3. Schabers Würdebegriff und der common sense

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1. Einleitung
Die Würde ist sicherlich einer der ausdrucksstärksten Begriffe unserer Zeit. Dies gilt neben dem
persönlichen, vor allem für den öffentlich moralischen und politischen Bereich. Genau
entgegengesetzt zur äußerlichen Stärke des Begriffes steht seine innerliche Schwäche der
Bedeutung. Die Frage, was denn Würde überhaupt sei ist vor allem deshalb so klärungsbedürftig, da
unser Grundgesetz mit ihr die Akzeptanz der Menschenrechte begründet. Der Begriff hat also den
Anspruch die Menschenrechte zu legitimieren. Die Versuche den Begriff mit Bedeutung zu füllen,
oder die Bedeutung herauszufinden hat zu vielerlei Ergebnissen in jüngerer Zeit geführt. Dennoch
kann keine dieser Würdemodelle sowohl die allgemein gebräuchlichen Verwendungsformen des
Begriffes und noch dazu ihren Anspruch der Begründung der Menschenrechte zufriedenstellend
ausfüllen.
Eric Hilgendorfs Ensembletheorie zum Beispiel fasst sehr gut das allgemeine Verständnis des
Würdebegriffes in ein Konglomerat an Rechten 1 , scheitert jedoch bei der im Grundgesetz
deklarierten Unantastbarkeit der Würde, beispielsweise im Falle der Kollision zweier dieser
Rechte.2 Das ist zu kurz! Hilgendorf und sein Scheitern müssten genauer ausgeführt werden. Man
kann nicht nur behaupten, sondern muss argumentativ belegen.
Birnbacher kommt generell zu dem Schluss, dass die Würde nicht Kraft ihres Wertes die
Menschenrechte begründen kann und man somit Alternativen zu deren Begründung finden muss.3
Ein relativ neues Modell entstammt der Feder von Peter Schaber. Sein Modell der Würde, welches
durchaus auch die Intrinsität und Unantastbarkeit der Selben postuliert, soll in dieser Arbeit
untersucht werden. Die Leitfragen, die diese Arbeit begleiten sind:
1.
Worin besteht die Würde bei Schaber?
2.
Fasst Schabers Würdemodell den common sense?
3.
Woher kommt der moralische Gehalt der Würde?
Die weiterhin interessanten Fragen der Unantastbarkeit und ihrer Intrinsität können nur grob
behandelt werden, da der Umfang der Arbeit mehr nicht zulässt.
Die Fragen werden auch in dieser Reihenfolge behandelt. Ziel ist es, neben der selbstverständlichen
Beantwortung der Fragen, auch Probleme des Systems aufzuzeigen, diese im Idealfall auch zu lösen,
sowie Unklarheiten zu beseitigen.
1
Hilgendorf, Eric, Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie der Menschenwürde in: Strafrechtswissenschaft als
Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag hgg. v. Hans-Ulrich Paeffgen u.a.,
Berlin 2011. S. 1665-1666.
2
Hilgendorf, Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie, S. 1666-1667
3
Birnbacher, Dieter, Kann die Menschenwürde die Menschenrechte begründen, In: Die großen Kontroversen der
Rechtsphilosophie, hgg. v. Bernward Gesang/Julius Schälike. Paderborn 2011. S. 96-97.
1
2. Das System der Würde bei Peter Schaber
2. 1 Die Bedeutung von Würde
Anfangs soll nun also geklärt werden, was die Würde bei Schaber ist: „Die Würde von Personen,
die sie nicht erworben haben und auch nicht verlieren können ist der Anspruch auf Selbstachtung“.4
Bevor Schaber nun aufklärt, was dieser Anspruch auf Selbstachtung konkret darstellt, erläutert er
zunächst was der Anspruch auf Selbstachtung nicht darstellt nämlich den Anspruch auf Autonomie
und die Selbstwertschätzung.
Selbstwertschätzung bedeutet, wie viel man von sich und den Dingen, die einem wichtig sind hält.5
Man kann weniger von sich halten, wenn man zum Beispiel etwas Dummes tut, oder mehr von sich
halten, wenn man eine tolle Leistung vollbringt. Im Gegensatz zur Selbstachtung kann die
Selbstwertschätzung in ihrer Qualität variieren und auch von außen beeinflusst werden. Beispiel?
Die Autonomie hingegen wird im Folgenden an, meiner Meinung nach, passenderer Stelle
differenziert. D.h.?
Um zu wissen, was Würde bedeutet, wenn sie den Anspruch auf Selbstachtung darstellt, muss man
zunächst die Selbstachtung definieren. Schaber schreibt: „Es geht dabei darum, dass mein Selbst
von anderen und gleichzeitig von mir selbst geachtet werden soll. Das Selbst zu achten heißt, das
Recht der Person, über wesentliche Bereiche des eigenen Leben verfügen zu können zu achten“6
Dieses Recht ist immer da, es kann nicht genommen werden, nur verletzt werden. Woher dieses
Recht kommt, wird an anderer Stelle thematisiert.
Doch was bedeutet es über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst zu verfügen? Schaber
schreibt: „Das Recht kann ich nur ausüben, wenn ich die Wahl zwischen akzeptablen Optionen
habe...Das Recht sich zwischen akzeptablen Optionen entscheiden zu können schließt dabei kein
Recht auf eine bestimmte Zahl von Optionen ein. Die Optionen die man wählen kann müssen
einfach akzeptabel sein.“7
Zuletzt muss nun noch erläutert werden, was akzeptable Optionen sind, dann ist das Gerüst fertig.
„Unter akzeptablen Optionen verstehe ich dabei Optionen, die ich zu wählen Gründe habe. Über
diese Gründe kann ich mich auch täuschen. Gründe sind in diesem Zusammenhang nicht einfach
das, was ich als Gründe sehe. Es sind vielmehr Dinge, die man als Gründe sehen kann. Dabei
müssen die andern das, was ich als Grund sehe nicht auch als Grund sehen. Es muss aber
einleuchten können, dass man etwas als Grund sieht.“8
4
Schaber, Peter, Instrumentalisierung und Würde, Paderborn 2010. S.13
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 58
6
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52
7
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52
8
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52
5
2
Diese letzte Passage ist meiner Meinung nach ein Kernstück des ganzen Komplexes von Schaber
und so verwundert es doch, dass sie derartig konfus geschrieben ist und auch nicht weiter erläutert
wird. Zunächst will ich versuchen zu entschlüsseln was gemeint ist.
