1. Einleitung Die Würde ist sicherlich einer der ausdrucksstärksten Begriffe unserer Zeit. Dies gilt neben dem persönlichen, vor allem für den öffentlich moralischen und politischen Bereich. Genau entgegengesetzt zur äußerlichen Stärke des Begriffes steht seine innerliche Schwäche der Bedeutung. Die Frage, was denn Würde überhaupt sei ist vor allem deshalb so klärungsbedürftig, da unser Grundgesetz mit ihr die Akzeptanz der Menschenrechte begründet. Der Begriff hat also den Anspruch die Menschenrechte zu legitimieren. Die Versuche den Begriff mit Bedeutung zu füllen, oder die Bedeutung herauszufinden hat zu vielerlei Ergebnissen in jüngerer Zeit geführt. Dennoch kann keine dieser Würdemodelle sowohl die allgemein gebräuchlichen Verwendungsformen des Begriffes und noch dazu ihren Anspruch der Begründung der Menschenrechte zufriedenstellend ausfüllen. Eric Hilgendorfs Ensembletheorie zum Beispiel fasst sehr gut das allgemeine Verständnis des Würdebegriffes in ein Konglomerat an Rechten 1 , scheitert jedoch bei der im Grundgesetz deklarierten Unantastbarkeit der Würde, beispielsweise im Falle der Kollision zweier dieser Rechte.2 Das ist zu kurz! Hilgendorf und sein Scheitern müssten genauer ausgeführt werden. Man kann nicht nur behaupten, sondern muss argumentativ belegen. Birnbacher kommt generell zu dem Schluss, dass die Würde nicht Kraft ihres Wertes die Menschenrechte begründen kann und man somit Alternativen zu deren Begründung finden muss.3 Ein relativ neues Modell entstammt der Feder von Peter Schaber. Sein Modell der Würde, welches durchaus auch die Intrinsität und Unantastbarkeit der Selben postuliert, soll in dieser Arbeit untersucht werden. Die Leitfragen, die diese Arbeit begleiten sind: 1. Worin besteht die Würde bei Schaber? 2. Fasst Schabers Würdemodell den common sense? 3. Woher kommt der moralische Gehalt der Würde? Die weiterhin interessanten Fragen der Unantastbarkeit und ihrer Intrinsität können nur grob behandelt werden, da der Umfang der Arbeit mehr nicht zulässt. Die Fragen werden auch in dieser Reihenfolge behandelt. Ziel ist es, neben der selbstverständlichen Beantwortung der Fragen, auch Probleme des Systems aufzuzeigen, diese im Idealfall auch zu lösen, sowie Unklarheiten zu beseitigen. 1 Hilgendorf, Eric, Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie der Menschenwürde in: Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag hgg. v. Hans-Ulrich Paeffgen u.a., Berlin 2011. S. 1665-1666. 2 Hilgendorf, Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie, S. 1666-1667 3 Birnbacher, Dieter, Kann die Menschenwürde die Menschenrechte begründen, In: Die großen Kontroversen der Rechtsphilosophie, hgg. v. Bernward Gesang/Julius Schälike. Paderborn 2011. S. 96-97. 1 2. Das System der Würde bei Peter Schaber 2. 1 Die Bedeutung von Würde Anfangs soll nun also geklärt werden, was die Würde bei Schaber ist: „Die Würde von Personen, die sie nicht erworben haben und auch nicht verlieren können ist der Anspruch auf Selbstachtung“.4 Bevor Schaber nun aufklärt, was dieser Anspruch auf Selbstachtung konkret darstellt, erläutert er zunächst was der Anspruch auf Selbstachtung nicht darstellt nämlich den Anspruch auf Autonomie und die Selbstwertschätzung. Selbstwertschätzung bedeutet, wie viel man von sich und den Dingen, die einem wichtig sind hält.5 Man kann weniger von sich halten, wenn man zum Beispiel etwas Dummes tut, oder mehr von sich halten, wenn man eine tolle Leistung vollbringt. Im Gegensatz zur Selbstachtung kann die Selbstwertschätzung in ihrer Qualität variieren und auch von außen beeinflusst werden. Beispiel? Die Autonomie hingegen wird im Folgenden an, meiner Meinung nach, passenderer Stelle differenziert. D.h.? Um zu wissen, was Würde bedeutet, wenn sie den Anspruch auf Selbstachtung darstellt, muss man zunächst die Selbstachtung definieren. Schaber schreibt: „Es geht dabei darum, dass mein Selbst von anderen und gleichzeitig von mir selbst geachtet werden soll. Das Selbst zu achten heißt, das Recht der Person, über wesentliche Bereiche des eigenen Leben verfügen zu können zu achten“6 Dieses Recht ist immer da, es kann nicht genommen werden, nur verletzt werden. Woher dieses Recht kommt, wird an anderer Stelle thematisiert. Doch was bedeutet es über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst zu verfügen? Schaber schreibt: „Das Recht kann ich nur ausüben, wenn ich die Wahl zwischen akzeptablen Optionen habe...Das Recht sich zwischen akzeptablen Optionen entscheiden zu können schließt dabei kein Recht auf eine bestimmte Zahl von Optionen ein. Die Optionen die man wählen kann müssen einfach akzeptabel sein.“7 Zuletzt muss nun noch erläutert werden, was akzeptable Optionen sind, dann ist das Gerüst fertig. „Unter akzeptablen Optionen verstehe ich dabei Optionen, die ich zu wählen Gründe habe. Über diese Gründe kann ich mich auch täuschen. Gründe sind in diesem Zusammenhang nicht einfach das, was ich als Gründe sehe. Es sind vielmehr Dinge, die man als Gründe sehen kann. Dabei müssen die andern das, was ich als Grund sehe nicht auch als Grund sehen. Es muss aber einleuchten können, dass man etwas als Grund sieht.