun gen.
Mei st ens fuhr en di e dr ei per
Anhal t er. S i e ware n z war noch
ei n bi s s chen z u j ung, um al l ei n
durchs Land z u st r om ern, doch
m ei st ens g el an g es i hnen, di e
Fahr er m i t ei ner G eschi cht e z u
beruhi gen. Dr aupa di
konnt e,
ohne ei ne Mi en e z u verz i ehen
und ohne si ch i n W i dersprüche
z u verst ri cken, das Bl au e vom
Hi m m el l ügen. W enn j em and
frei l i ch
gar
zu
neugi e ri ge
Fra gen st el l t e, hal f nur, bal d
wi eder ausz ust ei gen . Manchm al
fuhren si e a uch s chwarz m i t
dem Zu g. D as wa r al l erdi n gs
ge fährl i ch. Di e Kont rol l eure
passt en gut au f un d über gab en
ert appt e Mi sset ät er m anchm al
an di e B ahnpol i z ei .
Di e ursprün gl i che Id ee wa r,
dass si e al s S t raß e nm usi kant en
auft rat en und von dem dab ei
ei ngenom m enen G el d l ebt en.
Aber z um ei nen ve rdi ent en s i e
m i t der Met hode grundsät z l i ch
ni cht genu g und z um and eren
hat t en si e z u oft e i nfach k ei ne
Lust . Es gab über al l vi el z u vi el
Int e ressant es z u se hen. Ei n i ge
171
i hrer S t rei fz üge fü hrt en si e bi s
nach P ol en und i n di e C S S R .
Draupadi und Ka i bl üht en
re gel r echt auf i n di e ser Zei t . Ihr
Leb en verl i e f völ l i g chaot i sch.
Bei m Es sen durft e n si e ni cht
wähl eri s ch sei n. An bequem e
Nacht quart i e re
w ar
ohnehi n
ni cht z u denken. Für i hre
Frei hei t ab er hät t en si e not fal l s
noch
ganz
and ere
Opf er
geb racht .
Ledi gl i ch
Thom as
bes chwe rt e si ch m i t j edem T a g
m ehr. P l öt z l i ch en t deckt e er an
s ei ner gän gel nden Mut t er ei ne
M enge gut er Ei gens cha ft en. Von
den Vorz ügen sei n es hübschen
Zi m m ers b ei i hr ganz z u
s chwei gen. Und wei l er si e
i m m er m al wi eder hei m l i ch
anri ef, e rfuhr en di e Behö rd en,
wo
si e
si ch
ge rad e
herum t ri eben.
Drei m al
wurd e n
si e
ei ngefa n gen und z wangsw ei se
nach B e rl i n z u rüc k geb racht .
J edes Mal st ahl en si e si ch
j edoch nach ei n paar T a gen
wi eder
d avon.
Dra u padi
wundert e si ch i m Nachh i nei n,
dass
di e
P ol i z ei
rel at i v
nachsi cht i g m i t i hr u m ge gan gen
war. S ogar Lam pr ec ht hat t e nur
m oderat e S t raf en ge gen si e
verhän gt . Vi el l ei ch t l ag es an
der Feri enz ei t . Al l e r di ngs wu rde
i m m er wi eder deut l i ch, dass si e
i nnerhal b
des
Tri os
al s
Anst i ft eri n
gal t .
Dass
i hre
bei den B e gl ei t e r rund z wei
J ahre äl t er wa ren, s pi el t e dabei
kei ne R o l l e.
F
m i t Ausbi l dung und a l l em Drum
und Dran. "
"Daz u h ät t est du m i ndest ens
den Abschl uss der z ehnt en
Kl asse gebr aucht . "
"Gen au. Al so l aut et e das
M o t t o:
Ei n
bi sschen
m ehr
Ei nsat z berei t schaft
in
der
S chul e
und
ei n
paa r
Kom prom i sse bei der Kl ei dun g.
Nach d em S i t z enbl e i ben st and
i ch ko nst ant bei et wa dr ei
Kom m a nul l ."
"Ve rst ehe. Du hat t est wi eder
ei n Zi el vo r den A ugen. Ist das
ei gen t l i ch i m Hei m anerkannt
worden?
Haben
di ch
di e
Erz i eher gel obt ? Ic h m ei ne: Di e
m usst en
doch
froh
sei n
ang es i cht s
di es er
überras chenden W en de."
"Um eh rl i ch z u sei n: Ich kann
m i ch ni cht m ehr gen au eri nnern .
Nat ürl i ch hat t e i c h i nsgesam t
weni ger S t ress al s früher. ...
rauke z uckt e z usam m en,
al s ei n dum pfer S ch l ag d as
Gl as der Vi t ri ne z um
Kl i rren bra cht e. In ei ner der
an g renz enden
W o h nungen
t obt en
Ki nder
herum ,
dem
Ei ndruck
nach
ei ne
ganz e
S chul kl asse.
Vi el l ei cht
ei ne
Geburt s t a gs fei er.
Draupadi
j edenfal l s nahm offensi cht l i ch
kei nen A n st oß dar an .
"Di es e
Fl ucht
n ach
d em
s ech s t en S chul j ahr: W ar das für
di ch s o et was wi e der groß e
Fl ügel s chl a g, de r endgül t i ge
Aus s t i eg aus de m no rm al en
Leb en i n der DDR ? "
"Nei n. Das kann m a n so ni cht
s agen. Ic h hat t e m i c h auf di es en
Touren
ge wi sserm aßen
aus g et obt . Das war en ei n paa r
s chöne W ochen, a ber das war
für
m i ch
kei ne
Leb ens persp ekt i ve. Ich wol l t e
Beru fs m us i keri n w e rden, ri cht i g
172
M i t den K i n dern bi n i ch bess er
aus gekom m en. Da s war d as
Auffäl l i gst e
fü r
m i ch.
Gruppend ynam i k
i st
ei ne
s el t s am e S ache. Du kannst ni e
voraussehen, was s i e m i t dem
Ei nz el nen anst el l t . Da l i e gen
Tri um ph und Abst urz di cht
bei ei nander. Ic h ha be i m Hei m
fas t al l e R ol l en er l ebt , di e es
nach der Th eori e gi bt : vom
Frei wi l d bi s z um Anführer. "
" Zum Anfüh rer? In wi efern? "
" Ic h war für ei n pa ar Monat e
S t ubenäl t est e - so sehr Is ensee
s i ch auch da ge gen gewehrt hat . "
"Du hast wi ede r i n ei nem
norm al en Zi m m er geschl af en? "
"J a, j a. Anf an g Nov em ber bi n
i ch um gez ogen. ... Lei der kam
i ch musi kal i sch ni cht m ehr so
ri cht i g vo r an. "
"W i eso ni cht ? "
"R ol f J ahn war si c herl i ch ei n
gut er Musi ker und auf j ed en
Fal l ei n gut e r M ensch. Ab er
s ei n Unt er ri cht bl i e b auf ei nem
bes t i m m t en
Ni veau
st ehen.
Ni em and konnt e du rch i hn groß
herauskom m en. Da s war auc h
ga r ni cht s ei n Zi e l . Ich h ät t e
ge rn ei nen besse ren Lehre r
geh abt . Und nat ürl i ch ei ne
bessere B and. Tho m as i st ni cht
m ehr
gekom m en.
Kai
und
Gunt er h aben m i t i hrer Musi k
di e Mäuse vert ri eb en. Aber i ch
m usst e z ufri eden sei n. S chon
das W eni ge w ar m i t ei nem
ganz en Bü nd el an P ri vi l egi en
verbunde n. Di e F ahrt en n ach
Ost kreuz .
Di e
P r oben
am
Abend. Das Gi t ar re n üben i n der
Kam m er. "
" Lam pr echt hat di c h i n di es er
Zei t an ei ner l a ngen Lei n e
l aufen l a s sen? "
"An ei ne r z i em l ich l angen
Lei n e. Ic h da cht e , dass i ch
übern B er g wär e. Aber l ei der
kam es dann doch ganz anders. "
"W arum ei gent l i ch? "
"Gut e Fra ge. An m i r l ag es
ni cht . J edenfal l s bi n i ch m i r
kei nes F e h l ers be wu sst ."
47
D
urch ei nen W ecke r , den
si e z ufäl l i g au f ei ner
Fenst erb ank
ent d eckt e,
wurde Frauk e dar an eri nne rt ,
das s es s chon r ec ht spät am
Abend wa r.
" Ic h
gl aub e,
ich
sol l t e
l an gsam gehen. "
"Hast du h eut e n och et was
vor? "
"Nei n. Ei ge nt l i ch ni cht ."
"W arum bl ei bst du dann ni cht
über Na cht bei m i r? Du brau chst
m orgen ni cht i n di e Fi rm a z u
geh en und hi er i st für z wei
Leu t e al l em al g enü gend P l at z ."
"Dank e! Trot z dem m uss i ch
m al kurz aufst ehen. Ich bi n
ni cht daran gewöh nt , so l ange
auf dem Fußboden z u si t z en."
S i e l i ef ei n paa r S chri t t e i m
Zi m m er auf und ab. Dann bl i eb
si e vor der Vi t ri ne st ehen j ener Vi t ri ne, von der si e schon
bei
i hrem
er st en
Besuch
fasz i ni ert
gewe sen
wa r.
Draupadi erhob si ch ebenf al l s
173
und t rat m i t ei nem Läch el n
neben s i e.
"Und? "
"J a ... äh ... i ch we i ß ni cht ...
i ch kenne m i ch da n i cht aus."
Draupadi s Lä chel n wurde z u
ei nem hel l en La chen .
"Gi b 's z u: Gerad e gei st e rt
durch dei nen Kop f das Bi l d
ei nes
cha ri sm at i schen
S ekt enfü h rers,
d er
sei nen
S chäfchen das Ge l d abni m m t
und
sie
dann
in
den
M as s ens el bst m ord t r ei bt ."
"Nei n ... wi rkl i ch n i cht ... i ch
m ei ne ..."
Draupadi wu rde wi e der ernst .
"Heut z ut a ge
si n d
ganz e
Heers char en
a uf
dem
s pi ri t uel l en Tri p un d fasel n di r
was
vor
von
C hakren,
Kundal i ni kraft
und
fei ns t offl i chem
Ener gi efl uss.
An j eder S t raß ene cke hast du
ei ne Yo gas chul e, w o du di r bi s
z um Bandschei ben vorfal l den
Körper ve rbi e gen k annst . Aber
i n W ahrhei t si nd west l i che und
ös t l i che P hi l osophi e i m m er noch
m ei l enwei t
vonei nander
en t fernt . Es wi m m el t nur so von
M i s s vers t ändni s sen."
" Ic h bi n at hei st i sch erz o gen
worden
und
habe
schon
S chwi eri gkei t en, an ei nen Got t
z u gl auben ... "
"S i ehs t du! Da ge ht 's schon
l os . Im K ern i st der Hi ndui sm us
kei n es we gs pol yt h ei st i sch. Es
gi bt nur ei nen ei n z i gen Got t .
Der
wi ed erum
ex i st i ert
außerhal b d er S ch öpfung und
l äs s t s i ch i nfol ge dessen m i t
un s eren i rdi schen V orst el l unge n
ni cht erf assen, gesc hwei ge d enn
bes chrei b en. Di e Inder nenn en
i hn Br ahman . Aber das i st nur
ei n abs t rakt er B e gri ff. Ni em and
bet et i hn an i n di eser Fo rm .
S ei ne
W i derspi e gel un g
im
Erschaf f enen hei ßt I shw ara . Das
en t spri cht
ungef ähr
dem
west l i chen Got t esbe gri f f. "
" Ic h l erne ganz neu e S ei t en an
di r kennen. "
" Ic h habe di e Mögl i chkei t en
der so gen annt en F rei hei t ni cht
vorran gi g genut z t , um z um
Bal l erm ann
zu
düsen
oder
ei nz ukaufen bi s z um Anschl ag
des Überz i ehun gskr edi t s."
" Ic h
seh e
ni cht ,
wel che
Vo rt ei l e ei ne R el i gi on bri ngt . "
"Das P robl em i st , dass di e
m ei st en Leut e übe rhaupt ni cht
wi ssen,
was
si e
ei gent l i ch
ab l ehnen. S i e fol ge n nur bl i nd
ei nem Vorurt ei l . "
"Ishw ara ent spri cht al so dem
Got t des W est ens. Aber das
kann doch no ch ni c ht al l es sei n.
W enn
i ch
im
Fernseh en
R ei s eberi cht e aus Indi en seh e
..."
" Ishw ara i st i m m er noch vi el
z u groß und vor al l e m z u
wi de rsprüchl i ch, u m i hn si ch
vorst e l l en z u können. Da rum
unt e rschei den
di e
Hi ndus
verschi ed ene Asp ek t e von i hm .
Al s S chö pfer h ei ßt er Brahma ,
al s
Hüt er
kon t i nui erl i cher
Ent wi c k l ung nennt m an i hn
Vi shnu ,
al s
In i t i at or
von
Um bruch und Ve rä n derun g wi rd
al s Shi va bez ei c hn et . Aus di esen
drei Grundel em ent e n i st unsere
W el t aufgeb aut ."
"Kl i n gt i r gendwi e l ogi sch. "
"S chl i eßl i ch gi bt es no ch
ei nen
fei n en
Unt erschi ed
z wi schen Id ee und Um set z ung
oder z wi schen pot e nt i el l er und
ki n et i scher S ei t e. J edem der
drei Grun dasp ekt e i st dem nach
ei ne Shakt i z uge ordnet . S o
174
ent s t ehen göt t l i che Ehepaar e.
Brahm a und Saras w at i , Vi shnu
und
L akshmi ,
S hi va
und
Par vat i ."
"Di es e N am en ko m m en m i r
bekannt vor. "
"S o wi rd Got t i n den Tem pel n
verehrt . "
"Di e Fi gur en i n dei ner Vi t ri ne
s t el l en wahrsch ei nl i ch sol che
göt t l i chen Aspekt e dar. Ode r? "
"J a
Aspekt e,
di e
mir
pers ö n l i ch
beson ders
vi el
bedeut en. R echt s, d as i st S hi va.
Den erkennst du an sei nem
Drei z ack. Oft wi rd er al s
Ze rs t örer an g eseh e n. Das l i egt
aber i n der N at u r der S ache.
Auch bei
ei ner
R evol ut i on
geh en S che i ben z u Bruch. "
"Ei n R evol ut i onär? "
"Na kl ar! Der gan z e Kosm os
ent wi ckel t si ch i n Z ykl en aus
Kont i nu i t ät und Um bruch. "
"Und de r El ef ant da neben? "
"Das i st Ganesha . Den hat t en
wi r noch ni cht . D e r S ohn von
S hi va und P arvat i . Hi l fre i ch
bei m
Überwi n den
von
S chwi eri gkei t en.
Di e
dri t t e
Fi gu r st el l t S ar asw at i dar. S i e
i s t das S ym bol für di e e wi gen
W ahrhei t en und i m wei t eren
S i nne für W i s senschaft und
Kunst ."
" Int e ressant . "
"Norm al erw ei se
r ede
i ch
d arüber ni cht ."
"W arum ni cht ? "
"W ei l das für m i c h m ehr i st
al s nur ei n e ex ot i sche Kul t ur.
Und wei l m i r m i tt l erwei l e z u
vi el e T yp en be ge gn et si nd, di e
ei nfach
nur
i hr e
Neu gi er
befri edi gen wol l en. Di e hören
s i ch das i m Url aub m al am
Ei n gan g z u ei nem Tem pel an
und st e l l en ansch l i eßend i hr
Hal bwi ssen
mit
dum m en
S prüchen
z ur
S chau.
In
W ahrhei t haben di e so gut wi e
ni cht s kapi ert . S chl i m m er: S i e
wol l t en si ch von vornherei n nu r
i hre vorg epr ä gt en Mei nungen
best ät i gen l assen. "
Für ei nen Mom en t l ag ei n
weni g S pannun g i n der Luft , di e
si ch i ndes von selbst a ufl öst e,
al s der Ki nderl ä r m aus der
Nachba rwohnun g, d er ni e ganz
abgekl un gen
w ar,
pl öt z l i ch
anschwol l , al s wü rden ganz e
S chränke z u B ruch geh en.
"Um Hi m m el s W i l l en! W as i s t
denn da l os? "
" Ir gendei n S pi el , nehm e i ch
an."
"Es geht au f hal b el f!"
"J a. Und? "
"Na m ei net we gen ! Das geht
m i ch
nix
an.
...
Das
Messi n gschi l d dort , i st das ei n
Buchst ab e
au s
dem
S anskri t al phabet ? "
"Das i st das berü hm t e Om ,
ei ne
Zusam m ense t z ung
aus
m ehrer en Buchst ab en, l et z t l i ch
s o ga r ei n S i nnbi ld für al l e
den k baren
Buchst aben.
Am
Anfan g war das W o rt , behaupt et
di e Bi bel . S o ähnl i ch sehen das
auch di e Hi ndus. D i e W el t gi n g
ei nst hervor aus ei nem Kl an g,
der
alle
Ene r gi efrequ enz en
ent hi el t . Er di ffere nz i ert e si ch
z u ei ner Vi e l z ahl v on Kl än gen.
Di ese wi ede rum wa ndel t en si ch
z um
Tei l
um
in
di e
verschi ed enen, uns bekannt en
S t offe. W echse l bez i ehung von
Ener gi e
und
M at eri e,
di e
Ei nst ei nform el ."
"Auch an d en Urkna l l eri nnert
das ei n bi sschen. "
"Nur i st di e ei ne Idee schon
ei n paa r J ahrt ause nde al t und
175
di e
ander e
e rst
ei n
paa r
J ah rz ehnt e."
"Dann bl i eb e nur n och di eses
Fot o. Es i st doch ei n Fot o? "
"J a, ei n Fot o. "
Frauk e m erkt e, das s Draupadi
genu g hat t e vom Fr a ge -Ant wort S pi el und l enkt e ei n.
" Ic h würd e nur ge rn wi ssen,
ob das ei n Mann i st oder ei ne
Frau. "
"Ei n Mann. Ab er i m Grunde
s pi el t das kei ne R ol l e. Di e
S eel e hat kei n Ge schl echt i m
i rd i s chen S i nne. Der Körper i st
für s i e l edi gl i ch ei n e z ei t wei l i ge
Behaus un g. "
" Ic h
hab e
di ese
oran gef arb en en
Gewänd er
i m m er m i t dem Bu ddhi sm us i n
Verbi ndun g g ebr ach t ."
"Di e
Mönche
des
hi ndui s t i schen
S wam i ordens
t ragen s i e ebenf al l s. S o sehr
wei t s i nd di e bei den R el i gi onen
ni cht vone i nande r e nt fernt . Di e
ei ne
ist
aus
d er
and er en
hervor ge ga n gen,
wenn
auch
s chon vor J ahrhu n de rt en."
W i eder st ockt e das Gesprä ch
und wi eder hal f d as Haus. In
den Ki n derl ä rm m i scht en si ch
u n v erm i t t el t di e st am pfenden
R h yt hm en
ei ne r
ex ot i sch
anm ut enden M usi k.
"W as i st denn das nun schon
wi eder? Machen di e nebenan ei n
S t am m es t reffen? "
"Nei n, nei n. Von n e benan hört
m an hi er so gut wi e ni e et was.
Ei ne Fam i l i e au s P aki st an.
S t reng rel i gi ös. Zwei Töc ht er,
di e
du
nur
i sl am i sch
ei ng em um m el t
zu
sehen
bekom m s t . Ich hat t e ei n kurz es
Ges prä ch m i t der Mut t er, al s der
Fah rs t uhl wi eder m al kaput t
war. Ab er norm al er wei se fi ndest
du kaum Kont akt z u denen. "
"Ei n
bi sschen
u nhei m l i ch.
Oder? "
" Ic h habe kei n P robl em dam i t .
Bl oß für di e Töcht e r i st es bl öd.
Di e werden nat ürl i ch auch z u
Außensei t ern. "
"Al so gut . Und wo kom m t der
Krach nun h er? "
"Di e Ki nder, di e du hörst ,
si nd über uns. Und auf uns ere r
Et age we i t er hi nt en i st ei ne W G
m i t Afri kanern. Ei ne l ust i ge
Truppe
mit
wechsel nde r
Bese t z un g. Di e f ei e rn öft er m al
di e Nacht dur ch. "
"Kom m en di e ni ch t auf di e
Id ee, d ass d as di e ander en i m
Haus vi e l l ei cht nerv t? "
"Nei n ! Kom m en si e ni cht . S i e
l aden di e Nac hbarn j a z u i hren
P art ys ei n. W enn di e dann
wü t end werden, v erst ehen si e
di e W el t ni cht m ehr."
"Kennst du si e? "
" Ic h bi n ni cht i m m er au f d em
neuest en S t and. Ab e r i m P ri nz i p
kenne i ch si e schon . Di e st ehen
gen erel l auf Kri e gs fuß m i t der
deut schen Kl ei nl i ch kei t . Darum
m uss i ch i hnen m i ndest ens
ei n m al
wöch ent l i ch
di e
Bedeut un g
i rgendei n es
Behörd e nschr ei bens
erl äut ern.
Oder i ch w erde al s Verm i t t l er
gehol t , wenn di e Bu l l en da si nd.
Dafür v ersor gen si e m i ch m i t
afri kani sch en S p ez i al i t ät en. Ich
könnt e dam i t Hande l t re i ben."
Ei n
paar
Mi nut en
spät er
kl i ngel t e t at sä chl i c h j em and an
der W o hnungst ür.
"S i nd si e das? "
"Ve rm ut l i ch. Ich werde si e
abwi m m el n. Oder h ast du Lust
auf ei ne echt e A fri k apart y? "
"Nei n, n ei n. Lass gu t sei n!"
176
"Du w ei ßt ni cht , was di r
ent geht . Ich wa r sc hon ei n paar
Mal dabei
bereut . "
und
h abe
es
ni e
48
E
ri nnerst du di ch noch, wi e
du m i r i n Hassel fel de von
der Bhagavad Gi t a dei nes
Vat ers e rz ähl t hast ? "
"S el bst verst ändl i ch. "
Ei gent l i ch
wol l t e
Fr auke
beri cht en, w as aus dem Bu ch
ge worden i st . W äre es noch i n
i h rem Besi t z gewes en, hät t e si e
das wohl auch get an. Di e
fei erl i ch e R ück ga be an den
recht m äßi gen Besi t z er hät t e di e
n ot wendi gen
E rl äut erun gen
erl ei c ht e rt . Mi t l eeren Händen
hi nge gen würde al l es (i hrer
Befü rc ht un g n ach) wi e ei n
s chl echt
e rda cht e s
Märchen
kl i ngen. A l so wi ch si e ei nm al
m ehr i m l et z t en Mom ent aus.
"Du be si t z t i nz wi schen ei ne
ei gene ... "
"J a, wi e du si ehst ."
" Ic h sei t ei n pa a r W ochen
auch. Aber m ei n Ex em pl ar i st
vi el dünner al s dei n s."
"Das l i e gt am K om m ent ar.
Von wem i st der den n bei di r? "
"Von
ei nem
Indol o gi ep rofe s sor
aus
Lei p z i g. "
"Dann wa r 's ei n F e hl ka uf. Fü r
di e Gi t a gi l t dasse l be wi e fü r
al l e he i l i gen Tex t e: Di e Vers e
s i nd verkl ausul i ert und m an
kann
al l es
Mögl i ch e
hi nei ni nt erpret i er en .
Kom m ent at oren h a ben i m m er
ei n Anl i egen und st el l en über
di e Ausl e gun gst ex t e i hre ei gen e
Leh re
d ar.
Hi ndui s t i sche
Mei st er wei sen häufi g üb er
Gi t a-Kom m ent ar e nach, das s
i hre A nsi cht en noch auf dem
Boden d er T radi t i on st ehen. S o
bl ei bt ei ne R el i gi on m odern,
ohne
i hre
W urz el n
zu
verl i eren. "
"Di es er
P rofess or
hat
Kri e gs het z e her aus gel esen. "
"Al so ei n Mat eri al i st von der
ort h odox en S ort e."
"W i e i nt erpret i erst du di e
Verse? "
"Das l ässt si ch ni c ht m i t drei
S ät z en sagen. "
"Mi r wü rden di e Grundl a gen
rei chen. "
"Fü r
di e
gi bt 's
P opul ärwi sse n schaft :
Di e
Rel i gi onen der Vö l ker, K a pi t el
vi er: Hi ndui smus ."
"Ges chri eb en von ort hodox en
Mat eri al i st en. An di eser S t e l l e
waren wi r schon. Ic h ve rst ehe
das ni cht ganz . Bei m ei nen
Fra gen nach dem Ki nderhei m
hat t e i ch wi rkl i ch Hem m ungen.
Das i st et was s ehr P ersö nl i ches .
Und et was S chm e rz haft es. Ab er
was i st so schl i m m daran, m i r
et was
über
Hi nd ui sm us
zu
erz ähl en? "
" Ic h bi n k ei n Gur u und bi n
m i r m ei ner S ach e oft sel ber
noch ni cht si cher. Infol ged essen
habe i ch kei n e Lus t , m i ch m i t
den schl au en Ei n wänden d er
S kept i ker herum z u schl a gen. "
Frauk e
st el l t e
e rschrock en
fest , dass si e b ei m Auswei ch en
177
des ei nen Fet t nap f es i n ei nen
anderen gerat en wa r. Doch z um
Aus gan gs punkt ka m si e nun
auch ni cht m ehr z ur ück.
"Vi el l ei cht s chät z t du m i ch
fal s ch
ei n",
ve r sucht e
si e
v ors i cht i g e i nen ne uen Anl auf .
" Ic h wi l l di ch ni cht wi derl egen.
Ic h bi n wi rkl i ch au f der S uch e.
Im Gr und e habe i c h überh aupt
k ei ne W el t anschauu ng m ehr. "
"Al s o
gut :
Mi r
i st
gl ei ch gü l t i g, ob Kurukshet ra
ei nen hi st ori schen Hi nt ergrun d
hat oder ni cht . Ic h sehe di e
Bha gav ad Gi t a al s Al l egori e.
Di e S chl acht , von der di e R ede
i s t , s ym bol i si ert den Kam pf
z wi s chen gut en un d schl echt en
Nei gun gen, d en j ed er Mens ch i n
s ei nem Innern aust r agen m uss."
Draupadi st and auf und nahm
di e z wei di cken Bü c her aus dem
Vi t ri nens chrank. D a s ei ne l egt e
s i e vor s i ch au f den B o den, d as
andere s chl u g si e auf. Frauk e
fi el di e kunst vol l e Ges t al t ung
auf. J edes Kapi t el begann m i t
ei nem ganz sei t i gen farben frohe n
Bi l d. Für j ed en V er s w aren d er
Devana gari -T ex t ,
di e
Trans l i t erat i on
sowi e
di e
engl i s ch e
Übers et z ung
in
vers chi ed ener
S chri ft art
unt erei nande r
g ed ruckt .
Der
Kom m ent ar bez og si ch i n de r
R egel auf m ehr e re Verse, n ahm
dann abe r ni cht sel t en m ehre re
S ei t e i n An s pruch . Zwi s chen
den S ei t en st eckt en z ahl rei che
Not i z z et t el . Draupadi hat t e di e
Büche r
o ff enb ar
sehr
ge wi s s enhaft
dur c hgearb ei t et .
Und
si e
kan nt e
si ch
hervorr a gend aus. W enn si e ei ne
bes t i m m t e
P assage
su cht e,
m us s t e
si e
ni em al s
l ange
bl ät t ern.
"Al s mei n e N achko mmen und
di e Söhne Pundu auf dem
hei l i gen Fel d von K urukshet ra
kampf berei t v ersam mel t w aren,
w as t at en si e da ? ", überset z t e
si e aus d em En gl i schen. "W i r
sol l en uns j eden Abend d i e
Fra ge st el l en, wi e i n unserem
i nn eren Kam pf d i e akt uel l e
La ge i st . W er noch kei ne
endgül t i ge B e frei u ng err ei cht
hat , m uss i m m er da m i t rechnen,
dass di e he l l e S ei t e das z uvor
m ühsam e rrun gene Terri t ori um
an di e dunkl e S ei t e wi eder
verl i ert . Ei n kl ei ner M om ent der
S chw äche r ei cht dafü r aus.
J eder Ta g st el l t u ns vor neu e
Ent schei du ngen. Ei nm al gehen
wi r den ri c ht i gen W eg, ei n
ande rm al den fal schen. Got t
kann uns dabei nur i nd i rekt
hel fen,
d enn
er
hat
uns
unwi derrufl i ch
ei nen
frei e n
W i l l en ge geben. "
S i e schl ug ei n e S ei t e et was
wei t er hi nt en au f.
"Hi e r! Zwei t e r Ges ang, Vers
sechz ehn: Das Unw i rkl i che hat
kei ne Exi st enz. Da s Wi rkl i che
hört ni cht auf zu sei n ."
"Das v erst eh e i ch ni cht ."
"De r
Hi ndui sm us
unt ersche i det
z wi schen
d er
gei st i gen W el t , z u der Got t
gehö rt
(und
auch
di e
m enschl i che S e el e ), und d er
m at eri el l en W el t , i n der wi r m i t
unserem Körp er l eben. Di e
gei s t i ge W el t gi l t al s real und
ewi g,
di e
m at er i el l e
W el t
hi n ge gen nur al s gewal t i ge
Il l usi on.
Sie
i st
ei ne
Theat erbühn e,
auf
der
gl ei chz ei t i g
Mi l l i onen
un t erschi edl i che r
S t ücke
auf gefüh rt werden - Lust spi el e,
Dram en, Tra gödi en . W i r al l e
178
s i nd
dabei
A kt eure
in
bes t i m m t en R ol l en. Der t i efe re
S i nn l i egt dari n, d e r S eel e ei ne
M ögl i chkei t
zu
g eben,
Erfahrun gen z u sa m m el n, si ch
i n S chwi eri gkei t en z u b ewähren
und
l et z t l i ch
wei t erz uent w i ckel n. "
"S o hab e i ch das noch ni e
gehö rt ."
"Di e R ol l e, di e w i r spi el en
s ol l en, i st uns schon i n di e
W i ege gel e gt . W i r werd en von
Got t i n di ese W el t geschi ckt m i t
ei ner
persönl i chen
Leb ensau f gabe, de m Dharma .
Al l es,
was
wi r
dafür
an
l ei bl i chen und i nt el l e kt uel l en
Vorrausset z un gen
bra u ch en,
bekom m en
wi r
mit.
Auch
j em and,
der
z um
Bei spi el
gei s t i g schwe r be hi ndert i st ,
s pi el t ei ne R ol l e - für si ch
s el bst und für andere, i m
ü b ert ra genen S i nne und i m
wort wört l i chen. "
" Is t na ch di ese r T heori e das
S chi cksal
vorbest i m m t?
Ich
habe gehört , dass vi el e Ind er
davon überz eugt si nd, dass si e
an i hrem Los so wi eso ni cht s
än dern könn en."
"De r i ndi sche F at al i sm us! J a,
den gi bt 's. Aber l et z t l i ch si nd
nur di e B edi n gun ge n fest gel e gt .
W as der ei nz el ne daraus m acht ,
i s t s ei ne S ache. Got t wi l l ni cht ,
das s wi r t rä ge und gl ei ch gül t i g
s i nd." W i eder f a nd si e auf
An hi eb ei nen pass enden Ve rs
aus der Gi t a. " Höc hst en E r f ol g
hat derj eni ge, der di e Si nne
dur ch den Gei st di szi pl i ni ert ,
f r ei i st von Anhängl i chkei t und
s ei n H andel n st et s auf dem We g
häl t , der zu Got t f ührt . W er den
S chwi eri gkei t en au s dem W eg
geht , wi rd spät er m i t i hnen
erneut konfront i e rt , i n di eser
oder
in
ei ne r
spät eren
Ink arn at i on.
Di e
Hi ndus
bet racht en d as al s Nat ur geset z
und nennen es K arm a ."
"Du denkst al so, dass j eder
m i t sei nem S chi cksal f ert i g
wi rd, wenn er es nur ri cht i g
anpackt ? "
"J a.
Di e
m ei st e n
Leut e
beg ehen nur d en Fe hl er, dass si e
si ch m i t i hrer R ol l e ni cht
abfi n den. S i e w ol l en große
Hel den sei n und ni cht nur
R andfi gu ren. Ab er wi e sol l das
geh en ? "
"Da ran l i e gt es ni c ht i m m er.
Nach m ei nem Ei ndr uck haben es
m anche Mensch en vi el schwere r
i m Leben al s andere. S el bs t
wenn si e ga r ni ch t nach den
S t ernen gr ei fen , sondern ei nfac h
nur ei n würdi ges L eben füh ren
wol l en."
"W ei ßt du i m m er, wi e es
anderen wi rk l i ch geht ? Ei n
R ei cher
st i rbt
qual vol l
an
Krebs. Ei n Arm er i st gl ückl i ch
m i t dem W eni ge n, was e r
besi t z t . Me nschen, denen es au f
den e rst en Bl i ck an ni cht s fehl t ,
l ei den u n t er Dep ress i onen."
