Prof. Dr. jur. Jan-Reinard Sieckmann Forschungsvorhaben Meine Forschungsvorhaben drehen sich um eine Kernthese: Autonomie ist die Abwägung normativer Argumente. Dabei wird Autonomie verstanden als Selbstgesetzgebung im Sinne der Bestimmung der geltenden Normen durch die Normadressaten selbst, Abwägung als Verfahren der Begründung normativer Urteile aufgrund der Bildung eines Vorrangs unter kollidierenden normativen Argumenten und normative Argumente als reiterierte Geltungsgebote, die ein bestimmtes Ergebnis der Abwägung fordern. Die These der Autonomie als Abwägung normativer Argumente wird in verschiedenen Richtungen entfaltet. Meine Forschungen richteten sich bisher vor allem auf die zentralen Begriffe der Kernthese: normative Argumente, Abwägung und Autonomie (systematisch entwickelt in "Recht als normatives System", 2009, und "The Logic of Autonomy", 2012). Sie haben Grundzüge einer Konzeption von Autonomie im Sinne von Selbstgesetzgebung entwickelt, die von anderen Autonomiekonzeptionen (wie Selbstbestimmung, persönliche Autonomie, Willensfreiheit) deutlich zu unterscheiden ist. Ferner sind in diesen Arbeiten die Grundstrukturen des Rechts als eines normativen, mit Anspruch auf Verbindlichkeit verbundenen Systems auf der Grundlage der Idee individueller Autonomie rekonstruiert worden. Gegenwärtig arbeite ich an einer vertieften Analyse von Konflikten und Abwägungen im Recht, aber auch von Voraussetzungen und Grenzen der Abwägung (im Projekt "Konflikte, Abwägungen, Rechte"). Auf der Grundlage dieser Untersuchungen sollen in weiteren Forschungen Theorien der Grund- und Menschenrechte als Autonomierechte sowie der Demokratie als Institutionalisierung politischer Autonomie entwickelt werden. Auch frühere Forschungen können aber nicht als abgeschlossen gelten, sondern bedürfen der Präzisierung und Vertiefung. Sie werden daher im Folgenden ebenfalls aufgeführt. (1) Normative Argumente Die normtheoretische Grundlage meiner Theorie bildet die Konzeption normativer Argumente. Sie werden verstanden als Gründe für Abwägungsurteile, die gerade in der Situation des Konflikts mit gegenläufigen Argumenten Gründe für ein bestimmtes normatives Urteil darstellen. Die Frage ist, welche logische Struktur diese Eigenschaft erklären kann. Methodisch geht es um eine analytische Untersuchung der Struktur von Normen und Normbegründungen. Die Analysen haben zunächst zu zwei negativen Thesen geführt: Normative Argumente können keine propositionale Struktur haben (NichtPropositionalitätsthese), denn würden Normen direkt in Form normativer Propositionen vorgebracht, würde dies beanspruchen, normative Tatsachen zum Ausdruck zu bringen, und damit die Anerkennung der gleichzeitigen Geltung kollidierender Argumente ausschließen. Die Begründung von Abwägungsurteilen hat nicht die Form einer logischen Folgerung (Nicht-Inferentialitätsthese). Denn das Abwägungsurteil schreibt einer Norm definitive Geltung zu, die die gleichzeitige definitive Geltung anderer Normen ausschließt. Die abzuwägenden Argumente haben aber nur prinzipielle Geltung, sind also schwächer als die Konklusion. Positiv sind normative Argumente dadurch charakterisiert, dass sie Anerkennungs- und Geltungsgebote enthalten: sie fordern, eine bestimmte Norm als definitiv gültig anzuerkennen, kurz, dass diese Norm definitiv gelten soll. Das Problem, dass dieses Gebot nicht - jedenfalls nicht direkt - in Form einer normativen Proposition ausgedrückt werden kann, führt zur Konstruktion reiterierter Geltungsgebote (Reiterationsthese). Jedes Geltungsgebot wird durch eines höherer Stufe gestützt. Normative Argumente bestehen somit aus einer infiniten Menge von Geltungsgeboten erster und jeweils höherer Stufe. Normative Argumente sind damit logisch von normativen Aussagen zu unterscheiden. Diese Konzeption normativer Argumente gibt die Struktur interessenbasierter Argumente wieder, vermeidet das Münchhausen-Trilemma, dem sich deduktive Begründungen gegenübersehen, und erklärt, warum für Abwägungsurteile ein normativer Richtigkeitsanspruch erhoben werden muss, auch wenn sich dieses Urteil nicht auf objektive, für