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Hörsturz – dann Schlaganfall
Ein Bericht in den „Salzburger Nachrichten“ war der
Grund, aus dem ich den Titel dieses Berichtes hier am
20. 8. 2008 geändert habe. Näheres ist dem zweiten
der diesem Bericht vorangestellten Leserbriefe zu
entnehmen.
Bisheriger Titel: Schlaganfall
Erlebnisbericht
von Paul Johann Abart
Dem Bericht seien zwei Leserbriefe vorangestellt. Der erste
wurde nach meinem Manuskript am 30. November 2007 im
Lokalteil der „Salzburger Nachrichten“ veröffentlicht:
Bedeutung der Rehabilitation
Worauf hätte die Spitze des Sparstiftes noch nicht hingewiesen?
Auch die Rehabilitation wurde bereits mit dem Sparstift
anvisiert. Aber manche Einsparungen würden nur zu mehrfach
höheren Kosten führen.
Ich selbst war als gesunder 72-Jähriger Mitte August 2007
von einem Schlaganfall betroffen. Bekanntlich wird dabei die
ausreichende Sauerstoffversorgung von Hirnzellen aus
unterschiedlichen Ursachen unterbunden. Dadurch sterben die
betroffenen Hirnzellen ab. Bestimmte Funktionen, z. B. von
Muskeln, fallen dadurch mangels der Befehle aus dem Gehirn
aus. Im Gehirn besteht aber freie Kapazität, sodass die
Funktionen der abgetöteten Zellen von anderen Bereichen
übernommen werden können. Dazu bedarf es aber der
Aktivierung dieser Bereiche durch bestimmte Methoden, die
Therapeuten durch ihre Ausbildung und Praxis anzuwenden
wissen.
Ich wurde zwei Wochen in der Christian-Doppler-Klinik
untersucht und behandelt. Dabei wurde bereits mit der Therapie
begonnen. Die Therapie wurde acht Wochen lang im RehabZentrum Großgmain fortgesetzt. Auch die übrigen Bedingungen
dort sind dem Heilverfahren förderlich. Die Zuwendung und
Gesprächsbereitschaft der Ärztinnen und Ärzte, ein in der Praxis
umgesetzter Leitsatz der Schwestern und Pfleger: »Den
Menschen mit seinem Leben umgehen zu lassen, wie ich mit
meinem umgehe.« (David Grason), gute Küche und umsichtiger
Service in allen Bereichen. (In meinem Manuskript war dazu
noch vermerkt: Sogar der freundliche Klang der LautsprecherDurchsagen unterscheidet sich wohltuend vom »Gebelle«, das
man in manchen Einkaufszentren zu hören bekommt.)
Für mich war der Erfolg der Therapien verblüffend. Obwohl
anfangs rechtsseitig gelähmt, bin ich nun wieder so weit
beweglich, dass ich alle Besorgungen erledigen und meinen
Haushalt selbst führen kann. Ohne Rehabilitation wäre ich ein
kostenintensiver Pflegefall geblieben.
Paul Abart
5020 Salzburg
Der zweite, der der Zeitung am 23. 7. 2008 übermittelt wurde,
ist nicht veröffentlicht worden, soll aber hier den Lesern dieser
Homepage zugänglich sein:
Schlaganfall
nach Hörsturz
Auf der Seite „Wissen/Gesundheit“ der SN vom 5.7.
wurde berichtet, durch repräsentative
Untersuchungen in Taiwan sei festgestellt worden,
dass in vielen Fällen auf Hörstürze Schlaganfälle
gefolgt seien.
Auch ich hatte im Jahr 2005 einen Hörsturz und –
ohne irgendwelche asiatische Wurzeln – zwei Jahre
später einen Schlaganfall mit zunächst
rechtsseitiger Lähmung. Anscheinend bleibende Folge:
eine auffallende Gehbehinderung. Wäre ich nach dem
Hörsturz auf diese mögliche Folge hingewiesen und
über die Merkmale des Beginns eines Schlaganfalles
aufgeklärt worden, so hätte diese Behinderung durch
sofortige richtige Reaktion wahrscheinlich
vermieden werden können. Nach dem Hörsturz hatte
ich immerhin zehn Tage in den SALK zur Untersuchung
zugebracht.
Geschehenes ist nicht mehr zu ändern, aber
vielleicht kann anderen vorbeugend geholfen werden.
Aus den Anamnesen von Schlaganfallpatienten müsste
sich auch nachträglich noch feststellen lassen, wie
oft Hörstürze dem Schlaganfall vorangegangen sind.
Falls sich auch bei uns wie in Taiwan ein solcher
Zusammenhang herausstellt, könnten die HörsturzPatienten auf einen eventuell darauf folgenden
Schlaganfall vorbereitet werden.
Paul Abart
5020 Salzburg
Inhaltsverzeichnis
Es werden keine Seitennummern angegeben, da sich die
Anwendung des Word-Suchsystems als zweckmäßiger erweist.
Das Ereignis
Die schöne Zeit vorher
Der Tag des Ereignisses
Die Wirkung des Schwächeanfalls
Lethargie
Den Schlaganfall nicht erkannt
Leben im Rollstuhl?
Sonderbare Aktivitäten
Organisation der Hilfe
In der Klinik
In die Schlaganfallabteilung gebracht
Beginn der Behandlung
Wird ein Stent eingesetzt?
Verstopfung
Hoffnungsschimmer
Mobilität mittels Rollstuhls
Endliche Erleichterung
Beginn der Therapien
Stroke Units
Erstmals ein Schlafmittel
Schwester mit Rasierapparaten
Überstellung ins REHAB-Zentrum
Verlust einer Jacke
Positive Bilanz des Klinikaufenthaltes
Im Rehabilitationszentrum
Der Rollstuhl
Schlaftablette
Der Ablauf des ersten Tages
Logopädie
Visiten
Motomed
Standing
Psychologische Diagnostik
Ergotherapie
Physiotherapie
Zu wenig Selbständigkeit zugestanden
Pflegeleitbild
Zu sehr umsorgt
Fachliche Kompetenz
Private Sphäre
Verlängerung der Rehabilitation
Wieder in der Klinik
Vorbereitung auf die Angiographie
Gespräch mit der Oberärztin
Ein Wochenende lang Freizeit
Die Angiographie und Begleitumstände
Eine letzte Peinlichkeit
Die letzten zwei REHAB-Wochen
Zurück ins REHAB-Zentrum
Unerwartet rasche Heilung
Urinalkondom
Venenentzündung
Wohnung im zweiten Stock ohne Lift
Ein idealer Rollator
Glück im Unglück
Training im Stiegensteigen
Eifrige Therapie-Übungen
Trockenübung in der Badewanne
Dank für Leistungen
Hinkebein
Halbtaube Glieder
Dank
Wieder unabhängig
Wieder in der eigenen Wohnung
Die Hilflosigkeit der ersten Tage nachgestellt
Verzicht auf Heimhilfe und Pflegegeld
Gefahr einer Wiederholung
Das Ereignis
Ich wurde völlig unvorbereitet von einem
Schlaganfall getroffen. Nur wenige Monate vorher
hatte ich mich einer Gesundenuntersuchung
unterzogen, die mir für mein Alter von 72 Jahren beste
Werte bestätigte. Alles normal, geringfügige, schon
früher festgestellte Abweichungen waren durch
Medikamente korrigiert. Ich fühlte mich auch bestens
und wanderte wöchentlich einmal auf den Untersberg,
den großen der Hausberge der Stadt-Salzburger, 1400
Meter Höhenunterschied.
Ich hatte mich deshalb über Krankheiten, von denen
ich mich nicht bedroht fühlte, nicht informiert. Ich
wußte daher weder etwas über den Verlauf eines
Schlaganfalls, noch über die Chancen einer
Rehabilitation. Daher verharrte ich zu meinem
Nachteil die ersten zwei Tage nach dem Anfall in
völliger Lethargie.
Um unnötige böse Folgen vermeiden oder wenigsten
mildern zu helfen und um Betroffene zu ermutigen,
möchte ich über meine Erlebnisse und die in
Verbindung damit erfahrenen Kenntnisse berichten.
Ich muß dazu aber betonen, daß ich hier medizinische
Informationen nach bestem Wissen und Gewissen
wiedergebe, für die Richtigkeit jedoch keine Gewähr
geben kann.
Ich werde hier auch Medikamente, die mir verordnet
waren und die ich anwendete, nicht namentlich
bekannt geben. Ich möchte nicht dazu verleiten, daß
jemand irgendein Medikament – soweit es ohne
ärztliche Verschreibung erhältlich ist – ohne
Konsultation eines Arztes verwendet.
Warnung: Obwohl dies von der Art des Falles nicht
indiziert ist, hatten sich Probleme mit Harn, Stuhlgang
und Blut ergeben. Ich möchte daher allen, die auf die
Schilderung solcher „unappetitlicher“ Abweichungen
von der hygienischen Normalität empfindlich reagieren
und keinen Informationsbedarf haben, vom Lesen
dieses Berichtes abraten.
Ich wollte viele Details unterbringen, und der
Bericht erreicht daher einen beträchtlichen Umfang.
Wem es trotz Interesses an Zeit oder Geduld fehlt, so
umfangreiche Informationen zu lesen, der hat durch
den vorangestellten Leserbrief eine Kurzinformation
bekommen: Es kommt bei einem Schlaganfall, ähnlich
wie bei einem Infarkt, auf schnelle ärztliche Hilfe an,
Und zum Unterschied von manchen anderen schweren
Schädigungen des Organismus bestehen in den meisten
Fällen gute Chancen auf Rehabilitation. Nach einem
Schlaganfall also den Mut nicht verlieren!
Im Internet sind übrigens auch fachliche
Informationen über den Schlaganfall zu finden.
Bezüglich der Rechtschreibung im folgenden Bericht
verweise
ich
auf
die
HTML-Seite
„Rechtschreibung“ dieser Homapage.
Die schöne Zeit vorher
Seit ich harte Nachwirkungen aus der vorzeitigen Beendigung
meines selbständigen Berufes überwunden hatte (siehe »Opfer
der Politik« in dieser Homepage!), konnte ich meine
Pensionsjahre auf angenehme Weise verbringen. Ich lebte allein
und konnte mich endlich all jenen Beschäftigungen zuwenden,
zu denen ich von Kindheit an meine eigentliche Berufung
empfunden hatte, die mir aber den Lebensunterhalt nicht
ermöglicht hätten. Ich hatte folglich 45 Jahre lang andere
Aufgaben erfüllen müssen und gewissenhaft erfüllt, ehe ich
mich ganz jenen Tätigkeiten widmen konnte, die mich
faszinierten: In der Hauptsache das Schreiben von Belletristik,
dann die Studien von Themen-Grundlagen, das Lesen zur
Bildung oder Unterhaltung, das Hören von »klassischer Musik«
zur Erbauung oder Unterhaltung und, zu erlebnisreichem
Ausgleich, das Bergwandern.
Neben diesem vom Alltäglichen abgehobenen Erleben und
erhebendem Schaffen gab es natürlich auch Banales zu
verrichten wie die Arbeiten im Haushalt.
Der Tag des Ereig
nisses
Aber auch aus der Vergangenheit gab es manches
aufzuarbeiten – Ödes und Reizvolles. Zum Reizvollen zählte die
Übertragung alter Fotos und Dokumente in den Computer. Ich
hatte damit begonnen, Bilder aus alten Alben, DiasSammlungen und sonstigen Bilder- und DokumentenSammlungen in den Computer zu übertragen und zu ordnen, um
sie für meine Kinder auf externe Speichermedien zu kopieren.
Dies sollte es ermöglichen, jedem meiner drei Kinder die
solcherart
gespeicherten
Erinnerungen
an
familiäre
Geschehnisse und Entwicklungen zu übereignen. Diese
Erinnerungen dabei auf dem Bildschirm aufleben zu lassen, war
für mich, wie gesagt, eine reizvolle Betätigung.
Am Sonntag, den 12. August 2007, saß ich von Mitte des
Vormittags bis in den Abend hinein bei den Bildern aus dem
Jahr 1978 am Computer. Ich hatte Freude daran, denn die
Kinder waren im Jahr 1978 zehn, sieben und fünf Jahre alt. Und
wir hatten damals viel gemeinsam unternommen.
Ich hatte diese Arbeit nur kurz zu einem Mittagessen und zu
einem Abendessen unterbrochen, und ich hoffte, »das Jahr
1978« noch fertigzubringen. Etwa zwei Stunden Arbeit hatten
noch gefehlt.
Doch um 20 Uhr fühlte ich plötzlich die Kraft aus dem
rechten Arm schwinden.
Die Wirkung des Schwächeanfalls
Es machte mir Mühe, den Arm zu bewegen. »Was wird weiter
geschehen?« fragte ich mich besorgt. Und ich hatte die Idee, auf
einem Blatt Papier zu notieren, was geschah, damit meine
Kinder informiert würden, falls ich später zu keiner Mitteilung
mehr fähig sein sollte. Währenddessen kam ich auf die Idee, den
Blutdruck zu kontrollieren. Denn ich war bei zu stark
abgesunkenem Blutdruck bereits zweimal hintereinander
kollabiert. Ich hatte aber versäumt zu bedenken, daß ich keine
Anzeichen eines Kollapses verspürte. Die Messergebnisse
hielten sich im Bereich des Normalen. Bald war ich zum
Schreiben zu schwach und beschloß, mich ins Bett zu legen. Ich
war aber nicht mehr kräftig genug, um mein Joka-Ausziehbett
herzurichten. Aber ich hatte ein Not-Nachtlager. Falls ich über
Nacht Gäste gehabt hatte, hatte ich ihnen das Joka-(Doppel)Bett überlassen, während ich mir, wie ich es aus früheren Jahren
von Berghütten gewohnt war, im Arbeitszimmer ein
»Matratzenlager« herrichtete. Ich hatte gerade noch genug Kraft,
die Matratze aus dem Abstellraum zu holen, das über zwei
Stuhllehnen ausgebreitete Bettzeug zu ergreifen, und mich
hinzulegen. Im nächsten Augenblick fühlte ich, daß der rechte
Arm und das rechte Bein völlig gelähmt waren. Irgendwann
waren diese Vorgänge auch von einem Schweißausbruch
begleitet worden.
Lethargie
Ich lag nun hilflos auf der Matratze am Boden. Das Telefon,
mit dem ich um Hilfe rufen hätte können, war an der Wand in
einer für mich in diesem Zustand unerreichbaren Höhe befestigt.
Nachbarn durch Klopfzeichen zu alarmieren, erschien zwecklos.
Damit ließe sich keine ausreichende Verständigung herstellen.
Bald wurde das erste Problem regsam: Harndrang. Ich konnte
mich aber nicht erheben. Eine höchst peinliche Situation. Gab es
keine andere Möglichkeit, als den Harn einfach auf die Matratze
fließen zu lassen? Auf dem Couch-Tisch links neben meinem
Lager stand eine fast geleerte Orangensaftflasche, eine Flasche
mit weitem Flaschenhals. Wenn ich die erreichen könnte! Sie
stand in Nähe des Tischrandes. Ich streckte die linke,
unversehrte Hand nach der Flasche aus. Ein kleines Stück
Reichweite fehlte. Ich versuchte mit Hilfe der linken
Gliedmaßen ein kleines Stück nach links zu rücken. Es gelang
mit Mühe, und ich hielt die Flasche in der Hand. Ich trank den
Rest des Orangensaftes aus – im Liegen gar nicht so einfach –
und hatte nun nach dem Vorbild der Methode im Krankenhaus
eine Harnflasche verfügbar. Sogar eine mit Schraubverschluß.
An weiteres dieses Abends vermag ich mich nicht mehr zu
erinnern. Wahrscheinlich war ich müde und schlief ein.
Den Schlaganfall nicht erkannt
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war mir die Situation
voll bewußt. Über Nacht hatte sich keine Veränderung ergeben.
Die rechten Gliedmaßen waren gelähmt. Rechter Arm und
rechte Hand lagen unbeweglich flach auf der Matratze. An der
Hand konnte ich lediglich den Zeigefinger ein wenig bewegen.
Vom rechten Bein, das ebenso steif und fast gefühllos auf der
Matratze lag, konnte ich lediglich das Knie ein wenig anheben.
Ich sah Parallelen zum Gehörsturz, den ich vor zwei Jahren
erlitten hatte. (Siehe Bericht unter »Eine Krankengeschichte« in
dieser Homepage!) Damals war ich unmittelbar davor noch mit
städtischen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen. Nachdem ich
heimgekehrt war und mittaggegessen hatte, wurde ich von
Brechreiz und Schwindel befallen. Von diesen Übelkeiten war
ich nun verschont geblieben; diesen Unterschied führte ich
darauf zurück, daß damals ja in Verbindung mit dem Gehör das
Gleichgewichtsorgan betroffen war. Alles, was ich von einer
Ärztin über den »Gehörsturz« erfahren hatte, war, daß eine
Nervenverbindung unterbrochen sein dürfte. Nach zehn Tagen
Untersuchungen in den Landeskrankenanstalten hatte sich keine
konkrete Ursache herausgestellt. Und in den seitdem
vergangenen zwei Jahren war keine entscheidende Besserung
eingetreten. Ich nahm daher an, daß wieder eine
Nervenverbindung unterbrochen sei; dieses Mal zu Bereichen
im Gehirn, die für die Bewegung der Muskulatur der rechten
Gliedmaßen zuständig sind. Ich folgerte weiter, daß auch gegen
diesen »inneren Unfall« wie seinerzeit gegen den Gehörsturz
keine Hilfe möglich sein würde.
Leben im Rollstuhl?
Wie wäre ein Weiterleben vorstellbar? Würde ich in einen
Rollstuhl gesetzt werden können? Ich testete, ob die lahmen
Glieder passiv bewegt werden konnten. Ich versetzte mit dem
gesunden linken Arm den rechten in verschiedene Bewegungen.
Das war möglich, und sogar, ohne Schmerzen zu verursachen.
