Special Section Onkologie 1989;12(suppl. 3):3-4 Editorial Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/3/2017 8:53:25 AM Paul Ehrlich hat 1909 erkannt, daß ein intaktes Immunsystem für die Resistenz gegen die Neoplasie notwendig ist. Dieses Konzept wurde als «immunosurveillance» (immunologische Überwachung) durch Lewis Thomas 1959 und später durch Sir McFarlane Burnet 1970 weiter entwickelt. Der Surveillance-Hypothese zufolge wird das Gros der malig-ne entarteten Zellen bereits kurz nach seiner Entstehung vom Immunsystem erkannt und eliminiert. Im Widerspruch zur Surveillance-Hypothese weisen einige Ergebnisse Tier-experi-menteller Untersuchungen darauf hin, daß das Immunsystem erst reagiert, wenn der Tumor eine gewisse Größe hat. In einigen Fallen mag auch eine für das Immunsystem ungünstige Lokalisation des Tumors zu dessen «Unsichtbarkeit» beitra-gen. Der überzeugendste Hinweis auf ein verzögertes Einset-zen der Immunantwort ist das «sneaking through»-Phänomen (durch die Immunabwehr schlüpfen). Zur Erklärung des «sneaking through» nimmt man an, daß Tumorzellen, die man in kleinsten Dosen appliziert, zunächst unerkannt bleiben und sich daher ungestört vermehren können. Kommt die Immunantwort in Gang, ist es meistens zu spat, weil sich der Tumor bereits organisiert hat und progressiv wächst. Tumorzellen, die man in höheren Dosen verabfolgt, können jedoch abgestoßen werden, weil das Immunsystem sie rascher erkennt. Eine andere Erklärung ist die Selektion der Krebszellpopulationen mit schwacher Immunität: Zellen mit höherer Anzahl Anti-genrezeptoren auf der Zellmembran werden durch Immun-mechanismen zerstört. Ob diese Erklärungen zutreffen, ist nicht bewiesen. Nur so viel scheint sicher: die Krebszellen in der vom Immunsystem unbehelligten Latenzphase verschaffen sich einen Vorteil, der vom Immunsystem später nicht mehr wettzumachen ist. Die entstehenden Immunzellen können zwar das Wachstum des Primärtumors nicht mehr aufhalten, aber sie können u. U. verhindern, daß erneut in den Tumorträ-ger injizierte Tumorzellen Fuß fassen und auswachsen. Das Phänomen, daß ein Versuchstier mit einem progressiv wach-senden Tumor erneut injizierte Zellen desselben Tumors ab-stößt, ist bereits von Paul Ehrlich beobachtet worden; Bash-ford hat es 1908 «concomitant immunity» genannt. Man ver-mutet, daß das Wachstum von Metastasen ebenfalls von der «concomitant immunity» beeinflußt wird. Bei frühen und mittleren Stadien des Tumorwachstums ist die concomitant immunity offenbar tumorspezifisch, in Spätsta-dien des Tumorwachstums sind es in erster Linie unspezifische Effekte, die das Auswachsen eines Tumorzweittransplantats verhindern können. Mitchinson zeigte, daß die Immunität gegen Tumortransplan-tate adoptiv durch Lymphozyten übertragen werden kann. Der passive Transfer ist nur erfolgreich, wenn er sehr früh nach der Transplantation der Tumorzellen erfolgt. Die antitumoröse Reaktivität der Lymphozyten ist besonders von den T-zytotoxischen Zellen (TC) abhängig, welche die Tumor-assoziierten Antigene (TAA) in Verbindung mit den MHCAntigenen in der Zellmembran erkennen. Mit der Erforschung der Lymphoid-Zell-Rezeptoren, die in der Lage sind, mit Epitopen auf der Zellmembran einschließ-lich der Krebszellen zu reagieren, haben auch die Kenntnisse über die Molekularprodukte der Lymphozytenaktivierung zugenommen. Diese «Molekularboten» genannten Zytokine oder Lymphokine beinhalten sehr viele Stoffe – vom Inter-feron (IFN) bis zu den Interleukinen. Obwohl in den letzten Jahren sehr viel Energie in die Krebs-therapie mit Interferon investiert wurde, wird heute dem Interleukin 2 (IL-2) – dem T-Zell-Wachstumsfaktor – die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Zellen, die an der Immun-reaktion gegen Tumore teilnehmen, wie z.B. verschiedene Klassen der T-Zellen, einschließlich der T-zytotoxischen, der B-Lymphozyten, der NK-Zellen, der natural-zytotoxischen (NC)-Zellen, der Makrophagen, und der Lymphokinaktivier-ten Killer-Zellen (LAK) sind von der IL-2-Aktivität abhängig. Klinische und experimentelle Manipulationen der Immun-reaktivität gegen Tumore erfolgten durch die i.v. oder Lokal-gabe des IL-2 alleine, aber auch zusammen mit in vitro akti-vierten Mononukleärzellen. Die Studien mit IL-2 alleine sowie mit IL-2 und adoptiv transferierten Lymphoid-Zellen zeigten eine bedeutende Rückbildung des Tumors: hohe IL-2-Dosen waren aber sehr toxisch – bis hin zum gefürchteten «capillary leakage syndrom» mit Lungenödem und Tod. Parallel wird weiterhin