Der erste Teil scheint noch relativ eindeutig, dort geht es meiner Meinung nach um Gründe für die
Optionen. Diese Gründe sind aber trotzdem Gründe, auch wenn ich mich über sie täusche, doch was
bedeutet es sich über Gründe zu täuschen? Sich über Gründe zu täuschen bedeutet, wenn ich etwas
für einen Grund halte, es objektiv gesehen aber gar keinen Grund darstellen kann. Wenn ich also
aufgrund fehlenden Wissens über Kausalbeziehungen (nicht notwendig kausal) etwas für einen
Grund halte, was bei voller Aufklärung kein Grund mehr wäre. Ich habe zum Beispiel Grund dem
Briefträger zu misstrauen, weil ich Indizien dafür habe, dass er mit meiner Frau schläft. Ich hätte
aber keinen Grund mehr ihm zu misstrauen, wenn ich darüber aufgeklärt wäre, dass der Briefträger
vollkommen asexuell ist. Ich täusche mich hier über Gründe, die eigentlich keine sind. Bis hierher
ergeben sich keine Probleme, denn auch Gründe, über die ich mich täusche, dürfen legitime Gründe
für akzeptable Optionen sein, schon alleine deshalb, weil die völlig aufgeklärte Situation in einigen
Bereichen, wie Religion gar nicht möglich ist, da man nicht in der Lage ist, Dinge wie Gott
endgültig zu beweisen oder zu widerlegen. (Begriff der Aufklärung? Man sollte wissen, was zu
wissen ist, nicht wissen, was unwissbar ist…) Trotzdem stellt vor allem Gott eine enorme
Grundlage für Gründe akzeptabler Optionen dar. Wenn ich mich also über Gründe täusche, sie aber
trotzdem legitim sind, dann bedeutet dies ja eigentlich, dass das als Grund gilt, was ich gerade als
Grund erachte. Genau dem widerspricht Schaber aber mit dem Satz: „Gründe sind in diesem
Zusammenhang nicht einfach das was ich als Gründe sehe, es sind vielmehr Dinge, die man als
Gründe sehen kann“ 9 Dies impliziert nun, dass Gründe nicht von mir selbst als Grund gesehen
werden müssen, sondern dass die Option besteht, sie als Gründe zu sehen. Gründe müssen um
legitim zu sein, also als Grund gesehen werden können. Ob Schaber bei diesem Satz die theoretisch
vollkommen aufgeklärte Basis als Grundlage nimmt ist nicht ersichtlich. Andernfalls kann aber so
ziemlich alles in irgendeiner Situation als Grund gesehen werden, wenn man die aufgeklärte Basis
weglässt. In beiden Fällen hätte ich auch akzeptable Optionen, wenn ich für keine der momentanen
Optionen selber Gründe sehe. Es reicht ja angeblich, wenn es etwas gibt, was als Grund gesehen
werden kann. Das bedeutet der Atheist hätte im Beten eine akzeptable Option, da man das
Seelenheil durchaus als Grund sehen kann und wie gesagt geht es nicht um Dinge die ich als Grund
sehe, sondern um welche, die als Grund gesehen werden können. Diese Interpretation scheint
allerdings totaler Unfug und ich bezweifle, dass Schaber das wirklich gemeint haben kann.
Die zweite Interpretation die ich vorschlagen möchte macht vielleicht mehr Sinn. Hierbei geht es
9
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52
3
darum, dass ich Gründe habe, sie aber momentan nicht sehe. Wenn ich sie aber sehen würde, dann
würden sie mir als akzeptable Gründe erscheinen. Zum Beispiel sehe ich gerade keine Gründe dafür
auf mein Bankkonto zu schauen. Meine Oma hat mir aber zum Geburtstag Geld überwiesen. Wenn
ich daran denken würde, dann hätte ich einen Grund aufs Konto zu schauen, nämlich den, dass ich
nachprüfen will um wie viel Geld es sich handelt. Ich habe also Gründe, ich sehe sie nur gerade
nicht.
Der Vorschlag klingt im Grunde etwas profan, birgt aber nicht solche Ungereimtheiten wie die erste
Interpretation. Leider verträgt er sich nicht mit dem konkreten Text. Betrachtet man die
Perspektiven, die Schaber wählt, dann fällt auf, dass immer vom Ich geredet wird: „die ich zu
wählen Gründe habe; kann ich mich täuschen; was ich als Gründe sehe“. Der problematische Satz
„Es sind vielmehr Dinge die man als Gründe sehen kann“ wechselt eindeutig die Perspektive. Nach
Vorschlag zwei müsste das man im letzten Satz durch ein ich ersetzt werden. Da Schaber aber im
kommenden wieder zum Ich zurückkehrt muss der Wechsel also Absicht sein. Es erfolgt also
eindeutig ein Wechsel von der subjektiven zur objektiven Position. Das bedeutet, dass die Gründe
für akzeptable Optionen nichts mit mir und meiner persönlichen Sicht zu tun haben. Würde kann
also nur dort verletzt werden, wo objektiv ein Grund der Würdeverletzung vorhanden ist. Das
Ausrichten von akzeptablen Optionen auf objektive Gründe halte ich für ziemlich problematisch.
Würdeverletzung hat meiner Intuition nach durchaus einen starken subjektiven, emotionalen
Charakter und ist nichts, was quasi von einem Gremium entschieden wird. (Auch ein Gremium
kann sich über objektive Gründe irren, würde aber die Gründe des Irrtums einsehen müssen, wenn
sie vorgelegt werden) Nicht umsonst heißt es doch sich in seiner Würde verletzt fühlen. Die These
ist die, dass objektive Gründe auch notwendig vom aufgeklärten Subjekt eingesehen werden
würden, im Idealfall die Perspektiven also wieder zusammen fielen. .
Weiterhin wäre ein Individuum gar nicht mehr in der Lage, sich über akzeptable Optionen im
Klaren zu sein, da die Gründe ja objektiv sind. Es wäre also durchaus denkbar, dass man die
Wahrnehmung hat, keine Optionen zu haben, sie aber in Wirklichkeit hat. Meiner Meinung nach ist
die Wahrnehmung aber ausschlaggebend dafür, ob man sich in seiner Würde verletzt fühlt. Bei
Schaber aber nicht.
