Drehbuch - Rainer Weidlinger

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Drehbuch
zum
Spielfilm
Kaltsüchtig
ein Film über die Liebe
90 Minuten / 119 Seiten
Rainer Weidlinger
Matthias Schönerer Gasse 3/1
A-1140 Wien
0043 1 94 21 557
[email protected]
www.filmautor.com
1. Fassung, 2009
© Copyright Rainer Weidlinger, A-Wien
1
1
KRANKENHAUS / ARZTZIMMER – NACHMITTAG
INNEN
black screen.
Wir hören das papierene RASCHELN von Unterlagen.
ARZT
(off, sanfte Stimme)
Die Befunde sind heute Vormittag
gekommen. Und sie bestätigen leider
unsere Befürchtungen!
EINER
(off, gefasst)
Ich verstehe!
ARZT
(off)
Es tut mir leid, Herr Einer, aber
ich denke, wir können nichts mehr
für sie tun.
AUFBLENDE
Herr EINER, kein Vorname, sitzt vor uns auf einem einfachen
Holzsessel. Hinter ihm sehen wir einen Garderobenständer mit zwei
Arztkitteln darauf. An den Brusttaschen sind ID´s mit Portraitfotos
und Strichcodes geheftet.
[Einer ist 48 Jahre alt, untersetzt, hat auffällig kurze Beine,
einen Kugelbauch, im Gegensatz dazu ein auffällig hageres Gesicht,
braune Augen, Brillen, Jeanshose, breiten Ledergürtel mit
auffälliger Schnalle (Westernmotiv), Rollkragenpullover, darüber
offenes, kariertes Hemd, abgelatschte Stiefeletten, über der
Sessellehne hängt ein schwarzer Kurzmantel. Um seinen Hals baumelt
ein Halskettchen mit einem goldenen Kreuz.]
Einer spricht in die Kamera und versetzt uns so in die Position des
Arztes.
EINER
(gefasst)
Wie lange habe ich noch?
ARZT
(off)
Schwer zu sagen - ein paar Wochen
vielleicht!
Herr Einer nickt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
2
EINER
Ab wann wird es… unerträglich?
ARZT
(off)
Schon bald!
Einer senkt seinen Kopf, greift kurz an das Kreuz an seinem
Halskettchen, atmet tief durch. Er richtet sich wieder auf, lässt
sich etwas nach vor.
EINER
Hören Sie, Herr Doktor! Ich habe
niemanden mehr, ich lebe alleine.
Können wir da… ´was tun?
ARZT
(off)
Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher,
woran Sie dabei denken, Herr Einer?
EINER
Ich bitte Sie um ihre Hilfe. Nicht
jetzt, aber… schon bald!
Einer blickt fordernd, Sekunden vergehen.
ARZT
(off)
Wir könnten Sie ja dann noch einmal
operieren, Herr Einer.
Einer blickt erleichtert, nickt zustimmend, lehnt sich wieder
zurück.
EINER
Gut!
2
VORSTADTSTRASSEN – FRÜHER ABEND
AUSSEN
Ein heißer Sommerabend, noble Vorstadtgegend, Villen,
Herrschaftshäuser, prächtige Vorgärten, luxuriöse Autos. Wir
befinden uns in den späten 70er Jahren.
Zwei zehnjährige Burschen, ADRIAN und MAX, düsen auf ihren
Fahrrädern den Gehsteig entlang. Adrian ist gelenkig, drahtig, Max
dicklich, ungeschickt und Brillenträger. Seine rechte Hand ist mit
einem blutgetränkten Stofffetzen behelfsweise umwickelt.
Den beiden steht die Lebensfreude und der Schalk ins Gesicht
geschrieben. Sie tragen kurze, zerrissene Hosen und T-shirts, die
gras- und erdbefleckt sind.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
3
Eine zerbrechliche, an einem Krückstock gehende DAME, 80 Jahre alt,
kommt ihnen entgegen. Die Fahrradglocken BIMMELN. Die alte Dame
erschrickt.
ADRIAN
(schreit)
Aus dem Weg, du alte Schachtel!
Sonst bist du fällig!
Max und Adraian springen mit ihren Rädern kurz vorm Zusammenprall
vom Gehsteig auf die Straße und radeln davon.
DAME
(schreiend, den Stock schwingend)
Ihr verdammten Rowdys, ich erwisch´
euch schon noch mal und dann zieh
ich euch das Fell über die Ohren.
Sie dreht sich wieder zurück und setzt ihren Weg fort.
DAME
(zu sich)
Und wenn es das letzte ist, was ich
tue.
3
VILLA
AUSSEN
Die beiden besten Freunde bremsen sich mit blockierenden, auf dem
heißen Asfalt QUIETSCHEN Rädern vor einer noblen, mit Efeu
bewachsenen Villa und einer riesigen Gartenanlage mit großen
Kastanienbäumen ein.
Adrian sieht die offene Garage, in der ein schwerer Mercedes
geparkt steht. Sein Blick verfinstert sich.
MAX
(off)
Mach´s gut, bis morgen!
Adrian dreht sich zurück zu Max.
ADRIAN
Bis morgen, Max!
Max tritt in die Pedale, hält dann noch mal inne.
MAX
(schreiend)
Adrian!
Adrian steht schon im Vorgarten der Nobelvilla.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Ja?
MAX
(schreiend)
Und vergiss nicht die …
Max blickt misstrauisch auf die offene Garage.
MAX
(unterdrückt schreiend)
… du weißt schon?
Max macht die Handbewegung für eine Steinschleuder. Adrian nickt.
Die beiden grinsen sich schelmisch an.
Max radelt davon, Adrian schiebt sein Rad langsam zum Haustor.
4
VILLA
INNEN
Adrian schleicht sich über den Vorraum in das Wohnzimmer. Von dort
blickt er durch den Flur in die Küche, wo seine MUTTER, 52(!)Jahre
alt, den Teig für einen Kuchen zubereitet. Sie trägt eine
blumengemusterte Schürze. Als sie Adrian erblickt, gibt sie ihm ein
Handzeichen, dass er sich ruhig verhalten und schnell nach oben
gehen soll. Adrian nickt und eilt auf leisen Sohlen über die Stiege
nach oben in sein Zimmer.
Kaum ist der Junge aus dem Wohnzimmer, betritt der VATER, ebenfalls
52 Jahre alt, den Raum. Er trägt einen grauen Anzug und bindet sich
mit flinken Fingern seine Krawatte. Seine grau melierten Haare sind
nass und streng nach hinten gekämmt. Der Vater ist ein groß
gewachsener, bulliger Mann. Die Mutter erblickt ihren Ehemann.
MUTTER
Wann kommst du wieder?
VATER
(mürrisch)
Spät!
Die Mutter nickt, sie weiß, dass ihr Ehemann fremd geht. Sie wendet
sich wieder ihrer Teigmasse zu.
Das Telefon im Wohnzimmer LÄUTET. Die Mutter blickt besorgt auf,
der Vater hebt den Hörer energisch ab.
VATER
Doktor Weihsmann! Wer spricht?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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5
IM HAUS DER NACHBARIN
INNEN
Eine sehr dicke Frau steht in ihrem Wohnzimmer am Telefon. Hinter
ihr an der Blumen-Tapetenwand hängt ein großformatiges
Familienfoto.
Das Familienportrait zeigt die Frau, ihren zehnjährigen Sohn
ALEXANDER, die zwölfjährige Tochter und ihren Ehemann.
Alle Mitglieder der Familie sind extrem übergewichtig und auffällig
rothaarig.
Die Frau spricht sehr aufgeregt.
FRAU
Guten Abend, Herr Doktor!
Entschuldigen Sie bitte die Störung,
aber…
SZENE 4/5 TELEFONAT
Doktor Weihsmann verdreht die Augen.
VATER
Was gibt es denn schon wieder, Frau
Seidl?
Die Mutter in der Küche spitzt die Ohren, sie blickt besorgt.
FRAU
Hören Sie! MEIN Sohn Alexander hat
mir mitgeteilt, dass IHR Adrian,
gemeinsam mit diesem Max da, heute
Nachmittag …
Der Vater hört sich die für uns nur als Gebrabbel wahrnehmbare
Mitteilung nicht lange an. Er unterbricht jäh den Redeschwall.
VATER
Hören Sie, Frau Seidl, sagen Sie
einfach, wie hoch der Schaden ist
und ich begleiche die Summe.
Der Vater hört aufmerksam hinein, seine Miene wird grimmig.
VATER
Wenn das gar nicht IHR Auto war, was
rufen Sie mich dann überhaupt an?
Verdammt noch einmal!
Der Vater knallt den Hörer auf die Gabel.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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FRAU
Aber wollen Sie nicht… Hallo?
Frau Seidl blickt verwundert auf den Hörer.
Der Vater wirft einen kurzen Blick in die Küche.
VATER
(brüllend in die Küche)
Wir hätten diesen verdammten Bastard
nie nehmen sollen!
Die Mutter senkt ihren Blick.
Adrian kniet bei seiner Zimmertür, die einen kleinen Spalt geöffnet
ist. Er lauscht hinunter.
VATER
(off, brüllend)
Jetzt werde ich diesem gottlosen
Jungen zeigen, was es heißt,
undankbar zu sein.
Wir hören im off die schweren Schritte des Vaters.
Adrian weicht schnell zurück. Er greift zu der am Bett liegenden
Steinschleuder und versteckt diese in seinem Kleiderschrank unter
den Unterhosen. Adrian richtet sich wieder auf, blickt gebannt auf
die Zimmertür.
Der Vater geht über die Stiege nach oben. Dabei zieht er sich den
Ledergürtel aus der Hose. Er betritt das Zimmer des Jungen.
Die Mutter leert schnell und mit zittrigen Händen den Teig in die
Küchenmaschine und schaltet die höchste Stufe ein. Das Gerät nimmt
mit einem sehr lauten RATTERN die Arbeit auf. Ein sporadisches
POLTERN von oben dringt bis nach unten in die Küche. Die Mutter
blickt hoch und erkennt, wie der Lampenschirm leicht hin und her
wackelt. Ihre Augen sind todtraurig.
6
STRASSE - MITTAG
AUSSEN
Hitze flimmert. Max lehnt an seinem Fahrrad an einer Straßenecke
und wartet. Wir hören aus dem off das Pfeifen von den Speichen
eines Fahrrades. Max lächelt. Adrian bremst sich mit dem Rad knapp
vor Max ein.
ADRIAN
Hallo!
MAX
Hallo!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Adrian greift nach hinten an seinen Hosenbund, holt eine
Steinschleuder hervor und überreicht sie Max.
ADRIAN
Hier hast du!
Max bekommt glänzende Augen.
MAX
Wow! Danke!
ADRIAN
Bekomm´ ich aber wieder!
MAX
Klar doch!
ADRIAN
Hat bei euch auch die fette Seidl
angerufen?
Max nickt, senkt dabei den Kopf.
ADRIAN
Und? Wo hat´s dich diesmal erwischt?
MAX
Du zuerst!
Adrian nickt, dreht den Rücken zu Max und hebt sein Hemd. Wir sehen
tiefrote Striemen, blaue und grünliche Flecken. Daneben sehen wir
aber auch ältere und mittlerweile verheilte Wunden. Max verzieht
bei diesem Anblick sein Gesicht. Adrian senkt sein Hemd.
ADRIAN
Jetzt du!
Max blickt kurz verstohlen umher, er nimmt die Steinschleuder
zwischen die Zähne, zieht dann mit Anstrengung seine Hose über den
dicken Hintern etwas nach unten. Sein Gesäß ist blutunterlaufen,
wir sehen ein tiefes Striemenmuster, das auf einen Rohrstock
schließen lässt.
ADRIAN
Nicht schlecht!
Max nickt irgendwie ein bisschen stolz. Max zieht die Hose wieder
hoch, nimmt die Steinschleuder aus dem Mund.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
Das nächste Mal prügelt sie mich
halbtot und steckt mich dann ins
Heim, hat sie gesagt.
Adrian kramt etwas aus seiner Hosentasche, das in eine Serviette
eingewickelt ist, und reicht es Max rüber.
ADRIAN
Da! Hast du dir verdient.
Max nimmt die Serviette entgegen und wickelt diese aus. Es ist ein
großes Stück eines zerbröselten Kuchens drinnen. Max beißt in den
staubtrockenen Kuchen.
MAX
(mampfend)
Und? Was tun wir?
Adrian grinst breit, klopft sich mit seinem Zeigefinger auf seine
Schläfe. Max grinst breit zurück.
ADRIAN
Mir nach!
Adrian schwingt sich auf sein Rad und fährt los. Max steckt die
Steinschleuder in den Hosenbund, will auch auf sein Rad steigen,
das Stück Kuchen in der Hand macht es ihm schwer.
MAX
Warte, nicht so schnell, ich habe
den Kuchen.
ADRIAN
Dann wirf ihn weg! Schmeckt sowieso
nicht.
Adrian tritt in die Pedale.
MAX
Das geht nicht, ist doch ein Kuchen!
Max stopft sich das ganze Stück Kuchen in den Mund, schwingt sich
unbeholfen auf sein Rad, fährt los, setzt sich auf den Sattel. In
diesem Moment schnellt sein Hintern wieder hoch.
MAX
(aufschreiend, mit vollem Mund)
Au! Aua!
Er hebt den Hintern vom Sattel, greift sich auf die Backen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
(zurückblickend)
Was ist jetzt schon wieder?
Max fährt so langsam, dass das Rad hin- und herwackelt.
MAX
(mit vollem Mund)
Mir tut mein Arsch so weh!
Adrian lacht laut auf.
ADRIAN
Komm jetzt!
MAX
(zu sich)
Ja! Komm ja schon!
Die beiden radeln los, Max sitzt dabei nicht auf dem Sattel.
7
VOR DER TURNHALLE
AUSSEN
Wir befinden uns vor einer großen, aus roten Backsteinziegeln
errichteten Turnhalle, die sich inmitten der locker verbauten,
noblen Vorstadtsiedlung befindet, nicht weit vom Elternhaus der
beiden Burschen entfernt. Aus der Halle dringt lautes GESCHREI UND
GEJOHLE von jugendlichen Mädchen zu uns nach draußen.
Adrian kniet vor einem großen Fahrrad, hinter ihm sehen wir sein
eigenes und das Rad von Max an einer Mauer angelehnt stehen.
Adrian blickt gespannt auf Max. Wir sehen Max am anderen Ende einer
20 Meter langen Reihen von nebeneinander abgestellten Fahrrädern
ebenfalls an einem Hinterrad knien. Adrian checkt noch einmal kurz
die Lage, dann nickt er Max zu, Max nickt zurück. In dem Moment
beginnen beide, die Ventile von den Reifen herauszuziehen. Die Luft
entweicht mit einem kurzen PFFFFF, schon ist der Reifen platt. Die
beiden Burschen huschen in gebückter Haltung von Rad zu Rad und
ziehen an den Vorder- und Hinterräder die Ventile raus und sammeln
diese in der Hand. Hier findet ein wahres Konzert an PFFFFFs statt!
Hinter einem Strauch lugt der rothaarige ALEXANDER, der Junge von
Frau Seidl, hervor. Wir kennen den Jungen vom Familienfoto, das
hinter der telefonierenden Frau Seidl an der Wand gehangen hat.
Er beobachtet aufgeregt die Szenerie. Hinter ihm steht sein Fahrrad
auf dem Ständer.
Max und Adrian nähern sich von beiden Seiten der Mitte der langen
Reihe von Rädern, die Intervalle an PFFFFs werden immer kürzer.
Die beiden knien jetzt vor dem selben Fahrrad und greifen zum
selben Ventil.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Das gehört noch mir.
Adrian zieht das Ventil raus: PFFFF! Jetzt haben sie alle Räder
geschafft.
MAX
(trotzig)
Von mir aus. Ich hab´ schon genug.
ADRIAN
Zeig her!
Max öffnet seine Handfläche und wir sehen an die 40 Ventile. Adrian
nickt.
MAX
Und wie viele hast du?
Adrian öffnet seine Hand. Er hat ungefähr gleich viel Ventile.
ADRIAN
Wir zählen sie später. Jetzt los!
Weg hier!
MAX
Das sagst du doch nur, weil ich mehr
habe als du.
Als sich die beiden Jungen aufrichten, schrickt Alexander zurück.
Dabei stößt er gegen sein Fahrrad, das mit einem lauten,
metallernen GERÄUSCH hinter den Busch hervor auf den Gehsteig
fällt.
Adrian und Max blicken auf. Sie sehen das Rad und wie sich in
diesem Moment der rothaarige Alexander konsterniert erhebt und
hinter dem Gebüsch zum Vorschein kommt.
ADRIAN
Die Karottenbirne!
Max greift sich an seinen schmerzenden Hintern.
MAX
Nicht gut!
Alexander verharrt noch für eine Schrecksekunde, dann schwingt er
sich auf sein Fahrrad.
ADRIAN
Den holen wir uns!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Max nickt zustimmend, greift nach hinten zu seinem Hosenbund und
holt die Steinschleuder hervor, ein Ventil legt er in die
Schleuder, die restlichen steckt er in die Hosentasche.
MAX
Klar doch!
Die beiden laufen los.
Alexander blickt angsterfüllt auf die beiden sich nähernden
Burschen. Er schafft es nicht mehr loszuradeln. Er springt vom Rad,
lässt dieses umfallen und läuft weg.
Adrian und Max rennen Alexander hinterher.
8
STRASSE – GEHSTEIG / VERFOLGUNG
AUSSEN
Alexander flüchtet sich den Gehsteig entlang und biegt in eine
kleine Gasse ein. ZENG! Ein Ventil fetzt knapp an seinem Kopf
vorbei und schlägt wuchtig in einen Holzzaun ein, Holzsplitter
fliegen und fetzen.
MAX
(auf die Schleuder blickend)
Wow!
Max erhebt sich, lädt die Schleuder nach und läuft wieder los.
Adrian läuft vor ihm und ist jetzt nur noch ein paar Meter hinter
Alexander, der sich immer wieder angsterfüllt nach hinten umdreht.
Alexander biegt noch einmal ab und flüchtet sich in einen schmalen,
mit faustgroßen Steinen bedeckten Schlurf zwischen zwei Garagen, am
Ende ein hoher, unüberwindbarer Zaun: Sackgasse! Alexander atmet
schwer, dreht sich um und erblickt Adrian, der jetzt siegessicher
den Weg versperrt.
ADRIAN
Hier kommst du nicht mehr raus!
Hinter Adrian taucht jetzt Max auf, er atmet tief ein und aus.
ADRIAN
Da ist er! War ein Kinderspiel! Ist
langsam wie eine Schnecke!
Max nickt, dann zieht er seine Schleuder auf.
MAX
Das Schwein verpfeift uns diesmal
sicher nicht!
Alexander blickt auf die Schleuder.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ALEXANDER
Das… das ist meine Schleuder. DU
hast sie also gestohlen. Die gehört
mir.
Max blickt auf Adrian.
ADRIAN
(zu Alexander)
DIE gehört jetzt uns!
Adrian weicht seitlich aus, grinst höhnisch grinsend. Alexander
blickt ängstlich auf Max, der sich ihm langsam mit gespannter
Schleuder zwei Schritte nähert. Alexander geht in die Knie und hält
sich die Hände schützend vors Gesicht.
ALEXANDER
Bitte nicht! Ich verrate euch auch
nicht.
MAX
Sicher nicht?
Er zieht die Schleuder ganz zurück.
ALEXANDER
Ich sag´ nichts, ehrlich! Gebt mir
nur mein Fahrrad zurück und ich bin
weg. Ich verspreche es! Hoch und
heilig!
Max nimmt Spannung aus der Schleuder.
ADRIAN
(betont ruhig)
Ich glaub´ ihm kein Wort.
Max blickt von Alexander auf Adrian. Der blickt fordernd. Max zieht
die Schleuder wieder auf, zielt auf: ZENG. Ein Ventil fetzt los und
trifft Alexander am Unterarm. Das Geschoß schlägt eine tiefe, stark
blutende Wunde. Alexander schreit laut auf, hält sich den Arm und
beginnt bitterlich zu weinen.
Max sieht das Blut, ist über die Wirkung des Geschoßes verblüfft,
bekommt jetzt ein mulmiges Gefühl. Adrian blickt ebenfalls
verwundert über die Wirkung der Schleuder auf Max, allerdings hegt
er nicht reuige, sondern böse Gedanken. Gierig greift er nach der
Schleuder.
ADRIAN
(euphorisch)
Lass mich auch mal!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
Warte mal, ich…
Adrian reißt Max die Schleuder aus der Hand, kniet sich zu Boden
und legt vor sich die in der Hand gesammelten, über 40 Stück
Ventile ab. Er häuft sie auf einen Haufen. Er nimmt ein Ventil auf,
lädt, zielt auf: ZENG! Adrian schießt das Ventil auf Alexander. Es
trifft ihn am Unterschenkel. Eine tief klaffende Wunde tut sich
auf. Alexander brüllt wie am Spieß.
ALEXANDER
(weinerlich)
Bitte nicht! Mama!
ADRIAN
Deine Mama ist jetzt nicht da.
Adrian nimmt das nächste Vetil auf, lädt erneut nach, spannt die
Schleuder. Max kann gar nicht hinsehen, schließt die Augen. Adrian
zielt: ZENG! Das Geschoß schlägt knapp neben Alexanders Kopf in der
Mauer ein. Staub wirbelt. Max ist erleichtert.
ADRIAN
Verdammt noch einmal!
ALEXANDER
(flehend)
Hört bitte auf! Ich habe euch doch
gar nichts getan!
Adrian nimmt das nächste Vetil auf, lädt nach.
Max steht tatenlos neben dem knieenden Adrian, will schon etwas
dagegen sagen, kann aber irgendwie nicht.
Adrian spannt die Schleuder extrem zurück. In diesem Moment kommt
ihm die Schleuder aus, das Ventil schießt seitlich weg gegen die
Mauer, von dort auf die Regenrinne, von dort zurück und Max durch
das berstende Brillenglas genau in das rechte Auge. Max brüllt auf,
hält sich das Auge zu und geht vor Schmerz in die Knie. Adrian
kniet sich vor ihn, lässt die Schleuder zu Boden fallen.
ADRIAN
Nimm die Brille runter, nimm die
Brille runter.
Adrian hilft Max, die demolierte Brille von der Nase zu nehmen. Er
zerrt Max die blutige Hand vom Auge weg.
ADRIAN
Lass mal sehen!
Das Auge sieht schlimm aus, es blutet stark, zähe, milchig-rote
Flüssigkeit tritt aus.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
14
ALEXANDER
(off)
Das habt ihr nun davon, ihr Idioten!
Adrian dreht sich langsam zu Alexander zurück.
ALEXANDER
(trotzig, schadenfroh)
Ich sag´ alles meiner Mama und dann
bekommt ihr Prügel wie noch nie. Das
schwöre ich euch.
Max weint erneut auf, es fließen Tränen des Schmerzes und der Angst
vor der angedrohten Strafe. Adrian wendet sich Max zu.
ADRIAN
Ganz ruhig, Max, das wird schon
wieder!
Adrian richtet sich auf, streift mit seinem Fuß über den Haufen
Ventile. Die verstreuen sich über den ganzen Boden, sind jetzt
nicht mehr wichtig.
Adrian nähert sich mit festem Schritt Alexander, nimmt auf dem Weg
einen großen Stein auf, kniet sich über Alexander und schlägt mit
voller Wucht auf dessen Kopf: BUMM!
Alexander sackt bewusstlos in sich zusammen, Blut rinnt über die
Steine. Max hört auf zu weinen, beobachtet die Szenerie.
Adrian holt erneut aus: BUMM! Er schlägt ein zweites Mal auf den
Kopf von Alexander. Alexander rührt sich nicht mehr. Adrian erhebt
sich, wirft den blutigen Stein neben Alexander.
Er geht zurück zu Max, der ihn schockiert ansieht, und führt ihn in
den engen, nicht einsehbaren Schlurf.
ADRIAN
Du setzt dich jetzt da her und
wartest auf mich! Ich bin gleich
wieder da!
Max ist wie paralysiert, er sitzt jetzt keine zwei Meter neben dem
toten Alexander. Adrian macht sich auf.
MAX
Adrian!
Adrian hält inne, blickt zurück.
ADRIAN
Ja?
MAX
Kommst du wieder?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
15
Adrian lächelt ein wenig. Er genießt das wohlige Gefühl, gebraucht
zu werden. Es macht ihn stolz.
ADRIAN
Du wartest einfach hier!
Max nickt, Adrian läuft los.
Max senkt seinen Blick, eine Hand hält er schützend vor sein Auge.
Dann schwenkt er seinen Blick auf Alexander, der tot neben ihm
liegt. Die Steine bei Alexanders Kopf sind blutgetränkt. Max blickt
wieder weg. Dabei sieht er die Steinschleuder am Boden liegen. Er
lässt sich rüber, hebt diese auf und steckt sie in den Hosenbund
weg.
