UE „Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten für PhilosophInnen“, 30.11.2006 ReferentInnen: Tanja Svjetlanovic, Werner Klug Jean-Paul Sartre: „Der Existentialismus ist ein Humanismus“1 Atheistischer Existentialismus: Keine Bestimmung des Menschen durch ein allen gemeinsames Wesen. Existenz geht der Essenz voraus Freiheit des Menschen. Abgrenzung vom Naturalismus, der von Milieu-Abhängigkeit und Determiniertheit ausgeht. Sartre: Falsche Rechtfertigungen, geben dem Menschen nur Entschuldigungsmöglichkeiten im Sinne von „so sind wir, niemand kann etwas dagegen tun.“ (EH, 163). Keine vorgegebenen Werte, stattdessen vom Menschen selbst gewählt: „Der Mensch ist nicht anderes als das, wozu er sich macht.“ (EH, 150) Freiheit bedeutet gleichzeitig die volle Verantwortung des Menschen für sich selbst und sein Tun. Priorität des Handelns: Handlungen erschaffen „den Menschen […], der wir sein wollen“ (EH, 151). Der Mensch schafft mit jeder Handlung „zugleich ein Bild des Menschen [...], wie er unserer Ansicht nach sein soll“ (EH, 151). „[D]ieser Mensch kann dem Gefühl seiner totalen und tiefen Verantwortung nicht entrinnen.“ (EH, 152) Vor dem Hintergrund dieser Handlungsfreiheit und Verantwortung entsteht Angst. Verlassenheit aufgrund des Mangels an Werten a priori: „Und wenn wir von Verlassenheit sprechen [...], wollen wir nur sagen, daß Gott nicht existiert und daß man daraus bis zum Ende die Konsequenzen ziehen muß.“ (EH, 153f.) Verzweiflung: Wir können nur mit dem rechnen, „was von unserem Willen abhängt, oder mit der Gesamtheit der Wahrscheinlichkeiten, die unser Handeln möglich machen.“ (EH, 159) Dies führt aber nicht zu Tatenlosigkeit: „Zunächst muß ich mich engagieren, dann entsprechend der alten Formel handeln: ‹Man braucht nicht zu hoffen, um etwas zu unternehmen.›“ (EH, 161) Sartre grenzt sich von jenem Humanismus ab, der der Menschheit einen Wert verleihen will (u. a. wegen der damit postulierten „Natur“ des Menschen). Demgegenüber Sartres Appell an die Freiheit des Menschen: „Humanismus, weil wir den Menschen daran erinnern, daß es keinen anderen Gesetzgeber als ihn selbst gibt und daß er in der Verlassenheit über sich selbst entscheidet.“ (EH, 176) Vier Hauptvorwürfe zu den Grundthesen des Existentialismus und Sartres Entgegnungen: 1. Tatenlosigkeit: Angst des Menschen als „Bedingung seines Handelns“ bzw. „Teil des Handelns selbst“ (EH, 153). Der Mensch existiert nur im Handeln. 2. Pessimismus: Befreiung von Illusionen und Entzug der Möglichkeit von Rechtfertigungen; stattdessen Verweis auf die Eigenverantwortlichkeit: „Du bist nichts anderes als dein Leben“ (EH, 162). Dementsprechend Möglichkeit, sich immer wieder zu ändern; sich mit jeder Handlung neu zu definieren. Insofern ist der Existentialismus nach Sartre eher der „optimistische[n] Härte“ (EH, 163) zu bezichtigen. 3. Einsamkeit: Hinweis, dass die Subjektivität tatsächlich Ausgangspunkt ist: Descartes’ cogito. „[D]as ist die absolute Wahrheit des sich selbst erreichenden Bewußtseins.“ (EH, 165) Aber: 1. Subjektivität befreit den Menschen aus seinem Objekt-Status: Er wird zwar „ungewollt in die Welt geworfen“, doch kann er zumindest ohne durch Determinismus hervorgerufene Einschränkungen, sein Leben selbst gestalten. 2. Im cogito ist das Verständnis des Anderen mit inbegriffen: Der Mensch „wird sich dessen bewußt, daß er nichts sein kann (in dem Sinn, wie man sagt, man sei geistreich oder man sein böse oder man sei eifersüchtig), wenn nicht die anderen ihn als solchen anerkennen.“ (EH, 165f.) Subjektivität bedeutet daher immer auch „Inter-Subjektivität“ (EH, 166). 3. Gemeinsam ist den Menschen die conditio humana: keine menschliche „Natur“, sondern eine Allgemeinheit im Sinne von a priori gesetzten Grenzen: „Was nicht variiert, ist die Notwendigkeit, in der Welt zu sein, in ihr zu arbeiten, inmitten anderer und sterblich zu sein.“ (EH, 166) 4. Grundlosigkeit und Beliebigkeit: Ad „Beliebigkeit des Handelns“: Man hat zwar die Möglichkeit der Wahl, aber es ist unumgänglich eine Wahl zu treffen: „Wenn ich nicht wähle, wähle ich immer noch.“ (EH, 168) Anstelle von Beliebigkeit und Grundlosigkeit Vergleich mit „einer schöpferischen Situation“ (EH, 169) im Rahmen des Erschaffens eines Kunstwerks. Ad „Keine Kriterien zur Beurteilung“: Sartre gesteht ein, dass es im Falle einer Wahl „in aller Aufrichtigkeit und bei klarstem Bewußtsein“ (EH, 170) keine Kriterien zur Bevorzugung bestimmte Entwürfe gibt. Zweierlei Urteile sind möglich: Logisches Urteil: Jede Wahl, die sich mit einem Determinismus oder einer Leidenschaft begründet, ist unaufrichtig und folglich ein Irrtum, da der Mensch die Freiheit negiert. Moralisches Urteil über jene, die sich dieser Freiheit entziehen wollen („Feiglinge“, die sich mit deterministischen Entschuldigungen über ihre totale Freiheit hinwegtäuschen wollen) und über jene, die die Kontingenz ihres Seins nicht anerkennen („Schurken“, die glauben, ihre Existenz sei notwendig). Ad „Abschaffung von Werten a priori bei gleichzeitiger Annahme von ‚ernstzunehmenden’ Werten“: „Bevor Sie leben, ist das Leben nichts, es ist an Ihnen, ihm einen Sinn zu geben, und der Wert ist nichts anderes, als dieser Sinn, den Sie wählen.“ (EH, 174) Übers. v. V. v. Wroblewsky in: Der Existenzialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943 – 1948. Übers. v. W. Scheel, H. Schöneberg und V. v. Wroblewsky. Phil. Schriften 4. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2002, 145 - 176. (Zit.als: EH.) 1