Natürlich ist das kein direkt philosophisches Problem, in dem Sinne, dass es das Gerüst Schabers
zusammenbrechen ließe. Das System wäre auch funktionsfähig, wenn es Würdeverletzung im hier
geschilderten Sinne über objektive Gründe für akzeptable Optionen definiert. Das einzige Problem,
was sich daraus ergibt ist lediglich, dass sich damit das System vom common sense absondert. Ich
denke niemand wird widersprechen, wenn ich behaupte, dass im common sense Würdeverletzung
subjektiv sein kann. Nach Schaber kann die Würde verletzt werden, auch wenn ich nichts davon
weiß. Ein philosophisches Konzept, welches dem common sense zuwiderläuft, stellt keine
4
Besonderheit dar. Es stellt aber in zwei Fällen ein Problem dar: Erstens, wenn sich das System mit
der Meinung der Bevölkerung als verträglich darstellen will, ganz nach der Meinung, der Philosoph
soll nicht etwas völlig divergentes zur Moralität des Alltags entwickeln, und zum Zweiten, wenn
sich das System zur Aufgabe gemacht hat den common sense mit zu fassen, was ja in weiten Teilen
der Würdethematik ein Anspruch darstellt. Theorien können auch den C.S. korrigieren wollen… So
übrigens auch am Anfang des Buches von Schaber: „Die Frage ist nicht ob der Begriff [Würde]
interpretationsbedürftig ist, sondern vielmehr, ob wir eine Bestimmung finden können, die den
paradigmatischen Verwendungsweisen des Würdebegriffs Rechnung tragen kann...“10 Ja da haben
Sie einen Punkt, aber genau zu bestimmen, was der C.S. meint, ist schwierig…
Dieses Problem wird im kommenden durchaus noch einmal zum Tragen kommen. Die besprochene
Passage um die Erläuterung der Gründe halte ich für ziemlich erklärungsbedürftig und nicht intuitiv,
was meiner Meinung nach, bei einer der Hauptgrundlagen eines ganzen philosophischen Konzeptes
nicht der Fall sein darf, da sich Unklarheiten an der Wurzel auf das ganze System übertragen
können.
2.2 Die Wahl zwischen akzeptablen Optionen
Der nächste Kritikpunkt bezieht sich auf die Aussage: „Das Recht kann ich nur ausüben, wenn ich
die Wahl zwischen akzeptablen Optionen habe...Das Recht sich zwischen akzeptablen Optionen
entscheiden zu können schließt dabei kein Recht auf eine bestimmte Zahl von Optionen ein“.11
Dieser Satz sagt aus, dass sobald man keine Wahl zwischen akzeptablen Optionen hat, das Recht
auf Selbstachtung nicht mehr ausgeübt werden kann, und dementsprechend kein Leben in
Selbstachtung mehr geführt wird.12 Es liegt also in jedem Fall eine Würdeverletzung vor, da der
Anspruch auf Selbstachtung verletzt wird. Kann man dem wirklich zustimmen? Liegt tatsächlich
immer eine Würdeverletzung vor, wenn man keine Wahl zwischen akzeptablen Optionen hat? Diese
These ist meiner Meinung nach zu streng, denn es lassen sich durchaus Fälle konstruieren, in denen
nach Schabers Modell eine Würdeverletzung vorliegt, tatsächlich aber niemand intuitiv eine
Würdeverletzung feststellen würde. Wenn man zum Beispiel nur eine einzige akzeptable Option
und zahlreiche nicht akzeptable Optionen hat, wird man diese eine wählen. Man tut letztendlich also
etwas, was im eigenen Interesse liegt, beziehungsweise eine akzeptable Option darstellt und ist
trotzdem in seiner Würde verletzt. Gemäß Schaber oder gemäß Ihnen? Ich glaube dass dies
durchaus der Fall sein kann, es aber nicht der Fall sein muss. Ich glaube der Unterschied liegt hier
10
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 13
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52
12
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52: „Ein Leben in Selbstachtung zu führen heißt, dieses Recht, über
wesentliche Bereiche des eigenen Lebens verfügen zu können, ausüben zu können“
11
5
in der Art und Weise, wie die Beschränkung auf eine akzeptable Option aussieht. Hierzu möchte ich
zwei gegensätzliche Beispiele konstruieren.
1.
Bernd hat einen enormen Appetit auf Apfelkuchen. Er geht in eine Konditorei und möchte
sich ein Stück Kuchen kaufen, jedoch kommt just in dem Moment ein Gauner in die Konditorei und
zwingt Bernd mit vorgehaltener Pistole ein Stück Apfelkuchen zu essen. In diesem Fall hat Bernd
nur eine Option, die auch genau seinen Interessen entspricht, jedoch würde man, denke ich hier
durchaus von einer Endwürdigung sprechen können.
2.
Bernds gruselige Schwiegermutter kommt am Freitag zu Besuch, deswegen hofft Bernd
inständig, dass ihn der Schichtleiter am Freitag für die Arbeit einteilt. Bernd weiß, dass bei dem
strengen Schichtleiter keine Schichtschieberei möglich ist. Einfach arbeiten obwohl er nicht
eingeteilt wäre, wäre auch keine Option, da es dann einfach keine Arbeit für ihn gäbe. Seine einzige
Hoffnung liegt also in der willkürlichen Schichteinteilung des Leiters. Bernd bekommt nun den
Dienstplan und sieht, zu seinem Glück, dass er Freitag arbeiten muss. Eine andere akzeptable
Option hat er nicht, er wird Freitag arbeiten müssen, sonst verliert er seinen Job.
In beiden Fällen hat Bernd keine Wahl, im ersten Fall jedoch würde man von einer Endwürdigung
sprechen und im zweiten Fall sicherlich nicht, doch woran liegt das? Es ist hier nicht die Anzahl der
akzeptablen Optionen die ausschlaggebend für eine Würdeverletzung ist, es ist die Art und Weise in
der die Optionen auf eins reduziert werden. In beiden Fällen liegt eine Entmachtung Bernds vor,
zum einen vom Gauner, zum anderen vom Schichtleiter. Der Unterschied ist, dass die Entmachtung
im ersten Fall nicht gesellschaftlich anerkannt ist, im zweiten Fall die Entmachtung aber auf einem
System basiert, dass allgemeinhin als nützlich und brauchbar eingestuft wird. Und dem B. sich
freiwillig unterworfen hat, anders als in 1., wo sein Leben bedroht wird Es handelt sich in 1. um
eine nicht akzeptierte Entmachtung und in 2. um eine akzeptierte.