Ich legte das linke Bein unter die Kniekehle des rechten, und es
gelang, das Knie höher anzuheben, und mit dem linken Fuß
unter der rechten Wade vermochte ich das ganz rechte Bein
anzuheben. Demnach müßte also ein Sitzen im Rollstuhl
möglich sein. Mit dem Rollstuhl könnte ich vor dem Computer
sitzen und mich auf das Schreiben allein mit der linken Hand
einüben. Das Schreiben würde mir zum Weiterleben genügend
Lebensqualität bieten. Ich brauchte mir also nur vom Hausarzt
einen Rollstuhl verschreiben zu lassen und eine Pflege- und
Haushaltshilfe durch einen der sozialen Dienste beantragen.
Mein Hausarzt war aber auf Urlaub und würde erst in zwei
Wochen wieder erreichbar sein. Bis dahin würde mich vielleicht
jemand vermissen und Hilfe organisieren. Ich brauchte also nur
zu warten.
In dieser Erwartungshaltung blieb ich den ganzen Montag,
den 13. August, auf der Matratze liegen. Ich empfand weder
Hunger noch Durst. Da ein Obstkorb in Reichweite auf dem
Fußboden stand, aß ich am Abend einen Apfel. Und offenbar
war mir sodann die ganze Nacht hindurch ruhiger Schlaf
gegönnt.
Sonderbare Aktivitäten
Es schien zunächst, daß ich auch am Dienstag, den 14. August,
inaktiv bleiben würde. Aber es hatten sich nun doch Hunger und
Durst bemerkbar gemacht. Ich hatte im Küchenabteil auf dem
Boden einige Packungen Apfelsaft und einige Flaschen
Mineralwasser stehen, in einem Küchenkasten lagerte in
geringer Höhe ein angebrauchter Wecken Brot und auch die
Vorräte im Kühlschrank schienen erreichbar. Ich brauchte nur
ins Küchenabteil zu robben.
Mit einiger Mühe konnte ich mich auf der Matratze umdrehen.
Soweit es nicht um ein Aufrichten ging, konnte ich mit den
gesunden linken Gliedmaßen einige Körperbewegungen
ausführen. Ich lag schließlich bäuchlings, zum Bücherregal
hinter dem Kopfteil des Lagers gewendet, auf dem Parkettboden.
Ich mußte mich zuerst einige Meter, die Füße voran,
zurückschieben, um mich in Richtung Küchenabteil drehen zu
können. Als ich mich gedreht hatte, versuchte ich, mich ein
wenig aufzurichten. Ich gedachte, mich in Krabbelhaltung wie
ein Baby fortzubewegen. Während ich mich mit linkem Arm
und linkem Knie aufzurichten versuchte, kippte ich sofort zur
Seite. Ich lag also auf den rechten lahmen Gliedern. Das
schmerzte ein wenig. Ich drehte mich in die Bauchlage zurück,
was auf dem glatten Parkettboden leichter gelang als auf der
Matratze.
Die Fortbewegung war also nur möglich, indem ich die linke
Handfläche vorstreckte, auf dem Fußboden festdrückte und den
Körper nachzog. Da meine Hände stets trocken sind – der
Schweißausbruch hatte nur anfangs kurz gedauert –, gelang das
nur Zentimeter für Zentimeter.
Bei so langsamer anstrengender Fortbewegung muß möglichst
viel auf einmal transportiert werden. Ich entnahm den in einem
der unteren Fächer der Küchenkasten in einer Plastiktasche
aufbewahrten Rest-Wecken Brot, aus dem Kühlschrank eine
angebrauchte Mettwurst und schob dies mit mehreren ApfelsaftPackungen und Mineralwasser-Flaschen vor mir her zum Lager.
Das alles mit der linken Hand vor mir herzuschieben war
einfacher, als mich selbst voranzubewegen.
Ich konnte nun Hunger und Durst stillen. Die natürliche Folge
verspürte ich einige Stunden später: Stuhldrang. Also ins
Badezimmer mit WC robben. Dazu mußte es mir aber zuerst
gelingen, die Wohnzimmertüre zum Vorzimmer zu öffnen. Ich
hatte diese Türe am Sonntag abend noch schließen können, um
den fallweisen nächtlichen Lärm aus dem engen Hof abzuhalten.
Das Öffnen erwies sich aber nun als großes Problem. Wie
würde ich zur Türschnalle hinaufreichen. Wäre die Türe nach
außen aufgegangen, so hätte ich versuchen können, mich mit
dem Rücken an Türe und Türstock gelehnt, ein wenig
aufzurichten, um mit der nach rückwärts gerichteten linken
Hand die Türklinke zu drücken. Daß ich dann aus der sitzenden
Haltung rücklings auf den Boden gefallen wäre, wäre nicht
schlimm gewesen. Aber die Türe ging nach innen auf. Aus der
auf dem Rücken liegenden Haltung reichte die linke Hand nicht
zur Türschnalle. Ich versuchte es mit dem Fuß. Bein und Fuß
sind ja etwas länger als Arm und Hand. Wäre ich von größerem
Wuchs, so hätte ich die Schnalle erreicht.
Ich versuchte dann doch, mich an der Türe aufzurichten.
Wenn es gelänge, die Schnalle zu drücken und mich danach
sogleich nach vorne zu neigen, wäre die Türe offen. Aber ich
vermochte nicht, nahe genug zur Türe hinzurutschen.
Rechts von der Türe stand, wie an fast allen Wänden in
meiner Wohnung, ein Bücherregal. In geringer Entfernung von
der linken Seite des Türstocks ragte die Begrenzungsmauer des
Küchenabteils ein Stück ins Wohnzimmer. Wenn es mir gelänge,
mich mit dem linken Fuß an der Mauer abzustützen und mich
dabei, mit dem Rücken an die Regalwand gelehnt, aufzurichten,
müßte ich, die linke Hand über die Brust gestreckt, zur
Türschnalle reichen. Ich rutsche aber immer wieder von der
Regalwand ab und kippte nach links. Ich setzte den linken Fuß
etwas weiter außen an und versuchte weiter, mich aufzurichten.
Ein erstes Stück konnte ich mich ja mit der linken Hand auf dem
Fußboden stützen. Und dann müßte ich mich durch das
Anschieben mit dem an die Mauer gestützten Fuß weiter
aufrichten können. Aber beim Greifen nach der Schnalle verlor
ich nochmals den Halt. Nach mehrmaligen Versuchen und
mehrmaligem Rasten gelang es mir mit schnellem Griff, die
Schnalle hinunterzudrücken, und, indem ich mich, die Hand an
die Schnalle geklammert, nach rechts fallen ließ, zu öffnen.
Die Tür war also offen. Ich würde mich dadurch verständigen
können, falls jemand an die Wohnungstüre kommen würde, und
eventuell wären draußen auf dem Hausgang auch laute Hilferufe
von mir zu vernehmen. Aber vorerst wollte ich ins WC.
Ich überlegte mir vorher noch, daß ich mich am besten
fortbewegen könne, wenn ich auf dem Rücken liegend mit dem
linken, dem gesunden Fuß antauchen würde. Tatsächlich kam
ich auf diese Weise ungleich schneller voran.
Im WC angelangt, mußte ich aber ein neues unüberwindbares
Problem erkennen. Ein »Das geht nicht«, oder »Das ist nicht
möglich«, kam für mich immer nur in Frage, wenn die
Verwirklichung eines Vorhabens aussichtslos war, wenn es
unvernünftig gewesen wäre, ein bestimmtes Ziel, weil höchst
wahrscheinlich unerreichbar, dennoch anzustreben. Der Fall war
nun eingetreten.
Organisation der Hilfe
Es kam nun unbedingt darauf an, daß ich Hilfe erreichte.
Vielleicht würde es mir gelingen, eine Nachbarin, der ich
manchen guten Dienst geleistet hatte, bitten, mir zu helfen, bis
mein Hausarzt zurück sein würde. Mir Einkäufe zu besorgen,
unaufschiebbare Arbeiten im Haushalt zu erledigen, und mir ihr
Handy zu borgen, damit ich mir einen Rollstuhl beschaffen
könne. Wenn dann das Bett hergerichtet sei und man mich ins
Bett gelegt habe, würde ich mit Hilfe der Nachbarin vom Bett in
den Rollstuhl gelangen können. Vom Rollstuhl aus würde mir
dann auch die selbständige Benutzung des WC möglich sein.
Wenn jemand meine Hilferufe hören solle, müsse aber erst
noch ein Schlosser kommen, um die Wohnungstüre zu öffnen.
Es wird daher sinnvoll sein, daß ich versuche, auch die
Wohnungstüre selber zu öffnen, überlegte ich mir.
Bei der Türe war ich nach neuer Methode, am Rücken liegend
und mit dem gesunden Fuß antauchend, relativ schnell. Aber die
Schnappschloß-Türe war versperrt. Es war mir bekannt, daß
man ein Schnappschloß mit einem Schlag an die richtige Stelle
öffnen kann. Ein zu Hilfe gerufener Schlosser hatte mir dies
vorgeführt, als mir einmal die Türe zugefallen war, und ich mich
ohne Schlüssel draußen befunden hatte. Seitdem hielt ich es für
notwendig, mich vor bösen Überraschungen zu schützen, indem
ich die Tür absperrte. Da ich aber von vornherein nicht
ausschloß, daß ich in meinem Alter einmal von einem Infarkt
betroffen werden könnte, zog ich nach dem Absperren stets den
Schlüssel innen ab. Die Tür sollte von einem Schlosser geöffnet
werden können.
Das war nicht die einzige Vorsichtsmaßnahme. Ich hatte mir
auch einen Anrufbeantworter mit Schnurlostelefon angeschafft
(ich besaß kein Handy), um notfalls die Rettung anrufen zu
können. Aber dieses Gerät hatte ich wegen unzulänglicher
Bedienungsanleitung noch nicht in Gang setzen können.
Vielleicht wäre mir dies gelungen, wenn ich die komplette
Anleitung im Kleindruck auf 51 DIN A 5-Seiten sorgfältig
durchstudiert hätte. Aber ich hatte mir nur jene Details
angesehen, deren Inbetriebsetzung mir für meine Zwecke am
wichtigsten schien.
Aber vielleicht hätte ich die Anruf-Gelegenheit auch nicht
genutzt, weil mir nicht bewußt war, daß ich einen Schlaganfall
erlitten hatte, und daß es auf sofortige Hilfe angekommen wäre.
Der Schlüssel der Wohnungstüre lag in 73 cm Höhe in einem
Regalfach nahe der Türe. Ich hatte das Regalfach mit der linken
Hand vom Boden aus zwar erreichen können, aber der Schlüssel
lag zu tief im Fach. Daß er in diesem Fach lag, wußte ich genau,
wenn ich ihn auch nicht sehen konnte. In Reichweite lag ein
dreißig cm langer Schuhlöffel, den ich als Greifwerkzeug
benützen konnte. Damit konnte ich alles, was in dem Fach lag,
herausstreifen. Der Schlüssel fiel zu Boden, auf meine Ebene
also.
Der Schlüssel war aber in einer Höhe von 98 cm ins Schloß
zu stecken. Das Vorzimmer ist schmal. In Nähe der Türe steht
auf der Seite des Schlosses ein selbst gebasteltes Schuhregal.
Wenn es mir gelingen würde, mich an diesem Regal
aufzurichten, könnte ich mit dem Schlüssel das Schloß erreichen.
Dazu hätte ich mich an der nahen gegenüberliegenden Wand mit
dem linken Fuß abstützen können.
Aber am Schuhregal befand sich ein nach hinten schräg
liegendes scharfkantiges Fach. Hätte ich beim Bauen dieses
Regals gewußt, daß ich einmal mit dem Rücken gegen diese
Kante drücken müsse, hätte ich dieses Fach an der Vorderseite
gepolstert. Aber nun mußte ich versuchen, mich an diesem
Regal abzustützen und aufzurichten. Es gelang zwar, solange ich
mich mit der linken Hand auf den Boden stützen konnte. Aber
ich mußte dann ja mit der Linken den Schlüssel zum Schloß
führen. Dabei kippte ich wieder um. Andrerseits war mir klar,
daß dies die einzige Möglichkeit sei, in eine Position zu
kommen, um die Türe zu öffnen.
Ich rastete zwischendurch und versuchte dann immer wieder,
unter Schmerzen durch den Druck der scharfen Kante, mich
aufzurichten. Ich plagte mich fast eineinhalb Stunden, bis es mir
schließlich gelang, die Türe zu öffnen. Die Türe stand nun offen.
Wie gut die frische Luft tat! Ich horchte nach Stimmen und
Schritten. Sooft ich jemanden hörte, rief ich um Hilfe. Nicht mit
panischem Geschrei, sondern einfach laut: »Hilfe, bitte!« Nach
einem solchen Ruf hörte ich von bekannter Stimme: »Das ist der
Paul.« Und der hilfsbereite Nachbar war bald an der Türe. Ich
bat den Nachbarn, die Nachbarin zu verständigen, von der ich
weitere Hilfeleistung erwarten konnte. Falls die Nachbarin
gerade in der Arbeit sei, möge deren 13jährige Tochter an die
Türe kommen.
Bald darauf kam die Tochter der Nachbarin. Ich gab ihr den
Wohnungsschlüssel und bat, sie möge ihrer Mutter, sobald sie
heimkomme – das würde nach zwanzig Uhr sein – die Situation
schildern und ihr meine Bitte mitteilen, daß sie zu mir kommen
möge.
In der Klinik
In die Schlaganfallabteilung gebracht
Ich robbte zu meinem Lager zurück und wartete ein paar
Stunden. Kurz nach zwanzig Uhr kam die Nachbarin. Sie habe
kein gutes Gefühl, meinte sie, als ich ihr mitteilte, zwei Wochen
bis zur Rückkunft meines Hausarztes zuwarten zu wollen.
Einige Minuten später standen zwei Männer und eine Frau
von der Rettung und die Nachbarin an meinem Lager. Sie hätte
es nicht verantworten können, mich hier liegenzulassen, erklärte
die Nachbarin. Jetzt noch meine Überführung ins Krankenhaus
durch die Rettung abzulehnen, wäre sinnlos gewesen. Ich wurde
in
die
Christian-Doppler-Klinik,
die
Salzburger
Landesnervenklinik, gebracht.
An irgendeiner Zugangstüre sah ich, daß ich in die
Schlaganfall-Abteilung eingeliefert wurde. Aufgeklärt, daß ich
von einem Schlaganfall betroffen sei, wurde ich nicht. Vielleicht
haben die Ärzte gar nicht erfahren, daß ich nicht ins
Krankenhaus gebracht, sondern zwei Wochen auf die Rückkehr
meines Hausarztes warten wollte. Aber die Rettungsleute
werden schon aus eigener Erfahrung erkannt haben, wo ich
hingehörte. Und daß einseitige Lähmungserscheinungen für
einen Schlaganfall typisch seien, wurde mir nun bewußt.
Beginn der Behandlung
Es
war
bereits
20,30
Uhr.
Ich
bekam
ein
Blutverdünnungsmittel in den Bauch injiziert – daß es ein
Blutverdünnungsmittel war, erfuhr ich erst tags darauf. Diese
Spritze bekam ich fortan täglich morgens und abends. Und an
diesem ersten Abend folgte eine Infusion in den linken Arm.
Im übrigen wurden mir fast dieselben Medikamente
verabreicht, die ich davor nach Verschreibung durch meinen
Hausarzt eingenommen hatte. Nur die Tabletten zur
Blutverdünnung waren durch die Injektionen ersetzt und zur
Regulierung des Blutdrucks bekam ich ein anderes Medikament.
Ich wies darauf hin, daß ich auch zwei verschiedene Sorten
von Augentropfen anwenden müsse. Man wollte mich daher in
die Augenklinik bringen. Mir war aber bekannt, daß dort sehr
großer Andrang herrschte. Ich hätte nur im Bett hingebracht
werden können und ich hätte dort womöglich stundenlang im
Bett auf dem Gang warten müssen. Wie wäre ich dort bei Bedarf
zu einer Harnflasche gekommen? Ich erklärte daher, daß ich
vom Augenarzt erst vor kurzem gründlich untersucht worden sei
und die Tropfen verschrieben bekommen habe. Ich könne mir
die Tropfen von daheim bringen lassen. Das wurde akzeptiert.
Wird ein Stent eingesetzt?
Bereits am ersten Abend begannen die Untersuchungen. Tags
darauf wurden die Untersuchungen fortgesetzt. An der MRIUntersuchung war ein Arzt beteiligt, der mich kannte. Von ihm
erfuhr ich nun die offizielle Diagnose: Schlaganfall. Und daß ich
in den ersten Minuten in die Klinik gebracht werden hätte
müssen, daß dann die Lähmung wahrscheinlich verhindert
werden hätte können.
Aus der MRI-Untersuchung ergab sich der Verdacht auf
Verengung einer der Halsschlagadern. Möglicherweise werde
ein Stent eingesetzt werden müssen. Die zuständige Fachärztin
sei aber auf Urlaub, und die Klärung dieser Frage müsse daher
aufgeschoben werden.
An einem der nächsten Tage wurde einem mir im
Krankenzimmer mit zwei Betten benachbarten Patienten ein
Stent (eine Röhre aus einem Metallgeflecht, durch die das
verengte Gefäß erweitert wird) in eine Halsschlagader eingesetzt.
Ich wunderte mich, warum an ihm diese Behandlung
vorgenommen werden konnte, ich aber auf die Rückkehr einer
zuständigen Fachärztin warten mußte. Den Arzt, mit dem ich
bekannt war, traf ich nicht mehr. Andere Ärzte zu fragen, hielt
ich nicht für sinnvoll. Soweit überhaupt, hätte ich
wahrscheinlich eine unverständliche medizinische Fachauskunft
bekommen. Ich würde die abschließenden schriftlichen Befunde
abwarten. Diese vermöchte ich mit Hilfe von Wörterbüchern zu
übersetzen. Meine Latein- und Griechischkenntnisse aus der
Mittelschule waren dabei erfahrungsgemäß wenig hilfreich.
Verstopfung
Schon in den nächsten Tagen wurde ich von der
Schlaganfallabteilung in die ein Geschoß höher gelegene
allgemeine Akut-Abteilung verlegt, dort in ein Vierbettzimmer.