"Gl ück und Un gl ück haben
vi el e Gesi cht e r. J a, das i st wohl
wahr. ... W as hat e s ei gent l i ch
auf si ch m i t den K ast en? Hängt
das auch m i t di e sem Them a
z usam m en? "
Di esm al m usst e Dr aupadi ei n
kl ei n weni g l än ger suchen. S i e
hat t e al l erdi n gs z usät z l i ch z u
i hrem phänom enal e n G edächt ni s
auch
noch
ei n
handgeschri eb enes R egi st er a l s
Ori ent i erun g z ur Ve rfü gun g.
"Vi e rt e
G esan g,
Vers
drei z ehn!",
ve rk ündet e
sie
schl i e ßl i ch
mit
l ei cht em
179
Tri um ph. " Ent sprechend de n
unt er s chi e dl i chen Gunas (al so
den
i ndi v i duel l en
Ei gens chaf t en ) und dem K arma
(al s o den Handl u n gen i n der
Ver gangenhei t ) ha be i ch di e
vi er K as t en e r schaf f en . Hi er i st
ni cht von Fam i l i enz ugehö ri gkei t
di e R ede. D as spi el t e nur i m
M i t t el al t er ei ne R ol l e - wi e
üb ri gens auch i n E uropa. Heut e
m us s j eder sel ber herausfi nden,
wofür Got t i hn b e st i m m t hat :
Gei s t l i cher,
Ma ch t ausübender,
W i rt s chaft sl enker
oder
Arbei t ende r."
"Das l i e gt z i em l i ch wei t we g
von al l em , was i ch j e über
Indi en gel esen h ab e, auch üb er
das Indi en von heut e."
"Ort hodox e Hi ndu s knüpfen
di e Kas t e i m m er no ch st ren g an
di e Geburt . Abe r es si nd
Di s kus s i onen darum i n Gang
gek om m en.
Mode rne
Gurus
l ehren,
d ass
ei ne
z um
Brahm anen b est i m m t e S eel e i n
ei ne
S udra -F am i l i e
hi nei n
gebo ren we rden kann. W enn
s i ch di e Leut e hi e r z ul ande über
das
Kast enw esen
aufre gen,
s t eckt m ei ner Me i nu ng na ch vi el
Heuchel ei
und
Ignor anz
dahi nt er.
Es
i st
st at i s t i sch
l ängs t erwi es en, da ss auch b ei
uns i n best i m m t e P osi t i onen nur
M i t gl i eder b est i m m t er F am i l i en
hi nei ngel an gen. W as nut z t di r
ei n
t heoret i scher
An s pruch,
wenn du i hn prakt i sch ni em al s
aus nut z en kannst ? A ußerd em
ei gn et s i ch j a t at säc h l i ch ni cht
j eder z um Lei t en und Führen.
W as herauskom m t , wenn Leut e
es t rot z dem probi eren, m üsst est
du
ei gen t l i ch
noch
besse r
wi s s en al s i ch."
"Da h ast du l ei der R echt .
Karri e redenk en! W er ei nfa ch
nur j ahrel an g sei n en J ob gut
erl edi gt , z ähl t ni cht vi el ."
Ei ne W ei l e schwi egen b ei de.
Draupadi ve rt i eft e si ch i n ei ne
P assage de r Gi t a. F rauke dacht e
nach übe r das gera de Gehö rt e.
S i e begann z u verst ehen, warum
i hre Fr eundi n ni cht anerkenn en
wol l t e,
dass
i hr
Unrecht
z ugefü gt word en sei . Nach i hren
neuen Übe rz eu gun gen gab es
das off enbar gar ni cht . Got t
sel bst hat t e i hr ei ne Auf gabe
übert ra gen. Vi el l ei cht hat t e er
si ch dafür des ei nen oder
and eren Mensch en a l s W erkz eug
bedi ent ,
doch
s pi el t e
das
l et z t l i ch
kei ne
R ol l e.
W as
z ähl t e, war al l ei n di e Fra ge, ob
und wi e gut si e di e Auf gabe
erl edi gt hat t e. Für e i nen Be gri ff
wi e
S chi cksal
(mit
sei nem
wei nerl i chen Unt e rt on) bl i eb
dabei kei n R aum . Es gab nu r das
Dharma
im
S i nne
von:
W ei t e rbi l dung
im
ri esi ge n
Ausbi l dungscam p E rde. F rauk e
ahnt e, dass au ch si e sel bst
z u fri edener l eben w ürde, könnt e
si e di e Erei gni sse des Al l t ags
durch di es e Bri l l e b et racht e. S i e
bez wei fel t e aber, d ass i hr das
j em al s gel än ge.
Di e P robl em e b e gan nen schon
dam i t , dass si e si ch über den
anhal t enden R ad au i m Haus
i m m er m ehr au fre gt e. Di e Uh r
gi n g
i nz wi sch en
auf
Mi t t e rnacht : Höchst e Zei t , si ch
schl afen z u l e gen. S i e war ei n
ord nungsl i eb ender Mensch. Di e
Gewi s s hei t , am nächst en Ta g
ni cht z ur Arbei t gehen z u
m ü s sen, rei cht e i h r ni cht aus.
Ers t ens wusst e si e, dass si e so
z ei t i g wach werd en würde wi e
180
i m m er. Zw ei t ens wol l t e si e si ch
ni cht von W i l dfrem den de n
Leb ensrh yt hm us
vorschrei ben
l as s en.
Let z t er es
war
das
W i cht i gs t e. Am l i ebst en hät t e
s i e di e P o l i z ei al arm i ert . Abe r
das gi n g nat ürl i ch ni cht al s Gast
in
ei ner
W ohn ung,
d eren
M i et eri n si ch wohl ni cht ei nm al
durch det o ni e rende S pren gsät z e
aus
i hrem
Yo gi -Gl ei chm ut
würde r ei ßen l assen.
"W as si nd das übe rhaupt für
Leut e da üb er uns? ", f ra gt e si e
s chl i e ßl i ch, i hre Em pörung nur
unvol l kom m en z urückhal t end.
"Ei ne i ndi sche Fa m i l i e m i t
s i eben
Ki ndern ",
erkl ärt e
Drau padi . " Zwi sch en fünf und
vi erz ehn J ahre al t . Net t e Leut e
übri gens. Ich bi n z i em l i ch oft
bei i hnen oben, sogar z u höchst
h ei l i gen Fei e rn. S i e denken,
das s i ch i ndi sche W urz el n hät t e,
obwohl i ch das oft genu g
bes t ri t t en habe. "
" Is t di e W ohnung über uns
ei gent l i ch größer al s di e hi er? "
"Nei n.
Sie
h at
nat ürl i ch
d ens el ben S chni t t . W arum? "
"W ei l i ch m i ch fra ge, wi e das
geht ? Di e können d och ni cht m i t
neun P ersonen ... "
"Na kl ar können si e das. Das
s i nd
ori gi nal
i ndi sche
Verhäl t ni sse. Di e d enken, dass
i ch m i ch hi er unt en graul e - so
al l ei n i n so ei ner ri esi ge n
W ohnung. Da rum l a den si e m i ch
j a s o oft ei n."
"Und
wann
geh en
na ch
ori gi nal i ndi schen Verhäl t ni ssen
fünfj ähri ge Ki nder i ns Bet t ? "
"Du f ra gst j a scho n fast wi e
di e vom J ugendam t . Di e m üssen
m orgen ni r gendwo hi n. Aber
verm ut l i ch i s t bal d R uhe. Mei ne
P rognose: so g e gen hal b ei ns."
"W i e häl t st du das hi er aus?
Ic h würde wahnsi nni g werd en
und z war i n kurz er Zei t . "
"Es gi bt hi er ni cht nur
Nacht ei l e. Durch de n Druck von
außen hal t en wi r z usam m en. Di e
Tol eranz
unt erei nander
ist
ex t rem wi c ht i g für uns. Gegen
ei ni ge Ge fahr en bi n i ch hi er
soga r si che rer al s anderswo .
Neo naz i s z um Bei spi el t ra uen
si ch ni cht rei n."
"Tat sä chl i ch? "
" Im Haus wohn en j ede Men ge
Ki n der ... "
"Al l erdi n gs! "
"... und di e w erd en beschüt z t ,
j edes ei nz el ne, ob wohl es s o
vi el e si nd. Di ese Ar schl öcher da
draußen
wol l en
kei nen
Hel de nt od st erb en, auch wenn
si e dum m e S prüche darübe r
kl o pfen."
"Und
wenn
sie
euch
hi nt erhä l t i g
an gr ei fen,
mit
ei nem Br an danschl a g ode r so? "
"Das si eht d enen s chon eh er
ähnl i ch. Das hab e n si e auch
schon versucht . Ab e r wi r si nd j a
ni cht
bl öd.
Wir
haben
R auch m el der
an
b est i m m t en
S t el l en. Und wi r haben Leut e,
di e ve r ant wort l i ch si nd, wenn
di e i rgendwann ans pri ngen. Und
genü gend
F euerl ösch er.
Manches i st hi er ri cht i g gut
organ i si ert , ob du es gl aubs t
oder ni c ht ."
W as di e Ki nder d er i ndi schen
Fam i l i e
an gi n g,
behi el t
Draup adi
R e cht
mit
i hrer
P rognose, w as di e Afri kan er
bet raf, al l e rdi n gs auch. Di e
waren m i t t l e rwei l e z u gängi ger
west l i cher Musi k vom Band
über ge gan gen, w as das P robl em
aus
F raukes
S i cht
nur
unwesen t l i ch beei n fl usst e. S i e
181
vers ucht e, t rot z dem z ur R uhe z u
kom m en, hat t e i n des ke i ne
C hance. J e m ehr si e si ch
bem üht e, an et w as ander es z u
denken al s an ex ot i sche Fest e
i nm i t t en üppi ger R egen wäl de r,
des t o i nt ens i ver k rei st en i hre
Gedanken eben ge nau darum bi s s i e si ch wi e bei ei ner
Hal l uz i nat i on um ringt sah vo n
ei nem
Dut z end
hal bnackt e r
Tänz er,
di e
ein
wi l der
Trom m el wi rbel
una b l ässi g
ant ri eb.
Dr aupadi
hi ng e gen
schl i ef aus gez ei chn et .
"Das si nd m ehr od er m i nder
m ei ne Freund e ", e rl äut ert e si e
daz u am nächst e n M orgen.
"W enn i ch i hre Musi k höre,
wei ß i ch, d ass es i hnen gut
geht . D ann fühl e i c h m i ch auch
wohl ."
Aha. S o ei nfa ch war das al so.
49
m Mi t t woch der nä chst en
W o che bekam F rau ke am
Abend ei nen A nru f von
Draupadi .
"W i e geht 's? Hast du di ch von
der Na cht bei m i r e r hol t? "
" Ic h konnt e am S am st ag das
S chl afdefi z i t ausgl e i chen."
"Und
am
k om m enden
W o chenende bi st du i n Berl i n? "
"J a. Verwandt enb e such. Ich
geh e am F rei t a g ei n paar
S t u n den
früher
in
den
Fei er abend und fahr e gl ei ch von
der Fi rm a aus l os."
"W ürde es di ch st ören, m i ch
m i t z unehm en? "
"Nat ü rl i ch ni cht . Hast du i n
Berl i n et w as B esond eres vor? "
A
" Ic h
wi l l
m i ch
m al
im
Fachk ranken haus
Li cht enb er g
um s ehen."
" Im Fachk rankenh au s? "
"J a! Du hast ri cht i g gehört .
Tat ort besi cht i gun g Kl apsm ü hl e.
S o wei t hast du's nun gebr acht
m i t dei nem Herum gest och er i n
m ei ner Ve r ga n genh e i t ."
" Ic h wol l t e wi rkl i ch ni cht ,
dass du ..."
"S chon gut ! J edenfa l l s bi n i ch
i nz wi schen
sel ber
daran
i nt ere s si ert , di ese Geschi cht e
aufz ua rbei t en. S ol l i ch nach
Dar m st adt kom m en? "
"Nei n. Ich hol e di c h ab. D as
i st kei n P robl em für m i ch."
"Al so dann: Bi s z um Frei t a g!"
F
waren r asch i m Koffe rr aum
verst aut . Denno ch gab es ei ne
Verz ög erun g, denn ge rade al s
si e ei n st ei gen wol l t en, t rat ei n e
Frau an si e heran. Aschgraue s
Gesi cht , m üde Augen, wi e ei ne
Vi erz i gj ähri ge auss ehend, ab er
m i t S i che rhei t sehr vi el j ünger .
Von
i hrer
z erschl i ssenen
rauke gel an gt e pro bl em l os
nach
Fran kfurt
hi nei n,
denn
di e
groß en
Verkeh r s st röm e b e we gt en si ch
um di es e Zei t i n ent ge gen
ges et z t er R i c h t ung. Draup adi
s t and vo r dem Hochhaus schon
berei t . Ihr g eri n ges Gepäck ( ei n
al t er R uc ksa ck und ei ne Gi t arr e)
182
Kl ei dung
gi n g
ei n
durchdri n gend
u nangenehm e r
Geruch aus. Fr au ke wundert e
s i ch, dass Draupadi si ch m i t i hr
unt erha l t en
kon nt e,
ohne
an geek el t
das
Gesi cht
zu
verz i ehen. Let z t l i ch wol l t e si e
Gel d. Und t at sä chl i ch bekam si e
auch e t w as.
"Kennst du si e? ", erkundi gt e
s i ch Frauk e, al s si e endl i ch
l os fahren konnt en.
"Fl ü cht i g. S i e i st z wanz i g und
s äuft
sei t
i hrem
z ehnt en
Leb en s j ahr. D esha l b hat si e
i nz wi schen
ei n
bl ut e ndes
M agen gesch wür. S a gt si e. "
"Gesund si eht si e j edenf al l s
ni cht aus."
" Ic h hof fe, d ass si e si ch nu r
wi cht i g m achen wi l l . Aber
wet t en würd e i ch n i cht darau f.
Vers t ehst du j et zt , warum i ch
k ei nen Al kohol anrühre? W enn
i ch's v ersuch e, fal l en m i r di ese
S achen ei n und m i r wi rd übel ."
"Trot z dem
hast
du
i hr
k om m ent arl os Gel d ge geben für
ei ne neu e Fl as che, m i t der si e
s i ch i hre Gesundhei t wei t er
rui ni ert ."
" Ic h kann si e ni cht verände rn.
M an hat vi el errei ch t , wenn m an
v ers t eht , w arum die Ki t s hi er
di es und j enes anst e l l en. W enn
s i e offen si nd, dann hel fe i ch
i hnen auch. Kl ar ! Aber das i st
di e Ausnahm e. "
" Ic h nehm e an, d a ss du di r
Dro gen al l er Art l ei cht besor gen
könnt est , ni cht nur S chnaps.
Kom m st
du
ni em al s
in
Vers u chun g? S o et was sol l doch
über S or gen hi n we g hel f en,
z um i n dest v orübergehend. "
"Das i st ei n Ge r ücht . Ich
k enne genü gend Leut e, di e an
der Nad el hän gen. J e m ehr du
das P endel i n di e ei ne R i cht ung
au s l enkst , dest o h ef t i ger schl ä gt
es anschl i eßend i n di e andere
R i cht ung aus.
D ei n
Karm a
verfol gt di ch wi e de i n ei gene r
S chat t en. Du k anns t i hm ni cht
ent fl i ehen, was auc h i m m er du
dafür anst el l st . "
S i e errei cht en di e Aut obahn
und
geri et en
gl ei ch
in
st ocke nden V e r kehr .
"Al s v erant wo rt ungsbewusst er
Mensch m üsst e i ch nach Berl i n
ei gent l i ch den Zu g nehm en ",
gest and
F rauke.
"Vi el l ei cht
wären
wi r
damit
sogar
schnel l er. "
"Vi el l ei cht ... "
"W as ande res: W ovon hast du
i n Irl and ei gent l i ch gel ebt ? Du
konnt est
am
Anfan g
ni cht
ei nm al Engl i sch spr echen. "
"Es w ar ei ne ver rü ckt e Zei t .
Das l a g al l erdi n gs weni ger am
Engl i sch al s da r a n, dass i ch
kei ne gül t i gen P api e re hat t e. Ich
konnt e ni cht z ur P o l i z ei gehen,
wenn m i r et was p assi ert i st ."
"W i e m ei nst du das? "
"Ve r gi ss es! Aber i ch war i m
Kont akt
mit
ri cht i g
gut en
Mus i kern
und
bi n
robus t
ge worden i m Um ga ng m i t dem
P ubl i kum . Bei ei nem Auft ri t t i n
ei nem P ub vor l aut er besoff en en
Kerl en, d a br auchs t du st arke
Nerven. S ei t dem bri ngt m i ch
bei m Konz ert kei n Zwi sch enfal l
m ehr so l ei cht aus dem Konz ept .
Ic h bi n i n Dubl i n verm ut l i ch
besser voran gekom m en al s i ch
das an e i ner Musi kho chschul e
hät t e schaf fen könn en. "
"W ann
bi st
du
nach
Deut sc hl and z urück gek ehrt ? "
"1984, al s i ch vol l j ähri g wa r
und di e Zi t t l auers m i r ni cht s
m ehr konnt en. "
183
"S ofern si e di r z u der Zei t
überhaupt noch et was können
wol l t en."
" Ic h
bi n
n ach
Fr ankfurt
ge fahr en
und
habe
m i ch
offi z i el l a ngem el d et ."
"Und dann? "
"... gi n g das C h aos erst ei nm al
ei ne W ei l e wei t er. Ohne J ob
bekom m s t du kei ne W ohnung
und ohne W ohnung kei nen J ob.
Ei n s uper S yst em ! Dam al s wa r
i ch nahe dran, ri cht i g t i e f i n di e
P unks z ene
hi n ei nz urut schen.
Aber n ach ei ne r W ei l e bi n i ch
über
di ese
P ha se
hi nwe g
gekom m en. "
"Al l es ande re hät t e m i ch
ge wundert . "
"J a,
kl ar.
Di e
gut e
Ki nders t u be. Ic h begab m i ch
al so auf di e S uche n nach ei ne r
W G,
di e
m i ch
aufni m m t .
Nachdem i ch ei ne gefunde n
hat t e,
gi n g's
schri t t wei se
ber gauf. "
"Un d j et z t bi st du zufri eden? "
"Echt e Zu fri ed enhei t bedeut et
S t i l l st and. Aber m ei ne Zi el e
si nd j et zt m ehr gei st i ger Nat u r.
Mat eri el l habe i ch a l l es, was i ch
brauche. "
"W i rkl i ch? W as i st m i t dei nen
Musi ki nst rum ent en? "
"Dass i ch da für ei ni ges an
Gel d aus geb e, b ed eut et ni cht ,
dass i ch d avon ab hängi g bi n.
Ic h würde da für ni c ht s t un, was
m ei nen
Grun d üb erz eugun gen
z uwi der l äuft ."
50
U
m si ch di e S uche nach
ei nem
P arkpl at z
zu
ers par en, l i eß Fr au ke i hr
Aut o vor dem Haus i hrer El t ern
s t ehen
und
fuhr
mit
der
S t raßenb ahn
z um
Fachk ra n ken haus.
An
der
Hal t es t el l e
(der
Front
des
Haupt gebäud es ge ge nüber) hat t e
sie
s i ch
mit
Draupadi
v erabr edet . W ei l si e vi el z u früh
dort war, bl i eb no ch Zei t fü r
Eri nnerun gen an di e Acht z i ge r.
Auf den e rst en Bl i ck nahm si e
ers t aunl i ch
weni ge
Veränd eru n gen
wahr.
Di e
Al l een,
R asenfl ä chen
und
Bl u m enrab at t en,
das
al l es
wi rkt e ei n weni g verschl af en,
bei nahe ve rwunsch en. Ob di e
Therapi em et hoden auch i m m er
noch di esel ben w are n?
" Ic h hoffe, du ha t t est ei ne
gu t e Na cht ", b e grü ßt e si e i hre
Freundi n, al s di ese eben fal l s
ei nt raf.
"Dank e! Ich w ar bei Leut en
aus der Musi ksz ene. Da bahnt
si ch vi e l l ei cht et w as an. Mal
sehen! "
"S ovi el z ur Zuku nft ! Aber
j et z t t auchen wi r erst ei nm al i n
di e Ve r gan genhei t a b."
"R i cht i g! S chauen wi r doch
m al nach, ob das ehrwü rdi ge
Haus 6 noch st eht ! Auf di e
S t at i on werden si e uns ni cht
l as sen."
"S chad e ei gent l i ch! W i e sah
es dort aus? Ich bi n j a auch
184
dam al s
nur
bi s
in
den
Bes uch e rr aum vor ge drungen. "
"Daz u i st ni cht vi el z u
erz ähl en: z i em l i ch groß e R äum e
m i t sechs bi s acht Bet t en für di e
P at i ent en, daz u ei ni ge kl ei ne re
für
den
Arz t
und
di e
S chwes t ern. W enn du dort bi st ,
em p fi ndest
du
di e
S t at i on
i rgen d wann al s ei ne W el t für
s i ch. Bekom m st du den Auft ra g,
et was woa nd ers hi n z u bri ngen,
ist
das
wi e
Di ens t rei se.
Bl ut proben wurden i m Labo r auf
der
and eren
S ei t e
vom
Haupt we g
unt e rs ucht .
Im
Fl achb au dort i n der Mi t t e war
di e Lebensm i t t el a u s gab e. Ic h
gal t z war z ei t we i l i g al s reni t ent ,
aber ni e al s schw er er Fal l . Al s o
schi ckt en di e S chwest ern m i ch
am Ende kreuz und quer durch
di e Ge gend, um ni cht sel ber
l aufen z u m ü s sen. "
Al s si e vor dem Gebäude
angekom m en
w a ren,
sah
Draupadi
ei n e
W ei l e
in
Gedanken v ersu n k en an der
Fassad e hoch.
"Al s ob di e Ze i t st ehen
gebl i eb en wä re. "
"J a, das dacht e i ch vorhi n
auch schon. "
"Vi el l ei cht bi l den wi r uns das
aber auch bl oß ei n, wei l wi r
gez i el t suchen na ch den S puren
von dam al s."
A
ei nm al krank. D er al l wi ssende
P rofessor i ndes e rkl ärt e i hr,
dass er si e f ür ei ne Wei l e i n der
Kl i ni k behal t en m üsse. S i e
fra gt e i hn noch, ob si ch d i e
Wei l e au ch i n Ta ge n ausdr ück en
l i eße. Doch sol c he kl ei nen
Fre chhei t en e rrei cht en i hn ni cht
auf der Höhe sei n er A ut ori t ät .
Nach i h rer Ei nl i ef erun g sah
Draupadi d en P r ofessor nur
noch ei nm al pro W oche bei d er
C hefarz t vi si t e (sowi e ab und z u
auf dem Gan g). Vi el wi cht i ger
war fü r si e von da an di e
Oberä rz t i n Frau Dokt or P o l zi n.
Mi t
i hr
hat t e
si e
di e
t herape ut i sch en Ges präche. Und
das war gut so, denn si e
eri nnert e si ch bei i hr sofort an
Frau Dokt or Hut t er. Di e b ei den
Frau en
sah en
z war
völ l i g
verschi ed en aus un d ve rhi el t en
si ch
oft
au c h
anders .
Gem ei nsam hat t en si e aber das
Ei nfühl ungsve rm öge n
in
Draupadi s La ge un d vor al l em
l s Draupadi von ei nem
der Erz i eher i m Aut o
nach
Be rl i n
hi nei n
ge fah r en wurde , hat t e si e kei ne
Vors t el l ung, wohi n g enau di e
R ei s e gi n g und we l chem Zwe ck
s i e di ent e. Zw ei S t unden spät e r
s aß si e ei nem Mann ge ge n üb er,
der (dem Türschi l d nach) kei n
Geri n ger w ar al s der C hefarz t ,
und si e f ra gt e si ch, wodurch si e
d i es e Ehre wohl ve rdi ent habe.
P rofessor Ost row s ki bet racht et e
sie
durch
sei ne
gol de n
um rah m t e
Bri l l e
wi e
ei n
Ent om ol oge
ei ne n
sel t enen
Käfe r. Ab und z u st el l t e er i hr
ei ne Fr a ge, wob ei i hre Ant wort
völ l i g unerhe bl i ch war, wei l e r
s owi eso al l es s e l be r am b est en
wus st e. Acht z i g P r oz ent sei ner
P at i en t en könne er früher od er
s pät er
gesund
ent l assen,
behaupt et e er. Di e a nderen sei en
nach dem S t and de r Fo rschun g
noch ni cht hei l bar. Draupadi
fühl t e si ch e i gen t l i ch ni cht
185
das Vers t än d ni s fü r i hre Li ebe
z ur M us i k.
Frau P ol z i n l i eß ni cht z u, dass
i hr j em and auf dem Kopf
herum t an z t e. Auf di e Ei nhal t ung
der ver ei nbart en R e gel n acht et e
s i e wi e ei n G efä ngni swä rt er.
Doch
sie
war
offen
für
Verhan d l un gen
und
(i n
begründet en Fä l l en ) auch fü r
Aus nahm en. Dr a u padi bekam
das R echt z u gebi l l i gt , w ähr end
i hrer
F rei z ei t
im
Aufent hal t sraum
Gi t arre
zu
üben. Und si e wurd e wi eder z um
M us i kunt erri cht
ges chi ckt .
Au ßerhal b d er Kl i ni k. P rofessor
Angere r,
ei n
pensi oni ert er
Do z ent
von
der
M us i khoc hschul e, war vi el l ei cht
aus gewähl t wo rde n, um der
P at i ent i n den übe rbordend en
Frei hei t s dr an g
a u s z ut rei ben.
Doch Dra upadi , di e bei Musi k
bes ond ere Maßst äb e anl e gt e und
di e s chon den st r engen He rrn
Evers en
vom
P i oni e rchor
gem o cht hat t e, si e gewöh nt e
s i ch an i hn.
M i t i hm kehrt e si e z um
Ges an g z urück. Di e kl assi sche
Aus bi l dung, di e e r i hr (ohn e
R ücks i cht
au f
i hre
al t ers bedi n gt en
Int eress en)
nunm ehr verpasst e, sol l t e i hr
s pät er ei n m al nut z en. Ni cht
z ul et z t Dank der Ansprüche, di e
s i e an s i ch se l b er st el l t e, kam
s i e gut vo ran. S i e erwa rb
R es pekt und bal d offenbart e der
P rofes s or
sei ne
freundl i che
S ei t e.
Er
erz ähl t e
i hr
Ges chi cht en
au s
sei nem
M u s i kerl eb en. S i e besprach m i t
i hm Them en, di e si e (aus
v ers chi ed enen Grün den) vor de r
Ärz t i n ve rschwi e g.
Nach se chs W oche n fand si e
i n der Kl i ni k ei ne Freundi n.
El ke Döbl er war s i ebz ehn und
hat t e si ch aus Li ebesku m m er
von
ei nem
S -Bahnz ug
überrol l en l assen. Dank i hr es
S el bst erha l t ungst ri e bs war si e
j edoch u nverl et z t gebl i eben. S i e
hat t e so fl ach zwi schen den
Gl ei sen gel e gen, dass kei n
ge fährl i ch es T ei l si e er rei che n
konnt e. Di e bei den unt erhi el t en
si ch st u ndenl ang. Mi t ei nander
verbunden w aren si e durch
ei nen
m ehr
ode r
m i nder
unt erbewusst en
Han g
z um
S el bst hass. El ke ve rl et z t e si ch
auch noch i m Krankenhaus z um Bei spi el i ndem si e si ch m i t
scharf en
G e genst ä nden
ode r
ei nfach m i t den Fi ngernä gel n
di e Haut aufri t z t e. Ärz t e und
S chwest ern fand en kei n Mi t t el ,
si e
davon
abz ub ri ngen.
Draup adi
nei gt e
z ur
Magersucht . Al l e rdi ngs bem üht e
si e si ch, ni cht aufz ufal l en. Auf
den S t ache l draht ve rz i cht et e si e
vö l l i g. Ih re Hun ger orgi en t a rnt e
si e so ges chi ckt , dass i hr
Gewi cht sve rl ust i m m er wi ed er
Them a der B espre c hungen w ar
und al s gr o ß es R ät s el gal t .
Mi t dem Zi el , D ra upadi vom
Be gi nn des neuen S chu l j ahrs an
wi eder
am
Unt erri c ht
t ei l ne hm en z u l assen, berei t et e
Frau Dokt or P ol z i n m i t i hr i m
August di e Ent l ass ung vor. Um
i hr
den
W i ederei nst i eg
zu
erl ei cht e rn, wurd e si e z unächst
wei t e rhi n vom Kr an kenhaus aus
bet reut . Hei m l ei t e r Lam pre cht
bekam von P rofess or Ost rowski
ei ne
l an ge
Li st e
mit
Anwei su n gen. Di e v erunsi chert e
i hn so sehr, dass er Draup adi
ei ne Zei t l an g ni cht ei nm al l aut
186
anz usprechen w a gt e. Di e von
Nat ur
he r
wen i ger
rücksi cht svol l en
an dere n
Hei m ki nder
m ac ht en
si ch
gel e gent l i ch über d i e Verrückt e
l us t i g. Doch dabei durft en si e
s i ch ni cht erwi schen l a s sen.
Draupadi
sel b er
war
das
gl ei ch gül t i g, denn si e nahm
Arz nei m i t t el , di e i hre S t i m m ung
küns t l i ch i m grünen Ber ei ch
hi el t en. Außerdem durf t e si e
i hre Li eb e z ur Mu si k ausl eben
wi e ni e z uvor. S i e hat t e nun
al l es:
den
st re ngen,
aber
l ehrre i ch en
Gesa ngsunt er ri cht
bei
P r ofessor A nge rer, di e
l ust i gen S t unden b ei R ol f J ahn
und
di e
P roben
mit
den
Freund en i m Kel l er. Di e ei nz i ge
Bedi n gun g wa r, si ch n i cht al s
P unkeri n aufz uführ en - wo ran
si e si ch kl uge rwei se auch hi el t .
A
i n der Bi l d - Zei t ung st ehen
kön nt e."
"F rau P ol z i n wol lt e, dass i ch
m i ch z urecht fi nde - und z war i n
gen au der Gesel l sc haft , i n di e
i ch nun ei nm al hi nei ngeboren
worden bi n. "
"Abe r m i t wel chen Mi t t el n? "
"Mi t den Mi t t el n, di e m an i hr
i m S t udi um bei g ebracht hat . "
l so, auf m i ch wi rk t das
wi e das gl at t e Ge gent ei l
von dem , was du j et z t
dei n Id eal nennst . "
"W as m ei nst du? "
"Dass
m an
ni em anden
m ani p u l i eren sol l . Di e h aben
di ch doch nach al l e n R egel n der
P harm az i e i m S i nne des S t aat s
um gebo gen. Ei ne S t or y, wi e si e
51
A
us
ni cht
kl ar
ersi cht l i chen (vi el l ei cht
z i em l i ch
banal en)
Gründen fi el di e S i l vest erfei e r
1980 i m Ki nde rh ei m üppi ger aus
al s i n anderen J ahren. Di e
Le cke rei en konnt e n durchaus
mit
denen an W ei h nacht en
konkurri eren
und
um
M i t t ernacht dur ft en di e Äl t e ren
m i t echt em S ekt anst oßen (di e
J üngeren m i t Ki nderpunsch).
W ährend
ei ner
kl ei nen
Ans pr ach e fo rdert e Lam pre cht
daz u auf, dass j eder si ch fürs
neue J ahr et was vorne hm en
m öge. W as es war, m usst e
n i em and
ver rat en.
Draup adi
hät t e
übr i gens
ansonst en
schwi ndel n m ü s sen. Ih r Vorsat z ,
ni e wi eder Medi kam ent e z u
schl ucken, w ä re d e m Hei m l ei t er
verm ut l i ch ni cht re cht gewes en.
Ber ei t s vor der Fei er hat t e s i e
i hren gesa m t en Ta bl et t envorrat
i n ei ner be i nahe rel i gi ösen
P roz edur
in
e i nem
Tei ch
versenkt .
Di e kühne Tat verse t z t e si e i n
di e La ge, i h re Um ge bung wi eder
mit
kri t i schen
Augen
zu
bet racht en. S i e fühl t e si ch frei er
dadurch,
al l erdi ngs
ni cht
unb edi ngt gl ückl i c her. Es ga b
M o m ent e, i n denen si e si ch nach
den Dro gen z urück sehnt e. Aber
187
ei ne
Bei cht e
vor
den
M edi z i nern,
ei n
reum üt i ges
Zukr euz e k ri ech en, kam für si e
ni cht i n Fra ge. Dann schon
l i eber ei n bi sschen l ei den und
di e W el t i n i hrer Hässl i chkei t
ert ra gen l e rnen !
Al s di e P s ychoph ar m aka nach
drei W ochen den l et z t en R est
W i rkung verl oren hat t en, wäre
s i e am l i ebst en wi eder m i t
i h rem
S t achel d raht schm uck
um hergel auf en.