Konsequent wäre es nun konkret auf die Wirkung von Zustimmung auf Würde einzugehen, dies ist
jedoch nicht mein Thema und aufgrund der Kürze der Arbeit kann ich auf diesen Punkt leider nicht
weiter eingehen. Das Beispiel sollte vor allem zeigen, dass nicht in jedem Falle des Fehlens der
Wahl, zwischen akzeptablen Optionen entscheiden zu können, man von einer Würdeverletzung
sprechen kann. Satzbau Wie gesagt könnte man durchaus von einer Würdeverletzung sprechen,
wenn man lediglich den Anspruch hätte Schabers System konsequent anzuwenden, unabhängig
davon, was der common sense intuitiv als Würdeverletzung deklarieren würde. Das ist jedoch nicht
Schabers Anspruch, wie im vorigen Kapitel schon gezeigt wurde.
2.3 Wesentlichkeit
„Das Selbst zu achten heißt, das Recht der Person, über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens
6
verfügen zu können zu achten“. Was genau sind diese wesentlichen Bereiche, von denen Schaber
hier spricht? Wann ist ein Bereich des Lebens wesentlich und wann nicht? Und wer legt fest, welche
Bereiche wesentlich sind?
Entweder legt das Individuum für sich selbst fest, welche Bereiche wesentlich sind und welche
nicht, oder es gibt so etwas wie einen Konsens darüber was wesentlich ist und die Bewertung findet
objektiv und nicht subjektiv statt.
Mangels jeglicher Erläuterungen von Seiten Schabers, kann man hier nur hypothetisch vorgehen,
was ich im Folgenden kurz tun möchte.
Die fehlende Erläuterung legt eigentlich nahe, dass Schaber an dieser Stelle davon ausgeht, dass
man durchaus intuitiv weiß, was wesentlich bedeuten soll. Das würde aber implizieren, dass es
individuelle Abweichungen gibt, was wesentlich ist und was nicht. Eine Person kann es zum
Beispiel, aus Geschmacksgründen, oder aus psychischen Gründen für wesentlich erachten, was sie
anzieht, wohingegen eine andere Person darauf überhaupt keinen Wert legt.
Eine individuelle Interpretation von wesentlich, scheint mir zunächst ziemlich naheliegend, die
Bestimmung der wesentlichen Bereiche, würde dabei maßgeblich von unseren Interessen bestimmt.
Schaber kann dies allerdings unmöglich gemeint haben. Wenn die Deklaration der wesentlichen
Bereiche individuell wäre, dann wäre auch Endwürdigung individuell. Wenn Klaus seinem Chef die
Schuhe putzt, weil dieser das wünscht, dann müsste man eine Fallunterscheidung machen, wenn
man herausfinden will ob eine Würdeverletzung vorliegt. Wenn Klaus seinen Job als wesentlichen
Bereich seines Lebens ansieht, dann wäre es eine Würdeverletzung. Wenn Klaus aber ein
Weltenbummler wäre, der um Erfahrung zu machen jeden Job annimmt, die Art des Jobs aber nicht
als wesentlich betrachtetet, da er jederzeit aufhören und weiterziehen könnte, dann wäre das keine
Würdeverletzung. Nun könnte man als Schaberanhänger argumentieren, dass hier in keinem Fall
eine Würdeverletzung vorliegt, da Klaus immer die Möglichkeit hat, aufzuhören oder die Schuhe zu
putzen, er also akzeptable Optionen hat. Dem würde ich wiederum entgegen, dass nach Schaber
Kriecherei immer falsch ist: „Anders verhält es sich mit der Pflicht, nicht vor anderen zu kriechen.
Wer dies tut, verletzt das Recht auf Selbstachtung und damit eine Pflicht gegen sich selbst.“13
Zugegeben, meine Argumentation beruht darauf, dass bei Schaber eigentlich die Wahl zwischen
akzeptablen Optionen ausschlaggebend für Würdeverletzung ist, an dieser Stelle aber auf einmal
das Kriechen immer eine Würdeverletzung darstellt unabhängig davon ob es eine Wahl zwischen
akzeptable Option gibt. Dies stellt gewissermaßen einen Lapsus dar, was aber an dieser Stelle
unerheblich ist, denn relevant ist nur, dass sich eine individuelle Interpretation dessen, was
wesentliche Bereiche des eigenen Lebens sind, nicht mit dem normativen, all gültigen Anspruch der
13
7
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 77
Würde verträgt, die Schaber postuliert, sei es bei Kriecherei, bei Verachtung14, bei Abhängigkeit15
und so weiter. So wäre es, wenn die Ausformung der Bedeutung von wesentlich individuell ist, zum
Beispiel auch möglich, dass Selbstversklavung keine Würdeverletzung darstellt, solange der
Mensch, der sich versklavt den Anspruch auf Rechte nicht als wesentlichen Bereich seines Lebens
deklariert und ich glaube nicht, dass Schaber damit konform gehen würde.
Schaber müsste also von einem Konsens ausgehen, der definiert, was wesentlich ist, den es in
bestimmten Bereichen auch sicherlich gibt, in anderen wiederum nicht, um das Beispiel mit der
Kleidung noch einmal zu nennen.
Eine endgültige Antwort findet sich also nicht, beide Möglichkeiten sind unbefriedigend. Vielleicht
gibt es eine dritte Möglichkeit die befriedigend wäre, die mir aber momentan nicht in den Sinn
kommt, was aber nichts daran ändert, dass Schaber diesen, meiner Meinung nach essentiellen Teil
seines Systems wieder einmal völlig unerläutert lässt. Wie schon in Kapitel eins liegt hier eine
Unklarheit vor, die sich auf das ganze System übertragen kann.
3. Schabers Würdebegriff und der common sense
Der Kern des Systems, der im Vorausgegangenen vorgestellt wurde, definiert Würde und
dementsprechend auch die Würdeverletzung. Eine wichtige Prämisse des Systems ist das Recht auf
Selbstachtung, denn nur wenn man das Recht über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst zu
entscheiden achtet, dann achtet man das Selbst des Menschen: „Es geht dabei darum, dass mein
Selbst von anderen und gleichzeitig von mir selbst geachtet werden soll. Das Selbst zu achten heißt,
das Recht der Person, über wesentliche Bereiche des eigenen Leben verfügen zu können zu
achten“16.