Ein Problem folgte mit, es verfolgte mich eigentlich seit dem
Schlaganfall. Ich hatte schon tagelang keinen Stuhlgang. Diese
Störung hatte ihre Ursache vielleicht in der Stuhlverhaltung, als
ich daheim nicht auf die Muschel gelangen konnte. Ich hatte
zudem das Gefühl, daß irgendeine Trägheit im Inneren den
Stuhlgang ausbleiben ließ. Ich war dadurch nicht besonders
beunruhigt, weil mir bekannt war, daß im Notfall ein harmloses
Radikalmittel eingesetzt werden könnte: ein Einlauf.
Zunächst ergaben sich damit aber allerlei Probleme. Als ich
meinte, Stuhldrang zu verspüren, brachte mir die Schwester die
»Schüssel«. Die derzeit in den Krankenhäusern verwendeten
Schüsseln sind aber äußerst flach beschaffen. Das mag den
Vorteil haben, daß sie leicht unterzuschieben sind. Aber ich
fühlte, daß die Gesäßbacken den Boden der Schüssel berührten.
Wie soll man dabei zurechtkommen? Mir blieb nichts übrig, als
mich zur »Enthaltsamkeit« zu entschließen. Das unangenehmste
war, daß auch Blähungen hinausdrängten. Ich konnte aber nicht
mit Sicherheit unterscheiden, was da kommen würde.
Tatsächlich wurde einmal eine Unterhose total beschmutzt. Ich
bat die Schwester um einen Müllsack, verstaute sie darin, und
ließ sie als Müll entsorgen. Diese Hose aufzubewahren und
reinigen zu lassen, wäre nicht zumutbar gewesen.
Hoffnungsschimmer
Bald kam ein Physiotherapeut an mein Bett. Er untersuchte
meine Beweglichkeit und meine Reflexe, und er stellte mir in
Aussicht, daß ich wieder gehen und mich weitgehend normal
werde bewegen können. Das konnte ich mir zwar nicht
vorstellen, dennoch war ich von dieser Vorhersage freudig
überrascht. Er würde doch in einem Patienten keine unerfüllbare
Hoffnung wecken. Ich wußte inzwischen zwar, daß ich einen
Schlaganfall erlitten hatte, aber ich wußte nicht, daß danach
wieder die volle Beweglichkeit oder zumindest ein gewisses
Maß an Beweglichkeit zurückgewonnen werden könne.
Schlaganfall-Patienten waren mir nur aus der kleinen
Marktgemeinde, in der ich aufgewachsen war, also aus der Zeit
vor etwa sechzig Jahren, bekannt. Damals hieß es: »Den hat der
Schlag getroffen.« Das bedeutete, er war daran verstorben. Oder:
»Den hats Schlagl gstreift.« Man sah ihn nachher je nach der
Heftigkeit dieser Berührung mehr oder weniger »verkrüppelt«.
Der Therapeut zeigte mir für den Anfang einen einfachen und
zugleich den einzigen »Trick«, wie ich mich aufrichten, und
sobald die Kraft im rechten Bein zur Unterstützung ausreichen
würde, auch aufstehen könne: Mich mit abgewinkelten Beinen
auf den linken Bettrand drehen, mich mit dem gesunden linken
Arm aufstützen, gleichzeitig beide Unterschenkel aus dem Bett
bewegen, den rechten notfalls mit dem linken aus dem Bett
schieben, und schon saß ich auf dem Bettrand. Zugleich in der
richtigen Haltung, um später aufzustehen.
Mobilität mittels Rollstuhls
Aber zunächst ging es nur darum, vom Bett in den
bereitgestellten Rollstuhl zu rutschen. Da die rechte
Körperhälfte dabei nie der Unterlage entbehrte, gelang es. Mit
der linken Hand konnte ich den Rollstuhl antreiben und mit dem
linken Fuß den Antrieb unterstützen und steuern. Damit hatte
ich bereits ein Minimum an Mobilität zurückgewonnen. Die
Rückkehr ins Bett war einfacher, als in den Rollstuhl
überzuwechseln. Der Rollstuhl stand mir fortan zur freien
Verfügung.
Ich hatte vom Therapeuten, da ich mich interessiert zeigte,
auch meine Behinderung betreffende Abschnitte der
Fachliteratur zu lesen bekommen.
Endliche Erleichterung
Ich litt weiterhin unter dem fehlenden Stuhlgang. Ich erklärte
der Schwester, daß ich mich nun ins WC begeben könne. Ich
mußte aber begleitet und kontrolliert werden, bis ich sicher auf
der Muschel saß, und hernach, bis ich wieder sicher im Rollstuhl
Platz nahm. Der Stuhlgang blieb weiterhin aus, ich konnte mich
aber zu meiner Erleichterung von den Blähungen befreien, die
sich aufgestaut hatten.
Am fünften Tag nach dem Schlaganfall wies ich einen Arzt
bei der Visite darauf hin, daß mir die Peristaltik geschwächt
erscheine. (Peristaltik: Wirkung von muskulösen Wänden der
Hohlorgane, die z.B. Harn oder Exkremente nach außen drückt;
einige medizinische Fachausdrücke waren mir durch meine Frau,
eine ausgebildete Krankenschwester mit mehrjähriger Praxis,
aus Gesprächen, während die Ehe noch aufrecht war, in
Erinnerung.) Dem Arzt schien das glaubhaft und er verordnete
mir ein Medikament, das mir noch am selben Tag den so lange
erwarteten Stuhlgang ermöglichte.
Nachdem ich noch einige Male auf dem Weg zur Toilette
gesichert worden war, wurde mir bald ausreichende
Selbständigkeit zugestanden, um mich allein dorthin zu begeben.
Beginn der Therapien
Der Physiotherapeut, der inzwischen mit mir weitergearbeitet
hatte, teilte mir mit, daß für eine volle Therapie in der Klinik
kein Platz mehr frei sei. Aber er werde mich an allen
Wochentagen eine halbe Stunde trainieren. Immerhin.
Auch eine Ergotherapeutin kam, um mit ihrer Therapie zu
beginnen. Ich kannte aber zum Unterschied von der
Physiotherapie die Methoden und Ziele der Ergotherapie nicht.
Bekannt war mir dagegen aus meiner beruflichen Erfahrung als
Steuerberater und Wirtschaftsberater (was nicht allgemein
bekannt ist: Jeder Steuerberater hat auch die Befugnis eines
Wirtschaftsberaters und übt sie nebenbei zumindest durch eine
mündliche Bilanzanalyse auch aus) der wissenschaftliche
Begriff der Ergonomie. Ergonomie bedeutet, die maximalen
beruflichen
Leistungsmöglichkeiten
festzustellen
und
Arbeitsbedingungen zu entwickeln, durch die dieses
Leistungsmaximum erreicht werden könne. Ich deutete
»Ergotherapie« daher in die Richtung, daß die Fähigkeit zum
Leistungsmaximum wieder hergestellt werden solle. Ich meinte
daher, daß ich dazu viel besser selber befähigt sei als eine
Branchenfremde, die nur allgemeine Erkenntnisse vermitteln
könne. Als Pensionist betätigte ich mich ja nun als Schriftsteller,
wie wenn ich als solcher noch berufstätig wäre. Als ich der
Therapeutin erklärte, ich würde mir die Methoden zur
Fortsetzung meiner Arbeit selber aneignen – ich dachte dabei an
ein System, um mit fünf Fingern, also mit einer Hand auf dem
Computer zu schreiben – und ihre Therapie ablehnte, drohte sie:
»Dann werden wir sie in die Geriatrie stecken.« Damit konnte
sie mich allerdings nicht erschrecken. Mir war klar, daß eine
Therapeutin sicher nicht darüber entscheiden könne, ob ein
Patient in die Geriatrie zu verlegen sei. Notfalls würde ich den
mir bekannten Arzt zu Hilfe rufen.
Ich sprach dann mit einer Krankenschwester darüber, die ich
als verständnisvoll und freundlich kennengelernt hatte. Sie
bestätigte, daß darüber nicht eine Therapeutin zu entscheiden
habe. Als sich mein Missverständnis herausstellte, erklärte die
Schwester einfach, die Ergotherapeutin mache dasselbe »mit
den Händen« wie der Physiotherapeut »mit den Füßen«.
Dank der Klarstellung auf so einfache Weise konnte ich beim
nächsten Besuch der Ergotherapeutin das Mißverständnis
aufklären und an der Therapie genauso interessiert teilnehmen
wie an der Physiotherapie.
Stroke Units
Während des Aufenthaltes in der Klinik wurde mir als
aufmerksame Gabe das Buch »Nach einem Schlaganfall« von
Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang
Latouschek und Prim. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Lang als
Information für Patienten und Angehörige überreicht. Darin sind
das Ereignis und seine Folgen beschrieben sowie Ratschläge zur
Rehabilitation, zur Reintegration und Selbsthilfe und zur
Prävention erteilt. Es ist auch auf das Netzwerk gegen den
Schlaganfall – Stroke Units (Schlaganfall-Stationen) in
Österreich hingewiesen.
Erstmals ein Schlafmittel
Im Zimmer mit vier Betten gab es immer irgendwelche
nächtliche Störungen. Ein alter Patient stand mehrmals in der
Nacht auf, machte Licht, kramte geräuscherregend im
metallenen Nachtkästchen herum und fuhr dann mit dem
Rollstuhl ins WC, was ebenso geräuschvoll vor sich ging. Da
ich über Schlafmangel klagte – ohne mich über die Ursache zu
beklagen – bekam ich eine Schlaftablette. Dadurch konnte ich
das erste Mal in diesem Zimmer fünf Stunden durchgehend
schlafen. Am darauffolgenden Morgen klage jener Patient, der
bisher am meisten nächtliche Störungen verursacht hatte, der
Schwester, daß ein neu ins Zimmer gekommener Patient »wie
fünfzig Elefanten« geschnarcht und er daher nicht schlafen habe
können. Da hielt ich ihm aber vor, daß und wie er selbst am
meisten den Schlaf der anderen störe, daß ich noch keine Nacht,
seit er im Zimmer sei, richtig schlafen hätte können, und daß ich
daher in dieser Nacht das erste Mal in meinem Leben ein
Schlafmittel genommen hätte. Wenn jemand schnarche, könne
er dagegen nichts dafür. Der Ruhestörer schwieg hierauf
betroffen. Weist die Bibel nicht auf alle Fehlhaltungen hin? Man
sehe den Splitter im Auge des anderen, den Balken im eigenen
Auge gewahre man aber nicht. Ich selbst hatte dank dem
Schlafmittel das Schnarchen nicht gehört.
Schwester mit Rasierapparaten
Eines Abends kam eine Schwester mit zwei Rasierapparaten
an mein Bett zum »Ausrasieren«. Ich fragte nach dem Zweck.
Es werde eine Angiographie gemacht, erfuhr ich. Vom
Nachbarpatienten im früheren Zimmer war mir diese
Untersuchungsmethode bekannt. Ich beanstandete, daß ich
darüber nicht informiert worden sei, und fragte, ob ich diesem
Eingriff nicht in einer Erklärung mit meiner Unterschrift
zustimmen müsse. Sie glaube schon, erfuhr ich. Ich bestand
daher darauf, darüber informiert zu werden und Gelegenheit zu
bekommen, mit meinen Angehörigen zu telefonieren. Immerhin
hatte mein Sohn als Technikstudium das Spezialgebiet
Elektromedizin gewählt und daher auch einige Semester
medizinische Vorlesungen besucht. Er erklärte mir, als ich mit
ihm sprechen konnte, daß die Angiographie eine
Routineuntersuchung sei, der ich mich ohne Bedenken
unterziehen könne. Ich war aber gar nicht um mich selbst
besorgt gewesen, sondern hatte nur Wert darauf gelegt, daß
meine Angehörigen über das Geschehen informiert seien. Die
Angiographie wurde aber dann nicht mehr vorgenommen.
Überstellung ins REHAB-Zentrum
Meine Angehörigen, insbesondere meine Schwiegertochter,
bemühten sich inzwischen, für mich einen Platz im REHABZentrum in Großgmain und die Übernahme der Kosten durch
die Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft, an die
ich die letzten dreißig Jahre die Pensionsversicherungsbeiträge
entrichtet hatte und von der ich meine Pension bezog, zu
erreichen.
Am 29. August 2007 war es so weit. Meine Schwiegertochter
und mein Sohn hatten mich teils aus den Beständen in meiner
Wohnung, teils durch Nachkäufe reichlich mit Wäsche und
Joggingkleidung für die Therapien versorgt. Ich verpackte alles
in zwei große Reisetaschen – meine Beweglichkeit war
inzwischen bereits so weit gediehen, daß ich dies vom Rollstuhl
aus erledigen konnte – ich stellte die Reisetaschen bereit und
legte eine Jacke für die Übergangszeit darauf.
Mein Sohn wollte den Transport mit seinem PKW
übernehmen. Dies wurde aber abgelehnt. Die Klinik sei für die
Verlegung verantwortlich, ich müsse von der Rettung nach
Großgmain gebracht werden.
Verlust einer Jacke
Zunächst hieß es auf die Rettung warten. Mein Sohn hatte
sich, ohne daß ich davon etwas bemrkt hatte, mit einer der
Reisetaschen in seinen Wagen begeben, um dann der Rettung
hinterherzufahren. Als ich in den Rettungswagen geleitet wurde,
fragte ich nach meinen Reisetaschen. Es sei alles da, wurde mir
gesagt. Im nächsten Moment kam eine Schwester mit einer
meiner Reisetaschen gelaufen. Da man mir gesagt hatte, es sei
alles da, nahm ich an, daß die zweite Tasche im Wagen sei.
In Großgmain stellte sich heraus, daß eine der Reisetaschen
fehlte. An die Jacke dachte ich nicht. Die Rettungsleute meinten,
die Tasche würde in der Klinik zurückgeblieben sein.
Kurz darauf traf mein Sohn mit der zweiten Reisetasche ein.
Des Fehlens der Jacke wurde ich erst gewahr, als sich mein
Sohn bereits verabschiedet hatte. Über das Handy, das mir mein
Sohn inzwischen beschafft hatte, bat ich meine Angehörigen, in
der Klinik und eventuell bei der Rettung rückzufragen. Die
Jacke von guter Qualität blieb verschollen. Das war alles sehr
hektisch abgelaufen. Ich war in der Klinik ein paarmal ermahnt
worden, nicht zu »schusseln«. Ich war noch von meiner
beruflichen Arbeit her gewohnt, mich schnell zu bewegen.
Wenn ich auch am Schreibtisch saß, so gab es doch viele
Handgriffe zu verrichten und ein oftmaliges Auf und Nieder.
Die schnelle Bewegung war dabei durchaus sinnvoll. Jetzt, für
den Teilgelähmten, war das natürlich unangebracht, aber ich
mußte mich erst an die neue Situation gewöhnen. Aber durch die
unangebrachte Hektik anderer war mir nun ein Schaden
entstanden.
Positive Bilanz des Klinikaufenthaltes
Davon abgesehen habe ich diese zwei Wochen in der
Christian-Doppler-Klinik in guter Erinnerung. Die meisten
Schwestern und Pfleger waren freundlich und geduldig. Die
Betreuung von Schlaganfall-Patienten und Patienten mit anderen
ähnlich schweren Störungen erfordert oft viel Geduld und
Einfühlungsvermögen. Die Therapeuten wirkten erfolgreich. Ich
konnte, bevor ich die Klink verließ, immerhin, wenn ich mich
festhalten konnte, schon stehen und zwischen langen BarrenStangen im Turnsaal bereits auch gehen. Auch den rechten Arm
konnte ich bereits wieder bewegen und leichte Stütz- und
Greiffunktionen ausüben. Die Ärzte gaben sich, wie bei
Spitalsärzten nach meiner Erfahrung üblich, eher verschlossen.
Ihre Diagnosen erfährt man meist erst nach der Entlassung aus
einem schriftlichen Bericht. Die Verköstigung aus der
gemeinsamen Küche der Salzburger Landes-Krankenanstalten
und der Christian-Doppler-Klinik ist reichlich und
wohlschmeckend. Für mich zu reichlich. Schade, daß man keine
halben Portionen bestellen kann. Da man sowohl mittags wie
abends unter drei verschiedenen Menüs wählen kann, sollte
niemand Grund zur Unzufriedenheit haben.
Im Rehabilitationszentrum
Der Rollstuhl
Ich befand mich nun zur Therapie im REHAB-Zentrum
(Rehabilitations-Zentrum) Großgmain. Obwohl mir durch
achtwöchigen Aufenthalt die Orientierung in den weitläufigen
Anlagen geläufig geworden ist, kann ich die Lokalität meiner
Ankunft nicht bestimmen. Ich erinnere mich nur, daß dort Maß
an meinem Körper genommen wurde, um einen für mich
passenden Rollstuhl auszuwählen. Und daß mein Sohn dort mit
der zweiten Reisetasche erschien.
Im Rollstuhl wurde ich zu meinem Bett in einem
Krankenzimmer gebracht, es diente mir aber nur zur Nächtigung.
Ich hatte die Freiheit, die Zeit im Rollstuhl zuzubringen und
mich darin innerhalb der Station auch frei zu bewegen, soweit es
der Zeitplan erlaubte.
Am Rollstuhl fiel mir auf, daß ich das Antriebsrad, jenes
metallene Rad außerhalb des großen Rades, das den Rollstuhl
trug und auf dem er lief, nicht mit der rechten, ehedem
gelähmten Hand zu bewegen vermochte. Während dieses
Antriebsrad am Rollstuhl in der Klinik verchromt war, war es
hier mit einer anderen Metallegierung versehen, die zu rutschig
war und die ich daher mit der geschwächten rechten Hand nicht
fest genug halten konnte, um den Rollstuhl anzutreiben. Eine
Schwester, die ich fragte, erklärte mir, daß es auch nicht gut
wäre, wenn ich mit der geschwächten Hand den Rollstuhl
antreiben würde. Das wäre eine zu große Belastung für die Hand.
Da man dort für die Therapie spezialisiert war, zweifelte ich
nicht an der Richtigkeit dieser Auskunft und stellte mich darauf
ein, den Rollstuhl nur mit der gesunden linken Hand und mit
dem linken Fuß anzutreiben. Dem Fuß kam dabei auch die
Aufgabe der Steuerung zu. Probleme hatte ich damit keine, da es
ja keine großen Strecken zurückzulegen galt.
