olitischen Teilhabe von Migranten

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Grundgedanken
zur
politischen
Teilhabe
von
Menschen
muslimischen Glaubens
Vor acht Jahren hätte ich mir niemals vorstellen können, Mitglied einer politischen
Partei zu werden oder den Blick auf das gesellschaftliche Ganze zu richten Der 11.
September war für uns alle einschneidend. Ich hatte zwei Jahre zuvor meinen
muslimischen Glauben gefunden und versuchte diesen, soweit wie es mir möglich
war, zu verstehen und zu praktizieren. Keine einfache Aufgabe, wenn es keinen
islamischen Religionsunterricht gibt und die Imame der beiden türkischen Moscheen
im Ort kein Deutsch sprechen. An jenem 11. September wusste ich, dass ich am
nächsten Tag in der Schule unweigerlich Rechenschaft ablegen müsste, ob meine
Religion so etwas gebiete. So war es dann auch. Ich musste von Schulstunde zu
Schulstunde, von Fach zu Fach, von Lehrer zu Lehrer und natürlich auch meinen
Mitschülern erklären, dass die Geschehnisse in New York nicht mit dem Islam
vereinbar seien. Statt einen fachkundigen muslimischen Theologen einzuladen,
wandte man sich an mich. Die Erfahrung mich von etwas distanzieren zu müssen, mit
dem ich sowieso nichts zu tun hatte, hinterließ in mir das Gefühl der Fremdheit, des
Anderssein.
Bis zum Abitur wurde ich durchgängig mit dem Thema Islam konfrontiert.
Manche Geschichtsstunden entwickelten sich zu reinen Debatten zwischen meinem
Lehrer und mir, in denen Hungtington Grüßen ließ.
Im mündlichen Abitur wurde ich dann in Geschichte geprüft, dabei ging es
weniger um den Unterrichtsstoff, als um die Frage, ob ich als Bildungsminister eines
muslimischen Landes die Lektüre Nathan der Weise einführen würde.
Je länger ich von meiner Außenwelt als Fremder wahrgenommen wurde, desto
mehr kapselte ich mich freiwillig ab. Damals gefiel ich mir in meiner Rolle des
rebellischen Außenseiters. Heute, rückblickend, stelle ich jedoch fest, dass mir durch
mein Alleinsein nichts anderes mehr als der Islam geblieben war. Mein Glaube erhielt
eine ein- und überdimensionale Rolle. Ich glaube, dass viele Menschen muslimischen
Glaubens genau diese Erfahrung nach dem 11. September gemacht haben.
Das WIR und DIE in unserem Land
Als Islamwissenschaftler stelle ich fest, dass Menschen muslimischen Glaubens, aber
auch nichtmuslimischen Glaubens eine imaginäre Vorstellung vom Islam geschaffen
haben. Menschen nichtmuslimischen Glaubens führen in der Regel alle politischen,
alle sozialen, alle kulturellen und alle wirtschaftlichen Probleme der Muslime auf den
Islam zurück. Das Fehlen von Demokratie in der muslimischen Welt wird dem Islam
angelastet. Ehrenmorde im türkischen Milieu werden dem Islam angelastet. Müll im
Berliner Tiergarten wird dem Islam angelastet. Die Zeit titelte vor kurzem: „Im
Berliner Tiergarten lassen Muslime Müll zurück.“ Den gleichen Fehler machen aber
auch Menschen muslimischen Glaubens, die die Lösung all ihrer politischen, sozialen,
kulturellen und wirtschaftlichen Probleme dem Islam aufbürden. Unter dem
verheißungsvollen Slogan al-islam huwa al-hall (Der Islam ist die Lösung) wird die
Religion zu einem messianischen Versprechen, das Erwartungen projiziert, die nicht
eingehalten werden können. Der Islam wird somit von Menschen nichtmuslimischen
und muslimischen Glaubens zur Ideologie verzerrt oder verklärt.
Hinterfragen wir diesen imaginären Islam. Wir alle sprechen wie selbstverständlich
von dem Islam. Doch welchen Islam meinen wir? Sprechen wir von der sunnitischen
oder schiitischen Konfession? Von der theologischen Schule der Athariyya, der
Asch’ari oder der Maturidiyya? Von der hanafitischen, malikitischen, schafi’itischen
oder hanbalitischen Rechtsschule? Von Zwölfer-Schiiten, siebener Schiiten oder
fünfer
Schiiten?
Von puritanischen
Bewegungen
wie
dem
Wahhabismus,
Reformbewegungen wie jene von Muhammad Abduh, ideologische Bewegungen wie
der Muslimbruderschaft, revolutionären Bewegungen wie der Hizb Al-Tahrir oder
nihilistischen Bewegungen wie der Al-Qaida? Der Islam ist ein Euphemismus. Der
Islam ist sicherlich kein schwarzer Monolith, sondern ein Mosaik. Ein Mosaik wie es
das Judentum und das Christentum auch sind. Den Muslim gibt es ebenso wenig wie
es den Juden oder den Christen gibt.