“8 4 Schaber, Peter, Instrumentalisierung und Würde, Paderborn 2010. S.13 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 58 6 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52 7 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52 8 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52 5 2 Diese letzte Passage ist meiner Meinung nach ein Kernstück des ganzen Komplexes von Schaber und so verwundert es doch, dass sie derartig konfus geschrieben ist und auch nicht weiter erläutert wird. Zunächst will ich versuchen zu entschlüsseln was gemeint ist. Der erste Teil scheint noch relativ eindeutig, dort geht es meiner Meinung nach um Gründe für die Optionen. Diese Gründe sind aber trotzdem Gründe, auch wenn ich mich über sie täusche, doch was bedeutet es sich über Gründe zu täuschen? Sich über Gründe zu täuschen bedeutet, wenn ich etwas für einen Grund halte, es objektiv gesehen aber gar keinen Grund darstellen kann. Wenn ich also aufgrund fehlenden Wissens über Kausalbeziehungen (nicht notwendig kausal) etwas für einen Grund halte, was bei voller Aufklärung kein Grund mehr wäre. Ich habe zum Beispiel Grund dem Briefträger zu misstrauen, weil ich Indizien dafür habe, dass er mit meiner Frau schläft. Ich hätte aber keinen Grund mehr ihm zu misstrauen, wenn ich darüber aufgeklärt wäre, dass der Briefträger vollkommen asexuell ist. Ich täusche mich hier über Gründe, die eigentlich keine sind. Bis hierher ergeben sich keine Probleme, denn auch Gründe, über die ich mich täusche, dürfen legitime Gründe für akzeptable Optionen sein, schon alleine deshalb, weil die völlig aufgeklärte Situation in einigen Bereichen, wie Religion gar nicht möglich ist, da man nicht in der Lage ist, Dinge wie Gott endgültig zu beweisen oder zu widerlegen. (Begriff der Aufklärung? Man sollte wissen, was zu wissen ist, nicht wissen, was unwissbar ist…) Trotzdem stellt vor allem Gott eine enorme Grundlage für Gründe akzeptabler Optionen dar. Wenn ich mich also über Gründe täusche, sie aber trotzdem legitim sind, dann bedeutet dies ja eigentlich, dass das als Grund gilt, was ich gerade als Grund erachte. Genau dem widerspricht Schaber aber mit dem Satz: „Gründe sind in diesem Zusammenhang nicht einfach das was ich als Gründe sehe, es sind vielmehr Dinge, die man als Gründe sehen kann“ 9 Dies impliziert nun, dass Gründe nicht von mir selbst als Grund gesehen werden müssen, sondern dass die Option besteht, sie als Gründe zu sehen. Gründe müssen um legitim zu sein, also als Grund gesehen werden können. Ob Schaber bei diesem Satz die theoretisch vollkommen aufgeklärte Basis als Grundlage nimmt ist nicht ersichtlich. Andernfalls kann aber so ziemlich alles in irgendeiner Situation als Grund gesehen werden, wenn man die aufgeklärte Basis weglässt. In beiden Fällen hätte ich auch akzeptable Optionen, wenn ich für keine der momentanen Optionen selber Gründe sehe. Es reicht ja angeblich, wenn es etwas gibt, was als Grund gesehen werden kann. Das bedeutet der Atheist hätte im Beten eine akzeptable Option, da man das Seelenheil durchaus als Grund sehen kann und wie gesagt geht es nicht um Dinge die ich als Grund sehe, sondern um welche, die als Grund gesehen werden können. Diese Interpretation scheint allerdings totaler Unfug und ich bezweifle, dass Schaber das wirklich gemeint haben kann. Die zweite Interpretation die ich vorschlagen möchte macht vielleicht mehr Sinn. Hierbei geht es 9 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52 3 darum, dass ich Gründe habe, sie aber momentan nicht sehe. Wenn ich sie aber sehen würde, dann würden sie mir als akzeptable Gründe erscheinen. Zum Beispiel sehe ich gerade keine Gründe dafür auf mein Bankkonto zu schauen. Meine Oma hat mir aber zum Geburtstag Geld überwiesen. Wenn ich daran denken würde, dann hätte ich einen Grund aufs Konto zu schauen, nämlich den, dass ich nachprüfen will um wie viel Geld es sich handelt. Ich habe also Gründe, ich sehe sie nur gerade nicht. Der Vorschlag klingt im Grunde etwas profan, birgt aber nicht solche Ungereimtheiten wie die erste Interpretation. Leider verträgt er sich nicht mit dem konkreten Text. Betrachtet man die Perspektiven, die Schaber wählt, dann fällt auf, dass immer vom Ich geredet wird: „die ich zu wählen Gründe habe; kann ich mich täuschen; was ich als Gründe sehe“. Der problematische Satz „Es sind vielmehr Dinge die man als Gründe sehen kann“ wechselt eindeutig die Perspektive. Nach Vorschlag zwei müsste das man im letzten Satz durch ein ich ersetzt werden. Da Schaber aber im kommenden wieder zum Ich zurückkehrt muss der Wechsel also Absicht sein. Es erfolgt also eindeutig ein Wechsel von der subjektiven zur objektiven Position. Das bedeutet, dass die Gründe für akzeptable Optionen nichts mit mir und meiner persönlichen Sicht zu tun haben. Würde kann also nur dort verletzt werden, wo objektiv ein Grund der Würdeverletzung vorhanden ist. Das Ausrichten von akzeptablen Optionen auf objektive Gründe halte ich für ziemlich problematisch. Würdeverletzung hat meiner Intuition nach durchaus einen starken subjektiven, emotionalen Charakter und ist nichts, was quasi von einem Gremium entschieden wird. (Auch ein Gremium kann sich über objektive Gründe irren, würde aber die Gründe des Irrtums einsehen müssen, wenn sie vorgelegt werden) Nicht umsonst heißt es doch sich in seiner Würde verletzt fühlen. Die These ist die, dass objektive Gründe auch notwendig vom aufgeklärten Subjekt eingesehen werden würden, im Idealfall die Perspektiven also wieder zusammen fielen. . Weiterhin wäre ein Individuum gar nicht mehr in der Lage, sich über akzeptable Optionen im Klaren zu sein, da die Gründe ja objektiv sind. Es wäre also durchaus denkbar, dass man die Wahrnehmung hat, keine Optionen zu haben, sie aber in Wirklichkeit hat. Meiner Meinung nach ist die Wahrnehmung aber ausschlaggebend dafür, ob man sich in seiner Würde verletzt fühlt. Bei Schaber aber nicht. Natürlich ist das kein direkt philosophisches