Die Mahlzeiten nahmen alle, die irgendwie bei Tisch sitzen
konnten, im Speisesaal der Krankenstation ein, der in der
übrigen Zeit als gemeinschaftlicher Aufenthaltsraum diente, und
in dem auch der Fernsehapparat stand. Es war erwünscht, sich
soweit möglich nicht im Rollstuhl an den Eßtisch zu setzen,
sondern auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Mir war das von
Anfang an selbständig möglich.
Schlaftablette
Als ich am Abend schon im Bett lag, wurde in das zweite Bett
im Zimmer ein Patient, der eine Gehirnblutung erlitten hatte,
gebracht. Er war unruhig, und soweit er redete, redete er wirr.
Ich konnte aber ungestört schlafen, denn ich bekam dasselbe
Schlafmittel und überhaupt dieselben Medikamente wie in der
Klinik. Das Schlafmittel wirkte etwa fünf Stunden lang. Ich
nahm es daher erst gegen Mitternacht ein, damit ich bis zum
Morgen durchschlafen konnte. Das stand mir frei.
Der Ablauf des ersten Tages
Am nächsten Morgen wurden mit dem Frühstück im
Speisesaal auch die Medikamente, die am Morgen einzunehmen
waren, und der Tageszeitplan »serviert«. Der erste Tageszeitplan
enthielt die Termine: 7,10 Uhr Blutabnahme, noch vor dem
Frühstück um 7,30 Uhr, 10,30 Uhr Physiotherapie, 11,00 Uhr
Logopädie, 13,30 Ergotherapie.
Logopädie
Die Logopädie diente zunächst der Feststellung, ob eine
Therapie in dieser Richtung notwendig sei. In einer Art
Kinderbilderbuch wurden mir verschiedene Gegenstände und
Tiere gezeigt, die ich zu benennen hatte. Ein solcher Test kann
durchaus sinnvoll sein, denn durch einen Schlaganfall können
ganz spezielle Funktionen ausfallen. Aber bei mir war, wie mir
selbst bewußt war und soweit die Tests zeigten, geistig keine
Veränderung eingetreten. Meine nicht mehr ganz deutliche
Aussprache war durch schlechte Zähne bedingt; dagegen gab es
aber bei meinem zu niedrigen Pensionsbezug keine Abhilfe. Die
Logotherapeutin überzeugt sich davon durch einen Augenschein
– nicht von meinem zu niedrigen Einkommen.
Zur Logopädie war ich später noch einmal eingeteilt. In
diesem zweiten Test sollte ich Wörter, die mit bestimmten
Buchstaben begannen, aufzählen. Mir fiel dazu nicht allzu viel
ein. Ich mußte eingestehen, daß dies nicht meine Stärke war.
Auch vor dem Schlaganfall wäre mir keine reichlichere
Aufzählung gelungen. Dagegen hatte ich früher, wenn es um
synonyme Begriffe ging, jeweils auf ein großes Repertoire
zurückgreifen können. Das dürfte auf meine Übung oder
Begabung(?) als Schriftsteller zurückzuführen sein. Allerdings
hatte ich mit zunehmendem Alter – längst vor dem Schlaganfall
– eine Verringerung des Wortschatzes feststellen müssen. Mir
wäre zur Aufzählung nach dem Anfangsbuchstaben auch viel
mehr eingefallen, wenn ich mir gemäß den Wörterbüchern
jeweils den zweiten Buchstaben dazugedacht hätte, z.B: Raabe,
Rad, Rand, Rappe, Rast, rattern, Raum, Raupe, Recht, Rede,
Reeperbahn, Reifen, Rettung usw. Es war mir aber erst nachher
eingefallen, daß ich auf die Weise mehr nennen hätte können.
Gegenüber der Logopädin hatte ich nur erwähnt, daß dies
nicht meine Stärke sei, und daß sich das bereits wiederholt
herausgestellt hatte, wenn wir in der Familie, als die Kinder
noch schulpflichtig waren, das Spiel »Stadt und Land« gespielt
hatten. Ich hatte jedoch keinen Ehrgeiz zu Rechtfertigungen
nach dem Irrealis der Vergangenheit entwickelt.
Die logopädischen Tests waren damit abgeschlossen.
Therapien waren nicht notwendig.
(Logopädie sollte übrigens nicht mit Logotherapie
verwechselt werden. Logotherapie ist die von Viktor E. Frankl
entwickelte Psychotherapie durch Vermittlung von Sinnfindung.
Ich persönlich halte diese Therapie-Methode für hervorragend.)
Visiten
Auf der Rückseite des Tageszeitplanes waren in Kurzangabe
die bisherigen Diagnosen und die Medikation vermerkt. Eine
Diagnose lautete: »Hirnstaminsult«. Ich scherzte bei der
nächsten Visite zu diesem Tippfehler: Jetzt wäre mir die
Ursache des Schlaganfalles bekannt. Ich hätte ein Stammhirn
mit nur einem M. Der Scherz wurde von der Frau Oberärztin als
solcher aufgefaßt.
Die Visiten fanden wie in den Krankenhäusern täglich statt. In
der Schlaganfallstation B täglich um 9 Uhr. Auf dem
Tageszeitplan war angewiesen: „Ab 9 Uhr bis zur Visite im
Zimmer zu bleiben!“ Bei Verhinderungen der Ärztinnen und
Ärzte konnte sie auch ausfallen. Dafür konnte man sich mit
einem ernsten Problem jederzeit an die behandelnde Ärztin, den
behandelnden Arzt wenden.
Motomed
Einer der nächsten Tageszeitpläne (3. 9. 2007) enthielt
folgendes: 9,30 Uhr Motomed, 10,30 Standing, 11,30 Logopädie
(der bereits beschriebene zweite Test), 13,30 Ergotherapie,
14,00 Psychol. Diagnostik, 14,30 Physiotherapie.
Das Motomed war ein Trainingsgerät, das ein Fahrrad
simulierte, verschiedene Einstellungen ermöglichte und die
Leistung anzeigte. Es war auf zwanzig Minuten Trainingsdauer
eingestellt. Ähnliche Geräte sind auch von Fitneßcentern und als
Hometrainer bekannt. Ich wurde wiederholt ermahnt, nicht mit
zu heftigem Einsatz daran zu trainieren. Meine Fitneß vom
Bergwandern wirkte noch nach.
Standing
Für das »Standing« (das Stehen) war ein Gerät vorhanden, ein
metallenes Gestell, das oben mit einer Holzplatte mit
halbrundem Ausschnitt abgeschlossen war. Der Ausschnitt
ermöglichte ein bequemeres, sichereres Stehen. Auf die Platte
konnte man ein Buch legen, damit das halbstündige Stehen nicht
zu langweilig wurde. Mit einem Gurt am Rücken konnte man
vor der Gefahr eines Sturzes gesichert werden.
Nach dem Sicherheitsgurt hatte ich keinen Bedarf, denn im
Stehen war ich schon recht sicher. Schon beim zweiten Mal
stand ich frei. Und ich versuchte bald, das Gewicht zeitweise zur
Gänze auf das beeinträchtigte Bein zu verlagern. Das gelang
bald recht gut.
Psychologische Diagnostik
Die psychol. Diagnostik war an diesem Tag entfallen. Sie ist
wichtig, weil mancher durch einen solchen Schicksalsschlag in
Depressionen verfallen könnte und daher der psychologischen
Betreuung bedürfen würde. Ich konnte jedoch, als diese
Diagnostik dann später stattfand, darauf hinweisen, daß meine
Psyche durch stete harte Bedingungen von Kindheit an gestählt
sei (im Bericht »Opfer der Politik« in dieser Homepage
nachlesbar), und daß ich den Schlaganfall mit gewisser
Gelassenheit ertragen würde. In meinem Alter habe ich keine
wichtigen Aufgaben mehr zu erfüllen. Meine Kinder sind
tüchtig und bedürfen meiner Hilfe, die ich ohnedies nur sehr
eingeschränkt bieten könnte, nicht mehr. Ich hatte außerdem
Glück im Unglück: An meiner geistigen Befähigung hat sich
durch den Schlaganfall nichts geändert. Ich kann daher
weiterhin literarische Ideen verwirklichen, worin ich nun im
Alter meinen Lebenssinn finden würde. (Eine natürliche Stütze
nach Viktor E. Frankl.) Die psychologische Diagnostik wurde
damit abgeschlossen.
Ergotherapie
In der Ergotherapie wurde mit allerlei interessanten Behelfen
die Beweglichkeit der Hände und Finger geübt. Es war
erkennbar, daß diese Übungen auf Muskeln wirkten, deren
richtige Funktion für viele Handgriffe im Alltag unentbehrlich
war. Und ich konnte auch deutliche Fortschritte beobachten.
Durch die Therapie angeregt, versuchte ich bei den
Mahlzeiten zunächst den leeren Löffel mit der rechten Hand
zum Mund zu führen. Es gelang nicht, ich traf mit dem Löffel
irgendwohin im Bereich von Nase bis Kinn und rechter Wange.
Ebenso wenig war es möglich, eine Tasse oder ein Glas zum
Mund zu führen. Mit Flüssigkeit gefüllt, waren die Gefäße für
die beeinträchtigte Hand überhaupt noch zu schwer. Ich konnte
mich auch mit der rechten Hand nicht selbst an der Nase
nehmen, also mit Daumen und Zeigefinger die eigene Nase
anfassen; ich traf sie nicht auf Anhieb. Was vordem
selbstverständlich und mit der linken nach wie vor möglich war,
gelang nun nicht. Dagegen bot die Ergotherapie spürbare Hilfe.
Ich konnte mit der Hand auch nicht schreiben. Kurze Briefe und
Notizen schrieb ich mit der linken Hand. Auch das war
schwierig und gelang nur in Blockschrift.
Physiotherapie
In der Physiotherapie wurde die Wiedererlangung der stabilen
aufrechten Körperhaltung und der Fähigkeit, wieder möglichst
normal zu gehen, angestrebt. Die Sinnhaftigkeit und
Zweckmäßigkeit der Übungen und des Trainings, das auf
bestimmte Muskeln wirkte, waren auch hier nachvollziehbar.
Ich liege bäuchlings auf der Therapie-Liege und die
Therapeutin gibt die Weisung: Mit der Ferse zum Gesäß! Ich
versuche den Unterschenkel anzuheben. Er läßt sich nicht
bewegen. Ich versuche es mit dem linken gesunden Bein, und
die Ferse läßt sich fast bis ans Gesäß führen. Damit wird
veranschaulicht, was im Gehirn geschehen ist. Denn die
Muskeln sind ja noch unverändert da. Und wie zufällig
eingestreut wird die Übung in anderen Therapiestunden
wiederholt. Mit einem Mal beginnt sich dann der Muskel ein
wenig zu regen. Und nach längerer Therapiedauer erreicht er
immerhin die Hälfte der Bewegungsstrecke des gesunden
Schenkels. Daran zeigt sich der Wert der Übungen und das
spornt an, eifrig mitzutun. Oder ich liege an einem frühen
Nachmittagstermin auf dem Rücken, und es zeigt sich auf der
rechten Seite des Bauches eine deutliche Wölbung. Die
Therapeutin fragt, ob ich bereit wäre, den Bauch freizumachen.
Warum nicht? Die leichte Blähung durch das Mittagessen
vergrößert die Eingeweide und drückt sie mit den inaktiven
Bauchmuskeln in die Höhe. Es sieht aus, als wäre an dieser
Stelle der starke Auftrieb eines Hefeteiges zu beobachten. Die
Therapeutin spricht von einem Schulbeispiel und macht die
Kolleginnen und Kollegen aufmerksam. Mir ist klar, daß es
noch vieler Übungen bedürfen würde, um diesen, auf natürliche
Weise weniger beanspruchten Bereich der Bauchmuskulatur
wieder zu straffen. Ähnliche Erfahrungen und Beobachtungen
ergeben sich an mehreren anderen wichtigen Muskeln.
Die Fortschritte waren in diesem Bereich umso auffallender,
weil das Stehen und Gehen ja für die Selbständigkeit subjektiv
zunächst als entscheidend empfunden werden.
Eine Zeiteinheit Ergotherapie, zwei Einheiten Physiotherapie,
Standing und Motomed waren fortan täglich auf dem Zeitplan.
Hinzu kamen fallweise Termine für Untersuchungen.
Zu wenig Selbständigkeit zugestanden
Apropos Selbständigkeit: Bei all den guten Bedingungen
fühlte ich mich im Rehab-Zentrum zu sehr beobachtet und
umsorgt. Ich wurde jeweils zum WC begleitet und von dort
abgeholt. Ich wies darauf hin, daß mir in der Klinik dazu volle
Selbständigkeit zugestanden worden war. Ich sei noch zu
unsicher, sie seien für meine Sicherheit verantwortlich, erklärten
mir Schwestern und Pfleger.
Einer Schwester fiel auf, daß sich mein Bedürfnis zu oft
einstellte. Man müsse mich in die Urologie bringen, meinte sie.
Ich fand es unfair, daß man einem alten Mann nicht häufig
übliche Schwächen wie die Blasenschwäche zugestehen wollte.
Ich wußte die Ursache weitläufiger zu erklären und »wendete
damit die Urologie ab«.
Beim morgendlichen Anziehen wurde ich anfangs von einer
Therapeutin überwacht und beraten. Manche ihrer Tips waren
nützlich und erhöhten die Sicherheit. Durchaus angebracht war
der Hinweis, daß ich beim Aufstehen vom und Setzen in den
Rollstuhl nicht gleichzeitig anderes tun dürfe. Andere
Anordnungen verursachten mir dagegen unnötige Mühe. Die
Schuhe mußte ich im Rollstuhl sitzend anziehen. Es gelang mir
aber im Sitzen noch nicht, den Fuß nach unten zu strecken. Es
war daher eine Plage, den Schuhlöffel zwischen Schuh und
Ferse anzusetzen und den Fuß in den Schuh zu bringen. Wenn
ich tagsüber aus irgendeinem Grund die Schuhe aus- und wieder
anzog, schlüpfte ich zuerst in den linken Schuh, band ihn fest
und stand dann, auf das Nachtkästchen gestützt, auf. Im Stehen
konnte ich den Fuß doch ein wenig nach unten strecken, und das
erleichterte das Anziehen des Schuhs wesentlich. Aber das
durfte ich am Morgen nicht. Die Sturzgefahr sei zu groß.
Die Schuhbänder zuzubinden, hatte ich übrigens bereits in der
Klinik allein gelernt. Vielleicht war mir dies deshalb gelungen,
weil der rechte Zeigefinger von der Lähmung ein wenig
verschont geblieben und daher bald wieder beweglicher und
kräftiger geworden war.
Beim Baden unter dem Brausebad wurde ich von einer
Schwester oder einem Pfleger überwacht und mitunter auf
gefährdende Bewegungen aufmerksam gemacht, etwa wenn ich
mich selbst unsicher gefühlt und mich mit schnellem Griff an
einer Stütze festgehalten hatte. Auch dazu wies ich vergeblich
drauf hin, daß ich in der Klinik schon allein baden hatte dürfen.
Badegelegenheit war übrigens in der Krankenstation, in der
ich ja die ersten vier Wochen untergebracht war, nur jeden
zweiten Tag. Ich hätte mir gewünscht, mich, wie gewohnt,
täglich am Morgen duschen zu können. Aber ich erinnerte mich
an meine Kindheit und Jugendzeit. In der Kindheit (bis 1949)
hatten wir daheim einen Badeofen, der erst mit Holz und Kohle
beheizt werden mußte, damit es heißes Wasser gab. Diese
Prozedur nahmen die Eltern nur alle 14 Tage einmal auf sich. Es
konnte also nur in diesen Intervallen gebadet werden. In meiner
Lehrzeit (HTML-Seite „Wer ist der Abart? II“) war mir auch
nur 14täglich, jeweils nach dem Backofen-Kehren, gestattet, mir
im Heizkessel in der Waschküche Wasser zu wärmen und in
einem Holzzuber zu baden. Erst als ich als 19jähriger in die
Stadt Salzburg gezogen war und in Untermiete wohnte, konnte
ich die Gelegenheit in einem öffentlichen Bad zur gründlichen
Köperreinigung benützen. Das tat ich zweimal je Woche. Zum
täglichen Bad in der Krankenstation des REHAB-Zentrums, bei
dem die meisten Patienten überwacht wurden, fehlte den
Schwestern und Pflegern offenbar die Zeit.
Wenn ich als zu unsicher getadelt wurde, erklärte ich des
öfteren, daß ich zeitlebens auf die Berge gewandert und daher
gewohnt sei, auf unsicherem Weg stets irgendeinen
Sicherungshalt im Auge zu haben und diesen beim Gefühl der
Unsicherheit gewissermaßen reflexartig zu ergreifen. (Ich hatte
keine Klettertouren unternommen, bei denen der Grundsatz
gegolten hätte: jeweils nur eine Hand oder einen Fuß zu
bewegen, andrerseits dreifachen Halt zu bewahren.) Deshalb
hätte ich, wie sich gezeigt habe, bei jeder Unsicherheit die Hand
sofort an einem Haltegriff oder einer Stütze. Aber das war
offenbar nicht geläufig und wurde daher nicht anerkannt.
Ich möchte mit dieser Kritik aber nicht zu allgemein größeren
Zugeständnissen im REHAB-Zentrum anregen, denn dies
könnte in anderen Fällen vielleicht zu Unfällen führen, die die
Schwestern und Pfleger zu verantworten hätten. Es ist ja auch
aus Erfahrung bekannt, daß manche Patienten ihre
Möglichkeiten überschätzen.
Insgesamt fühlte ich mich auch gut betreut und gut behandelt.
Wo entspricht schon alles optimalen Bedingungen? Nicht
einmal in der eigenen Wohnung, in der ich als im Alter
Alleinlebender alles selbst und unabhängig gestalte.
Ich verweise auch auf das noch folgende Kapitel „Zu sehr
umsorgt“
Pflegeleitbild
An der Wand neben dem Eingang zum Schwesternzimmer
hing ein Plakat folgenden Inhalts:
PFLEGE-LEITBILD
Wir beginnen eines in der Welt zu lernen:
„Den Menschen mit seinem Leben umgehen zu lassen, wie ich
mit meinem umgehe.“ David Grason
MENSCHENBILD
Wir begegnen dem Menschen unabhängig von seiner Herkunft,
kulturellen, religiösen, sozialen Situation, wertfrei, achten ihn
als ganzheitliche eigenständige Persönlichkeit und
gleichwertigen Partner1).