D och
dam i t
m us s t e
si e
i nz wi schen
vors i cht i g
sei n.
Di e
P unkbewe gun g ha t t e i n der BR D
Fuß ge fasst , und auch i n de r
DDR wusst e i nz wischen j eder
m ehr
oder
w eni ge
da rüber
Bes ch ei d. Das wa r nun kei n
ei nfach es Aufbe ge hren m ehr ,
s o n dern
ei n
P ol i t i kum .
Zwi s ch en
ei ne r
rebel l i schen
J ugendl i chen
un d
ei nem
Anhän ger d ekade nt e r west l i cher
Kul t ur
best and
schon
ei n
Unt ers chi ed, d er b edacht s ei n
wol l t e.
Obgl ei ch si ch spät er das
gl at t e Ge gent ei l al s dogm at i sch e
W ahrhei t et abl i eren sol l t e, war
Draupadi unt er de n Freunde n
di ej eni ge,
di e
ei ne
Konfront at i on
mit
der
S t aat s m acht
zu
ve rm ei den
t racht et e. Zu sehr l ebt e i n i hr
noch di e E ri nne ru ng an i hr en
P apa, al s dass sie auch nur
daran h ät t e den ken können, dem
Ans ehen d er D DR w i l l ent l i ch z u
s chaden. W as si ch am An fan g
des neuen J ahres a bspi el t e, war
al l ei n z u erkl ären m i t ei ner
Ei gend yn am i k, an der ni em an d
al l ei n di e S chul d t r ug. D raup y,
Gunt er und Kai st achel t en si ch
ge gens ei t i g auf. Das s S ören si ch
z urückhi el t ,
l ag
m ehr
an
Fei ghei t denn an Ü be rz eugun g und wurde au ch so a ufgefasst .
Tei l s durch Zufal l , t ei l s durch
Verm i t t l ung
st i e ßen
z um
Freu n d es krei s Le ut e, di e l än gst
unt er B eoba cht ung st anden. S i e
hät t en das a hnen k önnen, ab er
um so wei t z u denken, waren si e
z u nai v. Si e em pfanden das
Abt a uchen i n di e i l l egal e S z ene
l edi gl i ch
al s
aufre gendes
Abent euer. Bei D r aupadi kam
hi nz u, dass si e j em a ndem , der
i hr ei n paa r neu e Tr i cks auf de r
Gi t arre
bei bra ch t e,
ohne
Ansehen
de r
P e rson
grunds ät z l i ch vert ra ut e.
W as Musi k bet raf, er gi n g es
i hr
wi e
ei ner
S ücht i gen,
gel e gent l i che
Ent z ugsersch ei nungen
ei ngeschl ossen. Zu P rofessor
Angere r m ocht e si e ni cht m ehr
geh en,
wei l
der
i hren
S i nne s wandel
unverhohl en
m i ssbi l l i gt e. Bei R ol f J ahn
wi ederum wa r si e ni cht m ehr
ge rn geseh en. Er s agt e i hr das
ni e i ns G esi cht , doch si e
erkannt e unt rü gl i ch e Anz ei chen
dafür.
Vi el l ei cht
ha t t e
i hn
j em and ge warnt und es war i hm
pei nl i ch, das z uz ug e ben.
Ei nes Abends Ende März
hi el t en z wei P ol izei wa gen m i t
qui et sche nden R ei f en vor dem
Haus der F am i l i e P aasch. Vi er
Beam t e spr an gen h eraus: z wei
si chert en
di e
H aust ür,
di e
bei den and ere st ürm t en i m
Lau fschri t t di e Treppe z um
Kel l er
hi nunt er.
Wie
bei
Pol i zei ruf 110 . Nur dass der
ganz e Au fw and l e di gl i ch de r
Fest nahm e
ei ner
Fünfz eh n j ähri gen
gal t .
In
Draupadi s Kop f w i rkt en di ese
S z enen i m Nachhi nei n wi e
188
Zei t l upens equenz en. S i e konnt e
s i ch an ungewöh nl i ch vi el e
Det ai l s eri nnern: z um Bei spi el
an
di e
unt e rschi edl i che
R eakt i on i hrer F re unde. S ören
hat t e Besch ei d ge wusst , war
al s o der Ve rrät e r. Er und s e i ne
El t ern. S pät er l i eß si e i hn das
s püren.
Ganz so schl i m m , wi e si e
z u nächst
befürcht en
m usst e,
ges t al t et e si ch i hr wei t er es
S chi cksal al l erdi n gs ni cht z u nächst j edenf al l s. S i e kam
wi eder i ns F ach kr an kenhaus und
wi eder auf j en e S t a t i on, di e si e
s chon kannt e - fol gl i ch auch z u
j ener Ärz t i n, m i t der si e si ch
gut verst and, z u Frau Dokt o r
P ol z i n. Dass dann doch vi el es
ganz anders l i ef al s i m J ahr
z u vor,
l ag
an
i hr
sel bst ,
gen auer: an i hrer Ei nst el l ung.
S i e hat t e ke i ne Lus t m ehr, si ch
hel fen z u l assen. U nd si e st and
i ns gehei m z u i hrem Vorsat z
vom S i l vest e rabend.
Für
das
Aust e i l en
der
M ed i kam ent e w ar i m R egel fal l
S chwest er Il o na z ust ändi g - und
auch fü r di e Aufsi cht darüb er,
dass j eder si e or d nungs gem äß
ei nnahm . Da si e sei t z ehn
J ahren auf d er S t at i on arbei t et e ,
kannt e si e si ch a us m i t den
Tri cks der P at i ent en , hat t e ei nen
Bl i ck
dafü r,
we nn
j em and
m ogel t e.
Al l ei n
Draup adi
hi nt e rgi n g
si e
t rot z dem .
Zunä chst e rm i t t el t e si e durch
Beoba cht un g, was al l es ni cht
funkt i o ni ert e. Zu gl ei ch l ernt e
si e,
di e
W i rkung
p erf ekt
vorz ut äuschen.
Dann
ers t
t üft el t e si e i hr e T ak t i k aus. Von
da an gel an gt e k ei ne ei nz i ge
Tabl et t e m ehr i n i hr en M a gen.
W ei l si e nun al so hel l wach
war, ohne dass di e Ärz t e und
S chwest ern dam i t rechnet en,
konnt e si e si ch dem nächst en,
größ eren P l an wi dm en: i hrer
Fl ucht .
Frühe r
oder
spät er
m us s t e si ch ei ne Gel e genh ei t
er geben. Und so ges chah es
dann auch.
I
set z t e si ch dort auf ei nen S t ei n.
Hunger und S chl afm angel hat t en
(z usam m en m i t den S t rapaz en
der
z urückl i e ge nden
drei
Monat e)
al l m ä h l i ch
i hren
Körper aus g ez ehrt . W ei t würde
si e ni cht m ehr komm en. S ovi el
st and fest . Ab er i n i hrem Kop f
war ei n z wan ghaft e r W i l l e z um
Durchhal t en ei ngebr annt .
Kai und Gunt er hat t e si e vor
ei ner W oche i n Lei pz i g aus den
Augen verl or en. W as m ocht en
di e bei den j et z t t un? Verm u t l i ch
waren
si e
na ch
Berl i n
z urückgek ehrt .
Das
neu e
S chul j ahr hat t e be gonnen, und
n Karl -Ma rx -S t adt vor dem
Haupt bahnhof wär e di e Fal l e
bei nahe z u geschn a ppt . S i e
hät t e
ni cht
ge gl aubt ,
noch
ei n m al z u ent wi sch en, denn si e
kannt e si ch i n der S t adt ni cht
aus . S i e war
e i nfach nur
davo ngerannt , so schnel l si e
konnt e. Nun a l l erd i ngs m usst e
s i e den P r ei s da für z ahl en.
Hi nt er Ga bl enz , au ßerhal b de r
S t ad t grenz e, wo si e si ch endl i ch
unbeobac h t et fühl t e, sah si e
bunt e Krei se vor de n Augen. S i e
t au m el t e ei n p aa r Met er we g
vom
S t raße n rand
in
di e
an grenz ende W i ese hi nei n und
189
di e
drei
ware n
dadurch
aut om at i sch
zu
S chu l s chwänz ern ge worden z us ät z li ch z u den Del i kt en rund
um i hre asozi al e L ebensw ei s e.
Kai und Gunt er hat t en daraufhi n
i m m er
häufi ge r
davon
ges p r o chen, dass i hnen das
Um herz i ehen nunm e hr über sei .
Draupadi hi n ge gen wol l t e den
Fi l m bi s z um Ende erl eben, bi s
z um A b s pann.
Ih re
Unt er ernäh ru ng
h at t e
frei l i ch ni cht s da m i t z u t un,
das s s i e si ch v erst e cken m usst e.
In ei nem La nd, wo Leb en s m i t t el
s pot t bi l l i g si nd, wi rd genü gend
Es s en
acht l os
w eggewor fen.
Das s s i e i nz wi sche n au s sah wi e
ei n afri kani sch es Dü rreopf er
war di e Fol ge i hre r Magersucht .
W enn s i e dem quäl e nden Hun ge r
wi ders t and und m ut wi l l i g wei t er
fas t et e, ersc hi en i hr das al s ei ne
Form
von
S t ärke.
Je
verz wei fe l t er
i hr e
S i t uat i on
wurde,
d est o
dri ngende r
braucht e
si e
di e
Erfol gs erl ebni sse.
Ir gendw ann
hat t e
der
ge fährl i ch e
Gedanke n gan g
si c h
in
i hr
vers el b s t ändi gt - bi s si e i hn
ni cht m ehr kont ro l l i eren konnt e.
Al s es däm m ert e und si e
i m m er noch an ders el ben S t el l e
s aß, erku ndi gt e si c h ei n äl t erer
M ann, ob si e S chwi eri gk ei t en
habe. S i e vernei nt e . Er l i eß es
dam i t bewenden. S i e t raut e
j edoch dem Fri ede n ni cht . Zu
l ange hat t e er si e v on oben bi s
un t en gem ust ert . S i e war j a
ni cht
nur
erschr ecken d
abgem a ge rt ,
sondern
z udem
nach m eh rer en W ochen o h n e
Kl ei derwe chsel un d ohne ei n
Bad unüb ersehb ar v erwah rl ost .
Al so brach si e sofo rt auf und
l i ef
wei t er
ger adeaus
di e
Lan dst r aße ent l an g. Körperl i ch
füh l t e si e si ch wi eder e t was
besser. Di e R ast hat t e i hr neue
Kräft e
ge geben.
Doch
di e
Erschöpfun g keh rt e bal d z urück.
An der überd acht en Hol z brücke
in
Hennersdor f
hat t e
si e
sel t sam e V i si onen . In i hrer
Ei nbi l dung sah si e i m gel ben
Li cht
de r
Lat ernen
m i t t el al t erl i ch
ge kl ei det e
Gest al t en
al s
S chem en
um he rhuschen.
S i e errei cht e das r om ant i sche
Tal der Zschop au. Ei gent l i ch
ei ne
bez aubernde
Url aubs ge gend. Al l e rdi ngs ni cht
m i t t en i n der Na c ht . Draupadi
verl or j ed es G efühl für Ort und
Uhrz ei t . Zu gl ei ch wurden i hr e
Hal l uz i n at i onen i mm er bi z arrer .
Ei ne W ei l e l ag si e auf dem
R ücken aus g est re ck t auf ei ner
Li cht un g i m W al d und st arrt en
z u den S t ernen hi nauf. Di e
Bäum e
e rschi enen
i hr
wi e
ri esi ge Qui rl e. S pät er di ent en
i hr Bahnhöfe al s An hal t spunkt e.
Im m e rhi n gab es i n i hrem si ch
l an gsam t rübende n Bewusst sei n
noch ei ne S t i m me, di e i hr
z uri ef, dass si e auf ei nen
Ab grund z u dri ft et e.
In S ch arf enst ei n hät t e si e
bei nahe auf ges chri een, al s si e
si ch sel bst i n ei n em S pi egel
sah. Doch di esm al handel t e es
si ch ni cht um ei ne Vi si on. Das
En t set z en vor dem ei gen en
Körper ver fol gt e s i e bi s nach
W ol ke nst ei n. Zugl ei ch berei t et e
es i hr i m m er größer e Mühe, di e
R i cht ung z u hal t en. Bei nahe
wäre si e von ei nem der sel t enen
Aut os überrol l t worden. Das
l ang gez o gen e Hup en erschi en
190
i hr s o une rt rä gl i ch l aut , d ass si e
di e Hände auf di e Ohren
pres st e.
W o und wann gen au si e
o hn m ächt i g z usam m engebroch en
war, wusst e si e spät er ni cht
m ehr. S i e e ri nnert e si ch an d as
Ort s schi l d von Ni ed erau und a n
di e erst en S onnen st rahl en des
neuen
Ta ges.
Unm i t t el bar
danach f and si e s i ch i n ei nem
Kranken wa gen
w i eder.
Ei n
j u nger A rz t unt ersucht e si e und
führt e
dabei
ei n
z i em l i ch
ban al es G esprä ch m i t i hr. Bei
al l
dem
war
sei n
Gesi cht sausdruck se hr ernst . Ab
und z u n ot i ert e er si ch et was .
Ehe der Kr ankenw a gen sei n Zi el
errei cht e, v e rsank di e W el t um
si e aberm al s i n Dun kel hei t .
F
war i ch i n ei ner Kri se. Das hät t e
auch
and erswo
P robl em e
geb racht . In den US A gi bt 's
ex t rem brut al e Me t hoden, um
rebel l i sche
J ugendl i che
um z ue rz i ehen.
Mit
El ekt roschocks un d so. Das
habe i ch j edenf al l s i rgendw o
m al gel esen. "
" In
d er
D DR
hät t e
es
wah rsch ei nl i ch auc h noch übl e r
au s gehen kö nn en."
"S chl i m m er geht i m m er. Kl a r!
Vi el l ei cht hat di e ser Kol l e ge
m ei nes P apas ei nm al m ehr al l es
ei n bi sschen ab gefede rt . Ich
wei ß i nz wi schen, dass er bei
S örens El t ern war. S i e habe n
m i ch al so ni cht a us ei genem
An t ri eb verr at en , s ondern si nd
ge warnt worden, d ass si ch da
et was z usam m eng eb raut ."
"Konnt e di ese r He nschel di e
Verha ft ung ni cht ve rhi ndern? "
"W as wei ß i ch? Vi el l ei cht war
di e
Kl apsm ühl e
in
di es er
S i t u at i on das kl ei nere Übel . Ich
hat t e
m i ch
mit
Leut en
ei ngel a s sen, di e offi z i el l al s
kri m i nel l ga l t en, au ch wenn i ch
m i r de s sen ni cht be wusst war. "
rauke
w ar
s ch ocki ert .
Ei ni ges
von
Dr aupadi s
Esk apaden
hat t e
si e
ge wusst oder z um i ndest geahnt .
Di e Ei n z el hei t en der l et z t en
Fl ucht ab er w aren f ür si e völ l i g
neu.
"Du hät t est dab ei drau f geh en
können."
"Absol ut . Ich l a g vi er W ochen
i n ei nem norm al en Kranke n h aus
- di e erst en d rei Ta ge so gar au f
der Int ensi vst at i on."
"Und dann kam st du wi eder i n
di e P s ychi at ri e? "
"R i cht i g. "
"Das war ei ne S chw ei nerei ! "
" Was w ar ei n e S c hwei nerei ?
Das s di e Ärz t e m ir das Leb en
ge ret t et hab en? "
"Dass si e di ch üb erhaupt so
wei t get ri eben h abe n."
"W en m ei nst du m i t di e? "
"Ki nde rhei m , P ol i z ei , S t asi ...
Kei ne Ahnun g ... W arum haben
s i e di ch ni cht du sel bst sei n
l as s en?
Mi t
deiner
Musi k,
dei ner
Ei genwi l l i gkei t ?
Du
w ol l t est ni cht i n den W est en,
aber l et z t l i ch konn t est du di ch
ers t dort ent wi ckel n ."
"Nei n. Ic h bi n äl t er und rei fer
ge worden. Daran l a g es. D am al s
191
52
W
ei l Draupadi no ch ei n
paar Ta ge i n Be rl i n
bl ei ben wol l t e, fuhr
Frauk e al l ei n nac h Dar m st adt
z urück. Ih re Auf m erksam kei t
pendel t e hi n und h er z w i schen
dem
Geschehen
auf
der
Aut o bahn und den Eri nn erun gen
an den B eri cht i hr er F reundi n.
Let z t er en sah si e i nz wi schen
ent s pannt er.
So
dram at i sch
m anche
Ei nz el hei t en
j ener
l et z t en Fl ucht auch ge wesen
s ei n m ocht en, i nsgesam t hat t e
di e Ges chi cht e ei n gut es Ende
genom m en. Dr aupad i sel bst war
offenba r z ufri eden m i t dem
Verl auf
i h res
Lebens.
Im
Unt ers chi ed z u d en m ei st en
anderen Le ut en. Es kom m t ni cht
darauf an, w as j e m and erl ebt ,
s ondern wi e er es vera rbei t et ,
ob er da r aus l ernt , daran wä chst
- oder eb en dar an z e rbri cht .
Frauk e l ehnt e si ch z urück i n
den S i t z i hres Audi s und
ü b erl e gt e, ob si e a m Abend i n
ei ne Gast st ät t e essen geh en
s ol l t e. Hi n und wi eder gönnt e
s i e s i ch di esen Lux us - al s
Bel ohnun g
zu
besonderen
Anl äs s en. Mi t t en hi nei n i n i hre
P l anungen pl at z t e i ndes ei n
Ei ndruck aus dem R ückspi egel .
S i e wol l t e i hn a bschüt t el n wi e
ei ne l äs t i ge Fl i e ge. Fang j et zt
bl oß
ni cht
w i eder
an
zu
s pi nnen ! Doch dass da hi nt er i hr
ei n bl auer VW Gol f fuhr, l i eß
s i ch ni cht l eu gnen. In F ra ge z u
s t el l en war al l enf a l l s, ob der
W agen (bez i ehun gswei se sei n
Fahr er) i r gen d et was m i t i hr z u
s chaff en hat t e.
Let z t er es l i eß si ch ü berprüf en.
Frauk e
st art e t e
ei n
s yst em at i sch es
Ex peri m ent .
Zunä chst t rat si e brut al aufs
Gaspedal : S t ur auf der l i nken
S pur wi e di e W i cht ighei m e r, di e
m i t i hrem Benz von Term i n z u
Term i n hei z en. D er T yp am
S t euer des Gol fs hi nt er i hr
m ut i ert e
z um
Möcht egern Form el -1 -P i l ot en. S i e hät t e i hn
Dank st ärk ere r Mot orl ei s t ung
abhän gen können, doch darau f
kam es i hr j a ni cht an. B ei Tei l
z wei des Versuchs rei ht e si e
si ch ganz re cht s ei n, wo si ch di e
C ar avans
d en
B er g
hi nauf
quäl t en.
Ei n
T em po
z um
Bl üm chenpfl ü cken. Und si ehe
da: auch der t reu e Be gl ei t e r
hat t e m i t ei nem Mal di e R uh e
we g. S pät est ens j et z t b est and
für si e k ei n Zw ei f el m ehr: S i e
wurde ve rfol gt .
Mehrm al s kam d er and ere
W agen so nah her an, dass si e
den Fahr er seh en und si ch sei n
Gesi cht ei nprä gen konnt e. Ei n
j u n ger Mann, höchs t ens drei ßi g
J ahre
al t .
S chl ank,
durcht ra i ni ert .
C ool e
S onnenbri l l e. Ist d as hi er di e
Wi rkl i ch kei t
o der
ei n
verdammt er
Maf i af i l m?
Ei gent l i ch
gab
es
ni cht s
Verdä c ht i ges an dem Mann.
(Außer,
dass
er
i hr
aus
unerfi ndl i chen
Gründen
nachst el l t e.) Ich mö c ht e Anzei g e
erst at t en, w ei l i ch mi ch vo n
ei nem Mann ohne b esondere
K ennzei chen v erf ol gt f ühl e . Das
Fachk ranken haus l ässt grüßen !
Lei d er führt e di e S el bst i r oni e
ni cht daz u, dass si e di e S ach e
192
weni ger ernst n ahm . Mi t j edem
Ki l om et er fi x i ert e si e si ch m ehr
auf
den
bl au en
Gol f.
S t reckenwei s e wa r i hr ni cht
m ehr ganz kl ar, ob ni cht i n
W ahrhei t schon si e auf i hn
wart et e.
An der nächst en R ast st ät t e
hi el t si e an. Ihr e Hände wa ren
feucht . Ihr He rz rast e. S i e
füh l t e
si ch
ni cht
m ehr
fahrt ücht i g. Un abh ängi g davon
wol l t e si e bei ei ner T asse
Kaff ee no ch ei nm al i n R uhe
nachdenk en. Vi el l ei cht gab es j a
doch ei ne eb enso h arm l ose wi e
pl ausi bl e Erkl ärun g. Vi el l ei cht
s pi el t en i hr di e Nerven ei nen
S t rei ch. Z u vi el e Gespräche
über di e Ps ychi at ri e i n der
l et z t en Z ei t ! S i e hol t e si ch al so
ei nen K a ff ee und daz u ei n en
S andwi ch. Dann set z t e si e si ch
an ei nen f rei en Ti sc h.
Ih r Herz schl a g no rm al i si ert e
s i ch al l m ähl i ch. G ut so! J et zt
den
l ogi schen
Verst and
ei n s chal t en! Dann al l es de r
R ei he nach durch geh en! S i e
s t el l t e
si ch
ei ne
l eer e
Tapet enbahn vor, a ngeh eft et an
di e W a nd i n i hrem kl ei nen
Zi m m er. Genau i n d er Mi t t e di e
et was
ungel enke
Zei chnun g
ei nes
Aut os.
W el che
M ögl i chkei t en gab es nun? Ei n
hei m l i cher Vereh r er? J em and
aus der Fi rm a? (De n m üsst e si e
kennen, z um i ndest vom S ehen
her!) J em and aus Ba chen?
W ei t er kam si e ni cht . S i e
nahm aus dem Augenwi nkel
wahr, wi e d er Fah r er des Gol fs
di rekt
auf
i hr en
Ti sch
z us t eue rt e und dr eht e dur ch.
Auf
i hrem
Fl u cht we g
in
R i cht ung Tür rann t e si e ei n e
Frau
bei nah e
um .
Ei ne
Bockwu rst , ei n Br öt chen und
ei n Bech er C ol a fl ogen i m
Bo gen dur ch di e Luft . Ei n
äl t erer Her r br acht e si ch hi nt er
ei nem P fei l er i n S i cherhei t .
Frauk e a cht et e ni cht auf di e
Fl üche, di e i hr n ach geschi ckt
wurden. S i e übe r quert e den
P arkpl at z und errei cht e den
W al d. Zwei ge pei t s c ht en i hr i ns
Gesi cht . Di e Zei t , nach ei nem
W eg z u s uchen, nahm si e si ch
ni cht . S chnel l er sei n al s der
andere ! Noch gl au bt e si e i hn
di cht hi n t er si ch. Hat t e s i e
überhaupt e i ne C h ance ge gen
i hn? Und war es ei ne gut e Idee ,
aus der Me nschenm enge he raus
i n di e Ei nsam kei t z u fl ücht en?
In der P ani k t ri f ft m a n di e
absurdest en Ent sch e i du ngen!
Endl i ch wa gt e si e den Bl i ck
z urück. Kei n Verfol ge r wei t und
brei t ! S chl agart i g sah si e ei n,
dass si e überrea gi e rt und si ch
völ l i g
unm ögl i ch
benom m en
hat t e. Nun war i hr di e S i t uat i on
vor
al l em
pei nli ch.
Al s o:
Zu rü ck z ur R as t stät t e, darau f
hoffen, ni cht erkann t z u werden,
dann schnel l st ens wei t erf ahren.
Zurü ckz ufi nden
e rwi es
si ch
al l erdi ngs
al s
unerw art et
schwi eri g. S i e t äus cht e si ch i n
der
R i cht un g
z war
nur
ge ri ngfü gi g, doch genü gt e das ,
um si ch z u verl auf en und fas t
ei ne S t unde l an g um he rz ui rren.
Auf dem P a rkpl at z hi el t si e
z unächst Ausschau nach dem
bl auen VW Gol f. E rst nachdem
si e i hn ni rgends en t deckt ha t t e,
set z t e si e si ch wi eder ans
S t euer. So! Jet zt ni cht s w i e w eg,
ehe mi ch j emand er w i scht , dem
i ch das K l ei d oder den A nzug
r u i ni ert habe ! Noch i m m er
schü t t el t e si e d en Kopf üb er
193
s i ch s el bst . W i e hat t e es
ges chehen können, dass i hr der
Vers t and d erm aße n aushakt e?
P as s i ert das i n best i m m t en
S i t uat i onen j edem Menschen?
Oder brau cht es daz u ei ne
Veranl a gun g?
Al s Fr auke i n
Dar m st adt
Bach en vor d em vert raut e n
s chneew ei ßen H aus kurz hi nt er
dem Ei s l aden ei nt r a f, fühl t e si e
s i ch ers chöpft , al s wäre si e di e
S t recke gerannt e und ni cht
ge fahr en. S i e m ocht e ni cht s
darauf v erw et t en, dass si e di e
Angel e genh ei t m i t dem bl auen
Gol f nun sch on ausgest anden
hät t e. Der V erfol ge r konnt e
j ederz ei t
wi eder
auft auch en.
W ahrschei nl i ch wu sst e er, wo
si e wohnt e. W ehm üt i g dacht e
si e z urück an di e Zei t vor dem
Tod i hres Team l ei t ers Ax el
Voss - al s si e si ch i n i hrem
programmer' s h ome und i hrem
Aut o noch v öl l i g si cher ge fühl t
hat t e vor der W el t . Es i st
verdammt vi el g esc hehen i n nur
zw ei Monat en ! Und si e wusst e
noch l ange ni cht , worauf das
S pi el hi n aus l i ef.
53
E
rs chöpft
von
den
Aufre gun gen des Tages,
s chl i ef F rauke am Abend
s ofort ei n. Mi t t en i n der Na cht
j edoch s chre ckt e si e hoch i n der
fes t en
Überz e u gung,
dass
j em and
über
den
Korri dor
s chl i ch.
P l öt z li ch
hel l wach,
l aus cht e si e i n di e Dunkel hei t
hi nei n. Ni cht s! Ve r m ut l i ch hat t e
s i e das G eräusch v on S chri t t en
nur
get r äum t .
Oder
ei n
Nacht s chw ä rm er
war
dur chs
Treppenh aus
ge ga ngen.
Um
j edoch ganz s i cher z u sei n,
s t and s i e auf, s c hal t et e das
Li cht an und kon t rol l i ert e di e
W ohnung. Kei n Ei n dri n gl i n g z u
fi nden!
Dam i t war di e An gel e genhei t
für
di esm al
erl edi gt .
Ei n
u n bewus s t es
Uns i cherhei t s ge fühl
j edoch
bl i eb, v erst ärkt e si c h sogar noch
i n den nächst en Nächt en. Im
Traum
fl ücht et e
si e
abwec hs el nd vor dem Fahr er
ei nes
bl auen
Gol f,
den
P ol i zi st en
Traut e nber g
und
Zürn,
dem
J ourn al i st en
Granni n gen sowi e dem Anwal t
Uhl i g. W ohi n sie i n i hrer
P hant asi e auch fl o g, m i ndest ens
ei ner von i hnen wart et e schon
auf
si e,
sogar
auf
ei nem
P l anet en des S t erns S i ri us. S i e
war
b est änd i g
in
Al arm ber ei t schaft . Ei n ei nz el ner
P assant
auf
der
ge genüberl i e genden
S t raße nsei t e rei cht e aus, si e aus
dem S chl af z u re i ße n.
S i e fühl t e si ch bedr oht , sogar
i n der ei genen W ohnung. Und
si e war kei nesw e gs m ehr so
überz eugt wi e am A nfan g, di ese
S ache
al l ei n
du rchz ust ehen.
Aber w en sol l t e si e um Hi l fe
bi t t en? Ihr e El t ern schi eden von
vornherei n aus. B ei der P ol iz ei
st and
si e
unt er
Verdacht .
(Tra ut enb er g
w ü rde
i hr e
194
Ängst l i c hkei t
vi el l ei cht
mit
S chul dge fühl
v erwe chsel n.)
Arbei t sko l l egen
kam en
ebenfal l s ni cht i n Fra ge. (Au f
den erst en Bl i ck w ar en di e
M i t arbei t er
bei
B IT
C o.
al l es am t di cke Fr eunde, do ch
über Obe rfl ä chl i ch kei t en gi n g
di e Kom m uni k at i on ni e hi naus .)
Al so wi eder D raup adi ? Nei n,
ni cht schon wi ed er ! S i e hat t e
s i e b erei t s vi el z u t i ef i n i hre
Angel e genh ei t en hi nei ngez er rt .
Nur i hret w e gen m u sst e si e si ch
wi eder m i t den un angenehm en
Erl ebni ssen aus i h rer J ugend
aus ei nande rse t z en. Doch dan n
kam der Donn er st ag. Es war
Hi m m el fahrt , ei n frei e r Ta g
al s o, ei n Grund z ur Freude
norm al erw ei se. Fr auke i ndes
hat t e
nach
ei ne r
wei t ere n
Horrorn acht das Gefühl , den
Vers t and z u v er l i eren. Am
s pät en Nachm i t t a g gri f f si e z um
Tel efonh ör er.
"Dr aup y, sol l i ch di r dei nen
C om pu t er aufrüst en ? "
"Äh ... kei ne A hnung ...
Ei gent l i ch
funkt i oni ert
er
noch."
"Er wi rd vi el sch nel l er sei n
hi nt erher.
D as
kost et
di ch
ni cht s. Ich habe di e Baut ei l e
übri g. "
"W ann wi l l st du kom m en? "
"Am l i ebst en sofort . "
"Mom ent m al ! K an n es sei n,
das s das m i t dem C om put er bl oß
vorg eschoben i st ? "
"Na j a ..."
"Hast du S chwi eri gk ei t en? "
"Das erz ähl e i ch di r , wenn i ch
bei di r bi n."
"J a, gut ! Bi s d ann! Ba u '
k ei nen Unfal l unt e r we gs! "
S pät est ens al s si e Frauk e vor
i hrer Tür st ehen s ah, brau cht e
Draupadi
kei ne
wei t er en
Bew ei se
m ehr
für
i hr e
Verm ut un g.
"Geht 's i m m er noc h um di e
Geschi cht e m i t de i nem C hef?
Du ni m m st di r das z u sehr z u
Herz en. Di es er K ri m i nal i st hat
di ch vorgel aden. N a und? W ei ßt
du
von
konkret en
Beschul d i gun gen?
Nei n.
Na,
al so! Di eser J ournal i st st ochert
ei n bi sschen herum i n der
Angel e genh ei t , wei l er auf ei ne
S t or y hofft . D er Anwal t wi l l
gen au das aus i rgend ei nem
Grund verhi nd ern. W as geht
di ch das an? "
" Ic h werd e ve rfol gt ."
"Ach was! Du bi st nervös und
si ehst Gespenst er. "
"Nei n, i ch bi n m i r z i em l i ch
si cher, wei l ... "
"Kom m ' erst m al r ei n!"
Bei m
Ab endbrot
erz ähl t e
Frauk e von i h ren Erl ebni ssen
auf der Aut obahn und i n der
R ast st ät t e. Al s si e fert i g wa r,
m erkt e si e so fort , dass i hre
Freundi n si ch m e hr um i hre
s eel i sche Ver fassun g so r gt e al s
um ei ne real e B ed ro hung.
"Da gab 's m al ei ne n S chl ager
..."
"J a, i ch wei ß ... "
"W i derspri ch ni cht gl ei ch ! Es
gi bt
hunde rt
M ögl i chkei t en,
warum di eser T yp m i t di r reden
wol l t e. W ärest du ni cht wi e ei ne
Verrü ckt e l osgeran nt , wüsst es t
du j et z t Beschei d. "
"Du h ast j a R echt ! " , b ekannt e
Frauk e kl ei nl aut . " Man si eht s o
vi el i m Fernseh en."
"S el bst ei n Ki l l er erschi eßt
di ch ni cht am hel l l i cht en Ta ge
m i t t en i n ei ner R ast st ät t e."
"J a! Hundert m al j a ! Manchm al
denke i ch eben ni ch t so l ogi sch,
195
wi e i ch das al s Mat hem at i keri n
t un m üs s t e."
"Und an m ei nen C om put er
l as s e i ch di ch erst ran, wenn du
ei ne
Nacht
ordent l i ch
ges chl af en hast . "
"S o vernün ft i g bi n i ch t rot z
al l em noch! Ich l ege m i ch am
bes t en s o fort i ns B et t , denn i ch
kann m i ch vor Müd i gkei t kaum
noch auf dem S t uhl hal t en."
Am nächst en Mo r gen wurd e
s i e von Draupadi w a chgerüt t e l t .