In diesem Moment taucht Adrian mit dem Fahrrad von Alexander auf.
ADRIAN
Komm raus da, schnell!
Max erhebt sich und geht aus dem Schlurf. Adrian hebt das Rad an
und wirft es fest zu Boden: BOING! Max beobachtet ihn aufmerksam.
Das Rad hat große Schäden abbekommen. Adrian hebt das Rad noch
einmal an, geht so unter größter Anstrengung in den Schlurf hinein.
ADRIAN
Hilf mir doch!
Max hilft Adrian mit einer Hand, die andere schützend vorm Auge,
das Fahrrad in die Höhe zu stemmen. Die beiden schlängeln sich in
den engen Schlurf.
ADRIAN
Auf drei, dann werfen wir das Rad da
(Kopfnicken in Richtung Mauer) rüber,
verstanden?
MAX
(zittrige Stimme)
Klar doch!
ADRIAN
Eins – zwei ADRIAN UND MAX
drei!
Das Fahrrad prallt gegen die Wand und fällt von dort runter auf den
Körper von Alexander. Das Hinterrad dreht sich langsam, dazu
pfeifen die Speichen, die Achse quietscht im Takt. Max und Adrian
beobachten das laufende Rad aufmerksam. Das Rad wird langsamer,
stoppt. Es ist jetzt absolut ruhig, nur der Wind RAUSCHT durch die
Blätter, die Vögel ZWITSCHERN: Vorstadtidylle!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
16
MAX
Jetzt hat er wenigstens sein Fahrrad
wieder!
Max sagt und meint das nicht zynisch, sondern kindlich naiv,
ehrlich. Adrian blickt eindringlich auf Max, dieser Satz wird ihm
in Erinnerung bleiben.
ADRIAN
Zurück zu unseren Rädern!
MAX
Ja!
Die beiden laufen los, Adrian voraus, Max hinterher, eine Hand vorm
Auge, die andere am schmerzenden Hintern.
MAX
Warte, nicht so schnell!
ABBLENDE
AUFBLENDE
9
ZAHNKLINIK – SPÄTER VORMITTAG
INNEN
Wir bewegen uns durch eine großen, fensterlosen Saal. Die Wände
sind weiß verputzt, der Boden aus grünem Linoleum. Links und rechts
sind unzählige, nur durch weite, weiße Stofflaken sichtgeschützte
Behandlungsstühle. Laute BOHRGERÄUSCHE und vereinzelte SCHREIE
erfüllen den Raum. Eine ARZTASSISTENTIN mit weißem Kittel
schlendert mit laut KLAPPERNDEN Holzschuhen von einer Kabine zur
nächsten.
Wir sehen, wie eine 45-jährige FRAU mit ihrem zehnjährigen SOHN
gerade eine Kabine verlässt und auf uns zu in Richtung Ausgang
geht. Beide tragen abgetragene Lumpen und alte Schuhe. Die Mutter
nuschelt ihrem Jungen tröstende Worte in einer slawischen Sprache
zu. Der Junge hält sich mit einem blutigen Papiertaschentuch die
Backe, mit der anderen zieht er einen stark gebrauchten GAMEBOY aus
seiner Hosentasche und beginnt darauf zu spielen.
Wir kommen vor einer Kabine zum Stehen.
10 KABINE
INNEN
Ein 60-jähriger MANN, ungepflegt, strubbeliger Vollbart und
Schnapsnase, hält seinen Mund weit offen. Wir blicken auf die wenig
verbliebenen, verfaulten Zähne. Der ARZT führt mit einem Spiegel im
Rachenraum eine Untersuchung durch. Er trägt dabei
Einweghandschuhe, Mundschutz und eine Kopfbedeckung. Wir können nur
seine stechend blauen Augen erkennen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
17
Der Arzt legt den Spiegel auf die Ablage zum anderen Werkzeug und
greift zu einem löffelähnlichen Instrument. Er wirft einen Blick
auf den alten, sabbernden, sichtlich betrunkenen Obdachlosen.
Er legt den Löffel wieder zurück und greift stattdessen zu einem
grimmig spitzen Stechinstrument. Seine Augen werden ein Schlitz.
In diesem Moment öffnet sich mit einem RATSCH der Sichtschutz. Der
junge Arzt schrickt auf, blickt zurück, legt dabei das
Stechinstrument wieder unauffällig zurück.
Ein alter Herr, 65 Jahre, weiße Haare, Brille auf der Nasenspitze,
Namenschild mit „Univ. Prof. Dr. Franck“, die Hände im weißen
Arztkittel, blickt herein.
PROFESSOR
(routiniert)
Wie läuft´s, Herr Kollege?
ARZT
(im Sinne von `gut´)
Mh-mh!
Der Professor blickt kurz auf den Patienten. Dieser grinst gequält
und ängstlich zurück.
PROFESSOR
Schön!
Er zieht den Vorhang zu, ein Spalt bleibt offen, und geht ab. Der
Arzt steht auf uns schließt den Vorhang blickdicht.
Der Arzt setzt sich wieder, wendet sich dem Patienten zu. Er greift
erneut zu dem Stechinstrument. Er setzt dieses vorsichtig an. Der
Mann zuckt kurz auf. Der Arzt setzt wieder an, der Mann wimmert.
ARZT
(flüsternd, Befehlston)
Halten Sie sich ruhig, ich könnte
Sie sonst verletzen.
Der Mann murmelt Unverständliches.
Der Arzt bohrt mit diesem Stecher tief in das Zahnfleisch und in
die verfaulten Zahnfragmente des Mannes. Wir erkennen jetzt das
Namensschild auf dem Arztkittel: „Dr. Adrian Weihsmann“.
Aus dem Knaben Adrian wurde Doktor Weihsmann. Er ist 37 Jahre alt.
Der alte Mann stöhnt immer wieder laut auf, windet sich vor
Schmerz. Adrian richtet sich auf.
ADRIAN
(flüsternd, bestimmt)
Wenn Sie sich weigern zu
kooperieren, breche ich die
Behandlung ab.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
18
Der alte Mann will sich vom Stuhl aufrichten, als Adrian ihn mit
einer Hand zurück gegen den Stuhl presst. Der alte Mann blickt
gebannt und starr vor Schreck.
ADRIAN
(flüsternd, aggressiv)
Du hättest noch mehr saufen sollen,
dann würdest du jetzt nicht jammern
wie ein altes Weib.
In diesem Moment öffnet sich mit einem RATSCH der Sichtschutz und
die Arztassistentin mit den klappernden Schuhen betritt die Kabine.
Adrian lässt schnell von seinem Patienten ab und richtet sich auf.
Die Arztassistentin weiß, was sich hier abgespielt hat, lässt sich
aber nichts anmerken.
ARZTASSISTENTIN
Hier sind die Bilder, Herr DOKTOR.
Adrian räuspert sich.
ADRIAN
Ja, danke!
Er nimmt die Röntgenaufnahmen entgegen und studiert diese.
Die Arztassistentin wirft einen kurzen Blick auf den alten Mann,
der aus dem Mund Blut und Speichel in den Abfluss lässt, dann geht
sie ab und zieht die Laken wieder vor.
ADRIAN
(ohne von den Bildern aufzublicken)
Sie sind fertig für heute.
Der alte Mann wischt sich den Mund mit dem Ärmel seines
vergammelten Mantels und erhebt sich mühsam aus dem Stuhl.
ALTER MANN
(schwer verständlich, weinerlich)
Du alte Drecksau, du! Ich kann doch
nichts dafür! Ich kann doch nichts
dafür, Herr Doktor!
Adrian blickt von seinen Bildern nicht auf. Der Mann geht ab.
Adrian legt die Bilder auf einen Beistelltisch, reißt sich den
Mundschutz vom Gesicht. Jetzt können wir sein Gesicht erkennen:
Adrians Gesicht hat feine, weiche Züge, glattrasiert,
Kurzhaarschnitt mit grauen Ansätzen, auffallend schöne Zähne,
stechend blaue Augen.
Adrian wirkt nachdenklich, entäuscht. Er beißt sich vor Zorn so
fest in die Unterlippe, dass sie zu bluten beginnt. Er wischt sich
mit dem Daumen das Blut weg.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
19
11 ZAHNKLINIK
AUSSEN
Der alte, hinkende Mann quält sich über eine breite Betonstiege
nach unten, hinter ihm ein schäbiger Betonblock aus den 70er
Jahren. Es öffnet sich die schwere Eingangstür und Adrian kommt mit
wehendem Arztkittel heraus.
ADRIAN
(schreiend)
He!
Der alte Mann bleibt stehen, dreht sich um. Adrian nähert sich und
drückt ihm einen Hundert-Euro-Schein in die Hand.
ADRIAN
Da!
Adrian dreht sich um und geht zurück ins Gebäude. Der alte Mann
blickt überrascht und sprachlos von Adrian auf den Geldschein und
wieder zurück auf Adrian.
ALTER MANN
(nachrufend)
Bis zum nächsten Mal!
Adrian reagiert nicht, er betritt wieder das Gebäude. Der alte Mann
steckt lächelnd den Geldschein weg, dreht sich um und geht.
12 TANZLOKAL – NACHT
INNEN
Wir befinden uns in einem kleinen, schickimicki Schwulenlokal, das
selbstredend hauptsächlich von topgestylten Männern von 20 aufwärts
besucht wird. Das Lokal ist gesteckt voll, 80er-Jahre Musik
WUMMERT, die Tanzfläche brodelt. Die mit silbernen Anzügen
bekleideten, auffallend adretten Kellner, alle um die Mitte 20,
wuseln geschäftig hinter der wuchtigen Bar, Geldscheine flattern.
Am Ende der Bar lehnt ein untersetzter, dickbauchiger,
stiernackiger, glatzköpfiger Anzugträger, Pockennarben im Gesicht,
braungebrannt, ´Camel`- Kettenraucher, mit schwarzer Augenklappe
Marke Piratenlook: Max!
Er steht vor einem Kübel mit Champagner und unterhält sich mit zwei
honorigen, ungefähr 50 Jahre alten Managertypen. Durch die laute
Musik können wir das Gespräch nicht wahrnehmen. Sie lachen laut
auf, stoßen an und trinken aus den voll gefüllten Gläsern. Die
beiden Männer nippen, Max trinkt in einem Zug aus.
Max stellt das Glas ab und gibt den Männern ein Handzeichen, dass
er für Nachschub sorgt. Die zwei Männer nicken, lachen.
Max macht drei Schritte hinter die Bar. Er bewegt sich trotz seines
starken Übergewichts geschmeidig, weich, fast ein bisschen
demonstrativ tuntig.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
20
Max winkt einen Kellner zu sich. KLAUS kommt herbei geeilt, er
wirkt aufgedreht, nervös, sein erster Arbeitstag.
Die beiden sprechen sich aufgrund der Lautstärke direkt ins Ohr.
MAX
Bring´ noch eine Flasche „DOM“ zu
mir!
Max deutet mit einem schnellen, unauffälligen Handzeichen auf
seinen Platz an der Bar.
MAX
… und setz´ es den Arschlöchern auf
die Rechnung. Die sind so zugekokst,
die wollen mit ihrem Geld ein
bisschen angeben.
KLAUS
Okay, Chef!
Klaus will schon hektisch abdampfen, Max hält ihn am Arm zurück.
KLAUS
Ja?
MAX
Ganz ruhig, Klaus, nicht hektisch
sein, alles läuft, und du bist gut!
Klar?
Klaus nickt, lächelt schüchtern.
MAX
Und sorg´ dafür, dass dieser Typ da…
Er zeigt unauffällig auf einen Mann um die 35, der an der Bar steht
und auf eine Bestellung wartet. Er tippselt dabei nervös mit den
Fingern auf der Bar, einen `Hunderter´ zwischen den Fingern.
MAX
… schnell was zu trinken bekommt. Er
sieht durstig aus.
Klaus nickt, will gehen. Max hält ihn noch einmal zurück.
MAX
Und wisch dir den Schweiß von der
Stirn, du siehst schrecklich aus.
Klaus will sich an die Stirn greifen, Max hält dessen Hand zurück.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
NICHT hier vor den Leuten! Die
wollen das nicht sehen. Mach das
hinten.
KLAUS
Okay, Chef!
MAX
(euphorisch)
Und jetzt mach! Und hab´ Spaß! Das
hier ist dein neuer Job!
Max klatscht Klaus sanft auf den Hintern. Klaus blickt überrascht
auf Max, der lächelt und zwinkert mit seinem (noch verbliebenen)
Auge. Klaus lächelt zurück und rauscht davon.
Max gibt den beiden Männern am Ende der Bar ein Zeichen, dass das
Getränk unterwegs ist. Die beiden lächeln zufrieden. Max deutet,
dass er gleich wieder bei ihnen sein wird. Die beiden nicken.
Max geht nach hinten weg in Richtung eines Durchgangs. Er hält kurz
inne, richtet zwei Flaschen Wodka in den Spendern mit dem Etikett
exakt nach vorne aus. Dabei erblickt er sein Gesicht im Barspiegel.
Er hält kurz inne, dann geht er durch den Durchgang, der mit
schwerem, roten Samt verhangen ist.
13 GETRÄNKELAGER
INNEN
Max kommt ins Getränkelager. Hier stapeln sich meterhoch Kisten und
Kartons. Die Musik dringt gedämpft und leise von draußen nach
hierher. Max atmet ein paar Mal tief durch, er wirkt völlig
überdreht, unruhig. Er greift in die Innentasche seines Sakkos,
holt ein kleines, silbernes Fläschchen raus und staubt sich damit
Kokain in die Nase. Er zieht das Zeug wie verrückt hoch, atmet tief
durch, schließt kurz die Augen, öffnet diese wieder.
Ein routinierter Kellner, Zigarette im Mundwinkel, kommt in diesem
Moment mit zwei leeren Bierkisten in Händen in das Lager und steht
vor Max. Er spricht mit der Zigarette im Mund.
KELLNER
Entschuldige Chef, darf ich kurz
durch?
MAX
Klar doch!
Max macht sich, das Fläschchen mit gespreizten Fingern hoch
haltend, schmal, der Kellner passiert.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
Meine Wampe steht doch immer im Weg.
Wenn ich so weiter mache, kann ich
schon bald beim Pinkeln meinen
Schwanz nicht mehr sehen.
KELLNER
(beim Vorbeigehen)
Hauptsache, ER sieht ´was. Soll ja
nicht daneben gehen, oder?
Max lacht laut, überdreht.
MAX
(auf seine Augenklappe zeigend)
Und dabei hat er auch nur EIN Auge.
Allerdings immer schon gehabt. Wie
würde denn das sonst aussehen?
Max lacht erneut laut auf, der Kellner lacht mit rauchiger Stimme
mit und geht weiter nach hinten ins Lager, verschwindet hinter
Kistenstapeln.
Max´ Lachen entfließt, er wirkt ernst, nachdenklich. Er richtet
sich die Augenklappe, blickt für ein paar Sekunden zu Boden: Durch
seine eigene Wortmeldung daran erinnert, holt Max die schreckliche
Vergangenheit ein. Sein Blick fällt auf einen hohen Stapel
übereinander geschlichteter Kisten. Er sieht, dass zwei Kisten
nicht korrekt ineinander greifen. Er tritt mit seinem Fuß fest
gegen den Stapel, so dass die Kisten mit einem RUMMS ineinander
rutschen.
MAX
(nach hinten zum Kellner brüllend)
Und richtet die Kisten ordentlich
aus, verdammte Scheiße noch einmal,
oder wollt ihr mich hier zu einem
ganzen Krüppel schlagen?
Keine Antwort. Max atmet tief durch. Er zieht Koks, kräftiger und
intensiver als vorher. Er putzt sich die Nase, steckt das
Fläschchen wieder weg, atmet noch einmal tief durch, klatscht sich
mit beiden Händen auf die Wangen. Jetzt kann es wieder losgehen.
Kurz vorm Rausgehen wischt er noch einmal kurz über die Nase. Er
zieht die schweren Vorhänge zur Seite, Musik und Partylärm schlagen
uns mit voller Wucht entgegen. Draußen im Lokal tobt die Hölle. Und
Max geht hinein, streckt die Arme hoch, die Welt fordernd:
MAX
(schreiend)
Was ist hier los, ihr Schwuchteln?
Party!!!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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14 SANATORIUM / FLUR – FRÜHER MORGEN
INNEN
Wir blicken in einen mit edlem Holz ausgelegten Flur. Da und dort
liegen Perserteppiche. An den Wänden hängen große Ölgemälde,
eingefasst in goldene Rahmen, die historische Persönlichkeiten und
Schlachten zeigen. Eine große, barocke Uhr verrät uns die Zeit:
„Fünf vor Fünf“.
MARIA schiebt einen Rollwagen, beladen mit Bettzeug, vor sich her.
Maria ist Ende Zwanzig, schlank, klein gewachsen. Ihr pechschwarzes
Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr feines,
ungeschminktes Gesicht zeigt makellose, auffällig weiße Haut,
kohlbraune Augen.
Maria geht routiniert von Tür zu Tür und legt Bettzeug auf die dort
stehenden Tischchen ab. Jede Tür erhält sein individuelles
Bettzeug, ein an jedes Bettzeug geheftetes Zettelchen hilft bei der
Zuordnung.
Maria kommt beim Schwesternraum vorbei, der durch große
Glasscheiben einsichtig ist. Eine schwer übergewichtige Schwester,
ihr Namensschild sagt SABINE MENKEN, sitzt mit verschränkten Armen
auf einem Rollsessel und schläft. Vor ihr auf der Tischplatte steht
ein Teller mit einem kleinen Reststück einer Bratwurst, der Rest
von einem Senf und einem angebissenen Stück Brot, daneben eine Dose
Cola Light. Hinter der Frau, im Eck des Zimmers, steht der
Arzneimittelschrank. Maria wirft einen kurzen Blick darauf.
Maria schiebt den Wagen weiter den Flur entlang. Sie greift zu
weißen Bettlaken, die mit kleinen, roten Rosen verziert sind. Sie
nimmt das Zettelchen mit dem Namen und der Türnummer ab und steckt
es in den grünen Arbeitsmantel weg. Maria will das Bettzeug gerade
auf dem Tischchen ablegen, als sich in diesem Moment die Tür öffnet
und eine alte, gebrechliche, sehr schnell sprechende Dame
herausblickt.
DAME
Guten Morgen, Fräulein Maria!
MARIA
Guten Morgen, Frau Doktor! Auch
schon so früh auf?
DAME
Natürlich! Ich habe heute viel vor.
Die Dame ist frisch geduscht und trägt einen giftgrünen, samtenen
Bademantel mit aufgestickten, goldenen Initialen: „I.S.“
Sie greift nach dem Bettzeug, Maria überreicht es.
MARIA
Bitte sehr! Was steht denn heute
an, Frau Doktor?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
24
Die Dame nimmt das Bettzeug entgegen.
DAME
(bitterernst)
Heute kommt mein Tod!
Marias Blick wird ernst.
MARIA
So dürfen Sie doch nicht….
DAME
Papperlapapp! War doch nur eine
Lustigkeit, Fräulein! Oder sehe ich
etwa so aus, als wollte ich sterben?
Und sagen Sie jetzt bloß nichts
Falsches!
Maria schüttelt den Kopf, lächelt erleichtert.
DAME
Heute holen mich meine drei Söhne
ab, wir machen eine große Ausfahrt.
MARIA
Sehr schön. Wo soll es denn
hingehen?
DAME
Sind Drillinge, alle drei
erfolgreiche Anwälte. Mit denen
müssen Sie mal streiten, sag´ich
Ihnen. Da kommt nie ´was dabei raus.
MARIA
Das kann ich mir gut vorstellen. Und
wo soll es jetzt hingehen?
Die Dame blickt ernst auf Maria. Sekunden vergehen.
DAME
Hören Sie mal, wollen Sie den ganzen
Tag verquatschen oder auch noch ein
Stück ´was schaffen heute?
Maria nickt.
MARIA
Sie haben wohl recht, ich muss
weiter. Schönen Ausflug wünsche ich
Ihnen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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DAME
Danke schön!
Maria dreht sich weg.
DAME
(off)
Ach, übrigens!
Maria dreht sich zurück. Die Dame greift in ihre Tasche und streckt
Maria einen Fünf-Euro-Schein entgegen.
DAME
Für ihre Dienste!
Maria zögert, dann ergreift sie den Schein.
MARIA
Ich danke Ihnen, Frau Doktor.
Die Frau nickt betont und schließt die Tür. Maria steckt den Schein
weg und schiebt den Rollwagen weiter.
Wir sind im Schwesternraum bei der schlafenden Sabine Menken. Ein
nervender, sich stets wiederholender PIEPSTON erklingt. Sabine
schrickt hoch, sie blickt seitlich auf eine Schaltfläche, wo ein
Signallämpchen blinkt. Sabine quittiert routiniert den Alarm. Der
Piepston und das Blinken erlischen. Sabine blickt auf die
Digitaluhr am Tisch: „05.35“.
SABINE
(gähnend, zu sich)
Ist gut!
Sie reibt sich den Schlaf aus den Augen und pullt ihren schweren
Körper aus dem Sessel. Sie bewegt sich langsam aus dem
Schwesternraum und blickt den Flur entlang. Am Ende des Flurs
blinkt über der Toilettentür ein weißes Signallicht, von Maria
keine Spur. Die Schwester geht los.
Wir blicken aus einem dunklen Raum durch einen sehr engen Türspalt
nach draußen auf den Flur. Schwester Sabine geht vorbei.
Nach ein paar Sekunden öffnet sich langsam die Tür. Maria schleicht
aus dem kleinen Abstellraum für Reiningungsutensilien heraus, wirft
einen vorsichtigen Blick ums Eck und sieht, wie Schwester Sabine
auf dem Weg zur Toilette ist.
Jetzt muss alles schnell gehen: Maria tritt heraus und huscht auf
leisen Sohlen über den Flur in den Schwesternraum. Sie zieht einen
Schlüssel und eine kleine, weiße Plastiktüte aus ihrer Jeanshose
und geht zum Arzneimittelschrank. Sie sperrt mit nervöser, aber
bestimmter Hand den Schrank auf.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Schwester Sabine betritt den Behinderten gerechten Toilettenraum
und quittiert durch einen Schlag auf einen Knopf neben der Tür das
Signallicht von draußen.
SABINE
(umherblickend, routiniert)
Schwester Sabine hier, kann ich
Ihnen helfen?
Keine Antwort. Sabine geht zwei Schritte weiter vor.
SABINE
(skeptisch umherblickend)
Hallo? Ist hier jemand?
Sabine bemerkt, dass die hintere der drei Kabinen geschlossen ist.
Marias Finger gleiten flink durch die Schachtelreihen, sie geht
geistig eine Bestellliste durch. Dabei spricht sie flüsternd mit
sich selbst, wohl auch, um sich ein bisschen die Angst zu nehmen.
MARIA
Paracetamol …
Ihre Finger wandern ziellos herum.
MARIA
(nervös, hastig)
Scheiße, müssen die hier alle zwei
Wochen alles umstellen.
Gefunden. Sie steckt zwei Schachteln in die Tüte weg. Die Lücke
wird mit den Schachteln der hinteren Reihe aufgefüllt.
MARIA
Opipramol…
Die Finger wandern: Gefunden. Zwei Schachteln davon gehen ab in die
Tüte.
Schwester Sabine kommt vor der Toilettentür zum Stehen und bemerkt,
dass diese von innen verschlossen ist. Sie KLOPFT.
SABINE
Kann ich Ihnen helfen?
Sie wartet ab, KLOPFT wieder.
SABINE
Geht es Ihnen gut? Können Sie mich
hören?
Sabine lauscht an der Tür.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
27
Auf Marias Stirn stehen Schweißtropfen.
MARIA
Scopolamin…
Vier Schachteln.
MARIA
Zu viel, zu viel, das ist zuviel!
Sie stellt zwei Schachteln wieder zurück.
MARIA
Und da noch …
Wieder drei Schachteln.
Schwester Sabine greift hastig in ihre Manteltasche und fischt eine
Münze heraus. Sie legt die Münze außen ans Türschloss.
SABINE
(hineinsprechend)
Ich öffne jetzt die Tür.
Sabine wartet noch kurz, dann dreht sie die Münze um, das Schloss
springt auf. Langsam drückt sie die Tür auf, die Kabine ist
menschenleer. Sabine grübelt kurz, macht kehrt und geht ab.
Marias Bewegungen werden immer hastiger.
MARIA
(zu sich, flüsternd)
Das da und das da …
Die Tüte ist mittlerweile mit Schachteln randvoll.
