Zu Besuch bei Eragon

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Zu Besuch bei Eragon
Nachdem ich einige Tage Schreibtischarbeit hinter mir hatte und die Sonne mich durch mein
Fenster wärmend verspottet hatte beschloss ich meinem Körper ein wenig Bewegung zu
gönnen. Die Hitze der vergangenen Tage war inzwischen abgeklungen und ich machte mich
mit meinem treuen MP3-Player auf den Weg nach draußen. Entgegen meiner Erwartungen
ertönte statt der erhofften Musik die Hörbuchversion von Eragon.
Da sich am Himmel bereits einige Wolken zu formieren schienen beschloss ich mich schnell
aufzumachen um nicht durch den Regen laufen zu müssen. Meine Tour verlief durch einen
verschlafenen kleinen Wald und bereits nach wenigen hundert Metern konnte ich den Regen
auf den Baumwipfeln tanzen hören. Seufzend drehte ich die Lautstärke ein wenig höher. Als
ich den Schutz der Baumkronen verlassen musste um eine kleine Lichtung zu überqueren
erhöhte ich mein Tempo, als ich aus der Ferne ein Donnern hörte. Bevor ich das richtig
realisieren konnte schoss ein Blitz vom Himmel und ich viel bewusstlos zu Boden.
Als ich wieder aufwachte war mein MP3-Player nicht mehr aufzufinden und die Lichtung sah
irgendwie verändert aus. Das Wetter hatte sich deutlich verbessert und vom Regen war nichts
mehr zu sehen. Wie lange war ich wohl ohne Bewusstsein? Scheinbar war es noch morgens.
Also war ich entweder nur Minuten weg oder mindestens einen Tag.
Auf der Suche nach meinem MP3-Player fand ich etwas, das ich für eine schimmernde
Scherbe hielt. Als ich die Kuriosität aus dem Gebüsch holen wollte erkannte ich, dass es sich
dabei um einen relativ großen Stein handelte. Ich beschloss den Stein in meine Wohnung zu
bringen und den MP3-Player abzuschreiben. Bestimmt hatte ein anderer Jogger oder
irgendein Passant beschlossen diesen einfach mitzunehmen während ich mein unfreiwilliges
Nickerchen abgehalten hatte.
Die Freude über meinen dekorativen Fund wurde schnell getrübt als ich mir die Lichtung
näher anschaute. Gewiss hatte sie Ähnlichkeit mit meiner Erinnerung, aber alles in allem war
es eine völlig andere Lichtung als die, auf der ich zusammengebrochen war. Andererseits
konnte ich die Auswirkungen eines Blitzschlags auf meinen Körper nur bedingt abschätzen
und entschied mich dazu einem der Wege zu folgen. Früher oder später würde ich mich schon
wieder erinnern oder auf jemanden treffen, der mir helfen würde.
Nach einigen Minuten bemerkte ich den unverkennbar beißenden Geruch von Feuer und
beschleunigte meinen Gang. Schon bald erreichte ich ein kleines Dorf, aus dem Rauch
aufstieg. Ich versteckte meinen Stein in einem Gebüsch am Wegrand und eilte ins Dorf um
ggf. zu helfen. Einige der Gebäude waren bereits nahezu komplett eingefallen und ihre
kärglichen Überreste rauchten ruhig vor sich hin. Ein junger Mann versuchte verzweifelt seine
Habe aus einer der Ruinen zu retten. Ohne lange Vorreden half ich ihm bei seinem
Unterfangen, immer in der Hoffnung, dass ich keine Larp-Regeln oder dergleichen damit
verletzen würde. Als wir die Ruine geleert hatten ließ sich der Knabe erschöpft auf den Boden
fallen. Auf meine Frage wer er denn sei nannte er mir den Namen Frodo. Auf einer Larp zu
sein bestritt er jedoch und von dem ’einen Ring’ wollte er auch nichts gehört haben. Er wirkte
abgekämpft und ich schätzte sein Alter auf höchstens 17 oder 18 Jahre. Seine Kleidung war
zerrissen und wirkte sehr alt. Mit der Zeit lockerte er ein wenig auf und beantwortete einige
meiner Fragen. Leider konnte ich mit seinen Beschreibungen nicht viel anfangen. Der Ort
Furnost sagte mir zum Beispiel gar nichts. Bei dem Namen Urû’baen musste ich jedoch
stutzen. Offenbar hatte ich ein wenig zu schnell geurteilt und lag immer noch bewusstlos auf
der Lichtung rum. Mit ein wenig Glück hatte der Regen in der realen Welt bereits aufgehört.
Falls nicht drohte meinem Körper eine ernstzunehmende Erkältung. Vielleicht lag ich auch
bereits im Koma und mein Bewusstsein klammerte sich an das letzte, das es gehört hatte.