1)
Soweit personenbezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie
sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.
SELBSTBILD DER PFLEGE
Wir Pflegende haben durch unsere Patientennähe und 24
Stunden Präsenz eine Schlüsselfunktion und sind wichtige
Schnittstelle zwischen unseren Patienten/Kunden und anderen
Berufsgruppen.
Im Rahmen unseres Aufgabenbereiches werden unsere
eigenverantwortlichen Leistungen 2) mit der Pflegeanamnese
erhoben, diagnostiziert, geplant, durchgeführt und evaluiert.
2)
lt. GuKG 1997 § 12 Abs. 1: Die Tätigkeitsbereiche des gehobenen Dienstes für Gesundheitsund Krankenpflege umfassen – eigenverantwortliche, mitverantwortliche und interdisziplinäre
Tätigkeiten.
ROLLE DER PFLEGEKRAFT IN DER REHABILITATION
Ziel unseres Handelns ist die Wiedererlangung der Fähigkeiten
des Patienten/Kunden zur Ausübung der Aktivitäten des
täglichen Lebens und der beruflichen Leistungsfähigkeit.
Wir fördern das Gesundheitsbewusstsein, die Eingliederung in
den Alltag und eine Verbesserung der Lebensqualität.
Den zentralen Schwerpunkt setzen aktivierende, rehabilitative
und therapeutische Pflegekonzepte, sowie Beratung, Schulung
und Anleitung Patienten – Angehörige.
PFLEGEQUALITÄT
Ständige Fort- und Weiterbildung gewährleisten unsere
Professionalität und eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung.
Durch interne und externe Kommunikation sollen die optimalen
Bedingungen für den Patienten/Kunden geschaffen werden.
ÖKONOMISCHES HANDELN
Der Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln ist
sachgerecht und verantwortungsbewußt.
Leitbild der Pflege der Sonderkrankenanstalten/Rehabilitationseinrichtungen der
PV
PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT
Ich selbst hatte wenig Pflegebedarf. Tagsüber hielt ich mich
kaum im Krankenbett auf. Es war für mich nicht zu ermüdend,
von den Therapie-Zeiten und Mahlzeiten abgesehen, den ganzen
Tag im Rollstuhl zu verbringen. Ich bedurfte nur morgens und
abends je einer Blutverdünnungsspritze, nach eigener Wahl in
den Bauch. Davon abgesehen wurde ich – wie geschildert gegen
meinen eigenen Wunsch zu den Verrichtungen ins WC begleitet.
Um nicht des Nachts nach der Schwester läuten zu müssen,
benützte ich eine Harnflasche. Und beim Reinigungsbad wurde
ich von einer Schwester oder einem Pfleger sicherheitshalber
beobachtet. Diese wenigen Pflegedienste wurden mit sehr
positiver Einstellung gehandhabt.
An manch tragischem Fall konnte ich aber beobachten, daß
sich die Schwestern und Pfleger an das Leitbild hielten, das
ihnen gemäß dem Plakat vorgegeben war. Das war gewiß nicht
immer leicht. Ihr Umgang mit verwirrten Patienten war
bewundernswert. Ich bezweifelte, ob ich selbst solcher Geduld
und Überlegenheit fähig wäre, wenn ich immer wieder mit
unsinnigen Wünschen oder unsinniger Kritik konfrontiert wäre.
Die Finger- und Zehennägel hatte ich mir irgendwann kurz
vor dem Schlaganfall geschnitten. Aber im Lauf des Aufenthalts
in der Klinik und im REHAB-Zentrum von bis dahin insgesamt
fünf Wochen, waren sie beträchtlich gewachsen. Die Schwestern
und Pfleger verwiesen auf die im REHAB-Zentrum gesondert
angebotenen Manikür- und Pedikürdienste. Bei meinem kleinen
Pensionsbezug wollte ich diese Dienste aber nicht beanspruchen.
Ich bat daher meine Angehörigen, mir eine Nagelschere zu
beschaffen. Schon der erste Versuch zeigte dann, daß ich mit
Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Nagelschere
problemlos benützen konnte, um die Fingernägel an der linken
Hand zu schneiden. Ich erklärte mir dies damit, daß ich, wie
schon erwähnt, den Zeigefinger der rechten Hand sogar
unmittelbar nach dem Schlaganfall ein wenig bewegen konnte.
Zu sehr umsorgt
Die Muskelfunktionen waren inzwischen soweit aufgebaut,
daß ich mit Stöcken oder mit einem Rollator leidlich gehen
konnte. Ich erklärte, daß ich nach der Entlassung den Rollator
als Gehhilfe vorziehen würde, da in meiner Wohngegend Kinder
unaufmerksam umherlaufen und radfahren würden, und daß
überall auch auf den Gehsteigen mit dem Rad gefahren würde.
Ich würde mich daher mit dem Rollator sicherer fühlen. Ich
durfte mich daher allmählich an das Gehen mit Hilfe des
Rollators gewöhnen, ohne auf die geruhsamere Fortbewegung
im Rollstuhl zu verzichten.
Um diese Zeit erwartete ich das übliche Zugeständnis
größerer Selbständigkeit im REHAB-Zentrum. Dies bedeutete,
den äußeren Bedingungen nach einen Aufstieg vom ersten in das
zweite Obergeschoß. Dem Sinn nach das Wohnen in einem
Einbettzimmer ohne Überwachung und Betreuung durch
Schwestern und Pfleger, von Sonderdiensten wie Injektionen
abgesehen. Zur Prüfung, inwieweit mir diese Selbständigkeit
zugetraut werden könne, wurde ich beim Anziehen und Baden
wieder von einer Therapeutin beobachtet, die offenbar
Bedenken hatte, mir die größere Selbständigkeit zuzugestehen.
Schließlich
eröffnete
mir
die
Oberärztin
der
Schlaganfallstation aber, daß ich in ein Einzelzimmer
überwechseln dürfe. Dies könne nicht von einer einzelnen
Stimme abhängen. Auch die Schwestern und Pfleger machten
ihre Beobachtungen, die zu beachten seien. Ich mußte der
Oberärztin mit Händedruck versichern, daß ich vorsichtig sein
würde, um Stürze zu vermeiden. Ich versicherte, daß ich ja
selbst das größte Interesse an meiner Rekonvaleszenz ohne
Rückschläge hätte.
Nach drei Wochen meines Aufenthaltes in Großgmain
übersiedelte ich also vom ersten Oberschoß in das zweite; in ein
Einzelzimmer mit eigenem Bad. Nach der ersten Nacht erschien
die um meine Sicherheit besorgte Therapeutin auch hier, um zu
überprüfen, ob ich mich beim Baden nicht gefährden würde.
Doch war es hier so eng, daß kaum ausreichend Raum bestand
zu stürzen. Ich empfand diese Sorge als übertrieben und erklärte,
daß ich in Hinkunft früher aufstehen und baden würde. Dagegen
wendete die Therapeutin nichts ein. Sie dürfte also keine
weiteren Bedenken gehabt haben. Was wäre aber geschehen,
wenn sie befunden hätte, ich sei noch zu unsicher für das
selbständige Wohnen im Einzelzimmer? Hätte sie veranlassen
können, daß ich in die Krankenstation zurückversetzt worden
wäre? In diesem Fall hätte ich mich gewehrt.
Ich möchte die akribische Aufsicht nicht allgemein kritisieren.
Sie wird vielleicht auf problematische Erfahrungen
zurückzuführen sein, und im Falle eines Sturzes – der bei
Schlaganfallpatienten folgenschwer sein kann – wird ja doch
nach der Mitverantwortung von Ärzten, Therapeuten,
Schwestern und Pflegern gefragt werden.
Aber ich meine, daß zur Beurteilung individuelle Umstände
berücksichtigt werden sollten. In meinem Fall wäre dies, daß ich
als Vater auf die Verantwortung für drei Kinder bis zu ihrem
Erwachsenwerden, daß ich auf Erfahrung in einem
handwerklichen Beruf und nach der AHS-Bildung auf dem
zweiten Weg und der Ausbildung zum Steuerberater auf die
langjährige verantwortungsvolle Erfahrung als Steuerberater
zurückblicken
konnte.
Der
Steuerberater
ist
auch
Wirtschaftsberater, und ich habe als solcher oft den Rat gegeben,
daß jegliche Zusammenarbeit, ob mit an einem Betrieb
Mitbeteiligten oder mit Arbeitnehmern, auch Vertrauen erfordert.
Fehlt es an den im konkreten Fall notwendigen
Vertrauensgrundlagen, dann ist eine Zusammenarbeit nicht
möglich. In gewissem Sinn ist auch die Therapie eine
Zusammenarbeit, die Vertrauen erfordert. Zu den aufgezählten
Erfahrungen kamen noch die Bewegungserfahrung des
Bergwanderns
und
die
Bestätigung
von
Verantwortungsbewußtsein durch jahrzehntelanges unfallfreies
Auto Fahren hinzu.
Schließlich war auch mein großes Interesse, bald wieder
einsatzfähig nach Hause zu kommen, von Bedeutung. Es lag mir
daran, an vielen Ideen als Schriftsteller (in dieser Homepage
„Wer ist der Abart? I) weiterzuarbeiten.
Es befremdet, wenn man nach der Erfüllung so vielseitiger
Lebensaufgaben wie ein Kleinkind behandelt wird. Zwar mußte
ich mich nach dem Schlaganfall aufs Neue wie vor 70 Jahren
bewegen lernen, aber ich war geistig nicht beeinträchtigt, und
ich konnte daher Möglichkeiten und Gefahren abschätzen.
Vielleicht könnte man bei unterschiedlicher Auffassung
zwischen Patienten und Betreuung, welche Verantwortung
einem Patienten für sich selbst zugemutet werden kann, den
Patienten eine Erklärung unterschreiben lassen, womit er die
Verantwortung für alle Risken selbst übernehmen würde.
Fachliche Kompetenz
Zum vorhin Gesagten möchte ich hervorheben, daß die
besorgte Therapeutin die therapeutischen Übungen mit hoher
fachlicher Kompetenz leitete. Durch diese Übungen konnte ich,
so mein Eindruck, ein Maximum an Beweglichkeit
zurückgewinnen. Daß die Feinmotorik in acht Wochen nicht
voll zurückgewonnen werden kann, ist unter den Patienten
allgemein bekannt. Es ist auch fraglich, ob dies überhaupt in
vollem Maße möglich sein wird. Es ist ein Unterschied, ob die
von Kindheit an dafür bestimmten Hirnzellen die
Bewegungsabläufe leiten, oder ob dies durch andere Zellen
geschieht, denen diese Funktion antrainiert wird.
Ein Vorgriff auf das Ende der Rehabilitation: Die TherapieFortschritte ermöglichten mir nach acht Wochen, mich in allem
ohne fremde Hilfe selbst zu versorgen. Damit erreichten die
Therapie-Erfolge auch meine volle Zufriedenheit.
Private Sphäre im Einzelzimmer
Mein
Sohn
brachte
mir
meinen
Laptop,
alte
Lautsprecherboxen und CD sowie DVD aus meiner Wohnung.
Auch meine jüngere Tochter und Freunde brachten mir einige
DVD. Die ältere Tochter war zu dieser Zeit im Ausland. Ich
konnte mich daher fortan auch im REHAB-Zentrum meiner
Lieblingsbeschäftigung, dem Schreiben von Belletristik,
widmen, und zur Abwechslung bot sich niveaugerechte
Unterhaltung.
Einige Tage zuvor hatte ich einen eigenen Rollator
bekommen. Ich verzichtete daher bald nach dem Wechsel ins
Einzelzimmer auf den Rollstuhl.
Später erfuhr ich, daß sich ein Pfleger für mich verbürgt und
damit den Wechsel in das Einzelzimmer ermöglicht hatte. Ich
dankte ihm herzlich. Diese Bürgschaft bestärkte neben dem
eigenen Interesse und dem Versprechen an die Oberärztin noch
zusätzlich meine Sorgfalt, jede Unfallgefahr zu vermeiden.
Verlängerung der Rehabilitation
Die Dauer des für mich im REHAB-Zentrum Großgmain
genehmigten Therapie-Aufenthaltes neigte sich dem Ende zu.
Ich war aber noch nicht kräftig genug und vermochte mich noch
nicht sicher genug zu bewegen, um mich in meiner eigenen
Wohnung mit dem Wichtigsten selbst zu versorgen. Es ist ein
Unterschied,
ob
ich
im
Einzelzimmer
nur
Freizeitbeschäftigungen ausübe und die eigene Körperpflege
besorge, oder ob ich im eigenen Haushalt mit Einkaufen,
Kochen und Wohnungsreinigung für mich selbst sorge. Die
Oberärztin sagte mir daher zu, daß sie sich für die Verlängerung
meines Aufenthaltes einsetzen würde und daß mit der
Genehmigung zu rechnen sei. Es wurde tatsächlich eine
Verlängerung um weitere vier Wochen genehmigt.
Wieder in der Klinik
Vorbereitung auf die Angiographie
Ich erfuhr auch den Termin für die nachzuholende
Behandlung in der Christian-Doppler-Klinik, der Salzburger
Nervenklinik. Die zuständige Fachärztin war vom Urlaub
zurück und hatte nun einen Termin für meine Behandlung
genannt. Ich wurde am Donnerstag, den 4. Oktober 2007, in die
Klinik überstellt.
Am Donnerstag und am Freitag vormittag fanden die
vorbereitenden Untersuchungen statt. Ich bekam auch
schriftliche Informationen über die Angiographie und die
Einsetzung eines Stent. Eine Gelegenheit zu einem Gespräch mit
der Oberärztin, die den Eingriff vornehmen werde, wurde
angekündigt. An den Nachmittagen nütze ich, soweit ich mich
nicht für Untersuchungen bereitzuhalten hatte, die Zeit zu
Spaziergängen im Freien mit Hilfe eines Rollators, der jedoch
zum Unterschied von den üblichen Modellen keine
Feststellbremsen hatte und an dem außerdem eine der
Normalbremsen defekt war. Da ich darauf aufmerksam gemacht
wurde und mich darauf einstellen konnte, kam ich mit dem
Gerät problemlos zurecht. Ich war froh, daß ich überhaupt
Gelegenheit zum Gehen hatte. Denn auch die Gehübungen
waren für die Therapie wichtig.
Am Freitag morgen begab ich mich ins Bad. Ein relativ
großer Raum, in dem nur neben der Duscheleitung von
Kniehöhe abwärts ein Haltegriff angebracht war. Ich rätselte,
welchen Zweck dieser Haltegriff erfüllen sollte. Diente er etwa
als Aufstehhilfe, falls sich jemand beim Duschen auf den
Fliesenboden setzte? Es war allerdings auch eine senkrechte
runde Gleit- und Feststellstange für die Brause an der Wand
befestigt, die von ungefähr einem Meter Höhe an einen Meter
hinaufragte. Ich testete diese Stange und erkannte, daß sie mein
Stützbedürfnis zu befriedigen vermochte. Ich machte zunächst
mit Hilfe der Brause nur eine Seite der Bodenfliesen naß und
testete, ob ich darauf ungefährdet stehen und gehen könne. Denn
die paar Schritte von der Dusche zur Plastiktüre, mit der man
den Ausgang zum WC-Raum verschließen konnte, gab es keine
Möglichkeit, sich anzuhalten. Der Test ergab, daß ich auch auf
dem nassen Boden keiner Rutschgefahr ausgesetzt war. Ich
konnte also mit einiger Vorsicht ungefährdet allein Baden. Bei
der Aufnahme hatte ich ja angegeben, daß ich beim Baden keine
Hilfe brauchte. Hätte ich mich gefährdet gefühlt, so hätte ich
eine Schwester um Hilfe gebeten. Der Schwestern-Rufknopf
war vorhanden. Es amüsierte mich nur der Unterschied: Im
REHAB-Zentrum die übertriebene Sorge um die Sicherheit, in
der Klinik das Vertrauen auf die Eigenverantwortung des
Patienten.
Gespräch mit der Oberärztin
Am Freitag nachmittag fand das Gespräch mit der Oberärztin
statt. Es war aus meiner Sicht ein sehr gutes Gespräch. Die
Oberärztin ging auch auf meine laienhaften Fragen ein, ob durch
die Sonde nicht Kalkpartikel von den Gefäßwänden gelöst
werden könnten, und ob ein stark verkalktes Gefäß durch den
Stent nicht gesprengt werden könne. Die Spezialistin räumte ein,
diese Fragen seien durchaus berechtigt, und sie erklärte mir,
wodurch man diese Probleme im Griff habe.
Die Oberärztin hatte erklärt, daß sie den Eingriff lieber unter
Vollnarkose durchführe. Sie halte es auch für am
zweckmäßigsten, die Angiographie und Einsetzung eines Stents
in einem Eingriff zusammenzufassen. Ich meinte dazu, daß ich
darin Vorteile sähe. Es sei auf jeden Fall vorteilhaft, wenn alles
zusammen mit einem Eingriff erledigt werde. Und in der
Vollnarkose sähe ich den Vorteil, daß der Patient den Eingriff
nicht am Bildschirm verfolgen und in Panik geraten könne,
wenn er etwa ein Vorkommnis mißdeute.
Demnach war es offensichtlich von Vorteil, daß ich die
Angiographie bei meinem ersten Aufenthalt, die die Schwester
mit den Rassiermessern vorbereiten wollte, abgewendet hatte.
Ich hatte auch erfahren, daß Angiographie und Einsetzung des
Stents relativ lange dauern können. Das veranlaßte mich, auf
meine Blasenschwäche hinzuweisen. Es werde ein Katheter in
die Harnröhre gesetzt. Im Juni 2005 hatte ich mich einer
Prostata-Resektion unterziehen müssen. Ich erinnerte mich an
die genaue Darstellung, die ich damals bekommen hatte, (siehe
Bericht »Lebensrettung als Routine« in dieser Homepage)
wonach der Ringmuskel »Prostata« innen nur ausgehölt werden
konnte, indem die Harnröhre zerstört wurde. Ich war daher
besorgt, daß die im Heilprozeß nach der Resektion
nachgebildete Harnröhre vernarbt sein könnte. Die Oberärztin
bestätigte dies und empfahl mir, das den Eingriff vorbereitende
Team darauf aufmerksam zu machen.
