I.3.1 Auswirkungen sportlicher Aktivität in der Herzgruppe Körperliche Anpassungserscheinungen Zu den körperlichen Anpassungserscheinungen zählen alle messbaren Größen, die sich zum einen auf anatomische Strukturen (Aufbau von Muskulatur, Skelett und Nervensystem) und ihre Funktion, zum andern auf physiologische Zusammenhänge beziehen (vgl. Sport und Alter I. 3.4) Durch regelmäßiges Training in der Herzgruppe lässt sich die Muskulatur aufbauen. Die Kraftsituation kann verbessert werden. Muskuläre Dysbalancen werden ausgeglichen und die Körperhaltung verbessert, Gelenke werden funktioneller belastet und dadurch geschont. Die Beweglichkeit wird auch langfristig günstig beeinflusst. So konnte über eine 14-wöchige Untersuchungszeit eine kontinuierliche Leistungsverbesserung im Bereich der Flexibilität beobachtet werden. Selbst nach 7 Jahren war noch eine Verbesserung etwa bei der Plantarflexion oder der Unterschenkelstreckung zu erreichen. Auch die Koordinationsfähigkeit wird nachhaltig verbessert. Fassbare physiologische Anpassungseffekte können nach einem ausdauerorientierten Training in folgenden Bereichen erwartet werden: - im Herz-Kreislauf-System - Im Stoffwechsel Zunächst werden die vorhandenen funktionellen Möglichkeiten genutzt, d. h. die Arbeitsökonomie und die Regulationsmöglichkeiten des HerzKreislauf-Systems, insbesondere auf submaximalen Belastungsstufen, werden verbessert. Morphologische Anpassungserscheinungen, die durch Wachstumsprozesse zustande kommen, wie etwa eine Herzvergrößerung, wird es in der Rehabilitation nicht geben. Im einzelnen lassen sich diese Regulationsmöglichkeiten an bestimmten physiologischen Größen festmachen (Rost): - im Herz-Kreislauf-System 1. Das Herzvolumen bleibt bei gezielt dosierter Belastung auch über Jahre unverändert oder verkleinert sich sogar ein wenig. Das Herzvolumen ist abhängig von dem Ausmaß des Infarktes und dem damit verbundenen Ausfall an kontraktiler Substanz. Das Restmyokard muss die narbenbedingte Verminderung der Kontraktilität ausgleichen. Durch Senkung des Füllungsdruckes und Verbesserung der Auswurfleistung (die Herzmuskelkraft ist erhöht) ist eine Verkleinerung des Herzvolumens möglich. Eine Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 1 von 7 trainingsbedingte Herzvergrößerung wäre in Herzgruppen auf keinen Fall erwünscht und eher als Folge einer myokardialen Kontraktionsinsuffizienz aufgrund falscher Belastung anzusehen. 2. Das Schlagvolumen steigt bei gleichbleibendem Herzvolumen aufgrund einer verbesserten Auswurfleistung. Die Differenz zwischen hohem enddiastolischen (durch vermehrten venösen Blut-Rückstrom und eine höhere frühdiastolische Erschlaffungsgeschwindigkeit des Herzmuskels) und niedrigem endsystolischen Volumen (durch leichteren Auswurf gegen einen reduzierten peripheren Widerstand) wird größer. 3. Der Sympathicotonus wird vermindert (Senkung von HF, RR, peripherem Widerstand), der Vagotonus erhöht. Adrenalin- und Noradrenalinspiegel können durch Training reduziert werden. 4. Der systolische Blutdruck auf vergleichbaren Belastungsstufen wird vermindert (durch verminderten sympathischen Antrieb). Das bedeutet eine Schonung des Herzens. Es kann eine verstärkte Entleerung erfolgen (siehe 2). 5. Die Herzfrequenzen liegen in Ruhe und auf gleichen Belastungsstufen niedriger (durch verminderten Sympathicotonus). 6. Das Herzminutenvolumen bleibt gleich oder wird niedriger bei gleicher Belastung trotz Erhöhung des Schlagvolumens, durch Reduzierung der Herzfrequenz. 7. So kann der myokardiale Sauerstoff- und Substratverbrauch gesenkt werden. 