Frodos fragender Blick riss mich aus meinen Gedanken und ich beschloss diesen Traum oder
diese Komaphantasie einfach mal zu genießen. Schlagartig fiel mir der schimmernde Stein
wieder ein. Wenn der ein Drachenei war könnte das sicher recht lustig werden. Frodo bat
mich ihn nach Belatona, einer Stadt im Westen zu begleiten. Offenbar hatte er dort noch
Verwandte wohnen und hoffte bei ihnen unterzukommen. Bevor wir uns auf den Weg
machten wollte ich das potentielle Drachenei vor dem Ortseingang abholen. Vielleicht würde
sich Frodo ja als Drachenreiter entpuppen. So hätte der andere Frodo seinen Ring sicher
deutlich bequemer zerstören können. Dieser Gedanke überzog mein Gesicht mit einem
amüsierten Lächeln, das jedoch verschwand als ich mein Dracheneiversteck leer vorfand.
Plötzlich hörte ich hinter mir einen spitzen Schrei und drehte mich kampfbereit um. Frodo lag
auf dem Rücken und versuchte wild um sich tretend vor einer echsenartigen Kreatur zu
fliehen. Die Kreatur war relativ klein, hatte Flügel und schnappte spielerisch nach Frodos
Füßen. Ich schnappte mir einen Stock und lenkte das Wesen ab, damit sich der Knabe
aufrichten konnte. Das kleine Biest schnappte augenblicklich nach dem Stock und versuchte
ihn mir aus der Hand zu ziehen. Mit sanftem Rucken hielt ich dagegen und seine verspielten
Augen fixierten mein Gesicht. Schnell kam ich zu dem Schluss, dass dieses süße Wesen der
Drache aus meinem Stein sein musste. Als der kleine Racker den Stock zerbrochen hatte und
gedankenverloren auf seiner Hälfte herumkaute streckte ich meine Hand vorsichtig nach
seinem Kopf aus.
Als ich ihn berührte durchfuhr ein Stromschlag meine Hand und ich zuckte zurück.
Augenblicklich unterbrach der kleine Kerl seine Knabberei und blickte mich aus seinen
großen Augen an. Dieser scheinbar ewig andauernde Moment wurde von Frodos zögerlichen
Stimme gewaltsam beendet, als er auf eine schnelle Flucht drängte. Nachdem ich meine Hand
näher betrachtet und die Spuren des Stromschlags als Drachenreitermal interpretiert hatte
erklärte ich ihm mein Verständnis unserer Situation. Unter Frodos besorgten Blicken nahm
ich den kleinen Drachen auf dem Arm und wir begannen unsere Reise.
Meine Erinnerungen an die Geschichte von Eragon halfen mir mich mit dem Drachen
telepatisch zu verständigen. Jedenfalls war das der Plan. Aber als er sich nach gut 2 Stunden
immer noch wie ein wilder Welpe aufführte kam ich zu dem Schluss, dass mein neuer
Begleiter einfach noch nicht groß genug war um mit mir zu kommunizieren. Stattdessen
wuselte er durchs Dickicht und verschlang hier und da Insekten und kleinere Tiere. Frodo war
inzwischen deutlich gelöster in der Nähe des Drachen und warf ihm ab und zu sogar ein Stück
von dem Brot zu, das er als Reiseproviant auserkoren und aus seinem alten Dorf
mitgenommen hatte. Während sich die beiden anfreundeten dachte ich über mein Wissen aus
Eragon nach. In meinem Inneren konnte ich bereits ein Kribbeln abrufen, das ich für Magie
hielt. Leider waren mir aus der alten Sprache nicht wirklich viele Worte in Erinnerung
geblieben. Mich an komplizierten Zaubern zu versuchen konnte ich also vergessen.
Während ich so meinen Gedanken nachhing überschritt die Sonne ihren Zenit und wir
erreichten einen steilen Berg, an dem einige Gestalten obskure Rituale durchzuführen
schienen. Frodo blieb wie angewurzelt stehen und seine Züge verrieten, dass Panik in ihm
aufstieg. Hastig erzählte er mir von den Priestern, die den dunklen Göttern menschliches
Fleisch opfern würden. Raphniel, diesen Namen hatte ich dem kleinen Drachen verpasst,
machte uns deutlich ihm zu folgen. Nach einem kurzen Trip durchs Unterholz entdeckten wir
einen Drachen, der Raphniel erstaunt beschnupperte. Der Drache wirkte noch recht jung, aber
deutlich älter als mein kleiner Raphniel. Als der Drache Frodo und mich bemerkte wurde er
stutzig und zeigte seine Zähne. Einer inneren Eingebung folgend zeigte ich ihm das Mal an
meiner Hand. Auf meine Frage ob sie Saphira sei und Eragon gerade den Angriff auf den
Helgrind planen würde legte sie den Kopf schief und sprach mich offen an um meinen
Verdacht zu bestätigen. Frodo fiel in Ohnmacht und ein junger Mann tauchte zwischen den
Bäumen auf. Er wirkte sichtlich irritiert als Raphniel auf ihn zukam und blickte mich
fassungslos an.