"He ! Ich wi l l di ch ni cht
s t ö ren, abe r vi el l ei cht m usst du
j a heut e noch z ur Ar bei t geh en. "
Frauk e schl u g di e Augen auf
und braucht e dann ei ne W ei l e,
um s i ch z u ori ent i eren.
" Ic h hab e für d en Brück ent a g
Url aub ge nom m en. W i e spät i st
es ? "
"Kurz na ch acht Uh r ."
"Dann hab e i ch z ehn S t unden
hi nt erei nande r
geschl a fen?
Ers t au n l i ch! Das i st das erst e
M al s ei t Be gi nn di e ser A ff är e! "
" Wi r kl i ch erst aunl i c h."
"W i e m ei nst du das j et z t? "
Frauk e
re gi st ri e r t e,
l ei cht
i rri t i ert , ei n spöt t i sches Läch el n
um Draupadi s Mund .
"Es w ar ei ne M en ge l os i n der
Nacht .
Di e
P ol i z ei ,
unser
Freund und H el fe r, m ei nt e ei n
Heroi ndepot geo rt et z u haben i n ei ner W ohnung oben i m
ach t en
S t ock .
Aus
unerfi ndl i chen Grün den si nd di e
net t en B ea m t en au ch b ei m i r
ge wes en. "
"Davon bi n i ch n i cht wach
ge worden? "
"Doch. Nat ürl i ch bi st du wach
ge worden.
Du
hast
m i ch
s chl aft runken gef ra gt , ob al l es
i n Ordnun g sei . Ich hab e di r
vers i chert , dass d u di r kei ne
S orgen z u m ache n brauchst .
Und du hast m i r das offenb ar
ab geno m m en. "
" Ic h kann m i ch an ni cht s m ehr
eri nnern. "
"Tj a! P l öt z l i ch fühlst du di ch
i n m ei nem C haoshaus si chere r
al s bei di r i m vornehm en
Darm st adt - Bach en. "
"Da rf i ch j et zt an dei nen
C om p u t er? "
"Na ch dem Frühst üc k."
"Ei nverst an den. "
Frauk e baut e den R echner
ausei nande r,
t aus cht e
oder
er gänz t e
di vers e
Baut ei l e,
pro bi ert e di es und j enes aus.
Draupadi war w ä hrenddessen
st ändi g unt erw e gs. Nur al l e
z wei bi s drei S t unden kam si e
kurz vo rbei und we c hsel t e dann
ei n paar W ort e m i t i hrem Gast .
" Bi st du di r si cher , das s du
das
wi ede r
z usam m engeb aut
bekom m st? "
"S el bst verst ändl i ch!
Du
kannst hi erbei genauso vi el
Vert rau en z u m i r haben wi e i ch
i n der Nacht z u di r. "
"Hab e i ch j a auch. Ic h wol l t e
nur sagen: Für m i ch sehen di ese
Di nge r da al l e gl ei c h aus."
"Di e k ann m an an han d i hrer
Aufschri ft unt ersc hei den. D as
i st al l es ei ne Fr a ge der Übun g.
W as t rei bst du ei gent l i ch di e
ganz e Zei t ? "
" Ic h nehm e T erm i ne wahr. "
"S o kenne i ch di ch sei t der
erst en Kl asse. "
"W as du i n di eser Inkarnat i on
errei chen k annst , da s ve rschi eb e
ni cht i n d i e n äc hst e. Al t es
i nd i sches S pri chwort . Und j et zt
m uss i ch wi eder l os. Bi n eh
schon spät dran. "
Frauk e ve rbra cht e auch di e
fol gend e Nacht i m Hochhaus i n
196
Fran k furt . Zun äch st fürcht et e
s i e (wi e i m m er), dass si e z ur
Las t
fi el e.
Drau padi
i ndes
erkl ärt e di esm al kl i pp und kl ar,
das s si e bl ei ben kö nne, s ol an ge
s i e wi l l . Ende d er Di skussi on.
Am S am st ag hat t e si e z udem
Zei t fü r ei nen S paz i ergan g, fü r
ei ne gem ei ns am e Medi t at i on
und nat ürl i ch fü r Gesprä che
über al l es Mö gl i che.
"W i e i st es ei ge nt l i ch di r
er gan gen nach dem W i edersehen
m i t dem Fachk r ankenhaus? ",
erkundi gt e si ch Fr a uke bei ei ner
pas s enden
Gel e ge nhei t .
"Du
h ät t est
m ehr
al s
i ch
für
Al pt räum e Grund g e habt ."
"Nei n ! W arum denn ? Das war
wi e ei n Besu ch i n ei ner f rüh er en
W ohnge gend. Kenn st du das?
Di es e W ehm ut . Da s Gut e bl ei bt
i n der Eri nnerun g l e bendi ger al s
das S chl echt e. "
"W as i st m i t t ra um at i schen
Erl ebni ssen? "
"Kei n e Ahnun g! Ic h war al s
P at i ent dort , ni cht al s Arz t . B ei
mir
j edenfal l s
überwi e gen
ei n deut i g
di e
posi t i ven
Ei ndrücke. "
"W i rkl i ch vorst el l e n kann i ch
m i r das ni cht . Ehrl i ch! "
"Du wa rst ni e dort . S chon gar
ni cht für l ängere Ze i t . Du ahns t
ni cht , wel ch e V ersu chung sol ch
ei ne kl ei ne, übers ch a ubare W el t
sei n kann."
"Abe r
doch
ni cht
für
j em anden wi e di ch !"
"Fü r j eden Mens chen. Da
m uss nur ei n S chal t er i m
Bewusst sei n um gel egt werd en.
Und das passi ert ga rant i ert
frü her od er spät er. "
"W e gen de r Medi ka m ent e? "
"Nei n.
D as
i st
ja
das
S onde rbarst e dab ei . Ich h at t e
ei n A bkom m en m i t Frau Dokt or
P ol z i n
geschl os sen.
Sie
verschri eb
mir
kei ne
P s ych opha rm aka m ehr und i ch
arbei t et e i m Ge ge n z ug m i t i hr
z usam m en. Das erschi en m i r
fai r. T rot z dem war i ch pl öt z l i ch
i n di esem Kl i ni kt rott dri n. Oder
soga r ge rade deshal b. Durch d as
Abkom m en
gi n g
mir
das
Fei n dbi l d verl o ren. Und ohne
Fei nd kei n W i derst a nd."
54
D
raupadi st and am F e nst er
und schaut e hi nab a uf di e
parkähnl i che
F l äche
z wi s chen den Häusern Num m er
s echs und z wei (P s ychi at ri e und
Neurol o gi e). N ach ei n paar
l et z t en schönen Ta gen hat t e der
Herbst Ei nz ug ge hal t en. S i e
beobacht et e, wi e d er W i nd an
den
B äum en
z errt e
un d
abg eri ssene
Bl ät t e r
um herwi rbel t e.
Ab
und
zu
versucht e si e, si c h auf ei n
ei nz el nes
zu
konz ent ri eren,
s ei nen W e g z u v er fol gen, sei n
S chi cksal . Aber si e verl or es
st et s schon bal d aus den A u gen.
Um
ni cht
i m m er
ni eder ges chl a gen er z u werden,
wandt e si e si ch a b. Ih r Bl i ck
fi el auf ei nen Nacht schrank, au f
dem
m i ndest e ns
z ehn
197
M i n i s kul pt uren
st anden:
P rodukt e
der
Ges t al t ungst he rapi e
aus
de r
Hand i h re r Zi m m er genossi n Ut e
C ecal l a. Ob es si ch dabei um
echt e Kunst handel t e, konnt e si e
ni cht ei nschät z en. ( W er kann so
et was
üb erh aupt ? )
Doch
Kreat i vi t ät st eckt e a uf al l e Fäl l e
dri n. J ede Menge Kre at i vi t ät .
W enn di e A cht z ehnj ähri ge ei nen
gut en T a g hat t e, war si e ei ne
i nt ere s s ant e Gespr ä chspart neri n.
Nur gab es l ei de r auch di e
s chl ec h t en T a ge. Dann wurd e
s i e unb ere chenba r.
Draupadi
f an d
es
unveran t wort l i ch
von
den
Ärz t en,
si e
ei nz usperren
z us am m en m i t e i nem Mädel , das
s i ch s el ber für e i n en Erz engel
hi el t
oder
f ür
ei nen
Abges andt en von ei nem anderen
S t ern. (S i e bek am M edi kam ent e.
Gut und schön! Ab er wi e l an ge
wi rken di e? Ei ne ga n z e N acht
l ang? )
Im m erhi n
pl a n t e
P rofes s or
Ost ro wski ,
si e
dem nächst
a uf
di e
Erwachs enenst at i on z u verl egen.
Oder auf di e Ab t ei l ung fü r
un hei l bare
Fäl l e
im
Haus
Num m er z ehn. (Ei ne von den
z wanz i g P roz ent P at i ent en, di e
s i ch s ei ner G eni al i t ät en t z ogen.)
Das Zi m m e r bot al so auch
kaum aufb auende Ei ndrücke .
Draupadi hat t e ei n e schl afl ose
Nacht hi ndurch al l e Vor - und
Nacht ei l e ab ge w o ge n, ehe si e an
Frau Dokt or P ol z i n m i t i hrem
Anl i egen he ran get re t en wa r. S i e
dacht e an di e Mi t pat i ent en, di e
i n s el i ger Gem üt sr uhe vor si ch
hi n däm m ert en, gl ei chgü l t i g di e
Tage vorbei rausch e n l i eßen, i hr
Leb en
ganz
dem
S chi cksal
anvert r aut en (b ez i ehungs wei se
den Ärz t en). Ande rsw o gehen
j unge Mädchen auf den St ri ch
f ür das süße V e r g essen. Hi er
w i rd der St of f kost enl os ans
Bet t
g ebracht ,
wie
das
Frühst ück i n ei nem vornehme n
Hot el , von e i ner al s Schw est er
Il ona get ar nt en De al eri n . Aber
fi ndet m an j em al s z urück i n ei n
norm al es Leben, we nn m an si ch
ei nm al auf di esen abschüssi gen
P fad be geb en hat ? W ährend
i hrer
Al pt raum t o ur
durchs
Zschop a ut al war si e nahe dara n
ge wesen, si ch au fz ugeb en. Do ch
di esen kri t i schen M om ent hat t e
si e hi n t er si ch g el assen. J et z t
gl aubt e si e wi ed er an ei ne
Zu kunft . S i e w ar e rs t fünfz ehn.
Mi t t e Novem ber fand si e
wi eder ei ne F reundi n. Di e z wei
J ahre äl t ere Gabri el e R i em ann
l ag i m Na chbarz i m m er. S i e l i t t
unt er heft i gen A ngst anf äl l en
und gal t al s sui z i dgefäh rdet .
Trot z dem
wäre
si e
norm al erw e i se
al l enfal l s
für
z wei , drei W ochen ei n F al l für
di e
P s ychi at ri e
ge wesen.
P at i ent en wi e si e b ekam en,
sobal d
si e
si ch
hal bwegs
st abi l i si ert
h at ten,
ei ne
t i efe nps ychol o gi sch e
Gesprä chst her api e
verordn et .
Mei st ens gi n gen si e dann schon
wi eder arb ei t en und wurden
am bul ant
b et reut .
Gabri el e
j edoch
kl am m ert e
si ch
am
R undum schut z der S t at i on fest
und fürcht et e di e W el t draußen
wi e ei n Mi enenfel d. Ver sucht en
di e
Ärz t e,
si e
zu
m ehr
Ei genv erant wo rt ung z u drängen ,
ant wort et e si e m i t i rgendei ne r
verrückt en Akt i on. Li eß m an si e
i n i hrem S chn ecken haus, war si e
der f reun dl i chst e Mensch au f
Erden.
198
M anchm al
fühl t e
si ch
Draup adi v erpfl i c h t et , si e z u
warnen, do ch st et s sagt e si e
s i ch, dass si e das al l es ni cht s
angi n g. Au f di e Id ee, dass
Beei n fl ussung
a uch
ohne
Aus spr ach e ges chah und z war i n
bei den R i cht ungen, kam si e ni e.
S i e wu n dert e si ch nur, al s si e
s i ch m i t Kai , Gunt er und
Thom as ni cht m ehr so gut
vers t and wi e f rühe r. Di e d rei
waren
an fan gs
fest
davon
ü b erz eugt , dass si e l ängst i hr e
nächst e Fl ucht pl ane .
"S i e passen di es m al besser
auf, oder? ", fr a gt e Kai i m
Fl ü s t ert on
(um
di e
im
Bes uch err aum
si cherl i ch
i ns t al l i ert e
Abhöra nl a ge
aus z ut ri c ksen).
"S i e passen überh a upt ni cht
auf ", ent ge gn et e Draupadi i n
norm al er Laut st ärk e. " Ich bi n
j eden Ta g m i ndest ens ei nm al
auf dem G el ände unt erwe gs ganz offi z i el l ."
"Und warum h aust du ni cht
ei nfach ab? "
"W ei l i ch es ni cht w i l l ."
Ungl äubi ges
Ko pfschüt t el n
war di e Ant wort . Nachde m si e
obendrei n v ersi che r t hat t e, dass
der P unk vi el l ei cht ni cht das
W ahre sei , kam en di e Fr eunde
z u dem S chl uss, dass di e Ärz t e
s i e m ani pul i ert en.
S i e dacht en d abei a n S pri t z en,
Tabl et t en
und
Zw an gsm aßna h m en. In W ah rhei t
wurde si e j edoch eh er von i hren
P ri vi l egi en
z ur
Gefü gi gkei t
m ot i vi ert . Da si e i nt el l i gent und
z uverl ässi g war, bekam si e
i m m er
häufi ge r
i m m er
verant wort un g s vol l e re Auft rä ge,
s o dass si e si ch m an chm al schon
vorkam wi e ei n e Hi l fsschwest e r.
Zum Gi t a rrespi el en durft e s i e
si ch i n den Kel l e r z ur ückz i ehen,
wo si e ni em anden st ört e, wo es
al l erdi ngs
auc h
kei ne
verschl ossene Tür gab. Her rn
Angere r besuc ht e si e nunm ehr
z wei m al pro W oche. W ei l der
P rofessor i hr T al e nt unbedi ngt
fördern wol l t e, gab er i hr di e
z usät z li che Do ppel s t unde gr at i s .
Das, was si ch Ga bri el e durch
z um
Tei l
l eben s ge fährl i ch e
Kapri ol en erk äm p f en m usst e,
fi el Dr aupadi ganz von sel bs t
z u. Si e wusst e ni cht, warum das
so war, dac h t e ab e r auch ni cht
darüber nach, den n di e W ege
der Ärz t e l i eßen s i ch sowi es o
oft ni cht begr ei fen . J edenfal l s
fei ert e si e i hren sec h z ehnt en
Geburt st a g Ende J anuar noch i m
Fachk ranken haus. S i e gal t al s
w i ssenschaf t l i ch i nte r essant .
Im Frühj ahr h at t e si e si ch
schon so gut an d en Al l t ag i n
der P s ych i at ri e ge wöhnt , das s
si e si ch au ch du rch ex t rem
sel t sam rea gi er end e P at i ent en
ni cht
m ehr
al s
dem
Gl ei ch gewi cht bri n gen l i eß. S i e
wusst e
i nz w i schen
durch
Beoba cht un g und Erfahrun g,
wi e m i t i hnen um z ugeh en wa r.
Oft
bewäl t i gt e
si e
e i nen
Zwi sch enfal l , no ch ehe j em and
vom P ersonal ei ngre i fen konnt e.
Das Ve rst ändni s fü r di e and er en
verl i eh i hr em Leb en au f de r
S t at i on ei nen S i nn. Es gab
Mom ent e, i n denen si e si ch
schon fast wi e ei ne Ärz t i n
füh l t e. (Und es gab Mom ent e, i n
denen si e von den ri cht i gen
Ärz t en
auf
d en
Bod en
z urückgehol t w erde n m usst e.)
Anders al s G abri el e em pfand
si e ke i ne Fur cht v or der W el t
außerhal b d er Kl i ni k. S i e wol l t e
199
ni cht i ns Hei m z urück. Das
s chon.
Aber
di ese
Gef ahr
bes t and von Mona t z u Monat
weni ger. Frau Do kt or P o l z i n
hat t e an ged eut et , si e we rde
wah rs ch ei nl i ch i n e i ne bet reut e
W ohngem ei nscha ft
ent l assen.
Das kl an g vi el v erspre chend.
Al l erdi ngs hat t e di e Ärz t i n
ni cht gesa gt , w ann das sei n
würde. Dr aupadi wa rt et e auf ei n
ent s prech endes S i gn al , doch si e
konnt e auch dam i t l eben, dass
es vo rerst noch ni cht kam . In
di es em Zust and t ra f Frauk e si e
an bei i hrem ei nz i ge n Besuch i m
Frühj ahr 1982.
Das s s i ch i m W est en ent fernt e
Verw andt e für i hre so gen annt e
Bef rei un g ei nset z t e n, ahnt e si e
ni cht .
Am
F er nseher
im
Gem ei ns cha ft s raum wurden nur
DDR -S ender ei ngest el l t . S o t raf
s i e di e En t l assung wi e ei n Bl i t z
aus hei t erem Hi m m el . Ni cht s
war ab gest i m m t . S el bst Frau
Dokt or P ol z i n hat t e von der
(durch
i r gendei n e
höher e
Aut o ri t ät
get ro ffen en )
Ent s chei dung ni cht sehr vi el
früher
erf ahren
al s
i hre
P at i ent i n.
Auch
Hei m l ei t er
Lam p recht
wa r
ni cht
vo rberei t et . Er h at t e Draup adi
l ängst aus sei nen Unt erl a gen
und
sei nem
Gedä cht ni s
gest r i chen.
Man gel s
ei ne r
Al t ernat i ve m usst e er si e nun
aber vorübe r gehend noch ei nm al
beherbe r gen.
Draupadi fasst e al l erdi ngs i m
Hei m ni e wi ed er Fu ß. S i e sel bst
wol l t e es ni cht und di e a nd ere n
wol l t en es auch ni cht . Trot z i g
kl ei det e si e si ch wi eder al s
P unkeri n. S el bst das küm m ert e
ni em anden.
Es
war
ja
beschl o s sene S ach e, dass si e i n
den W est en ab gesch oben we rden
sol l t e. Ih re frühe r en F reunde
t rafen si ch wi eder regel m äßi g
i m Hause P aasch. Draupadi
überl e gt e ku rz , ob si e di e al t en
Geschi cht en
ve r gessen
und
weni gst e ns versuch shal ber m al
hi ngeh en sol l t e, l i eß es dann
aber bl ei ben. Ei n B l at t , das der
W i nd ei nm al von sei nem Zwei g
ge ri ssen
hat ,
w ächst
ni cht
wi eder an.
200
201
4.Teil
Flaschenpost
202
203
55
A
m S onnt ag, i hrem d ri t t en
Tag
in
F ran kfurt ,
b efürcht et e
F rauke
z u nächs t Lan gewei l e, wei l si e
kei ner
i hr er
gewohnt en
Frei z ei t besch ä ft i gun gen
nach geh en konnt e. Zu i hr er
Überr as chun g st el l t e si e dann
aber f es t , dass es auch für si e
durchaus ei nen ge wi ssen R ei z
hat t e, s i ch ei nm al ei nfach nu r
aus z uruhen und m i t offenen
Augen z u t räum en. Draupadi
war auch an di ese m Tag st ark
bes chäft i gt , ri cht et e es dabei
al l erdi ngs so ei n , dass si e
z wei m al z wi schendurch vö l l i g
z ur R uhe kam . S i e führt e e i ne
R ei he ganz best i m m t er Übungen
aus :
körperl i che
Übungen,
At em übungen,
Konz ent rat i on s übungen.
Am
Ende des Z ykl us v erhar rt e si e
fünfz ehn bi s dre i ßi g Mi nut en
m i t ve rs chränkt en Bei nen un d
ges chl os s enen A u ge n re gun gsl os
auf ei nem Ki s se n vor der
Vi t ri ne.
"S ei t wann t ust du das? ",
erkundi gt e si ch Fr a uke, a l s di e
Freundi n am spät en Nachm i t t a g
verkündet e, nunm eh r wi eder fü r
s i e da z u sei n.
" Las s m i ch überl e gen ! Fünf
J ahre? Oder s ech s? Ich w ar
ni cht
sofort
überz eugt e
Anhän geri n, s ah das Ganz e
anfan gs eh er unt er der R ubri k
S uchen und Auspro bi eren. Ab er
s ei t dem i ch wei ß, worum es
geht , s p ü re i ch d e n Nut z en so
s t ark, dass i ch unt er kei n en
Um st änden
m ehr
darau f
verz i c ht en m öcht e. "
"W as i st di r wi cht i ger: di e
Übungen oder di e dahi nt er
s t ehende R el i gi on? "
"Fü r m i ch gi bt es da kei nen
Unt erschi ed. Das wi rd hi er i m
W est en künst l i ch get rennt . Di e
Leut e wol l en von den Übungen
profi t i eren
und
t rot z dem
At hei s t en bl ei ben. Ich hal t e das
für fal sch. Yo ga i st kei ne
G ym na s t i k. "
"S ondern? "
"Ei ne Le bensei nst el l ung. "
"W as genau m ei nst du dam i t? "
Anders al s noch z wei W ochen
z uvor
hat t e
Dr aupadi
mit
Frauk es Neu gi e r di esm al kei ne
P ro bl em e m ehr. Mi t ei nem
S chul t e rz ucken hol t e si e i hre
Bhagavad Gi t a aus der Vi t ri ne
und set z t e si ch wi eder.
"Ei ni ges habe i ch di r schon
erz ähl t ..."
"Vi el l ei cht kön nen wi r noch
ei nm al über di ese S ache m i t der
persönl i chen
Le bensauf gab e
reden. "
"Das Dharma ? "
"Ode r K arma ? Ich kann di ese
i ndi schen W ort e noch ni cht
ri cht i g aus ei nande r hal t en."
"Das Dharma i st di e Auf gabe,
di e Got t uns übert ra gen h at . Das
K a r ma i st di e S uppe, di e wi r
uns sel ber ei nbro cken - un d
i rgend wann au s l öffe l n m üssen."
"Das eri nn ert m i c h an den
Be gri f f Sünde. M a n hat et was
verz apft und wi rd spät er da für
best raft . "
204
"Nei n. Karm a i st k ei ne S t raf e
i m enger en S i nne , sondern ei n e
l ogi sche Fol ge. W ürdest du es
al s S t rafe bez ei chn en, wenn du
di r ei nen Ham m er auf den Fuß
fal l en l ässt ? Oder ehe r al s
Nat ur geset z ? Nehm en wi r ei n
paar
Bei spi el e !
W enn
du
j em andem
S chade n
z ufügst ,
wi rd e r wüt end au f di ch s ei n
und si ch an di r z u räche n
vers uchen. Du h as t u nbewusst
ei ne
ne gat i ve
B ez i ehung
her gest el l t ,
di e
di r
fo rt an
S chwi eri gkei t en
berei t et
s o l ange, bi s du si e a ufl öst durch
Buße und W i ede rgut m achun g.
Du fessel st di ch abe r auch dann ,
wenn du ei nem an deren ei n en
Gefal l en erw ei st m i t der f est en
Erwart un g auf G e genl ei s t ung.
W i rd
dei ne
Hoffnun g
ent t äuscht , bl ei bst d u bl ocki ert
(z um i ndest i m Um gan g m i t
d i es er ei nen P ers on). S ogar
Gedan ken
könn e n
Karm a
erz eugen.
W enn
du
ei nen
unreal i st i schen Tr aum i n di r
wachsen l ässt , bi st du bal d nur
noch dam i t beschä ft i gt , dem
unerrei chbar en
Zi el
nachz uj agen.
Du
bi st
z um
S kl aven dei ner sel bst geword en.
W arum si nd fast al l e rei chen
Leut e ni cht wi rkl i c h gl ü ckl i ch?
W ei l si e si ch ei nbi l den, i hren
Bes i t z
vert ei di gen
un d
verm eh r en z u m üssen."
"W as kann m an da ge gen t un?
W i e si ch das anhört , baut m an
ja
auf
S chri t t
und
Tri t t
s chl ec ht es K arm a au f."
"Gen au da rum ge ht es i n
v i el en Abschni t t en der Gi t a. "
Da si ch Draup adi m i t di esem
Them a oft genu g s el ber bef asst
h at t e, fand si e di e passend en
Vers e sofo rt . " Zw e i t er Gesan g,
Vers
si ebenundvi erz i g:
Al s
Mensch hast du nu r das Recht
zu ha ndel n, doch ke i n Recht auf
di e Frücht e dei ne s Handel ns .
Denke ni cht , dass d u sel bst der
Schö pf er der Frücht e dei nes
Handel ns sei est . Mi t anderen
W ort en: Du sol l st dei ne P fl i cht
al l ei n um i hrer s el bst wi l l en
erfül l en
und
gl ei chz ei t i g
hi nsi cht l i ch der B ef ri edi gun g
dei ner Bedür fni sse ganz und ga r
auf Got t v e rt rau en. Bei d es hat
ni cht s m i t ei nander z u t un."
"W oher
sol l
dann
noch
Mot i vat i on kom m en? "
"Got t es W i l l en z u erfül l en,
sol l t e
für
ei nen
gl äubi gen
M en schen ei gent l i ch Mot i vat i on
genu g s ei n. Aber es gi bt j a auch
noch ei nen ganz prakt i schen
W ert . S i ehst du nicht , wel ch e
Last
von
dei n en
S chul t ern
genom m en wi rd? Di e m ei st en
Menschen
st eh en
unt er
Dauerst r ess, w ei l s i e si ch und
anderen i m m er w i eder et was
bewei sen m üssen. E i n Yogi darf
schon z ufri eden sei n, wenn er
sei n
Best es
get an
hat
unabhän gi g
vom
si cht baren
Erfol g. " Dra up adi bl ät t ert e i n
der Gi t a und ent de ckt e wei t e re
Verse z um Them a. " Wer al l e
Wüns che vö l l i g aus sei nem
Gei st ve r bannt hat und völ l i g
zuf ri eden i m S el bs t und durch
das S el bst i st ... Wer b ei
l ei dvol l en Erei gni s sen ni cht von
Sorgen e r schüt t ert und bei
f reudi gen ni cht von se i nem
Gl ück abhä ngi g w i rd, w er f r ei
von w el t l i cher L i ebe, Angst und
Ärger i st ... der erre i cht höchst e
Vol l komme nhei t . "
"Übe r Leut e m i t sol ch ei nem
Gl auben
m üsst e
si ch
j eder
Arbei t gebe r fr euen . S i e si nd
205
fl ei ßi g
und
st e l l en
kei ne
Ans pr ü che. "
"Du k annst t rot z dem ei nen
ge recht en Lohn f ordern. Du
kanns t
soga r
R ei cht üm er
anhäufen. W enn du dam i t ei ne
Fabri k
gründe st
und
Arbei t s pl ät z e schaf fst , i st das
vor Got t super. De r Kernpunkt
ist
di e
em ot i on al e
Abhän gi gk ei t . Di e wi ederum
s pi el t s i ch i m Kopf ab. Arm ut
i s t kei n Zi el und es best eht kei n
Grund,
si ch
et was
dar auf
ei nz ubi l den. W er aus Trä ghei t
oder Fei ghei t z u ni cht s kom m t ,
t rägt s el ber S chul d an sei ne r
La ge. "
"S ol che Ideal e gi bt es i n al l en
R el i gi onen. S i e kl i ngen gut .
Aber s i nd si e re al i st i sch? "
"Gen au di ese Fr a ge hat der
Hel d Arj una au ch gest el l t , nur
ei n bi s s chen ande rs form ul i ert .
... Hi er! Dri t t er G esan g, V ers
s echs unddrei ßi g: Was zw i ngt
den M enschen, s el bst gegen
s ei nen Wi l l en Böses zu t un - al s
w ür de
er
gew al t sam
dazu
gez w ungen ? "
"Und? "
"Kri s hna
ant wort et e:
Der
s t ändi ge Fei nd der Wei sen i st
di e uner sät t l i che Fl amme der
Begi er de, d enn si e verhül l t di e
Wei s h ei t . Si nne, Gei st und
In t el l ekt bi l den ei ne st ark e
Fes t ung der Begi er de. Deshal b
di s zi pl i ni ere zuerst di e Si nne.
Dann besi ege di e B e gi erde ."
"Man kann doch n i cht bl i nd
und
t aub
durch
di e
W el t
l au fen! "
"Das wi rd dam i t j a auch ni cht
verl an gt .
Hi e r
st eht
di szi pl i ni eren
und
ni cht
ausl öschen . Du sp ürst , sobal d
du di ch da rauf k onz ent ri erst ,
sehr
genau,
w as
di e
S i nnesei ndrücke
in
dei nem
Inn ern anri cht en. E i n Yogi h at
di e Kraft ent wi cke l t , si ch von
j enen
Ei ndrück en,
di e
i hm
offensi cht l i ch S cha den z ufügen,
bewusst z u l ösen. Er l ässt si e
ei nfach ni cht z u si c h herei n. "
"W i rkl i ch vorst el l e n kann i ch
m i r das ni c ht ."
"Um das i n de r P rax i s z u
bewerkst el l i gen, da für si nd di e
Übungen da. Man ent wi ckel t
al l m ähl i ch di e Fäh i gkei t , si ch
auf ei nen ei nz i gen Gegenst and
z u konz ent ri eren, z um Bei spi el
den At em . Das i st der Tri ck.
Angenom m en, du m erkst , dass
dei n Zust and ni cht gut i st : Du
bi st
nervös,
für cht est
di ch
(wovor au ch i m m er) , fi ndest am
Abend ni cht z ur R uhe. Dann
brauchst du nur d a s P rogr am m
z u absol vi eren u nd gel an gst
bei nahe aut om at i sc h i n ei nen
bes seren Zust and: w i rst r uhi ge r,
gel assener, schl äfri g. W as auch
i m m er
du
bra uchst
im
j ewei l i gen Mom ent ."
56
N
ach
ei n
paar
Di skussi onen
mit
den
Bud get ve rant wort l i c hen
hat t e Fr a uke err ei c ht , dass si e
den
in
Be rl i n
begonn enen
Engl i schunt e r ri cht
auf
206
Fi rm enkost en fo rt se t z en durft e.
Ber l i t z unt erhi el t in Darm st adt
ei ne Ni ederl assung nahe dem
Zent rum
in
ei ner
b el ebt en
S ei t en st raße.
Inn erhal b
der
S chul ungs räum e
im
erst en
Ober ges choss war j edoch vom
Verkeh rsl ärm f ast ni cht s m ehr
z u hören. Mi t dem Bl i ck au f
ei nen i d yl l i schen In nenhof hät t e
Frauk e si ch ve rm ut l i ch wohl
ge fühl t , wä ren i h re Besuch e
ni cht verbunden g ewesen m i t
der An gst vor den Le k t i onen.
W as genau si e b efürcht et e,
wus st e si e ni cht wi rkl i ch, denn
z um i n dest über i hren Tr ai ner
konnt e si e si ch ni cht bekl agen.
S i e kannt e von i hm nur den
Vornam en: J ohn. Ei n großer,
kugel run de r Am er i kaner, de r
den
Unt er ri cht
so
l ocker
ges t al t et e wi e ei ne n S m al l t al k
i m U rl aub am Pool . Frauke
s et z t e si ch vor a l l em sel ber
unt er D ruck. Ei n fac h m al ei n en
Fehl er z u b e geh en, gest and si e
s i ch ni cht z u. Das war dann
gl ei ch ei n e Bl am a ge. D a si e
Ei nz el unt erri cht hat t e, st and si e
neunz i g
Mi n ut e n
unt er
Dauerst r ess und verl i eß den
R aum
st et s
mi t
feucht en
Händen.
An j enem Mi t t woch Ende Mai
ras t e i hr Herz al l e rdi ngs ni cht
we gen ei ne r fal sch verwend et en
Zei t fo rm , sondern we gen ei ne r
z ufäl l i gen Ent de ck ung. Ger ade
gi n g si e m i t J ohn ei ne Lekt i on
über den beru fl i c hen Al l t ag
durch:
Fi r m enst rukt ur,
Auf gabenb erei che, P osi t i onen i n
der
Hi er archi e .
Ei ne
Uns auberk ei t bei m Druck hat t e
den Be gri ff net w ork manager z u
n  t w  rk manager verunst al t et .
Da pl öt z l i ch war i hr, al s wü rd e
et was
in
i hrem
Kopf
ex pl odi eren. nt w rk ! Das W ort
l i eß si ch unm ögl i ch ausspreche n
und doch kannt e si e es. Von
di esem Au ge nbl i ck an hat t e der
gut e J ohn kei ne Fre ude m ehr an
i hr. Er f ra gt e si e nach i hr er
persönl i chen R ol l e bei B IT C o..
Ih r
Gehi rn
ant wo rt et e
im
S t i l l en: " Quest i ons er gi bt qst ns
und organi sat i on ergi bt rgnzt n .