jeden erkennbare Kriterien stützen lässt. Offene Probleme und Gegenstand künftiger Forschungsvorhaben sind: - die Semantik normativer Argumente. Die herrschende Semantik ist an Propositionen und Aussagen orientiert, also an wahrheitsfähigen Sätzen, orientiert. Alternativen, wie eine expressivistische Semantik, passen nicht auf normative Argumente. Zu entwickeln bleibt auch wenn wir normative Argumente zweifellos verstehen können - eine Theorie der Bedeutung normativer Argumente. - die Logik normativer Argumentation. Es scheint, dass aus normativen Argumenten fast keine logischen Folgerungen möglich sind, von logischer Äquivalenz (Bedeutungsidentität) und Substitution von Individuen für Variablen abgesehen. Stets ist zu prüfen, ob die Reiteration von Geltungsgeboten auch bei veränderter Beschreibung der in Frage stehenden Sachverhalte möglich ist. Auf der Ebene normativer Aussagen lassen sich Normen hingegen wie Tatsachen behandeln. Es gibt allerdings alternative nicht-deduktive Ansätze zu einer Logik der Argumentation. Große Beachtung haben nicht-monotone Logik und "defeasible reasoning" gefunden. Diese erscheinen allerdings für die Analyse von Abwägungsproblemen nicht adäquat. Dennoch bleibt die Logik normativer Argumentation klärungsbedürftig. (2) Abwägung Die Abwägung normativer Argumente ist die spezifische Methode für den rationalen Umgang mit konfligierenden Argumenten. Die Grundidee lässt sich in einem Optimierungsmodell veranschaulichen, das mittels Pareto-Optimalitätskriterium und Indifferenzkurven definiert, welche Lösungen eines Abwägungsproblems als optimal anzusehen sind (dazu Susan Hurley, Natural Reason, 1989). In diesem Modell lassen sich Kriterien für die Korrektheit von Abwägungsurteilen entwickeln. Diese Kriterien reichen allerdings, wenn es sich um ein echtes Abwägungsproblem handelt, nicht aus, das Ergebnis zu bestimmen. Insofern handelt es sich um "autonome Abwägung", die im Ergebnis frei, aber durch normative Argumente gebunden sind. Gegenstand der Forschung sind Struktur und Kriterien solcher Abwägung. Methodisch handelt es sich um analytische Untersuchungen von Abwägungen als Verfahren der Normbegründung. Offene Probleme sind: - die Verteidigung der Konzeption autonomer Abwägung. Es gibt alternative Modelle der Abwägung. So wird Abwägung häufig als Deliberation verstanden, bei der es um die objektive Bestimmung der konkreten Gewichte der kollidierenden Belange geht. Zu klären ist, inwieweit dies möglich ist. Von besonderer Relevanz ist dabei die "Gewichtsformel" Robert Alexys, die trotz offensichtlicher Mängel außerordentlich einflussreich geworden ist (zur Kritik "La teoría del derecho de Robert Alexy", 2014). Ein spezifisches Problem dieser Formel ist, welche Rolle die Verlässlichkeit der Prämissen bei der Abwägung spielt, insbesondere ob sie in die Abwägung erster Stufe einfließt oder verschiedene Stufen der Abwägung zu unterscheiden sind. - die Bestimmung der Faktoren der Abwägung. Im Rahmen des Optimierungsmodells sind die Faktoren des Grades der Erfüllung bzw. Beeinträchtigung der abzuwägenden Belange sowie des abstrakten Gewichts dieser Belange begrifflich zu präzisieren und im Hinblick auf ihre objektive Bestimmbarkeit zu prüfen. Abwägung als Instrument rationaler Konfliktlösung 2 muss sich auf verlässlich anwendbare Kriterien stützen, so dass die abwägungsrelevanten Bewertungen nicht als beliebige subjektive Einschätzungen erscheinen. Dies erfordert es, über die Analyse der Struktur von Abwägungen hinaus sich verstärkt mit Anwendungsproblemen des Abwägungsmodells zu befassen. Methodisch erfordert dies neben der strukturtheoretischen Analyse von Abwägungen auch normative Annahmen über richtige oder plausible Abwägungsergebnisse. In dem aktuellen Forschungsvorhaben "Konflikte, Abwägungen, Rechte" sollen Grundkonflikte im Recht dargestellt, die Abwägung als Methode rationaler Konfliktlösung entfaltet und Grundpositionen, die im Abwägungsmodell nicht in Frage gestellt werden können, herausgearbeitet werden. - legislative Abwägungen: Juristische Theorien der Abwägung behandeln in der Regel richterliche Abwägungen. Dies