Als Frodo wieder zu sich kam führte Eragon uns zu den anderen ins Lager und wir
unterhielten uns bis in die frühen Abendstunden hinein. Plötzlich zerschnitt ein schriller
Schrei die anbrechende Dunkelheit. Er kam aus der Richtung, in die Frodo verschwunden war
um sich Erleichterung zu verschaffen. Frodo kam mit heruntergelassenen Hosen ins Lager
gerannt uns fiel kurz vor seinem Ziel auf den Boden. Hinter ihm tauchten die Umrisse einiger
kapuzenbedeckter Gestalten auf. Raphniel rannte auf Frodo zu und wollte ihm wohl
beistehen. Eragon erholte sich als erster von seinem Schock und sprang auf während er den
anderen die Flucht befahl. Aus dem Unterholz vernahm ich Saphira, die sich schnell näherte.
Ein erstickter Schrei drang aus Frodos Richtung und ich sah wie eine der Kapuzengestalten
meinen Drachen enthauptet hatte. Fassungslos starrte ich auf das blutende Häufchen Drache,
dass ich so lieb gewonnen hatte. Eine innere Wut überkam mich und ich schrie Eragon an, er
solle mit den anderen fliehen. Frodos verzweifeltes Wimmern wurde brutal mit einem
Schwerthieb einer der Gestalten beendet, was meiner Wut weitere Nahrung gab. Instinktiv
sandte ich meinen Geist nach Saphira aus und bat sie zu verschwinden. Eragon stand bereits
mit ihr in Verbindung und ich bat ihn seine Leute in Sicherheit zu bringen. Mein unbändiger
Zorn muss in meiner geistigen Stimme mitgeschwungen haben, denn beide erhoben keinen
Widerspruch. Mit einem magischen Schub, der alles im Umkreis von 2 Metern seines Lebens
beraubte explodierten die Köpfe der Kapuzengestalten und sie sanken zu Boden.
Wutentbrannt zog ich mir einen der Kapuzenmäntel an und näherte mich mit gesenktem Kopf
und grimmiger Miene dem Helgrind.
Mein schneller Schritt und die Tatsache, dass ich alleine unterwegs war machten die anderen
Gestalten auf mich aufmerksam. Eine krächzende Stimme empfing mich und frage nach dem
Verbleib der anderen. Als ich auf etwa 3 Meter an sie herangetreten war blieb ich stehen,
sammelte meine Magie und schrie mit aller Kraft, die mein schmerzverzerrtes Herz noch
aufbringen konnte “Waise néiat“.
Benommen wurde ich wach und spürte wie mir jemand sanft auf die Wange schlug. Ich
öffnete die Augen und erblickte Frodo. Er sah stark verändert aus. Sein Gesicht war sauber
und er wirkte weniger ausgezehrt. Das gravierenste war aber seine Kleidung. Er trug eine
Hose mit einem Adidas-Logo und ein T-Shirt auf dem ’Hilfiger’ stand. Das Kabel, welches
den Knopf in seinem Ohr mit einem Gerät in seiner Hosentasche verband fiel da kaum noch
ins Gewicht. Auf mein halb benommenes ’Frodo’ schaute mich der Junge sichtlich irritiert an
und meinte er heiße Patrick. Er half mir hoch und brachte mich an den Rand der kleinen
Siedlung, in der ich wohnte. Meinen Beteuerungen zum Trotz bestand er darauf mich nicht
alleine gehen zu lassen. Unterwegs erzählte ich ihm von meinem Traum und verschwieg
dabei die genauen Details seines Doppelgängers Frodo. In der Siedlung angekommen machte
er sich wieder ans Joggen und ich machte mich auf den Weg zu meiner Wohnung. Da ich
meinen MP3-Player wiederhatte hörte ich noch ein wenig das Hörbuch weiter, als ich
schlagartig stehen blieb, da ich meinen Ohren kaum Glauben schenken mochte.
“Raphniel, der Drache des unbekannten Drachenreiters rannte todesmutig auf die
kapuzenbedeckten Gestalten zu und…“ Ich schaltete den MP3-Player aus und ging ohne
große Umwege nach hause. Es war also doch kein Traum…
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