Es i st Engl i sch! Verdam m t ! Es
i st Engl i sch. W arum bi n i ch
darauf ni cht fr ühe r gekom m en? "
J ohn wi ederhol t e sei ne F ra ge
m i t ei nfach eren W ort en. S i e
st am m el t e ei ne Er w i derun g i n
l ausi ge r Gr am m at i k . Er l i eß es
für di esm al gel t en und si e re gt e
si ch für di esm al ni c ht über i hr e
m angel nde S prachb egabun g auf .
"Er fahrun g
hei ßt
überset z t
experi en ces und e r gi bt xprncs . "
Auch di eses sel t sa m e W ort kam
vor.
Ganz
best i m m t !
Am
l i eb s t en
hät t e
si e
heft i ge
Übel kei t
vor get ä uscht ,
um
vorz ei t i g nach Hau se geh en z u
dürfen.
Abe r
al s
pfl i cht b ewusst er M ensch hi el t
si e
di e
verbl ei bende
hal be
S t u nde auch noch d urch.
In
i hrer
W ohnung
in
Darm st adt - Bach en a ngekom m en ,
rei cht e
i hre
G e dul d
dann
al l erdi ngs nu r noch, um auf d em
Korri dor
di e
S chuhe
abz ust re i fen und d i e J acke an
den Hak en z u hä ngen. Im
Lau fschri t t ei l t e si e z u i hrem
Ordner und hol t e j ene Fa s sun g
des Gehei m t ex t es heraus, b ei
dem
si e
di e
erm i t t e l t en
l at ei ni schen
Konsonant en
rückwä rt s auf g eschr i eben hat t e .
Dam i t se t z t e si e sich an i hren
C om put er und l egt e si ch i n
ei ner neu en Dat ei ei n ge ei gnet es
207
R as t er an. Dort t r ug si e al l e
W ort e ei n, di e si e e rkannt e. S i e
hofft e, das Mos ai k m i t di eser
M et hode nach und nach so seh r
verdi cht en z u könne n, dass si ch
di e
dann
noch
fehl enden
Be gri f fe von sel bst ergeben
würden.
In i hr er Be gei st erun g übe r den
ers t en
wi rkl i ch
verhei ßun gsvo l l en Ansat z nach
so
vi el en
J a hren
der
Bes ch äft i gun g
mit
dem
rät s el haft en Tex t ve rz i cht et e si e
auf
das
Abend brot .
Nac h
s chnel l en
Anf angs erfol gen
wurde di e Arbei t al l erdi ngs
i m m er m ü h sam er - bi s si ch
l angs am
h er auskr i st al l i si ert e,
das s i hr V o kab el sc hat z für di e
Auf gabe wohl ni ch t au s rei cht e.
Di e von i hr i d ent i fi z i e rt en
W ort e waren i m R ast er vi el z u
vers t reut , um auch nur ei nen
ei nz i gen vol l st ändi gen S at z z u
er geben. Frauk e wo l l t e si ch das
nur
ni cht
ei nge st ehen
und
t üft el t e (u n t er
Zuhi l fenahm e
ei nes W ört e rbuc hs) verbi sse n
wei t er. Ge gen drei Uhr nacht s
j edoch forde rt e i hr Körper sei n
R echt . S i e kon nt e si ch ni cht
m ehr konz ent ri eren. Di e Augen
fi el en i hr z u. Ei n g eei gnet es
C omput erpro gramm
w ürde
dami t
w ahrschei nl i ch
in
w eni ger al s f ünf Mi nut en f ert i g
w er den , überl e gt e si e noch.
Dann gab si e vo r ers t auf.
Der
fol gende
Arbei t st a g
v erl i ef bess er, al s s i e befür cht et
hat t e. Ihr Bl ut wa r so sehr m i t
Adrenal i n an gerei ch ert , dass i hr
di e drei ei nhal b S t u nden S chl af
genü gt en. Dass si e am Abend
t rot z dem
schon
nach
ei n er
wei t eren
S t unde
versucht er
Ent s chl üs sel ung
end gül t i g
kapi t ul i ert e, resul t i ert e ehe r aus
ei nem Mom ent wei ser Ei nsi cht .
"Hi e r m uss j em and ran, der si ch
dam i t ausk ennt !", erkl ärt e si e
en t schl ossen
i hrem
Gu m m i baum . Dann gri f f si e z um
Tel efonh ör er.
"Hal l o Dr aup y. W as hät t e dei n
P apa get an, um ei n e Na c h ri cht
an di ch z u verschl üssel n, so
dass si e außer di r niem and l esen
kann? "
S t i l l e am anderen Ende der
Lei t un g.
Frauk e ahnt e, dass si ch das
Gesi cht
i hre r
Fr eundi n
verdü s t ert h at t e. Es t at i hr w eh,
an di e gl ückl i che Zei t m i t i hrem
P apa eri nnert z u we rden. Doch
di es war ni cht der ri cht i ge
M o m ent , um darau f R ücksi cht
nehm en z u können.
"W as fäl l t di r daz u ei n? "
"Da
gab
es
ve rs chi eden e
M ö gl i chkei t en ", sa gt e Draupadi
nach ei ner W ei l e wi derwi l l i g.
"Häu fi g
vorkom m ende
Buchst ab en we gl assen, das e
z um Bei spi el ."
"Ode r sämt l i che Vo kal e? "
"J a, kl ar. Al s Erwachsen er
kann m an ei nen Tex t dann
i m m er
noch
fast
m ühel os
verst ehen. Erst aunl i ch er W ei se.
P ro bi er das m al aus, nur so z um
S paß! Fü r ei n K i nd i st es
nat ü rl i ch
ei n
bi sschen
schwi eri ger. "
"Gut . W ei t ere Vari a nt en!"
"R ückw ärt s schrei ben. Das
russi sche Al phabet verwend en. "
" Bi ngo !"
"Hä? W arum wi l l st du das
ei gent l i ch wi ssen? "
"S t el l j et z t b i t t e keine Fr a gen ,
sondern höre m i r ei nfach nur
z u! J a? In de r Bh agavad Gi t a
dei nes P apas l a gen ei n paar m i t
208
Devana gari - Zei chen
bes chri eb ene Ze t t el dri n. W ei ßt
du das? "
"W as
für
Zet t e l?
Kei ne
Ah nung. Hast du et wa ei ne Ide e,
wo P apas Gi t a gebl i eben i st ? "
"Kei n e Fr a gen! Ic h hat t e di e
Gi t a
sei nerz ei t
an
m i ch
geno m m en. Inz wi sc hen i st si e
m i r l e i der gekl a ut worden,
m i t s am t den Zet t el n . Ich besi t z e
aber noch di e T ra nsl i t erat i on.
W enn
m an
di ese
Konsonant enfol ge
rüc kw ärt s
s chrei bt
und
um
geei gnet e
Vokal e e r gänz t , e r gi bt si ch
m ei ner Überz eu gun g nach ei n
Tex t i n engl i sch er S prache.
Ei ni ge W ort e konnt e i ch schon
ent z i ffern,
al l er di ngs
zu
weni ge. "
"Mom ent m al ! Hi er st i m m t
et was ni cht . Ich ko nnt e dam al s
noch kei n En gl i sch. "
"Dei n P apa wa r überz eugt ,
dass du es i rgend wann l erns t .
Das i st ei ne W el t sprache und du
bi st
ex t rem
i nt el l i gent .
Vi el l ei cht hat t e es aus se i ner
S i cht ei nen S i nn, dass di e
Bot schaft erst n ac h ei n pa ar
J ahren bei di r anko m m t ."
"S t i m m t . J et zt , wo du es
sagst , eri nne re i c h m i ch. Er
wol l t e t at sächl i ch, dass i ch
Engl i sch l e rne. Ich verst and da s
dam al s ni cht , denn das wa r j a
di e S prache d es Kl a sse nfei nds."
" Ic h bi n i n et wa ei ner hal ben
S t unde bei di r i n F rankfurt und
bri nge d en Tex t m i t ."
W
"Di e da ni cht . Di e si nd al l e
von m i r. Aus der Gi t a st am m en
di e Or i gi nal e i n Devana gari S chri ft ."
"J a, j a. S chon kl ar. Kann es
sei n, dass si e da zuf äl l i g
hi nei nge rat en si nd? "
"Den Ei ndruck hat t e i ch ni cht .
S i e l agen ganz hi nt en, sorgf äl t i g
z usam m engef al t et ."
Draupadi schüt t el t e den Kopf
und t rat an ei n Fenst er, um
bes ser seh en z u können. Al l z u
groß e S chwi eri gke i t en schi en
i hr das Lesen ni cht z u berei t en.
Dass si e kei n en gewöhnl i chen
Tex t vor si ch hat t e, war al l ei n
daran z u erk ennen, dass si e di e
S t i rn ei n weni g kr aus z og un d
dass si e z uwei l en ei n W ort m i t
den Li ppen fo rm t e. W as si ch auf
i hrem Gesi cht wi derspi e gel t e,
bez og si ch off enbar weni ger au f
di e Ve rschl üssel un g al s auf den
Inh al t . Ei nm al gl aubt e Frauk e
i e so oft i n Mom en t en,
i n denen si e es a m
al l erweni gst en
geb rau ch en
konn t e,
geri et
Frau k e i n ei nen S t au. Auf d er
Aut o bahn hat t e si ch ei n LKW
quer gest el l t und d er Anh än ger
war um geki ppt . W ä hrend si e, i n
der
schi er
endl osen
Bl echs chl an ge
ge f angen,
im
S chri t t t em po
vo ranz uckel t e,
hät t e si e aus Frus t am l i ebst en
i ns Lenk rad gebi s sen. Al s si e
dann endl i ch bei Dra upadi vo r
der Tür st and, s ah s i e al l erdi n gs
s ofort , dass di e Freundi n i n
di es er Zei t m i nde s t ens ebenso
ungedul di g
gewa rt et
hat t e.
S chon auf dem Korr i dor st reckt e
s i e di e H and aus nach den
Zet t el n.
"Und di e h ast du w i rkl i ch i n
P apas
Gi t a
ge funden? ",
ver gewi sse rt e si e si ch.
209
den gefl üst ert en S a t z z u h ö ren:
Das kann doch ni cht w ahr sei n !
Nachdem
D raup adi
di e
Bot s chaft z u Ende gel esen h at t e,
l i eß s i e si ch auf d en ei nz i gen
norm al en S t uhl i m R aum fal l en.
Di e Zet t el w arf si e von si ch auf
den S chrei bt i s ch. E i ner s e gel t e
auf
den
Fußb oden.
Sie
küm m ert e si ch ni cht darum .
M ehrer e Mi nut en l ang bl i eb si e
s t i l l si t z en, j e drei Fi nger an di e
S chl äfen
gedrüc kt ,
ei nen
fi kt i ven P unkt vor si ch auf dem
Fußb o den
anst a rr end.
Dann
s t and s i e pl öt z l i ch m i t ei ner
heft i gen Be we gun g auf und
s agt e:
" Ic h ver rat e di r, w as da dri n
st eht - aber ni cht heut e. Ic h
m uss
das
erst
sel ber
verarb e i t en. S ei ni cht böse
desw e gen !"
"J a, si cher. Ei gent l i ch war d as
von Anfan g an al l ei n dei ne
An gel e genh ei t . Vi el l ei cht hät t e
i ch
m i ch
ni e
ei nm i sch en
dü rfen. "
"Nei n, n ei n! Das i st schon
al l es i n Ordnung so. Können wi r
uns
m orgen
no ch
ei nm al
t reffen? "
"Am Abend um s ech s? "
"J a, das i st gut . "
57
Am Fr ei t a g wa r bei B IT C o. di e
Höl l e
l os.
W ährend
des
bevor s t ehend en
l angen
P fi ngs t woch en endes sol l t e di e
neue S of t war e bei m Kunden i n
Bet ri eb gehen. F r auke st and
ni cht auf der B e rei t schaft sl i st e.
W ei l
si e
sonst
i m m er
überdurchs chni t t l i chen Ei nsat z
z ei gt e, h at t e i hr de r Te am l ei t er
erl aubt , ganz en t spannt nac h
Berl i n z u i hr en A n gehö ri gen z u
fahren. Wi r m ach e n d as hi er
s chon ! Doch nun war pl öt z l i ch
ei n
Fehl er
de r
höchst en
Kat e gori e
auf get aucht .
Di e
Verant wo rt l i chen d es P r oj ekt s
s t anden
mit
den
Veran t wo rt l i chen
von
der
Kundens ei t e
den
ges am t en
Vorm i t t ag
übe r
in
ei ner
Dauert el efonkonf ere nz . Ab und
z u wurden ei nz el n e Ent wi ckl er
al s Ex pert en hi nz u gez o gen.
Es
gab
pri nz i pi el l
drei
Vari a nt en . J ede da von erschi en
unm ö gl i ch, j ewei l s aus ei nem
anderen
G rund.
Trot z
des
Fehl ers i n B et ri eb z u g ehen,
bar g
das
R i s i ko
ei nes
Dat enverl ust s
mit
unkal kul i erbar en Fo l gen i n si ch .
Ei n fach abbl asen l i eß si ch di e
Inb et ri ebnahm e ab er auch ni cht ,
wei l i n den ex t er nen Fi l i al en
des Kunden vore i l i g berei t s
vo l l endet e Tat s ache n gesch aff en
worden
war en.
Für
ei ne
Beh ebun g des Feh l ers rei cht e
di e Zei t ni cht m ehr aus. In der
Kü che
m unkel t en
di e
P ess i m i s t en
von
drohenden
Vert ra gsst r afen
in
Mi l l i onenhöhe.
W i e bei ei ner Ko m pani e i m
Kri e gsz ust and durf t e ni em and
das G ebäud e verl assen, ni cht
ei nm al z um Mi t t agessen. W em
210
der App et i t ni cht ver gan gen
war, d er l i eß si ch ei ne P i z z a
bri ngen. D ann al l e rdi ngs j a gt e
ei n
Zaube rwort
durch
di e
R un de:
w orkaround .
Ei ne
z wei st ü ndi ge K ri se nsi t z ung der
drei C hefent wi ckl e r hat t e ei ne
Id ee
he rvor geb r acht .
Der
Vors chl a g sch afft e den Fehl e r
ni cht aus der W el t , verhi ndert e
aber, dass er si ch gravi e rend
aus wi rkt e. Unt er d er Bedi n g un g,
i n s pät e s t ens z wei W ochen ei ne
Nachl i ef erun g
mit
der
endgül t i gen
Ko r rekt ur
zu
erhal t en, l i eß der Kunde si c h
auf den Kom pr o m i ss ei n.
Nun m usst e di e V orabl ösung
noch i m pl em ent i ert werden. Das
dauert e bi s ku rz nach si ebz ehn
Uhr. F rauke, di e f ür acht z ehn
Uhr m i t Dra u p adi verab redet
war, sa ß wi e auf Kohl en. S i e
wurde gebrau cht , u m am Ende
noch ei nm al ei n vol l st ändi ges
Li e ferp aket
zu
bauen.
Tel ef oni sch e rrei c ht e si e di e
Freundi n l ei de r ni c ht . Ni em and
zu
Hause,
Anru fbeant wort er
ni cht ei nges chal t et . Erst ge gen
hal b si eben erhi el t si e endl i ch
grü n es Li cht .
"Vi el S paß i n Berl i n !"
"Dank e! "
Vorher al l erdi ngs st eht noch
ei n ganz anderes T hema an !
Dass si e Draupadi auch j et z t
ni cht err ei cht e, gef i el i hr ganz
und ga r ni cht . Da s bedeut et e,
das s auch si e ni c ht pünkt l i ch
war. Aus w el chem Grund? Mi t
über ei ner S t unde Verspät un g
kl i ngel t e
si e
an
der
W ohnungs t ür. Kei n e R eakt i on.
S i e l egt e d as Ohr ans Hol z .
Ni cht s z u h ören. S i e l i ef di e
drei Tr eppen wi eder nach unt en,
hi el t vor dem H au s Aus schau.
W ei t und brei t kei ne Dr aupadi
z u sehen.
Hundert G edanken schossen
i hr durch den Kopf . W as hat t e
di e Bo t sch aft i n d er Freundi n
ausgel öst ? Vi el l ei cht m ehr al s
ei ne Erschüt t e run g, di e si ch i n
vi erundz wanz i g
S t unden
verwi ndet l ässt ? Hät t e si e bei
i hr bl ei ben sol l en (auch ge gen
i hren W i l l e n)? Doch vor al l em :
W el cher
Fl uch
l ast et e
au f
di esem Tex t? Frauk e da cht e an
Ax el
Voss.
An
i hre
Ungl ückss eri e von 1991. An al l
di e sonderb aren Er e i gni sse nach
i hrer
Vo rl adu ng
i ns
P ol i z ei präsi di um .
An
den
J ournal i st en Gra n ni nger, d en
Anwal t Uhl i g, d en Fah rer des
bl auen VW Gol f.
S i e st and so sehr unt er
S pannung, dass si e au fsch ri e,
al s i hr j em and von hi nt en auf
di e S chul t er t i ppt e.
"S chr eckha ft ? "
"Norm al erw ei se ni cht . Aber
i ch habe di ch i m Gei st schon al s
Lei che geseh en. W i r waren doch
für um sechs ve rabr edet . "
"Tut m i r e cht Lei d. Ei ne
P robe m i t der Band hat si ch i n
di e Län ge gez o gen. Ich konnt e
da ni cht ei nfach so weg.
W art est du schon l ange? "
"Nei n. No ch ni cht so l ange.
Bei m i r auf Arb ei t hat auch der
Bär g et anz t ."
"Und
warum
d a cht est
du
gl ei ch, m i r w är e wa s passi ert ? "
"Du hast na ch dem Les en
di eser Bot scha ft d ei nes P apas
ni cht sehr gl ückl i ch aus geseh en.
Vorsi cht i g aus gedrü ckt ."
" Lass uns erst m al nach oben
geh en! "
211
Nachdem si e di e Tür hi nt er
s i ch ges chl ossen hat t e, fra gt e
s i e m i t gerunz el t er S t i rn:
"Da cht est du al l e n Ernst es,
i ch nehm e m i r das Leben? "
Frauk e hob al s A nt wort nur
di e S chul t ern.
"Das s i ch m i ch vom S chi cksal
ni cht s o l ei cht unt erkri e gen
l as s e, m üsst est du i nz wi schen
ei gent l i ch gem erkt h aben. "
" Ic h wei ß j a ni cht , worum es
geht i n di ese r Bot s c haft ."
"Und j et z t bi st du neugi e ri g.
Ni cht wahr? " Dr aup adi hat t e i hr
s pi t z bübi sches
Läch el n
z urück ge funden. D a s z um i ndest
beru hi gt e F rauke.
"Nat ü rl i ch bi n i ch neugi eri g.
Ic h hab e vi el e J ahre m ei n es
Leb ens dam i t z ugeb racht , di eses
R ät s el z u l ösen. Na j a: m i t
Un t erb re chu n gen. "
Draupadi wurde wi eder ernst ,
al l erdi ngs
ni cht
in
j ener
beu n ruhi ge nden W ei se wi e am
Tag z uvor.
" Ic h wei ß j et z t , dass i hr R echt
hat t et . Das war ei n S chock für
m i ch. Ganz kl ar."
"W er
hat t e
R e c ht?
Und
wo m i t? "
"Du und Ol af M a rquart . Es
gab t at s ä chl i ch j e m anden, de r
m i r m ei n Leben z ur Höl l e
gem acht hat , pl anm äßi g und m i t
vol l er Absi cht ."
"Obwohl du dam al s noch ei n
Ki nd warst ? "
"J a. Obwohl i ch ei n Ki nd
war. "
"Kenn e i ch i hn? "
"J a."
"W er? "
"Vi el l ei cht kom m st du von
s el ber dr auf. Ab er a l l es i n al l em
i s t d i e Geschi cht e ni cht auf ei ne
ei nz el ne P erson be schränkt . Da
gab es noch seh r vi el m ehr
Ak t eure. D as m uss i ch di r S t ück
für S t ück i n R uhe e rz ähl en. ...
Ic h hab e ei nen Vo rschl a g. Du
fährst doch nach B e rl i n, um di e
Fei ert a ge
bei
dei nen
Angehör i gen
zu
verbri ng en.
W enn du m i ch m i t ni m m st und
ei n
paa r
S t unden
Zei t
abz wei gst , er fährst du das erst e
Kapi t el unabhän gi g von m i r aus
berufen er Qu el l e."
"Du
spri chst
in
R ät sel n.
S el bst verst ändl i ch nehm e i ch
di ch m i t nach Be rl i n. Auch das
m i t den frei en S tunden sol l t e
kei n P robl em sei n. Aber wer i st
di e beruf ene Qu el l e ? "
"Ei n
ge wi sser
Herr
Lam p recht . Eh em a l i ger Le i t er
ei nes
Ki nde rhei m s,
j et z t
Bewohn er
ei nes
S eni orenhei m s."
"Häl t st du das wi rkl i ch für
ei ne gut e Id ee? Ic h war schon
ei nm al i n j enem Seni orenhei m
und i ch bi n i n h ohem Bogen
wi eder raus ge fl oge n. Dort gi bt
es ei ne S chwest er Hann el ore,
di e ..."
" Ic h hat t e gest ern A bend noch
ei n
Tel efon gespräch
mit
Lam p recht . Er er wart et m i ch.
Mi t m i r über di ese S ache z u
reden, i st für i hn auch ei ne
Erl ei cht erun g. Zum al er j a j et z t
wei ß, dass i ch i hm ni cht s
nacht ra ge."
"Ursp rün gl i ch
w ol l t e
i ch
heu t e Abend no c h l osfahren.
Aber j et z t i st es sc hon bal d um
acht und i ch m öcht e bei m ei nen
El t ern ni cht nach Mi t t ernacht
ei n t rudel n."
"Da du di ch j a m i t m ei nem
Haus
i nz wi schen
ausgesöhnt
hast ,
kan nst
du
bei
mir
212
ü b ernacht en. W i r fahren d ann
m orgen m ö gl i chst z ei t i g l os."
"J a, das kl i ngt gut ."
58
F
rauke nöt i gt e i hr e n Audi
mit
durchget r et enem
Gas pedal
zu
Höchst l ei st ungen,
um
das
S en i orenhei m noc h vor der
M i t t agessensz ei t z u erre i chen.
Draupadi äuße rt e gel e gent l i ch
Bedenk en.
"He ! Übert r ei b 's ni cht ! S onst
s i ehst du m i ch wi rkl i ch bal d al s
Lei che. Ic h kri e ge dann z war
ei nen neu en Körp er, aber d er i st
vi el l ei cht , wenn 's bl öd l äuft ,
bl oß z wei t e W ahl ."
"Ach w as! Ich hab e das vol l
i m Gri ff. Mi r fl i eßt Benz i n
durch di e Ad ern. "
"W as si nd denn das für
S prü che? "
"Hi nt erm S t euer er wacht m ei n
anderes Ich. "
"Du
sol l t est
das
Aut o
verkau f en. "
"Vorm C om put er au ch."
"S uch
di r
ei nen
ander en
Beru f! "
"W as ganz ander es: S agt est du
ges t e rn,
du
h ät t est
mit
Lam p recht t el efon i e rt? W i e hast
du den so schn el l ausfi ndi g
gem acht ? "
"Dur ch Medi t at i on."
"Dur ch w as ? "
" In der Medi t at i on ent fal t en
s i ch di e (j edem M enschen von
Geburt an ei genen ) i nt ui t i ven
Fähi gkei t en. Bei den m ei st en
Leut en bi l den si e si ch i m Laufe
des
Lebens
d urch
den
überm äß i gen
G eb rauch
des
rat i onal en
Denke ns
z urück.
Aber sel bst dann bl ei ben s i e
rudi m ent är
e rh a l t en.
Mit
anderen W ort en: D a Got t , der
Al l wi ssende, sel bs t verst ändl i ch
auch di e neue A d r esse m ei nes
Ex hei m l ei t ers kennt , braucht e
i ch i hn bl oß z u fragen."
"W ar das j et z t ernst gem ei nt ? "
"Absol ut ! S chau n i cht m i ch
an, schau au f di e S t raße, wenn
nun schon dei n and eres Ich uns
bei de am R ande der S chal l m auer
durch di e Lands chaf t het z t !"
W ährend si e auf d e n P arkpl at z
vor dem S eni orenh ei m ei nbog,
m al t e
Frauke
si ch
das
W i ede rsehen
mit
S chwest er
Hann el ore aus. S i e konnt e ei ne
Kat ast r ophe
nur
verhi ndern,
i ndem si e hi nt er Draupadi i n
Deckun g gi n g. Ab er wi e kann
si ch ei ne so groß e P erson hi nt er
ei ner so kl ei nen z uverl ässi g
verst eck en?
Di e
(ohnehi n
unreal i st i sche) l et z te Hoff nun g,
di e
S chwest er
habe
ei n
schl echt es P ersone ng ed ächt ni s ,
wurde schon b ei de r Be grüßun g
ent t äuscht .
"Si e schon wi eder? Ich habe
Ihn en doch gesa gt , dass ..."
" Ic h verbür ge m i ch für si e",
m i scht e Draupadi si ch ei n.
"Auf das kl ei nst e S i gnal hi n
..."
Draupad i z og i hre Freundi n
am Arm i n den Gan g hi nei n.
213
"Du wi rst m i r d och kei ne
S chande be rei t en? ", sagt e si e
und gri ns t e üb ers ga nz e Gesi cht .
Das Gesprä ch m i t Lam p recht
war ni cht ganz so l ei cht z u
bewerks t el l i gen.
Er
wi rkt e
z u nächs t völ l i g ver kram pft und
vers chl o s sen, v erm u t l i ch wei l er
z war
mit
sei nem
früheren
Zö gl i n g ge re chnet hat t e, ni cht
j edoch
mit
ei ne r
wei t er en
P ers on - ei ne di e i hm i rgendwi e
bekannt vorkam u nd z war i n
negat i vem
Zus am m enhan g.
Draupadi l i eß si ch d avon ni cht
abs chre cken. S i e be handel t e i hn
gan z wi e e i nen hi l fs bedürft i gen,
al t en M ann - m i t R ücksi cht und
R es pekt
z ugl ei ch.
Ei n
Außens t ehend er hät t e bei de für
Enkel i n und Op a geh al t en.
Dadurch
b e ruhi gt e
er
si ch
al l m ähl i ch. S chl i eßl i ch erwi es
er s i ch al s e rst aun l i ch kl ar i m
Kopf - ganz ande rs al s F rau k e
i hn von i hrem erst e n Besu ch h er
kannt e.
" Ic h wei ß, dass Si e dam al s
ni cht t un konnt en , was S i e
wol l t en."
"Er s a gt e oft z u m i r: Ich bi n
dei n Freund. Ab er er war kei n
Freund.
Er
hat
m i ch
nur
aus g enut z t für sei n e Int er essen.
Es gi n g i mmer nu r um sei ne
Int e res s en. Ic h gl a ube, er hat
al l e M enschen aus genut z t ."
"Hat e r m i t Ihnen auch über
mi ch ges proch en? "
"Abe r j a! Im m er, w enn er i ns
Hei m kam , gi n g es um di ch. Di e
and eren Ki nde r war en i hm egal .
Ic h habe i hm ges agt , e r sol l
di ch i n R uhe l assen. Das i st
ni cht ri cht i g. Das ni m m t kei n
gut es Ende. Ic h gl a ube ni cht an
Got t , doch i ch gl aube, dass
j eder Mensch fü r sei ne S ünden
büßen m uss."
"Hat er gesa gt , w arum er das
al l es von Ihnen ve rl angt ? "
"Nei n. Er sa gt e nur: Das muss
so sei n. Ich w a r von i hm
abhä n gi g. Er hat t e B ez i ehun gen
überal l hi n."
"Ve rm ut en S i e et wa s? "
"Man chm al da cht e i ch: Er h at
Angst vor di r. Ab er was sol l ei n
W ai senki nd i n der Hand hab en
ge gen ei nen S t asi offi z i er wi e
Henschel ? Manchm a l benahm er
si ch wi e ei n Ve rrüc kt er."
Frauk e hat t e nun z war den
Nam en gehört , doc h sehr vi el
kl üger füh l t e si e si ch ni cht . Al s
si e wi eder n eben Draupadi i m
Aut o
saß,
sagt e
si e
kopfschü t t el nd:
"Al so auch auf m i ch wi rkt
Henschel wi e ei n Ver rückt er .
Das al l es er gi bt do ch überhaupt
kei nen S i nn - es sei denn, m i t
der
Denkw ei se
der
Bi l d Zei t un g:
St asi
t errori si ert e
zehnj ähri ges K i nd ."
"J a. Auf den erst en Bl i ck si eht
das so aus. Nur spi el t e si ch
al l es ei n bi sschen anders ab, al s
di ese Leut e das ge rn hät t en.
Henschel wa r ni cht nur bei der
S t asi . Er hat au ch für di e
Ge gensei t e gearb ei t et . Und P apa
wus s t e das."
"Du d enkst , dei n El t ern si nd
... ? "
"S i e si nd ermorde t worden.
J em and
hat
am
Aut o
m ani p ul i ert . S onst wär e P apa
ni cht u ngebr em st aus der Kurve
ge rast . "
"Abe r wa rum war Henschel
hi nt er di r her? "
Kaum hat t e si e di e Fr a ge
au s gesproch e n, wus st e si e auch
schon
sel be r
di e
Ant wort .
214
Hen schel h at t e ei n P robl em , für
das
sei ne
Au ft r agg eber
im
W es t en
kaum
Verst ändni s
aufbri n gen konnt en. Da kam z u
vi el Ungewöhnl i ch e s z usam m en.
Ers t ens
wa r
D r aupadi
ei n
hochi nt el l i gent es
Ki nd,
das
kom pl ex e
Z us am m e nhän ge
präz i se erf asst e. Zwei t ens hat t e
i hr V at er z u i hr ei n ex t rem
enges
Ve rhäl t ni s.
(Fr au
C l aassen von Sc hut zschi l d e.V.
dacht e m i t i hrem Argwohn z war
i n di e fal sche R i c ht ung. Doch
Herr
S chm i t t
h at t e
sei ne
Tocht er
vi el l ei ch t
i ndi rekt
m i s s braucht - i nd em er i hr
Di n ge anvert r aut e, für di e si e
dam al s noch vi el z u j ung w ar.)
Dri t t ens schl i eßl i c h l i ebt e si e
i hren P apa ge radez u fan at i sch.
W enn si e al so (wo m i t Henschel
rechnen m usst e) ei n en Verda cht
s chöpft e und wen n si e (was
ebenfal l s ni cht fern l ag) au f i hn
al s Tät er (oder z um i ndest al s
Verurs ache r) k am , dann wa r e r
i n Lebens ge fahr. Dr aupadi hät t e
n i em al s R uhe ge geb en. S i e w äre
äl t er ge worden und raf f i ni ert er.
Ir gendw ann hät t e si e i hre R ach e
verwi rkl i cht und sei es um den
P rei s des ei genen U nt e rgan gs.
"Hal l o! B i st du noch auf
S en dung? "
" Ic h? S orr y! Ich wa r i m Land
der S pekul at i onen. Al s dei n
P apa sei ne Bot sch aft an di ch
s chri eb, wusst e er noch ni cht ,
was Hensch el t un w ürde ... "
" Zw ei fel l os. Dort dri n st eht
nat ürl i ch nur de r Hi nwei s auf
i hn. Nach so vi el en J ahren
d ü rft e es nahez u unm ögl i ch
s ei n,
i hm
et was
ge ri cht s verw ert ba r
nachz uwei sen. Ab er für den
Haus gebr auch hab e n wi r ei ne
Menge Indi z i en."
"Und
wi r
hab en
unseren
Verst and. H enschel konnt e sei ne
Auft ra ggeb er unm ögl i ch daz u
bri ngen, ei nen A uft ra g s ki l l er
auf
ei ne
Zehnj ähri ge
l osz ul a s sen. Er konnt e auch
ni cht
ei nfach
zu
i hnen
hi nüberfahr en,
um
sei n
Anl i egen z u begr ünden. W as
bl i eb i hm al so übrig? Er m usst e
di ch beschäft i gen, durft e di r
kei ne Lu ft z um At men l a s sen. In
di esem F al l e h al f i hm , dass du
dei nen P apa so s e hr gel i ebt
hast .
Vi e l l ei cht
war
Ol af
Marquart de r W ahrhei t schon
recht
nahe
gekom m en:
Vi el l ei cht
hat t e
Henschel
t at sächl i ch
da rauf
ab gez i el t ,
di ch
in
den
W ahnsi nn,
wom ö gl i ch
so gar
in
den
S el bst m ord z u t reiben - i m m er
unt er
dem
Deck m ant el
der
Fürsor ge."
Frauk e st a rt et e d en Mot or,
fuhr dann ab er doc h ni cht l os ,
wei l i hr noch et was ei nfi el .