8. Eine vermehrte Kapillarisierung und Kollateralbildung, aber schon eine bessere Umverteilung des Blutes im Muskel erhöht die Blutversorgung der arbeitenden Muskulatur. Die Muskeldurchblutung wird ökonomisiert, das heißt die Muskeldurchblutung kann bei gleicher Belastung wegen besserer Ausnutzung des Blutstromes verringert werden. Der periphere Gefäßwiderstand sinkt, die Blutströmungsgeschwindigkeit nimmt ab. Auch das trägt zur besseren Ausnutzung von Sauerstoff und Substrat . 9. Eine Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes verringert das Risiko einer Thrombosebildung. Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 2 von 7 - im Stoffwechsel Durch die Steigerung des Energieumsatzes und des Sauerstoffbedarfs aufgrund der regelmäßigen körperlichen Mehrarbeit kommt es auch zu biochemischen Anpassungsprozessen: 1. Die metabolische Kapazität der Muskelzelle nimmt zu Ein verbesserter Stoffwechsel in den Skelettmuskeln wie auch im Herzmuskel führt zu einer besseren O2-Ausnutzung in den Muskelzellen. D. h. durch Training lässt sich sowohl die Mitochondrienmasse (Kraftwerke der Zelle) als auch der oxidative Enzymbestand steigern. So kann in der gleichen Zeiteinheit mehr Sauerstoff und Substrat umgesetzt werden. Die arterio-venöse O2Differenz steigt. Dadurch sinkt der Sauerstoff-Bedarf für eine gegebene Belastung. Die Verbesserung des muskulären Stoffwechsels führt über Chemorezeptoren in der Muskulatur zu einer Abnahme des vegetativ-nervösen Antriebs (Symathicotonus) auf das Herz und damit zu einer Abnahme der Herzfrequenz und des Sauerstoffbedarfs für gleiche Belastung (Ökonomisierung). Das heißt: ein optimierter O2-Bedarf entlastet das Herz, es kann auf gegebener Belastungsstufe und in Ruhe langsamer schlagen. Je langsamer es schlägt, umso besser kann es sich selbst mit O2 versorgen. So ist zu erklären, dass auch die messbaren Laktat-Konzentrationen auf vergleichbaren Belastungsstufen und nach Belastung nach vierwöchigem Training deutlich niedriger liegen. Das heißt, es kann länger und höher unter aerober Energiebereitstellung belastet werden (die aerob-anaerobe Schwelle wird heraufgesetzt). Die Ausdauerleistung steigt (unabhängig von der maximalen Leistungsfähigkeit), die muskuläre Ermüdbarkeit nimmt ab. Man spricht auch von einer Erhöhung der Leistungsreserve. 2. Die Bereitstellung der für den Stoffwechsel benötigten Hormone wird ökonomisiert. Die Sensitivität der Rezeptoren gegenüber Insulin wird durch körperliche Aktivität erhöht (es handelt sich um eine nur kurzzeitige Wirkung, daher ist unbedingt regelmäßiger Sport notwendig). Insulin kann besser wirken, dadurch wird der Insulinbedarf gesenkt, die Aufnahme von Glukose in die Muskelzellen verbessert (durch Muskelkontraktion wird die Glukoseaufnahme bereits stimuliert) und die Glykolyse (Abbau von Glukose) gefördert. Die Verbesserung der peripheren Insulinwirksamkeit hat entscheidende Bedeutung für die Regulation des Fettstoffwechsels (siehe unten) und des Körpergewichtes. Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 3 von 7 3. Beeinflussung des Fettstoffwechsels Freie Fettsäuren dienen bevorzugt als energieliefernde Substrate bei der Kontraktionsarbeit der Skelettmuskeln im aeroben Bereich. Je höher die Ausdauerleistungsfähigkeit, umso mehr Fettsäuren werden verbrannt. Der Anteil der freien Fettsäuren an der Energiebereitstellung nimmt zu, die Laktatspiegel bei Trainierten werden entsprechend niedriger. Bei Diabetikern (Insulin hemmt den Fettabbau, die Lipolyse) sowie bei relativ untrainierten Personen ist die Konzentration an freien Fettsäuren relativ hoch wegen der energetisch nicht nutzbaren Lipolyse (bei mangelndem Insulin wird verstärkt Fett zu freien Fettsäuren abgebaut. Auch