Problem, in dem Sinne, dass es das Gerüst Schabers zusammenbrechen ließe. Das System wäre auch funktionsfähig, wenn es Würdeverletzung im hier geschilderten Sinne über objektive Gründe für akzeptable Optionen definiert. Das einzige Problem, was sich daraus ergibt ist lediglich, dass sich damit das System vom common sense absondert. Ich denke niemand wird widersprechen, wenn ich behaupte, dass im common sense Würdeverletzung subjektiv sein kann. Nach Schaber kann die Würde verletzt werden, auch wenn ich nichts davon weiß. Ein philosophisches Konzept, welches dem common sense zuwiderläuft, stellt keine 4 Besonderheit dar. Es stellt aber in zwei Fällen ein Problem dar: Erstens, wenn sich das System mit der Meinung der Bevölkerung als verträglich darstellen will, ganz nach der Meinung, der Philosoph soll nicht etwas völlig divergentes zur Moralität des Alltags entwickeln, und zum Zweiten, wenn sich das System zur Aufgabe gemacht hat den common sense mit zu fassen, was ja in weiten Teilen der Würdethematik ein Anspruch darstellt. Theorien können auch den C.S. korrigieren wollen… So übrigens auch am Anfang des Buches von Schaber: „Die Frage ist nicht ob der Begriff [Würde] interpretationsbedürftig ist, sondern vielmehr, ob wir eine Bestimmung finden können, die den paradigmatischen Verwendungsweisen des Würdebegriffs Rechnung tragen kann...“10 Ja da haben Sie einen Punkt, aber genau zu bestimmen, was der C.S. meint, ist schwierig… Dieses Problem wird im kommenden durchaus noch einmal zum Tragen kommen. Die besprochene Passage um die Erläuterung der Gründe halte ich für ziemlich erklärungsbedürftig und nicht intuitiv, was meiner Meinung nach, bei einer der Hauptgrundlagen eines ganzen philosophischen Konzeptes nicht der Fall sein darf, da sich Unklarheiten an der Wurzel auf das ganze System übertragen können. 2.2 Die Wahl zwischen akzeptablen Optionen Der nächste Kritikpunkt bezieht sich auf die Aussage: „Das Recht kann ich nur ausüben, wenn ich die Wahl zwischen akzeptablen Optionen habe...Das Recht sich zwischen akzeptablen Optionen entscheiden zu können schließt dabei kein Recht auf eine bestimmte Zahl von Optionen ein“.11 Dieser Satz sagt aus, dass sobald man keine Wahl zwischen akzeptablen Optionen hat, das Recht auf Selbstachtung nicht mehr ausgeübt werden kann, und dementsprechend kein Leben in Selbstachtung mehr geführt wird.12 Es liegt also in jedem Fall eine Würdeverletzung vor, da der Anspruch auf Selbstachtung verletzt wird. Kann man dem wirklich zustimmen? Liegt tatsächlich immer eine Würdeverletzung vor, wenn man keine Wahl zwischen akzeptablen Optionen hat? Diese These ist meiner Meinung nach zu streng, denn es lassen sich durchaus Fälle konstruieren, in denen nach Schabers Modell eine Würdeverletzung vorliegt, tatsächlich aber niemand intuitiv eine Würdeverletzung feststellen würde. Wenn man zum Beispiel nur eine einzige akzeptable Option und zahlreiche nicht akzeptable Optionen hat, wird man diese eine wählen. Man tut letztendlich also etwas, was im eigenen Interesse liegt, beziehungsweise eine akzeptable Option darstellt und ist trotzdem in seiner Würde verletzt. Gemäß Schaber oder gemäß Ihnen? Ich glaube dass dies durchaus der Fall sein kann, es aber nicht der Fall sein muss. Ich glaube der Unterschied liegt hier 10 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 13 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52 12 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52: „Ein Leben in Selbstachtung zu führen heißt, dieses Recht, über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens verfügen zu können, ausüben zu können“ 11 5 in der Art und Weise, wie die Beschränkung auf eine akzeptable Option aussieht. Hierzu möchte ich zwei gegensätzliche Beispiele konstruieren. 1. Bernd hat einen enormen Appetit auf Apfelkuchen. Er geht in eine Konditorei und möchte sich ein Stück Kuchen kaufen, jedoch kommt just in dem Moment ein Gauner in die Konditorei und zwingt Bernd mit vorgehaltener Pistole ein Stück Apfelkuchen zu essen. In diesem Fall hat Bernd nur eine Option, die auch genau seinen Interessen entspricht, jedoch würde man, denke ich hier durchaus von einer Endwürdigung sprechen können. 2. Bernds gruselige Schwiegermutter kommt am Freitag zu Besuch, deswegen hofft Bernd inständig, dass ihn der Schichtleiter am Freitag für die Arbeit einteilt. Bernd weiß, dass bei dem strengen Schichtleiter keine Schichtschieberei möglich ist. Einfach arbeiten obwohl er nicht eingeteilt wäre, wäre auch keine Option, da es dann einfach keine Arbeit für ihn gäbe. Seine einzige Hoffnung liegt also in der willkürlichen Schichteinteilung des Leiters. Bernd bekommt nun den Dienstplan und sieht, zu seinem Glück, dass er Freitag arbeiten muss. Eine andere akzeptable Option hat er nicht, er wird Freitag arbeiten müssen, sonst verliert er seinen Job. In beiden Fällen hat Bernd keine Wahl, im ersten Fall jedoch würde man von einer Endwürdigung sprechen und im zweiten Fall sicherlich nicht, doch woran liegt das? Es ist hier nicht die Anzahl der akzeptablen Optionen die ausschlaggebend für eine Würdeverletzung ist, es ist die Art und Weise in der die Optionen auf eins reduziert werden. In beiden Fällen liegt eine Entmachtung Bernds vor, zum einen vom Gauner, zum anderen vom Schichtleiter. Der Unterschied ist, dass die Entmachtung im ersten Fall nicht gesellschaftlich anerkannt ist, im zweiten Fall die Entmachtung aber auf einem System basiert, dass allgemeinhin als nützlich und brauchbar eingestuft wird. Und dem B. sich freiwillig unterworfen