Sabine verlässt die Toilette und geht den Flur entlang. Sie betritt
das Schwesternzimmer, keine Spur von Maria. Der Arzneimittelschrank
ist verschlossen. Die Schwester lässt sich wieder breit auf ihren
Sessel nieder, beißt von der kalten Bratwurst ab und lässt sich
zurück. Dabei fällt ihr Blick zu Boden, sie sieht eine
Medikamentenschachtel liegen. Ihr Blick wird grüblerisch, sie hebt
die Schachtel auf, denkt nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Sie greift nach einem Schlüssel in ihrem Schwesternkittel und
sperrt die Schachtel zurück in den Arzneimittelschrank. Sie bemerkt
dabei nicht, dass viele Schachteln entnommen wurden. Sabine setzt
sich wieder.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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15 SANATORIUM / PARK
–
FRÜHER MORGEN
AUSSEN
Ein prächtiger Sonnenaufgang. Maria, sie trägt ein leichtes,
knielanges, geblümtes H&M-Sommerkleid, geht über einen
geschotterten Fußweg durch das weitläufige, luxuriös angelegte
Areal. Hinter ihr erhebt sich das schlossähnliche Sanatorium. Ihre
Hand liegt schützend über ihrer Handtasche, aus der die weiße
Plastiktüte blitzt.
Im off hören wir das charakteristische PFEIFEN, wie es nur sehr
schönen Frauen gelten kann. Maria wendet ihren Blick. Sie erkennt
den sehr alten Herrn STROMBOWSKI, der breit lächelnd mit Krückstock
und gestrickter Weste auf einer Parkbank sitzt und ihr grüßend
zuwinkt.
MARIA
(rufend, beim Gehen)
Noch sehr früh für solche Gedanken,
Herr Strombowski!
Der alte Strombowski winkt ab.
STROMBOWSKI
(rufend, lächelnd)
Für mich leider zu spät, viel zu
spät!
Maria lächelt zurück, winkt zum Abschied. Der alte Herr hebt zum
Abschied die stramm gestreckte Hand zum Hitlergruß und blickt
betont grimmig. Man weiß nicht: Ist das Spaß oder Ernst. Maria hebt
den mahnenden Zeigefinger, lächelt. Der alte Mann lächelt zurück,
senkt den Arm. Maria geht weiter.
Maria verlässt durch ein großes Steintor das Gelände. Sie erblickt
die alte Dame von vorhin, die sich nur mit „Frau Doktor“ ansprechen
lässt, wie sie gerade von einem Taxi abgeholt wird. Maria hält kurz
inne, beobachtet die alte Dame beim Einsteigen und geht dann ab.
16 AUF DER STRASSE / DACHRINNE - MORGEN
AUSSEN
Maria geht einer schier endlosen, monotonen, bleigeschwärzten,
fensterlosen Häuserschlucht entlang. An ihr zieht der schnelle,
sehr starke Durchzugsverkehr einer dreispurigen Einfallsstraße
vorbei.
Maria bleibt an einer Dachrinne, die von oben kommend in den
Gehsteig führt, stehen. Sie kniet sich nieder, schiebt den direkt
neben der Dachrinne angebrachten Kanaldeckel seitlich weg und gibt
so den Blick in die Nische frei. Wir sehen einen kleinen,
transparenten Plastikbeutel, nicht größer als eine
Zigarettenschachtel, in dem sich zwei aus Silberpapier gefaltete
Briefchen befinden. Maria steckt den Beutel in ihre Handtasche weg.
Im Gegenzug zieht sie die verklebte Plastiktüte heraus und
deponiert diese in der Nische.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Sie schiebt den Deckel zurück, erhebt sich und geht weg. Sie bleibt
stehen, grübelt und fasst einen Entschluss:
Sie geht zur Dachrinne, kramt dabei aus ihrer Handtasche einen
zerknitterten Rechungsbeleg und einen Kugelschreiber. Gegen die
Hausmauer stützend schreibt sie auf die Rückseite des Beleges mit
krakeliger Schrift:
“Dein Opa fragt oft nach dir!“
Maria faltet den Zettel. Sie grübelt, hält inne, entfaltet den
Zettel und fügt dem Text noch hinzu:
“Wegen Erbe“
Maria grinst, faltet den Zettel und heftet ihn auf die in der
Nische liegenden Plastiktüte. Maria erhebt sich, geht ab.
17 PENTHOUSE / SCHLAFZIMMER - MITTAG
INNEN
Der Radiowecker am Nachttisch zeigt in digitalem Rot: „13.25“.
Daneben stehen zwei halbleere Tulpengläser und eine leere Flasche
Champagner in einem Kübel, ein gefüllter Aschenbecher, verstreute,
in eingetrocknetem Schampusschaum klebende Asche und eine Schachtel
Marlboro mit Feuerzeug daneben.
Wir blicken Adrian ins Gesicht, er schläft tief und fest, er liegt
seitlich in Fötusstellung, zugedeckt bis zum Hals mit feinstem,
weißen Seidenbezug. Die Wunde an der Unterlippe ist fast verheilt.
Von hinten umarmt ihn eine Frauenhand. Eine hübsche, langhaarige
FRAU, Mitte 20, beugt sich zärtlich über ihn und küsst ihn zart auf
die Wange. Adrian erwacht, blinzelt, schielt umher.
FRAU
(zärtlich gehaucht)
Guten Morgen, Adrian.
Die Frau lächelt, küsst ihn noch einmal auf die Wange.
FRAU
Und? Wie geht´s meinem ´Lover´?
Adrians Miene bleibt kalt, er schließt die Augen.
ADRIAN
(sehr leise und betont langsam)
Wenn ich die Augen wieder öffne,
bist du verschwunden, okay?
Die Frau stutzt.
FRAU
(ungläubig, empört)
Was?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
30
ADRIAN
Wenn ich die Augen wieder öffne, …
Die Frau springt aus dem Bett.
FRAU
Hab´ verstanden! Danke!
Die Frau sucht wortlos und hektisch ihre am Boden vertreuten
Kleider zusammen und bekleidet sich. Adrian bleibt regungslos
liegen. Sie greift nach ihrer Handtasche und checkt, ob sie alles
dabei hat. Sie blickt in den Raum: Die Wände sind waschbetongrau,
über dem Bett ein feuerrotes, abstraktes Gemälde, verspiegelter
Wäscheschrank, durch die silbernen Jalousien glänzt die Sonne.
Die Frau geht zum Nachttisch und nimmt die Schachtel Marlboro mit
Feuerzeug auf. Sie steht jetzt direkt vor Adrian, sie blickt ihn
für ein paar Sekunden eindringlich an. Adrian hält seine Augen
geschlossen. Die Frau lächelt überlegen, geht zur Tür, macht halt
und dreht sich zurück.
FRAU
Ach, übrigens…
Adrian zieht eine Miene, die sagt: `Ich weiß, welcher Spruch jetzt
kommt!´
FRAU
Ich weiß nicht, was du für ein
Problem hast, aber vom Ficken hast
du echt eine Ahnung.
Die Frau geht ab, die Tür lässt sie offen stehen. Man hört ihre
Schritte über eine Holzstiege nach unten aus dem off. Adrian öffnet
seine Augen, er wirkt nachdenklich. Im off hört man, wie die
Wohnungstür ins Schloss fällt. Adrians Blick ist starr.
18 WOHNZIMMER
Adrian geht über die Holztreppe nach unten. Er trägt eine Unterhose
und ein schwarzes T-shirt. Wir gewinnen einen Eindruck von der
Wohnung, die mit viel Beton, Glas und Chrom eine sehr ansprechende,
aber kalte Atmosphäre verströmt. Alles steht millimetergenau auf
seinem Platz. Der Blick durch die Panoramafenster zeigt eine
prächtige Aussicht auf die darunterliegende Stadt.
19 KÜCHE
Eine wuchtige Espressomaschine lässt LÄRMEND Kaffee. Max (!) steht,
frisch geduscht und mit Bermudas und einem weiten, weißen Hemd
bekleidet, in der chromblauen, glatten, kalten, penibelst
aufgeräumten Küche.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Er leert ofenfrische Brötchen aus einem Papiersack in einen
Brotkorb. Der Sack wird sofort im Müll versorgt. Max stellt den
Korb auf den äußerst elegant und ausladend gedeckten Tisch, der vor
einem Panoramafenster steht. Max geht zu der Espressomaschine.
ADRIAN
(off)
Morgen!
Max wendet sich Adrian zu, der noch ungewaschen und zersaust die
Küche betritt.
MAX
Guten Morgen! Espresso ist schon
fertig.
ADRIAN
Danke!
Adrian setzt sich an den Tisch.
MAX
(zur Tür nickend)
Und? Wie war SIE?
Adrian nickt.
ADRIAN
(im Sinne von `okay´)
Mh-mh!
MAX
Sie hatte es eilig, wie?
Max stellt Adrian den Kaffee an den Tisch. Adrian nickt.
MAX
So sind die Frauen eben! Kurzer
Spaß, nur einmal kräftig die Nudel
auswinden… und weg sind sie! Und
darum …
Adrian nickt wissend: Er weiß, wie der Satz weitergeht.
MAX UND ADRIAN
… bin ich auch eine alte Schwuchtel
geworden!
Max lacht laut auf, zeigt auf Adrian:
MAX
Genau!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
32
Max holt ein großes Cocktailglas aus dem Schrank.
MAX
Willst du auch einen?
Adrian schüttelt den Kopf, nippt am Espresso.
MAX
Auch gut! - Und? Wie geht´s deiner
Lippe? Wieder schöne Träume gehabt?
Adrian tupft vorsichtig mit dem Daumen auf die verheilte Wunde.
ADRIAN
Ist verheilt!
MAX
Möchte mir die Sauereien gar nicht
vorstellen, die du da so träumst.
Sich dabei in die Lippen beißen. Ist
ja unglaublich!
Adrian grinst gekünstelt. Max öffnet den Kühlschrank und holt eine
Box Tomatensaft raus. Sekunden des Schweigens, nur das PLÄTSCHERNDE
Befüllen des Glases ist zu hören.
MAX
Und? Trifft du sie noch einmal?
Max greift nach einer Wodkaflasche und füllt ordentlich das Glas
auf.
ADRIAN
Eher nicht.
Max nickt. Er stellt die Flasche zurück, noch einen kräftigen
Schuss Tabasko dazu, zurück in den Kühlschrank, Tür zu.
Max setzt sich gegenüber von Adrian an den Tisch. Er setzt das Glas
an und trinkt es in einem Zug aus. Adrian nippt an seinem Kaffee
und beobachtet Max über den Glasrand. Max stellt das Glas ab, atmet
tief aus, unterdrückt einen Rülpser, klopft sich gegen die Brust.
Er nimmt den Korb und bietet ihn Adrian an.
MAX
Brötchen?
Adrian schüttelt den Kopf.
ADRIAN
(im Sinne von `nein´)
Mh-mh!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
33
MAX
Auch gut!
(zu sich)
Ich werde mir eines genehmigen! Ein
ordentliches Frühstück muss sein!
(zu Adrian)
Und du solltest auch ´was
frühstücken, ist die wichtigste
Mahlzeit am Tag. Neben dem
Mittagessen und Abendessen, versteht
sich.
Max lacht laut auf, legt sich ein Brötchen auf sein Teller und
stellt den Korb ab.
MAX
(zu sich)
So, was haben wir hier? Sehr gut!
Er legt reichlich Wurst und Käse darauf und beißt herzhaft hinein,
mampft vor sich hin. Adrian blickt aus dem Fenster.
20 WOHNUNG MARIA / WOHNKÜCHE - NACHMITTAG
INNEN
Eine Feuerzeugflamme kocht eine weiße Flüssigkeit in einem
Teelöffel auf. Maria sitzt auf einer alten, durchgesessenen
Wohnzimmercouch. Hinter ihr liegt das Bettzeug, sie schläft also
auch auf dieser Couch. Das winzige, dunkle Wohnzimmer mit
angeschlossener Küche ist mit alten Möbeln vollgeräumt, billig,
aber liebevoll eingerichtet: viele Fotos in Bilderrahmen, die Maria
mit ihrer Oma zeigen, gesammelte Steine in allen Größen, ein alter
Kaugummiautomat, eine Malstaffel mit einem halbfertigen,
handwerklich und künstlerisch dilletantisch und naiv abstrakten
Bild in bunten Farben. Die Wohnung verströmt Hippie-Atmosphäre.
Vor Maria liegen auf dem klapprigen Holztisch ein ausgestreiftes
Briefchen Silberpapier, eine Einwegspritze und eine halbe Zitrone,
in der Mitte steht eine Vase mit frischen Wiesenblumen. Maria legt
den Löffel vorsichtig ab, tropft etwas Zitronensaft hinein und
zieht die Spritze mit der gekochten Flüssigkeit auf: Heroin.
Maria checkt die Spritze gegen das Licht, klopft sanft dagegen. Sie
erhebt sich mit der Spritze und dem Feuerzeug und geht durch die
Tür ins angrenzenden Nachbarzimmer ab.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
34
21 STRANDBAR – SPÄTER ABEND
AUSSEN
Großstadtlichter, ein Fluss, aufgeschütterter Sand, bunte
Lichterketten. Eine kleine Karaoke-Bühne, im Eck kauert ein
kettenrauchender, gelangweilter DJ, steht inmitten von spärlich
belegten Liegestühlen, Tischen und Sitzgelegenheiten, wo junges,
urbanes Publikum Entspannung und Gesellschaft sucht. Heute Abend
ist nicht viel los. Karaoke ist ziemlich out in dieser Stadt.
Ein junger, offensichtlich stark betrunkener MANN, er trägt ein
Donald Duck-Kostüm, steht auf der Bühne und versucht sich an U2´s
„bloody sunday“. Eine kleine Schar seiner engsten und ebenfalls
stark betrunkener Freunde steht davor und feuert ihn JOHLEND
lautstark an. Junggesellenparty. Der zukünftige Bräutigam gröhlt
beschissen und laut und vom zarten Rest der Besucher unbeachtet.
Die weite, kreisrunde Bar ist im Freien und gleicht einem Pavillon.
Ein großes, auf einem hölzernen Stützpfeiler angebrachtes, mit
bunten Farben beschriebenes Schild sagt: „Heute: Karaoke“. Ein
Lautsprecher über der Theke überträgt die Musik von der Bühne
draußen in die Bar hinein.
Ein BARKEEPER mischt zwei Cocktails, ein anderer trocknet mit einem
Tuch in aller Ruhe Gläser. Auch vor der Theke herrscht
Gelassenheit.
Max, kurzärmeliges Hawaihemd mit Krawatte, und Adrian, Jeans und
T-shirt, sitzen verlassen hinter der Theke auf zwei Barhockern.
Adrian liest aus einer Zeitung, Max hört zu.
ADRIAN
Widder! An Neumond-Tagen sollten Sie
kurz inne halten und…
Der Barkeeper stellt die zwei ´Manhattans´ an der Theke ab und
nimmt im Gegenzug zwei leere Gläser auf. Adrian stoppt mit dem
Lesen.
BARKEEPER
Bitte schööööön!
MAX
Dank´ dir, Rudi!
Der Kellner nickt und geht ab. Max nimmt ein Glas auf und stellt
sie Adrian vor die Nase.
MAX
Und? Weiter?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
35
ADRIAN
Also, an Neumond-Tagen sollten Sie
kurz innehalten und über Ihre Ziele
nachdenken. Stellen Sie geistig
ambitionierte Weichen für Ihre
Zukunft.
MAX
Das war´s?
ADRIAN
(im Sinne von `ja´)
Mh-mh!
MAX
(gen Himmel blickend)
Diese Idioten, heute ist Vollmond.
Und diesen Scheiß glaubt´s du?
Unglaublich!
Max hebt sein Glas hoch, jetzt auch Adrian.
ADRIAN
Ich lese es ja nur.
MAX
(zynisch)
Genau!
KLING! Die beiden stoßen an, trinken ex und stellen die Gläser
wieder ab.
Im off: U2´s „bloody sunday“ verstummt, KLATSCHEN und JOHLEN.
Adrian wirft einen kurzen Blick auf die Bühne, wo gerade Donald
Duck besoffen von der Bühne kippt und von seiner Gesellschaft
aufgefangen wird.
Der Barkeeper kommt wieder anmarschiert und stellt neuerlich
gefüllte Gläser ab, die leeren nimmt er wieder mit.
BARKEEPER
Bitte schööööön!
MAX
Dank´ dir, Rudi!
Der Barkeeper geht ab. Gerade als Max und Adrian zu den Gläsern
greifen, werden die beiden überfallsartig von hinten von einem 28jähriger MANN umfasst: groß gewachsen, auffällig dürr, braun
gebrannt, Drei-Tages-Bart, „Ray Ban“-Sonnenbrillen, offenes, weißes
Hemd, glatte Brust, Brustwarzenpiercing, schrille Stimme, Zigarette
in der einen, Drink in der anderen Hand, völlig überdreht.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
36
MANN
Ja, wenn das nicht mein kleiner Max
ist? Auch wieder hier heute, wie ich
sehe.
Max und Adrian drehen sich nach hinten, Max ist routiniert erfreut.
MAX
Hi, Robbie!
MANN = ROBBIE
ROBBIE
Wie schön! Wie schön dich zu sehen!
Robbie und Max küssen sich auf beide Wangen. Noch bevor Max Adrian
vostellen kann:
ROBBIE
(zu Max)
Und das hier muss DEIN unbekannte
Schönling sein.
(zu Adrian)
Man hört ja so viel von dir.
ADRIAN
Tatsächlich?
Adrian sieht Max bestimmt an, dieser blickt verlegen.
ROBBIE
Was glaubst DU denn? Aber man hört
nur Gutes, nur Gutes!
Robbie lacht laut auf.
MAX
Adrian, das ist Robbie - Robbie das
ist…
Robbie nimmt Adrian an den Schultern.
ROBBIE
(zu Adrian)
Ja! Lass´ dich mal begrüßen!
Robbie küsst Adrian links und rechts auf die Wangen. Adrian ist
überrascht, lässt es aber über sich ergehen.
MAX
… Adrian!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ROBBIE
Adrian! Adrian! Jetzt fällt´s mir
wieder ein. Sehr nett, sehr nett,
gefällt mir!
MAX
(auf Robbie zeigend)
Ist mein Freitags-DJ!
ROBBIE
Das bin ich! Und ohne mich könnte er
seinen Laden glatt zudrehen.
Max grinst gekünstelt.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
Sekunden des Schweigens. Robbie ist etwas erstaunt über die
Einsilbrigkeit von Adrian, gibt aber nicht auf:
ROBBIE
(zu Adrian)
Nicht viel los hier heute, wie?
MAX
Nein!
ROBBIE
Diese verdammte Hitze vertreibt mir
doch die coolsten Typen, echt! Und
dann dieser Mittwochs-Karaoke-Scheiß
dazu, das ist zuviel, das ist
zuviel.
Max und Adrian nicken, weitere Sekunden des betretenen Schweigens.
ROBBIE
Also, ich muss dann weiter. Wir
sehen uns.
(zu Adrian)
Und wenn du IHN (zeigt auf Max)
nicht mehr willst, ruf´ mich an! Er…
(zeigt auf Max)
… hat ja meine Nummer!
Robbie zwinkert Adrian zu, lacht überdreht laut auf, stößt Max im
Spaß mit dem Ellbogen an.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ROBBIE
Also, ihr Schwanzlutscher, viel Spaß
noch heute!
Adrian verdreht bei ´Schwanzlutscher´ die Augen. Robbie klopft den
beiden auf die Schultern, geht nach hinten weg, erkennt jemanden im
off, hebt seinen Arm zum Gruß.
ROBBIE
(winkend)
Ja, wenn das nicht der kleine Steven
ist? Huhu, Steven!
Robbie geht ab.
Max und Adrian sitzen schweigsam nebeneinander. Max zündet sich
eine ´Camel´ an.
Im off hebt die Musik an: „If i can dream“, eine alte Elvis
Presley-Nummer.
Sekunden vergehen, das Unausgesprochene hängt über ihnen. Max
spricht jetzt das Problem an, redet in sein Glas hinein.
MAX
Du… hast doch nichts dagegen, dass
ich… dass du mein Lover…
Max nippt an seinem Glas. Adrian grübelt, schüttelt dann verneinend
den Kopf.
ADRIAN
Wie könnte ich!
Max nickt, lächelt. Adrian erwidert das Lächeln. Sie stoßen an und
trinken ex aus.
MAX
Aber eines muss man diesem Idioten
lassen: Seit er da ist, ist der
Freitag voll. Echt unglaublich! War
vorher auf Ibiza, in Mailand und
blablabla. Ist viel in London
unterwegs, kramt in so kleinen
Plattenläden herum …
Während Max redet und redet, hebt sich im off eine weibliche STIMME
ab, die den Text zu „If i can dream“ zu singen beginnt:
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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STIMME
(off)
There must be lights burning
brighter somewhere
Got to be birds flying higher in a
sky more blue.
(und so weiter)
Adrian spitzt die Ohren, er wirft einen kurzen Blick auf den
Lautsprecher über der Bar, dann wieder zu Max.
MAX
… der findet Sachen, da geht echt
die Post ab. Und die Leute fangen an
zu saufen, das ist unglaublich. Der
Typ nimmt zwar einen Haufen Kohle,
ist aber jeden verdammten Cent wert.
Adrian wirft neuerlich einen Blick auf den Lautsprecher, dann zur
Karaoke-Bühne, aber die Sicht auf die Sängerin ist durch andere
Gäste versperrt.
Adrian wendet sich wieder Max zu, aber die engelsgleiche Singstimme
hat Adrian gefangen.
ZEITLUPE ANFANG.
Max artikuliert stark, bewegt seine Lippen, aber man hört ihn
nicht. Auch alle Umgebungsgeräusche sind weg, wir lauschen nur
dieser göttlichen Stimme:
STIMME
(off)
If I can dream of a better land
Where all my brothers walk hand in
hand
Tell me why, oh why, oh why can´t my
dream come true.
(und so weiter)
Adrian blickt durch Max hindurch, seine Gedanken sind weg, weit
weg. Und Max gestikuliert und schwafelt. Fast scheint es so, als
würde Max singen.
ZEITLUPE ENDE.
Die Umgebungsgeräusche sind wieder da. Adrian fasst einen
Entschluss. Er erhebt sich.
MAX
(off)
Die Abende am Dienstag und …
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Bin gleich wieder da.
Adrian geht ab. Max erstarrt, blickt verwundert auf Adrian. Seine
starre Haltung löst sich auf.
MAX
Auch gut!
Max gibt dem Kellner ein Handzeichen für weitere zwei Getränke.
Adrian stapft wie in Trance durch den Sand in Richtung der Bühne,
die Stimme zieht ihn magisch an.
Adrian kommt bei zwei Mittzwanzigern vorbei, die mit einer Flasche
Bier in der Hand in Liegestühlen lümmeln und fasziniert auf die
Bühne blicken.
KERL#1
Mann, die ist sau-gut!
KERL#2
Und geil!
Kerl#2 nimmt einen kräftigen Schluck aus seinem Bier.
Adrian nähert sich der Bühne und bleibt zehn Schritte davor im
Halbschatten stehen. Wir blicken auf die Bühne:
Maria, sie trägt ein blaues Sommerkleid mit weißem Blumenmuster,
steht dort oben im zarten, orange-rötlichen Discolicht dreier
Scheinwerfer, umklammert fest das Mikrofon und stirbt für dieses
Lied.
STIMME = MARIA
MARIA
Deep in my heart there´s a trembling
question
Still I am sure that the answer
gonna come somehow
Out there in the dark, there´s a
beckoning candle
And while I can think, while I can
talk
While I can stand, while I can walk
While I can dream, please let my
dream come true, right now
Let it come true right now
Oh yeah!
Adrian ist überwältigt. Noch nie zuvor hat er so etwas Schönes,
Anmutiges und Unschuldiges gesehen. Das Lied ist aus.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Maria verbeugt sich, da und dort ein sachtes KLATSCHEN. Nur die
zwei Kerle erheben sich und spenden JOHLEND frenetischen Beifall.
Maria lächelt dankbar.
Sie geht von der Bühne und macht ein paar Schritte weg. Dann bleibt
sie stehen, umherblickend. Adrian beobachtet aufmerksam, ob sie in
Begleitung da ist. Maria geht weiter. Adrian zögert, dreht sich
nach hinten weg und macht zwei Schritte. Er stoppt und verdreht
sich den Kopf nach ihr.
Maria stapft durch den Sand.
ADRIAN
(off)
Entschuldigung!
Maria bleibt stehen, dreht sich zurück. Adrian kommt angelaufen und
hält vor ihr inne. Ihre Gesicher sind sanft erhellt durch eine über
ihnen hängende, bunte Lichterkette.
MARIA
Ja?
ADRIAN
(verlegen lächelnd)
Hallo!
MARIA
Hi!
Die beiden blicken sich lächelnd an, Sekunden vergehen.
ADRIAN
Ich heiße Adrian.