versucht, die Antigenizität der Krebszellen zu erhöhen, um sie angreifbar zu machen oder durch die Aktivierung der Paramunitätsmechanismen (besonders die Aktivierung der NK und Makrophagen durch die sogenannten «biologicâl response modifiers», (BRM) das Wachstum des Tumors zu bremsen. Andere Möglichkeiten der Tumorwachstumsbeeinflussung, wie z.B. durch Änderung der extrazellulären Matrix (Grund-substanz), Hemmung der prokoagulativen oder fibrinolyti-schen Aktivität der Krebszellen (und damit die Vorbeugung der Metastasenbildung und der Invasivität) ‚ sind das Objekt erweiterter Klinikstudien. Es wird auch versucht, durch Spurenelemente und Vitamine die oxidoreduktiven Prozesse zu beeinflussen und damit «den Haushalt der Krebszellen» zu stören und durch BRM das Gleichgewicht zwischen den aktivierenden und Suppressor-mechanismen wieder herzustellen. Unentbehrlich ist die Erforschung der Suppressoren der Im-munreaktion, die mindestens bei den Patienten mit fortge-schrittenem Krebs so gut vertreten sind. Hier spielt die Re-duktion der Tumormasse die größte Rolle – aber auch die 4 Editorial Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/3/2017 8:53:25 AM Eliminierung der Suppressoren durch Plasmapherese oder die Inhibition der Zellen mit Suppressorfunktion. Der Inhalt dieser Zeitschrift ist eine Wiedergabe diverser Richtungen der Immunforschung in Deutschland. Originelle Aspekte der Zell-extrazellulären-Matrix-Beziehung und der Funktion der neutrophilen Granulozyten als wichtige Regler der Homöostase (Heine), des immunologischen Monitoring, des Mammakarzinoms (Mallmann, Koenig und Krebs) und die Beeinflussung der Parameter der zellulären Immunität und des klinischen Verlaufs von gynäkologischen Tumorpatienten (Mallmann und Krebs) sind ein Teil dieser Sondernummer. Wybran, Libin und Schandene beobachteten die Erhöhung der Produktion von αTNF, IL-2, IL-1, τ-IF durch OM-89, ein E.-Coli-Extrakt. Papadopoulos und Wand konnten die Ne-benwirkungen der aggressiven Chemotherapie mit xenogenen Peptiden (Faktor AF2) reduzieren: hierbei handelt es sich um eine prospektive, randomisierte Studie. In einer randomisierten Studie wurde an 70 Patientinnen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom untersucht, ob eine Zu-satzbehandlung mit Esberitox N die Nebenwirkungen einer kombinierten Chemo-Strahlen-Therapie verhindern oder min-dern kann (Bendel, Bendel, Renner, Carstens, Stolze). Hage-dorn untersuchte Patienten mit chronisch rezidivierenden, bakteriellen Hautinfektionen (Pyodermien, Furunkulosen) und mit chronisch rezidivierenden Candidiosen unter Thera-pie mit einem Thymuspräparat und konnte zeigen, daß die anfänglich erniedrigte Phagozytoseaktivität durch diese The-rapie gesteigert werden konnte. Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/3/2017 8:53:25 AM Beck, Schramel, Hedl, Jäger und Kaboth verfolgten den Serumgehalt von Ca, Cu, Fe, K, Mg, P, Se und Zn bei HIVInfizierten. Bei erniedrigten Serumkonzentrationen wurde eine gezielte Substitution empfohlen. Coeugniet beschreibt die Rolle der Lymphokinspaltprodukte als Lymphokininhibitoren (am Beispiel Herpes-simplex-Infek-tion) und die Beeinflussung dieser Inhibitoren durch Immunomodulatoren (Thymuspräparate und Indomethacin). Die aktuelle Sondernummer der Zeitschrift Onkologie («lm-munomodulation») erscheint zwei Jahre nach dem ersten ge-glückten Versuch, Vertreter der Universítätsforschung, der Praxis und der Industrie um einen Tisch zu versammeln. Es ist ein Erfolg, weil in unserem Lande die Immunomodulation immer noch das Privileg einer Universitätsauslese oder einiger enthusiastischer Praktiker ist, die mit vielen Ressentiments der etablierten «Kassenmedizin» zu kämpfen haben. Glück-liches Amerika mit der Interdisziplinärforschung, mit Mann-schaften von Ärzten, Biologen, Physikern und Chemikern; glückliches England und Skandinavien mit Forschungsmög-lichkeiten in jedem Krankenhaus: unser System ist zwar pa-tientenfreundlich, aber durch das Kassensystem im Krankenhaus forschungsfeindlich. Ärztemustereinschränkung, Büro-kratie und Reglementierungen wirken als Forschungsbremse. Deswegen bleibt auch die immunologische Forschung nur einigen Universitätszentren und einigen «Enthusiasten» über-lassen. Unsere einzige Möglichkeit ist die Fortsetzung dieser «Drei-ecksforschung» Universität, Praxis, Industrie und die gute Zusammenarbeit mit den großen und flexiblen Verlagshäusern – in unserem Falle ist es der Karger Verlag -‚ wofür hier gedankt sei. Dr. E. Coeugniet, Bad Bentheim 1989;012:3