hat zwei typische Konsequenzen: die Vermengung der Analyse der Struktur der Abwägung mit der Struktur richterlicher Kontrolle und die Betrachtung lediglich des elementaren Falls von Abwägung, bei dem es um zwei kollidierende Prinzipien mit Blick auf eine in Frage stehende Rechtsfolge geht. Legislative Abwägungen sind demgegenüber ein interessanter Untersuchungsgegenstand, weil Abwägungen in Reinform, ohne Blick auf Kontrollkompetenzen auftreten. Zudem kommen aus Sicht des Gesetzgebers u.U. mehrere Lösungsalternativen in Betracht. Wie ist das Abwägungsmodell zu modifizieren, wenn Konflikte zwischen mehr als zwei Prinzipien im Konflikt stehen und/oder eine Entscheidung unter mehr als zwei möglichen Rechtsfolgen zu treffen ist? (3) Autonomie Autonomie im Sinne von Selbstgesetzgebung lässt sich als Abwägung normativer Argumente verstehen. Dabei handelt es sich zunächst um individuelle Abwägungen einzelner Urteilender, die aber Teil eines Prozesses intersubjektiver Reflektion der möglicherweise divergierenden individuellen Abwägungsurteile sein muss. Wichtig ist, dass diese Abwägung nicht vollständig durch vorgegebene Kriterien bestimmt ist, dass es sich also um autonome Abwägung handelt. Solche autonomen Abwägungen sind dadurch charakterisiert, dass der Urteilende in seinem Urteil nicht vollständig durch vorgegebene Kriterien determiniert und damit frei ist, dass andererseits von ihm für sein Abwägungsurteil, wie immer es ausfallen mag, beansprucht werden muss, dass es durch die stärkeren und daher vorgehenden Gründe geboten ist. Damit sind die Urteilenden selbst gesetzgebend, müssen sich aber als durch die selbstgesetzten Normen gebunden verstehen. Methodisch geht es um die Analyse von Begriffen und Normbegründungsstrukturen. Für das Problem der objektiven Gültigkeit im Sinne der Verbindlichkeit von Normen ergibt sich aus diesem Ansatz, dass autonome Subjekte zwar stets das Recht haben, gegen herrschende Normvorstellungen zu opponieren, dass sich aber, wenn begründet werden kann, dass eine allgemeinverbindliche Norm notwendig ist, und wenn sich vernünftige Konvergenz darüber ergibt, welche Norm dies sein soll, objektiv gerechtfertigt werden kann, diese Norm als verbindlich zu behaupten und auch gegenüber Opponenten durchzusetzen. Diese These ergibt sich aufgrund minimaler Rationalitätsannahmen aus der Struktur von Normbegründungen. Offene Probleme: - Verteidigung gegen konkurrierende Konzeptionen von Autonomie. Ein Problem der Konzeption von Autonomie als Abwägung normativer Argumente ist, dass sie in Gegensatz zu in der Philosophie herrschenden Auffassungen von Autonomie steht. Insofern ist meine These, dass Philosophen sich bisher kaum für Autonomie im Sinne von Selbstgesetzgebung interessiert haben und kein adäquates Verständnis dieser Idee entwickelt haben. Diese These ist gegenüber konkurrierenden Auffassungen zu begründen und zu verteidigen. 3 - Moralischer Realismus und Kognitivismus. Insbesondere steht eine Auseinandersetzung mit dem moralischen Realismus aus. Sollte die Annahme des Realismus, Normen existierten unabhängig von Auffassungen der Menschen, zutreffen, würde dies der Konzeption von Autonomie als Selbstgesetzgebung die Grundlage entziehen. Sie bliebe damit ein in sich stimmiges Modell, das aber keinen Anwendungsbereich hätte. Entsprechendes gälte, wenn kognitivistische Positionen zeigen könnten, dass die richtige Lösung von Abwägungsproblemen objektiv erkennbar sei. Insofern ist eines der nächsten Forschungsvorhaben die Auseinandersetzung mit dem moralischen Realismus und Kognitivismus. (4) Recht und Autonomie Recht als verbindliche Ordnung lässt sich nur im Rahmen einer Konzeption autonomer Moral rechtfertigen. Die Autorität des Rechts, normativ verstanden, kann also nur aufgrund individueller Autonomie begründet werden. Andererseits ist es die Aufgabe des Rechts, allgemeinverbindliche Normen für eine Gesellschaft zu setzen. Damit ist es eine Funktion des Rechts, individuelle Autonomie zurückzudrängen. Es bleibt die Frage, wieweit Recht dabei gehen kann und inwieweit autonome Strukturen im Recht erhalten bleiben. In