hat, anders als in 1., wo sein Leben bedroht wird Es handelt sich in 1. um eine nicht akzeptierte Entmachtung und in 2. um eine akzeptierte. Konsequent wäre es nun konkret auf die Wirkung von Zustimmung auf Würde einzugehen, dies ist jedoch nicht mein Thema und aufgrund der Kürze der Arbeit kann ich auf diesen Punkt leider nicht weiter eingehen. Das Beispiel sollte vor allem zeigen, dass nicht in jedem Falle des Fehlens der Wahl, zwischen akzeptablen Optionen entscheiden zu können, man von einer Würdeverletzung sprechen kann. Satzbau Wie gesagt könnte man durchaus von einer Würdeverletzung sprechen, wenn man lediglich den Anspruch hätte Schabers System konsequent anzuwenden, unabhängig davon, was der common sense intuitiv als Würdeverletzung deklarieren würde. Das ist jedoch nicht Schabers Anspruch, wie im vorigen Kapitel schon gezeigt wurde. 2.3 Wesentlichkeit „Das Selbst zu achten heißt, das Recht der Person, über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens 6 verfügen zu können zu achten“. Was genau sind diese wesentlichen Bereiche, von denen Schaber hier spricht? Wann ist ein Bereich des Lebens wesentlich und wann nicht? Und wer legt fest, welche Bereiche wesentlich sind? Entweder legt das Individuum für sich selbst fest, welche Bereiche wesentlich sind und welche nicht, oder es gibt so etwas wie einen Konsens darüber was wesentlich ist und die Bewertung findet objektiv und nicht subjektiv statt. Mangels jeglicher Erläuterungen von Seiten Schabers, kann man hier nur hypothetisch vorgehen, was ich im Folgenden kurz tun möchte. Die fehlende Erläuterung legt eigentlich nahe, dass Schaber an dieser Stelle davon ausgeht, dass man durchaus intuitiv weiß, was wesentlich bedeuten soll. Das würde aber implizieren, dass es individuelle Abweichungen gibt, was wesentlich ist und was nicht. Eine Person kann es zum Beispiel, aus Geschmacksgründen, oder aus psychischen Gründen für wesentlich erachten, was sie anzieht, wohingegen eine andere Person darauf überhaupt keinen Wert legt. Eine individuelle Interpretation von wesentlich, scheint mir zunächst ziemlich naheliegend, die Bestimmung der wesentlichen Bereiche, würde dabei maßgeblich von unseren Interessen bestimmt. Schaber kann dies allerdings unmöglich gemeint haben. Wenn die Deklaration der wesentlichen Bereiche individuell wäre, dann wäre auch Endwürdigung individuell. Wenn Klaus seinem Chef die Schuhe putzt, weil dieser das wünscht, dann müsste man eine Fallunterscheidung machen, wenn man herausfinden will ob eine Würdeverletzung vorliegt. Wenn Klaus seinen Job als wesentlichen Bereich seines Lebens ansieht, dann wäre es eine Würdeverletzung. Wenn Klaus aber ein Weltenbummler wäre, der um Erfahrung zu machen jeden Job annimmt, die Art des Jobs aber nicht als wesentlich betrachtetet, da er jederzeit aufhören und weiterziehen könnte, dann wäre das keine Würdeverletzung. Nun könnte man als Schaberanhänger argumentieren, dass hier in keinem Fall eine Würdeverletzung vorliegt, da Klaus immer die Möglichkeit hat, aufzuhören oder die Schuhe zu putzen, er also akzeptable Optionen hat. Dem würde ich wiederum entgegen, dass nach Schaber Kriecherei immer falsch ist: „Anders verhält es sich mit der Pflicht, nicht vor anderen zu kriechen. Wer dies tut, verletzt das Recht auf Selbstachtung und damit eine Pflicht gegen sich selbst.“13 Zugegeben, meine Argumentation beruht darauf, dass bei Schaber eigentlich die Wahl zwischen akzeptablen Optionen ausschlaggebend für Würdeverletzung ist, an dieser Stelle aber auf einmal das Kriechen immer eine Würdeverletzung darstellt unabhängig davon ob es eine Wahl zwischen akzeptable Option gibt. Dies stellt gewissermaßen einen Lapsus dar, was aber an dieser Stelle unerheblich ist, denn relevant ist nur, dass sich eine individuelle Interpretation dessen, was wesentliche Bereiche des eigenen Lebens sind, nicht mit dem normativen, all gültigen Anspruch der 13 7 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 77 Würde verträgt, die Schaber postuliert, sei es bei Kriecherei, bei Verachtung14, bei Abhängigkeit15 und so weiter. So wäre es, wenn die Ausformung der Bedeutung von wesentlich individuell ist, zum Beispiel auch möglich, dass Selbstversklavung keine Würdeverletzung darstellt, solange der Mensch, der sich versklavt den Anspruch auf Rechte nicht als wesentlichen Bereich seines Lebens deklariert und ich glaube nicht, dass Schaber damit konform gehen würde. Schaber müsste also von einem Konsens ausgehen, der definiert, was wesentlich ist, den es in bestimmten Bereichen auch sicherlich gibt, in anderen wiederum nicht, um das Beispiel mit der Kleidung noch einmal zu nennen. Eine endgültige Antwort findet sich also nicht, beide Möglichkeiten sind unbefriedigend. Vielleicht gibt es eine dritte Möglichkeit die befriedigend wäre, die mir aber momentan nicht in den Sinn kommt, was aber nichts daran ändert, dass Schaber diesen, meiner Meinung nach essentiellen Teil seines Systems wieder einmal völlig unerläutert lässt. Wie schon in Kapitel eins liegt hier eine Unklarheit vor, die sich auf das ganze System übertragen kann. 3. Schabers Würdebegriff und der common sense Der Kern des Systems, der im Vorausgegangenen vorgestellt wurde, definiert Würde und dementsprechend auch die Würdeverletzung. Eine wichtige Prämisse des Systems ist das Recht auf Selbstachtung, denn nur wenn man das Recht über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst zu entscheiden achtet, dann achtet man das Selbst des Menschen: „Es geht dabei darum, dass mein Selbst von anderen und gleichzeitig