Adrian reicht seine Hand zum Gruß.
MARIA
Und ich heiße Maria.
Maria erwidert den Handschlag. Schweigen.
ADRIAN
(Kopfnicken in Richtung Bühne)
Du… singst sehr schön.
MARIA
Danke! Singst du auch?
ADRIAN
(überrascht)
Ich? Nein, um Gottes Willen, nein!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MARIA
Schon mal probiert?
ADRIAN
Das Singen? Nein! Ich meine,… nicht
wirklich!
MARIA
Du hast aber eine schöne Stimme!
ADRIAN
(im Sinne von `nein´)
Mh-mh!
MARIA
Ja! Doch!
ADRIAN
(ernst)
Glaube ich nicht!
Sekunden vergehen, betretenes Schweigen, dann:
ADRIAN
(Kopfnicken in Richtung Bar)
Darf ich dich auf ein Getränk
einladen?
MARIA
(kopfschüttelnd)
Ich muss dringend nach Hause.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
Maria streckt die Hand zur Verabschiedung.
MARIA
Schönen Abend noch!
Adrian erwidert wie im Reflex den Handschlag.
ADRIAN
(konsterniert)
Ja, dir auch!
Ihre Augen trffen sich noch einmal. Maria dreht sich um und geht
ab. Adrian blickt ihr hinterher, wendet sich dann ab. Er beißt sich
vor Zorn in die Unterlippe.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MARIA
(off)
Adrian!
Adrians Augen funkeln, seine Zähne lösen sich abrupt aus seiner
Lippe. Er dreht sich zurück.
ADRIAN
Ja?
MARIA
Hast du eigentlich ein Auto?
Adrians Knie beginnen zu zittern.
ADRIAN
Habe ich, ja!
MARIA
Kannst du mich nach Hause bringen?
Adrians Gedanken schwirren wild durch seinen Kopf.
ADRIAN
(im Sinne von `ja´)
Mh-mh!
MARIA
Ich befürchte, ich erwisch´ die
letzte „U“ nicht mehr, und da dachte
ich… .
ADRIAN
Das kann passieren!
MARIA
Das kann passieren!
Adrian und Maria blicken sich an. Maria blickt jetzt fordernd.
ADRIAN
Es steht hinten am Parkplatz.
Maria nickt und geht los. Die beiden stapfen nebeneinander gehend
durch den Sand in Richtung Pavillon. Sie kommen bei den beiden
Kerlen vorbei, die schweigsam, mit großen Augen und zerplatzend vor
Eifersucht auf Maria und Adrian starren. Kaum sind die beiden an
den Kerlen vorbei, nehmen beide gleichzeitig einen kräftigen
Schluck aus ihren Bierflaschen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Adrian und Maria nähern sich dem Pavillon. Adrian stoppt.
ADRIAN
Warte hier, ich muss nur… schnell
´was klären, okay?
MARIA
Okay!
Adrian geht ein paar Schritte, hält an, dreht sich zurück. Maria
lächelt, Adrian lächelt. Er geht weiter. Maria blickt ihm nach,
verliert ihn aber aus den Augen.
Max befindet sich gerade im Gespräch mit dem Barkeeper.
MAX
Bring mir noch zwei und schreib´
dann alles auf mich, klar?
Der Barkeeper nickt und geht ab.
ADRIAN
(off)
Max!
Max dreht sich um, er ist offensichtlich betrunken. Adrian kommt an
die Bar.
MAX
Gerade rechtzeitig. Hab´ eben noch
zwei kleine Drinks für uns bestellt.
ADRIAN
Hör zu, kannst du mir deinen Wagen
borgen?
Max blickt Adrian tief in die Augen, dann wirft er einen Blick über
Adrians Schulter und sieht Maria dort im Sand zwischen den
Liegestühlen stehen. Maria sieht Max nicht.
MAX
Du bist ja ein richtiger…
Nimmersatt. Aber weißt du ´was?
Max lässt sich ganz nah vor das Gesicht von Adrian, erhebt mahnend
seinen Zeigefinger.
MAX
Wenn man NIE genug kriegen kann,
KANN man nie genug kriegen. Hast du
das kapiert, du kleiner
Hosenscheißer?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Max tupft Adrian mit dem Zeigefinger gegen die Brust. Adrian nickt.
ADRIAN
Und was ist jetzt mit dem Wagen?
Max nickt, kramt in seiner Hosentasche.
MAX
Alles klar!
ADRIAN
Danke dir!
Max legt den Schlüssel mit goldenem (!) Mercedesanhänger auf die
Theke. Adrian greift schnell danach und steckt ihn weg.
ADRIAN
Bis später, ich melde mich!
Adrian macht kehrt und geht ab.
MAX
(zu sich)
Ja-ja! Du mich auch!
Max wendet sich wieder der Bar zu, dann noch einmal kurz zurück.
MAX
(nachschreiend)
Was willst denn mir der überhaupt
reden? Du bist doch noch gar nicht
besoffen.
Adrian reagiert nicht mehr, er geht ins Dunkel ab.
Zwei Getränke werden auf die Bar gestellt. Wir sehen dabei nur die
Hände des Barkeepers.
BARKEEPER
(off)
Bitte schööööön!
Die Hände des Barkeepers sind schon wieder weg. Max lehnt sich
wieder an die Theke, greift zu einem der Gläser.
MAX
(leise, zu sich)
Dank´ dir, Rudi!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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22 STRASSEN DER STADT / AUTOFAHRT – NACHT
AUSSEN / INNEN
Der in Gold (!) glänzende Mercedes-Benz R 107, Coupé, Baujahr 1971,
bewegt sich geschmeidig über eine schwach befahrene Ausfallsstraße,
links und rechts Wohnsilos, da und dort erhellte Wohnungen. Die
orangene Straßenbeleuchtung lässt weiches Licht in den Wagen
fallen.
Schweigen. Maria blickt nach draußen, Adrian blickt geradeaus auf
die Straße. Maria umfasst ihre Oberarme, friert.
MARIA
Kannst du bitte die Heizung
anmachen? Mir ist kalt.
ADRIAN
Ja, sicher!
Adrian dreht die Heizung auf. Maria blickt auf das edle Interior
des Wagens.
MARIA
Ein schöner Wagen.
Adrian nickt. Er erwähnt mit keinem Wort, dass dieser Wagen gar
nicht ihm gehört.
MARIA
Was machst du eigentlich beruflich?
ADRIAN
Ich bin Zahnarzt.
Maria blickt überrascht auf Adrian.
MARIA
Echt? Zahnarzt?
Adrian nickt. Ein paar Sekunden schweigen, dann:
MARIA
(seitlich rausschauend)
Komisch! Einen Arzt hatte ich noch
nie.
Adrian blickt das erste Mal von der Straße weg auf Maria.
ADRIAN
(überrascht)
Was?
Maria blickt auf Adrian, lächelt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MARIA
Ich sagte, mit einem Arzt hatte ich
noch nie etwas.
Adrian ist völlig erschlagen von der direkten Art von Maria.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
Adrian blickt wieder geradeaus auf die Straße, die Antwort hallt in
seinem Gehirn nach.
MARIA
(scherzend)
Ich hoffe, du auch nicht.
Adrian fängt sich, lächelt.
ADRIAN
Mit einem Arzt? Nein!
Die beiden lächeln sich an, dann blicken sie wieder geradeaus.
Schweigen.
MARIA
Du redest nicht so viel, oder?
ADRIAN
Nein!
MARIA
Ich nur manchmal!
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
Sekunden vergehen. Maria blickt wieder seitlich beim Fenster raus.
ADRIAN
Und?
Maria wendet sich Adrian zu.
ADRIAN
Was machst du beruflich so?
MARIA
Ich arbeite in einem Pflegeheim.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Bist du auch Ärztin?
MARIA
Nein, ich bin in der Wäscherei. Ich
mache dort… die Wäsche eben!
Maria lächelt.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
Sekunden vergehen.
ADRIAN
Ich hatte noch nie etwas mit
jemanden von der Wäscherei!
Adrian lächelt Maria an, Maria lächelt zurück.
ADRIAN
Du schon, oder?
MARIA
Aber sicher!
Beide lachen.
MARIA
Sogar IN der Wäscherei!
ADRIAN
Darauf hätte ich gewettet!
Beide lachen lauthals auf. Das ist das erste Mal, dass wir Adrian
lachen sehen.
Der Wagen fährt in die Nacht, am Horizont die hellen Lichter einer
Satellitenstadt.
23 WOHNBLOCK / WAGEN
AUSSEN / INNEN
Der Mercedes kommt auf einem Parkplatz vor einem wuchtigen, grauen
Wohnsilo inmitten einer Betonsiedlung zum Stehen.
Adrian stellt den Motor ab, blickt auf Maria. Maria blickt auf
Adrian. Sekunden vergehen.
MARIA
Es ist nicht weit, ich wohne im
Erdgeschoß.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
49
Maria steigt aus dem Wagen, wirft die Tür zu.
ADRIAN
(zu sich)
Okay!
Adrian steigt aus dem Wagen.
24 WOHNUNG MARIA
INNEN
Maria tritt in die Wohnung ein, dreht das Licht auf. Adrian folgt
nach. Wir erkennen die Türnummer 3. Adrian schließt die Tür hinter
sich. Auf der Tür klebt eine große, topographische Karte von
Kanada. Die Karte ist alt, zerfleddert, ausgebleicht. Der Vorraum
ist eng verbaut, vollgeräumt mit Kleidung, Schuhen, befüllten
Plastiksäcken. Maria zieht ihre Sommerschuhe aus.
MARIA
(auf den Boden zeigend)
Die Schuhe kannst du hier abstellen.
Maria geht barfuß in die Wohnküche vor. Adrian hat zwar keine
Sekunde daran gedacht, seine Schuhe auszuziehen, aber er handelt
wie aufgetragen. Er geht dann nach, blickt mit kritischem Blick
herum, sieht die Staffelei mit dem Ölbild:
ADRIAN
(im Sinne von `interessant´)
Mh-mh!
Maria geht zur Couch und wirft das dort liegende Bettzeug mit einem
Ruck über die Lehne nach hinten auf den Boden. Sie richtet sich
wieder auf.
MARIA
Ich habe heute Abend nicht mit dir
gerechnet
Adrian lächelt.
ADRIAN
Ich mit dir auch nicht.
Maria geht zur Küchenzeile.
MARIA
Willst du ´was trinken? Kaffee
vielleicht?
ADRIAN
Ja! - Bitte!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
50
Maria füllt Wasser in den elektrischen Wasserkocher und stellt
diesen zu.
MARIA
Setz´ dich doch, fühl´ dich wie zu
Hause.
Für Adrian wohl ein Ding der Unmöglichkeit.
ADRIAN
Okay!
Adrian weiß nicht recht, wo genau er sich hinsetzen soll. Er
entscheidet sich für die breite Couch, mit einer karierten Decke
als Überwurf. Er sinkt dabei ungewöhnlich tief ein.
Maria nimmt zwei, am Rand abgeschlagene Kaffeetassen aus dem
QUIETSCHENDEN Regal und füllt lösliches Kaffeepulver ein.
Adrian wirft währenddessen einen seitlichen Blick auf das am
Beistelltisch aufgeschlagene Stadtmagazin, wo die Karaoke-Termine
für diese Woche mit einem roten Marker eingekreist sind. Daneben
liegen Reiseprospekte und Touristenmagazine von Québec und Ontario.
ADRIAN
(herumblickend)
Gemütlich hier!
MARIA
Find´ ich auch!
MARIA
Milch? Zucker?
ADRIAN
Nur Kaffee!
Der Wasserkocher dampft und SPRUDELT. Maria füllt das heiße Wasser
in die Tassen.
ADRIAN
Wohnst du schon lange hier?
MARIA
Schon immer!
Maria lässt kaltes Wasser aus der Leitung in die Tassen rinnen.
Adrian beäugt kritisch die Zubereitung des Kaffees. Maria setzt
sich mit den Tassen an den Tisch.
MARIA
Bitte!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Danke!
Adrian kämpft sich aus seiner tiefen Sitzhaltung und greift zur
Tasse. Er nimmt einen Schluck, lässt sich den schrecklichen
Geschmack nicht ankennen. Maria entzündet drei Kerzen, dreht das
Licht ab. Sie kommt zurück zum Tisch. Dabei zieht sie mit einer
flinken Bewegung ihr Kleid nach oben über die Schultern streifend
aus. Sie trägt jetzt nur ihren Slip, ihr Körper ist wohlgeformt,
erotisch. Adrian bekommt große Augen. Maria taucht Adrian zurück in
die Couch. Er kann gerade noch seine Tasse am Tisch abstellen.
Maria setzt sich rittlings auf seinen Schoß, ihre schönen Brüste
vor seinem Gesicht. Maria nimmt sein Gesicht in ihre Hände.
MARIA
Komm her, du schöner Mann!
Maria küsst Adrian zart auf die Lippen, öffnet sanft ihre vollen
Lippen. Adrian erwidert den Kuss. Die beiden lassen sich langsam
seitlich auf die Couch kippen.
Wir blicken auf die Kerze, die am Tisch vor ihnen steht.
ÜBERBLENDE
Die Kerze ist weit abgebrannt.
Maria und Adrian liegen auf der Couch, nackt eingewickelt in die
karierte Decke, schlafend. Wir nehmen die beiden nur schemenhaft
wahr.
Leises WIMMERN, Marias Schlaf wird unruhig. Sie öffnet ihre Augen,
erhebt sich. Adrian erwacht, richtet sich ein wenig auf.
ADRIAN
(schlaftrunken)
Alles in Ordnung?
Maria setzt sich auf die Kante der Couch und kramt nach einer
Oberbekleidung.
MARIA
Schlaf weiter! Bin gleich wieder da.
ADRIAN
(im Sinne von ´okay´)
Mh-mh!
Adrian legt sich wieder hin. Maria steht auf und zieht sich das
Hemd von Adrian über. Sie geht in das Nachbarzimmer ab. Wir
erwarten das Vorhersehbare, aber die Dinge liegen ganz anders:
Maria betritt den dunklen Raum. Schwaches Licht der
Straßenbeleuchtung fällt durch das mit dicken, grünen Gardinen
verhangene Fenster nach hier drinnen. Maria greift nach einem
Feuerzeug, sie entzündet eine fast schon abgebrannte Kerze, dann
eine zweite, dann eine dritte und noch drei andere.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Die Kerzenlichter geben uns nach und nach ein vollständiges Bild
eines prächtig geschmückten Weihnachtsbaumes. Maria entzündet drei
Sternspritzer. Sie schaltet einen alten Kassettenrekorder ein, es
ERTÖNT ein lieblicher Kinderchor: „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Die Musik klingt schon abgenudelt und ausgeleiert.
Adrian öffnet seine Augen, im off hört er das Lied. Er richtet sich
auf, horcht neugierig in das Nachbarzimmer.
Maria wendet sich und geht zum Bett. Sie setzt sich an die
Bettkante. Dort liegt ihre alte, gebrechliche, mit einer karierten
Zudecke bis zum Hals eingewickelte OMA. Maria streichelt ihrer Oma
zart über das zerfurchte, tief eingefallene, fast skelettierte
Gesicht.
MARIA
(ganz leise, einfühlsam)
Bin ja schon bei dir, bin ja schon
bei dir!
Ihre Oma wimmert leise.
Adrian blickt erstaunt in Richtung Nachbarzimmer. Er kann sich
nicht erklären, was hier läuft. Er setzt sich auf.
Maria tritt aus dem Nachbarzimmer heraus und geht zur Küchenzeile.
ADRIAN
(nickt in Richtung Weihnachtsmusik)
Haben wir sooo lange geschlafen?
Maria lächelt.
MARIA
Meine Oma liebt Weihnachten.
ADRIAN
Was?
MARIA
Achtung, Licht!
Maria dreht das grelle Licht in der Küche auf. Adrian hält sich
schützend die Hand vors Gesicht, er kneift seine Augen zusammen.
ADRIAN
Deine Oma? Deine Oma liegt da
drüben? Die ganze Zeit?
MARIA
Keine Sorge, sie ist fast taub.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
53
ADRIAN
(im Sinne von ´Gott sei Dank!`)
Mh-mh!
MARIA
Und so laut warst du ja nicht.
Und das klingt so, als hätte er ruhig lauter, sprich besser, sein
dürfen. Adrian blickt etwas trotzig auf Maria.
Maria nimmt die Utensilien für die Aufbereitung der Spritze aus der
Lade und legt sie auf der Küchenzeile vor sich ab.
ADRIAN
Und…? Wie…? Seit wann lebt deine Oma
bei dir?
MARIA
Immer schon. Aber eigentlich… lebe
ICH bei meiner Oma.
Maria beginnt, das weiße Pulver aus einem Silberpapier auf den
Löffel zu kratzen. Adrian beobachtet sie aufmerksam.
Im off hört man ein wieder das leise WIMMERN.
MARIA
(eher zu sich)
Ja, ist gut, bin ja gleich da!
ADRIAN
Was ist mit deiner Oma? Ist sie
krank?
Maria nickt, erhitzt mit einem Feuerzeug den bereits
rußgeschwärzten Löffel. Adrian blickt mit ungläubigen Augen auf
Maria.
ADRIAN
Ist das etwa… ?
MARIA
Ja!
ADRIAN
Und das gibst du ihr? Oder ist das
jetzt für dich?
Maria steht gebeugt über der Küchenzeile. Sie packt die
Einwegspritze aus der Verpackung und zieht konzentriert die Spritze
auf.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MARIA
Die wollten uns nicht mehr so viel
Morphium geben.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe`)
Mh-Mh!
Die Spritze ist fertig aufgezogen. Maria richtet sich wieder auf,
checkt die Spritze gegen das Licht der grellen Küchenlampe.
MARIA
Und überhaupt macht Heroin schöne
Träume.
Adrian blickt gebannt auf Maria.
MARIA
Die hat sie sich verdient.
Maria dreht wieder das Licht ab und geht mit der Spritze im Schein
der Kerze ins Nachbarzimmer ab. Wir bleiben noch kurz bei Adrian,
der völlig verblüfft, überrascht, erschlagen wirkt von diesem
Geschehen.
Maria setzt sich wieder an die Bettkante.
MARIA
So, hier bin, Oma.
Maria greift nach dem Arm ihrer Oma und legt den Unterarm frei. Sie
setzt die Spritze in eine Kanüle am Unterarm ein. Die Oma stöhnt
leise auf.
MARIA
Alles wird gut, Oma, alles wird gut!
Maria zieht die Spritze etwas auf, es kommt Blut. Sie drückt die
Spritze durch. Ihre Oma schnauft kurz auf, atmet dann entspannt aus
und öffnet schwach ihre leeren Augen, in denen sich die sanften
Lichter des Weihnachtsbaumes spiegeln. Sie lächelt ganz schwach,
sie schließt ihre Augen. Sie wirkt glücklich.
MARIA
So! Jetzt fühlst du dich besser!
Adrian, er trägt eine Unterhose, beobachtet durch die angelehnte
Tür das Geschehen. Er hört aufmerksam die weich gesprochenen Wörter
von Maria. Diese unendliche, fürsorgliche, wärmende Liebe, die in
dieser miesen Plattenbauwohnung zu Hause ist, ergreift sein Herz.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
55
Maria gibt ihrer Oma einen Kuss auf die Wange und streichelt ihr
zart übers Gesicht. Die Oma genießt die Berührung, ihre Lippen
formen das Wort „Danke“. Maria zieht die Spritze raus und legt
diese am Nachtkästchen ab. Sie deckt ihre Oma wieder zu und
streichelt ihr sanft über den Rücken, bis sie eingeschlafen ist.
Ein schönes, in Kerzenlicht getränktes Bild.
MARIA
Schlaf gut!
Maria erhebt sich, dreht den Kassettenrekorder ab und geht zur Tür.
Adrian steht wie angewurzelt da. Maria nimmt ihn am Arm und führt
ihn hinaus.
MARIA
Legen wir uns wieder nieder.
Adrian nickt.
Die beiden legen sich wieder auf die Couch. Adrian streicht die
Decke über sich und Maria. Beide blicken in das schon fast
abgebrannte, flackernde Kerzenlicht.
MARIA
War ein bisschen viel für den
Anfang, oder?
Adrian nickt.
ADRIAN
(im Sinne von `ja!´)
Mh-mh!
MARIA
Du kannst gehen, wenn du willst. Es
macht mir nichts.
Langes Schweigen, keiner bewegt sich, besinnliche Ruhe.
MARIA
Ich hoffe, sie sieht noch einmal den
Schnee.
ADRIAN
Bestimmt!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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25 TANZLOKAL – FRÜHER MORGEN
INNEN
Sperrstunde! Das Lokal ist leer. Weißes, nüchternes Neonlicht raubt
dem Lokal die schwülstige, stimmungsgeladene Atmosphäre.
Rauchschwaden hängen noch in der Luft.
Max steht an der Bar und macht die Abrechung, neben ihm steht ein
fast leeres Glas Whiskey. Max knickt immer wieder ein, er ist
schwer betrunken. Er schreibt an einer unendlichen Zahlenkolonne,
daneben liegen mächtige, mit Gummiringe umfasste Geldstapel.
Klaus, der neue Kellner, leert die letzten Aschenbecher in einen
großen Kübel aus und stapelt sie zu einem hohen Turm übereinander.
KLAUS
Das war´s. Brauchst du mich noch?
Max rechnet, nimmt einen Schluck aus dem Glas, dabei schüttet er
sich etwas an. Max wischt sich nur angedeutet über den Mund. Klaus
nimmt die weiße Kellnerschürze ab.
KLAUS
War ein schöner Abend.
Max beachtet ihn nicht. Klaus geht mit der Schürze in der Hand nach
hinten durch die schweren, roten Samtvorhänge in das Getränkelager
ab. Nach einer kurzen Weile kommt er wieder. Er trägt jetzt eine
schwarze Lederjacke und einen Motorradhelm.
KLAUS
Na dann! Schönen Tag wünsch´ ich
dir.
MAX
(lallend, ohne aufzublicken)
Dir auch!
Klaus blickt auf Max, verharrt noch kurz, greift in die Jacke nach
seinem Motorradschlüssel und geht dann ab. Max blickt nicht von der
Abrechnung auf.
26 TANZLOKAL
AUSSEN
Sonnenaufgang. Max wankt sturztrunken vor das Lokal nach draußen
auf die menschenleere Straße. Vor dem Lokal liegen leere
Bierflaschen und Zigarettenschachteln auf dem Gehsteig. Das
überschwere Motorrad von Klaus steht da. Max schafft es nach
mehrmaligen Versuchen, das Lokal abzusperren.
Gerade als er den Schlüssel abzieht, sieht er Klaus rauchend an der
Hausmauer lehnen. Max spricht lallend und kaum verständlich.
KLAUS
Hallo, Max!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
57
MAX
Das Geld liegt drinnen im Tresor.
Den Schlüssel hab´ ich verschluckt.
Und vor drei Tagen gehe ich bestimmt
nicht scheißen. Wenn du also warten
willst…
Klaus lacht auf.
KLAUS
Keine Sorge, ich werde ja gut
bezahlt.
Max wankt auf Klaus zu.
MAX
Nicht ich bezahle dich, das sind die
Besoffenen da drinnen.
Max kommt vor Klaus zum Stehen und steckt sich eine ´Camel´
verkehrt in den Mund. Klaus greift auf die Zigarette und steckt
diese auf richtige Weise in den Mund von Max. Klaus gibt Feuer. Max
nimmt einen tiefen Zug.
MAX
Kannst nicht schlafen, wie?
Klaus nickt.
MAX
Man gewöhnt sich nie daran. Am
besten du nimmst Drogen. Das hilft.
Klaus lächelt.
MAX
Bis morgen!
Max zückt sein Handy, will gehen. Klaus kommt Max nahe.
KLAUS
Wir könnten ja noch…
Max blickt Klaus neugierig an.
MAX
Ja?
KLAUS
… auf einen Kaffee gehen, oder so?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Max blickt Klaus lange direkt in die Augen, lächelt dann
überheblich, tätschelt Klaus auf die Wange.
MAX
Bist ein netter Junge, aber… in
diesem Geschäft musst du noch viel
lernen.
Klaus nickt, auch wenn er nicht ganz versteht. Max geht los, an
Klaus vorbei in Richtung Kreuzung. Er wählt dabei eine
Schnellwählnummer am Handy. Klaus blickt ihm nach.
MAX
(lallend, ins Handy)
Pleschowstraße, Ecke Fürthstraße,
ins „new love“.
Max lauscht ins Handy.
MAX
(lallend, ins Handy, erbost)
Pleschowstraße, Ecke Fürthstraße,
ins „new love“, du Idiot, hörst du
schlecht?
Ja!
Und Mercedes, Inländer!
Alles klar!
Max legt auf. Klaus blickt noch kurz auf Max, dann geht er in die
andere Richtung ab. Max steht wankend an der Kreuzung, dreht sich
nicht mehr nach Klaus um.