regelmäßige Bewegung bewirkt eine gesteigerte Lipolyse (die Sensitivität gegenüber der Lipoproteinlipase wird gesteigert, dadurch wird mehr Glycerin gespalten, dadurch fallen mehr freie Fettsäuren an), außerdem auch einen verstärkten Fettsäure-Verbrauch durch muskuläre Nutzung (trotz verstärkter Lipolyse ist die Fettsäure-Konzentration im Blut nachweislich geringer). Selbst in Ruhe ist das Verhältnis von freien Fettsäuren zu Glycerin im zirkulierenden Blut deutlich günstiger. D. h. es ist eine Ökonomisierung der vorher ineffektiven Lipolyse eingetreten, es ist zu einer biochemischen Anpassung der Muskelzelle durch Bewegung gekommen. Ebenso werden durch Bewegung Triglyceride verstärkt abgebaut. So wird der Fettstoffwechsel regulativ beeinflusst. Die Veränderungen im oxydativen Energiestoffwechsel der Skelettmuskulatur führen auch zu Anpassungseffekten im Cholesterinstoffwechsel. Nach einer einjährigen Teilnahme am ambulanten Herzsport, insbesondere nach Ausdauertraining kommt es zu einer Erhöhung des HDL-Cholesterins und zu einer deutlichen Senkung des LDL- und des VLDL-Cholesterins. Diese biochemischen Anpassungseffekte sind eine wesentliche Voraussetzung für die Rückbildung oder Verlangsamung arteriosklerotischer Krankheitsprozesse. Anpassung des Atemsystems 1. Die Atemtechnik kann verbessert werden, so dass das Atemvolumen und vor allem die Vitalkapazität zunimmt. 2. Die Atemfrequenz sowohl in Ruhe als auch unter Belastung kann reduziert werden. 3. Sauerstoff-Aufnahme und CO2-Abgabe werden verbessert. Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 4 von 7 Krankheitskompensationsmöglichkeiten Durch Ökonomisierung der Herz-Kreislauf-Arbeit und der Bewegungsabläufe werden nicht die Organe gekräftigt und auf diese Art die Krankheitserscheinungen verbessert, sondern es wird an Aufwand eingespart und der Organismus entlastet und auf diese Art werden Arbeitsmechanismen entwickelt, die trotz Erkrankung erfolgreich sind. Veränderung und Belastbarkeit Erhaltung der Leistungsfähigkeit und Die körperliche Belastbarkeit lässt sich steigern, wodurch das Selbstwertgefühl und die Lebensfreude sowie das allgemeine Wohlbefinden positiv beeinflusst wird. Somit wird wiederum das regelmäßige Sporttreiben und eine aktive Freizeitgestaltung gefördert. Ziel einer Bewegungstherapie ist in erster Linie eine Verbesserung der Regulationsmöglichkeiten des Herz-Kreislauf-Systems, insbesondere auf submaximalen Belastungsstufen. Durch ein allgemeines aerobes dynamisches Ausdauertraining können aber auch bei Herzkranken günstige Auswirkungen auf die maximale Leistungsfähigkeit des HerzKreislauf-Systems und die Sauerstoffversorgung des gesamten Organismus erzielt werden. Während der Anschlussheilbehandlung ist ein Leistungszuwachs zwischen 20 und 70% möglich. Ein systematisch aufgebautes individuelles Ausdauertraining führt auch noch im ambulanten Herzsport bereits nach 14 Wochen zu einer deutlichen Ökonomisierung und beträchtlichen Leistungssteigerung. Diese Effekte können sogar noch in den ersten Jahren des Trainings kontinuierlich gesteigert werden (siehe Folie 1) oder bleiben zumindest über mehrere Jahre erhalten trotz der physiologischen Alterung. Verbesserung der Selbsteinschätzung Über sportliche Aktivität kann das Belastungsempfinden geschult und damit eine realistische Selbsteinschätzung der bei körperlicher Aktivität entstehenden Belastung erlernt werden. Auch hat die Herzgruppenarbeit einen sehr positiven Effekt auf die Selbsteinschätzung der psychischen Belastbarkeit. Durch die Verbesserung der Selbsteinschätzung wird eine wesentliche Grundlage hergestellt für eine problemlose und aktive Alltags, Berufs- und