von mir selbst geachtet werden soll. Das Selbst zu achten heißt, das Recht der Person, über wesentliche Bereiche des eigenen Leben verfügen zu können zu achten“16. Die Würde ist also der Anspruch darauf ein bestimmtes Recht wahrzunehmen. Das Recht, über wesentliche Bereiche des Lebens selbst bestimmen zu können ist also eine ganz essentielle Prämisse, damit das Würdekonzept Schabers funktioniert. Wäre das Recht nicht vorhanden, wäre ein Anspruch darauf es wahrzunehmen unsinnig. Im Verlauf des Buches wird immer wieder deutlich gemacht, dass Würde nur verletzbar ist, aber nicht genommen oder veräußert werden kann: „Die Würde ist unantastbar und entsprechend kann der andere mich auch von meiner Pflicht, seine Würde zu respektieren nicht entbinden“ 17 ; „Die Würde von Personen kann verletzt, nicht aber 14 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 120 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 112 - 118 16 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52 17 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 75 15 8 vermindert oder vermehrt werden“18. Diese und ähnliche Aussagen werden in Kapitel fünf auch direkt an das Recht auf Selbstachtung gekoppelt als es darum geht, warum alle anderen Ansprüche die Menschen haben, lediglich dem Anspruch auf Selbstachtung dienen: „Es lassen sich keine Gründe denken, die für die Verletzung dieses Anspruches sprechen, da kein Recht für die Selbstverfügung von Personen über sich selbst bedeutender sein kann“19. Bevor ich diese Stelle untersuche möchte ich noch eine weitere, die ähnliches aussagt, aus Kapitel sieben hinzufügen und diese dann zusammen abarbeiten. Die andere besagte Stelle findet sich in Kapitel vier: „Der Anspruch auf Selbstachtung ergibt sich aus dieser Bedeutung, welche die Selbstachtung für uns hat“20 Diese beiden Stellen zeigen ganz deutlich, dass die Unantastbarkeit der Würde laut Schaber aus der enormen Wichtigkeit des Rechts, über wesentliche Bereiche des Lebens selbst verfügen zu können, entspringen. Weiterhin wird auf Seite 90 ausgeführt, dass diese Bedeutung uns vor Augen geführt wird, wenn wir in unserem Anspruch auf Selbstachtung verletzt werden. Schaber scheint also davon auszugehen, dass jedem Menschen, das Recht auf Selbstachtung intuitiv als so stark bedeutend ist, dass es als absolut und unantastbar gilt. Zudem suggerieren die besagten Stellen, dass das Recht auf Interessen basiert (=darauf, wie viel es den Personen wert ist), was Schaber aber zurückweist, da nicht Interessen, sondern objektive Gründe und Werte zählen, daher ja auch die Pflichten gegen sich selbst… Dass dies absolut nicht der Fall ist, will ich im Folgenden mehrfach konstruieren. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass die Bedeutung, über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst bestimmen zu können, untergeordnet wird. Auch stellt die Verletzung des Anspruches auf Selbstachtung keineswegs immer eine Gelegenheit dar, in der uns gezeigt wird, dass die Bedeutung des Anspruchs so enorm ist, wie Schaber meint. Im Folgenden werde ich nun 5 Beispiele darstellen, die dies belegen und keinesfalls so abstrakt sind, dass sie als Sonderfall gewertet werden müssten. Da bei allen Beispielen der Anspruch auf Selbstachtung aufgeben wird, liegt laut Schabers Modell eine Würdeverletzung vor. Es soll deswegen zusätzlich betrachtet werden, ob die schabersche Würdeverletzung auch allgemeinhin als Würdeverletzung verstanden werden würde, denn Schaber möchte ja die paradigmatischen Benutzungen des Würgebegriffes Rechnung tragen. Dies soll parallel untersucht werden, da die Beispiele ideal für beide Fälle sind und ich sie nicht zweimal aufführen will. Es wird also immer geschaut, wie hoch die Bedeutung des Anspruches ist und ob der Fall allgemeinhin als Würdeverletzung deklariert werden kann. 1. 18 Wenn ein Mensch sich zum Militärdienst verpflichtet gibt er automatisch, in diversen Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 102 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 104 20 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 90 19 9 wesentlichen Bereichen den Anspruch auf akzeptable Optionen auf. Er kann Bereiche nicht mehr bestimmen, die sicherlich allgemein als wesentlicher Lebensbereich deklariert werden würden. Er kann nicht mehr bestimmen was und wann er Nahrung zu sich nimmt, auch nicht wie er seinen Tagesablauf gestaltet, zum Teil sogar nicht einmal wann und was er sagt. Die Bedeutung des Anspruches auf Selbstachtung ist an dieser Stelle nicht sonderlich hoch, denn der Anspruch wird freiwillig abgegeben. Man hat durchaus, eine Wahl ob man sich dem Militär verschreibt und man ist auch aufgeklärt genug um zu wissen, was einen dort erwartet. Trotzdem stimmt man einer Verletzung des Anspruches auf Selbstachtung zu. Na fraglich, ob selbstbestimmte Aufgabe des Rechtes schlimm ist, aber bei Selbstversklavung schon und ist die Bundeswehr dem analog? Die Gründe dafür gehen von Geld, über Pflichtgefühl bis hin zu Perspektivlosigkeit. Das bedeutet, dass all diese Dinge, die einen dazu bringen dem Militär beizutreten der Person wichtiger sind als der Anspruch auf Selbstachtung. Liegt nun in jedem Fall eine Würdeverletzung vor? Wenn man Befehle befolgen muss, kann es durchaus dazu kommen, zum Beispiel wenn man mit der eigenen Zahnbürste das Klo schrubben muss. Wenn man allerdings den Befehl bekommt Munition aus dem Depot zu holen oder einen Funkspruch zu senden, dann hat man, aufgrund dessen, dass es sich um einen Befehl handelt zwar keine akzeptablen Optionen zur Auswahl, wird hier aber sicherlich nicht von einer Würdeverletzung im Allgemeinen reden. Aber gibt man nicht in jedem Arbeitsverhältnis einen Teil der Rechte auf, aber es gibt Grenzen, das Privatleben? Und man hat Widerrufsrecht? Trifft das nicht auch auf Armee zu? 2. Ein weiterer Fall ist der Auftrag eines Chefs, der sich gar nicht mal so enorm vom Befehl eines vorgesetzten Militärs unterscheidet. Wenn der Chefredakteur einem Mitarbeiter den Auftrag gibt, nach New York zu fliegen und einen Artikel über das örtliche Schwimmbad zu schreiben, der Mitarbeiter dies aus persönlichen Gründen aber überhaupt nicht möchte, ist der Anspruch auf akzeptable Optionen verletzt. Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit den Artikel zu schreiben, was für ihn keine akzeptable Option darstellt, er hat aber auch die Möglichkeit den Artikel nicht zu schreiben, was unweigerlich zu seiner Kündigung führen würde, eine Option die für ihn auch nicht akzeptabel ist. Die Frage ob hier ein wesentlicher Bereich des eigenen Lebens betroffen ist, ist aufgrund der Unklarheit des Begriffes wesentlich nicht sicher. Es könnte aber sein, wenn man bedenkt, dass Fliegen ein Lebensrisiko darstellt und wenn man der Meinung ist, dass die Bestimmung über seine Lebenszeit generell als wesentlicher Bereich gelten kann. Die Gründe warum man sich in die Situation begibt wohl wissend, dass durchaus ein Auftrag kommen kann, der einem nicht zusagt, reichen auch hier sehr weit. Das Prinzip kann aber bei sehr vielen Berufen, wenn nicht sogar bei allen, vorkommen. Und somit umfassen die Gründe jegliche 10 Art von Gründen, die einen zur Annahme eines Berufs verleiten. S.O. Eine Würdeverletzung nach dem common sense liegt hier wohl in den wenigsten Fällen vor. 3. Zwar besitzen Kleinstkinder nach Schabers Modell keine Würde21 und es ist uneinsichtig, wann das sich entwickelnde Kind Würde bekommt, jedoch kann man sicher davon ausgehen, dass ein Sechsjähriger diese mittlerweile besitzt. Wenn nun ein Kind seinen Spinat nicht aufessen möchte und die Eltern dies aber vorschreiben, dann hat das Kind keine Möglichkeit über wesentliche Bereiche, selbst zu bestimmen. Nahrungsaufnahme zähle ich persönlich durchaus zu einem wesentlichen Bereich des Lebens. Das Kind hat nun keine akzeptablen Optionen: Es hasst Spinat und will ihn nicht essen. Die Alternative wäre ihn nicht zu essen, doch in dem Fall droht Hausarrest, was für das Kind auch keine akzeptable Option darstellt. Das Beispiel kann auf viele verschiedene Situationen im Bereich der Erziehung angewandt werden, sei es das soziale Verhalten des Kindes anderen gegenüber, oder die Verfügung über finanzielle Mittel, die Einteilung der Zeit und so weiter. Diese Art der Einschränkung des Selbstbestimmens über wesentliche Bereiche ist allerdings gesellschaftlich anerkannt. In diesem Fall scheint ein Konsens zu herrschen, dass die Wichtigkeit ein Kind zu erziehen und dafür den Eltern gewisse Freiheiten einzuräumen, höher ist, als die Wichtigkeit über wesentliche Bereiche des Lebens selbst zu bestimmen. Da das Beispiel wie bereits erwähnt allgemein anerkannt ist, liegt hier auch keine Würdeverletzung nach dem common sense vor. 4. Hubert fährt mit seinem Auto auf der Landstraße zu einem wichtigen Geschäftstermin und sieht im Straßengraben ein verunglücktes Auto mit Verletzten. Laut Gesetz wäre Hubert nun verpflichtet anzuhalten und Ersthilfe zu leisten, da er ansonsten eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung bekommen würde. Hubert hat nun keine Wahl zwischen akzeptablen Optionen mehr. Zum einen könnte er Hilfe leisten und würde dadurch einen wichtigen Geschäftstermin verpassen. Da Hubert das Geld dringend braucht ist dies keine akzeptable Option. Weiterzufahren und dafür die Strafe für unterlassene Hilfeleistung zu kassieren, die mitunter auch in Freiheitsstrafen münden kann, ist auch keine akzeptable Option. Auch dieses Beispiel kann beliebig ersetzt werden durch Fälle in denen eine Person vom Gesetz jegliche Möglichkeit auf akzeptable Optionen genommen bekommt und es sich um einen wesentlichen Bereich des eigenen Lebens handelt. Die Wichtigkeit, dass eine Gesellschaft feste Regeln hat, nach der sie lebt und an die sich jeder zu halten hat scheint hier größer zu sein, als die Wichtigkeit des Rechts auf Selbstachtung. Ich bin mir sicher, dass niemand hier von einer Würdeverletzung bei Hubert sprechen würde, 21 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 92 11 vollkommen unabhängig davon für welchen Weg er sich entscheidet. 5. Ich befinde mich im letzten Semester vor der Zwischenprüfung. Ich muss, um meine Zwischenprüfung zu schaffen noch mein Forschungsseminar machen. Der Dozent des Forschungsseminars verlangt nun ein Referat, drei Essays, eine Exkursion und eine Hausarbeit von 40 Seiten. Aufgrund des enormen Zeitaufwandes, den ich für diese Leistungen aufbringen muss verpasse ich viele schöne Dinge im Leben wie zum Beispiel das all-you-can-eat Festival der örtlichen Konditorei, auf das ich mich schon seit einem Jahr freue. Die Erbringung der Leistung stellt somit keine akzeptable Option mehr dar, genauso wenig wie den Schein nicht zu bekommen und exmatrikuliert zu werden. Ein wesentlicher Bereich liegt hier deshalb vor, weil die Situation zum einen Auswirkungen auf mein komplettes folgendes Leben haben wird und zum andern, weil es um die Verfügung eines nicht unerheblichen Kontingents meiner Lebenszeit geht. Die Wichtigkeit, dass es Dinge gibt, die ein Mensch einfach zu tun hat, wenn er etwas Bestimmtes will, scheint hier