27 WOHNUNG MARIA – SPÄTER MORGEN
INNEN
Die Sonne blinzelt durch die zugezogenen Vorhänge. Die Kerze am
Tisch ist abgebrannt, das getrocknete Wachs liegt ´fließend´ über
dem Kerzenständer.
Adrian erwacht. Der Platz neben ihm auf der Couch ist leer. Adrian
richtet sich auf, blickt um sich. Maria ist nicht da. Am Tisch
entdeckt er einen gelben Memo-Zettel, daneben liegt ein blauer
Kugelschreiber.
Adrian zieht den Zettel von der Platte, liest:
“Tagschicht. Es war sehr schön.“
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
59
Adrian lächelt, er klebt den Zettel wieder zurück. Sein Lächeln
gefriert, er blickt auf die Tür ins Nachbarzimmer. Das Gefühl, mit
der kranken, alten Frau alleine in der Wohnung zu sein, bereitet
ihm Unbehagen. Er steht auf, zieht sich schnell an. Er greift zum
Kugelschreiber, kniet sich zum Tisch und kritzelt auf den MemoZettel unter die Nachricht von Maria:
“Für mich auch! 0172/3414673“
Adrian richtet sich wieder auf, wirft noch einen Blick auf die Tür
zur Großmutter und geht dann in den Vorraum. Er zieht seine Schuhe
an, wirft einen Blick auf die Kanada-Karte an der Tür und geht dann
ab. Die Tür fällt ins Schloss.
28 SANATORIUM – MITTAG
AUSSEN
Maria geht durch das Steintor. Eine entgegenkommende KOLLEGIN mit
Umhängetasche und grünem Arbeitskittel passiert Maria.
KOLLEGIN
(polnischer Akzent)
Mahlzeit!
MARIA
Mahlzeit!
Maria geht weiter den Schotterweg durch den Park rauf zum
Sanatorium. Sie erblickt wieder den alten Herrn Strombowski auf
seinem Stammplatz auf der Parkbank sitzend. Nur diesmal ist er
nicht alleine: Eng neben ihm sitzt sein 25-jähriger,
braungebrannter, über und über mit Muskeln bepackter ENKEL, der
eine schwarze Anzugshose, schwarze Lackschuhe, ein enges, schwarzes
T-shirt und eine schwarze Sonnenbrille trägt: alles Markenwaren.
Kurzhaarschnitt.
MARIA
(zu sich, lächelnd)
Das ging ja schnell!
Die an die Tüte mit den Medikamenten geklebte Mitteilung zeigt
Wirkung. Denn dieser Enkel ist auch der Dealer, mit dem Maria über
den geheimen Bunker an der Dachrinne die Medikamente gegen Heroin
tauscht. Die Verbindung zwischen den beiden ist das Sanatorium.
Maria winkt, ruft hinüber:
MARIA
(zynisch lächelnd)
Schön, Sie wieder ´mal zu sehen!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
60
Der alte Herr winkt freundlich zurück, auch wenn Maria mit dieser
Wortmeldung mehr den Enkel als den alten Herrn gemeint hat. Der
Enkel zieht eine schmierige, grinsende Grimasse, lehnt sich weit
zurück und zeigt mit einer händehebenden Geste: `Siehst du, ich bin
hier, kein Problem!´
Maria gibt einen `Daumen hoch´ zurück.
MARIA
Noch einen schönen, langen Tag
wünsche ich euch beiden!
Der alte Herr hebt seinen Stock zum Abschied, der Enkel rührt
keinen Finger. Der alte Herr sieht das und schlägt seinem Enkel mit
dem Stock hart gegen das Schienbein. Der Enkel schreit kurz auf,
reagiert dann prompt, winkt ebenfalls. Der alte Herr nickt
zufrieden. Maria lacht, geht weiter. Sie fühlt sich wohl.
29 PENTHOUSE / KÜCHE – MITTAG
INNEN
Max sitzt am Küchentisch auf seinem Platz, Frühstück, wie üblich
sehr reichlich und deftig. Am Tisch steht ein ausgetrunkenes Glas
`bloody mary´, das sich Max wie immer vor dem Früstück zu Gemüte
führt. Auch der gegenüberliegende, leere Platz von Adrian ist
gedeckt. Max mampft alleine vor sich hin.
Im off hört man, wie die Wohnungstür aufgesperrt und geöffnet wird.
Max freut sich, er is(s)t jetzt nicht mehr allein. Adrian tritt
schwungvoll und sichtlich gut gelaunt durch die Tür herein und
betritt die Küche. Max nimmt diese für Adrian äußerst ungewöhliche
Stimmungslage skeptisch wahr.
ADRIAN
Guten Morgen!
MAX
Guten Morgen!
ADRIAN
Der Wagen steht in der Tiefgarage.
Danke.
Adrian legt den Schlüssel auf die Küchenzeile. Max erhebt sich und
geht zur Espressomaschine. Adrian setzt sich an den Tisch.
MAX
Espresso?
ADRIAN
Gerne!
Max blickt verwundert über diese Frohnatur auf Adrian.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
Alles klar!
Startknopf! Die wuchtige Espressomaschine lässt LÄRMEND Kaffee. Max
steht vor der Maschine. Während der Kaffee rinnt, beobachtet Max
ungläubig Adrian, wie er sich, ganz gegen den üblichen
Gepflogenheiten, gerade ein Brötchen mit Marmelade zubereitet. Das
Glück steht ihm wahrlich ins Gesicht geschrieben. Max greift zum
Espresso und serviert ihn Adrian. Max setzt sich.
MAX
Die Sängerin, stimmt´s?
ADRIAN
(lächelnd, im Sinne von `ja´)
Mh-mh!
MAX
Muss ja eine richtige Bombe gewesen
sein!
Adrian hält inne, das Brötchen nah vor seinem Mund. Sekunden
vergehen.
ADRIAN
Sie heißt Maria und sie ist… mehr
als das.
MAX
Also eine Maria-Megabombe,
sozusagen!
ADRIAN
Nicht so! Sie ist etwas… Besonderes.
Max blickt eindringlich auf Adrian.
MAX
Etwas Besonderes?
ADRIAN
Etwas Besonderes! Sie ist…
Adrian sucht vergeblich nach einem Wort, lächelt dann, beißt in
sein Brötchen.
MAX
Und das kannst du nach einer
einzigen Fickrunde schon so sagen?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
62
ADRIAN
(im Sinne von `Ja!´)
Mh-mh!
MAX
Ist ja unglaublich! Freut mich für
dich! Ehrlich!
Max greift zum leeren Glas, erhebt sich und geht zum Kühlschrank.
MAX
Wir könnten ja mal gemeinsam essen
gehen. Ich würde sie gerne
kennenlernen. Wenn sie schon so
etwas Besonderes ist.
Adrian blickt auf Max, der mischt sich eine neue `bloody mary´ mit
extra viel Wodka.
ADRIAN
Gute Idee!
Max nimmt eine Jumbo-Packung ´kellys chips` aus dem Regal. Er leert
diese in eine große Glasschale und nimmt diese gemeinsam mit dem
Glas mit ins Wohnzimmer.
MAX
(ohne sich umzudrehen)
Das Spiel fängt dann an!
ADRIAN
Komm´ gleich!
Max geht ab, Adrian beißt in sein Brötchen und blickt aus dem
Fenster. Die Sonne blendet.
30 WOHNZIMMER – NACHMITTAG
INNEN
Max und Adrian hängen vorm Fernseher, riesiger Flatscreen,
Sportprogramm, es läuft `Snooker´. Adrian sitzt im Sessel, Max
liegt auf der Couch, schläft, schnarcht lautstark. Auf seinem
dicken Bauch liegt die Fernbedienung, geht im Rythmus der Atmung
hoch und nieder. Am Tisch steht ein gefüllter Aschenbecher, eine
Packung Camel, das halbvolle Glas und die fast leere Schale Chips.
KOMMENTATOR
(sonore, ruhige Stimme)
Wir sehen eine der spannensten
Partien der letzten Jahre. Wenn
Jimmy White diese Kugel versenken
kann, ist ihm der Titel wohl nicht
mehr zu nehmen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Der Spieler holt konzentriert zum Stoß auf eine gelbe Kugel aus. Er
stößt. Die Kugel verfehlt die Tasche.
KOMMENTATOR
Das Spiel bleibt offen, meine Damen
und Herren, das Spiel bleibt offen.
Die Nerven liegen offensichtlich
blank. Wir können nun davon
ausgehen…
(und so weiter)
Adrian blickt abwesend auf den Schirm. Er richtet sich kurz auf,
wirft einen Blick auf das am Tisch liegende Handy: Keine Nachricht!
Er lässt sich wieder zurück. In diesem Moment empfängt das Handy
eine SMS: PIEP-PIEEEP! Max schrickt auf, schnarcht noch einmal
kurz, öffnet verschlafen die Augen, eigentlich nur das eine Auge.
Adrian richtet sich schnell auf, checkt das Handy.
MAX
(verschlafen)
Und?
ADRIAN
(auf das Handy starrend)
Ein Gewinnspiel!
Adrian legt das Handy zurück auf den Tisch, lässt sich wieder in
die Couch fallen.
MAX
Lässt dich ja ganz schön zappeln,
deine neue Eroberung.
ADRIAN
Sie muss arbeiten.
Max reibt sich das Auge.
MAX
Was ist sie denn? Putzfrau?
Adrian zögert mit der Antwort.
ADRIAN
Sie arbeitet oben im Sanatorium, bei
den barmherzigen Schwestern. Sie
ist… Physiotherapeutin.
Adrian lügt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
64
MAX
(zynisch)
Da hat man natürlich keine Zeit für
eine SMS, ist klar!
Max blickt auf den TV-screen.
ADRIAN
Kannst du mir heute Abend deinen
Wagen borgen?
MAX
Was ist?
ADRIAN
Ich brauche heute Abend deinen
Wagen.
MAX
Der ist erst mal ein paar Stunden zu
Hause und hat schon wieder einen
Steifen, unglaublich! Die
barmherzige Schwester muss ja einen
Monsterfick geliefert haben.
Adrian lächelt.
ADRIAN
Wenn es so einfach wäre.
MAX
Hast du Angst, dass sie dir davon
läuft? Wenn wir jetzt mal davon
ausgehen, dass sie sich überhaupt
wieder einmal meldet.
Max richtet sich auf.
ADRIAN
Sie will nach Kanada. Früher oder
später. Und da geht sich halt nicht
mehr viel aus, denke ich.
MAX
Ist ein Problem!
Max greift nach den Zigaretten, zündet sich eine an.
MAX
Und was gibt es dort eigentlich, was
es bei uns nicht gibt?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
65
ADRIAN
(im Sinne von `keine Ahnung´)
Mh!
MAX
Eben!
Max blickt auf den Bildschirm, dann auf seine klobige Armbanduhr.
MAX
Wie lange spielen die denn noch?
ADRIAN
Geht das mit dem Wagen in Ordnung?
Max grübelt, legt die Zigarette in den Aschenbecher. Er richtet
sich auf und geht kommentarlos in die Küche ab. Adrian blickt ihm
fragend hinterher. Im off hört man, wie Max fünf Konservendosen aus
einem Regal auf die Küchenzeile stellt. Adrian blickt wieder kurz
auf sein Handy. Max kommt zurück, er hat einen einzelnen, kurzen,
vielzackigen Schlüssel in der Hand. Er stellt sich vor das
Bücherregal, räumt eine Bücherreihe zur Seite und gibt so den Blick
auf einen kleinen Wandtresor frei.
MAX
Ruf ein Taxi!
ADRIAN
Was?
MAX
Ruf ein Taxi!
ADRIAN
Wofür?
MAX
(bestimmt)
Ruf ein Taxi!
ADRIAN
(resignierend)
Ich ruf ein Taxi.
Adrian greift zum Handy.
Max öffnet mit dem Schlüssel den Tresor. Adrian blickt über die
Schulter von Max in den Tresor: Wir sehen mehrere Stapel Geld,
einen kleinen Plastikbeutel Kokain, daneben liegt eine PISTOLE.
Adrians Blick wird ernst, er erwähnt aber kein Wort. Max nimmt
einen Packen ´Fünfhunderter´ raus und lässt den Tresor ins Schloss
fallen. Er stellt die Bücher wieder zurück.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
Und?
ADRIAN
(mit dem Handy am Ohr)
Besetzt!
MAX
Schalt´ die Röhre ab, wir warten
unten!
Max geht vor, steckt dabei den Packen Geld und den Schlüssel lässig
in seine Bermudahosentasche weg. Adrian geht zum Fernseher.
KOMMENTATOR
(off)
Noch EIN erfolgreicher Stoß für
Robertson und dann, meine sehr
verehrten Damen und Herren und
Snooker-Freunde, ist es vollbracht.
Diese EINE Kugel muss er noch
versenken und dann haben wir einen
neuen…
Adrian schaltet den Fernseher aus, folgt Max nach. Die beiden gehen
ab.
31 WAGEN / FAHRT – NACHMITTAG
AUSSEN / INNEN
Ein knallroter, glänzender Mini Cooper zieht rasant über eine
kurvige Landstraße, links und rechts die Natur.
Adrian sitzt begeistert am Steuer, Max am Beifahrersitz krallt sich
ängstlich fest.
MAX
Ist aber nur geliehen, hörst du, nur
geliehen. Du fährst ihn, ich besitze
ihn. Alles klar?
ADRIAN
(lächelnd)
Aber sowas von klar!
Adrian gibt Gas.
MAX
Und jetzt fahr´ mich zurück, mir ist
schon schlecht.
ADRIAN
Okay!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
67
Adrian schaltet zurück, gibt erneut Gas, der Tourenzähler schnellt
in den roten Bereich, der Wagen zischt ab. Am Horizont sehen wir
die Großstadt.
Der Mini-Cooper fährt in gemäßigtem Tempo durch eine noble
Wohngegend: Villen, Einfamilienhäuser, Vorgärten, Doppelgaragen,
teure Autos. Adrian blickt geradeaus auf die Straße, Max lässt
seinen Blick nervös in der Gegend herumschweifen.
MAX
(betont beiläufig)
Und? Gehst du mit ihr nach drüben?
Adrian blickt verwundert auf Max.
ADRIAN
Was?
MAX
Nach Kanada! Gehst du mit ihr?
Adrian ist überrascht.
ADRIAN
Wenn sie sich überhaupt wieder
einmal meldet - deine Worte.
Adrian blickt nach vor, aber alleine der Gedanke daran zaubert ein
Strahlen in sein Gesicht.
MAX
Ach, man hat doch die verrücktesten
Flausen im Kopf, wenn man verliebt
ist.
Max blickt eindringlich auf Adrian.
[Es ist vielmehr Max, der hier solche Flausen im Kopf hat.]
Adrian blickt auf Max.
ADRIAN
Wir werden sehen, was kommt.
Max nickt, grübelt.
MAX
Und wovon willst du drüben leben?
Holzfäller? Robbenmetzger?
Fallensteller?
Adrian blickt verwirrt auf Max.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Ich bin Zahnarzt! Schon vergessen?
MAX
Praktikant! Und so selten, wie du
dort arbeitest, bist du das in
fünfzehn Jahren auch noch.
Adrian reagiert trotzig.
ADRIAN
Hast du ein Problem damit?
MAX
Ich frag´ nur. Man wird ja wohl noch
fragen dürfen.
ADRIAN
Und ich kann dir dazu nichts sagen,
weil es dazu nichts zu sagen gibt.
MAX
Alles klar!
Max blickt seitlich weg, er erblickt etwas Interessantes.
MAX
Halt an!
ADRIAN
Was?
MAX
Halt an!
Der Wagen bremst sich abrupt ein.
ADRIAN
Was war denn?
MAX
Setz´ zurück!
Adrian legt den Rückwärtsgang ein, der Wagen fährt retour.
ADRIAN
(zu sich)
Wird schon ´was gewesen sein.
Max blickt gebannt seitlich raus.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
69
MAX
Stopp!
Der Wagen hält.
MAX
(deutet mit dem Kopf)
Da!
Adrian blickt in die Richtung. Wir sehen durch zwei Häuserreihen
und ein paar Gärten hindurch auf die alte Turnhalle von früher,
erbaut mit roten Backsteinziegeln.
Die beiden schweigen. Adrian blickt über die Schulter zurück.
ADRIAN
Ich wusste ja gar nicht, dass die
Straße hier…
Max fällt ihm ins Wort.
MAX
Warst du mal dort?
Max meint den Ort des Verbrechens. Adrian blickt wieder zur
Turnhalle. Er schüttelt den Kopf.
ADRIAN
Nie! - Und du?
MAX
Jedesmal …
Adrian blickt verwundert auf Max, Max blickt auf Adrian.
MAX
… wenn ich mich im Spiegel sehe.
Die beiden blicken sich eindringlich an, schweigen.
MAX
Fahr´ mich nach Hause! Du hast ja
noch ´was vor!
Adrian nickt, legt den Gang ein. Der Wagen fährt los.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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32 WOHNBLOCK / WAGEN – SPÄTER ABEND
INNEN / AUSSEN
Der auffällig rote Mini Copper steht auf einem Parkplatz und passt
nicht in diese Plattenbaugegend. Adrian sitzt drinnen, er blickt
auf sein Handy: keine Nachricht. Er blickt auf den mit einem
Betonvorbau überdachten Eingang zum Plattenbau: Keine Maria. Im
Rückspiegel sieht er fünf Jugendliche in einem Käfig Basketball
spielen. Adrian steigt aus dem Wagen.
Er tritt unters Vordach und sucht in einer schier endlosen Reihe
von Wohnungen die Türnummer 3, die wir ja aus Szene 24 kennen. Es
befindet sich kein Namenschild dort. Er zögert, dann läutet er.
Nichts. Er läutet wieder. Nichts. Er tritt zurück, sucht die
Fenster im Erdgeschoß ab, nichts. Er geht um den Block und sucht
dort die Fensterreihe ab. Er erkennt die dicken, grünen Gardinen
wieder: In diesem Zimmer lebt die Großmutter von Maria. Adrian
denkt nach.
33 WOHNBLOCK / WAGEN – NACHT
INNEN / AUSSEN
Adrian sitzt im Wagen und blickt müde auf den mit orangen Licht
erhellten Eingang. Er macht mit der Hand eine schnelle
Wischbewegung über die Konsole, um Schmutz, den es dort gar nicht
gibt, zu entfernen. Dabei sehen wir die Digitalanzeige der Uhr:
“00.35”. Adrian blickt wieder auf. Er erschrickt. Maria nähert sich
dem Eingang.
Adrian steigt aus dem Wagen und nähert sich Maria. Er hat
vielleicht noch dreißig Meter. In diesem Moment taucht hinter Maria
ein Mann auf. Adrian bleibt stehen, stellt sich in den Schatten
eines Baumes, beobachtet. Maria und der Mann betreten durch das
Portal den Bau. Adrian stockt der Atem, er weiß nicht, wie ihm
geschieht. Diese Gefühle kennt er nicht, hat er noch nie gehabt. Er
sieht, wie sich ein Fenster im Erdgeschoß erhellt. Er wartet,
blickt gebannt auf das Fenster. Das Licht erlischt und flackerndes
Kerzenlicht tritt an dessen Stelle. Er weiß nur zu genau, was das
zu bedeuten hat. Adrian wendet sich ab und geht zum Wagen. Er setzt
sich rein, verharrt kurz, startet und fährt ab.
34 STRANDBAR
AUSSEN
Die selbe Nacht. Wir befinden uns wieder an der Strandbar im
hölzernen Pavillon mit der Bar.
Adrian lehnt an einem Seitenpfeiler des Pavillons, trinkt Bier aus
der Flasche, grübelt. Auf der Bühne der kleinen Holzbude kauert
wieder der kettenrauchende, gelangweilte DJ. Heute ist kein
Karaoke. Es läuft eine lässige chill-out-Nummer.
Adrian blickt auf seine Armbanduhr, er trinkt sein Bier aus und
geht ein paar Schritte zur Bar. Er wankt, ist offensichtlich
betrunken. Er stellt die Flasche ab und gibt dem Barkeeper, es ist
wieder Rudi, ein Zeichen für ein neues Bier. Der nickt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Adrian wendet seinen Blick weg. Die Flasche wird mit einem WUMM auf
die Theke gestellt.
BARKEEPER
(off)
Ein Bierchen, bitte schöööön! Das
letzte heute, dann ist Sperrstunde.
Adrian blickt auf Rudi und kramt dabei in seiner Hosentasche nach
Geld.
BARKEEPER
Lass stecken, ich schreib´s auf Max.
Adrian blickt auf.
ADRIAN
(bestimmt)
Ich bezahle, okay?
BARKEEPER
Ist mir auch recht.
Adrian reicht einen Zwanzig-Euro-Schein rüber und greift sich das
Bier. Der Barkeeper kramt in seiner mächtigen Kellnerbrieftasche
nach dem Retourgeld.
Im off hebt Musik an, Adrian horcht auf. Dann kommt eine Stimme,
DIE Stimme, die nur einer Frau gehören kann:
MARIA
(off)
There must be lights burning
brighter somewhere
Got to be birds flying higher in a
sky more blue.
(und so weiter)
Adrian dreht sich um und eilt davon. Der Barkeeper blickt auf und
sieht, dass Adrian weg geht. Der Barkeeper schließt die Brieftasche
und steckt sie nach hinten weg.
BARKEEPER
(zu sich)
Danke schööööön!
Der Barkeeper geht nach hinten ab.
Adrian stapft aufgeregt in schnellen Schritten durch den Sand in
Richtung Bühne. Nur der DJ sitzt dort in einer opulenten
Rauchwolke.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
72
MARIA
(off)
If I can dream of a better land
Where all my brothers walk hand in
hand
Tell me why, oh why, oh why can´t my
dream come true.
(und so weiter)
Adrian ist verwirrt. Er betritt die Bühne und geht zum DJ-Pult.
ADRIAN
Hallo!
Der DJ, er trägt ein ausgemergeltes ´Free Nelson Mandela´-T-shirt,
sitzt in seiner Rauchwolke. Er blickt mit verschwommenem Blick auf.
In seiner Hand qualmt ein Joint.
DJ
Hi!
ADRIAN
Wer… wer singt hier jetzt? Heute ist
kein Karaoke!
Der DJ blickt noch verwirrter, als er ohnehin schon ist, auf
Adrian. Er hält eine CD hoch.
DJ
(trocken zynisch)
Das hier nennt man CD. Da kommt
Musik raus und manchmal hört man
auch ein paar so Stimmen d´rauf.
Richtig unheimlich ist das!
Adrian kommt näher.
ADRIAN
Ich meine… von wem ist dieses Lied?
Wer SINGT dieses Lied?
Der DJ wühlt nachdenklich in seinen Bartstoppeln, kramt dann in den
wild verstreut herumliegenden CDs herum.
DJ
Junge, ich bin etwas desorientiert
heute, hab´ nicht so den richtigen
Durchblick, wenn du verstehst?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
73
ADRIAN
Verstehe ich völlig. Und jetzt
mach´!
Der DJ kratzt sich seinen verlausten Kopf.
DJ
Ich glaube, das ist von so einer
Schweizerin, die macht so
Coverversionen von alten PresleyNummern. Hat eine unglaubliche
Stimme, was?
Adrian nickt, richtet sich auf, wendet sich dann wieder dem DJ zu.
ADRIAN
Letzten Mittwoch war hier eine junge
Frau, hier auf der Bühne, mit einem
blauen Sommerkleid. Die hat genau
dieses Lied gesungen. Du warst auch
hier, kannst du dich erinnern?
DJ
Klar doch. Die kleine Hübsche mit so
netten Titten. Ist ja fast jeden
Mittwoch hier.
ADRIAN
(auf den CD-Player zeigend)
Ist sie DIE Frau da?
DJ
Mann, Junge! Was rauchst du denn
für´n Zeug? Die singt Playback!
Bewegt nur die Lippen, macht blabla-bla und so! Comprehende, amigo?
Adrian nickt, er ist schockiert. Er wendet sich ab, geht langsam
von der Bühne.
DJ
Auch wenn sie nicht singen kann,
d´rauf geschissen, ist ´ne geile
Alte!
Der DJ nimt einen tiefen Zug vom Joint, Qualm steigt auf. Adrian
reagiert nicht. Er geht noch ein paar Schritte, bleibt stehen,
trinkt die Flasche in einem Zug aus, blickt hinauf in den
Sternenhimmel, er wankt dabei etwas hin und her.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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STIMME
(von der CD)
While I can stand, while I can walk
While I can dream, please let my
dream come true, right now
Let it come true right now
Oh yeah!
Die Musik ist aus. Adrian lächelt, senkt seinen Kopf, schüttelt
ungläubig seinen Kopf. Er blickt noch einmal auf die Bühne.