Die Oberärztin teilte mir schließlich noch mit, daß der
Eingriff am Montag vormittag stattfinden und daß die kleine
Operationswunde dann auf die Dauer von 24 Stunden mit einem
Druckverband versehen werde. Bis zum Erwachen aus der
Narkose würde ich in einer Intensivstation beobachtet.
Ein Wochenende lang Freizeit
Damit hatte für mich die »Wochenend-Freizeit« begonnen.
Ich konnte nun bereits wieder mit der rechten Hand schreiben
und ich benützte die Zeit, um die gedanklich bereits vorbereitete
Erzählung »Die Übersiedlung« zu Papier zu bringen – nun wie
in den Anfängen meiner belletristischen Arbeiten vor mehr als
dreißig Jahren ohne Computer. Es stand bereits fest, daß ich
nach meiner Rückkehr ins REHAB-Zentrum Großgmain aus
internen Gründen des Instituts ein anderes Zimmer bekommen
würde. Ich hatte daher alle meine Habe, die sich dort
angesammelt hatte, in zwei Reisetaschen und einen großen
Karton verpackt und sie zur Verbringung ins andere Zimmer
bereitgestellt. Die dort an der Wand beieinander stehenden
Gepäckstücke erinnerten mich an meine Jugendzeit, als ich in
Untermiete wohnte und des öfteren das Bedürfnis nach einem
Ortswechsel hatte. Damals hatte überhaupt mein ganzes
Besitztum in zwei großen Kartons Platz, die ich jeweils
nacheinander, das Fahrrad schiebend, auf dem Gepäckträger
beförderte. Diese Erinnerung ließ ich nun in eine Erzählung
einfließen. Die Bedingungen junger Leute vor fünfzig Jahren,
die nicht bei den Eltern wohnen konnten, schienen mir des
Erzählens wert. Diese Erzählung brachte ich noch am Samstag
fertig. Ich hatte nämlich gute Arbeitsbedingungen, da alle drei
Patienten, die mit mir im selben Krankenzimmer gewesen waren,
am Freitag abend entlassen worden waren. Da ich nicht damit
gerechnet hatte, so treffliche Bedingungen zum Schreiben zu
bekommen, hatte ich zu wenig Schreibpapier bei mir. Auf meine
Bitte brachte mir die Schwester ein paar Blätter Papier. Da ich
diese Erzählung in die Auswahl für den nächsten
Seniorenkalender, in dem alljährlich Texte von mir
veröffentlicht werden, aufnehmen werde und sie damit einen
einer Öffentlichkeit zugänglichen Wert erreichen könnten, wird
es gerechtfertigt sein, daß mir zehn Blatt Kopierpapier aus den
Beständen der Klinik überlassen wurden.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag war ich von Durchfall
geplagt. Am Sonntag morgen hatte ich aber wieder normalen
Stuhlgang. Also eine harmlose Störung, wie sie bei Umstellung
der Verköstigung vorkommen kann. Das war auch deshalb nicht
problematisch, weil ich ja allein im Zimmer lag und das
wiederholte Aufstehen daher niemanden störte. Ich fürchtete
allerdings, daß dies weitere Unregelmäßigkeiten zur Folge
haben und mir nach dem Eingriff Probleme verursachen könnte.
Ich teilte dies vorsichtshalber einer Schwester mit, da aber
bereits Normalisierung eingetreten war, schienen sich
Maßnahmen zu erübrigen.
Noch am Samstag und am Sonntag vormittag schrieb ich
Beiträge zur Erinnerungsreihe »Grenzerlebnisse«. Damit waren
Erlebnisse gemeint, in denen ich mich in Lebensgefahr befunden
hatte, und mit deren Schilderung ich schon begonnen hatte. Die
Fragilität unseres Daseins – wer hätte sich nicht schon in
ähnlichen Situationen befunden – schien mir auch erzählenswert.
Dazu hatte ich viel mehr in Erinnerung als ich in dieser Zeit
schreiben konnte, zumal ich auch auf Ausgänge mit dem
Rollator nicht verzichten wollte.
Für Sonntag hatten mein Sohn und die jüngere meiner Töchter
einen Besuch angekündigt. Wir unternahmen dann mitsammen
einen Ausflug, der mir nach fast sieben Wochen Aufenthalt in
den Krankenhäusern (auch das REHAB-Zentrum zählt als
Sonderkrankenanstalt zu den Krankenhäusern) eine besonders
erfreuliche Abwechslung bot.
Die Angiopraphie und Begleitumstände
Am Montag morgen blieb der Stuhlgang aus, worüber ich ein
wenig beunruhigt war. Von allem weiteren habe ich den
Operationsraum als Technikraum in Erinnerung, und daß sich
ein Team an mir zu schaffen machte. Ich wies noch, wie mir die
Oberärztin geraten hatte, darauf hin, daß im Juni 2005 an mir
eine Prostataresektion vorgenommen wurde, daß daher die
Harnröhre vernarbt sei könnte.
Hierauf schaltete die Wirkung der Narkose mein Bewußtsein
aus. Wann ich aus der Narkosewirkung erwacht bin, ist mir
nicht genau in Erinnerung. Wahrscheinlich wirkte eine gewisse
Benommenheit nach. Es war wahrscheinlich am Nachmittag, als
ich erkannte, daß aus dem in die Harnröhre gesetzten Katheter –
er war gesetzt worden, als ich bereits in Narkose lag – Blut in
den Harnbeutel floß. Ich wurde in die Urologie der
Landeskrankenanstalten gebracht. Dort konnte nur der
unpassende Harnkatheter entfernt werden. Der behandelnde
Urologe erklärte, daß die verletzte Harnröhre so am besten
heilen würde.
In der darauffolgenden Nacht hatte ich anhaltende Schmerzen
auszustehen. Ich hatte stundenlang ständigen Harndrang, etwa
alle drei Minuten mußte ich die Harnflasche ansetzen. Es war
aber Blut, das aus der Harnröhre drängte. Zugleich litt ich unter
Blähungen, dabei vermochte ich wieder nicht zu unterscheiden,
ob nur Blähungen oder auch Stuhl andrängte. Eine Schüssel zu
verwenden, versuchte ich nach den bisherigen Erfahrungen erst
gar nicht. Als ich es nicht länger aushielt, versuchte ich bei der
Nachtschwester Verständnis zu erreichen. Sie hatte Verständnis,
und ich durfte Aufstehen und mich aufs WC begeben. Ich mußte
dann noch zweimal aufstehen. Ich tat dies aber sehr vorsichtig,
jede Anstrengung vermeidend. Beim Gehen stützte ich mich nur
mit der linken Hand auf den Rollator, mit der rechten hielt ich
den Druckverband fest. Im weiteren wurde ich nur die
Blähungen los, da ich auch dabei jede Anstrengung vermied.
Das verschaffte mir immerhin eine große Erleichterung. Ich
dankte der Schwester für ihr Verständnis und erklärte, daß ich
für allfällige Folgen natürlich selbst die Verantwortung
übernehmen würde. Falls notwendig, hätte ich auch einen
Revers unterschrieben. Die Blutung ließ gegen Morgen ein
wenig nach. Der Blutverlust hielt sich, wie ich am Inhalt der
Harnflasche erkennen konnte, innerhalb des Verkraftbaren.
Zweimal während der Nacht hatte ich wegen ungeschickten
Umgangs mit der Harnflasche die Bettwäsche beschmutzt,
sodaß diese ausgewechselt werden mußte. Auf meine Bitte
wurde dann eine die Wäsche schonende Unterlage ins Bett
gegeben.
Am Morgen kam die Schwester, die nun an dem Tag Dienst
hatte, und ordnete an: »Sie bleiben bis elf im Bett!«
Wahrscheinlich hatte sie beim Dienstwechsel von der
Nachtschwester erfahren, daß ich entgegen der verordneten
Bettruhe in der Nacht aufgestanden war. Ich ließ mich auf keine
Debatten ein, denn ich nahm an, daß ich es die drei Stunden
ohne aufzustehen aushalten würde. Aber um halb elf waren die
Blähungen wieder so heftig geworden, daß ich darauf bestand,
aufzustehen und mich aufs WC zu begeben.
Während ich auf dem WC weilte, hatte ein Pfleger aufgebettet
und die Schonunterlage entfernt. Ich setzte mich daher auf einen
Sessel, um das Ende der Ruhezeit abzuwarten. Da kam eine
junge Schwester und machte mich unfreundlich aufmerksam,
daß ich bis elf im Bett zu bleiben hätte. Als ich ihr den Grund,
aus dem ich mich nicht ins Bett gelegt hatte, mitteilte, brachte
sie wieder ein Schontuch.
Um elf wurde mir wenig freundlich erklärt, daß das Bett
gebraucht und ich es zu verlassen hätte. Ich hatte ohnedies mit
großem Freiheitsbedürfnis darauf gewartet. Im weiteren wurde
angeordnet, daß ich mich im Bad entkleiden und läuten solle.
Ich dürfe den Druckverband nicht selber abnehmen, und es
müsse untersucht werden, ob die Wunde und die Einstichstellen
ausreichend verheilt seien.
Bevor ich mich aber entkleidet hatte, kam die Anordnung, daß
ich mich bereithalten solle, ich werde noch zu einer
Ultraschalluntersuchung in die betreffende Station gebracht.
Dort herrschte ein wohltuend freundlicher Ton. Der
Druckverband wurde mir abgenommen, ich wurde untersucht
und es wurde festgestellt, daß alles in Ordnung sei. Das war für
mich umso beruhigender, als ich ja fürchten hatte müssen, daß
das mehrmalige Aufstehen geschadet haben könnte.
(Siehe auch Urinalkondom!)
Eine letzte Peinlichkeit
Nach der Untersuchung wartete ich aber länger als eine halbe
Stunde im Rollstuhl auf dem Gang, um abgeholt zu werden.
Diese Wartezeit war zu lang. Die verletzte Harnröhre
signalisierte Harndrang. Ich hoffte, daß bald vom Personal
jemand vorbeikommen würde, an den ich mich um Hilfe
wenden könne. Aber da begann ein noch älterer Patient als ich,
der auch im Rollstuhl auf dem Gang wartete, entsetzlich laut
»hallo« zu rufen. Da kam sogleich eine Schwester. Sie kam aber
zuerst bei mir vorbei, und ich klagte ihr mein dringendes
Bedürfnis, nicht ohne zu erwähnen, daß der andere Patient
gerufen habe. Ich durfte aber dann doch zuerst das WC
aufsuchen. Das mag den Eindruck von Nebensächlichem geben,
aber solch eine Notsituation bringt einen doch in arge
Verlegenheit, da hat man das Gefühl, arg vernachlässigt zu sein.
Jedem Patienten, der sich noch eines normalen geistigen
Zustandes erfreuen darf, müßte es höchst peinlich sein, wenn ein
blutdurchsetzter Harnfluß durch die Anstaltskleidung und über
die Sitz- oder Liegeunterlage auf den Boden fließen würde. Mir
wäre es jedenfalls höchst peinlich gewesen.
Hierauf dauerte es nicht mehr lange bis ich abgeholt und ins
Krankenzimmer zurückgebracht wurde. Nun war ich frei. Baden
und Ankleiden konnte ich mich nun ohne weitere Kontrolle.
Als ich mich im Bad mit der Unterwäsche bekleidet hatte,
wollte man mich wieder zu einer Untersuchung abholen. Das
müsse ein Irrtum sein, widersetzte ich mich, ich würde mich
gerade auf die Entlassung vorbereiten. Es stellte sich sogleich
heraus, daß eine Verwechslung passiert war.
Man bot mir an, sogleich die Rettung für den Transport nach
Großgmain zu rufen. Ich bat zu warten, bis ich fertig sei.
Wenngleich ich dieses Mal so wenig wie möglich an Kleidung,
Wäsche und sonstigem Bedarf bei mir hatte – alles hatte in einer
Plastik-Einkaufstasche eines Großmarktes Platz – wollte ich in
Erinnerung an meine verlorene Jacke dafür sorgen, daß alles in
Ruhe geschehen könne. Es könne eine halbe Stunde dauern, bis
die Rettung komme, warnte man mich. Aber ich erklärte mich
bereit zu warten.
Die letzten zwei REHAB-Wochen
Zurück ins REHAB-Zentrum
Als ich dann im Rettungswagen Richtung Großgmain
unterwegs war, hatte ich ein Gefühl, als würde ich nach einer
belastenden Tortour heimfahren. Heim zu den Betreuerinnen
und Betreuern, die den Menschen mit seinem Leben umgehen
lassen, wie sie selbst mit ihrem eigenen umgehen. Das
Wesentliche wurde zwar gut geleistet, nämlich die Angiographie,
die Untersuchung der Gefäße. Es war nun gewiß, daß die
Halsschlagadern noch durchlässig genug waren, daß also kein
Stent eingesetzt zu werden brauchte. Und auch die Behandlung
durch die Schwestern und Pfleger war gut und zuvorkommend.
Eine Aversion hatte sich nur deshalb eingestellt, weil ich gerade
am Schluß des kurzen Aufenthalts unter der Verletzung der
Harnröhre litt und in den letzten Stunden von Unfreundlichkeit
betroffen war.
Am Dienstag, den 9. Oktober 2007, war ich also wieder ins
REHAB-Zentrum Großgmain gebracht worden.
Unerwartet rasche Heilung
Die Blutung der Harnröhre war zurückgegangen, im Harn war
nur mehr wenig Blut enthalten. Aber die Harnwege hatten sich
noch nicht beruhigt. Ich mußte nun mit etwa stündlichem
Harndrang zurechtkommen. Obwohl ich grundsätzlich viel
trinken sollte, stellte ich schon zu Mittag das Trinken ein.
Dennoch scheute ich mich, für die Nacht das Schlafmittel, das
mir seit dem ersten Klink-Aufenthalt unentbehrlich geworden
war, zu nehmen. Ich fürchtete, daß ich unter diesen Umständen
in »meinen alten Tagen« noch zum Bettnässer werden könnte.
Urinalkondom
Da ich nun schon zwei Nächte nicht geschlafen hatte, nur
zeitweise ein wenig eingedöst war, riet mir ein Pfleger, ein
Urinalkondom zu verwenden. Dieses Kondom ist auch ein
Verhütungsmittel, es unterscheidet sich aber von der bekannten
Art dadurch, daß es vorne an einen Schlauch mit Harnbeutel
anzuschließen ist. Es verhütet also, daß Harn ins Bett rinnt.
Solcherart beruhigt, nahm ich diese Nacht wieder das
Schlafmittel und konnte gut schlafen. Der Harn war über Nacht
in die »externe Harnblase« geglitten. Das Urinalkondom hatte
also seinen Zweck bestens erfüllt.
Ich stellte mir die Frage, ob dieser Behelf nicht auch bei
solchen Eingriffen, wie er an mir in der Christian-DopplerKlinik vorgenommen worden war, falls eine Vernarbung der
Harnröhre nach einer Prostataresektion anzunehmen sei, anstatt
des Katheters verwendet werden könne. Der Operationstisch
hätte sich auch damit von Harn sauber halten lassen, und die
Verletzung der Harnröhre wäre vermieden worden. Ob dies aus
irgendwelchen medizinischen Gründen nicht möglich sei, ist mir
natürlich nicht bekannt. Kostengründe sollten nicht entscheidend
sein. Denn die zweimalige Untersuchung in der Urologie mit
Hin- und Rücktransport, einmal aus der Christian-DopplerKlinik, einmal aus Großgmain, durch die Rettung war sicher
kostspieliger. Und dieses Urinalkondom kann auch nicht sehr
teuer sein, denn im REHAB-Zentrum wurde es mir zur
Verfügung gestellt, damit ich endlich eine Nacht durchschlafen
konnte.
Am Donnerstag, den 11. Oktober 2007, wurde ich mit dem
Rettungswagen zu einer Nachuntersuchung in die Urologie der
Landeskrankenanstalten gebracht und anschließend wieder nach
Großgmain zurückgebracht. Der Heilungsprozeß erwies sich als
zufriedenstellend. Aber der häufige Harndrang dauerte noch an.
Wie sollte ich die nächste Nacht zubringen? An das
Urinalkondom, das gute Dienste geleistet hat, wollte ich mich
nicht gewöhnen. Denn einmal daran gewöhnt, könnte ich ohne
dieses Verhütungsmittel womöglich doch noch zum Bettnässer
werden. Nach Beratung mit den Pflegern wurde eine SchutzUnterlage ins Bett gegeben, und ich nahm wieder das
Schlafmittel. Die Befürchtung, ich würde im Schlaf urinieren,
erwies sich aber als unbegründet. Ich erwachte mehrmals und
konnte die bereitgestellte Harnflasche benützen.
Da ich sodann wieder die erforderliche Menge Flüssigkeit zu
mir nahm, heilte die verletzte Harnröhre nach wenigen Tagen.
Es waren jedenfalls keine Spuren von Blut mehr im Harn
erkennbar. Auch der Harndrang ging auf das Ausmaß vor dem
Eingriff zurück. Ich wunderte mich über die natürliche Heilkraft
des Körpers, noch dazu in einem so sensiblen, weil natürlich
unhygienischen, Bereich.
Venenentzündung
An der kleinen OP-Wunde und an einer Einstichstelle, in der
während des Klinikaufenthaltes eine Kanüle für Infusionen
gesteckt war, bildeten sicht große Hämatome. Das Hämatom an
der Einstichstelle diagnostizierte die zuständige Ärztin als
Venenentzündung und behandelte sie entsprechend. Es dauerte
länger als eine Woche, bis die Entzündung abgeheilt war.