ebenfalls höher zu sein, als die Wichtigkeit über wesentliche Bereiche des Lebens selbst zu bestimmen. Von einer Würdeverletzung würde auch hier sicherlich niemand ausgehen. Bei der Auswertung der Beispiele kann man die beiden Untersuchungsaspekte wieder zusammen führen. Es wurde deutlich gezeigt, dass es genügend Situationen gibt, in denen es allgemein anerkannt ist, nicht über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst zu verfügen, sei es das Gesetz, die Erziehung, das Militär oder die Arbeit. In so ziemlich jedem Fall, in dem eine Hierarchie in irgendeiner Weise zum Tragen kommt, ist eine Verletzung des Anspruchs auf Selbstachtung im Rahmen dieser Hierarchie durchaus allgemein gebilligt. Hierarchien werden zum Teil ja genau deswegen angelegt um die Möglichkeit über wesentliche Bereiche seines Lebens verfügen zu können zu beschränken, hier zähle ich zum Beispiel auch das Gesetz hinzu. Wenn nun, wie Schaber behauptet, die Wichtigkeit des Rechts auf Selbstachtung so enorm wäre, dass sie das Recht über alle anderen stellt und deswegen auch zu einer Unantastbarkeit der Würde führt, dann ist die Frage, warum der Anspruch auf Selbstachtung so oft freiwillig aufgegeben wird nicht zu beantworten. Vielleicht wird freiwillig nur ein gewisses Maß aufgegeben, aber ein Kern ist unverfügbar, z.B. dass ich die Aufhebung wiederrufen können muss Laut Schaber steht das Recht auf Selbstachtung über allem anderen, aufgrund der enormen Relevanz, die dieses Recht für uns einnimmt. Die besagten Beispiele zeigen aber deutlich, dass das Recht über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens selbst verfügen zu können vom Menschen oft anderen Zielen untergeordnet wird. Es besitzt also keinesfalls die enorme Relevanz, die Schaber postuliert. Weiterhin hat Schabers Modell das gleiche Problem (offenbar nicht, da S. nicht zu kurz greift), wie Kants Modell, dass nein bei Kant nur völlige I.! Instrumentalisierung immer mit Würdeverletzung 12 einher geht. Bei Kants Modell lassen sich Situationen finden, in denen das Modell zu kurz oder zu weit greift. Es gibt also Fälle in denen keine völlige! Instrumentalisierung vorliegt, jedoch eine Würdeverletzung und es gibt Fälle in denen eine Würdeverletzung vorliegt, jedoch keine völlige! Instrumentalisierung. Schaber setzt nun Würdeverletzung gleich mit dem Anspruch auf Selbstachtung, also der Wahl zwischen akzeptablen Optionen. Dies greift wie durch die fünf Beispiele gezeigt ebenfalls zu weit. In allen fünf Fällen läge nach Schabers Konzept eine Würdeverletzung vor. Das Schabers System zu kurz greifen würde, halte ich allerdings für kaum denkbar. Es müsste einen Fall geben, in dem eine Würdeverletzung vorliegt, aber keine Verletzung des Anspruchs auf Selbstachtung. Das halte ich für unmöglich, denn es würde bedeuten, dass eine Wahl zwischen akzeptablen Optionen vorlag, jedoch eine Würdeverletzung eintrat. Das bedeutet, die Würdeverletzung wäre Teil einer akzeptablen Option gewesen. Besser begründen, d.i. zu schnell! Da Würdeverletzung meines Erachtens nie akzeptabel sein kann, greift Schabers Konzept nie zu kurz. Man könnte nun fragen, was denn in einer Situation ist, in der die Würdeverletzung akzeptiert wird aufgrund einer Unterordnung. Beispielsweise, wenn man die eigene Würdeverletzung hin nimmt um das Leben eines Anderen zu retten. Ich würde hier entgegnen, dass es sich dabei nicht um akzeptable Optionen handelt, sondern um eine Auswahl an inakzeptablen Optionen, für die ich alle keine Gründe habe, mich aber für die Option entscheide, die am akzeptabelsten ist, das bedeutet dem Kriterium der Akzeptanz am nächsten kommt. Schabers Modell greift also zu weit. Rein philosophisch würde dies, denke ich, kein Problem darstellen, wenn man Würdeverletzung strikt nach dem System neu definiert. Dazu müsste man lediglich den Anspruch aufgeben, die paradigmatischen Benutzungen des Wortes in dem System zu fassen. Philosophisch problematisch wird das zu weit fassen des Systems erst dann, wenn man eine Würdeverletzung als moralisch falsch definiert. Die Frage ob dies bei Schaber der Fall ist, werde ich im Folgenden zu klären versuchen. 4. Der moralische Gehalt der Würde Die Antwort müsste im Kapitel sieben zu finden sein, denn Schaber schreibt in der Einleitung: „Es geht dabei um die Frage, ob der Begriff der Würde, moraltheoretisch neutral ist“ 22. Das besagt aber nichts über das moralische Gewicht von Würde, sondern darüber, mit welchen Theorien es kompatibel ist. Im Laufe der Untersuchung stellt Schaber fest, dass nicht alle moralisch falschen Handlungen mit der Würdeverletzung einher gehen, weswegen die Würdeverletzung nicht das 22 Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 124 13 Grundprinzip der Moral sein kann, welches einen ähnlichen Anspruch hat wie Kants Selbstzweckformel. Eine befriedigende Moraltheorie muss nicht nur sagen, was richtig und falsch ist, sondern auch erklären, warum wir sie achten sollten. Meiner Meinung nach muss eine befriedigende Moraltheorie aber auch erklären, warum die Kriterien für richtig und falsch moralischer Natur sind, also welches die moralischen Kriterien sind. In diesem konkreten Fall zum Beispiel warum die Missachtung über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst verfügen zu können moralisch falsch ist. Warum ist es moralisch falsch jemanden einzusperren, oder ihn zum Urlaub nehmen zu verdonnern? Die moralische Aufladung der Würde innerhalb Schabers Modell ist interessant. Es begibt sich nun aber Folgendes: Am Anfang von Kapitel sieben wird noch genau diese