ADRIAN
(zu sich)
Die hat´s echt d´rauf!
Adrian lacht auf, wirft die Flasche seitlich in den Sand weg und
geht dann ab.
35 PENTHOUSE / TERRASSE – NACHT
INNEN / AUSSEN
Adrian tritt ein. Er wirkt irgendwie… entspannt. Die Wohnung ist
dunkel, alles ruhig. Adrian schaltet das Licht im Vorraum ein.
Adrian geht ins Wohnzimmer vor. Draußen auf der Terrasse flackert
eine Fackel in einem großen Tontopf. Durch das Fenster erkennt man
einen Schattenriss. Er geht zur Terrassentür, öffnet diese, blickt
nach draußen.
Max sitzt auf der Hollywoodschaukel, alleine, verlassen, eine
halbleere Flasche Wodka in der Hand. Er blickt in die Sterne. Er
weiß, dass Adrian da ist, blickt aber nicht auf.
ADRIAN
Hallo!
Max blickt auf Adrian.
MAX
Hallo!
ADRIAN
Bist du gar nicht im Laden?
Max schüttelt den Kopf. Adrian zögert, tritt dann näher, setzt sich
zu Max auf die Schaukel. Beide blicken in die Nacht.
ADRIAN
Willst du ein wenig… hin und her
schaukeln?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
75
Max blickt verblüfft auf Adrian, dann:
MAX
Ist gut, ein bisschen schaukeln.
Adrian stellt sein Bein nach unten und bewegt die Schaukel ganz
leicht hin und her. Adrian blickt in die Sterne.
ADRIAN
Und? Was sagen die Sterne?
MAX
Die reden nicht mit mir. DU bist
hier der große Guru!
Max zieht an der Flasche, bietet dann Adrian die Flasche an, Adrian
schüttelt den Kopf.
MAX
Auch gut!
Max nimmt einen Schluck.
MAX
Und? Wie war´s?
Langes Zögern, dann:
ADRIAN
(im Sinne von `Ja`)
Mh-mh!
Adrian belügt Max, aber irgendwie auch nicht, wie wir gleich
erfahren.
MAX
Das freut mich für dich, ehrlich!
Max nimmt einen großen Schluck.
MAX
Klingt alles nach großer Liebe.
Adrian nimmt Max die Flasche aus der Hand und nimmt auch einen
Schluck.
ADRIAN
Ich weiß es nicht.
Max blickt verblüfft und versteckt hoffnungsvoll auf Adrian.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
76
ADRIAN
Aber ich weiß jetzt, was das ist.
Adrian reicht die Flasche zurück. Max nimmt diese entgegen.
MAX
Viele sagen, ist alles nur eine
große Lüge.
ADRIAN
Das bestimmt, aber… !
[Und dieses ´aber´ hält die Welt am Laufen.]
Die beiden schweigen wieder, blicken in den Nachthimmel.
MAX
Vielleicht hätten sie uns damals
erwischen sollen.
Adrian nickt, blickt nach oben in die Sterne.
ADRIAN
Was wäre dann heute anders? Was
glaubst du?
Adrian blickt auf Max.
MAX
Nichts!
Sekunden des Schweigens.
MAX
Außer WIR vielleicht.
Langes Schweigen.
ADRIAN
Ich gehe fort von hier! Für immer!
Langes Schweigen.
MAX
Alles klar!
Max nimmt einen Schluck, lässt sich langsam zur Seite und bettet
seinen Kopf weich auf die Schulter von Adrian. Adrian fühlt sich
zunächst etwas unwohl, legt aber dann seinen Arm um dessen Schulter
und lehnt seinen Kopf auf den von Max. Max lächelt sanft, eine
Träne kullert über seine Wange, jetzt beginnt er zu weinen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
77
ADRIAN
Hör, bitte, auf. Du weißt, ich
ertrag´ das nicht.
Max wischt sich die Tränen aus den Augen, noch viel mehr kommen
nach. Adrian beginnt auch zu weinen. Erst jetzt lässt er seinen,
von Maria enttäuschten Gefühlen freien Lauf. Max nimmt einen
Schluck, weint. Adrian greift nach der Flasche Wodka, trinkt,
weint. Max richtet sich auf, blickt Adrian in die Augen. Der wischt
sich schnell die Tränen aus den Augen.
MAX
Weinst du?
ADRIAN
Ja!
Adrian flennt jetzt richtig los.
MAX
(heulend)
Ich auch!
ADRIAN
(heulend)
Ich weiß!
Max nickt, lächelt, lässt sich wieder in den Arm von Adrian. Beide
können endlich über das, was damals geschehen ist, weinen.
MAX
Das ist schön!
ADRIAN
(im Sinne von `Ja!´)
Mh-mh!
MAX
Wer nicht weint, ist nicht gesund.
Hat meine Mama mal zu mir gesagt.
ADRIAN
(im Sinne von `Verstehe´)
Mh-mh!
Und so sitzen sie da, heulen wie die Schlosshunde, und die Sterne
schauen zu.
ABBLENDE
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
78
AUFBLENDE
36 SANATORIUM – FRÜHER MORGEN
INNEN
Maria ist wieder in der Arbeit. Sie schiebt einen Rollwagen,
beladen mit Bettzeug, durch einen endlosen Gang vor sich her. Die
große, barocke Uhr verrät uns die Zeit: „Fünf vor Fünf“.
Maria kommt zum Schwesternraum, der durch große Glasscheiben
einsichtig ist.
MARIA
Guten Morgen!
Eine dürre, hagere Krankenschwester, 38 Jahre alt, Namensschild
sagt „Heidelinde Kraftig“, sitzt betont aufrecht auf dem Rollsessel
und liest in einer ´Neue Post´. Hinter ihr steht der
Arzneimittelschrank. Sie blickt kurz auf.
SCHWESTER
(grimmig)
Morgen!
Maria nickt, lächelt. Die Schwester blickt wieder in ihre ´Neue
Post´. Maria schiebt den Wagen weiter den Flur entlang. Die
Schwester schaut von der Zeitschrift auf und wirft einen
verstohlenen Blick in Richtung Maria.
Am Ende des Flurs blinkt über der Toilettentür ein weißes
Signallicht. Der übliche Trick. Schwester Heidelinde tritt betont
aus ihrem Kabäuschen, geht den Flur entlang und passiert den
Abstellraum.
Maria schleicht aus diesem heraus, wirft einen vorsichtigen Blick
ums Eck und sieht, wie die Schwester die Toilette betritt.
Maria kommt heraus und huscht auf leisen Sohlen über den Flur in
den Schwesternraum. Sie zieht einen Schlüssel und eine kleine,
weiße Plastiktüte aus ihrer Jeanshose und geht zum
Arzneimittelschrank. Sie sperrt mit nervöser, aber bestimmter Hand
den Schrank auf, öffnet die Flügeltüren. Gerade als sie zwei
Packungen in die Tüte gesteckt hat:
MÄNNERSTIMME
(off, tief, herrisch)
Suchen Sie ´was Bestimmtes?
Maria erschrickt, erstarrt. Sie dreht sich langsam um. Unter der
Tür steht der Primar, der leitende Direktor dieser Anstalt, seine
Hände in seinen weißen Manteltaschen, aus der Brusttasche ragt eine
Feder und ein Notizblock. Der Mann ist 57 Jahre alt, Brillenträger,
kurze, graue, gekrauselte Haare, breite Nase.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
79
Gleich hinter dem Primar stehen die hagere Schwester Heidelinde und
die dickleibige Schwester Sabine Menken vom letzten Nachtdienst,
die ein breites, süffisantes Lächeln auf ihren Lippen trägt.
MARIA
Ich…
MÄNNERSTIMME=PRIMAR
PRIMAR
Machen wir es kurz, Frau Müller!
Marias Nachname lautet Müller. Maria blickt eingeschüchtert auf den
Primar.
PRIMAR
18 Uhr, in meinem Büro.
Maria nickt, senkt ihren Kopf.
PRIMAR
Vielleicht finden wir ja… eine gute
Lösung, für uns alle. Könnte ja
sein, oder?
Maria blickt hoffnungsfroh auf. Der Primar wendet sich an die
Krankenschwestern.
PRIMAR
Und für sie, meine Damen, gilt
absolute Verschwiegenheit. Sie
können sich ja ausmalen, warum. Wir
verstehen uns, oder?
Die beiden Schwestern nehmen eine aufrechte Haltung ein.
SCHWESTER SABINE
Selbstverständlich, Herr Primar!
SCHWESTER HEIDELINDE
Natürlich, Herr Primar!
PRIMAR
Gut! Also dann, meine Damen, an die
Arbeit! Es gibt doch genug Arbeit,
oder etwa nicht?
Die Schwestern nicken und gehen ab. Der Primar wirft noch einen
kurzen, intensiven Blick auf Maria und geht dann ebenfalls ab.
Maria legt die Tüte auf den Tisch.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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37 STRASSE / DACHRINNE - VORMITTAG
AUSSEN
Maria geht wieder den schier endlosen, monotonen, bleigeschwärzten,
fensterlosen Häuserschlucht entlang. Sie kommt zur Dachrinne und
dem am Boden befindlichen Kanaldeckel, der als Bunker für den
Drogentausch dient. Sie schiebt den Kanaldeckel seitlich weg und
nimmt den kleinen transparenten Plastikbeutel heraus.
In diesem befinden sich wie üblich zwei aus Silberpapier gefaltete
Briefchen. Maria steckt den Beutel in ihre Handtasche weg. Sie legt
eine Notiz mit folgender Mitteilung hinein:
„Tut mir leid, ich mach´s wieder gut!“.
Sie schiebt den Deckel zurück, erhebt sich und geht ab.
38 KÜCHE – MITTAG
INNEN
Max sitzt am Frühstückstisch, is(s)t alleine. Am wie immer herrlich
gedeckten Tisch steht ungewohnter Weise eine Flasche Wodka. Er hört
Schritte, blickt auf. Adrian steht im Vorraum, blickt in die Küche.
MAX
(mit vollem Mund)
Guten Morgen!
ADRIAN
Guten Morgen!
MAX
(mampfend)
Espresso?
Max legt sein Brötchen ab, erhebt sich schon, um den Espresso wie
üblich zuzubereiten.
ADRIAN
Danke, nein, ich hab´s eilig!
Max schluckt runter, blickt verwundert auf Adrian.
MAX
(angsterfüllt)
Du gehst aber jetzt noch nicht, ich
meine “für immer”.
Adrian schüttelt verneinend den Kopf.
ADRIAN
Ich muss ins Ambulatorium.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MAX
(erleichtert)
Alles klar!
ADRIAN
Ich geh´ jetzt.
MAX
Bis dann!
Max setzt sich wieder an den Tisch, nimmt einen großen Schluck von
seiner `bloody mary´, ein Glas mit puren Wodka trinkt er ex.
Adrian blickt besorgt auf die Wodka-Flasche.
ADRIAN
Geht´s gut?
MAX
Ja-ja! Alles klar! Kannst ruhig
gehen!
Adrian nickt. Er macht ein paar Schritte zur Tür, hält inne, geht
zu Max, setzt sich an den Tisch. Wir glauben schon, Adrian will Max
auf das Trinken ansprechen, aber:
ADRIAN
Hör zu, Max, kannst du mir bis
nächste Woche Geld leihen?
Max blickt eindringlich auf Adrian, er legt sein Brötchen weg.
MAX
(betont ernst)
Aber nur, wenn du bis nächste Woche
noch bleibst!
Adrian lächelt, Max lächelt.
[Die beiden können nun belächeln, was über Jahre eine Art geheime,
unausgesprochene Abmachung zwischen den beiden war: Max hält Adrian
physisch am Leben, Adrian hält Max psychisch am Leben. Und jetzt,
wo offensichtlich alles bald vorbei ist, fällt dieses Dogma.]
Max erhebt sich, öffnet das Küchenregal und stellt eine Dose
Tomaten auf die Küchenzeile. Er schraubt den Deckel unten weg und
nimmt den Tresorschlüssel raus. Adrian blickt verblüfft auf die
Dose: das perfekte Versteck. Max geht aus der Küche.
ADRIAN
(hinüberrufend)
Bekommst es wieder!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
82
MAX
(off)
Wenn dein Vater tot ist, weiß ich
schon.
Adrian nickt, blickt kurz seitlich weg aus dem Fenster auf die
Großstadt. Dann steht er auf, geht in den Vorraum. Max kommt daher
und drückt ihm ein paar Hunderter in die Hand.
MAX
(lächelnd)
Das und eine Million zurück.
Hoffentlich reicht da der
Pflichtteil.
Adrian steckt das Geld in die Hosentasche weg.
Hinter Adrian sehen wir im Vorraum einen großen Spiegel hängen, in
dem sich Max spiegelt.
ADRIAN
Danke, Max!
MAX
(auf die Augenklappe zeigend)
Und über das Auge müssen wir uns
dann noch gesondert unterhalten!
[Auch dieses Dogma ist gefallen.]
Adrian sieht eisern auf Max, dann löst sich sein grimmiger Blick in
ein Lächeln auf.
ADRIAN
Nimmst du dafür auch eine Niere?
MAX
Deine - sicher - nicht!
Max lacht laut auf, umarmt überraschenderweise Adrian, löst sich
und blickt Adrian tief in die Augen.
MAX
Halt die Ohren steif! Und den
Schwanz schön hart. Dann blüht dein
Weizen!
Max lacht laut auf. Er geht in die Küche. Adrian blickt skeptisch
auf Max.
ADRIAN
Bis dann!
Adrian geht ab, Max setzt sich wieder an den Tisch, isst weiter.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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39 ZAHNKLINIK – NACHMITTAG
INNEN
Wir blicken in den großen, fensterlosen Saal des Zahnambulatoriums.
Adrian ist auf dem Weg in `seine´ Kabine. Er knöpft sich gerade
seinen weißen Arbeitsmantel zu. Plötzlich hält er inne, er grübelt,
dann dreht er sich um und knöpft den Mantel wieder auf. Er geht ab.
40 ZAHNKLINIK
AUSSEN
Adrian tritt aus dem schäbigen 70er Jahre-Betonblock heraus. Die
schwere Eingangstür fällt mit einem WUMM ins Schloss. Adrian trägt
eine Jeans und ein weißes Hemd. Er geht über die Betonstiege nach
unten. Ganz beiläufig zieht er sein Namensschild aus der
Hosentasche. Er passiert am Ende der Stiege einen Mülleimer und
wirft den „Dr. Adrian Weihsmann“ in den Eimer. Adrian Weihsmann
wirkt erleichert.
41 ORT DES VERBECHENS / GARAGE – SPÄTER NACHMITTAG
AUSSEN
Adrian kommt zum engen Schlurf an der Garage, zurück an den Ort,
der sein ganzes späteres Leben geprägt hat.
Adrian hält inne und blickt eindringlich an das Ende des Schlurfes,
wo der kleine Junge Alexander bitterlich um sein Leben gefleht hat.
Adrian senkt seinen Kopf, er sieht die großen Steine am Boden. Mit
einem dieser Steine hat er den Rotschopf Alexander erschlagen.
Adrian atmet tief durch. Er geht zum Ende des Schlurfes, kniet sich
genau dort nieder, wo der Junge gelegen hat. Adrian streicht sanft
über die Steine. Er greift nach hinten zum Hosenbund und holt die
Steinschleuder hervor.
ADRIAN
Hier hast du. Gehört ja dir.
Er legt die Steinschleuder nieder.
ADRIAN
Tut mir leid, dass ich dich getötet
habe.
Adrian verharrt noch kurz, erhebt sich und geht wieder zurück. Sein
Blick fällt seitlich weg und er entdeckt drei ausgetretene, frische
´Camel´-Zigarettenkippen. Adrian scharrt in den Steinen: Unzählige
Stummel kommen zum Vorschein, ganz alte, zerfledderte, verwaschene.
Max muss also sehr oft hier gewesen sein. Adrian grübelt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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42 HAUS
INNEN
Adrian sitzt an einem alten Holztisch mit einem weißen
Strickdeckchen darauf. An den Wänden hinter ihm hängen überall
Kruzifixe und Heiligenbilder.
Adrian rührt langsam in einer Schale Kaffee, sein Blick hängt am
Löffel. Seine andere Hand liegt flach am Tisch. Er greift zu einem
am Tisch stehenden Bilderrahmen:
Wir sehen das Totenbild von dem jungen Alexander, eine Schleife
umrahmt das Bild.
Adrian betrachtet intensiv das Abbild. Er wischt sich eine Träne
aus dem Auge.
Eine zerfurchte, faltige Frauenhand streckt sich ins Bild und legt
sich auf die Hand von Adrian.
FRAU
(off)
Sie brauchen nicht mehr zu reden,
Adrian! Es ist gut. Ich habe meinen
Frieden gefunden.
Adrian nickt. Wir blicken auf die eingefallene, bucklige, uralte
Frau Seidl, die Mutter von Alexander, wie sie mit ihrer Strickjacke
am Tisch kauert. Die Frau nimmt den Bilderrahmen, erhebt sich und
stellt das Bild auf seinen Platz auf der alten Kommode zurück.
FRAU = FRAU SEIDL
FRAU SEIDL
Und sie trifft ja keine Schuld.
Adrian blickt fragend auf. Die alte Frau setzt sich wieder an den
Tisch.
FRAU SEIDL
Ihr Freund Max hat mir alles
erzählt.
Adrian stoppt mit dem Rühren, er blickt fassungslos auf.
ADRIAN
WAS? WAS hat er gesagt?
FRAU SEIDL
Ihr Freund Max war bei mir und hat
mir erzählt, wie er zugeschlagen
hat, wie er meinen kleinen Alexander
ums Leben gebracht hat. Aber es ist
alles gut. Machen Sie sich, bitte,
keine Sorgen!
Adrian ist aufgewühlt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Wann war er bei Ihnen?
FRAU SEIDL
Erst heute, kurz nach dem
Mittagessen. Darum war ich ja so
überrascht, auch SIE hier zu sehen.
Nach all´ der langen Zeit. Ist etwas
passiert bei Ihnen?
Adrian ist schockiert.
ADRIAN
(zu sich)
Das ist zuviel!
Adrian springt auf.
ADRIAN
(verzweifelt, schreit)
Ich war es. Ich war es, verdammt
noch einmal!
Adrian schlägt mit der Faust so stark auf den Tisch, dass sich die
Kaffeetasse vom Unterteller hebt. Frau Seidl erschrickt.
ADRIAN
(brüllend)
Ich habe auf ihren Sohn
eingeschlagen. Mit dieser Hand, mit
einem Stein, zweimal! WUMM-WUMM! Ich
habe ihn erschlagen, nicht er. Ich
war es!
Frau Seidl ist eingeschüchtert.
FRAU SEIDL
Ich verstehe nicht.
ADRIAN
Was bildet er sich überhaupt ein?
Was glaubt er denn, wer er ist?
Adrian blickt erzürnt, er zückt sein Handy.
ADRIAN
Er erniedrigt mich, er erniedrigt
mich! Verstehen Sie?
Frau Seidl blickt völlig ahnungslos auf Adrian, der jetzt in
Richtung Haustür eilt und dabei eine Nummer wählt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
(off, brüllend)
Mit seinem Geld: Ja! Aber nicht SO!
Aber nicht SO!
Frau Seidl blickt Adrian völlig verwirrt hintennach. WUMM! Die
Haustür fällt ins Schloss. Frau Seidl weiß überhaupt nicht, wie ihr
geschieht.
43 PENTHOUSE – ABEND
AUSSEN
Abendsonne. Der Mini-Cooper bremst sich mit QUIETSCHENDEN Rädern
vor dem nietnagelneuen Apartmenthochhaus ein. Adrian springt heraus
und läuft mit grimmiger Miene in Richtung Eingang, das Handy in der
einen, den Autoschlüssel in der anderen Hand.
44 PENTHOUSE
INNEN
Adrian stürmt durch die Wohnungstür herein. Er wirft einen Blick in
die Küche. Dort herrscht das totale Chaos: Zertrümmertes Geschirr,
die wuchtige Espressomaschine liegt in Einzelteilen verstreut am
Küchenboden, verschütteter Kaffee überall. Die Regale weit
geöffnet, der Inhalt am Boden verteilt. Auch die Dose Tomaten, mit
dem Tresorschlüssel darin, liegt da. Eine leere Flasche Wodka steht
am Tisch. Adrian wird skeptisch.
ADRIAN
(umherblickend)
Max! - Max!
Adrian geht weiter ins Wohnzimmer vor. Das rötliche Abendlicht
fällt durch die Fenster herein.
ADRIAN
(schreit)
Max! Bist du da?
Adrian erblickt am Wohnzimmertisch eine Nachricht auf einem Zettel
geschrieben. Daneben liegt der Tresorschlüssel. Adrian wird
ruhiger, er nähert sich langsam dem Zettel. Er legt seinen
Autoschlüssel auf den Tisch, greift sich den Zettel, liest:
„Danke für Deine Zeit! Dein Max“.
Am Zettel ist ein Pfeil, der zum danebenliegenden Schlüssel zeigt.
Über dem Pfeil steht: „Für Kanada!“
ADRIAN
(zu sich, besorgt)
Max!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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Adrian blickt auf den Schlüssel. Ein Gedanke erfasst ihn. Er nimmt
den Schlüssel, räumt die Bücherreihe im Regal hastig beiseite und
öffnet den Tresor: Das Geld ist da, das Koks ist da, die PISTOLE
fehlt. Adrian wendet sich ab.
ADRIAN
(zu sich)
Oh Gott!
Adrian läuft ins Badezimmer, nichts. Er läuft über die Stiege nach
oben in sein Zimmer, nichts. Er blickt auf die Terrasse, nichts.
Adrian lässt sich auf die Couch nieder, stützt seinen Kopf in die
Hände.
ADRIAN
(zu sich)
Oh Gott, Max! Tu dir nichts an!
Tu´s nicht!
In diesem Moment läutet das Handy. Adrian schrickt auf, hebt
eiligst das Handy ab.
ADRIAN
(besorgt)
Max! Wo bist du?
Adrian lauscht ins Handy. Seine Miene zeigt Verblüffung.
ADRIAN
(überrascht, betont sanfte Stimme)
Hi!
45 TELEFONZELLE / STADT
AUSSEN
Maria steht an einer Telefonzelle an einem belebten Platz. Maria
checkt nervös die Umgebung, sie schwitzt, wirkt gehetzt, getrieben.
Sie trägt einen engen, schlauchförmigen, schwarzen Rock und eine
weite, weiße Bluse, darüber einen weißen Arztkittel.
MARIA
(zittrige Stimme)
Kannst du mir, bitte, helfen?
SZENE 44 / 45 TELEFONAT
Adrian erhebt sich, geht nervös herum.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
Ich bin… ich kann jetzt nicht. Max
ist… ich weiß nicht. Ich weiß nicht,
wo er ist.
Adrian lauscht ins Handy.
ADRIAN
Was?
Adrians Miene wird ernst.
ADRIAN
Wo bist du jetzt?
MARIA
(umherblickend)
Ich weiß nicht, ich bin einfach
nur…, ich… . Bleib´ dran!
Maria macht zwei Schritte aus der Zelle, blickt auf ein Haus.
Adrian lauscht aufmerksam, er blickt auf seine Armbanduhr: „19.25“.
Er greift nach dem Autoschlüssel auf dem Tisch.
ADRIAN
(ins Handy)
Ja?
Ich weiß, wo das ist. Ich bin
unterwegs.
Maria nickt.
MARIA
Danke, Adrian!
Adrian legt auf, blickt noch kurz in der Wohnung herum, wirft einen
Blick auf den offenen Tresor mit dem Geld drinnen, dann eilt er
davon.
Maria legt auf, blickt verstohlen um sich und geht ab.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ANFANG DER RÜCKBLENDE
46 SANATORIUM / FLUR – ABEND
INNEN
Maria geht mit schweren Schritten und angsterfüllter Miene den
weiten Flur entlang. Sie trägt einen engen, schlauchförmigen,
schwarzen Rock und eine weite, weiße Bluse. Sie blickt auf die
große Ganguhr, deren schwarze Zeiger die Zeit verraten:
„Fünf vor Sechs“.
Maria kommt zum Zimmer von der Frau Doktor, der alten, redseligen
Frau, die ihr vom Ausflug mit deren drei Söhnen berichtet hat. Vor
den Zimmer stehen leere Möbel. Maria wirft einen Blick hinein und
sieht die 37-jährige, großgewachsene, schlanke, blonde, Kaugummi
kauende Schwester HANNA beim routinierten Abziehen der mit Rosen
verzierten Bettlaken, jenen Laken, die Maria erst vor ein paar
Tagen der alten Frau überreicht hat.
MARIA
Hallo, Hanna!
Hanna steht über dem Bett gebeugt, blickt auf Maria.
HANNA
Na, geht´s zum Primar?