"Könnt e
Hensch el
vom
Versuch dei n es P apas, di r ei ne
Bot schaft z u hi nt erl assen, et was
ge wusst h aben? "
" Zum i ndest ahnt e e r et was i n
di eser R i cht ung. "
"Da rum al so verhi ndert e er
di e Adopt i on durch dei ne Tant e
und st eckt e di ch al s verwöhnt es
Ei nz el ki nd i n ei n Hei m . Da rum
veranl asst e
er
den
Therapi e a bbruch, al s dei ne ers t e
P s ychol o gi n
di ch
an
ei ne
P fl ege fam i l i e verm i t t el n wol l t e.
Auf den P u nkert r i p bi st du
al l erdi ngs
a l l ei n
gekom m en.
Oder? "
"J a. Das war m ei ne ei gene
Id ee. Abe r Hensc hel m erkt e
215
s o fort , dass i ch i hm dam i t ei nen
Vorwand l i ef ert e, m i ch i n der
P s ychi at ri e z u en t sorgen. E r
befahl
Lam pr ec ht ,
m i ch
ge währ en z u l asse n. Di e Zei t
der l an gen Lei n e. Dann schl u g
er z u. Er hat S ör ens El t ern bei
s ei nem B esuch wa hrschei nl i ch
ni cht
wohl wol l end
ber at en ,
s ondern erp resst ."
"Vor ku rz em hast du di e
Kl i ni k noch vert ei di gt . S i ehst
du di e Ä rz t e j et z t i m m er noch
al s dei ne F reunde a n? "
"Das
war en
weder
Unm en s chen no ch Idi ot en. Di e
haben
mit
de n
dam al s
anerkannt en M et hod en i hren J ob
erl edi gt .
Im
Frühj ahr
z wei un d acht z i g
st and
m ei ne
Ent l as s ung
kurz
bevor,
ob
Hens chel das nun pas s t e oder
ni cht . Darum hat e r di e Kart e
m i t der Au s r ei se au s dem Ärm el
gez o gen. Di e Ini t i at i ve der
Zi t t l au ers kam i hm ge ra de r echt .
Vi el l ei cht si nd di e bei den vom
BND überh aupt ers t angest i ft et
worden. W er w ei ß? "
Frauk es Ged anken schwei ft en
wi eder ab. Fü r ei n paar J ahre
wus s t e Hensch el sei ne Ge gne ri n
i n s i cherer Di st anz j ensei t s des
Ei s ernen Vorhan gs. W i e m ocht e
er s i ch fü h l en, s ei t es di esen
ni cht m ehr gab? Konnt e er noch
ruhi g s chl a fen? Oder re chnet e
er t ä gl i ch dam i t , da ss ei ne j unge
Frau
mit
fr em dl ändi schem
Aus s ehen
an
sei ner
Tü r
kl i ngel t e und i hn gl ei ch nac h
dem Öffn en m i t ei n em schnel l en
S t i ch
m i t t en
i ns
Herz
ni eders t re ck t e? Er wusst e, dass
s i e da draußen i r gend wo fr ei
herum l i ef.
Er
wus s t e
wahrs ch ei nl i ch ni c ht , dass si e
i hre
Ei nst el l ung
z ur
W el t
grun d l e gend ge ände rt hat t e.
W ei l Frauk e sah, da ss i hr (von
außen
schwer
nachvol l z i ehb ares)
Zö ge rn
j em anden i rri t i ert e , st i eß si e
endl i ch
aus
der
P arkl ücke
heraus.
"J et z t fahren wi r z u m ei nen
El t ern. Du m usst unbedi ngt
m i t kom m en. S i e werden si ch
freuen. "
"S i e we rden ei ne n S chock
kri egen. "
"Ach was ! Mei n e Mut t er
ach t et not ged run gen sowi eso
ni cht auf Ä uße rl i ch kei t en."
S i e bog au f di e H aupt st raße
ei n.
"Hab e i ch di r ei gent l i ch schon
erz ähl t , dass i ch auch ei nm al
ei nen Aut ounfal l ha t t e? Bei m i r
l ag 's eb enfal l s an d en Br e m sen.
Zum Gl ück gi n g 's gl i m pfl i ch
aus."
" Ist d as Aut o auf t echni sche
Mängel unt ersucht worden? "
"Ni cht wi rkl i ch. Nach d em ,
was du m i r eben erz ähl t hast ,
fäl l t es m i r schwer, noch an
ei nen Zufal l z u gl auben. Das
pas si ert e 1991 unm i t t e l bar nach
m ei nem B esuch b ei Hensch el i n
Ham bur g. "
"Tat sä chl i ch? "
"Da l a gen kei ne z wei W ochen
daz wi schen.
Jet z t
im
Nachh i nei n wi rd m i r ganz fl a u
i m M agen. Dam al s war i ch z u
nai v, um an ei ne r ea l e Gef ahr z u
gl aub en."
"W i e bi st du üb er haupt auf
Henschel gekom m en ? Hat t est du
vorher s chon ei nm al Kont akt
m i t i hm ."
"Nei n,
i ch
ka nnt e
i hn
überhaupt ni cht . ... "
216
59
F
rauke
h at t e
si ch
drei
wei t ere
W äl z er
über
Verschl üssel un g s t e c hni ken
aus der Lei hbü ch erei g ehol t .
Doch nun, da si e al s S t apel vor
i hr auf dem S chrei bt i sch l agen,
v ers pürt e si e kaum noch Lust ,
s i ch wi rkl i ch i n si e z u ve rt i efen.
S i e ahnt e, dass si e ei nm al m ehr
z war
ei ne
Me nge
Neu es
erfah ren, j e do ch bei i hrem
ei gent l i chen
R ät s el
kei nen
S chri t t we i t erkom m en würd e. Es
wurde Zei t für d i e Ei nsi cht ,
aberm al s i n ei ne r S a ckgasse fest
z u s t ecken - so bi t ter di es auch
s ei n m ocht e.
S i e schob den S t apel von si ch
und
überl e gt e,
wel che
M ögl i c hkei t en i hr noch of fen
s t anden. Vi el kam i hr ni cht i n
den S i nn. Di e G eda nken kehrt en
i m m er wi eder z urü ck z u ei ner
Id ee, di e si ch l ei der ni cht
real i si eren
l i eß:
Draupadi
f r agen . P l öt zl i ch aber fi el i hr
doch noch et w as ei n. Vi el l ei cht
war Her r S chm i t t m i t ei nem
s ei ner Arb ei t skol l egen näh er
bekannt
gewes en.
Vi el l ei cht
hat t e er si ch ei nem Freund
ebenso anve rt r aut wi e sei ner
Tocht er. J e l änger si e darüber
nachda cht e,
des t o
m ehr
begei st ert e si e si ch für den
n euen Ansat z . Zw ar l öst e si e
R ät s el l i eber vom S chrei bt i sch
aus , doch t r a ut e
si e si ch
durchaus auch z u, an di e
ent s prech enden
Leut e
heranz ukom m en. Di e S t asi war
kei n ex kl usi ver Kl ub m ehr.
Dass si e t rot z dem e i nen re cht
s t ei ni gen W e g geh e n m usst e, l ag
d aran, dass si ch di e Medi en m i t
Mel dungen
übe r
subt i l e
Gräue l t at en der frü heren DDR Gehei m pol i z ei
ge gens ei t i g
übert rum pft en und dass darum
di ej eni gen,
di e
daz ugehört
hat t en,
kei nen
W ert
auf
Öffent l i chkei t
l e gt en.
D er
ent fessel t e
Vol k s z orn
unt erschi ed ni cht zwi schen dem
verant wort l i ch en Offi z i er und
dem kl ei nen Akt e nt räger. Nu r
m i t vi el Beharrl i ch kei t g el an gt e
Frauk e
schl i eßl i c h
an
di e
Adresse ei nes g e wi ssen Ti m o
S t ei del er. Der w ar i n den
si ebz i ger J ahren der ei nz i ge
Arbei t skol l ege
ge wesen,
de r
Herrn S chm i t t gel e gen t l i ch auch
i n sei nem Haus am R ei swe g
besucht hat t e.
W ährend di e neue Ze i t auf den
S t raßen und P l ät z en abrupt und
t ot al
herei n geb ro chen
w ar,
wi rkt en
vi el e
Ost berl i ner
W o hnungen
An fan g
der
Neunz i ger
noch
wei t gehend
unberührt d avon. Di e m ei st en
Menschen b es aßen genü gend
Vernunft , si ch ni ch t auf P um p
kom pl et t neu ei nz uri cht en. Da s
Mobi l i ar
wu rde
l edi gl i ch
er gänz t durch di e m odernen
el ekt roni schen G er ät e, di e nun
rei chl i ch und pr ei s wert z ur
Verf ü gun g st anden. Bei Her rn
S t ei del er
hat t e
Frau ke
al l erdi ngs d en Ei n d ruck, al s ob
das Fest hal t en am Al t en auch
ei n S t ück i nnere Ei nst el l ung
wi derspi e gel t e.
U nwi l l kürl i ch
hi el t si e Ausschau nach ei nem
Bi l d Eri ch Hone cke r s.
Di e
P hase
m i sst raui schen
Ab t ast ens dauert e ni cht l ange.
Frauk e fand di e ri c ht i gen W ort e
217
und Her r S t ei del e r wa r f roh,
wi eder ei nm al unb efan gen von
den al t en Zei t en reden z u
d ürfen. Er kocht e Kaffe e und
en t s chul di gt e si ch m ehrf ach,
darü ber hi n aus nur ei n paa r
ni cht m ehr ganz fr i sche K ekse
anbi et en z u können. Di e W end e
hat t e i hn i m Al t er von gen au
fünfun d s echz i g J ahren er ei l t .
Durch Fl ucht i n di e R ent e w ar en
i hm
ei ni ge
Kon fl i kt e
u nd
Dem üt i gun gen
erspa rt
gebl i eb en.
Er
m usst e
z war
R ent enkürz ungen
akz ept i eren
(St r af r ent e ), doch rei cht e, was
bl i eb, für i hn und sei ne F rau
al l em al . J edenfal l s sah er d as
s o. Das , worunt er er l i t t , war
der Unt er gan g des S o z i al ism us
an s i ch.
Ei ne S t unde l an g hört e Fra uke
i hm t apfer z u, w äh rend e r dem
Ver gan genen
nacht rau ert e.
Dafür war er i hr d ankbar. Al s
sie
i hm
dann
aber
d en
Devana gari -T ex t z ei gt e, konnt e
er nur b edau ernd d i e S chul t ern
hochz i ehen.
"Das i st ni cht s, w as unsere
dam al i ge
Arb ei t
bet ri fft ",
vers i chert e
er.
" Das
hän gt
verm ut l i ch m i t ei nem sei ner
Hobb ys z usam m en . Er hat t e
vi el e Int er e s sen. "
Um s i e ni cht ganz m i t l eeren
Händen
zu
verabschi ed en,
durchwühl t e
er
sei nen
Akt ens chrank, bi s e r weni gst ens
di e neue Adress e ei nes ande ren
Ex kol l egen fand.
"He rbert H ensch el kannt e den
Genos s en S chm i t t e benfal l s gut .
Der hat si ch üb ri ge ns schon i n
der W endez ei t i n den W e s t en
abges et z t . Na ch H am burg. Ic h
dacht e d am al s: D as i st doch
W ahns i nn. Di e werden i hn i n
S t ücke rei ßen. Aber von we gen !
W ährend hi er di e Hys t eri e t obt ,
kom m t er m i t sei nen Na chbar n
dort gut aus. Ich t el efoni er e
noch ab und z u m i t ihm ."
Da F rauk e z u di eser Zei t
arbei t sl os war, konn t e si e schon
i n der nä chst en W oche nach
Ham bur g rei sen. He rrn Hensch el
fi el es al l em An schei n nac h
l ei cht er,
si ch
mit
d en
Veränd erun gen
a nz ufreunden
oder z um i ndest ab z ufi nden. In
sei nem Haus de ut et e ni cht s auf
sei ne He rkunft hi n. Er hi el t si ch
auch ni cht m i t Li t anei en übe r
di e
gut en
S ei t en
des
S oz i al i sm us auf. Nach ei n paar
Höfl i chkei t sfl o s kel n fra gt e er
di rekt nach i hrem A nl i egen. D as
bracht e
i hm
bei
i hr
S ym p at hi epunkt e e i n, denn es
kam i hrer W esensa rt ent g e gen.
Ebenfal l s
ohne
Um schwei f e
hol t e si e den fr a gl i chen Tex t
heraus und e rkl ärt e daz u:
"W ahrsch ei nl i ch i st das ni cht s
Di enst l i ches. W enn S i e aber
Herrn S chm i t t gut kann t en,
kö nnen
Sie
mir
vi el l ei cht
t rot z dem sagen, w as es d am i t
auf si ch hat . "
Henschel nahm di e Bl ät t er i n
di e Hand und bet racht et e si e
aufm er ksam .
"W i e
i st
das
zu
Ihn en
gel an gt ? "
"Das l a g i n ei nem Bu ch von
Herrn S chm i t t hi nt en dri n."
"Das war ni cht ganz m ei n e
Fra ge. Hat Her r S chm i t t Ihn en
j enes Bu ch gesch en kt? "
"Nei n. ... Äh. ... Es st am m t
aus dem N achl ass. Der H ausrat
der S chm i t t s i st doch verkau ft
worden und ... "
"Ah j a! V erst eh e. B ücher kann
m an
ni rgends
so
günst i g
218
erwe rben
wi e
bei
Haushal t saufl ösu n ge n.
Da
werden
m anchm al
wa hr e
Kos t ba rkei t en z u l ächerl i ch en
P rei sen ve rhökert . Man m uss
nur Gl ück haben - und si ch
aus kennen. "
Frauk e at m et e au f. Da wär e
s i e bei nahe doch noch d es
Di ebst ahl s überfüh rt worden.
" In ei nem der dort verkauft en
Büche r l a gen di ese Zet t e l al so
dri n? "
"J a. In de r Bhaga vad Gi t a .
Das i st ..."
"... ei n al t er Tex t a us Indi en.
Ic h w ei ß. D er Kl assi ker d es
Hi ndui s m us schl echt hi n. W aren
S i e für sol ch ei n schwi eri ges
phi l osophi sches
Buch
ni cht
noch ei n bi sschen j u ng dam al s? "
"Na
j a.
Es
gefi el
mir
i rgen d wi e. "
Er l ächel t e wohl w ol l end und
l egt e di e Zet t el vor si ch auf den
Ti s ch.
"Tj a, w as di es hi er bet ri fft ...
al s o i ch beh errs c he n at ürl i ch
kei n S anskri t . Vi el l ei cht hat
Herr S chm i t t das ei nfach nu r
ab geschri eben. "
"Das dacht e i ch au ch z uerst .
Ic h
habe
ab er
kei ne
Überei n s t i m m ung gefunden, i m
ganz en Buch ni cht . "
"S i e si nd wohl ei n sehr
grün dl i ch er Mens ch ? "
"W enn i ch ei n R ät sel vor m i r
s ehe, wi l l i ch es au c h l ösen."
"Ei ne gut e Ei gens c haft . Leut e
wi e S i e brauch en ke i ne Angst z u
haben vor dem n eue n S yst em ."
"Gl aub en S i e das wi rkl i ch? "
"Das sa ge i ch Ihn e n, obwohl
i ch früh er ganz an ders da cht e.
W ol l t en S i e das Buch nur we ge n
des schönen Ei nba nds besi t z en
oder haben S i e si ch schon
dam al s
für
f er ne
Länd er
i nt ere s si ert ? "
" Ic h bi n gar ni cht rei sl ust i g.
Von Indi en u nd Hi ndui sm us
verst ehe i ch bi s heut e ni cht
vi el ."
" Im Unt ers chi ed z u Herrn
S chm i t t . Kannt en Si e ei gent l i ch
auch se i ne To cht er? "
"Dr aupadi ? J a. S ie gi n g i n
m ei ne Kl asse. "
"Al so gut : W as sol l i ch für
S i e t un? Im Au ge nbl i ck kann
i ch l ei der ni cht hel fen. W enn
S i e m i r di e Zet t el für ei ne
W ei l e überl assen, fra ge i ch
ei nen P rofessor, den i ch z ufäl l i g
kenne. D er i st wi e kaum ei n
and ere r vert r aut m i t al t i ndi scher
Kul t ur. S ei en S i e n ur am End e
ni cht
ent t äuscht !
S i cherl i ch
haben
wi r
hi er
kei ne
W egbesch rei bun g
zu
ei nem
ver gr ab enen S chat z vor uns .
S chauen S i e! Das si eht doch
sehr na ch Doppe l versen aus !
Ni cht wahr? "
" Ic h wü rde m i ch fr e uen, wenn
S i e herausfi nden, was das i s t .
Aus
dem
A l t er
de r
S chat z ka rt ensuche bi n i ch raus .
Ic h wi l l d as hi e r endl i ch m al
abschl i eßen. "
Anschl i eßend red et e n si e noch
rund ei ne hal be S t unde l ang
l ocker
übe r
verschi ed ene
Them en.
He rr
Henschel
i nt eressi ert e si ch v or al l em für
Frauk es Zei t an de r Hum bol dt Uni versi t ät .
"Na ch m ei ner Üb erz eugun g i s t
Mat hem at i k
das
schwe rst e
S t udi um
überha upt .
Abst rak t i on s verm ö gen
auf
di esem hohen N i veau gehö rt
ni cht
zu
den
ang eboren en
Fähi gkei t en.
Das
i st
pure
gei st i ge Lei st ung. Mat h em at i ker
219
kann m an prakt i sch überal l
ei ns et z en.
W enn
in
den
C hefet a gen m ehr von i hnen
s äßen, wü rde i n de r W i rt schaft
m anches bess er l a uf en ."
Zehn T a ge spät er bekam si e
P os t von i hm . In ei nem sachl i ch
kurz gehal t enen, a ber durchaus
freundl i chen Bri ef t ei l t e er i hr
m i t , das s es si ch b ei dem Tex t
um
Verse
aus
dem
Epos
R am a ya na
han dl e.
Di e
Übers e t z ungs bü ros hät t en si ch
gei r rt . Di e Le ut e d ort sei en au f
l ebende S prach en spez i al i si ert
und t ät en si ch m i t kl assi schem
S ans kri t oft schw e r. Um si ch
kei ne Bl öße z u ge ben, würden
sie
das
al l e rdi n gs
ni em al s
ei nges t ehen. Dann fol gt en fünf
com put er gedru ckt e S ei t en m i t
Vers en - F ra gm ent e der T at en
ei nes A ff en gene ral s auf der
Ins el Lanka.
Frauk e
hat t e
zu
di eser
Übers et z ung von An fan g an ei n e
am bi val ent e Hal t un g. Ei ners ei t s
gab es für si e kei nen rat i onal
fassbar en
Gru nd,
di e
Ex pert e n m ei nung
ei nes
P rofessors
für
Indol o gi e
anz uz wei fel n, auch wenn si e i hn
persönl i ch ni e kennen l ernt e.
Andere rsei t s b e gri f f si e ni cht ,
warum H err S chm i t t si ch der
Mühe unt erz ogen h aben sol l t e,
ausgere chnet
di es e P assa gen
fei nsäuberl i ch abz um al en. Nach
i hrem
Ei ndruck
hat t en
si e
ni cht s, aber auch gar ni cht s z u
t un m i t se i nem Le ben - sowei t
si e
das
e i nz uschät z en
verm ocht e. Di e u nt erb ewusst en
Zw ei fel w are n am Ende wohl
schul d daran, dass si e di e fünf
Zet t el ni cht m i t i n den O rdne r
heft et e, i r gendwa nn verl e gt e
und sel bst bei i hrem Um z ug
nach D arm st adt n i cht wi eder
fand.
60
D
raupadi s
B ehau p t ung,
Frauk es El t ern w ürden
bei
i hrem
Anbl i ck
wo m ögl i ch
ei ne n
S chock
beko m m en,
wa r
m i nde s t ens
m aßl os übert ri eben. S i e wusst e
das n at ürl i ch und m ei nt e es
ni cht wi rkl i ch ernst . Al l ei n
s chon, um i m Seni ore n hei m
ni cht ga r z u sehr aufz ufal l en,
hat t e s i e auf di e m ei st en i hrer
P unkaccesso i r es
verz i cht et .
Gebl i eben war nur der gi ft grün e
Zopf, wi e i m m er so auf gest e ckt ,
al s würde si ch ei ne Mam ba um
i h ren Kopf wi nden.
Al l erdi ngs ahnt e Fr auke ni cht ,
dass si ch an di ese m Tag Lut z
und Ludm i l l a bei den El t ern
z um Kaffeet ri nk en ei ngefunden
hat t en. Al s si e am spät en
Nachm i t t a g z usam m en m i t i hrer
al t en und neuen Freundi n i n
Bei e r s dorf ei nt ra f, war en di e
bei den ei gent l i ch schon i m
Be gri f f, si ch z u ve rabschi ed en.
Di e ne uen Gäst e a ber ändert en
sel bs t verst ändl i ch i hren S i nn.
An st at t den übri g gebl i eb enen
Kuchen i n d en Kü hl schrank z u
st el l en
und
da s
Geschi rr
220
abz uräum en, hol t en di e El t ern
z wei wei t ere G edec ke.
In der erst en hal b en S t unde
wurde
Dr aupa di
fast
aus s chl i e ßl i ch
vo n
Fr aukes
M ut t er i n An s pruch genom m en.
Zw ei un dz wanz i g J ahre w aren
aufz ua rbei t en:
Kei ne
Kl ei ni gkei t - vor al l em für
j em anden, de r si c h ni cht sat t
hören kann an G esc hi cht en über
m enschl i che S chi ck sal e und der
s i ch d abei z udem für j ede
Ei nz el hei t i nt e ressi ert . Dann
aber fo rdert en auch di e ander en
i hre R ec h t e ei n. F rau ke Vat e r
wol l t e wi s sen, w as si e von der
kapi t al i st i schen
Ges el l schaft so rdnun g
hal t e.
(Ei ne Fra ge, di e si e, ohn e
h euchel n z u m üssen, ganz i m
S i nne
sei ner
Erwart un g
bean t wort en
kon nt e.)
Lut z
erkundi gt e si ch, wi e es i h r
berufl i ch er ga n gen sei . (Ei ne
Fra ge,
d e ren
um fa s send e
Erört erun g den R est des Ab ends
aus gefül l t hät t e, so dass si e si ch
auf ei ne ehe r va ge Au s kunft
bes chränkt e.)
Al l e drei war en s i ch ei ni g,
das s Draupadi si c h z war al s
P ers önl i c h kei t wei t erent wi ck el t
habe,
dass
j edoch
i hre
W es en s art
unveränd ert
gebl i eb en sei . S i e erkannt en i n
i hr (grün er Zopf hi n oder her)
i m m er noch d as e i fri ge, st et s
vorbi l dl i che Mä dchen von ei nst .
Ir gendw ann
wi r kt e
di ese
Ei ns t el l ung auf Dra upadi sel bst
z urück. W as si e ge rade erl ebt e,
l ag ni cht w ei t we g v on dem , was
s i e aus dem Haus am R ei swe g
kannt e. W e hm ut erfasst e si e,
aber auch V erwun derun g. S i e
war i m Gei st e pl öt z l i ch wi eder
di e
Must erschül eri n
mit
schneew e i ßer P i oni erbl use und
rot em Hal st uch, a uffäl l i g un d
doch an gep asst . S i e erkannt e i n
si ch ei ne Men ge v on dem , was
i hre F ans wohl ver ächt l i ch al s
übl es S pi eßert um ab t un würden.
Ir ri t i ert
vom
Zopf
war
al l enfal l s Ludm i l l a, der di e
Assoz i at i onen
aus
den
S i ebz i gern feh l t en. S i e hat t e
dabei kei neswe gs das Gefühl ,
dass Draupadi ni cht i n di e
R unde
hi nei npa sse.
Im
Ge gent ei l . S i e m us st e (m i t
ei nem gewi ssen Un beha gen) an
i hre Tocht er Ni na denken. Di e
hat t e si ch für den Nachm i t t ag
ent schul di gen l ass e n: angebl i ch
um si ch m i t Kom mi l i t onen auf
ei ne
P rüfun g
v orz uberei t en,
verm ut l i ch aber ei ner P art y
we gen (m i t w em au ch i m m er s i e
di e z u fei e rn ged ach t e).
"W as
haben
J ugendl i ch e
ei gent l i ch davon, wenn s i e
ungep fl e gt
und
z erl um pt
heru m l aufen und di e Leut e
anp ö bel n? ", pl at z te si e na ch
l äng erem Zö gern h e raus. "Di es e
P unkm usi k i st für m i ch ni cht s
al s Lärm . Ic h wü rd e es i n sol ch
ei nem
Konz ert
kei ne
fünf
Mi n ut en au s hal t en. " Kaum hat t e
si e
das
al l erdi ngs
ausgesproch en, da erschi en es
i hr z i em l i ch u nhöfl i ch und s i e
versucht e, di e Au ssage noch
abz um i l dern. " Ihr e Musi k i s t
s i cherl i ch ni cht s o chaot i sch.
Sie
si nd
ei n
i nt el l i gent er
Mensch und ..."
Draupadi war w ei t davon
en t fernt , et was übel z u nehm en.
S i e am üsi ert e si ch e her.
"Ei n bi sschen z u l aut wäre
Ihn en
m ei ne
Mus i k
wahrsch ei n l i ch
schon ",
ant wort et e si e l ac hend. "Ab er
221
chaot i s ch würd e i c h si e ni cht
nennen. D as i st auch k ei n
s i nnl os er Lärm . Me i ne Tex t e
s i nd deut sch und i ch wi l l im m er
et was z um Ausdruck bri ngen
m i t i hnen. Ob die j ewei l i ge
Aus s age dann j ed em g ef äl l t ,
s t eht wi eder auf ei nem a nderen
Bl at t ."
"F rüher da cht e i ch, dass P unk
nur et was fü r Ent wurz el t e aus
s chl ec h t en Fam i l i e n i st . Aber
s el t s am erwei se
i nt eressi eren
s i ch dafür au ch Ki nder, denen
es an ni cht s fehl t . Ic h verst eh e
das ni cht ."
" Ic h
gl aube,
das s
unsere
Ges el l s chaft z u w eni g Id eal e
v erm i t t el t .
Das
Leben
heut z ut age
i st
m at eri el l ,
funkt i onal , woh l ge ordnet , al so
l angw ei l i g. Von ei n em gewi ssen
Al t er an gi bt m an si ch dam i t
z ufri eden. Für ei nen j unge n
M ens chen ab er i st sol ch ei n
Trot t kei ne P erspekt i ve."
" Ic h würd e das ni ch t al s Trot t
bez ei chnen ", prot es t i ert e Lut z .
"Di e A rbei t i n der Fi rm a i st
z u m i ndes t für m i ch al l es ander e
al s l angw ei l i g. Der Dru ck wi rd
i m m er größ er. "
"Di e
J ugendl i che n
wol l en
ni cht ei n P roj ekt ret t en , sondern
di e W el t oder we ni gst ens das
Land. "
"Ei n bi sschen vi el . Oder? "
"Kl a r. Aber das i st i hre
S i cht ."
"Und d afür f ärben si e si ch
i h re Haa re bunt , t un überhaupt
ni cht s Nüt z l i ches m e hr und
hängen z ugeki fft i n den Ecken
rum? S chönen Dank !"
"S o s i nd ni cht al l e. Ic h denk e,
das s vi el e von i hn en uns Äl t eren
ei nen S pi egel vor hal t en. S i e
z ei gen uns, was u ns verl oren
ge gan gen i st . "
"Das
könnt e
v on
Ni na
st am m en. Ich m öcht e ni cht
erl eben, dass si e ei nes Ta ges
m i t ei nem Hundehal sband vor
m i r au ft aucht . "
"Di e Kl ei dun g und das ganz e
Drum herum
si nd
doch
unwi c ht i g. Mei n Zopf z um
Bei spi el
i st
nur
ei n
Zu gest ändni s an m ei ne F ans.
W enn i ch i hn wegl assen würde,
hät t e i ch i m m er noch di esel be
Leb ensei nst e l l un g."
Frauk e f and di e Di skussi on
äußerst spannend. Lei der konnt e
si e
si ch
kaum
darauf
konz en t ri eren, wei l si e i m m er
noch ni cht wusst e, was d er
verschl ü s sel t e Tex t von Herrn
S chm i t t i m Kern bei nhal t et e.
Der
Hi n w ei s
a uf
Herb ert
Henschel und s ei ne R ol l e al s
Doppel a gent war m i t S i cherhei t
ni cht al l es. Das ha t t e Draupadi
soga r schon an ged e u t et - und si e
dann auf d en Aben d vert röst et .
Ge gen a cht z ehn Uh r verl or si e
di e G edul d.
"Denkst
du
an
unsere
Vera b redun g? ", l og si e. "W i r
m üssen doch sp ä t est ens um
si eben
am
Ba hnhof
Fri edri chst raße s ei n."
" Ihr
bl ei bt
ni cht
z um
Aben d essen? "
P ure
Ent t äuschung.
Draupadi i ndes nah m den B al l
auf.
"Oh. Tat sä chl i ch. W i e konnt e
i ch das ver gessen ? Ich wi l l
Frauk e
ei nen
i nt eressant en
S änge r vorst el l en. Er hat nur
heut e Zei t und fl i egt dan n
wei t er na ch London. "
"Es t ut m i r Lei d ." W i eder
Frauk e. "Heut e pass t es wi rkl i ch
222
s chl echt . W i e si eht es bei euch
m orgen aus? "
Sie
bl i ckt e
zu
Draup adi
hi n ü ber. Di e ni ckt e kurz .
"Mor gen
m üsse n
wi r
ni rgen d wohi n."
Frauk es
El t ern
waren
ei nverst anden.
Lut z
und
Ludm i l l a
ha t t e
schon
ei ne
andere V erab r edun g, doch das
sol l t e kei n Kr i t eri um sei n.
"Al so
gut .
Da nn:
Bi s
m o rgen ! "
" Bi s m orgen! "
61
F
rauke und Draup adi l i eßen
das Aut o i n Bei ersdorf
st ehen und fuhr en m i t der
S -Bahn z unächst ohne ei nen
bes onderen P l an i ns Berl i ner
Zen t rum . S i e schl endert en ei ne
W ei l e durch di e Fri edri chst raß e
und
st aunt en,
mit
wel ch
ras ant em
Tem po
dort
di e
P racht baut en
in
di e
Höh e
s chossen.
Um
si e
h erum
s t röm t en Touri st en aus a l l er
Herr en Lände r. De ut sch hö rt en
s i e kaum j em anden spr echen.
"Ei ne i de al e Um ge bung, um
über G ehei m ni sse z u reden ",
bem erkt e D raupadi l akoni sch.
"Na j a. Ich w ei ß j a ni cht ...
Aber wi r sol l t en uns j et z t
t at s ächl i ch bal d m al ei n ruhi ges
P l ät z chen suchen. Du hast es
s pannend genu g gem acht . Di e
erbl ühende H aupt st adt könn en
wi r
danach
i m m er
noch
bewu ndern. "
"Ei nverst an den! Las s uns daz u
ei n S t ück na ch K r euz berg r ei n
fahren ! Hi er b ez a hl t m an für
ei ne C ol a sovi el wi e a ndersw o
für ei n Dr ei -Gän ge - Menü."
Zi el si ch er st eu ert e Draup adi
ei n R est aurant an, das si e
k ü rz l i ch
durch
i hr e
neu en
Freund e kenn en gel e rnt hat t e.
"De r Inhab er i st Türke, aber
auf der Kart e st ehen auch al l e
gän gi gen Ge ri cht e ", erkl ärt e si e.
Di e Ei nri cht ung s chuf ei ne
beha gl i che At m osp häre. Zw ei
abget ei l t e Ber ei che m i t kl ei nen
Ti schen
für
j ewei l s
z wei
P ers onen war en ve rm ut l i ch für
verl i ebt e P är chen ei ngepl ant ,
ei gn et en si ch j edoch auch für
vert raul i ch e
Mi t t ei l ungen.
Abges ehen d avon, hat t en si ch
außer i hnen erst ge rade ei nm al
z wei Gäst e ei n gefun den.
"W enn wi r ri cht i ge W ände um
uns herum hät t en, wäre m i r das
l i eber", sa gt e Fr au ke, wäh rend
si e
den
Bl i ck
m i sst raui sch
um herschwe i fen l i e ß.
" Bl ei b l ocker ! Das i st al l es
S chnee
von
ges t ern.
W en
i nt eressi ert das heut e noch? "
"Da fi el en m i r schon ei n paar
Leut e ei n. "
"S ei 's drum ! Ic h gehe davon
aus, di e si nd al l e ni cht hi er."
S i e best el l t en und nachd em
i hr Essen gebr acht worden w ar,
gab Dra upadi endl i c h i hre neu en
Erkennt ni sse prei s - m i t l ei cht
ged äm pft er S t i m m e , al l erdi ngs
kei neswe gs i n Ve rsc hwörerpos e.
"Es be gab si ch z u ei ner Zei t ,
da es di e D DR und das s o
223
gen annt e
s oz i al i st i sche
W el t s ys t em no ch ga b, daz u den
Kal t en Kri e g i n Europa, den
S t el l ver t ret erkri e g
in
der
Dri t t en W el t sowi e den Kri e g
der
S t ern e
j e n sei t s
der
S t rat os phäre. Du er i nnerst di ch
vi el l ei cht ."