Wohnung im zweiten Stock ohne Lift
Ich konnte nun wieder ungehindert therapiert werden. In den
Vordergrund trat nun die Überlegung, daß die Rehabilitation in
zwei Wochen beendet sein würde und ich in meinem Haushalt
allein zurechtkommen müsse. Es wurde mir zwar geraten, eine
Heimhilfe in Anspruch zu nehmen, und ich war auch bereit, mir
auf die Weise helfen zu lassen. Aber diese Hilfe würde sich auf
bestimmte Zeiten beschränken, und es ließe sich nicht
programmieren, daß nicht außerhalb dieser Zeiten Probleme zu
lösen seien.
Ein Problem, für das ich eine Lösung brauchte, war jedenfalls,
daß meine Wohnung im zweiten Stock lag. Den Rollator
brauchte ich zwar nicht in der Wohnung, und die Handläufe an
der Stiege hätten es mir ermöglicht, bequem über die Stiege zu
gehen. Hätte ich aber den Rollator beim Stiegenaufgang – mit
einem Fahrradschloß abgesperrt – abgestellt, so hätte die Gefahr
bestanden, daß er von Kindern mit zu stark ausgeprägtem
»Spieltrieb« beschädigt worden wäre. Das wollte ich in Hinblick
auf meinen niedrigen Pensionsbezug nicht riskieren. Ich
überlegte, daß ich am Rollator einen Gurt anbringen und ihn
damit über die Stiege hinter mir herziehen könnte.
Außerdem
wollte
ich
Fahrten
mit
öffentlichen
Verkehrsmitteln unternehmen können. Man riet mir, daß ich mit
der Rettung zum Arzt gebracht werden und daß ich Gutscheine
für Taxifahrten bekommen könne. Dazu fühlte ich mich schon
zu sehr gekräftigt. Hilfe aus öffentlichen Mitteln sollte nur
beanspruchen, wer absolut darauf angewiesen ist. Da sogar
Rollstuhlfahrer die Städtischen Busse benützen, müßte das auch
mit dem Rollator möglich sein.
Ich besprach die Idee mit einem Therapeuten, der, wie
erwartet, ohne große Bedenken auf meine Probleme einging und
das Experiment vorbereitete. Zu meiner Freude konnte ich den
Rollator wie erwartet über die Stiege ziehen und ihn wieder
Stufe für Stufe hinunterrollen lassen. Den Rollator allerdings auf
die Weise in den Bus zu ziehen, würde schwieriger sein.
Ein idealer Rollator
Am letzten Tag vor seinem Urlaubsantritt wies der Therapeut
darauf hin, daß es auch leichtere Rollator-Modelle gebe und
auch solche, die zusammengeklappt werden könnten, und er riet
mir, ein solches Modell zu beschaffen und es damit zu
versuchen. Damit wäre es auch eher möglich, mit öffentlichen
Verkehrsmitteln zu fahren.
Es wurden mir zwei Modelle zur Auswahl ins REHABZentrum gebracht. Eines davon war wie für mich geschaffen.
Dieser Rollator klappte zusammen, wenn ich ihn an einer
Schlaufe in die Höhe hob. Mit der gesunden Linken war es kein
Problem, das Gerät über Kopfhöhe hochzustemmen. Der
Rollator wog nur 7,3 Kg. In der rechten hatte ich bereits
genügend Kraft, um mich am Handlauf an der Stiege
festzuhalten, und zu meiner Wohnung im zweiten Obergeschoß
führten zwei spiegelgleiche Stiegen, sodaß ich auf der einen
zum Hinaufgehen und auf der anderen zum Hinuntergehen einen
durchgehenden Handlauf hatte. Daher war das Gerät wie für
mich geschaffen, oder ich wurde so weit verschont, daß ich zu
diesen Bewegungen befähigt blieb.
Glück im Unglück
Ich hatte ja überhaupt Glück im Unglück. Wie sich bereits
anfangs herausstellte, dadurch, daß sich durch den Schlaganfall
an den zwar altersgeschwächten aber teils noch regen geistigen
Fähigkeiten nichts geändert hatte, und daß ich, wie sich jetzt
herausstellte, zu den für die Selbständigkeit wichtigsten
Bewegungen wieder fähig war.
Training im Stiegensteigen
Im REHAB-Zentrum, in dem ich bisher die NiveauUnterschiede zwischen drei Geschoßen, zum Eingang ins
Zentrum, zu den Verwaltungsbüros, zur Apotheke, zu den
Therapieräumen, zum Pflegetrakt, zum Ausgang ins Freie vom
Pflegetrakt, zum Speisesaal und zum Einzelzimmer, stets mittels
des Lifts überwunden hatte, waren auch mehrere Stiegen
verfügbar. Ich übte nun in der letzten Woche täglich zwei- bis
dreimal den Rollator über die Stiege vom zweiten Obergeschoß
ins Erdgeschoß und wieder hinauf zu tragen. Oft wollten mir
freundliche Besucher oder weniger gehbehinderte Patienten
Hilfe anbieten. Aber ich mußte ihnen erklären, daß ich die Mühe
zur notwendigen Übung auf mich nehmen müsse.
Durch diese Übungen gewann ich das nötige Selbstvertrauen,
um mir nach der Entlassung den Weg zu meiner Wohnung im
zweiten Obergeschoß zuzutrauen.
Eifrige Therapie-Übungen
In diesen letzten Tagen hatte ich wie bisher – mit der
verletzungsbedingten Unterbrechung – noch eifrig an den
therapeutischen Übungen teilgenommen, um möglichst viel für
die Zeit nachher zu profitieren.
Da auch Übungen in der Küche vorgesehen waren – für mich
als mein eigener Hausmann ja auch von praktischer Bedeutung –
bot ich in Hinblick auf meinen vor 53 Jahren aufgegebenen
Handwerksberuf an, ein einfaches Konditorerzeugnis
herzustellen: Anisbögen, allerdings mit der Vereinfachung, daß
ich sie mangels Vorrichtung nicht biegen konnte und daß ich sie
– da kein Anis vorhanden war – nicht damit bestreuen konnte.
Aber sie waren auch so ein wohlmundendes Gebäck für eine
Kaffeerunde geworden. Die um meine Sicherheit besorgte
Therapeutin, unter deren Aufsicht ich arbeitete, hatte nun keine
Bedenken mehr, als ich mich in der Übungsküche ohne Rollator
oder Stöcke bewegte. Und ich selbst fühlte mich dazu sicher
genug. Ich hatte tatsächlich auch keine Probleme.
Kontrolle des Therapieerfolges
Am vorletzten Tag meines Aufenthaltes im Therapiezentrum
wurde von den beiden Therapeutinnen, die am meisten mit mir
gearbeitet hatten, der endgültige Stand des Fortschrittes getestet
und es wurden die Einzelergebnisse des Tests in einer Liste
erfaßt. Das war auch für mich ein Anlaß, das Ergebnis nach acht
Wochen Therapie gedanklich mit meinen Möglichkeiten am
Anfang zu vergleichen. Ich war vom Fortschritt, den ich unter
der Anleitung der Therapeutinnen und Therapeuten erreicht
hatte, beeindruckt. Ich hatte ja die Beeinträchtigungen noch
unmittelbar in Erinnerung, die Hilflosigkeit an den ersten beiden
Tagen in den Wohnung, das weitgehende Fehlen der
Feinmotorik nach der Überstellung ins REHAB-Zentrum und
die vergeblichen Versuche, bestimmte Bewegungen auszuführen.
Nun gelang vieles: Ich konnte den rechten Unterschenkel auf
dem Bauch liegend beinahe so weit in Richtung Gesäß bewegen
wie den gesunden linken. Ich konnte das Besteck fast normal
zum Mund führen, nur zum Suppe Löffeln zog ich noch die
Linke vor. Und ich konnte mich bei der Nase nehmen.
Trockenübung in der Badewanne
Es folgte noch eine »Trockenübung« in der Badewanne. Ich
lag bekleidet in der Wanne und sollte vorführen, daß ich
aufstehen könne. Aber es gelang mir nicht. Ich rutschte mit dem
Füßen davon, sodaß ich mich nicht erheben konnte. Ich
entledigte mich der Socken. Das nützte aber nicht, da meine
Hände und Füße stets trocken waren. Mit Hilfe der Therapeutin
stieg ich schließlich aus der Wanne.
Ein letztes Mal gab mir die um mich besorgte Therapeutin
Ratschläge, wie ich mich dagegen sichern könne, hilflos in der
Badewanne gefangen zu sein. Es gäbe eine Sitzbank, die einfach
auf die Wanne gelegt werden könne. Der Vorschlag gefiel mir
aber nicht, weil von der Bank das Wasser auf den Boden fließen
würde, am Boden in meiner Wohnung aber kein Abfluß
angebracht war. Ich einigte mich schließlich mit der Therapeutin,
daß ich daheim, wenn ich allein in der Wohnung sei, kein
Vollbad nehmen, sondern zum Duschen in der Wanne stehen
würde. Es müsse aber unbedingt ein Haltegriff an der Wand
angebracht werden. Das sah ich ein. Mein Sohn hatte mir auch
bereits angeboten, einen solchen zu montieren. Es war mir klar,
daß ich selbst noch keinesfalls mit einer Bohrmaschine
hantieren könne.
Das Problem beschäftigte mich nachher noch. Ich hatte doch
einer anderen Therapeutin vorgeführt, daß ich vom Liegen auf
dem Fußboden aufstehen kann. Ich wiederholte in meinem
Zimmer sodann den Versuch: Ich setzte mich auf den Fußboden
und legte mich zurück. Den Druckknopf, mit dem ich notfalls
eine Schwester oder einen Pfleger zu Hilfe rufen hätte können,
hätte ich aus dieser Position nicht erreichen können. Ich drehte
mich auf den Bauch stützte mich mit den Armen auf, schob das
vom Bett weiter entfernte Knie vor und konnte, mich am
Bettrand festhaltend, mühelos aufstehen. Es war mir klar, daß
ich mich auf die Weise auch aus der Badewanne erheben könne.
Ich würde also nicht dauernd auf ein Vollbad verzichten müssen.
Dank für Leistungen
Hinkebein
Nicht ganz den inzwischen hoch angesetzten Erwartungen
entsprach das Gehen. In der Position, in der das Bein beim
Schreiten durchgestreckt wird, geriet das Knie anstatt der
normalen Streckung entweder zu weit zurück oder es blieb zu
weit vorne. Ich hatte mich bei weiten Gehübungen im Freien, oft
dreimal täglich je eine halbe Stunde rund um das Gelände des
REHAB-Zentrums, immer wieder um die richtige Haltung
bemüht, aber sie gelang nicht. Ich wurde von mehreren Seiten
vertröstet, daß dies »noch kommen werde«. Aber nach meinen
Beobachtungen hatte ich den Eindruck, daß an irgendeinem
Muskel oder einer Sehne ein irreparabler Schaden entstanden
sein könne. Das hatte aber nur ein auffallendes Hinken, jedoch
keine weitere Behinderung zur Folge. Ich fühlte mich also für
den Wiederbeginn eines selbständigen Lebens gewappnet.
Halbtaube Glieder
Ich weiß nicht, wie das medizinisch richtig zu benennen sei.
Im rechten Arm von der Schulter bis zu den Fingerspitzen und
im rechten Bein von der Hüfte bis zu den Zehenspitzen hat sich
seit der Lähmung, trotz weitgehend wiederhergestellter
Beweglichkeit, das normale Gefühl nicht mehr eingestellt. Bei
vollkommener Gefühllosigkeit würde ich von tauben Gliedern
sprechen, womit natürlich nicht eine Gehörlosigkeit gemeint
wäre. Das Bedeutungswörterbuch von Duden sieht diese zweite
Bedeutung ausdrücklich vor. Meine Glieder sind aber nicht
gefühllos, sondern ich fühle mit ihnen oder in ihnen schwer
erklärbar vermindert. Tastsinn und Schmerzempfindungen sind
normal, Kälteempfinden ist vermindert, die rechten Gliedmaßen
fühlen sich auch weniger warm an (ich konnte dies natürlich nur
mit der linken Hand am linken und am rechten Bein
vergleichend testen, allerdings fühlt sich auch der rechte Arm
ebenso nicht so warm an wie das linke Bein), wenn ich auf der
rechten Seite im Bett liege, fühle ich das ungefähr so, als würde
ich auf einem Brett liegen, nicht ganz so hart. Ein Bekannter der
schon vor 16 Jahren einen Schlaganfall erlitten hat, erklärte mir,
daß dieses halbtaube Gefühl bei ihm geblieben sei. Ich habe
mich aber nun vier Monate nach dem Ende der Rehabilitation
auch daran gut gewöhnt.
Dank
Am Mittwoch, den 24. Oktober 2007, verabschiedete ich mich
im REHAB-Zentrum.
Ich bin davon überzeugt, daß man im REHAB-Zentrum
unternimmt, was möglich ist, um jedem Patienten wieder ein
normales, selbständiges Leben zu ermöglichen. Was für mich
erreicht wurde, übertrifft jedenfalls bei weitem meine
Erwartungen, und ich danke dafür allen, die an meiner
Rehabilitation durch ärztliche Betreuung, Therapie und Pflege
mitgewirkt haben.
Ich habe dem Bericht eine Beschreibung der „schönen Zeit
vorher“ vorangestellt. Und ich kann nun, da ich bereits wieder
vier Monate allein und unabhängig lebe, mitteilen, daß sich
diese schöne Zeit nun fortsetzt. Es ist manches anstrengender als
mit „gesunden Gliedern“, es läßt sich alles nur langsamer
verrichten, aber ich erfreue mich wieder am Schreiben von
Belletristik, an den Studien von Themen-Grundlagen, am Lesen
zur Bildung oder Unterhaltung, am Hören von »klassischer
Musik« zur Erbauung oder Unterhaltung und, zum
erlebnisreichem Ausgleich, sogar wieder an ersten Versuchen
des Bergwanderns. Auf vertrauten Wegen hinke ich bereits
wieder ein Stück bergan. Es ist also alles wieder wie vorher
möglich, nur langsamer.
Für das alles bin ich dankbar. In Dankgebeten wende ich mich
aber auch an Gott. Ich glaube an Gott als den eigentlichen
Urheber des Alls, unserer Welt, unseres Seins. Dem wird oft die
Frage entgegengesetzt, warum Gott soviel Leid und soviel Böses
zulasse. Wir stehen mit unserer Erkenntnisfähigkeit vor vielen
Grenzen und stoßen auch mit dieser Frage an Grenzen. Der
Gläubige wird darauf vertrauen, daß auch dies alles seinen Sinn
im Schöpfungsganzen habe.
Natürlich gilt es für mich nach wie vor auch, Banales zu
verrichten wie die Arbeiten im Haushalt. Im folgenden gebe ich
noch eine konkreten Einblick in das „Banale“ und in
Ungewöhnliches.
Wieder unabhängig
Wieder in der eigenen Wohnung
Mein Sohn holte mich mit dem Wagen ab, wofür ich dankbar
war. Er mußte dann allerdings, nachdem er den Haltegriff bei
der Badewanne montiert hatte, mir bei einem ersten Einkauf
behilflich gewesen war und wir meine Rückkehr in meine
Wohnung gefeiert hatten, zurück zu seiner Familie. Er nahm an,
und ich war auch darauf eingestellt, daß ich eine Heimhilfe
bekommen würde. Am Freitag, den 26. Oktober würde der
Staatsfeiertag sein, darauf das Wochenende folgen. Ich könnte
also, wenn ich noch am Donnerstag, den 25. Oktober,
telefonisch anfragen würde, frühestens am Montag, den 29.
Oktober, Hilfe bekommen. Nach dieser Überlegung beschloß
ich, zunächst einmal zu versuchen, wie ich allein
zurechtkommen würde, und bei Bedarf am Montag um
Unterstützung anzufragen.
Morgens war das Bett in Ordnung zu bringen, beim Baden
entstanden besonders anfangs im Badezimmer große
Wasserlachen, die ich aufwischen mußte, das Geschirr war
abzuwaschen, am Donnerstag und am Samstag hatte ich noch
dringende Einkäufe im nahen Einkaufszentrum zu besorgen.
Das Kochen konnte noch einige Wochen aufgeschoben werden,
da sich im Gefrierschrank reichlich Vorräte befanden, die nur
aufgetaut und in der »Mikrowelle« erhitzt zu werden brauchten.
Ich hatte auch wieder mit schriftstellerischen Arbeiten
begonnen und brauchte dazu ein Buch, das sich in einem
obersten Fach der bis zur Zimmerdecke reichenden Regale
befand. Früher hatte ich dieses Fach auf einer beweglichen
Treppe freistehend erreichen können. Das war jetzt nicht
möglich. Ich stellte die fünfsprossige Stehleiter ans Regal und
konnte mich mit der rechten Hand sichernd festhalten und mit
der linken das Buch an mich nehmen.
Schon am ersten Sonntag, also am 28. Oktober, gönnte ich
mir ein Vollbad. Der erste Teil des Erhebens wird ja, wie ich
mir inzwischen noch überlegt hatte, durch das archimedische
Prinzip unterstützt: Ein Körper verliert in einer Flüssigkeit
scheinbar soviel an Gewicht, als die von ihm verdrängte
Flüssigkeitsmenge wiegt. Für die Muskelkraft wird das
Scheinbare zur Tatsache. Ein Vorteil, der bei der Trockenübung
nicht wirksam war. Das Email meiner Badewanne ist außerdem
nicht mehr so glatt wie jenes der Übungswanne. Und meine
Wanne ist etwas schmäler und kürzer. Ich konnte daher vom
Sitzen aus mühelos aufstehen, indem ich mich am Haltegriff und
am Wannenrand festhielt. Notfalls hätte ich mich sitzend oder in
Bauchlage auf das linke Knie erheben können. Hätte ich ernste
Probleme gehabt, so hätte ich nachher noch die Therapeutin
angerufen und ihr bestätigt, daß sie recht gehabt habe. Ernst
genommen hatte ich ihre Warnungen ja stets, indem ich mich
vorsichtig, jedoch nicht zu vorsichtig verhalten hatte.
Die Hilflosigkeit der ersten Tage nachgestellt
Ich weiß nicht, ob das übermütig war? Die Neugier trieb mich
dazu, die Szenen, durch die ich am zweiten Tag nach dem
Anfall Hilfe organisierte, nachzustellen. Auch das verlief
problemlos. Ich konnte dabei eigentlich nicht mehr recht
begreifen, warum es mir stundenlange Anstrengungen bereitet
hatte, die Türen zu öffnen. Das gelang nun wieder mühelos.