Hanna weiß natürlich Bescheid über den Vorfall. Maria nickt, blickt
im Zimmer umher.
MARIA
Ist die Frau Doktor… ?
Hanna zieht während des Dialoges das Bett ab.
HANNA
Heute früh. Herzinfarkt!
Maria nickt.
HANNA
Keine große Sache, ging schnell.
MARIA
Wissen Ihre Söhne schon Bescheid?
Hanna hält inne, blickt fragend auf Maria. Dann scheint ihr etwas
einzufallen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
90
HANNA
Verstehe! DIE Geschichte! Von den
Drillingen?
Maria denkt kurz nach.
MARIA
Sie hatte gar keine Kinder, oder?
Hanna arbeitet weiter.
HANNA
Doch-doch! Waren auch wirklich
Drillinge, aber die sind schon alle
tot.
MARIA
Alle drei?
HANNA
Sind bei einem Bombenangriff ums
Leben gekommen.
Hanna zieht mit einem Ruck das Bettlaken ab und knüllt das Laken
auf einen Bausch zusammen.
MARIA
Bei einem Bombenangriff? Was für ein
Bombenangriff?
HANNA
Na, Zweiter Weltkrieg…
(Handbewegung zeigt fallende Bombe)
…Bombenangriff eben!
Marias Miene stellt Fragen.
HANNA
Na, das waren noch Babys, damals!
Marias Blick wird ernst. Hanna stopft die Laken mit dem Rosenmuster
in einen schwarzen Müllsack.
MARIA
(zu sich)
Verstehe!
Sie wendet sich ab und geht zur offenen Tür. Hanna richtet sich
noch einmal kurz auf.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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HANNA
(grinsend)
Viel Spaß noch beim Primar dann!
Maria steigt auf den Scherz nicht ein.
MARIA
Ja-ja!
Maria will schon raus.
HANNA
Maria!
Maria wendet sich um.
MARIA
Ja?
HANNA
(Kopfnicken zum Zimmer des Primars)
Nimm´s nicht so tragisch, jede von
uns kommt mal an die Reihe! Na, und
heute bist eben du dran!
Maria nickt und dreht sich um.
HANNA
Ach, übrigens!
Maria dreht sich wieder zurück.
MARIA
Ja?
HANNA
Da war vorher ein Anruf für dich. So
ein Typ hat nach dir gefragt, hat
keinen Namen gesagt. Wollte nur
wissen, ob du da bist.
MARIA
Und? Was hast du gesagt?
HANNA
Na, dass du jetzt da bist, eben!
MARIA
Und was hat er gesagt?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
92
HANNA
Er hat gesagt, dass er sich wieder
meldet.
MARIA
Okay! Danke!
Maria dreht sich um und geht ab.
HANNA
Gern geschehen!
Hanna verschnürt mit einem festen Ruck den Müllsack, in dem sich
die Bettlaken befinden, und wirft ihn mit einem kräftigen Schwung
auf einen Rollwagen.
47 PRIMARZIMMER / FLUR
INNEN
Maria steht am Ende des Flurs vor der Tür zum Primar, ein großes
Namenschild sagt: „Direktor“. Sie klopft sanft: KLOPF-KLOPF! Sie
wartet. Gerade als sie noch einmal klopfen will, ertönt ein SUMMEN
und die Tür springt einen Spalt auf. Die Tür zum Büro hat außen
keine Schnalle, sondern einen Knauf. Maria tritt langsam ein. Die
Tür fällt hinter ihr ins Schloss.
Hinter dem glänzend schwarz polierten Büroschreibtisch sitzt auf
einem breiten Lederstuhl der Primar. Er trägt einen weißen
Arztkittel, darunter Hemd und Krawatte. Der Bürotisch ist
leergeräumt. Dort steht nur ein zusammengeklappter Laptop, ein
Telefon und ein japanischer Tischbrunnen, auf dessen Spitze sich
eine schwere Steinkugel stetig im Wasserstrahl dreht. Das Wasser
SPRUDELT sanft und leise vor sich hin.
Der Primar telefoniert, er dreht er sich langsam am Drehstuhl hin
und her.
PRIMAR
(ins Telefon, freundlich)
Verstehe! – Ja!- Ja!
Er weist Maria den Platz auf einen Sessel vor dem Tisch zu. Maria
setzt sich. Sie sitzt aufrecht da, ihre Hände im Schoß. Sie blickt
unsicher umher. Sie beobachtet die Steinkugel, die sich unentwegt
am Wasserbrunnen dreht. Sie sieht in einem Kasten hinter dem
Schreibtisch an der Wand ein Familienportrait in einem Rahmen
stehen, das den Primar, seine Frau und seine drei Kinder zeigt. Das
Foto zeigt den Primar noch als Mittedreißiger.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
93
PRIMAR
(ins Telefon, freundlich)
Gut! - Selbstverständlich! – Wir
freuen uns auch sehr. Ja! Tschüss!
(wird ungeduldiger)
Ja- Ja! Selbstverständlich. Ich muss
jetzt… - Ja! Auf bald! – Danke,
wünsche ich Ihnen auch.
Der Primar legt auf.
PRIMAR
Sie entschuldigen.
Maria nickt, lächelt.
PRIMAR
Wie geht es Ihnen, Frau Müller?
Maria ist überrascht über die Frage.
MARIA
Ich…, ich weiß´ nicht, Herr Primar.
PRIMAR
Sie haben etwas gestohlen, das
diesem Sanatorium hier gehört,
stimmt das so?
Maria nickt.
PRIMAR
Aber wir wissen auch, dass sie eine
sehr zuverlässige, fleißige,
freundliche Hilfskraft sind. Unser
Klientel ist begeistert von Ihnen.
Wissen Sie das eigentlich?
Maria lächelt etwas.
MARIA
Ich bemühe mich sehr, Herr Primar!
Der Primar lässt sich mit sorgenvoller Miene weit über den Tisch.
PRIMAR
Sind Sie drogenabhängig, Frau
Müller?
MARIA
Nein!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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PRIMAR
Waren Sie drogenabhängig?
MARIA
Ja!
Der Primar senkt kurz seinen Kopf, blickt dann wieder auf.
PRIMAR
Dann kennen Sie ja das Milieu nur zu
genau. Kann man das so sagen?
Maria nickt, sie grübelt. Der Primar nickt, aus seiner sorgenvoller
Miene wird ein lüsternes Lächeln. Er lehnt sich in seinem Sessel
weit zurück und dreht sich seitlich weg. Er blickt fordernd auf
Maria. Jetzt versteht Maria.
PRIMAR
Eine gute Lösung, für alle! War doch
versprochen, oder?
Maria nickt.
MARIA
Und meinen Job!
Der Primar lächelt, zeigt mit gestrecktem Zeigefinger im Sinne von
`Du hast es echt drauf´.
PRIMAR
Und ihren Job!
MARIA
Gut!
Maria erhebt sich und sieht, dass der Primar die Hosen bereits bei
den Fußknöcheln hat. Er ist also bereits die ganze Zeit mit
entblößter Hose hinterm Schreibtisch gesessen.
Maria erhebt sich und geht langsam um den Schreibtisch auf den
Primar zu. Sie blickt dem Primar dabei unentwegt und starr in die
Augen. Dieser beobachtet lüstern ihre Bewegungen. Maria stellt sich
stolz und aufrecht vor den Primar, lässt eine Hand nach unten
gleiten und beginnt, ihn mit der Hand zu befriedigen. Der Primar
schließt seine Augen, er stöhnt auf. Maria legt einen Gang zu. Der
Primar stöhnt noch lauter auf. Er legt seine Hände auf ihre
Schultern und drückt sie nach unten in seinen Schoß. Seine Hände
legt er jetzt auf ihren Kopf.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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PRIMAR
(stöhnend)
Komm, steck´ dir meinen harten
Schwanz ganz tief in deinen kleinen,
versauten Mund, ganz tief rein in
deinen Mund. Du willst dir meinen
geilen Schwanz doch reinstecken,
oder?
Er blickt an sich runter, dann schließt er die Augen, wendet vor
Erregung seinen Kopf seitlich weg. Das PLÄTSCHERN des Brunnens wird
lauter. Der Primar öffnet die Augen und erblickt den japanischen
Tischbrunnen. Er wird stutzig. Er bemerkt, dass die schwere
Steinkugel fehlt. Gerade als er sich Maria zuwendet: WUMM! Der
Primar bekommt den Stein mit voller Wucht auf seine Stirn, Blut
quillt heraus und rinnt nur so über sein Gesicht. Der Primar greift
sich mit den Fingerspitzen an die Wunde und sieht dann ungläubig
auf das Blut an seinen Fingern. Er blickt fassungslos und benommen
auf Maria, die mit entschlossner Miene vor ihm steht. Diese holt
erneut aus: WUMM! Er wird genau oben auf der Schädeldecke
getroffen. Er sackt in sich zusammen, der Kopf hängt nach unten,
Blut tritt aus der Wunde, aus seinem Mund und aus seinen Ohren. Er
ist tot.
Maria blickt gebannt auf ihr Opfer, sie lässt ihre Arme langsam
nach unten sinken, sie atmet schwer. Nach Sekunden der Paralyse:
WUMM! Die blutverschmierte Steinkugel fällt laut zu Boden. Maria
schrickt auf, sie ist geistig wieder anwesend. Die Steinkugel rollt
seitlich ein paar Meter weg und kommt an der Mauer zum Stehen.
Maria sieht die Blutspritzer auf ihrer Bluse. Sie blickt auf den
Garderobeständer und sieht einen weißen Arztkittel hängen.
48 FLUR
INNEN
Maria eilt schnurstracks geradeaus über den Flur, ihr Blick
konzentriert nach vorne gerichtet. Sie passiert das
Schwesternzimmer. Schwester Sabine hat Dienst. Sie sitzt breit auf
ihrem Sessel und bearbeitet Unterlagen. Sie hört im off die
Schritte, sie blickt auf und erkennt Maria in einem weißen
Arztkittel durch die Glasscheiben. Sabine blickt auf die Uhr im
Schwesternzimmer: „18.07“. Ihr Blick wird skeptisch.
ENDE DER RÜCKBLENDE
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
96
49 TELEFONZELLE / STADT - ABEND
AUSSEN
Passanten gehen durch die Gegend, Autos ziehen an uns vorbei.
Wir sehen zwei kleine Mädchen, Volksschulkinder, näher kommen. Sie
tuscheln geheimnissvoll, dann zählen sie mit den Fingern.
MÄDCHEN#1 UND MÄDCHEN#2
(heimlich, ganz leise)
Eins – Zwei – Drei!
Die Mädchen gehen jetzt direkt bei uns vorbei und machen einen
plötzlichen Ausfallschritt auf uns zu.
MÄDCHEN#1 UND MÄDCHEN#2
(laut)
Guten Tag, Frau Doktor!
Maria erschrickt sich zu Tode. Die beiden Mädchen kichern und
laufen davon. Maria blickt ihnen hinterher, lächelt gequält. Ihr
Lächeln verschwindet: Sie blickt an sich runter, sie zieht in
Windeseile den Arztkittel aus und wirft diesen so diskret wie
möglich in einen daneben stehenden Mülleimer. Daneben liegt ein
großer Bogen Zeitungspapier. Sie nimmt diesen auf, faltet ihn
einmal und hält ihn sich vor die Blutflecken auf ihrer Bluse.
Sie blickt verstohlen umher.
Dabei sieht sie in einer Reihe parkender Autos den goldenen
Mercedes, in dem sie ja von Adrian bei ihrem ersten Treffen nach
Hause gefahren wurde. Maria lächelt erleichtert auf. Sie nähert
sich dem Mercedes. Wir beobachten Maria im Außenspiegel, wie sie
dem Wagen in schnellen Schritten, aber nicht laufend, näherkommt.
In dem Wagen sitzt aber nicht Adrian, sondern Max. Max wirkt völlig
überdreht. Er schwitzt stark, unter der Nase kleben die Überreste
einer Spur Koks. Max beobachtet Maria im Außenspiegel, wie sie
immer näher kommt.
[Max hat Maria am Sanatorium abgepasst und bis hierher verfolgt. Es
war für ihn nicht schwierig, Maria aufzuspüren: Max kennt ihr
Aussehen vom ersten Treffen an der Strandbar und ER war der anonyme
Anrufer im Sanatorium. Er wusste von ihrer Arbeitsstelle aus einem
Gespräch mit Adrian, Szene 30.]
Max wird nervös, er greift in sein Handschuhfach und holt seine
Pistole mit zittriger Hand heraus. Er lädt durch und hält sich die
Waffe verdeckt unter sein Hemd.
Maria ist jetzt beim Wagen, checkt noch einmal kurz das Fahrzeug,
ja, das ist ohne Zweifel der Wagen, mit dem sie damals bei Adrian
mitgefahren ist.
Maria geht hinten um den Wagen, Max beobachtet dies im Rückspiegel.
Maria öffnet die Beifahrertür.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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MARIA
(beim Einsteigen)
Danke, Adrian, dass du…
Sie erblickt Max. Sie erschrickt, schreit laut auf, verharrt
zwischen Tür und Angel. Max blickt zu ihr, die Pistole unterm Hemd.
MAX
Wie? Wie kann ich Ihnen helfen?
MARIA
Entschuldigen Sie vielmals, ich
dachte, … entschuldigen Sie, ich…
MAX
Kein Problem, steigen Sie doch ein.
Ich warte hier nur… auf meine Frau.
Ist einkaufen, das kann dauern.
Max müht sich ein krampfhaftes Lächeln ab, Schweiß steht auf
seiner Oberlippe und seiner Glatze.
MARIA
Nein, ich…
Gerade als sich Maria wieder aufrichtet und die Tür zuwerfen will,
erblickt sie einen Polizeiwagen, der geradewegs auf sie zuhält.
Maria erstarrt, sie öffnet wieder die Wagentür und steigt in den
Wagen ein. Sie schließt die Wagentür.
MAX
Haben Sie es sich anders überlegt?
Maria sieht im Außenspiegel den Polizeiwagen näher kommen.
MARIA
Ja, ich…
Maria dreht sich zu Max, der Polizeiwagen fährt vorbei und kommt
ein paar Autolängen weiter an einer roten Ampel zum Stehen. Maria
blickt verstohlen nach dem Wagen. Das Dienstfahrzeug steht dort und
wartet auf Grün. Max sieht die Polizei und er erkennt die
Blutspritzer auf der Bluse von Maria. Maria will schon wieder
austeigen.
MAX
Probleme mit der Polizei?
MARIA
Was? - Nein, habe ich nicht.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
98
Max nickt und beginnt dann zu HUPEN, ohne Unterbrechung: TRÖÖÖÖÖT!
Maria blickt aufgeregt von der Hupe am Lenkrad auf den Polizeiwagen
und wieder zurück.
MARIA
(bestimmt)
Hören Sie auf, bitte!
TRÖÖÖÖÖT!
MARIA
(flehentlich)
Hören Sie auf, bitte!
Max geht von der Hupe. Maria blickt aufgeregt zum Polizeiauto,
keine Reaktion.
MARIA
Was… was wollen Sie?
Max´ Hand, in der er die Pistole hält, beginnt zu zittern.
MAX
Nur eine Minute! Bis meine Frau da
ist.
Max grinst, er wirkt verdreht, entrückt, wirr. Maria hat große
Angst vor Max.
MARIA
Gut!
MAX
Gut!
Max blickt eindringlich auf Maria.
MAX
Haben Sie Hunger?
Maria blickt überrascht auf Max.
MAX
Kommen Sie! Wir gehen ´was essen.
Ich wollte mit Ihnen schon immer mal
´was essen gehen.
[Er nimmt damit Bezug auf seinen Satz aus dem Dialog Max-Adrian,
Szene 29.]
Maria blickt nach vor: Die Ampel springt auf Grün, der Polizeiwagen
fährt los.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
99
MARIA
Hören Sie, ich…
Maria blickt zurück auf Max. Die Pistole ist auf sie gerichtet. Max
hält die Pistole so tief, dass die Passanten von draußen diese
nicht sehen können. Maria schrickt auf.
MAX
Chinesisch?
Maria blickt gebannt auf die Pistole, dann auf Max.
MARIA
Nicht chinesisch!
SCHNITT AUF
50 SUSHIRESTAURANT
INNEN
Running Sushi. Das Lokal ist voll. Am Förderband laufen die kleinen
Tellerchen endlos im Kreis.
Max und Maria sitzen sich gegenüber, seitlich neben ihnen läuft das
Band. Am Tisch stehen auf der Seite von Max bereits eine Menge an
leeren, übereinandergestapelten Tellern, die Seite von Maria ist
leer, vor ihr ein volles Glas Cola. Max trinkt einen Schnaps aus
und stellt das Glas zu den fünf anderen. Er klopft sich fest gegen
die Brust, unterdrückt sich das Rülpsen. Sein Mund ist schmierig,
sein Gesicht und seine Glatze verschwitzt, sein Blick wirr.
MAX
Keinen Appetit?
Maria schüttelt den Kopf.
MAX
Auch gut!
Max greift sich auf dem vollen Bauch, die Pistole scheint am
Hosenbund zu drücken. Max legt, trotz der vielen Lokalbesucher,
ganz ungeniert die Pistole neben sich auf den Tisch, legt ohne Hast
die Getränkekarte darüber. Maria blickt ängstlich auf die Pistole.
Max blickt eindringlich auf Maria.
MAX
Sie müssen mir helfen, ich komme
einfach nicht dahinter.
Maria blickt eingeschüchtert auf Max.
MARIA
Was meinen Sie?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
100
MAX
Was das ´Besondere´ an Ihnen ist?
[Adrian hat Max gegenüber davon gesprochen, dass Maria etwas
Besonderes ist. Szene 29]
Maria versteht die Frage nicht. Max lehnt sich dann weit zu ihr
hinüber.
MAX
Was ist das ´Besondere´ an Ihnen?
Ich kann das Besondere nicht sehen,
verstehen Sie?
Maria blickt starr auf Max.
MAX
(auf die Augenklappe zeigend)
Vielleicht liegt es auch nur an
meinem kaputten Auge. Ich weiß es
nicht.
Sekunden des Schweigens.
MARIA
Selbst wenn Sie blind wären, könnten
sie es nicht sehen.
Max verstummt, blickt gebannt auf Maria. Max zeigt auf seine
Augenklappe.
MAX
Wollen Sie wissen, wie´s passiert
ist?
Maria zögert, schüttelt dann den Kopf.
MARIA
Nein!
Max blickt eindringlich auf Maria.
MAX
Alles klar!
Die beiden sitzen sich noch ein paar Sekunden schweigend gegenüber.
Maria blickt an sich runter, zeigt auf die Blutflecken auf der
Bluse, lässt sich nach vor.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
101
MARIA
(geheimnissvoll flüsternd)
Wollen Sie wissen, wie die
Blutflecken auf meine Bluse gekommen
sind?
Max blickt auf die Flecken, lässt sich nach vor.
MAX
Ja, würde mich interessieren. Ganz
ehrlich!
Maria und Max sitzen jetzt ganz nah gegenüber.
MARIA
(eindringlich flüsternd)
Sag´ ich Ihnen aber nicht.
Max blickt grimmig, dann löst sich der Blick in ein süffisantes
Lächeln auf. Er lässt sich wieder weit zurück, Maria lässt sich
zurück. Die beiden blicken sich an.
MARIA
Ich muss jetzt aufs Klo.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens:
MAX
(nach hinten zeigend)
Die Toiletten sind gleich da hinten
ums Eck, nicht zu versäumen.
Maria erhebt sich, steht noch ein paar Sekunden am Tisch und geht
dann langsam und betont direkt zum Ausgang. Max nimmt sich noch ein
Tellerchen vom Laufband. Maria öffnet die Eingangstür und blickt
noch einmal zurück. Max sitzt am Tisch und mampft in sich rein.
Maria verlässt das Lokal.
51 TELEFONZELLE / STADT – SPÄTER ABEND
AUSSEN
Die Sonne ist schon untergegangen. Die künstlichen Lichter der
Großstadt regieren die Nacht.
Maria geht über den Gehsteig. Sie grübelt über die seltsame
Begegnung mit dem ihr völlig unbekannten Mann. Maria blickt nach
vor und sieht Adrian an der Telefonzelle stehen. Adrian blickt
suchend umher. Maria läuft los.
MARIA
(schreiend, erleichtert)
Adrian! Adrian!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
102
Adrian erblickt Maria, läuft ihr entgegen. Die beiden nähern sich,
Adrian verlangsamt sein Tempo, kommt zum Stehen.
ADRIAN
Maria, was ist… ?
Maria umarmt innig Adrian, sie gibt ihm einen Kuss auf die Lippen,
hält sein Gesicht zärtlich in ihren Händen, blickt ihn eindringlich
an.
MARIA
Danke! Das vergess´ ich dir nie!
Niemals! Mein Leben lang!
ADRIAN
Was ist passiert?
Maria wirkt ziemlich gefasst. Sie dreht sich zurück.
MARIA
Da war jetzt dieser…
Maria weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. Sie dreht sich wieder
zurück zu Adrian.
MARIA
Im Sanatorium. Er wollte mich…, er
hat…, und das mache ich nicht mehr.
Das mache ich nicht mehr. Das ist
ekelig. Und da waren diese
Drillinge.
ADRIAN
Drillinge?
Maria beginnt zu weinen, die Tränen strömen aus ihren Augen. Die
ganze Anspannung löst sich.
MARIA
(aufgelöst)
Die Drillinge sind gestorben, alle
drei Babys auf einmal. Von dieser
alten Frau da. Das ist so…
ungerecht. So ungerecht. Und dann
der Primar, diese Drecksau…
Maria lehnt sich an den Oberkörper von Adrian. Adrian nimmt Maria
in die Arme. Sie legt ihren Kopf auf seine Schulter. Adrian
schließt seine Augen. Auch wenn die Umstände unglücklich sind, er
genießt die Nähe zu Maria. Sie lösen sich.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
103
ADRIAN
Komm, steig´ ein. Weg von der
Straße.
Adrian geleitet Maria zur Beifahrertür, Maria wirft einen
neugierigen Blick auf das neue Auto.
MARIA
(gefasst, neugierig)
Hast du einen neuen Wagen?
Diese Frage kommt unerwartet.
ADRIAN
Gehört einem Freund von mir.
Vielleicht lernst du ihn ja mal
kennen.
Hat sie schon.
ADRIAN
Komm, steig´ ein, weg hier.
Maria setzt sich rein. Adrian wirft die Tür zu, der Wagen fährt ab.
Als der Wagen die Reihe geparkter Autos entlang fährt, erblickt
Maria wieder den Wagen von Max. Für Adrian bleibt der Wagen
unentdeckt. Der Mini-Cooper passiert den Mercedes. Maria dreht sich
nach hinten um, verliert dann den Wagen aus den Augen.
ADRIAN
Was gesehen?
MARIA
Nein!
Maria dreht sich wieder nach vor.
52 STRASSEN DER STADT / AUTOFAHRT
AUSSEN / INNEN
Der Mini-Coopper fährt über eine schwach befahrene Ausfallsstraße,
links und rechts Wohnsilos. Die orange Straßenbeleuchtung lässt
weiches Licht in den Wagen fallen.
Maria knetet nervös an einem Taschentuch in ihrem Schoß herum. Sie
blickt von diesem sporadisch auf und aus dem Fenster.
ADRIAN
Wie geht´s dir?
Maria nickt ein `Geht schon´. Sekunden des Schweigens. Adrian wirft
immer wieder einen kurzen Blick auf Maria.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
104
ADRIAN
Warum hast du MICH angerufen?
Maria blickt auf Adrian, dann wieder aus dem Fenster.
MARIA
Ich hatte sonst keine Nummer, nur
deine.
Maria blickt auf Adrian.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
MARIA
Die hatte ich irgendwie im Kopf.
Adrian nickt. Sekunden des Schweigens.
ADRIAN
Wie soll es jetzt weitergehen?
Maria grübelt, weitere Sekunden des Schweigens.
MARIA
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur,
dass ich jemanden getötet habe, dass
ich einen Menschen mit einem Stein
erschlagen habe.
Wie im Reflex:
ADRIAN
(überrascht)
Was? Du auch?
Maria blickt erstaunt auf Adrian.
MARIA
Was?
Adrian versucht, seine Überraschung zu verbergen.
ADRIAN
Es passierte doch in seinem Büro.
Mit einem Stein?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
105
MARIA
Da war so ein japanischer
Springbrunnen, so ein kleiner, für
den Tisch. Da war eine Kugel d´rauf,
aus Stein. Mit der habe ich
zugeschlagen.
Adrian kann das Gehörte kaum glauben. Er blickt Maria tief in die
Augen.
ADRIAN
Wie oft hast… ? Du hast zweimal auf
seinen Kopf eingeschlagen, stimmt´s?
Zweimal! Mit dem Stein!
MARIA
(verwirrt)
Ja!