methodischer Sicht sind damit analytische und normative Fragen aufgeworfen. Offene Probleme: - autonome Abwägung und juristische Interpretation. Zu klären ist, inwieweit juristische Abwägungen als autonome Abwägungen konzipiert werden können oder müssen. Es könnte sein, dass Abwägungen im Rahmen einer etablierten Rechts- oder Verfassungsordnung in weitem Umfang einem Prozess kognitiver Deliberation entsprechen und autonomes Urteilen durch autoritative Festsetzungen verdrängt wird. - Verfassungsinterpretationen als autonomes Recht. Es scheint aber, dass dies auf der Ebene verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nur eingeschränkt möglich ist. Daraus ergibt sich die These, dass Verfassungsinterpretation in relativ weitem Maß als autonome Abwägung zu konzipieren ist, im Unterschied zur Rechtsanwendung in anderen Bereichen, die dem ersten Eindruck nach ebenfalls Abwägungen enthält. - Grenzen der Abwägung: In dem Forschungsvorhaben "Konflikte, Abwägungen, Rechte" geht es auch um Grenzen der Abwägung, also Normen, die im Abwägungsmodell nicht in Frage gestellt werden können. Diese Grenzen lassen sich aus Prinzipien der Autonomie, Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechte, Gleichheit und Gerechtigkeit begründen. Eine offene Frage ist allerdings der konkrete Gehalt dieser Prinzipien, der im Abwägungsmodell außer Frage steht. (5) Autonomie, Menschen- und Grundrechte Aus der Idee der Autonomie lassen sich moralische Autonomierechte, spezifische Menschenrechte, die sich aus Forderungen autonomer Subjekte ergeben, ihre fundamentalen Interessen zu respektieren, und die Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Anerkennung von Grundrechten begründen. Dies sind notwendige Grenzen für den Autoritätsanspruch des Rechts. Zu klären ist, wie solche Grenzen näher zu bestimmen sind. Methodisch geht es neben der Analyse von Normbegründungen auch um normative Fragen, ob und welche normativen Gehalte in Rechtssystemen notwendig sind. Mit der Konzeption spezifischer Menschenrechte kommen zudem empirische Fragen ins Spiel, welche fundamentalen Interessen von Menschen geltend gemacht werden, wie wichtig solche Interessen ihnen sind und welche Faktoren die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes bestimmen. Forschungsvorhaben: - Menschenwürde und Autonomie. Die Konzeption der Autonomie als Abwägung 4 normativer Argumente ist formal insofern, als Autonomie als eine Struktur normativer Urteilsbegründung verstanden wird. Autonomie ist damit unabhängig von der Idee der Menschenwürde. Fraglich ist, in welchem Verhältnis Autonomie und Menschenwürde zueinander stehen. Forschungshypothese ist, dass über die Zuschreibung von Menschenwürde bestimmt wird, wer als autonomes Subjekt anerkannt oder autonomen Subjekten gleichgestellt wird. - Abwägungsfähigkeit von Menschenrechten. Es ist umstritten, ob und inwieweit Menschenwürde gegen andere Belange abgewogen werden kann. Als Voraussetzung der Möglichkeit von Normbegründung ist Autonomie notwendig anzuerkennen und nicht abwägungsfähig. Das Gebot der Anerkennung individueller Autonomie kann als Inhalt von Menschenwürde formuliert werden. Insofern Subjekte autonom urteilen können, müssen sie als Zweck an sich selbst und Träger von Menschenwürde angesehen werden, und Menschenwürde verlangt die Respektierung individueller Autonomie. Wenn über die formale Konzeption der Autonomie hinaus Menschenwürde als nicht abwägungsfähig angesehen wird, dann - so meine Forschungshypothese - als Ausdruck einer bestimmten politischmoralischen Kultur. - universeller oder transnationaler Charakter von Menschenrechten. Die Idee von Menschenrechten ist die universeller Rechte, die für alle Menschen in jedem Rechtssystem gelten. Diese Idee ist in verschiedenen Hinsichten problematisch. Insbesondere ist gerade im Abwägungsmodell fraglich, inwieweit über strukturelle Voraussetzungen der Begründung von Normen und der Legitimität von Rechtsordnungen hinaus spezifische Rechte als universell gültig begründet werden können. Auf einer abstrakten Ebene scheint dies möglich. Bei konkreten Gehalten von Grund- und