Die Würde ist also der Anspruch darauf ein bestimmtes Recht wahrzunehmen. Das Recht, über
wesentliche Bereiche des Lebens selbst bestimmen zu können ist also eine ganz essentielle
Prämisse, damit das Würdekonzept Schabers funktioniert. Wäre das Recht nicht vorhanden, wäre
ein Anspruch darauf es wahrzunehmen unsinnig. Im Verlauf des Buches wird immer wieder
deutlich gemacht, dass Würde nur verletzbar ist, aber nicht genommen oder veräußert werden kann:
„Die Würde ist unantastbar und entsprechend kann der andere mich auch von meiner Pflicht, seine
Würde zu respektieren nicht entbinden“ 17 ; „Die Würde von Personen kann verletzt, nicht aber
14
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 120
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 112 - 118
16
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 52
17
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 75
15
8
vermindert oder vermehrt werden“18. Diese und ähnliche Aussagen werden in Kapitel fünf auch
direkt an das Recht auf Selbstachtung gekoppelt als es darum geht, warum alle anderen Ansprüche
die Menschen haben, lediglich dem Anspruch auf Selbstachtung dienen: „Es lassen sich keine
Gründe denken, die für die Verletzung dieses Anspruches sprechen, da kein Recht für die
Selbstverfügung von Personen über sich selbst bedeutender sein kann“19.
Bevor ich diese Stelle untersuche möchte ich noch eine weitere, die ähnliches aussagt, aus Kapitel
sieben hinzufügen und diese dann zusammen abarbeiten. Die andere besagte Stelle findet sich in
Kapitel vier: „Der Anspruch auf Selbstachtung ergibt sich aus dieser Bedeutung, welche die
Selbstachtung für uns hat“20
Diese beiden Stellen zeigen ganz deutlich, dass die Unantastbarkeit der Würde laut Schaber aus der
enormen Wichtigkeit des Rechts, über wesentliche Bereiche des Lebens selbst verfügen zu können,
entspringen. Weiterhin wird auf Seite 90 ausgeführt, dass diese Bedeutung uns vor Augen geführt
wird, wenn wir in unserem Anspruch auf Selbstachtung verletzt werden. Schaber scheint also davon
auszugehen, dass jedem Menschen, das Recht auf Selbstachtung intuitiv als so stark bedeutend ist,
dass es als absolut und unantastbar gilt. Zudem suggerieren die besagten Stellen, dass das Recht auf
Interessen basiert (=darauf, wie viel es den Personen wert ist), was Schaber aber zurückweist, da
nicht Interessen, sondern objektive Gründe und Werte zählen, daher ja auch die Pflichten gegen sich
selbst…
Dass dies absolut nicht der Fall ist, will ich im Folgenden mehrfach konstruieren. Es gibt genügend
Beispiele, die zeigen, dass die Bedeutung, über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst
bestimmen zu können, untergeordnet wird. Auch stellt die Verletzung des Anspruches auf
Selbstachtung keineswegs immer eine Gelegenheit dar, in der uns gezeigt wird, dass die Bedeutung
des Anspruchs so enorm ist, wie Schaber meint. Im Folgenden werde ich nun 5 Beispiele darstellen,
die dies belegen und keinesfalls so abstrakt sind, dass sie als Sonderfall gewertet werden müssten.
Da bei allen Beispielen der Anspruch auf Selbstachtung aufgeben wird, liegt laut Schabers Modell
eine Würdeverletzung vor. Es soll deswegen zusätzlich betrachtet werden, ob die schabersche
Würdeverletzung auch allgemeinhin als Würdeverletzung verstanden werden würde, denn Schaber
möchte ja die paradigmatischen Benutzungen des Würgebegriffes Rechnung tragen. Dies soll
parallel untersucht werden, da die Beispiele ideal für beide Fälle sind und ich sie nicht zweimal
aufführen will. Es wird also immer geschaut, wie hoch die Bedeutung des Anspruches ist und ob der
Fall allgemeinhin als Würdeverletzung deklariert werden kann.
1.
18
Wenn ein Mensch sich zum Militärdienst verpflichtet gibt er automatisch, in diversen
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 102
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 104
20
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 90
19
9
wesentlichen Bereichen den Anspruch auf akzeptable Optionen auf. Er kann Bereiche nicht mehr
bestimmen, die sicherlich allgemein als wesentlicher Lebensbereich deklariert werden würden. Er
kann nicht mehr bestimmen was und wann er Nahrung zu sich nimmt, auch nicht wie er seinen
Tagesablauf gestaltet, zum Teil sogar nicht einmal wann und was er sagt.
Die Bedeutung des Anspruches auf Selbstachtung ist an dieser Stelle nicht sonderlich hoch, denn
der Anspruch wird freiwillig abgegeben. Man hat durchaus, eine Wahl ob man sich dem Militär
verschreibt und man ist auch aufgeklärt genug um zu wissen, was einen dort erwartet. Trotzdem
stimmt man einer Verletzung des Anspruches auf Selbstachtung zu. Na fraglich, ob selbstbestimmte
Aufgabe des Rechtes schlimm ist, aber bei Selbstversklavung schon und ist die Bundeswehr dem
analog? Die Gründe dafür gehen von Geld, über Pflichtgefühl bis hin zu Perspektivlosigkeit. Das
bedeutet, dass all diese Dinge, die einen dazu bringen dem Militär beizutreten der Person wichtiger
sind als der Anspruch auf Selbstachtung.
Liegt nun in jedem Fall eine Würdeverletzung vor? Wenn man Befehle befolgen muss, kann es
durchaus dazu kommen, zum Beispiel wenn man mit der eigenen Zahnbürste das Klo schrubben
muss. Wenn man allerdings den Befehl bekommt Munition aus dem Depot zu holen oder einen
Funkspruch zu senden, dann hat man, aufgrund dessen, dass es sich um einen Befehl handelt zwar
keine akzeptablen Optionen zur Auswahl, wird hier aber sicherlich nicht von einer Würdeverletzung
im Allgemeinen reden. Aber gibt man nicht in jedem Arbeitsverhältnis einen Teil der Rechte auf,
aber es gibt Grenzen, das Privatleben? Und man hat Widerrufsrecht? Trifft das nicht auch auf
Armee zu?