Adrian blickt kurz gen Nachthimmel und die Sterne, seine ernste
Miene sagt: `Sie ist es! Ich wusste es!´
ADRIAN
Hör zu! Du musst hier weg, weit weg.
Und ich gehe mit dir.
Maria blickt konsterniert auf Adrian.
ADRIAN
Nach Kanada. Ich habe genug Geld!
Mach´ dir keine Sorgen! Wir kriegen
das hin.
MARIA
Ich will nicht weg. Ich muss bei
meiner Oma bleiben.
ADRIAN
Was ist mit deiner Oma, wenn du im
Gefängnis bist? Sie ist…, woher soll
sie…? Du weißt, was ich meine.
Maria senkt ihren Kopf.
MARIA
Ja, ich weiß.
Maria trocknet mit dem Taschentuch ihre Tränen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
106
53 WOHNBLOCK / WAGEN
INNEN / AUSSEN
Der Mini-Cooper kommt vor dem Wohnblock zum Stehen. Adrian stellt
den Motor ab. Beide bleiben schweigsam sitzen. Maria blickt gebannt
auf den Hauseingang. Adrian blickt ungeduldig auf Maria.
ADRIAN
Wir müssen dann los, Maria, die
Polizei…
MARIA
Meine Oma hat ein paar Jahre in
Kanada gelebt, wie sie jung war. Es
ist sehr kalt dort im Winter, hat
sie mir mal erzählt, eiskalt, mit
einem Wind, der alles gefrieren
lässt. Und meterhoch Schnee, soweit
das Auge reicht. Man konnte oft
tagelang nicht aus dem Haus. Also
blieb man drinnen. Man musste schon
warten, bis die Sonne kommt.
ADRIAN
(im Sinne vom `Ja!´)
Mh-mh!
Maria blickt auf Adrian.
MARIA
Ich gehe mit dir, aber ich weiß
nicht, ob ich das will.
Adrian nickt.
MARIA
Und ich will dahin, wo es nie kalt
ist.
ADRIAN
Ich auch.
MARIA
Ja!
Maria öffnet die Tür.
ADRIAN
Ich beeile mich.
Maria reagiert nicht darauf. Sie steigt aus dem Wagen. Adrian lässt
sich noch etwas rüber, um Maria etwas zu sagen.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
107
ADRIAN
Ich…
WUMM! Maria wirft die Autotür zu. Adrian senkt seinen Blick, dann
beobachtet er Maria, wie sie sich dem Hauseingang nähert. Sie
schließt die Haustür auf und tritt ein.
Adrian startet den Wagen. Er setzt mit QUIETSCHENDEN Rädern zurück,
bremst und zieht mit voller Geschwindigkeit ab.
54 WOHNUNG MARIA
INNEN
Maria betritt langsam die Wohnung. Alles ruhig. Sie dreht das Licht
auf. Ihr erster Blick fällt auf die Tür ins Nachbarzimmer, in dem
ihre Oma liegt. Maria versucht ruhig zu bleiben. Sie dreht sich um
und schließt die Tür. Vor ihr sieht sie jetzt die alte,
zerfledderte, ausgebleichte Karte von Kanada an der Innenseite der
Wohnungstür kleben (Szene 24). Maria kann nicht mehr, sie bricht in
Tränen aus, sie fällt auf die Knie, ist völlig aufgelöst.
MARIA
(zu sich)
Ich kann das nicht! Ich kann das
nicht!
55 PENTHOUSE – NACHT
INNEN
Adrian betritt die Wohnung, er dreht das Licht im Vorraum und im
Wohnzimmer auf. Er stürmt ins Wohnzimmer zum offenen Tresor. Gerade
als er nach dem Geld greifen will:
MAX
(off)
Na, greifst also doch noch zu?
Adrian erschrickt. Er dreht sich um. Max steht vor ihm, an seiner
hängenden Hand die Pistole. In der anderen Hand hält er eine fast
leere Flasche Wodka. Max ist schwer betrunken, er lallt und kann
kaum das Gleichgewicht halten. Max hat seine Augen weit
aufgerissen, er schwitzt, er atmet schwer. Er befindet sich jetzt
in einem absoluten Ausnahmezustand.
Adrian macht einen Schritt auf Max zu.
ADRIAN
(erleichtert)
Max! Ich dachte schon…
Max weicht hektisch einen Schritt zurück.
MAX
Dachte ich auch, aber… keine Sorge…
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
108
Er nimmt einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
MAX
… das wird schon noch. Ich war doch
schon immer so ein feiger Hund,
kennst mich ja! Ein feiger Hund! Zu
allem zu feig! Aber sonst hätte ich
es wohl kaum so lange mit dir
ausgehalten, du kleiner Wichser du!
Adrian blickt besorgt auf die Pistole. Er erkennt den Ernst der
Lage: Am Tisch liegen und stehen ein umgeworfenes, ausgeschüttetes
Glas, daneben ein aufgerissenen Plastikpäckchen, ein über den
ganzen Tisch verstreutes Kokain, ein Aschenbecher, Asche. Hinter
dem Tisch liegt frisch Erbrochenes, darin baden Shrimps und Lachs.
ADRIAN
Max! Bitte, mach doch keinen…
MAX
Nimm das Geld und verpiss dich.
ADRIAN
Max, bitte, …
Max hebt die Pistole und zielt auf Adrian.
MAX
Nimm jetzt das Geld und verpiss
dich. Alles klar? Und hab´ keine
Angst vor der Pistole. Ich kann
niemanden erschießen, den ich gern
habe. Das weiß ich jetzt auch!
Adrian nickt. Er hebt beschwichtigend die Hände.
ADRIAN
Okay, Max! Wie du willst! Ich nehme
jetzt das Geld.
MAX
(nickt)
Genau! Du nimmst jetzt das Geld!
Adrian dreht sich langsam um und geht zum Tresor. Er wirft dabei
immer wieder einen kurzen Blick auf Max. Der nimmt einen kräftigen
Schluck aus der Flasche, die Pistole stetig auf Adrian gerichtet.
Adrian nimmt die gebündelten Geldscheine aus dem Tresor und hält
sie in beiden Händen vor sich. Das sind bestimmt über 40 000 Euro.
MAX
Und jetzt verpiss´ dich!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
109
ADRIAN
Wir… reden später. Okay, Max?
MAX
(nickt)
Okay, Adrian!
ADRIAN
Okay! Dann geh´ ich jetzt!
Max nickt. Adrian macht ein paar Schritte in Richtung Ausgang. Max
richtet die Pistole nach den Bewegungen aus. Adrian steht jetzt im
Vorraum bei der Wohnungstür. Wir sehen Max im großen Spiegel im
Vorraum.
ADRIAN
Bis dann, Max!
MAX
Ja! Bis dann, Adrian!
Ihr übliches Verabschiedungsprocedere, nur diesmal unter anderen
Vorzeichen. Adrian verlässt die Wohnung und schließt langsam die
Tür hinter sich. Er atmet tief aus.
ADRIAN
(zu sich)
Bitte nicht!
Adrian wartet noch ein paar Sekunden, blickt noch einmal auf die
Tür. Dann geht er schnell ab. Wir bleiben noch für ein paar
Sekunden auf der Tür. Alles ruhig.
56 PENTHOUSE / STIEGENHAUS
INNEN
Adrian eilt aus der Liftkabine. Ein Schuss HALLT durch das
Stiegenhaus. Adrian erstarrt. Er blickt nach oben, er atmet schwer,
schließt die Augen. Dann senkt er seinen Kopf. Sekunden vergehen.
Er blickt auf und eilt los in Richtung Hauseingang. Er verlässt das
Gebäude.
57 WOHNUNG MARIA
INNEN
Wir stehen an der Küchenzeile. Maria wirkt entschlossen. Sie
streicht mit einem Messer das Heroin aus einem Silberpapier auf den
Löffel. Sie schabt das Papier gründlich ab. Sie öffnet ein zweites
Silberpapier. Sie verharrt kurz, dann streicht sie auch diesen
Inhalt auf den Löffel.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
110
Sie checkt die Spritze gegen das Licht der Küchenlampe. Sie hält
die Spritze vor sich und geht zur Tür. Sie hält davor inne, sie
senkt ihren Blick. Sie kämpft gegen die Tränen, gegen ihr Gewissen,
gegen sich selbst einen unerbittlichen, erbarmungslosen und
barbarischen Kampf. Sie öffnet langsam die Tür.
58 STRASSEN DER STADT / AUTOFAHRT
AUSSEN / INNEN
Adrian glüht über die breite Ausfallsstraße. Am Beifahrersitz
liegen die Geldbündel.
59 WOHNUNG MARIA / SCHLAFZIMMER
INNEN
Maria entzündet die Kerzenlichter am prächtig geschmückten
Weihnachtsbaum. Ein Sternspritzer erhellt das Zimmer. Maria
schaltet wieder den alten Kassettenrekorder ein, es ERTÖNT der
liebliche Kinderchor: „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Maria wendet sich ihrer Oma zu, die friedlich in ihrem Bett
schläft.
60 WOHNBLOCK / WAGEN
AUSSEN / INNEN
Inmitten der Wohnsilos. Adrian fetzt um die Kurve. Wir blicken
durch die Windschutzscheibe nach vor. Als er zum Block von Maria
kommt, sehen wir Blaulichter, Polizeiautos, Polizisten,
Kriminalisten, Schaulustige.
ADRIAN
(zu sich)
Verdammte Scheiße, nein!
Adrian bremst sich ein, er parkt mitten auf der Straße. Er springt
aus dem Wagen und eilt nach vor zum Geschehen. Flackerndes
Blaulicht erhellt die Szenerie.
Er wird gemeinsam mit Schaulustigen von Polizisten aufgehalten. Ein
Polizist zieht gerade ein Absperrungsband über den Gehweg, der zum
Hauseingang führt.
POLIZIST#1
(forsch)
Zurücktreten, bitte, Polizeieinsatz!
Treten Sie, bitte, zurück!
Adrian drängt ein paar Schaulustige zur Seite.
ADRIAN
(händeringend)
Lassen Sie mich durch! Lassen Sie
mich doch durch!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
111
Adrian kommt vor dem Absperrband zum Stehen, er verschafft sich
einen Überblick über das Geschehen. Er entdeckt seitlich vom Haus
einen Polizeibus. Hinter dem Bus mit geöffneter Heckklappe stehen
acht Beamte des Einsatzkommandos, die sich gerade schusssichere
Westen anlegen. Man sieht Maschinenpistolen, Gesichtsmasken.
Dahinter sieht man auch noch einen Notarztwagen geparkt.
Adrian ruft nach einem Polizisten:
ADRIAN
(fordernd)
Hören Sie!
Entschuldigen Sie!
Hallo!
Die Polizisten reagieren nicht. Adrian schlupft unter das Band
durch. Eine 45-jährige, robuste Passantin, knielange, enge
Jogginghose, schwarzes T-shirt mit der weißen Aufschrift: “ich chef
– du nix!”, Marke Hausmeisterin, ist entrüstet und brüllt in
Richtung Adrian.
PASSANTIN#1
(rauchige Stimme)
He, du! Ich wohne auch hier im Block
und darf nicht durch hier, oder wie
ist das jetzt? Oder darf jetzt
jeder?
(in Richtung Polizisten)
He, du! Da läuft einer durch! Da
läuft er! Halloooo!
Adrian geht direkt auf den Hauseingang zu. Ein junger, athletischer
Polizist mit kantigem Gesicht läuft auf ihn zu und hält ihn an.
POLIZIST#2
Stehenbleiben! Sofort!
Adrian bleibt stehen.
ADRIAN
Hören Sie, ich… !
POLIZIST#2
(extrem betont)
Treten Sie hinter das Absperrband
zurück!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
112
ADRIAN
Hören Sie zu, ich kenne die Frau da
drinnen, ich kann sie rausbringen,
hören Sie, ich kann Sie…
Der Polizist packt Adrian mit einer blitzschnellen Bewegung an der
Schulter, zieht seinen Arm ruckartig nach hinten und führt ihn so
in Richtung Absperrung zurück.
POLIZIST#2
Ich warne Sie! Wenn Sie sich weiter
meinen Anweisungen widersetzen, kann
Sie das…
ADRIAN
(schreit)
Wer ist hier der leitende Beamte?
Wer hat hier das Sagen? Ich bin der
Ehemann, ich bin der Ehemann der
Frau da drinnen!
Drei Kriminalisten stehen im Halbkreis mit dem Rücken zu uns, sie
beraten sich. Der Beamte in der Mitte horcht auf und dreht sich um.
Dieser Kriminalist ist Herr Einer (!), den wir vom Krankenhaus aus
Szene 1 kennen.
Herr Einer hat deutlich an Gewicht verloren, sein Gesicht ist
schmal, eingefallen, nur sein Kugelbauch ist noch immer da.
Herr Einer blickt auf Kollege#1.
HERR EINER
(in Richtung Adrian nickend)
Wenn ich Sie bitten darf?
Der 40-jährige, vollbärtige Kollege#1 blickt auf Adrian, dann
wieder auf seinen Chef.
KOLLEGE#1
Kein Problem, Chef! Bin schon
unterwegs.
Kollege#2, der bullige Mann wirkt neben Einer wie ein Riese, setzt
ein sarkastisches Lächeln auf.
KOLLEGE#2
(zu Kollege#1)
Nur jede zweite Schritt berührt den
Boden, Herr Kollege!
KOLLEGE#1
(zu Kollege#2)
Nur fliegen ist schöner!
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
113
Der Kollege#1 läuft los zu Adrian und dem Polizisten#2. Er klärt
den Polizisten#2 auf. Dieser lässt Adrian los. Der Kollege#1 führt
Adrian zu Herrn Einer.
HERR EINER
Guten Abend! Sie sind der Ehemann
von Frau Maria Müller?
ADRIAN
Das bin ich!
HERR EINER
Dann können Sie uns helfen!
Adrian blickt eindringlich auf Herrn Einer.
ADRIAN
SIE können MIR helfen!
Herr Einer blickt interessiert auf Adrian.
61 WOHNUNG MARIA / SCHLAFZIMMER
INNEN / AUSSEN
Maria sitzt an der Bettkante bei ihrer schlafenden Oma. Sie hält in
einer Hand die Spritze mit tödlichem Inhalt, mit der anderen hält
sie die zerfurchte, ausgemergelte Hand ihrer Oma. Maria zittert am
ganzen Leib.
Ein blaues, stroposkopes Licht fällt durch den Spalt zwischen den
Vorhängen ins Zimmer. Maria blickt auf und sieht das Blaulicht der
Einsatzfahrzeuge flackern. Maria weiß, dass es jetzt kein Zurück
mehr gibt. Sie blickt auf ihre Oma. Sie zückt die Spritze und führt
diese in die Kanüle am Arm ein. Sie drückt die Spritze durch. Ihre
Oma erwacht, sie öffnet weit die Augen, stöhnt.
MARIA
Jetzt wird alles gut!
Maria legt ihre Wange auf die Wange der Oma.
MARIA
Jetzt wird alles gut!
Marias Blick fällt aus dem Fenster. In diesem Moment beginnt es zu
schneien. Schneeflocken beginnen vereinzelt vom Himmel zu rieseln.
Das glänzende Weiß der Flocken vermengt sich mit der orangen
Straßenbeleuchtung zu einem brillanten Farbgemisch.
MARIA
(euphorisch)
Oma, schau! Es schneit! Es schneit!
Siehst du es?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
114
Maria läuft zum Fenster und reißt die Vorhänge zur Seite.
Wunderbare, bezaubernde Schneeflocken ziehen in schlingenden
Bewegungen am Fenster vorbei, es werden immer mehr. Dazu die Musik
aus dem Kasettenrekorder, der geschmückte Baum, es ist Weihnachten.
Maria setzt sich wieder zu ihrer Oma.
MARIA
Es schneit, nur für dich, Oma, nur
für dich!
Die Augen der alten, todgeweihten Frau beginnen zu leuchten, sie
lächelt mild und zufrieden, glücklich. Sie nickt ganz zart, sie
schließt ihre Augen, für immer. Mit einem Lächeln im Gesicht.
MARIA
Oma? - Oma?
Keine Reaktion. Maria fühlt am Handgelenk den Puls, sie schließt
kurz die Augen. Sie legt die Hand ihrer Großmutter sanft auf das
Bett. Maria blickt lange und eindringlich auf sie, dann gibt sie
ihr einen Kuss auf den Mund.
MARIA
Schlaf gut!
Maria erhebt sich und geht zum Fenster. Sie blickt raus und sieht
im dichten Schneetreiben Adrian stehen. Er winkt, Maria blickt
lange auf Adrian, sie lächelt, nickt, winkt kurz zurück. Dann geht
sie vom Fenster weg.
Adrian blickt noch für Sekunden auf das Fenster. Der Schneefall
lässt nach. Adrian blickt nach oben auf das Stockwerk darüber. Die
Passantin von der Polizeiabsperrung von vorhin, die Frau mit dem
T-shirt mit der weißen Aufschrift: “ich chef – du nix!” lehnt sich
weit aus dem Fenster und schüttelt die letzten Federn aus einer
Bettdecke.
PASSANTIN#1
(rauchige Stimme)
War´s das?
ADRIAN
Ich danke Ihnen!
PASSANTIN#1
(rauchige Stimme)
Bedanken können sich bei mir meine
Kinder! Von dir bekomme ich 200
Euro!
Adrian nickt. Die Frau geht vom Fenster zurück in ihr Zimmer.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
115
62 MARIA WOHNUNG
INNEN
Maria kommt aus dem Nebenzimmer, sie schließt hinter sich leise die
Tür. Maria bleibt stehen und blickt sich noch einmal um. Sie geht
zum Vorraum und nimmt eine gepackte Reisetasche auf. Sie blickt
eindringlich auf die Kanada-Karte auf der Innenseite der
Wohnungstür. Sie öffnet die Tür. Herr Einer steht vor der Tür.
HERR EINER
Guten Abend, Frau Müller! Sind Sie
soweit?
MARIA
Ja! Das bin ich!
Maria schultert noch einmal ihre Tasche, tritt aus der Wohnung und
geht in Begleitung von Herrn Einer in Richtung Ausgang. Wir bleiben
in der Wohnung und blicken ihr nach. Kaum ist Maria ein paar
Schritte von der Wohnungstür weg, sehen wir vier maskierte, schwer
bewaffnete Beamte des Einsatzkommandos hinter der Mauernische vor
die Tür treten. Sie senken ihre Waffen und folgen Maria und den
Kriminalisten nach.
63 WOHNBLOCK
AUSSEN
Maria wird nach draußen geführt, umringt von den Beamten des
Einsatzkommandos und der Polizei. Die Menge beginnt aufgeregt zu
tuscheln. Einige Schaulustige durchbrechen die Sperre und laufen
auf Maria zu und versuchen, mit ihren Handys und Digitalkameras ein
paar Fotos zu erhaschen. Die Polizei drängt die Menschen ab:
Gedränge, Geschiebe.
Adrian läuft um die Hausecke. Er sieht die Menschentraube, die sich
um Maria gebildet hat. Er drängt sich ebenfalls in Richtung Maria.
ADRIAN
(brüllt lauthals)
Maria! Maria!
Maria kann die Rufe vorerst nicht wahrnehmen.
ADRIAN
(off)
Maria!
Maria wendet ihren Kopf, wird dabei von den Beamten weiter nach vor
geschoben.
MARIA
(verzweifelt schreiend)
Adrian!
Wir sehen Adrian durch die aufgebrachte Menschenmenge hindurch.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
116
ADRIAN
Maria!
Adrian bleibt stehen, weil er sieht, dass es kein Durchkommen gibt.
ADRIAN
(schreiend)
Maria! Ich liebe dich!
MARIA
(schreiend)
Ich liebe DICH, Adrian!
(leise, zu sich)
Ich liebe DICH!
Maria wird von den Polizisten auf die Rückbank einer Funkstreife
gesetzt. Der Wagen fährt unter Blitzlichtgewitter und Gebrüll der
Passanten los.
Adrian blickt dem Wagen hinterher. Maria sitzt im Wagen, ihre
Blicke treffen sich noch einmal, beide lächeln. Dann biegt der
Wagen ab und ist weg.
Adrian blickt ihm noch lange nach. Die ersten Passanten gehen
wieder nach Hause, die Menge löst sich auf.
Hinten bei den Funkstreifen stehen Herr Einer und seine beiden
Kollegen. Herr Einer blickt dem Wagen noch hinterher, die Kollegen
besprechen Amtliches. Herr Einer dreht sich zu ihnen, geht auf sie
zu. Er streckt die Hand zur Verabschiedung aus.
HERR EINER
Meine Herren, es war mir eine große
Ehre, mit Ihnen gearbeitet zu haben.
Kollege#1 und Kollege#2 blicken sich verwundert mit großen Augen
an. Sie erwidern perplex den Handschlag.
KOLLEGE#1
Kein Problem, Chef!
KOLLEGE#2
Für morgen alles Gute, Chef!
KOLLEGE#1
Ja, alles Gute für morgen!
Herr Einer nickt, lächelt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
117
HERR EINER
Sie brauchen nicht auf mich zu
warten, ich gehe noch ein Stückchen
zu Fuß.
KOLLEGE#1
Kein Problem, Chef!
Kollege#2 nickt. Herr Einer dreht sich um und geht in die
Finsternis ab.
KOLLEGE#1
Und was war DAS jetzt?
KOLLEGE#2
Keine Ahnung!
Die beiden drehen sich um und gehen in Richtung Dienstfahrzeuge
weg.
KOLLEGE#1
Bisschen viel Theater für eine
Routineuntersuchung, was?
KOLLEGE#2
Hat wohl mächtig Schiss, wie´s
aussieht!
KOLLEGE#1
(bohrt mit dem Finger in die Luft)
Tatüü tattaa - die Prostata!
Die beiden lachen laut auf.
64 PENTHOUSE
INNEN
Adrian öffnet langsam und vorsichtig die Wohnungstür. Er trägt
einen Plastiksack mit sich. Adrian tritt ein, blickt vorsichtig um
sich. Er entdeckt, dass der Spiegel, in dem sich Max bei der
finalen Aussprache gespiegelt hat, ein Einschussloch aufweist,
genau auf Kopfhöhe. Adrian geht ein paar schnelle Schritte weiter
ins Innere vor.
ADRIAN
(umherblickend)
Max!
Er geht ins Wohnzimmer vor, alle Verschmutzungen von vorhin sind
beseitigt.
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
118
ADRIAN
(umherblickend)
Max!
Durch das Terrasenfenster zeichnet sich ein Umriss ab. Adrian eilt
los. Er wirft den Plastiksack beim Vorbeigehen auf den blitzeblank
sauberen Wohnzimmertisch, dabei rutschen die Geldbündel raus.
Adrian eilt auf die Terrasse nach draußen.
65 TERRASSE
AUSSEN
Adrian kommt auf die Terrasse. Max, gestriegelt und gekämmt, neu
eingekleidet, sitzt entspannt in der Hollywood-Schaukel. Adrian
blickt mit großen Augen auf Max.
ADRIAN
(überrascht, erleichtert)
Hallo!
MAX
(ruhig, cool)
Hallo!
Max spricht so, als wäre nie etwas gewesen.
ADRIAN
Wie… wie geht´s dir?
MAX
Gut!
Adrian nickt, lächelt.
ADRIAN
Und ich dachte schon, du hättest
dich…
MAX
Habe ich ja gesagt: Ich kann keinen
erschießen, den ich gern habe.
ADRIAN
(lächelnd)
Das ist gut, das ist sehr gut!
Sekunden vergehen.
MAX
Kannst du mich wieder ein bisschen…
hin und her schaukeln?
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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ADRIAN
(erfreut)
Sicher!
Adrian setzt sich auf die Schaukel, stellt seinen Fuß nach unten
und wippt die Schaukel leicht hin und her. Sekunden vergehen.
MAX
Wann geht´s jetzt los?
ADRIAN
Später. Viel später.
Max nickt.
MAX
Ich habe schon eine Wohnung für
dich, sehr gemütlich, adrett,
sauber.
ADRIAN
(im Sinne von `verstehe´)
Mh-mh!
MAX
Und ganz in der Nähe.
Die beiden blicken sich an, lächeln. Max blickt hoch in den
Nachthimmel. Adrian folgt seinem Blick. Die beiden sitzen entspannt
in der Hollywoodschaukel und blicken in die Sterne.
ADRIAN
(Kopfnicken in Richtung Sterne)
Und? Kannst du jetzt auch hören, was
sie sagen?
MAX
Da musst du schon ruhig sein, sonst
funktioniert´s ja nie.
Adrian nickt.
ADRIAN
(im Sinne von `okay´)
Mh-mh!
Beide blicken nach oben, schweigen.
ABBLENDE
ENDE
© rainer weidlinger, A-wien, 2009
© Rainer Weidlinger, Wien 2009
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