UE Zur Vielfalt tonräumlicher Gestaltungsmöglichkeiten, WS 2009/2010 Cornelia Demmer, 0771248 Der Obertongesang aus Tuwa (Zusammenfassung des Referats) Inhalt: 1. Tuwa: kurzgefasst, geographisches und kulturelles 2. Xöömei: a. Tuwinische Wahrnehmung des Klangraumes b. Gestaltung c. Stile/Arten d. Technik e. Begleitende Instrumente 1. Tuwa Geographie: autonome Republik im Süden Sibiriens (Föderationsvertrag mit Russland) ca. doppelt so groß wie Österreich, aber nur 313 940 Einwohner In der Haupstadt Kysyl fließen der große und der kleine Jenissei zu dem großen Ulug-Chem (tuw. mächtiger Fluss) zusammen. Diese y-Form ist in der Landesflagge wieder zu erkennen. Ganz unterschiedliche Vegetationen: Taiga und Tundra, Wüste und Steppe Nomaden und Tiere: Nutz- und Gebrauchstiere der Nomaden sind Rentiere, Pferde, Ziegen, Schafe, Yaks und Kamele. Außerdem leben u.a. noch Bäre, Wölfe, Zobel und Eichhörnchen in diesem Land. Religion: einziges Land der Welt, in dem der Schamanismus anerkannte Staatsreligion ist. Außerdem noch lamaistischer Buddhismus, welcher sich sehr mit der schamanischen Tradition vermischt hat (oft sind hochstehende Lamas auch Schamanen.), und orthodoxes Christentum. 2. Xöömei Xöömei ist der tuwinische Name für Obertongesang, sowie auch einer speziellen Art dieses Gesanges. a. Tuwinische Wahrnehmung des Klangraumes Verschiedene Arten den Klangraum auszufüllen: - europäisch: Melodie, Kontrapunkt, Harmonie etc. - tuwinisch: jeder Moment des Klanges wird mit großer Aufmerksamkeit eröffnet, freigelegt, betrachtet und ausgekostet, sodass sich ein akutsisches Universum in jedem Augenblick auftut. Dazu sind folgende Punkte wichtig: timbral listening: nicht exakte Tonhöhe oder Harmonie wichtig, sondern Beschaffenheit und Farbe des Klanges Einheit des Klanges: Grundton und Obertöne werden nicht separat wahrgenommen. Beschaffenheit des Grundtones ist entscheidend zur Produktion eines harmonsich reichen Sounds mit einer großen Frequenz-Bandbreite. Diese enormen akustischen Resourcen können von den Sängern und Musikern bei der Klangproduktion genutzt werden um jeden beliebigen Sound zu imitieren und nachzuahmen. Theoretisch sind alle Register und Tonhöhen möglich. Die Grenzen bei Wahrnehmung und Reproduktion sind physikalisch, nicht konzeptionell. -1- UE Zur Vielfalt tonräumlicher Gestaltungsmöglichkeiten, WS 2009/2010 Cornelia Demmer, 0771248 b. Gestaltung Zwei wesentliche Systeme: pitch-centered system: Hier wird auch das kleinste Ornament durch physikalische Einwirkung erzeugt, welche das Klangmaterial verändert. Bsp.: drücken einer Saite, verändern der Länge einer Luftsäule durch betätigen einer Klappe etc. timbre-centered system: am Beispiel des Gesangs: vokale Akkorde sind fixiert, nur minimalste Veränderungen in Mundhöhle werden benötigt um Timbre zu beeinflussen. Vermischung ist natürlich möglich. Wesentliche Unterschiede: Um einer Melodie zu folgen, muss körperliche Bewegung stattfinden. Dann kann man aber nicht gleichzeitig die Vorgänge und Veränderungen des Klangs an sich ins Zentrum stellen. Auch Auswirkungen auf Zeitverständnis in Musik: pitch-centered system: Tonfolgen entwickeln sich durch eine Form, welche eine gewisse Dauer hat und zu einem festgelegten Ende kommt. Das Stück ist auf eine bestimmte Länge begrenzt. timbre-centered system: Hier spielt die Dauer keine Rolle. Der Musiker/Sänger lotet seinen Klangraum aus. Das kann ein kurzes Nachahmen des Windes sein, oder aber auch die Zeit beim Reiten durch die Steppe sein. Musik des Alltags: eng verbunden mit dem Nomadenleben; Musik wird vorrangig für sich selbst gemacht, im Zwiegepräch mit der Natur. Berührungspunkt des Obertongesanges und Schamanismus: Schamanen imitieren Tierlaute ihrer durch Tiere verkörperten spirithlepers (tuw. eerens). Tiere (Bsp. Wolf, Bär, Rabe etc.) stehen auch für bestimmte Eigenschaften. Verwendete Töne: 6.