Frage gestellt, wie ich ja oben schon zitiert habe. In Kapitel 7.1 verabschiedet Schaber Kants Selbstzweckformel als das Grundprinzip der Moral. In Kapitel 7.2 wird nun die Frage geklärt, warum man die Würde achten sollte. Hierbei stellt Schaber sein Modell neben andere Moraltheorien, denn er sagt ja, dass befriedigende Moraltheorien in der Lage sein müssen zu erklären, warum man sie achten soll. Sein Modell ist also nun schon eine Moraltheorie, was bedeutet, dass sie moralisch aufgeladen ist. Es muss also irgendwo die Frage nach der moralischen Neutralität beantwortet worden sein. Im weiteren Verlauf des Kapitels ordnet Schaber seine Moraltheorie lediglich ein und stellt sie anderen Moraltheorien gegenüber. Die Antwort muss also in Abschnitt 7.1 liegen, ich kann sie aber nicht finden. In 7.2 wird die Achtung der Würde als selbstevident verteidigt! Vielleicht liegt das auch an der Vermischung zwischen Kants Selbstzweckformel und Schabers eigenem Modell. Letztendlich wird aber nur die Selbstzweckformel verabschiedet. Allerdings mit einem Zugeständnis: „Trotzdem weist uns die Selbstzweckformel auf eine Eigenschaft hin, die wohl sehr viele Handlungen falsch macht, die Eigenschaft nämlich, andere an der Ausübung des Rechts zu hindern, über wesentliche Bereiche ihres Lebens zu verfügen.“ Die Frage warum genau diese Eigenschaft Handlungen falsch macht, ist die Frage die ich gerne beantwortet hätte. Alle Beispiele, die ich in Abschnitt 3 angeführt habe, scheinen doch zu zeigen, dass diese Eigenschaft nicht automatisch Handlungen falsch macht. Ich komme zu dem Schluss, dass es sich hier einfach um eine Prämisse handelt. Die Würdeverletzung nach Schaber ist also moralisch falsch. Es ist also moralisch falsch, andere daran zu hindern, über wesentliche Bereiche ihres Lebens selbst zu bestimmen. Warum das so ist, bleibt allerdings ungeklärt. Laut Schaber sind also alle von mir angeführten Beispiele nicht nur eine Würdeverletzung, sondern auch moralisch falsch. Es fällt, denke ich, ohnehin schon schwer diesem Ergebnis zuzustimmen. Noch schwieriger wird dies sicherlich, wenn man bedenkt, dass jemand, der eines anderen Menschen Würde nicht achtet, selbst seinen Anspruch auf Würde verliert 14 5. Schluss Schabers Würdekonzept beruht also essentiell darauf, zwischen akzeptablen Optionen wählen zu dürfen, denn das bedeutet, über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst verfügen zu können. Wenn man über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens selbst verfügen kann, dann lebt man ein Leben in Selbstachtung. Der Anspruch auf dieses Leben in Selbstachtung, ist die Würde. Es wurden Probleme aufgezeigt und Fragen gestellt, die sich an den Kern von Schabers Würdekonzept richten. Es konnte nicht in allen Punkte geklärt werden, worin akzeptable Optionen bestehen. Weitere Unklarheiten fanden sich in ? der Zahl der akzeptablen Optionen, vor allem bei der Frage, warum eine akzeptable Option nicht ausreichend ist. Bei den wesentlichen Bereichen des eigenen Lebens wurde untersucht, wer ausschlaggebend ist, für die Bestimmung der Wesentlichkeit. Hierbei erscheint weder die individuelle Bestimmung einzelner Personen darüber, was für sie wesentlich ist befriedigend, noch die Bestimmung über eine Allgemeinheit. Anschließend wurden mehrere Beispiele konstruiert, um zu untersuchen ob das schabersche Würdemodell mit dem allgemeinen Verständnis von Würde kompatibel ist. Das Ergebnis lautete, dass Schabers Modell durchaus zu weit greifen kann, jedoch nie zu kurz. Abschließend wurde der moralische Gehalt der Würde untersucht. Schaber deklariert Würdeverletzungen durchaus als moralisch falsch, allerdings war mir nicht erkennbar, worin diese Falschheit begründet ist. Des Öfteren wurde aufgezeigt, dass besonders Kernstücke des Systems mitunter ungenau formuliert sind. Diese Unklarheiten übertragen sich letztendlich auf das komplette System. Eine Beseitigung dieser Unklarheiten wurde zwar auf hypothetischer Basis versucht, jedoch kaum befriedigend zum Erfolg gebracht. Schaber formuliert zwar den Anspruch, dem allgemein gebräuchlichen Verständnis von Würde, mit seinem System Rechnung zu tragen, allerdings wurde mehrfach gezeigt, dass ihm dies nicht gelingt. 6. Literaturverzeichnis Birnbacher, Dieter, Kann die Menschenwürde die Menschenrechte begründen, In: Die großen Kontroversen der Rechtsphilosophie, hgg. v. Bernward Gesang/Julius Schälike. Paderborn 2011. S.77-98. Gesang, Bernward, Kann man die Achtung der Menschenwürde als Prinzip der normativen Ethik retten?, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 64, Mannheim 2010. S. 474-497. 15 Hilgendorf, Eric, Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie der Menschenwürde, In: Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag hgg. v. Hans-Ulrich Paeffgen u.a., Berlin 2011. S. 1653-1671. Schaber, Peter, Instrumentalisierung und Würde, Paderborn 2010. Eine gelungene Arbeit. Wie Sie versuchen, Schaber zu analysieren, ihn in interne Widersprüche verstricken und selbst Beispiele konstruieren, all das ist genau der richtige Weg. Mängel sind zum einen eine gewisse sprachliche Schludrigkeit, einiges wirkt nicht gut ausformuliert, viele Flüchtigkeitsfehler weisen auf wenig Perfektionismus hin. Die Sekundärliteratur ist wenig eingebaut worden. Zudem gibt es inhaltliche Missverständnisse bei Kants Instrumentalisierungsverbot und einige argumentative Schnellschüsse. Im vorletzten Abschnitt wurde die Hauptlinie, wie Schaber den Wert der Achtung vor der Würde in 7.2. verteidigt nicht erwähnt. Note: 1,5 16