Menschenrechten scheint es hingegen Spielräume zu geben, die dem Universalitätsanspruch entgegenstehen. Angesichts dieser Probleme könnte es vorzugswürdig erscheinen, Menschenrechte als transnationales Verfassungsrecht zu konzipieren. Offenbar gibt es eine Konvergenz verschiedener Verfassungssysteme im Bereich der Grund- und Menschenrechte. Wenn dies nicht aus universellen Menschenrechten abgeleitet werden kann, ist fraglich, welches die Faktoren sind, die diese Konvergenz tragen, und wie weit sie reichen. - Menschenrechte als transnationales Verfassungsrecht in Europa und Lateinamerika. Konkreter soll die Hypothese der Menschenrechte als transnationales Verfassungsrecht mit Blick auf Europa und Lateinamerika untersucht werden. Hier sind Konvergenzen deutlich zu erkennen, sowohl innerhalb Europas und Lateinamerikas wie auch zwischen ihnen. (6) Autonomie und Demokratie These zur Demokratietheorie ist, dass es die Aufgabe demokratischer Systeme ist, die Ergebnisse autonomer Normbegründungen zu simulieren, d.h. in Verfahren, die sich mehr oder weniger weit von der Struktur autonomer Argumentation entfernen, zu Ergebnissen zu gelangen, die aufgrund autonomer Argumentation zu erwarten wären. Methodisch geht es neben analytischen und normativen Fragen bei der Entwicklung eines Ideals von Demokratie auch um empirische Fragen der Institutionalisierung von Demokratie sowie der Evaluation demokratischer Institutionen anhand idealer Demokratievorstellungen. Forschungsvorhaben: - formelle und materielle Demokratiekonzeptionen. Nach formellem Verständnis wird Demokratie in Wahlen und Abstimmungsverfahren realisiert, in denen die Beteiligten ihren Willen zum Ausdruck bringen. Nach materiellem Verständnis müssen politische Entscheidungen daran orientiert sein, die Interessen der Betroffenen angemessen zu berücksichtigen und zu realisieren. Eine rein formelle Konzeption der Demokratie erscheint nicht ausreichend. Interessant ist hier John Rawls' Konzeption öffentlicher Vernunft, der auch 5 von Wählern verlangt, ihre Entscheidungen nicht an privaten Interessen, sondern an Prinzipien öffentlicher Vernunft zu orientieren. Dies geht in Richtung einer materiellen, prinzipiengeleiteten Demokratiekonzeption. - die Qualität demokratischer Legitimation. Demokratie ist eine notwendige Voraussetzung der Legitimation öffentlicher Herrschaft, aber diese Legitimation kann mehr oder weniger stark sein. Gegenüber einem Ideal demokratischer Legitimation sind Abstufungen möglich. Es ist also ein System der Beurteilung der Qualität demokratischer Legitimation zu entwickeln und zu fragen, wie ein möglichst hohes Maß an demokratischer Legitimation erreicht werden kann. - Argumentation und demokratische Legitimation. Ein wesentlicher Faktor demokratischer Legitimation ist die Argumentation in öffentlichen Angelegenheiten. Sie findet in verschiedenen Foren statt. Von hervorgehobener Bedeutung ist die parlamentarische Argumentation. Aber welchen Einfluss hat sie auf politische Entscheidungen? Welche Anforderungen an politische Entscheidungsbildung sind in argumentativer Hinsicht zu stellen? Wie und inwieweit lassen sie sich realisieren? Welche Konsequenzen sind daraus institutionell zu ziehen? - politische Unabhängigkeit im demokratischen System. Unabhängigkeit von Justiz oder anderen Einrichtungen, wie Zentralbanken, gelten als Einschränkung der Demokratie. Nach der skizzierten materiellen Konzeption der Demokratie könnten sie aber integraler Bestandteil eines demokratischen Systems sein, der notwendig ist, Defizite eines formal-demokratischen Systems zu kompensieren. - Supranationalität und transnationale Demokratie. Demokratie bedarf eines institutionellen Rahmens, der traditionell durch Nationalstaaten bereitgestellt wird. Dies begrenzt zugleich die Realisierung von Demokratie. Interessen derjenigen, die nicht dem betreffenden Staat angehören, werden ausgegrenzt. Dieses Defizit lässt sich in zwei Richtungen verringern: durch die Entwicklung supranationaler Einrichtungen wie etwa der EU oder der grenzüberschreitenden Berücksichtigung von Interessen in nationalen Demokratien. 6