2.
Ein weiterer Fall ist der Auftrag eines Chefs, der sich gar nicht mal so enorm vom Befehl
eines vorgesetzten Militärs unterscheidet. Wenn der Chefredakteur einem Mitarbeiter den Auftrag
gibt, nach New York zu fliegen und einen Artikel über das örtliche Schwimmbad zu schreiben, der
Mitarbeiter dies aus persönlichen Gründen aber überhaupt nicht möchte, ist der Anspruch auf
akzeptable Optionen verletzt. Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit den Artikel zu schreiben, was für
ihn keine akzeptable Option darstellt, er hat aber auch die Möglichkeit den Artikel nicht zu
schreiben, was unweigerlich zu seiner Kündigung führen würde, eine Option die für ihn auch nicht
akzeptabel ist.
Die Frage ob hier ein wesentlicher Bereich des eigenen Lebens betroffen ist, ist aufgrund der
Unklarheit des Begriffes wesentlich nicht sicher. Es könnte aber sein, wenn man bedenkt, dass
Fliegen ein Lebensrisiko darstellt und wenn man der Meinung ist, dass die Bestimmung über seine
Lebenszeit generell als wesentlicher Bereich gelten kann.
Die Gründe warum man sich in die Situation begibt wohl wissend, dass durchaus ein Auftrag
kommen kann, der einem nicht zusagt, reichen auch hier sehr weit. Das Prinzip kann aber bei sehr
vielen Berufen, wenn nicht sogar bei allen, vorkommen. Und somit umfassen die Gründe jegliche
10
Art von Gründen, die einen zur Annahme eines Berufs verleiten. S.O.
Eine Würdeverletzung nach dem common sense liegt hier wohl in den wenigsten Fällen vor.
3.
Zwar besitzen Kleinstkinder nach Schabers Modell keine Würde21 und es ist uneinsichtig,
wann das sich entwickelnde Kind Würde bekommt, jedoch kann man sicher davon ausgehen, dass
ein Sechsjähriger diese mittlerweile besitzt. Wenn nun ein Kind seinen Spinat nicht aufessen
möchte und die Eltern dies aber vorschreiben, dann hat das Kind keine Möglichkeit über
wesentliche Bereiche, selbst zu bestimmen. Nahrungsaufnahme zähle ich persönlich durchaus zu
einem wesentlichen Bereich des Lebens. Das Kind hat nun keine akzeptablen Optionen: Es hasst
Spinat und will ihn nicht essen. Die Alternative wäre ihn nicht zu essen, doch in dem Fall droht
Hausarrest, was für das Kind auch keine akzeptable Option darstellt.
Das Beispiel kann auf viele verschiedene Situationen im Bereich der Erziehung angewandt werden,
sei es das soziale Verhalten des Kindes anderen gegenüber, oder die Verfügung über finanzielle
Mittel, die Einteilung der Zeit und so weiter.
Diese Art der Einschränkung des Selbstbestimmens über wesentliche Bereiche ist allerdings
gesellschaftlich anerkannt. In diesem Fall scheint ein Konsens zu herrschen, dass die Wichtigkeit
ein Kind zu erziehen und dafür den Eltern gewisse Freiheiten einzuräumen, höher ist, als die
Wichtigkeit über wesentliche Bereiche des Lebens selbst zu bestimmen.
Da das Beispiel wie bereits erwähnt allgemein anerkannt ist, liegt hier auch keine Würdeverletzung
nach dem common sense vor.
4.
Hubert fährt mit seinem Auto auf der Landstraße zu einem wichtigen Geschäftstermin und
sieht im Straßengraben ein verunglücktes Auto mit Verletzten. Laut Gesetz wäre Hubert nun
verpflichtet anzuhalten und Ersthilfe zu leisten, da er ansonsten eine Strafe wegen unterlassener
Hilfeleistung bekommen würde. Hubert hat nun keine Wahl zwischen akzeptablen Optionen mehr.
Zum einen könnte er Hilfe leisten und würde dadurch einen wichtigen Geschäftstermin verpassen.
Da Hubert das Geld dringend braucht ist dies keine akzeptable Option. Weiterzufahren und dafür
die Strafe für unterlassene Hilfeleistung zu kassieren, die mitunter auch in Freiheitsstrafen münden
kann, ist auch keine akzeptable Option.
Auch dieses Beispiel kann beliebig ersetzt werden durch Fälle in denen eine Person vom Gesetz
jegliche Möglichkeit auf akzeptable Optionen genommen bekommt und es sich um einen
wesentlichen Bereich des eigenen Lebens handelt.
Die Wichtigkeit, dass eine Gesellschaft feste Regeln hat, nach der sie lebt und an die sich jeder zu
halten hat scheint hier größer zu sein, als die Wichtigkeit des Rechts auf Selbstachtung.
Ich bin mir sicher, dass niemand hier von einer Würdeverletzung bei Hubert sprechen würde,
21
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 92
11
vollkommen unabhängig davon für welchen Weg er sich entscheidet.
5.
Ich befinde mich im letzten Semester vor der Zwischenprüfung. Ich muss, um meine
Zwischenprüfung zu schaffen noch mein Forschungsseminar machen. Der Dozent des
Forschungsseminars verlangt nun ein Referat, drei Essays, eine Exkursion und eine Hausarbeit von
40 Seiten. Aufgrund des enormen Zeitaufwandes, den ich für diese Leistungen aufbringen muss
verpasse ich viele schöne Dinge im Leben wie zum Beispiel das all-you-can-eat Festival der
örtlichen Konditorei, auf das ich mich schon seit einem Jahr freue. Die Erbringung der Leistung
stellt somit keine akzeptable Option mehr dar, genauso wenig wie den Schein nicht zu bekommen
und exmatrikuliert zu werden.
Ein wesentlicher Bereich liegt hier deshalb vor, weil die Situation zum einen Auswirkungen auf
mein komplettes folgendes Leben haben wird und zum andern, weil es um die Verfügung eines
nicht unerheblichen Kontingents meiner Lebenszeit geht.
Die Wichtigkeit, dass es Dinge gibt, die ein Mensch einfach zu tun hat, wenn er etwas Bestimmtes
will, scheint hier ebenfalls höher zu sein, als die Wichtigkeit über wesentliche Bereiche des Lebens
selbst zu bestimmen.