"S chwa ch. "
"Dam al s al so gesc hah es (so
darf m an z um i ndest annehm en) ,
das s i rgend wo i n den Ti efen der
Verei ni gt en
S t a at en
von
Am eri ka
ei n
paar
M i l i t ärs t rat egen und ei n paar
P s ychol o gen
zu
ei nem
unge wöhnl i chen S c hul t erschl uss
fanden. Bei d en t rad i t i onel l en
M et hoden,
den
Ge gner
zu
v erni cht en,
best and
das
beunruh i gende R i si ko , auch den
R es t u n s eres s chön en P l an et en
pl at t z u m achen. Das hat t e z ur
Erfi ndun g
der
Ent spannung
ge führt . S chl ussak t e Hel si nki
und s o. Mi t ander en W o rt en: Es
waren k reat i ve Id een ge fra gt .
Und s i ehe da: Man geba r
t at s äc h l i ch ei ne Id ee und gab
i hr den N am en cont act l ess w ar ."
Draupadi aß ei n p aar Lö ffel
von i hrem Gem üse ei nt opf und
t rank
ei nen
t i ef en
S chl uck
M i neral wasse r.
" Berüh run gsl oser Kri e g. S o
wi ders prüchl i ch wi e der Nam e
wi rkt auf den erst e n Bl i ck di e
ganz e
Id ee.
Aber
in
W i rkl i c h kei t i st sie vi el l ei cht
s oga r g eni al . Mi ch eri nnert der
Ans at z an Homöopa t hi e . Kennst
du di es es P ri nz i p? Ähnl i ches mi t
Ähn l i chem
behan del n .
Di e
P s ych o l o gen
haben
heraus ge funden,
dass
m an
j em anden von ei nem best i m m t en
Gedanken
am
eff e k t i vst en
dadurch üb erz eu gen kann, dass
m an i hm das gena ue Ge gent ei l
davon i n ei ner au fdri ngl i chen ,
m aßl os
überz og e nen
W ei se
em pfi ehl t . Der Me nsch besi t z t
ei ne
i nst i nkt i ve
Abnei gun g
dage gen, et was a u fgez wungen
z u beko m m en. Er fühl t si ch
dann i n di e En ge g et ri eben un d
rea gi e rt kl ei nhi r ngest euert m i t
Abwe hrv erhal t en. "
" Ic h wei ß von k ei ne r S endung
i m W est fernsehen, i n der di e
DDR g el obt wurde, geschwei ge
denn i n aufdri n gl i ch er W e i se."
"S el bst verst ändl i ch l i eß si ch
das
nur
von
i nnen
her
bewer k st el l i gen. M an brau cht e
ei n
Agent ennet z .
Al l erdi ngs
hat t en di ese U nt er grundkäm pfer
ge g enüber i hren K ol l egen von
der kl assi schen T ruppe ei ne n
Vo rt ei l : S i e war en unauff äl l i g
und konnt en si ch not fal l s auf
di e Idi ot ent our z urückz i ehen.
(Ich
hab' s
doch
nur
gut
gemei nt .) J et z t kom m t m ei n
P apa i ns S pi el . Ih m gel an g es,
ei n
G eh ei m pa pi er
zu
ent schl ü s sel n.
Er
wusst e
prakt i sch über das g es am t e
P rogr am m B es chei d und kannt e
di e Top - Le vel - Leut e, al so di e
Or gani sat ore n vor O rt ."
"Ei ner d avon wa r Herbe rt
Henschel , ne hm e i c h an."
"R i cht i g. Mei n P ap a hi el t für
ei nen Mom ent di e passende
Keu l e i n d er Ha nd, um das
P rogr am m z u z erschl agen. Hät t e
das MfS näm l i ch z u di esem
Zei t punkt so d et ai l l i ert von de r
S ache gewusst , w ä re es l ei cht
m ögl i ch
gew esen,
ge ei gn et e
Ge genm aßn ahm en z u er grei f en.
Der T ri ck gel i n gt n ur, wenn d as
Opfer ni cht dam i t rechnet .
Lei d er hat P apa z u l ange
gez ö gert m i t sei nem Beri cht an
224
s ei ne Vor geset z t en. W i e i m m er
wol l t e er z u perf ekt sei n. Ob er
an dernf al l s
den
S oz i al i sm us
ge ret t et h ät t e, st e ht nat ürl i ch
auf ei nem and er en B l at t ."
Draupadi l öff el t e wei t er an
i h rem Ei nt opf und t ra nk ei nen
wei t eren
S chl uck
M i neral wa s se r.
"Das wa r schon fast al l es. Di e
Det ai l s hat P apa nu r an gede ut et .
Das
Fußvol k
sol l t e
di e
Bevöl k e run g r ebel l i sch m ach en,
di e
h öheren
C har gen
aus
M acht pos i t i onen h eraus durch
ü b erz ogen e R e akt i onen Öl i ns
Feue r gi eßen. D i e Bevö l ke run g
wi rd
i m m er
unz ufri edener,
während de r O b r i gkei t daz u
ni cht s
anderes
al s
Härt e
ei nfäl l t .
Das
perf ekt e
C haossz enari o. Al l erdi ngs e rst
ei nm al nur i n der Theori e. In
der R eal i t ät m usst e z u nächst das
Net z werk auf gebaut werden. Di e
P rofi s st anden vor der Auf gab e,
s i ch
in
S chl üssel st el l ungen
ei n z uschl ei chen.
Kei n
Ki n derspi el das al l es. W as aus
dem P l an l et z t l i ch ge worden i st
und ob er funkt i oni ert hat ,
ent z i eht si ch m ei ner Kenn t ni s.
Al s i ch noch i n der DDR l ebt e,
war i ch vor al l em m i t m i r sel ber
bes chäft i gt , und al s i ch i m
W es t en war, konn t e i ch erst
recht ni cht beu rt ei l en, was bei
euch so a b gi n g. "
"De r P l an i st real i siert worden
und er hat funkt i oni ert ."
"Das s a gst du i m B rust t on der
Überz eu gun g? "
"W ei l i ch es an der Uni
hau t nah m i t erl ebt ha be."
"An der Uni ? Ich kann m i r
ei gent l i ch kaum vor st el l en, dass
das
auch
bei
Akadem i kern
wi rkt ."
" In m ei ne r S em i nar grupp e war
ei ner, auf d essen V erhal t en das
S chem a hundert pro z ent i g pass t .
Nach d er W ende bi n i ch i hm
übri gens wi ed er b ege gnet . E r
hat m i r ei nen J ob v erscha fft , al s
i ch a rbei t sl os war. "
"Net t . "
"W i e m an 's ni m m t . Nach
al l em , was i ch j et z t wei ß, fra ge
i ch m i ch, was i ch von di eser
Fi rm a B IT C o. z u hal t en habe. "
" Inwi efe rn? "
"Vi el l ei cht i st di e C IA do rt
verdeckt
en ga gi ert .
Ei ne
Ei nri cht ung, um uns i chere Le u t e
unt er Kont rol l e z u behal t en. "
"Kl i n gt ei n bi ssc hen nach
S onnt agab endt hri l l er."
"Ax el Voss i st i nz wi schen t ot .
S el bst m ord, hei ßt es offi z i el l .
Aber so gar di e P ol i z ei z wei fel t
daran. Könnt e es s ei n, dass er
al s
unbequem
ge worden er
M i t wi sser
st erbe n
m usst e ?
W enn j a: W as bedeut et das für
uns bei de? W el che R ol l e spi el t
di eser U hl i g? "
"De r An wal t ? Vi el l ei cht geht 's
i hm t at sächl i ch nur um das
An sehen sei nes Ma ndant en. Du
sol l st
i hn
ni cht
durch
Int e rvi ewb ehaupt un gen
in
Verbi ndun g bri n ge n m i t ei ner
dubi osen S t asi gesc hi cht e, m i t
Gel d schwi eri gk ei t en
und
wom ögl i ch
no ch
mit
der
Frank furt er
P un k s z ene.
Der
J ournal i st , der bei di r war,
heckt doch et was i n di es er
R i cht ung aus. A rt i kel oder
Büche r über cont act l ess w ar
würden
h eut e
n i cht
m ehr
ei nschl a gen wi e e i ne Bom be.
Ei n e
neue
Verschwö run gst he o r i e,
m ehr
ni cht ."
225
"W arum
hat
V oss
mir
nach s pi oni ert ? W arum war e r so
v ers es s en dar auf, d e n Inhal t des
Tex t es z u erfahren? "
"Aus persönl i ch en Gründen.
Er
hat t e
vi el l e i cht
kei ne
Vors t el l ung vom t at sächl i chen
Inh al t ,
ahnt e
nur,
dass
co nt act l ess w ar ei ne R ol l e
s pi el t , und ve rm ut et e, dass
et was übe r i hn pe r sönl i ch dri n
s t eht . Nur ei ne H yp ot hese."
Frauk e (seu fz end):
"Ach, wenn du doch nur R echt
hät t es t m i t dei nen ei nfach en
Erkl ärun gen ! ... U nd wenn i ch
di r gl aub en könnt e! "
Bei de bl i eb en n och et wa ei ne
hal be S t unde l ang si t z en. Dann
bez ah l t en si e. Di rekt vor der
Gast st ät t e ver absc hi edet en si e
si ch vonei nander und gi n gen
get r ennt e
W e ge.
Draupadi
wol l t e t rot z spät er S t unde noch
bei ei nem ganz i n der Näh e
wo hnenden
Mus i kerkol l egen
vorbe i schau en.
Fr auke
fuhr
z urück z u i hren E l t ern nach
Bei e rsdorf.
62
E
s
war
Mont a gabend.
Frau k e
v erl i eß
di e
Aut obahn und pa ssi ert e
das Ort s schi l d von Dar m st adt .
P fi ngs t en l a g hi nt er i hr. S i e
hat t e den ges am t en S onnt ag
z us am m en m i t ihren El t ern
v erbra cht und i hne n dam i t ei ne
groß e Freud e b e re i t et . W i e
verabr edet , war D ra u padi am
s pät en Nachm i t t a g e rneut z u
Bes uch gekom m en und dann
auch üb er N acht ge bl i eben. Vor
ei ner rei chl i chen ha l ben S t unde
hat t e Frauk e di e Freu n di n i n
Frank furt vor de m Hoc hhaus
abges et z t .
Nun
wa r
si e
gl ei ch erm aß en
m üde
und
z ufri eden:
das
angenehm e
Gefühl ,
e i ne
schwi eri ge
Auf gabe
na ch
l anger
Zei t
endl i ch erl edi gt z u sehen. Doch
das Leb en bel eh rt e si e ei nm al
m ehr, dass m an ni e si cher sei n
kann, s i ch ni cht v i el l ei cht z u
früh z u freuen.
W ährend si e e i np arkt e, sah
si e, wi e der dunkel bl aue VW
Gol f di rekt ge ge nüber z um
S t ehen kam , kei ne fünf Met e r
en t fernt . De r Man n st i eg aus,
st euert e di rekt auf si e z u. W i e
dam al s
in
der
R ast st ät t e.
Draupadi s
Em pfe hl ungen
zu
di esem Them a waren ni cht
verfü gba r - gel a ge rt i n ei nem
anderen B er ei ch i h res G ehi rns.
Doch si e fi ndet di esm al auch
kei ne
Gel e genh ei t
z um
Davonl aufen . O bw ohl er si ch
ni cht beei l t , st eh t er schon
di rekt neben i hrem W agen, eh e
si e i hn verl a s sen kann. Aus den
Augenwi nkel n si eht si e, wi e er
m i t der recht e n Ha nd i n sei nen
Mant el grei ft . Gi bt es ei ne
C hance, über di e B ei fahr ersei t e
z u fl i ehen? Nei n. Es i st z u spät .
Er hat ei ne P i st ol e, wi rd sofo rt
abdr ücken - und a us so kurz er
Ent fe rnun g sei n
Zi el
ni cht
verfehl en. S ekunden z i ehen si ch
226
z u S t unden. Di e S pannun g wi r d
u n ert rä gl i ch.
"F rau B aum ann? Ich m öcht e
S i e bi t t en m i tz ukom m en. Es
wi rd ni cht l ange dauern, ei ne
S t u nde m ax i m al ."
N i emal s zu ei nem Angrei f er
i ns
Aut o
st ei ge n !
F rauke
eri nnert si ch an di e Ti pps aus
ei nem
P ol i z ei m agaz i n
im
Ferns ehen.
Gel i ng t es dem
An grei f er, sei n Opf er an ei nen
ei ns amen Ort zu f ahren, end et
das of t t ö dl i ch . Lei der e ri nnert
s i e si ch ni cht m ehr, was si e
s t at t dessen
t un
sol l .
Sie
um kl am m ert das Len k rad so
fes t , dass di e K nöchel wei ß
hervort ret en. Auf i hrer S t i rn
bi l den
si ch
kl ei ne
S chwei ßperl en.
"F rau B aum ann? Geht es
Ih n en ni cht gut ? Brauchen S i e
ei nen Arz t ? "
Frauk e w a gt e nun doch ei nen
Bl i ck z ur S ei t e. Der Mann hi el t
kei ne P i st ol e m i t Schal l däm pfe r
i n der Hand , so ndern ei nen
Di enst auswei s der P ol i z ei .
"Vi el l ei cht i st der Auswei s
ge fäl sc ht ", m urm el t e si e, m ehr
z u s i ch sel bst aber l aut genu g,
das s er es hö rt e.
Der Mann st ut z t e kurz und
brach dann i n ei n herz l i ches
La chen aus.
"Ach j a. Ic h eri n nere m i ch.
Der H aupt kom m i ssar sa gt e, d ass
S i e ge rn Tat o rt kr i m i s sehen.
M ei net we gen ! Ic h rufe übers
Hand y den Bos an. Augenbl i ck!
...
Haupt kom m i ssar
Traut e n be r g?
Eberl ei n
hi er.
Frau B a um ann gl au bt , dass i ch
sie
mit
ei nem
gefäl scht en
Aus wei s
t ä u sch en,
dann
ent führen
und
schl i eßl i ch
erm orden wi l l . Könnt en S i e si e
in
di eser
Hi n si cht
bi t t e
beruhi gen? "
"Ent s chul di gen S i e! ", sa gt e
Frauk e i ns Handy, das de r
P ol i zi st i hr rei cht e. " Ic h bi n ei n
bi s schen nervös i n l et z t er Zei t ."
Dann st i e g si e be re i t wi l l i g i n
den bl auen VW Gol f um .
"De r Haupt kom m i ssar wi l l m i t
Ihn en pri vat rede n", e rkl ärt e
Eberl ei n,
währ en d
er
der
Lan dst r aße von D a rm st adt we g
i n R i cht ung S üden fol gt e. "E r
besi t z t
in
Tal hei m
ei n
Häu schen. "
Das H äuschen gehört e z u
ei ner auf den erst en Bl i ck et was
sel t sam
anm ut enden
Ei genh ei m si edl ung.
J edes
Grundst ück w ar z u den S t raßen
und Zuf ahrt sw e gen hi n um geben
von ei ner gut z wei Met er hohen
Mauer.
O bwohl
schneewei ß
gest r i chen, eri nne rt e si e f at al an
i hre b erühm t -b erüc ht i gt e groß e
S chwest er i n Berl i n. Das gab
der
Haupt kom m i s sar
so gar
unum wunden
z u.
Doch
um
baul i che
Veränd erun g
vorz une hm en, scheu t e er sowohl
den Auf wand al s a uch den z u
erwa rt enden P api e r kri eg. Vom
Haus l ernt e F rau ke nur den
Korri dor
und
das
kl ei ne
Arbei t sz i m m er kennen. Von den
übri gen
Fam i l i e nm i t gl i edern
hört e si e ab und an e i nen Laut .
"Da rf i ch Ihnen e i ne Tass e
Kaff ee anbi et en? "
"J a." Zö ger nd und v ol l er
Mi sst rauen.
"S i e denken j et z t vi el l ei cht :
W as wi l l di eser Kerl denn nun
schon wi eder von m i r? Aber i ch
verspre che Ihn en: W enn S i e
di eses Haus v erl as sen, werd en
S i e ei ngesehen hab en, dass i ch
227
S i e noch ei nm al behel l i gen
mus s t e ... Möcht en S i e Mi l ch? "
"J a, gerne. "
"Nun denn ! W enn S i e ei ne
M i t arbei t eri n von m i r wären,
würde i ch an di es er S t el l e ei nen
Beri cht ford ern. Da S i e Ihr e
Nachfo rs chun gen
auf
ei gen e
Faus t an gest el l t hab en, kann i ch
S i e nur höfl i ch bi t t en, m i r Ih re
Ergebni s s e z u verr at en."
" Ic h
habe
kei ne
N achf o r s chungen an gest el l t ... "
"W i r s ol l t en uns ni cht um
Be gri f fe st r ei t en."
"... und i ch h abe auch k ei ne
Er gebni s se ."
"Doch, do ch. Hab en S i e."
"W oher wi ssen S i e das? "
"M an s i eht es Ihn en an. S i e
haben
in
Ber l i n
et was
heraus ge funden, d a s Ihn en sehr
wi cht i g w ar. An genau di esem
Erfol g
m öcht e
i ch
gern
t ei l haben,
wei l
i ch
davon
überz eugt bi n, da ss er m i ch
auch et was a n geht . Al so? "
Frauk e
fühl t e
si ch
unbeha gl i ch. Ih rer Ansi cht nach
gi n g di e Bo t sch aft von He rrn
S chm i t t al l ei n Draupadi et was
an. S chon si e sel ber hat t e si e
s i ch z u U nrecht angeei gnet .
Doch de r H aupt ko m m i ssar l i eß
i hr kei ne W ahl . Dass si e i n
s ei nem P r i vat haus s aß und ni cht
in
s ei nem
Büro
im
P ol i z ei präsi di um ber uhi gt e si e
i n di es er Hi nsi cht ke i neswe gs.
Al s o erz ähl t e si e m i t weni ge n
S ät z en, was si e (m i t Hi l fe i hrer
Freu ndi n)
au s
dem
vers chl üs sel t en Tex t ent nom m en
hat t e: über das C IA -P rogram m
cont act l ess
w ar ,
über
i hr e
p ers önl i chen
Verm ut un gen
hi ns i c h t l i ch der R oll e von Ax el
Vos s
dari n,
über
den
Morda nschl a g
im
S ept em ber
1976.
"Hab en S i e ei n en Ver d acht ,
wer di esen Ans c hl ag verübt
bez i ehungs w ei se
veranl asst
hat ? ",
erkundi gt e
si ch
Traut enbe r g m i t unübersehb a re r
S pannung.
"J a.
Ei n
ehem al i ger
S t asi off i z i er nam ens Herbe rt
Henschel . "
"Gen au das wol l t e i ch hören ",
sagt e er, b ei nahe t ri um phi erend.
"Mi r war wi cht i g, dass S i e den
Nam en von si ch aus ne n nen. "
" Ic h verst eh e ni cht ganz . "
"Das könn en S i e auch ni cht ,
wei l Ihnen ei n S t üc k Fi l m fehl t .
Auch
i ch
war
in
den
z urückl i egend en W ochen ni cht
unt ät i g, was di esen Fal l bet ri fft
- al l en W i derst änd e n z um Trot z .
Ic h m uss S i e al l er di ngs bi t t en,
über das, w as i ch Ihn en j et z t
anver t r aue, bi s a uf wei t e res
S t i l l schwei gen z u bewahr en. "
Frauk e ni ckt e.
"Di e Erm i t t l ungen si nd noch
ni cht
völ l i g
abges chl ossen.
Vert rau en ge gen Ve rt rauen. J a? "
"Al l es kl ar. "
"Gut . H err He nsc hel s t eht
un t er
Mordve rda cht .
W ohl
bem erkt : Ni cht we gen der S ache
von 1976 , sondern we gen ei n es
Todesfal l s j üngeren Dat um s. S i e
ahnen si cher schon, worauf i ch
anspi el e. Lei der rei chen di e
vorl i egenden Indi z i en für e i nen
Haft bef ehl noch ni cht aus. Ich
konnt e nac hwei se n, dass er
Herrn
Voss
in
sei ner
Darm st ä dt er W ohn ung am Ta g
sei nes Abl eben s b esucht hat .
Das räum t er i nz w i schen auch
sel ber ei n. Ei n Ab schi edsbri ef,
der
nach
ei n er
erst en
Überprü fun g al s e cht gal t , i st
228
nun
doch
al s
Fal s i fi kat
i dent i f i z i ert worden."
"W i e
kann
so
et was
pas s i eren? "
"Mi t
den
R out i neunt ersuchu n gen
l asse n
s i ch
pl umpe
Fäl schun gen
fes t s t el l en. In di es em Fal l war
ei n P rofi am W erk. Um sol chen
Leut en au f di e S chl i che z u
kom m en, braucht e s ei n rel at i v
t eures Ve rfah ren. "
"Ve rst ehe. "
"De r wi cht i gs t e B a ust ei n aber
i s t ei n Tagebuch, wori n Voss
di e Versuch e, sei ne prekä re
fi nanz i el l e La ge z u verbess ern,
ni eder ges chri eben hat - ni cht
s ehr ausfüh rl i ch, z um Tei l soga r
re gel r echt
kr ypt i sch,
doch
l et z t l i ch verwert ba r . Es l a g i n
ei nem Ve rst eck u nd i st von
s ei ner Frau durch ei nen Zuf al l
ent deckt wo rden. Ih r Anwal t h at
es dann an m i ch übe rgeben. "
"Mei nen S i e Dokt or Uhl i g?
Ic h dacht e, de r unt erni m m t
al l es , um Voss vor j eder Art von
S chnüffel ei z u schüt z en."
"S i e kennen Anwal t Uhl i g? "
" Lei de r. "
"Übe r sei n e gen au e R ol l e
wei ß au ch i ch ni cht genau
Bes ch ei d. Er wi l l j edenfal l s
v erhi ndern,
dass
cont act l ess
w ar
ei n
Them a
für
di e
R egenbo ge npr esse wi rd, und e r
s chüt z t di ej en i gen, di e dam al s
bet ei l i gt
war en.
Es
i st
al l erdi ngs
ni cht
sei n
J ob,
kri m i nel l e Mache n schaft en z u
decken. "
"Dankb ar e
Eri nne rung
des
wes t deut schen S t aa t es an di e
fünft e K ol onne i m Ost en."
"Nenn en S i e es, wi e S i e
wol l en! Ic h fi nd e d as P ro gram m
übri gens bem e rkens wert . Es hat
das
kom m uni st i sche
S yst em
dest abi l i si ert und t rot z dem i s t
kei n Bl ut gefl ossen. "
"Ni cht ganz ! "
" Im Ve r gl ei ch z u anderen
P rogr am m en wa r es hum an."
"Na t ol l ! "
Traut enbe r g gi n g üb er F rauk es
Verä r gerun g hi nwe g, al s würd e
er si e ga r ni cht bem erken, und
fuhr fort :
"Anw al t Uhl i g h at ni cht nur
m i t Ihn en gesproch en , sondern
(ei n paar W ochen frühe r ) auch
Herrn Voss i n sei ne Kanz l ei
z i t i ert .
Dam al s
war
er
kei neswe gs sei n Mandant . Er
hat i hm ei nen S chuss vor den
Bu g ge geben - d a m i t er ni cht
ei ne ganz e N am e nsl i st e von
rel evant en
Le ut en
an
di e
J ournal i st en wei t e rrei cht ."
"He rr
Uhl i g
kann
sehr
überz euge nd sei n. "
"Er hat i hm ged roht , i hn
we gen
Geh ei m ni sverrat
i ns
Gefän gni s z u bri nge n. Voss gab
sei nen
P l an
daraufhi n
auf,
verfi el dann al l erdi ngs auf di e
Id ee, s ei nen f rüher en C W -C hef
Henschel z u erp ress en."
"Das v erst ehe i ch j et z t ni cht
ganz . W om i t konnt e er i hn denn
erpress en?
Ich
denke,
di e
Bet ei l i gun g an di es er S ache gi l t
hi erz ul ande al s Hel d ent at ."
"Es gi n g ni cht um cont act l es s
w ar ,
sondern
um
ei nen
Mordauft ra g, für d en Voss von
Hen schel an geheu er t worden i s t .
Dam i t hat t en di e Gehei m di ens t e
ni cht das Geri n gst e z u t un. Das
war schnöd e Kri m i n al i t ät ."
"Di es e S t or y ve r wi rrt m i ch
i m m er m ehr. W arum erz ähl en
S i e m i r das al l es? S i nd das
ni cht Di enst geh ei m ni sse? "
229
" Ic h e rz ähl e Ihn en das, w ei l
es ei ne Menge m i t Ihn en z u t un
hat und wei l i ch de nke, dass S i e
das wi s s en sol l t en."
" Inwi efe rn hat das m i t mi r zu
t un? "
"S i e w aren das v orgesehen e
Opfer. "
Frauk e z uckt e vor S chreck so
heft i g z usam m en, d ass si e i hren
Kaff ee v erschüt t et e. Es i st
et was völ l i g and er e s, ob m an i n
ei ner Kr eu z ber ge r Knei pe m i t
ei ner
Freundi n
über
di es e
M ö gl i chkei t spekul i ert oder ob
m an von ei nem Kri m i nal i st en
das s el be knal l ha rt al s Tat sach e
gen annt bekom m t .
" Las s en
Sie
nur!
Darum
k üm m ere i ch m i ch spät er ... Ihr e
bei den U n f äl l e von 1991 war en
M ordans chl ä ge. S i e hat t en vi el
Gl ück. Voss war wi l l fähri g,
aber al s Ki l l er of fenbar eh er
unge ei gnet .
Wie
Henschel
ü b erhaupt au f i hn gekom m e n
i s t , gehört z u den noch offen en
R ät s el n di eses Fal l s. Mögl i ch er
W ei s e wol l t e er von i hm
z u nächs t l edi gl i ch Auskünft e.
Sie
und
Voss
waren
ja
Ex kom mi l i t onen. Vi el l ei cht hat
er s i ch fü r den T e rm i nat orj ob
re gel r echt auf gedrä ngt - und am
Ende s el bst übe rsch ät z t ."
" War um wol l t e H en schel m i ch
um bri ngen l assen? W as hat t e
i ch i hm get an? Ich kannt e i hn
nur fl ücht i g von e i n em ei nz i gen
Bes uch h er. "
"Das
i st
ei ne
wei t ere
i nt ere s s ant e Fr a ge. Es gi n g um
di e Bot s chaft von Herrn S chm i t t
an
s ei ne
Toc ht er,
j en e
vers chl ü s sel t e Bot schaft , di e
Ihn en i n di e Hände ge fal l en i s t .
Doch das erkl ärt noch ni cht
s ei ne he ft i ge R eakt i on. W i e S i e
schon
sehr
ri cht i g
sa gt en:
cont act l ess w ar gi l t bei uns
ni cht al s Verb r ech e n. W egen d er
S ache von 1976 wäre e r von
ni em andem z ur R echensch aft
gez o gen wo rden, schon ga r
ni cht auf Grun dl a ge ei nes va gen
Hi nwei ses. T rot z dem hat t e e r
Angst . Vor Ih nen? "
"Nei n, best i m m t ni cht . Vor
j em and ander em sch on eher. "
"Vor wem ? "
" Ist das wi cht i g? Müssen wi r
wi rkl i ch noch ei ne n Menschen
da m i t hi nei nz i ehen? "
" Ic h ahn e, w en S i e m ei nen.
Grundsät z l i ch resp ekt i ere i ch
Ih ren W unsch. W i r werden übe r
di esen P unkt aber wohl noch
ei nm al spr echen m üssen. Zurü ck
z u den Erei gni ssen von 1991!
W ei l
ei n
dri t t er
Anschl a g
(unabhän gi g vom Ergebni s) z u
au ffäl l i g gew esen wäre, b ekam
Voss schl i eßl i ch d en Auft r a g,
weni gst e ns
di e
ge fährl i ch en
Zet t el i n S i cherh ei t z u bri ngen bevor Ihn en, Fr au B aum ann, di e
Ent schl üssel ung g el i ngt ."
" Im Grunde wa r er sel bst
dafür z u bl öd. E r hat näm l i ch
m ei nen Or d ne r über sehen. "
"Ma g s ei n. Vi el l ei c ht hat t e er
aber auch schon d am al s ei nen
P l an B i m Kopf. Er bes aß
näm l i ch spät er ei ne Kopi e der
an
Henschel
abgel i efe rt en
Zet t el . "
Traut enbe r g hol t e ei ne neue
Ti schdecke aus dem Nebenr aum .
Der Fl eck i rri t i ert e i hn gar z u
sehr. Na chdem a l l es wi eder
ordent l i ch au s sah, f uhr er fo rt :
" Ic h
habe
mir
erl aubt ,
P ol i z e i schutz für S i e i n di e
W ege z u l ei t en, anfan gs auf
ei gene K a ppe, sp ät er offi z i el l .
230
S ol ange Hens chel f rei i st , wi l l
i ch kei n R i si ko ei ngehen. "
"J et z t verst ehe i ch ..."
"S i e
hab en
es
m ei nen
Kol l egen ni cht i m m er l ei cht
gem acht . "
" Ic h wei ß. S i e hät t en m i r j a
auch B esch ei d sa gen können."
"Nei n, konnt e i ch ni cht . Der
Fal l
war
z wi s chenz ei t l i ch
abs o l ut t abu. Ich w äre i n ernst e
S chwi eri gkei t en
g ekom m en,
hät t e i ch dam al s schon di e
Kart en
auf gede ckt . "
Augenz wi n kernd fü gt e e r hi nz u.
"Ande re rs ei t s hat t e i ch kei n
R echt , S i e aufz u hal t en. S i e
t at en
ni cht s
Verbot en es.
Hoffent l i ch fü h l en S i e si ch
ni cht
al s
Lockvo gel
m i s s braucht ."
"Nei n. Ist s chon o.k . so. "
"Di e G eschi cht e i st al l erdi ngs
noch ni cht z u Ende. Hensch el
hat si ch i n Hamburg ei n en
z i em l i ch
gewi eft en
Anw al t
geno m m en, m i t de m z usam m en
er ei ne Vert ei di gungsst rat e gi e
v erfol gt , di e i hm E rfol g bri n gt ,
wenn
wi r
ni cht
aufpassen.
Dam i t kom m e i ch z u m ei nem
wi cht i gst en Grund, m i t Ihn en
reden z u wo l l en. "
" Ic h dacht e, den hat t en wi r
s chon."
"W art en S i e's ab ! Es l ässt si ch
l ei der ni cht nachw ei sen, wi e das
Gi ft i n den Körp e r von Voss
gel an gt i st . Es gi bt kei ne
S puren
ei ner
Aus ei nanders et z ung oder gar
ei nes K am pf es. Den G rund
s ei nes B esuchs e rkl ärt Hens chel
fol gend erm aß en.
Voss
habe
während d er D D R -Zei t ei n
Verbr echen b e gan gen, das sei n
Gewi ssen bel ast et e. Er habe i hm
ge rat en, si ch d en Behörd en z u
st el l en und rei ne n Ti sch z u
m achen. Er h äl t konsequent an
der S el bs t m ordt heo ri e fest . Für
den
f al schen
A b schi edsbri ef
habe e r kei ne E rkl ärun g. S ei n
Anwal t bracht e di e Id ee i ns
S pi el , Frau Voss habe ei n
kom prom i t t i ere ndes
Ori gi n al
verni cht et und e r set z t . Ni cht
ge rade pl ausi bel an gesi cht s der
Qual i t ät der Fä l s chung, abe r
ei ne
denkba re
H ypot hes e.
S chl i eßl i ch verwei st Henschel
auf das Fehl en ei ne s Mot i vs für
den Mordauft r a g. Voss habe
si ch das al l es aus den Fi n gern
geso gen. "
"Und was kann i ch i n di esem
Zusam m enh an g für S i e t un? "
" Ic h m öcht e, d ass S i e uns
durch
ei n e
Ze ugen aussa ge
hel fen, au f Hens chel Dru ck
ausz uüben. Im Mom ent i st kei n
Mot i v z u erkennen für ei nen
Mordau ft ra g ge ge n S i e. Im
Li cht e d er von Ihn e n ent deckt en
Zusam m enh än ge wü rde si ch das
ändern. "
"Di e C IA, der BN D, Anwal t
Uhl i g und was w ei ß i ch wer
sonst noch werd en n i em al s
z ul assen, dass i ch vor ei nem
Geri cht et w as über co nt act l es s
w ar erz ähl e. Ich bi n doch ni cht
l ebensm üde. "
"Dokt or Uhl i g st eht i n di esem
P unkt auf unserer S ei t e. Ich
habe di e S t rat e gi e berei t s m i t
i hm
durchgesp rochen .