Politische Teilhabe von Muslimen
Ich habe im Verlauf dieses Wahlkampfes zwei Artikel zur SPD in muslimischen
Medien geschrieben. Von einem Muslim wurde ich dafür als SPD-Muslim
beschimpft. Einen meiner Artikel fand ich auf rechtslastigen Seiten wieder, wo ich als
„der muslimische Sozialdemokrat“ betitelt wurde. Hier werden gewisse Ängste und
Feindbilder laut, die die politische Teilhabe von Menschen muslimischen Glaubens
verhindern sollen. Wenn sich jemand die Mühe gemacht hätte, mich persönlich zu
fragen, so hätte ich ihm geantwortet, dass der Islam meine Religion, die SPD meine
politische Heimat ist. Keinesfalls bin ich der muslimische Sozialdemokrat, sondern
einfach ein Sozialdemokrat.
In
diesem
Zusammenhang
möchte
ich
auf
eine
Umfrage
des
Meinungsforschungsinstitut Gallup hinweisen. Diese Umfrage ergab im Mai 2009,
dass Muslime eine überdurchschnittlich starke Identifizierung mit unserem Land
haben. Die Presse bescheinigte den Muslimen daraufhin die Staatstreue. Die Umfrage
ergab nämlich auch, dass 45 Prozent der autochthonen Bevölkerung glauben, dass
Muslime gegenüber der Bundesrepublik nicht loyal sind. Solche Umfragen, sagen viel
über unser Bild von den Muslimen aus, denn wir nehmen sie als die Anderen wahr.
Im gleichen Maße sind auch Muslime einem DIE und WIR denken verhaftet. Genau
dieses Denken müssen wir aufbrechen.
Der Islam gehört wie das Judentum und das Christentum zu den abrahamitischen
Religionen. Der Islam ist auch nicht die Religion der Ausländer oder Migranten.
Unter den hier lebenden 4,3 Millionen Muslimen finden sich ebenso Deutsche ohne
Migrationshintergrund. Deutschland ist sowohl ein christliches, jüdisches wie
muslimisches Land. Zur Normalität des Zusammenlebens gehört es, dass wir aufhören
sollten, uns als Muslime/Nichtmuslime, Christen/Nichtchristen wahrzunehmen.
Vielmehr sollten wir uns endlich gegenseitig als Einwohner, Bürger und Nachbarn
sehen. In einer toleranten Gesellschaft darf der Name, die Hautfarbe oder die Religion
kein Hindernis für politische Partizipation sein. Wir alle können stolz sein auf die
Aussage des Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Indem Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen nichtchristlichen
Glaubens als Bürger wahrgenommen werden und in unserem Land mitgestalten,
stärken wir den 1. Artikel des Grundgesetzes. Es muss ein einlösbares Versprechen
bleiben, dass in dem Einwanderungsland Deutschland eine kopftuchtragende Frau als
Individuum betrachtet wird und nicht verallgemeinert wird zu einem
verfassungsfeindlichen Objekt, dass ein Junge mit exotischen Namen einen Platz in
unserer Gesellschaft hat und dass ein fünfmal am Tag betender Mensch nicht das
Grundgesetz unter dem Arm tragen muss, um seine Loyalität zu beweisen. Aber
genauso klar muss sein, dass die Ordnung in unserem Land durch das Grundgesetz
bestimmt wird und dies steht nicht zur Verhandlung. Wir sind eine Gesellschaft, eine
Nation. Die kommenden Herausforderungen, werden wir nur gemeinsam bewältigen
können. Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Bildungsmisere kennen keine religiösen
Barrieren.
Wenn wir Menschen muslimischen Glaubens die Möglichkeit geben, politisch
mitzugestalten, wenn wir sie nicht als Maskottchen instrumentalisieren, wenn wir
ihnen faire Listenplätze geben, dann werden diese zu Vorbildern für junge Muslime,
die glauben, es gäbe keinen Platz für sie in unserem Land. So schaffen wir
Heimatgefühl, Identifikation mit dem Land, Identifikation mit der Demokratie. In
einem multireligiösen Land sollte es egal sein, ob der Bundestagsabgeordnete
jüdischen, christlichen oder muslimischen Glaubens ist. Viel wichtiger ist, an welches
Deutschland er glaubt. Auf keinen Fall dürfen 4,3 Millionen Menschen muslimischen
Glaubens von der politischen Teilhabe ausgeschlossen werden. Wer ausgeschlossen
wird, der kann kein Heimatgefühl entwickeln, zieht sich auf seine eigene Community
zurück, kapselt sich ab.
Ich bin mir bewusst, dass in vielen so genannten muslimischen Ländern Christen
eine solche Teilhabe verwehrt wird. Aber ich und andere Menschen muslimischen
Glaubens sind nicht verantwortlich für die Politik dieser Länder, noch heißen wir sie
gut. Unsere Heimat ist hier. Und wenn wir nachts träumen, dann träumen wir in
deutscher Sprache. Undemokratische Länder sollten nicht unser Maßstab sein. Der
athenische Staatsmann Perikles sagte einmal: „Wir ahmen nicht nach, sondern sind
Vorbild für andere.“
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