Von einer Würdeverletzung würde auch hier sicherlich niemand ausgehen.
Bei der Auswertung der Beispiele kann man die beiden Untersuchungsaspekte wieder zusammen
führen. Es wurde deutlich gezeigt, dass es genügend Situationen gibt, in denen es allgemein
anerkannt ist, nicht über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst zu verfügen, sei es das Gesetz,
die Erziehung, das Militär oder die Arbeit. In so ziemlich jedem Fall, in dem eine Hierarchie in
irgendeiner Weise zum Tragen kommt, ist eine Verletzung des Anspruchs auf Selbstachtung im
Rahmen dieser Hierarchie durchaus allgemein gebilligt. Hierarchien werden zum Teil ja genau
deswegen angelegt um die Möglichkeit über wesentliche Bereiche seines Lebens verfügen zu
können zu beschränken, hier zähle ich zum Beispiel auch das Gesetz hinzu.
Wenn nun, wie Schaber behauptet, die Wichtigkeit des Rechts auf Selbstachtung so enorm wäre,
dass sie das Recht über alle anderen stellt und deswegen auch zu einer Unantastbarkeit der Würde
führt, dann ist die Frage, warum der Anspruch auf Selbstachtung so oft freiwillig aufgegeben wird
nicht zu beantworten. Vielleicht wird freiwillig nur ein gewisses Maß aufgegeben, aber ein Kern ist
unverfügbar, z.B. dass ich die Aufhebung wiederrufen können muss Laut Schaber steht das Recht
auf Selbstachtung über allem anderen, aufgrund der enormen Relevanz, die dieses Recht für uns
einnimmt. Die besagten Beispiele zeigen aber deutlich, dass das Recht über wesentliche Bereiche
des eigenen Lebens selbst verfügen zu können vom Menschen oft anderen Zielen untergeordnet
wird. Es besitzt also keinesfalls die enorme Relevanz, die Schaber postuliert.
Weiterhin hat Schabers Modell das gleiche Problem (offenbar nicht, da S. nicht zu kurz greift), wie
Kants Modell, dass nein bei Kant nur völlige I.! Instrumentalisierung immer mit Würdeverletzung
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einher geht. Bei Kants Modell lassen sich Situationen finden, in denen das Modell zu kurz oder zu
weit greift. Es gibt also Fälle in denen keine völlige! Instrumentalisierung vorliegt, jedoch eine
Würdeverletzung und es gibt Fälle in denen eine Würdeverletzung vorliegt, jedoch keine völlige!
Instrumentalisierung. Schaber setzt nun Würdeverletzung gleich mit dem Anspruch auf
Selbstachtung, also der Wahl zwischen akzeptablen Optionen. Dies greift wie durch die fünf
Beispiele gezeigt ebenfalls zu weit. In allen fünf Fällen läge nach Schabers Konzept eine
Würdeverletzung vor.
Das Schabers System zu kurz greifen würde, halte ich allerdings für kaum denkbar. Es müsste einen
Fall geben, in dem eine Würdeverletzung vorliegt, aber keine Verletzung des Anspruchs auf
Selbstachtung. Das halte ich für unmöglich, denn es würde bedeuten, dass eine Wahl zwischen
akzeptablen Optionen vorlag, jedoch eine Würdeverletzung eintrat. Das bedeutet, die
Würdeverletzung wäre Teil einer akzeptablen Option gewesen. Besser begründen, d.i. zu schnell!
Da Würdeverletzung meines Erachtens nie akzeptabel sein kann, greift Schabers Konzept nie zu
kurz. Man könnte nun fragen, was denn in einer Situation ist, in der die Würdeverletzung akzeptiert
wird aufgrund einer Unterordnung. Beispielsweise, wenn man die eigene Würdeverletzung hin
nimmt um das Leben eines Anderen zu retten. Ich würde hier entgegnen, dass es sich dabei nicht
um akzeptable Optionen handelt, sondern um eine Auswahl an inakzeptablen Optionen, für die ich
alle keine Gründe habe, mich aber für die Option entscheide, die am akzeptabelsten ist, das bedeutet
dem Kriterium der Akzeptanz am nächsten kommt. Schabers Modell greift also zu weit. Rein
philosophisch würde dies, denke ich, kein Problem darstellen, wenn man Würdeverletzung strikt
nach dem System neu definiert. Dazu müsste man lediglich den Anspruch aufgeben, die
paradigmatischen Benutzungen des Wortes in dem System zu fassen.
Philosophisch problematisch wird das zu weit fassen des Systems erst dann, wenn man eine
Würdeverletzung als moralisch falsch definiert. Die Frage ob dies bei Schaber der Fall ist, werde
ich im Folgenden zu klären versuchen.
4. Der moralische Gehalt der Würde
Die Antwort müsste im Kapitel sieben zu finden sein, denn Schaber schreibt in der Einleitung: „Es
geht dabei um die Frage, ob der Begriff der Würde, moraltheoretisch neutral ist“ 22. Das besagt aber
nichts über das moralische Gewicht von Würde, sondern darüber, mit welchen Theorien es
kompatibel ist. Im Laufe der Untersuchung stellt Schaber fest, dass nicht alle moralisch falschen
Handlungen mit der Würdeverletzung einher gehen, weswegen die Würdeverletzung nicht das
22
Schaber, Instrumentalisierung und Würde S. 124
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Grundprinzip der Moral sein kann, welches einen ähnlichen Anspruch hat wie Kants
Selbstzweckformel. Eine befriedigende Moraltheorie muss nicht nur sagen, was richtig und falsch
ist, sondern auch erklären, warum wir sie achten sollten. Meiner Meinung nach muss eine
befriedigende Moraltheorie aber auch erklären, warum die Kriterien für richtig und falsch
moralischer Natur sind, also welches die moralischen Kriterien sind. In diesem konkreten Fall zum
Beispiel warum die Missachtung über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst verfügen zu
können moralisch falsch ist. Warum ist es moralisch falsch jemanden einzusperren, oder ihn zum
Urlaub nehmen zu verdonnern? Die moralische Aufladung der Würde innerhalb Schabers Modell ist
interessant. Es begibt sich nun aber Folgendes: Am Anfang von Kapitel sieben wird noch genau
diese Frage gestellt, wie ich ja oben schon zitiert habe. In Kapitel 7.1 verabschiedet Schaber Kants
Selbstzweckformel als das Grundprinzip der Moral. In Kapitel 7.2 wird nun die Frage geklärt,
warum man die Würde achten sollte. Hierbei stellt Schaber sein Modell neben andere Moraltheorien,
denn er sagt ja, dass befriedigende Moraltheorien in der Lage sein müssen zu erklären, warum man
sie achten soll. Sein Modell ist also nun schon eine Moraltheorie, was bedeutet, dass sie moralisch
aufgeladen ist. Es muss also irgendwo die Frage nach der moralischen Neutralität beantwortet
worden sein. Im weiteren Verlauf des Kapitels ordnet Schaber seine Moraltheorie lediglich ein und
stellt sie anderen Moraltheorien gegenüber. Die Antwort muss also in Abschnitt 7.1 liegen, ich kann
sie aber nicht finden. In 7.2 wird die Achtung der Würde als selbstevident verteidigt! Vielleicht liegt
das auch an der Vermischung zwischen Kants Selbstzweckformel und Schabers eigenem Modell.