–12. Ton der Obertonreihe: Das entspräche einer Pentatonik-Skala. Doch wird die nicht-diatonische 7. Stufe im Obertongesang nie verwendet (im Nicht-Obertongesang schon), sowie die 11. Stufe, welche auch nicht vorkommt. Also wird die Naturtonreihe nicht volltöndig genutzt, sondern selektiv verwendet. c. Stile/Arten Basisarten: Sygyt: Stil mit 2 manchmal 3 Noten, mit Mund zu „ü-i-ü-i“ geformt, traditionelle tuwinische Beschreibung: Imitation einer leichten Sommerbrise, dem Gesang der Vögel Xöömei: Stil mit 3 manchmal 4 Noten, Mund zu „u“ geformt, traditionelle tuwinische Beschreibung: Wind, der um Felsen wirbelt Kargyraa: Stil mit 3 manchmal 4 Noten; double phonation (in etwa „zweifache Stimmgebung“): Produktion im Brustbereich eines zweiten Stimmklanges eine Oktave unter dem Grundton. Das Ziel soll ein tiefes, dem Knurren eines Hundes, hramonsich dichtes Klangfundament sein. Durch die Addition der tiefen Oktave verdoppelt sich die Anzahle der Obertöne. Traditionelle tuwinische Beschreibung: das Heulen des Windes, die klagenden Schreie eines Mutterkamels, das ihr Kalb verloren hat Verzierungsarten: Borbangnadyr: Triller verschiedenster Art, der Vibrato-Technik ähnlich, gewöhnlich durch Verformung der Lippen, Zunge und/oder Glottis (Stimmritze: Eine Kollegin erklärte mir, das dies der Ort ist, an dem der Ton tatsächlich erzeugt wird.) erzeugt. Traditionelle tuwinische Beschreibung: die Stromschnellen/Wirbel eines Flusses -2- UE Zur Vielfalt tonräumlicher Gestaltungsmöglichkeiten, WS 2009/2010 Cornelia Demmer, 0771248 Ezenggileer: pulsierender Stil, traditionelle tuwinische Beschreibung; trottendes Pferd, eine Gerte, welche an den silbernen Steigbügel klopft. (tuw. ezer = Sattel) Chylandyk: Kombination von Sygyt und Kargyraa, traditionelle tuwinische Beschreibung: zirpende Grillen (tuw. chylandyk = Grille) Dymzhuktaar: „Summen des Kehlkopfes“, Obertöne werden in allen Basisarten produziert, aber mit geschlossenem Mund, sehr kompliziert und schwierig d. Technik Grundsätzliches Prinzip: Alle Kehlkopf- bzw. Obertonsänger (unterschiedliche Begriffe bedeuten dasselbe) manipulieren ihren Stimmapparat – Zunge, Lippen, Kiefer, Gaumen – so, dass die Obertöne der resonanten Frequenzen verstärkt und so separat wahrnehmbar werden. Verwendete Vokale: u-o-ao-a-ä-ö-ü-e-i Exemplarisch: Lippenobertöne: Rachen wird geschlossen durch Anheben des hinteren Teils der Zunge, wie bei ng und dann singt man die Vokale oua Zungenobertöne: Ränder der hinteren Zunge werden an Innenseite der oberen Backenzähen gedrückt. Dadurch hat man den benötigten Resonanzraum geschaffen um dann zum Beispiel die Vokale ö-ü-ä u singen. In Tuwa wird der Obertongesang durch konzentriertes und achtsames Zuhören von Geräuschen aus der Natur erlernt. e. begleitende Instrumente/Auswahl Khomus (Maultrommel): Prinzip ist das gleiche wie bei Obertongesang: durch öffnen und verändern des Resonanzkörpers werden unterschiedliche Obertöne zum Schwingen gebracht. Igil (Pferdekopf-Fidel): 2 Saiten, welche gestrichen werden. Saiten, Bogen und Decke aus Pferdehaar/-haut. Es gibt kein tuwinisches Streichinstrument, bei dem die Saiten niedergedrückt werden. Manchmal werden sie leicht von unterhalb mit den Fingernägeln berührt. Meist aber so ähnlich wie Flageolet.Technik, aber auf tuwinischen Instrumenten werden diese Flageolet-Töne an jeder Stelle der Saite gespielt, nicht nur an Punkten an denen Obertöne entstehen. Dadurch ist die akustische Basis der Klangerzeugung ganz anders. Außerdem ermöglichen das Material des Bogens (Pferdehaar) und die Spannung deselben (Diese wird mit der Hand individuell hergestellt; Haltung so ähnlich wie bei Gamben-Bogen) ein reiches Spektrum an Obetönen. Bei der Stimmung ist das Intervall der Saiten zueinander wichtig und nicht die absolute Tonhöhe der einzelnen Saiten. -3-