Aber für den einseitig Gelähmten sind gewisse Bewegungen
unmöglich. Ich erinnerte mich und erinnere mich, wie ich beim
Versuch, wie ein Baby zu krabbeln, umgekippt bin, bevor ich
mich aufrichten hatte können.
Verzicht auf Heimhilfe und Pflegegeld
Ich überlegte mir nach all diesen Erfahrungen, daß ich ohne
Heimhilfe zurechtkommen könne. Ich erklärte dies der
zuständigen Stelle.
Ich erklärte auch den Verzicht auf das mir zustehende
Pflegegeld. So mancher wird mir dazu sagen: »Du bist ja dumm.
Bei deiner kleinen Pension auf etwas zu verzichten, das dir
zusteht.« Aber die Beeinträchtigung verursacht mir keinen
finanziellen Mehraufwand. Daß ich nun bei allem deutlich
langsamer bin, schmerzt mich zwar, weil weniger Zeit für mein
schriftstellerisches Wirken bleibt. Da ich aber mit meinen
Texten bisher kein Einkommen zu erreichen vermochte,
verursacht dies keinen Verdienstentgang – für dessen Ausgleich
das Pflegegeld übrigens nicht vorgesehen wäre. Ich meine, daß
in Fällen ohne tatsächlichen finanziellen Aufwand und ohne
Leistungen von Angehörigen überhaupt kein Pflegegeld gewährt
werden sollte. Das wäre immerhin eine kleine Entlastung der
insgesamt kaum mehr finanzierbaren Pflegekosten. Diese
allgemeine Einschränkung würde aber daran scheitern, daß der
wirkliche Pflegebedarf nicht exakt überprüfbar sein dürfte. Ich
möchte jedenfalls – unabhängig von der Gesetzeslage – keine
nach meinem eigenen Ermessen ungerechtfertigte Unterstützung
auf Kosten der Allgemeinheit beanspruchen.
Gefahr einer Wiederholung
Was mir seit dem Studium der abschließenden Befunde Sorge
bereitet, ist, daß keine vorangegangene Ursache für den
Schlaganfall gefunden wurde. Die unmittelbare Ursache ist in
den meisten Fällen eine Durchblutungsstörung im Gehirn, durch
die die Hirnzellen nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt
werden und absterben. Daß in meinem Gehirn die Zellen, die für
die Muskulatur der rechten Seite zuständig waren (linke
Gehirnhälfte) abgestorben sind, konnte durch eine Untersuchung
eindeutig festgestellt werden. Ursachen, die zur Kalkablagerung
in den Gefäßen und daher zu einer unzureichenden
Durchblutung führen, konnten aber nicht erkannt werden. Als
solche Ursachen sind vor allem zu nennen: Bluthochdruck –
mein Blutdruck war aber seit Jahren durch Medikamente auf den
Normalwert gesenkt. Hohe Blutfette – damit lag ich im
Grenzbereich, es bestand jedoch keine Gefahr. Zuckerkrankheit
–
alle
Messungen
hatten
Normalwerte
ergeben.
Bewegungsarmut – ich wanderte seit Jahren einmal wöchentlich
auf den Untersberg (1400 m Höhenunterschied); durch das stete
Training hatte mich dies nicht übermäßig angestrengt. Rauchen
– ich war zeit meines Lebens Nichtraucher. Übermäßiger
Alkoholkonsum – ich trank jeweils nur zum Essen »eine Halbe«
Bier oder »ein Achterl« Wein; laut ärztlicher Auskunft
unbedenklich. Tatsächlich haben die Untersuchungen auch keine
kritische Verkalkung von Halsschlagadern gezeigt. In dem
diesem Bericht vorangestellten Leserbrief habe ich daher
geschrieben: »… als gesunder 72-Jähriger …«.
Dennoch war meine Gesundheit angeschlagen. Im Alter von
etwa fünfzig Jahren begann meine für den Beruf des
Steuerberaters, in dem man alljährlich mit einer unglaublichen
Fülle von Änderungen in den verschiedenen Rechtsbereichen
konfrontiert ist, so wichtige Lern- und Merkfähigkeit
nachzulassen, und ich begann an Ermüdbarkeit und
Konzentrationsschwäche zu leiden. Diese Probleme nahmen im
Lauf von acht Jahren so sehr zu, daß ich meinen Beruf nicht
mehr ausüben konnte. Es passierten mir Fehler, die nicht tragbar
waren. Ich mußte die Pensionierung wegen Brufsunfähigkeit
beantragen, und diese wurde auch genehmigt. Wahrscheinlich
fehlte es an geeigneten Untersuchungsmethoden, um die
gesundheitlichen Probleme exakt zu überprüfen, andrerseits
fehlten nur noch eineinhalb Jahre bis zur Frühpension, die
damals noch ohne weiteres gewährt wurde.
Die Ursache dürfte wahrscheinlich in zu schwacher
Durchblutung liegen. Dies kann anscheinend durch die
Routineuntersuchungen nicht festgestellt werden, und es gibt
dagegen anscheinend keine dem Bedarf anpassungsfähigen
Medikamente. Der Augenarzt stellte die zu schwache
Durchblutung aber durch Überdruck in den Augen fest, der ohne
Behandlung zum grünen Star und zur Erblindung führen könnte.
Die Erblindung ist auch trotz Behandlung nicht auszuschließen,
weil die Sehnerven „angegriffen“ sind.
Damit könnten auch die Ermüdbarkeit, das Nachlassen der
Lern- und Merkfähigkeit sowie die Konzentrationsprobleme
erklärbar sein.
Nach dem Übertritt in den Ruhestand widmete ich mich im
vermehrten Ausmaß der schriftstellerischen Tätigkeit. Und auch
dabei stellte sich heraus: Nach etwa zwei Stunden am Computer
ermüdete ich sosehr, daß ich die Arbeit auf längere Dauer
unterbrechen mußte. Daran änderte sich seit Pensionsantritt
nichts mehr.
Am Sonntag, den 12. August 2007, saß ich aber, wie eingangs
beschrieben, vom frühen Vormittag an bis 20 Uhr, unterbrochen
nur durch das Mittagessen und das Abendessen, Fotos ordnend
und beschreibend am Computer. Dies war für mich eine
interessante Arbeit. Dennoch dürfte mich die ununterbrochene
lange Arbeit am Computer zu sehr angestrengt haben. Ich
nehme daher an, daß diese Anstrengung der unmittelbare
Auslöser des Schlaganfalls gewesen sein könnte. Die Ärzte
bestätigten dies zwar nicht. Aber nach den langjährigen
Erfahrungen des Ermüdens nach einigen Stunden beliebiger
Schreibtischarbeit werde ich diesen Verdacht nicht mehr so
einfach los. Dies schien sich zudem auf unsichere Weise zu
bestätigen: Als meine Freizeitbeschäftigung im REHABZentrum noch auf Lesen eingeschränkt war, las ich als
anspruchsvolle Lektüre den Roman »Doktor Faustus« von
Thomas Mann. Nach etwa zweistündigem Lesen geriet ich in
einen Zustand von sonderbarer leichter Verwirrung. Das war für
mich ein Zeichen, das Buch für längere Zeit beiseite zu legen
und mich entweder körperlich zu beschäftigen oder mich auf das
Bett zu legen und auszuruhen. Diese Erfahrung bestärkte mich
weiter in der Annahme, daß die lange Computer-Arbeit am 12.
August 2007 den Schlaganfall unmittelbar ausgelöst haben
könnte. Ob diese Annahme nun richtig ist oder nicht – ich werde
in Hinkunft zu lange einseitige geistige Beschäftigung
vermeiden.
Wenn ich die Nachwirkungen des Schlaganfalls, von denen
ich betroffen bin, überdenke und mit Beobachtungen an viel
schwerer betroffenen Patienten in der Klinik und im REHABZentrum vergleiche, so kann ich von Glück im Unglück
sprechen. Die körperliche Beeinträchtigung – falls ich für den
Rest meiner Zeit zum Hinken verurteilt sein sollte – ist
erträglich. Ich kann nicht nur meinen Rollator mehrmals täglich
über die Stiege in den zweiten Stock tragen, sondern ich vermag
auch allen Erfordernissen des Alltags ohne fremde Hilfe gerecht
zu werden. Und hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten ist durch
den Schlaganfall keine Änderung eingetreten.
Daher ist es mir ein besonders ernstes Anliegen, einen
weiteren Schlaganfall zu vermeiden.
Dazu werde ich beachten, was allgemein zum Vorbeugen
empfohlen ist:
Gesunde und nicht zu reichliche Ernährung. (Im REHABZentrum wurde eine Broschüre mit Tipps und Rezepten zur
gesunden Ernährung angeboten, die ich erworben habe.)
Salzkonsum reduzieren
Übergewicht vermeiden
Nicht rauchen – dieses Verbot halte ich als Nichtraucher
ohnedies ein.
Kein übermäßiger Alkoholkonsum
Regelmäßige Bewegung, körperliche Ertüchtigung
Täglich zweimal den Blutdruck messen
Die vorgeschriebenen Medikamente regelmäßig einnehmen
Sich regelmäßig den ärztlichen Untersuchungen unterziehen
Darüber hinaus werde ich, wie beschrieben, zu lange
andauernde geistige Beschäftigungen vermeiden und versuchen,
mich möglichst auch jedem Streß zu entziehen.
Ich habe vor, diesen Bericht nach Jahresfrist, wenn möglich,
noch mit den weiteren Erfahrungen, die ich in diesem Zeitraum
gewinnen werde, zu ergänzen.
Salzburg, den 24. Februar 2008
Paul Abart e.h.
Ein Jahr später
Wie angekündigt, berichte ich nun über meine Erfahrungen
im ersten Jahr nach dem Schlaganfall bzw. nach der
Rehabilitation:
Eine wesentliche Besserung konnte ich nicht mehr erreichen.
Ich habe aber auch keine weitere Behandlung von
Physiotherapeuten in Anspruch genommen. Gegen die »Restbehinderung« im Gehen wußten die gewiß bestens ausgebildeten
Therapeuten im Rehabzentrum keinen Rat. Und ich hatte auch
den Eindruck, daß ich von einer irreparablen Veränderung im
rechten Knie betroffen sei. Ich konnte im Rehabzentrum ja auch
schwerwiegendere irreparable Schädigungen an Patienten
beobachten, und daraus folgerte ich, daß es irreparable
Veränderungen gibt.
Da nach der Rückkehr in die eigene Wohnung alle
Verrichtungen viel mehr Zeit beanspruchten, wollte ich die
ohnedies zu kurze verbleibende Zeit dem Schreiben widmen. In
der Zwischenzeit sind wieder einige wichtige Texte entstanden.
Wenngleich keine weitere Besserung erreicht wurde, so bin
ich nun bereits mehr als ein Jahr lang in der Lage, alle AlltagsAufgaben selbst zu bewältigen. Ich verrichte also alle
Haushaltsarbeiten wie Kochen und Reinigen selbst. Die
Verrichtungen von Hand nehmen zwar mehr Zeit in Anspruch,
aber der Herd und die Haushaltsgeräte arbeiten im StandardTempo.
Für die Besorgungen verwende ich nach wie vor einen
Rollator (Rollwagen). Dieses Gerät wiegt nur 7,2 kg, und ich
vermag es daher mit dem gesunden linken Arm hochgestemmt
über die Stiegen zu meiner Wohnung im zweiten Stock zu
tragen. Auch sonst überall überwinde ich, wo kein Lift
vorhanden ist, den Weg in höhere Geschoße über die Treppen –
vorausgesetzt, es ist ein Handlauf angebracht. Ohne Geländer,
an dem ich mich mit der rechten Hand festhalten kann, ist mir
das Stiegensteigen nicht möglich.
Auf gleiche Weise kann ich auch in die Städtischen Busse
einsteigen und aussteigen. Dadurch sind für mich alle wichtigen
Ziele erreichbar.
Zugreisen sind mir jedoch nicht möglich. Die schmalen,
senkrechten Einstiege in die Waggons sind mit dem Rollator
nicht zu überwindende Hindernisse.
Meine Freude am Bergwandern hat mich jedoch in diese
Richtung initiativ werden. Nach der Schneeschmelze im Tal
habe ich mich im Februar 2008 zu einem ersten, kleinen
Versuch auf den wohlvertrauten Weg am Untersberg gewagt.
(Ich gebe hier für ortskundige Leser die lokalen Orts-, Weg- und
Grundstücksnamen an.) Ich ging von der Bus-Endstation in
Fürstenbrunn das steile Wegstück zum Kiefer-Marmorbruch
Frürstenbrunn (über die ehemalige Schrägaufzug-Trasse). Ich
brauchte dazu allerdings doppelt so lange wie früher, als ich
noch gesund war. Und ich war nach diesem Wegstück – hin und
zurück etwa eine Stunde – ermüdet. Da aber Bewegung auch
nach dem Schlaganfall geboten war, beschloß ich, diese
Wanderversuche auf steilem Gelände fortzusetzen. Ich ging
jedesmal ein Stück weiter. Auf die Weise erreichte ich am 4. Juli
2008 zum ersten Mal wieder die Schwaigmühlalm. Diese
Teilstrecke auf der Schiabfahrt von der Bergstation der
Untersbergseilbahn, von der aus durch einen kleinen Anstieg der
Salzburger Hochthron – mein früheres wöchentliches
Wanderziel – erreichbar ist, hatte ich, solange ich gesund war, in
2 ¼ Stunden bewältigt. Nun brauchte ich bis zur
Schwaigmühlalm 4 ½ Stunden, zuzüglich ½ Stunde Rast-Zeiten.
Nach so langem Ausdauer-Training fühlte ich mich glücklich,
daß ich dieses Ziel wieder erreichen konnte. Beim Abstieg
mußte ich mich besonders auf den Weg konzentrieren, und ich
brauchte daher 3 ½ Stunden.
Diese Wanderung war für mich nun also eine Tagestour. Es
hätte daher keinen Sinn gehabt, die Versuche weiter in Richtung
Gipfel auszudehnen.
Fortan ging ich, um mich ausreichend zu bewegen, wenn das
Wetter einigermaßen geeignet war, einmal jede Woche auf die
Schwaigmühlalm und einmal die kürzere Strecke bis zum
Hubschrauber-Landeplatz 3.
Eine Besserung meiner Gehfähigkeit erreichte ich durch
dieses ausgedehnte Training – nach ungefährer Berechnung pro
Tour 29.000 Schritte – auch nicht. Aber es genügte mir, daß ich
eine so weite steile Strecke bergauf und wieder bergab hinken
konnte.
Als ich zum ersten Mal die Piste erreichte, dort die
Mittagsrast hielt und nach einem bescheidenen Imbiß den
Rucksack auf den Rücken schwingen wollte, erlebte ich den
ersten Sturz. Aber ich fiel neben dem Stein, auf dem ich
gesessen war, auf das dürre Laub des Waldbodens, und ich blieb
daher unverletzt. In der Folge stürzte ich wiederholt, vor allem,
wenn ich mich beim Bergabgehen einen Augenblick nicht
konzentrierte. Aber ich fiel immer auf erdigen Boden,
Wiesenboden oder auf relativ weichen Waldboden. Ich zog mir
daher nie eine Verletzung zu. Und ich hatte ja, seit nach dem
Hörsturz auch der Gleichgewichtssinn ein wenig gestört war, die
Schipiste als Wanderweg gewählt, weil man dort zwar stürzen,
aber nicht abstürzen kann. Schlimmstenfalls wäre es möglich,
den Hang hinunterzukollern. Da ich nie Gelegenheit hatte, das
Schifahren zu lernen, war ich auch früher im Winter mit
Schneeschuhen auf dem Pistenrand auf den Salzburger
Hochthron gewandert.
Am 15. November 2008, als auf etwa 900 Höhenmetern der
erste Schnee wieder geschmolzen war, war die Piste und ihr
Umfeld besonders rutschig. Als ich mich ein kleines Stück über
den Pisterand hinaus begab, rutschte ich auf nassen Gräsern und
einem nassen Stein aus und fiel auf den Rücken. Ich kam in
einer Mulde auf dem Rucksack, mit dem Oberkörper abwärts
geneigt, zu liegen. Es schien, als würde es mir nicht gelingen,
mich wieder zu erheben. Nach einiger Plage gelang es mir, den
Rucksack abzuschnallen. Dann konnte ich mich umdrehen,
sodaß ich mich auf die Knie erheben und dann aufstehen konnte.
Kurze Zeit später kamen aber ein Mann die Piste herab und
wieder ein wenig später eine Frau die Piste aufwärts gegangen.
Ich hätte also mit Hilfe rechnen können. Mein Handy hatte sich
im Rucksack befunden, und ich hätte es nicht erreicht, wenn es
mir nicht gelungen wäre, den Rucksack abzuschnallen.
Seit diesem bedenklichen Erlebnis gehe ich über das flachere
Endstück der Schiabfahrt, das von der Bus-Endstation zur
»Umfahrung«, einer Forststraße, und auf dieser Forststraße
(Umfahrung) weiter zur steilen Schipiste führt. Auch dort kann
es auf dem Wiesenboden rutschig, oder ein Stück weiter oben
eisig sein. Wenn es ausgiebig bis ins Tal schneit, liegt dort
Schnee, wie es für die Schipiste erwünscht ist. Dafür bin ich mit
Gröderln und mit Schneeschuhen ausgerüstet.
Auf der steilen Piste würde ich mich, im Unterschied zu
früher, mit diesen Hilfen nicht mehr sicher fühlen. Aber auf
diesem relativ flachen Weg kann ich auch den Winter über
problemlos wandern. Der Weg ist zwar nicht so weit wie der im
Sommer zur Schwaigmühlalm, aber das Gehen mit Gröderln
oder Scheeschuhen ist anstrengender, sodaß ich ausreichendes
Training erreiche.
Alles in allem bietet sich mir bis auf weiteres befriedigende
Lebensqualität. Ich danke Gott dafür, und ich erinnere mich
auch dankbar der Behandlungen in der Christian-Doppler-Klinik
in Salzburg und im Rehabzentrum in Großgmain.
Salzburg, 4. Jänner 2009
Paul Abart e.h.
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