Letztendlich wird aber nur die Selbstzweckformel verabschiedet. Allerdings mit einem
Zugeständnis: „Trotzdem weist uns die Selbstzweckformel auf eine Eigenschaft hin, die wohl sehr
viele Handlungen falsch macht, die Eigenschaft nämlich, andere an der Ausübung des Rechts zu
hindern, über wesentliche Bereiche ihres Lebens zu verfügen.“ Die Frage warum genau diese
Eigenschaft Handlungen falsch macht, ist die Frage die ich gerne beantwortet hätte. Alle Beispiele,
die ich in Abschnitt 3 angeführt habe, scheinen doch zu zeigen, dass diese Eigenschaft nicht
automatisch Handlungen falsch macht. Ich komme zu dem Schluss, dass es sich hier einfach um
eine Prämisse handelt. Die Würdeverletzung nach Schaber ist also moralisch falsch. Es ist also
moralisch falsch, andere daran zu hindern, über wesentliche Bereiche ihres Lebens selbst zu
bestimmen. Warum das so ist, bleibt allerdings ungeklärt. Laut Schaber sind also alle von mir
angeführten Beispiele nicht nur eine Würdeverletzung, sondern auch moralisch falsch. Es fällt,
denke ich, ohnehin schon schwer diesem Ergebnis zuzustimmen. Noch schwieriger wird dies
sicherlich, wenn man bedenkt, dass jemand, der eines anderen Menschen Würde nicht achtet, selbst
seinen Anspruch auf Würde verliert
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5. Schluss
Schabers Würdekonzept beruht also essentiell darauf, zwischen akzeptablen Optionen wählen zu
dürfen, denn das bedeutet, über wesentliche Bereiche seines Lebens selbst verfügen zu können.
Wenn man über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens selbst verfügen kann, dann lebt man ein
Leben in Selbstachtung. Der Anspruch auf dieses Leben in Selbstachtung, ist die Würde. Es wurden
Probleme aufgezeigt und Fragen gestellt, die sich an den Kern von Schabers Würdekonzept richten.
Es konnte nicht in allen Punkte geklärt werden, worin akzeptable Optionen bestehen.
Weitere Unklarheiten fanden sich in ? der Zahl der akzeptablen Optionen, vor allem bei der Frage,
warum eine akzeptable Option nicht ausreichend ist.
Bei den wesentlichen Bereichen des eigenen Lebens wurde untersucht, wer ausschlaggebend ist, für
die Bestimmung der Wesentlichkeit. Hierbei erscheint weder die individuelle Bestimmung einzelner
Personen darüber, was für sie wesentlich ist befriedigend, noch die Bestimmung über eine
Allgemeinheit.
Anschließend wurden mehrere Beispiele konstruiert, um zu untersuchen ob das schabersche
Würdemodell mit dem allgemeinen Verständnis von Würde kompatibel ist. Das Ergebnis lautete,
dass Schabers Modell durchaus zu weit greifen kann, jedoch nie zu kurz.
Abschließend wurde der moralische Gehalt der Würde untersucht. Schaber deklariert
Würdeverletzungen durchaus als moralisch falsch, allerdings war mir nicht erkennbar, worin diese
Falschheit begründet ist.
Des Öfteren wurde aufgezeigt, dass besonders Kernstücke des Systems mitunter ungenau formuliert
sind. Diese Unklarheiten übertragen sich letztendlich auf das komplette System. Eine Beseitigung
dieser Unklarheiten wurde zwar auf hypothetischer Basis versucht, jedoch kaum befriedigend zum
Erfolg gebracht.
Schaber formuliert zwar den Anspruch, dem allgemein gebräuchlichen Verständnis von Würde, mit
seinem System Rechnung zu tragen, allerdings wurde mehrfach gezeigt, dass ihm dies nicht gelingt.
6. Literaturverzeichnis
Birnbacher, Dieter, Kann die Menschenwürde die Menschenrechte begründen, In: Die großen
Kontroversen der Rechtsphilosophie, hgg. v. Bernward Gesang/Julius Schälike. Paderborn 2011.
S.77-98.
Gesang, Bernward, Kann man die Achtung der Menschenwürde als Prinzip der normativen Ethik
retten?, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 64, Mannheim 2010. S. 474-497.
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Hilgendorf, Eric, Instrumentalisierungsverbot und Ensembletheorie der Menschenwürde, In:
Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70.
Geburtstag hgg. v. Hans-Ulrich Paeffgen u.a., Berlin 2011. S. 1653-1671.
Schaber, Peter, Instrumentalisierung und Würde, Paderborn 2010.
Eine gelungene Arbeit. Wie Sie versuchen, Schaber zu analysieren, ihn in interne Widersprüche
verstricken und selbst Beispiele konstruieren, all das ist genau der richtige Weg.
Mängel sind zum einen eine gewisse sprachliche Schludrigkeit, einiges wirkt nicht gut
ausformuliert,
viele
Flüchtigkeitsfehler
weisen
auf
wenig
Perfektionismus
hin.
Die
Sekundärliteratur ist wenig eingebaut worden. Zudem gibt es inhaltliche Missverständnisse bei
Kants Instrumentalisierungsverbot und einige argumentative Schnellschüsse. Im vorletzten
Abschnitt wurde die Hauptlinie, wie Schaber den Wert der Achtung vor der Würde in 7.2. verteidigt
nicht erwähnt.
Note: 1,5
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