S el bst ve rst ändl i ch
wi l l
er
verm ei den, dass di e Geschi cht en
aus DDR - Zei t en vor ei n em
Geri cht e rw ähnt wer den. Er wi l l
aber au ch ni cht z ul assen, das s
Henschel d en S t aat erpr esst . Es
wi rd wohl auf ei nen Handel
hi nausl aufen. Gest ä n dni s ge gen
m i l des Urt ei l . Im R ahm en der
231
ges et z l i chen
M ögl i chkei t en
nat ürl i ch. Ihre Au ssage würd e
dann i m P anz e rschra nk l anden."
"Da rüber
m us s
i ch
nachde nk en."
"Tun S i e d as! Unse r heut i ges
Ges prä ch w ar i no ffi z i el l . S i e
können vor ei ne r Ent schei dun g
ge rn ei nen Anwal t Ih rer W ahl
kons ul t i eren. Aber l assen S i e
s i ch bi t t e n i cht z uviel Zei t ! Un d
bedenken S i e, d ass S i e auch i n
Gefah r si nd, wen n Henschel
ni cht verurt ei l t wer den kann. "
" Ic h m el de m i ch spät est ens i n
ei ner
W oche
...
Ei nes
i nt ere s s i ert m i ch noch: W as
s t and e i gent l i ch dri n i n dem
ge fäl s cht en
Abs chi ed s bri ef?
Dürfen S i e m i r das s agen? "
"Er w ar so kurz und ni cht s
s agend,
dass
i ch,
offen
ges t and en, vom erst en Mom ent
an m ei ne Zwei f el ha t t e. Ich sehe
i n mei nem L eben ke i nen Si nn
mehr . W as hal t en S i e davon? "
Frauk e überl e gt e.
"Al s o,
i ch
hä t t e
i hn
wah rs ch ei nl i ch
ni cht
angez we i fel t . "
"Tat s ä chl i ch? "
Ungl äubi ges
Kopfs chüt t el n.
" Is t ni cht di e Fra ge nach dem
S i nn des Lebens für j eden
M en s chen di e wi ch t i gst e F ra ge
überhaupt ? Ir gend wi e m uss er
ei ne Ant wort fi nden , so oder so,
bewus s t oder unbe wusst . W enn
i ch i n den v er ga n ge nen W ochen
ei nes be gri ff en habe, dann
gen au das. "
Traut enbe r g
bl i ckt e
i hr
fo rschend i ns G esi c ht .
"Es w aren auf re gen de W ochen
für S i e. Das gl aub e i ch Ihnen.
Und es war si ch erl i ch kei ne
an genehm e Zei t ."
"Auf re gend? ... Unangenehm ?
... J a, das schon ... Aber das
W i cht i gs t e von al l em hängt nur
i ndi rekt m i t Herrn Voss und
Herrn H ensch el z usam m en."
"S ondern? "
" Ic h wei ß ni cht , o b S i e das
verst ehen. Das i st ei ne völ l i g
andere G eschi cht e. S i e begann
vor l an ger Zei t , al s es noch
J unge P i oni ere gab. Dam al s
hat t en z wei kl ei ne Mä dchen
ei na n der
e wi ge
Treu e
ges chwor en.
Nun
si nd
si e
ei nander al s e rw ach sene Frau en
wi eder be ge gn en. Mi t sehr
unt erschi edl i chem
S chi cksal .
Aber das Ehren w ort hat auf
geh ei m ni svol l e W eise geh al t en.
Und das i st ganz b e st i m m t kei ne
Angel e ge nh ei t für d i e P ol i z ei ."
"Nei n, d a haben S i e wohl
R echt ... H err E berl ei n hat
freundl i che r W ei se ge wart et . Er
wi rd S i e nach Ha use fah ren:
Voraus ges et z t
natürl i ch,
Sie
haben k ei ne Bed en ken, z u i hm
i n den W agen z u st e i gen. "
Frauk e
l acht e
u nd
nahm
Trau t enbe r gs
a usgest r eckt e
Hand.
63
Z
war konnt e es bei Frauk e
durchaus
vorko m m en,
das s si e aus Ar gl o si gkei t
et was erz ähl t e, wa s si e besser
für si ch behal t en hä t t e (wi e z um
Bei spi el bei i hrem Gesprä ch m i t
232
Herbe rt
Hensch el
1991
in
Ham bur g), doch wusst e si e
andere rsei t s sehr wohl , was
Gehei m ni s se si nd u nd wi e m an
dam i t u m gehen m u ss (wi e z um
Bei s pi el m i t den Ku ndendat en,
di e s i e währ end i hr er Arb ei t bei
B IT C o. i n di e H ä nde bekam ).
Ih r Ent schl uss, si ch an das
ge gen über
Traut enbe r g
ge geben e Ve rspre c hen di eses
ei ne Mal ni cht z u hal t en, hat t e
ni cht s m i t Kl at schs ucht z u t un.
Im m e rhi n war i hr ausdrückl i ch
erl aubt wo rden, ei ne n Anwal t z u
k on s ul t i eren,
da cht e
si e
s chl i t z o hri g
bei
si ch.
Der
Haupt kom m i s sar
hat t e
ni cht
ges a gt , ob er d as i m enge ren
oder i m wei t eren S i nne m ei nt e.
Al s o fuhr si e am fol g ende n
S am st ag nach Fr an kfurt z u
Draupadi , dem bes t en Anwal t ,
der i hr i n den S i nn kam .
Ih re größt e S or ge dabei war,
das s di eses wei t er e Verbre chen
Henschel s i hre F reundi n z u
i n t ensi v an den Tod i hrer El t ern
eri nnern und dadur ch z u ei ner
unkont rol l i ert en
R ea kt i on
v eranl assen
kön nt e.
Doch
Draupadi hat t e d en Verl ust
i nz wi schen
auch
em ot i onal
verarb ei t et .
"P apa m usst e di ese W el t
v erl assen, wei l es aus ei nem
v erbor gen en G rund i m R ahm en
von
Got t es
S chauspi el
not wendi g
wa r.
W enn
der
R egi sseur es a n w e i st , hat der
S chauspi el er von d er Bühne z u
geh en. D ass i hn z uvor der
Bös ewi cht d es S t ücks m i t ei nem
P appm esser
e rst i cht ,
i st
nebensächl i ch.
Ic h
vert raue
darauf, d ass es sei n e R i cht i gkei t
hat : für m ei ne E l t er n, für m i ch ,
für uns al l e. "
"Ei ne ander e Fra ge i st , wi e
wi r m i t Traut en ber gs Bi t t e
um geh en."
"J a. Das i st ei ne ande re
Fra ge. "
"Und? "
"W i r
werden
sel bst verst än dl i ch
aussa gen.
Das hei ßt : Erst ei nm al nur du,
denn i ch bi n j a von der P ol i z ei
darauf noch ni cht a ngesp roche n
worden. "
"Das wi rd si ch änd ern, w enn
i ch
dem
Hau pt ko m m i ssar
verr at e, dass H ensc hel si ch vor
al l em vor di r gefü rc ht et hat ."
"Kei n P robl em ! Ni cht an
R ache z u denken, h ei ßt für m i ch
vor al l em , m i r durch i hn ni cht
m ei nen
spi ri t uel l en
W eg
rui ni eren z u l assen. Er hat kei n e
Macht m ehr übe r m i ch, wede r
di rekt noch i ndi r ekt , wede r
ph ysi sch no ch ps ychi sch. Ich
werde der P ol i z ei sa gen, was
i ch über i hn w ei ß - kurz und
präz i se, o hne Ge füh l sausbrüche.
W enn es sei n m uss, werde i ch
i hm l ächel nd di r ekt i n di e
Augen schau en. Ob ei n Geri cht
i hn spät er ei nbucht e t oder ni cht ,
s ol l m i r egal sei n. Best ra ft hat
er si ch l än gst sel b er, denn er
wi rd di eses Erde nl eben m i t
ungenügend abs chl i eßen. "
S pät est ens j et z t war F rauk e
überz eugt , den ri cht i gen Anwal t
ge wähl t
zu
haben.
Di e
ver ga n gen en W oche n hat t en di e
ei nst i ge
Ki nder freun dsch aft
endgül t i g
au f
ein
höheres
Ni veau gehoben. Bei de wa ren
ei nander sehr nah gekom m en,
t rot z
chara k t e rl i cher
Verschi ed enhei t
oder
so gar
ge rade
d eshal b .
J eder
bewu ndert e am a nderen, was
i hm sel ber ehe r fe hl t e: Frauk e
233
an Draup adi den Id eal i sm us,
Draupadi
an
F rauke
di e
C om put erkenn t ni sse.
"W ei l du gerad e so schön i n
S chwung bi st : Hast du Lust , m i r
z u erz ähl en, was genau du
m ei ns t , wenn du von dei nem
s pi r i t uel l en Weg redest ? Bi s
j et z t gi ng es i m m er nur um d en
Hi ndui s m us ganz al l g em ei n."
"Ei nverst an den!
Aber
i ch
ko che uns erst ei nm al Tee. "
" Bei
Traut enb er g
gab 's
ü b ri gens Kaf fee. "
"Das war j a au ch ei n fi nst eres
Them a.
Ic h
ha be
fei n en
Darj eel i n g, ökol ogi sch an gebaut
und
fai r
geha ndel t .
Da
s chm ecks t du den Gei st der
Hei l i gen d es H i m al a j as heraus. "
S i e hant i ert e ei n e W ei l e i n der
Küche und k am dan n z urück m i t
ei nem Tabl et t , worauf ei ne
gro ß en Kann e und z wei Tassen
s t anden.
"W i e bi st du ei ge nt l i ch auf
das al l es gekom m en ? "
"Es gab ei n en Au ge nbl i ck, da
hat t e i ch pl öt z li ch begri f fen,
das s u ns ere m odern e W el t derart
m at eri al i st i sch und hekt i sch i s t ,
das s m an d ari n si c h sel bst aus
den Au gen ve rl i ert . W ei ßt du,
was i ch m ei ne? Di e S eel e, den
W es ens kern. Nenn es, wi e du
wi l l s t ! Ohne S el b st erkennt ni s
s i eht m an ni cht , wel che R o l l e
m an i n der Ges el l schaft spi el t .
Di e m ei st en Leut e j agen nur
nach pers önl i ch em Vort ei l , nach
S paß und Act i on. Das aber
wi rkt , al s ob du sal z i ges W asser
t ri nks t : Der Durst wi rd i m m er
größ er. Man fi ndet Gl ück und
Bef ri edi gun g ni cht auf d i r ekt em
W eg, s ondern nu r auf d em
Um we g übe r den S i nn ... Der
Tee m üsst e j et z t gut sei n.
Möcht est du? "
Frauk e ni ckt e. D rau padi fül l t e
bei de Tassen.
"Mei n konkret er W eg nennt
si ch
K ri ya -Y oga .
Das
Zi el
best eht dari n, si ch den Zw än gen
des Mat eri al i sm us zu ent z i ehen,
um i n der Medi t at i on z unächst
z u si ch sel bst z urück z u fi nden
und
dann
zu
ei ner
Got t eserken nt ni s,
di e
si ch
grunds ät z l i ch u n t erschei det von
den
gän gi gen
K onfessi onen.
P ersönl i ches E rl ebe n i st et was
anderes al s T ei l nah m e an ei ner
Veranst al t un g. Do ch darübe r
hi naus sol l m an t rot z dem al l e
Verpfl i cht un gen ge genüb er d er
Gesel l scha ft er fül l e n. W i r haben
ei n Mo t t o, das di eses P ri nz i p
gut ausdrü ckt : In der Wel t
l eben, ohne w el t l i ch zu sei n ."
"Das ersch ei nt m i r z i em l i ch
schwi eri g. Ich fr a ge m i ch, ob
i ch dafür genü gend W i l l en
hät t e."
"Am W i l l en al l ei n l i egt es
ni cht . In Indi en fr agt e ei nm al
ei n
Gesch äft sm a nn
ei nen
Hei l i gen, ob e r i hn l ehren
könne, m i t bl oßen Füßen übe rs
W asser
zu
l aufen.
'Kei n
P robl em !',
e rw i dert e
der
Hei l i ge. 'Du m uss t nur ei ne
W oche j eden Abend ei ne S t unde
l ang über Om m edi t i eren. ' - 'D as
i st al l es? ' - 'Und du darfst n i cht
an Aff en denk en. K ei n ei nz i ges
Mal .' - Du ahnst si c herl i ch, was
dabei her au s kam . "
" Ic h hab e et w as Ähnl i ches
sel ber e rl ebt : Al s i ch bei di r
war und ni cht an di e Afri kane r
und i hre P art y den ken wol l t e",
sagt e Frauk e l a c hend. " Ich
neh m e an, der Ge schäft s m ann
wi rd
st at t
über
Om
234
aus s chl i eßl i ch
ü ber
Af fen
m edi t i ert haben. "
"Gen au. "
"J et z t eri nnere i ch m i ch.
Ge gen di es en Eff ek t hel fen di r
dei ne sp ez i el l en Yogaübun gen.
Konz ent rat i on auf nur ei nen
Ge genst and. Ic h wei ß z war noch
ni cht , wi e di ese Techni ken i m
Ei n z el nen aussehen, aber si e
m üs sen g eni al sei n. W o kom m en
di e ei gent l i ch her? W er hat si e
erfu n den? "
"W i r führ en den Kri ya -Yo ga
z urück auf ei nen i m Hi m al aj a
l ebenden
Hei l i ge n
nam ens
Babaj i .
Du
wi rst
i hn
wahrsch ei n l i ch
al s
m yt hol ogi sch e G est al t ansehen.
S ei ne Anhän ger gl a uben, dass er
i m m er j u gendl i ch bl ei bt und
ni em al s st i rbt . Der Le gende
nach h at e r di e Lehr e di rekt von
Kri s hna übe rno m m en und i m
J ahre 1861 w ei t er ge g eben an
Lahi ri Mahas ya . Der i st nun
ei ne hi st ori sche P ersönl i c hkei t
m i t G eburt s - und Todest ag
s owi e
Ei nt ra g
in
di e
behördl i chen R e gi s t er. Er hat t e
et l i che S chül er und ei ner davon
war S ri Yukt esw ar. Dess en
Verdi enst i st unt er and erem , di e
Aus sagen der Bha gav ad Gi t a
und des Neuen Test am ent s
ver gl i chen z u habe n - m i t dem
Ergebni s,
dass
es
k e i nen
grun dl e genden Unt e rschi ed gi bt .
Dam i t war der W eg frei , den
h i n dui st i schen Kri ya -Yo ga auch
i m W est en z u l ehren. Er sel be r
hat das al l erdi ngs ni cht m ehr
get an , sonde rn sei nem S chül er
P aram ahans a
Yogana nda
ü b erl assen. Und das i st der
M ann auf dem Bi l d dort i n der
Vi t ri ne."
Draupadi n ahm ei n en S chl uck
Tee und l ehnt e s i ch z urück.
Frauk e h at t e den Ei ndruck, d as s
i hre dunkl en Auge n i n di esem
Augenbl i ck re gel re c ht st rahl t en.
"Yo gan anda verb r acht e di e
m ei st en J ahre sei nes Lebens i n
Am eri ka. Er hat dort ni cht nur
st ur
ei ne
Lehr e
verbrei t et ,
s o ndern z ugl ei ch de n Al l t ag d er
Leut e beoba c ht et . Vi el es, was
si ch i n sei ner Hei m at gut
prak t i z i eren l i eß, f unkt i oni ert e
i n sei ner neuen Um gebun g ni cht
m ehr. Da rauf h at er rea gi e rt und
l et z t l i ch
et was
Neues
ges cha f fen. Manch e n Leut en i s t
das
E rgebni s
ni cht
m ehr
ex ot i sch genug. Bi z arre R i t u al e
erl ebst du b esser i m Url aub au f
ei ner
Indi enrei s e.
Abe r
Yoganandas R at sch l äge können
dei n Leben posi t i v verä nde rn. "
"Auf dem Bi l d si eht e r
z i em l i ch j ung aus."
"Ei n Fot o aus d en z wanz i ger
J ahren. Er hat sei nen Körper
1952 ve rl assen. H eut e we rden
sei ne S chri ft en du rch di e von
i hm ge grü ndet e Or gani sat i on i n
Los An gel es ver wal t et . Von do rt
kannst
du
z um
Bei spi el
Leh rbri e fe b ez i ehe n. Absol ut
unverbi ndl i ch. Du wi rst dadurch
al so
ganz
best i m m t
kei n
M i t gl i ed ei ner S ekt e ."
"W ürdest du m i r r at en, di es e
Bri ef e z u l esen? "
"Du m usst di e Ant wort i n di r
sel ber spüren. "
"Dann
fra ge
i ch
anders :
Denkst
du,
dass
si e
mir
persö nl i ch
ei ne n
Nut z en
bri ngen? Ich bi n an ders al s du. "
"S o sehr vi el ande rs al s i ch
bi st du ni cht . J edenfal l s i n
Bez ug auf d as, wo rum es hi er
geht .
Du
sol l t est
di r
nur
235
bewus s t sei n, dass du di ch auf
ei nen l ängeren W e g m i t vi el en
S t at i onen ei nl ässt . Du wi rst
Gedul d bra u chen. Andere rsei t s
i s t j ede e rrei cht e S t at i on ei n
Erfol g.
A n fan gs
wi rd
di r
vi el l ei cht
schon
u nhei m l i ch
vorkom m en, für e i ne ge wi sse
Zei t m i t den ei gen en Gedanke n
und Gefühl en al l e i n z u sei n.
Has t du di ch da ra n g ewöhns t ,
kom m t di e Nervosi t ät . Da ge gen
nut z en wi ederum di e Te chni ken.
Es kann ei n paar Monat e
dauern, ehe di r da s M edi t i eren
wi rkl i ch S paß m acht . Aber w enn
du ei nm al so w ei t bi st , spürst du
di e
Veränd erun g
sofort .
Ir gendw ann sch aff st du es,
ei nen T ei l di eses G efühl s m i t
nach drauß en i n di e W el t z u
t ragen. Du ni m m st S i ege un d
Ni ederl a gen dann t at sächl i ch
ni cht m ehr so w i cht i g. Und
wenn
du
da rau fhi n
dei ne
P ro bl em e weni ger verkr am pft
an gehst , l öst du si e l ei c ht er und
hast ganz nebenb ei auch i n
m at eri el l er Hi nsi cht noch ei nen
Gewi nn. A l l es i st m ögl i ch. "
64
E
in
hal bes
J ahr
war
v er gan gen. Frauk e und
Drau padi hat t en si ch für
den ers t en S a m st ag des Monat s
No vem ber wi ed er ei nm al für
ei ne
R ei se
na ch
B erl i n
verabr edet . Es gab nun kei n e
dunkl en
G ehei m n i sse
m ehr,
denen s i e nac h spür en m usst en,
t rot z dem war der Anl ass eher
erns t er N at ur: S i e wol l t en das
Grab von Dr a u p adi s El t ern
bes uchen.
S chon
se i t
dem
J ahres t ag
i hres
Todes
im
S ep t em ber hat t en s i e si ch das
vorg ekom m en, doc h an den
W ochenenden sei t he r war i m m e r
wi eder
et was
daz wi s cheng ekom m en.
An Herb ert H ensch e l und Ax el
Vos s dacht en si e kaum noch.
Das G eri cht sv erf ahr en hat t e i m
S pät s om m er st at t ge funden und
war
ungewöhnl i c h
schnel l ,
b ei nahe
hast i g
durch gefüh rt
worden. M an m u nkel t e, dass
ei nfl us s rei chen
Leut en
im
Hi nt e rgrund d aran gel e gen war.
Der P l an, den Traut enber g und
Uh l i g verab red et hat t en, erwi es
si ch
in
di esem
S i nne
al s
nüt z l i ch. (Ob er de s we gen au ch
gut war, i st ei ne andere F ra ge. )
S owohl
Frauke
al s
auch
Draupadi sa gt en ge genüb er d er
P ol i z ei aus. Da raus ent st anden
z wei beacht l i che Akt enm appen
m i t z ahl re i chen Indi z i en, di e
ge gen H e n schel sp rachen. Al s
der Haupt ko m m i ssa r i hn dam i t
konfro nt i er t e, l i eß er si ch auf
den vor geseh enen H andel ei n.
Er
gest and,
Axel
Voss
ver gi ft et z u haben - al l erdi ngs
im
A ffekt
u nd
unt er
Al kohol ei nfl uss.
Ei ne
Aussprach e i m Zu sam m e nhan g
m i t ei nem Erpress ungsve rsuch
sei
zu
ei ner
heft i gen
Au s ei nanders et z ung
esk al i ert .
Bei ei nem Toi l et t en besuch habe
er di e i m Bad geho rt et en
S chl a ft abl et t en
z ufäl l i g
ent deckt
und
spont an
236
bes chl ossen, si e z u z e rkl ei nern
und m i t ei ner T asse Ka ffe e z u
verabr ei chen. De r Kernpunkt i n
Henschel s
Ve rt e i d i gun g
war
frei l i ch di e B ehau p t ung, dass
der an gebl i ch e Mor dauft ra g von
1991
ei n
Mi ssve rst ändni s
ge wesen sei . Voss habe ei ne
Bem e rkun g f al sch i nt erpr et i ert
und bei den A nsch l ägen ge ge n
Frau Baum ann i n W ah rhei t
ei genm ächt i g g eh andel t .
Am
Ende wurde ei ne s i ebenj ä h ri ge
Haft st raf e we gen
To t schl ags
v erhän gt .
Frauk e st aunt e, m i t wel che r
Gel assenhei t
i hr e
Freundi n
ak z ept i ert e, dass fa st al l es, w as
s i e sel ber bet raf, während des
P roz esses unt er den Teppi ch
gek ehrt
wurde
oder
von
vornh erei n kei n e R ol l e spi el t e:
Hen schel s Akt i vi t ät en vor der
W en de (di e für di e S t asi und di e
für
di e
Ge gens ei t e);
der
wah rsch ei nl i ch
von
i hm
i ni t i i ert e Unfal l t od i hrer El t ern ;
s ei n böswi l l i ges E i ngrei fen i n
i hre Ent wi ckl un g.
Für Frauk e w ar ent schei dend,
das s si e si ch ni cht m ehr unt er
Druck geset z t fühl t e - w ede r
durch di e P ol i z ei , noch durch
geh ei m ni svol l e Verfol ger. S i e
konnt e si ch wi ed er au f d as
k on z ent ri eren, was si e se l ber
für wi cht i g hi el t : zum Bei spi el
di e Yo ga -Techni k e n, di e si e
n un m ehr anhand de r Leh rbri e fe
aus Los An gel es üb t e. Übri gens
t at s i e di es bewusst u nabhän gi g
von Draup adi , s o en g di e
Freun d s chaft m i t i hr ansonst en
auch
war.
Ih re
erst en
Erfahrun gen m i t R el i gi on wol l t e
s i e ohne j ede B eei nfl ussun g
durch ei nen and e re n sam m el n.
S i e schl oss si ch a uch vore rst
kei ne r Grupp e an. Dafür bl i eb
i m m er noch Zei t , s obal d si e si ch
i nner l i ch en t schi ed e n hat t e.
W enn
si e
mit
Draupadi
t el ef oni ert e, was m i ndest ens
drei m al pro W oc he gesch ah,
hat t en be i de genü gend ander e
Them en z u bereden . Ih r Al l t a g
war so ve rs chi eden , dass dab ei
ni em al s
Lan gewei l e
droht e.
Inz wi schen hat t e si ch Fr auke
auch
an
den
skurri l en
Bekannt enkrei s i hr er F reundi n
ge wöhnt . B ei den K onz ert en wa r
si e dabei , so oft si e es
ei nri cht en konnt e. Al l e rdi n gs
benut z t e
si e
neuerdi n gs
Ohrst öpsel ge gen d e n Lärm (sei t
si e wusst e, dass di e Musi ker das
ebenso t at en).
W ährend
de r
Fa hrt
nach
Berl i n r edet en bei d e (durch d en
Grund der R ei se da z u ange re gt )
vor
al l em
über
di e
Ver gan ge nhei t . F r auke nut z t e
di e Gel e ge nh ei t , um ei ne Fra ge
z u st e l l en, di e si e bi sher (aus
Furcht vor Mi ssver st ändni ssen)
i m m er wi eder v ersc hoben hat t e:
"S a g
m al
eh rl i ch:
W as
wol l t est du ei gent l i ch dam al s
errei chen,
al s
du
bei
Schut z schi l d e.V. den S kandal
ausgel öst hast ? "
"Ga r ni cht s. Der Ge danke gi n g
m i r durch den Ko pf und i ch
habe
i hn
spont an
ausgesproch en.
Die
fal sch e
Bem e rkun g am fa l schen P l at z .
Das sehe i ch m i t t l er wei l e ei n. "
"Al so, i ch würde ni cht i m
Traum auf di e Ide e kom m en ..."
"S o wört l i ch war da s nun auch
wi eder
ni cht
gem ei nt .
Gedankenspi el e si n d i m m er ei n
bi s schen ex t rem . N ach h eut i gen
Maßst äben haben wi r dam al s
al l erdi ngs
schon
ar g
vi el
237
m i t ei nander gesch m ust , m e i n
P apa und i ch."
" Ic h wei ß. "
"Di e G esel l scha ft i st prüde
ge worden. Ic h ha be es z um
Bei s pi el da rauf an gel e gt , dass
er m i ch nach dem B aden
abt roc k net . An gebl i ch bi n i ch
am
R ücken
ni c ht
überal l
hi ngekom m en.
Und
S on nt agm or gen m i t z u i hm unt er
di e Bet t de cke. "
"Auch no ch al s Zeh nj ähri ge? "
"S el bs t verst ändl i ch. Das w äre
ei n gefunden es F res sen gewes en
für di e C l aassen. Ogot t ogot t !
Das hät t e i h ren h ei l i gen Zorn
ent facht . Aber i ch s age di r ei ns:
Hät t e m ei n P apa m i r ni cht
i rgend wi e si gnal i si e rt , dass i hm
auch
m ei n
bra u ner
Kö rpe r
ge fäl l t , hät t e i ch m i ch i m
t i efs t en Loch verk rochen und
m i ch ni e i m Leb e n auf ei ne
Bühne ge wa gt . De nn dass i ch
anders bi n, al s es s i ch für ei ne
Europäeri n g ehört , das wei ß i ch,
s ol ange i ch d enke n kann. D a
s t and nur noch di e Fra ge: Bi n
i ch
bes se r
oder
bi n
i ch
s chl echt er?
Und
in
der
Erz i ehung
z ähl t
nur
das
Vorbi l d. In di eser Hi nsi cht si nd
M ens chenki nde r
wi e
Ent enk ü cken: S i e t raben den
El t ern hi n t erhe r. Ich habe i n
den ers t en z ehn J ahren m ei ne s
Leb ens s ovi el Li eb e em pfan gen,
das s es für den R est au srei cht .
Ic h kann so ga r davo n abg eben. "
"Abe r du bl ei bst a l l ei n, wei l
kei n M ann si ch m es sen kann m i t
dei ner Eri nnerun g an dei nen
P apa."
Der
S at z
war
Frauke
unwi l l kürl i ch
her ausgerut scht
und s i e ber eut e i hn sofort . Doch
i hre
Fr eundi n
war
ni cht
bel ei di gt . G a nz i m Ge gent ei l :
S i e schü t t el t e si ch vor Lach en,
ehe si e ant wo rt et e.
"Gen au. Fort pfl anz ung kom m t
für m i ch nur i nfra ge m i t e i nem
Mann, der i n m ei nem Al t er i st
und z udem
ei n i dent i sches
Ebenbi l d
m ei nes
P apas,
körpe rl i ch wi e a uch gei st i g.
Bez ei c h net m an da s e i gent l i ch
auch
bei
Fr a uen
al s
Ödi puskom pl ex? "
"Kei n e Ahnun g. "
"Abe r S paß bei sei t e! Ich bi n
ohnehi n ni cht ehet augl i ch: d en
Deu t schen z u fr em dl ändi sch,
den Ausl ände rn z u Deut sch, f ast
al l en Mä nnern z u schl au und z u
sel bst bewusst . Auc h wenn es
pol i t i sch unkor rekt i st : Das
bl onde Dum m chen hat bei der
Bal z kl are Vo rt e i l e. "
"Da cht e d ei n Vat e r ei gent l i ch
ni e an ei n z wei t es K i nd? "
"Ei nes, das er sel b er gez eugt
hat ? Er konnt e ni cht . Ei ne
frü her e B ez i ehung i st genau an
di esem P robl em ge sche i t ert . Er
dacht e z unä chst , es l ä ge an
s ei ner P art ne ri n. Di e Ärz t e
s agt en i hm dann ab er, dass bei
i hm et was ni cht i n Ordnun g sei .
Al so gi n g er bei m nächst en
Versuch auf Num m e r si cher un d
l acht e si ch ei ne schwan ge re
Frau an. "
Di e
S uche
na c h
ei nem
P ar kpl at z
erwi es
si ch
al s
schwi eri g. E i ne of fensi cht l i che
Gel e ge nh ei t
verschm äht e
Frauk e, wei l si e si ch i n den
Kopf geset z t ha t t e, i n nächst er
Nähe d es F ri e dhof s fündi g z u
werden. Am E n de e nt schi ed si e
si ch für ei ne en ge Lück e, i n di e
si e
i hren
A udi
nur
unt er
Aufbi et un g
i hre s
ganz en
fahre ri sch en
Könnens
238
hi nei nz wängen
konnt e.
Draup adi s unv erhoh l ene S kepsi s
war
i hr
dabei
z usät z l i cher
An s porn.
"S ovi el z um Them a Frauen
können ni cht ei npar ken . "
"He ! Du bi st ni cht d er Körp er,
der du unt er dem Ei nfl uss der
M aham aj a z u se i n gl aubst ,
s on dern
du
bi st
ei n e
uns t erbl i che S e el e , di e kei n
Ges chl echt i m i rdi schen S i nne
hat . W as m i t dei nem and er en
Ic h i st , wei ß i ch nat ürl i ch
ni cht ."
S i e m usst en ohnehi n ei n S t ück
wi eder z urück l a ufen, denn
Draupadi wol l t e i n ei nem Lad en
Bl um en kauf en. De r freundl i che
Händl er z ei g t e i hr m ehr ere
Gebi nde,
wi e
si e
al s
Grabschm uck übl i c h waren. S i e
aber hört e i hm ka um z u und
gri f f z u sei n er Verb l üffung na ch
ei nem präc ht i gen S t rauß rot er
R o s en,
den
Bl um en
ei ner
durchaus i rd i sch en Li eb e.
Fri edhöf e übt en a uf F rauke
ei nen besonder en R ei z a us. Das
l ag ni cht an ei ne r m orbi den
Bez i ehun g z um Tod wi e i n
m an chen
S z enekr ei sen.
Sie
fühl t e si ch vi el m ehr an gez ogen
durch di e do rt herrs chende
fri edl i che,
besi nnl i che
S t i m m ung, di e der Gesel l schaft
ans onst en fast vö l l i g verl or en
ge gan gen i st . S i e spürt e auch
di e st i l l e Mel anch o l i e di eser
Ort e, di e an grau en Herbst t a gen
unt er
W ol ken
ve rhan gen em
Hi m m el ganz bes o n ders z um
Aus druck kom m t . Manchm al
s chl endert e si e übe r ei nen ganz
frem den Fri edhof und l as au f
den
Gr abst ei ne n
vö l l i g
unbekannt er
Leut e
di e
Ins chri ft en. Ih r schi en, al s
würden si ch i hr dabei ganz e
Geschi c ht en o ffenb aren - übe r
di e Ve rst orb en en und auch über
deren N achkom m en.
Herr und F rau S ch m i t t hat t en
ei nen prä cht i gen Gr abst ei n. Di e
gol den en Let t ern waren ei n
weni g verbl asst , wi rkt en abe r
i m m er noc h edel . Fr auke m usst e
ei nsehen, dass G räber z wa r
Ei ni ges
v erri et en
abe r
kei neswe gs al l es. Dass di esen
S t ei n i n gewi ssem S i nne der
Mörder der hi e r Best at t et en
ausgesucht h a t t e, darauf wä re
i hre P hant asi e si ch e rl i ch ni cht
gekom m en.
Daran
da cht e
a ber
auch
Draupadi i n di esem Mom ent
ganz
best i m m t
ni cht .
Verm ut l i ch
r ed et e
si e
in
Gedanken
mit
i hrem
P apa.
Vi el l ei cht beri cht e t e si e i hm
von i hren Erfol ge n. Für de n
Brucht ei l ei ner S ek unde verz o g
si ch i hr ansonst en an g em ess en
ernst er
G esi cht sa usdruck
zu
ei nem
bei nahe
g l ückl i ch en
Lä chel n. Auf dem W eg z urück
z um gussei sernen Tor fl ü s t ert e
si e:
" Ic h
t räum e
noc h
i m m er
z i em l i ch oft vom P ioni erchor. "
Und dann san g si e S t rophen
der Li ede r von dam al s kaum
hörbar vor si ch hi n.
"Und wi r l i eben di e Hei m at ,
di e sch öne,
und wi r sch üt z en si e, wei l s i e
dem Vol ke gehört ,
wei l
si e
unserem
Vol ke
gehö rt ."
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