Freizeitgestaltung. Dann besteht auch die Gewähr, dass bei körperlicher Belastung keine Gefährdung entsteht, die über das Maß bei Gesunden hinausgeht. Die Selbsteinschätzung wird entwickelt über Erfahrungen, die man mit seinem eigenen Körper und Psyche in unterschiedlichen Situationen macht. Allerdings ist dazu Voraussetzung, dass überhaupt erst Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 5 von 7 verschiedene Einflüsse auf den Körper in ihrer Unterschiedlichkeit registriert werden, d.h. Reize müssen sensibel wahrgenommen werden. Ein erster Schritt der Verbesserung der Selbsteinschätzung ist die Wahrnehmungsschulung, die sich auf ganz unterschiedliche Bereiche ausdehnt: - Taktil, visuell, akustisch, sensitiv und sensomotorisch - Physiologische Körperreaktionen wie Schwitzen, Herzklopfen, unterschiedliches Atmen, Anspannung und Entspannung, Schmerz - Psychische Faktoren wie Freude, Ärger, Erregung, Nervosität, Angst Werden diese Reize oder Reizzustände wahrgenommen, kann eine Kopplung erfolgen zwischen dem Wahrnehmen dieses Reizes und der Situation, in der dieser Reiz auf den Körper wirkt. Im folgenden wird man die Beobachtung darauf lenken, sich so zu verhalten, dass der unangenehme oder unerwünschte Reiz gerade eben nicht eintritt. Je häufiger eine Person in die relative Grenzsituation gebracht wird, umso eher kann er einschätzen, was er sich zumuten kann. Wichtig ist, dass diese Grenze im Herzsport nicht überschritten wird, daher die Festlegung vorher auf die Belastbarkeit in Watt/kg Körpergewicht mit angegebener Trainingsherzfrequenz, die möglichst nicht überschritten werden soll. Es ist auch ganz wichtig, erst einmal eine Vertrauensbasis zu schaffen: „Diese Übungen in dieser Dosierung kannst du auf jeden Fall.“ Hilfreich sind immer die verschiedenen Kontrollkriterien, etwa HF, Atmung und die subjektiven Belastungskriterien. Möglichkeiten zur Herzgruppen begleitenden Erfolgskontrolle I. Funktionstests und regelmäßige Untersuchungen a) Die kardiale Belastbarkeit wird bestimmt durch ärztliche Belastungsuntersuchungen (Belastbarkeit in Watt, HF, Blutdruck). b) Körpergewicht und Blutwerte (Gesamtcholesterin, HDL, LDL, Triglyceride, Blutzucker) werden regelmäßig kontrolliert. c) Funktionstests geben Hinweise über den motorischen Zustand (nicht unbedingt klassische Leistungstests!), etwa: Auf einem Stuhl sitzen und versuchen, mit den Händen den Boden zu berühren (Beweglichkeit). Mit verschränkten Armen auf einem Stuhl sitzen, auf einem Bein aufstehen (Beinkraft). Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 6 von 7 Wie lange können (Koordination) Sie auf einem Bein sicher stehen? Wie lange können Sie auf der Stelle mit Anheben der Knie bis zur Handberührung flott gehen? (Ausdauer) Schulterbeweglichkeit: Mit dem Rücken (Gesäß, Rücken, Kopf) in 1 ½ Fuß Entfernung an der Wand stehen: Hände über dem Kopf an die Wand führen, ohne das Gesäß von der Wand zu lösen. Schulterkraft: Mit dem Rücken (Gesäß, Rücken, Kopf) in 1 ½ Fuß Entfernung an der Wand stehen: Unterarme anwinkeln, Oberarme an die Wand legen: Mit den Ellbogen sich so von der Wand drücken, dass die Schulterblätter keine Berührung mit der Wand haben. Wie lange? Dehnfähigkeit der hinteren Oberschenkelmuskulatur: Auf einem Stuhl sitzen, einen Fuß mit beiden Händen fassen und das Bein strecken. Wie lange können Sie es gestreckt halten? II. Teilnehmer-Begleitbogen In regelmäßigen Abständen wird der Begleitbogen ausgefüllt, die jeweils neuen Ergebnisse werden mit den Vorergebnissen verglichen. Ein Begleitbogen kann etwa so gestaltet werden wie der Entwurf von L. Benesch et al. Auswirkungen sportlicher Aktivität / 3.1 / Seite 7 von 7