Feindseligkeit gegenüber den Muslimen in Europa Ursachen und Erscheinungsformen Thesen -Die Zahl nichteuropäischer Einwanderer in den verschiedenen europäischen Ländern wuchs rasch nach dem 2. Weltkrieg. Die Triebkraft hierfür war der Bedarf an Arbeitskräften für den Wiederaufbau der während des Kriegs zerstörten Wirtschaft. Die meisten Einwanderer kamen aus den überwiegend muslimischen Ländern Nord- und Westafrikas und der Türkei. Sorge über die Anwesenheit nichteuropäischer Einwanderer hat verständliche Gründe: Schwierigkeit der sozialen Integration, wachsende Arbeitslosigkeit und Kriminalität der Einwanderer. -Neben der Sorge über die Anwesenheit nichteuropäischer Einwanderer im Allgemeinen, trat seit den 1980er Jahren in fast allen europäischen Ländern eine virulente, gegen die muslimischen Einwanderer gerichtete Feindseligkeit in Erscheinung. Diese Feindseligkeit drückt sich u. a. durch beleidigende Karikaturen vom Propheten Muhammad, Angriffe gegen einzelne Muslime, Verbot des Tragens des Kopftuchs von Mädchen in der Schule und in Einschränkungen über den Bau von Moscheen aus. Auch die Ablehnung von ‚Multikulti’ ist ein Ausdruck dafür. Mein Anliegen ist es, die Faktoren, die zu dieser Feindseligkeit geführt haben zu klären. Da ich kein Muslim bin, bin ich persönlich von dieser Entwicklung nicht betroffen. Ich beschäftige mich mit ihr als Islamwissenschaftler und versuche sie ohne Werturteil durch die Analyse der mir bekannten Fakten zu klären. - Die jetzige virulente Feindseligkeit gegenüber dem Islam und den Muslimen ist keine Fortsetzung der historischen religiösen Konfrontation zwischen Europa und der islamischen Welt, und die Kirchen haben bei deren Entstehung kaum eine Rolle gespielt. Sie wird vor allem von Gruppierungen betrieben, die sich als Vertreter der säkularen Wertvorstellungen und politischen Normen der europäischen Kultur verstehen. Die Haltung dieser Gruppierungen hat aber als Grundlage eine kulturelle Konfrontation mit dem Islam, die in der Kolonialzeit entstand. Zu dieser Zeit diente der Glaube an die kulturelle Überlegenheit der Europäer als Ideologie, durch die Kolonialherrschaft legitimiert wurde. Weil Widerstand gegen die Kolonialherrschaft in muslimischen Ländern häufig im Namen des Islam geführt wurde, etablierte sich in Europa ein Bild des Islam als eine fanatische Religion und der islamischen Kultur als eine erstarrte und rückständige Kultur. Das Zurückweichen des Islam vor dem Einfluss der progressiven europäischen Kultur wurde deshalb als Voraussetzung für die Entwicklung der muslimischen Gesellschaften gehalten. In dieser herabsetzenden Vorstellung von der islamischen Kultur war die Stellung der Frau in muslimischen Gesellschaften besonders betont (Bezug auf Trumbul, An Empire of Facts). - Das in der Kolonialzeit entstandene Bild von Islam und den Muslimen allein erklärt die jetzige virulente Feindseligkeit gegenüber den Muslimen in Europa nicht. Dies ist ein neues Phänomen für dessen Entstehung die Wechselwirkung von drei fast simultanen Entwicklungen maßgebend ist. 1. Die erste Entwicklung ist das Auftreten militanter islamistischer Gruppierungen, die seit der Ermordung von Anwar al-Sadat im Jahre 1981 als ernsthafte Bedrohung für die politischen and wirtschaftlichen Interessen der europäischen Ländern und der USA in muslimischen Ländern und nach 2001 auch für deren eigene innere Sicherheit wahrgenommen wurden. Der Prozess der Entstehung dieser Gruppierungen durchlief durch drei wichtige Stufen: a. Das Propagieren der reformistischen Lehre der Salafiyya (Muh. cAbduh, gest. 1905, Rashîd Ridâ, gest. 1935) seit den 1890er Jahren. Diese Lehre wurde als Antwort auf die Vorstellung konzipiert, dass das Zurücktreten des Islam vor dem Einfluss der europäischen Kultur eine Voraussetzung für die Entwicklung muslimischer Gesellschaften sei; b. Die Gründung der Organisation der Muslim Brüder im Jahre 1928 (Hasan al-Banna (gest. 1949)) ; c. Der Sieg Israels gegen die arabischen Staaten im Jahre 1967 und der Abschluss des Friedensvertrags zwischen Ägypten und Israel im Jahre 1979. Die islamistische Ideologie ist eine politische, anti-koloniale Ideologie. Ihre Anhänger gehören meist zur Generation von Muslimen, die nach der Unabhängigkeit ihrer Länder geboren und in deren modernen säkularen Schulen und Universitäten ausgebildet wurde. Eine islamische religiöse Ausbildung hatten die meisten Islamisten also nicht. Dennoch verurteilen sie im Namen idealisierter Vorstellungen vom Islam die Korruption der säkularen politischen Führer ihrer Länder, wie auch deren Unfähigkeit die Lebensbedingungen ihrer Gesellschaften zu verbessern und zu verhindern, dass die nationalen Interessen ihrer Länder denen der Europäer und Amerikaner untergeordnet werden. Da die meisten Europäer die realen, ökonomischen und politischen Beschwerden, die zur großen Anziehungskraft der islamistischen Ideologie geführt haben, nicht wahrnehmen wollen, verurteilen sie diese Ideologie einfach als Ausbruch eines im Islam latent vorhandenen Fanatismus. 2. Die Zweite Entwicklung besteht in der Herausbildung einer neuen und dynamischen Kultur der Menschenrechte in Europa. Diese Entwicklung stand im Zusammenhang mit dem Versuch in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg Europa politisch zu vereinigen und den Kontinent von den Ideologien zu befreien, die zum Krieg geführt hatten. Die Europäer entdeckten aber bald, dass es für die politische Vereinigung ihres Kontinents keine einheitliche kulturelle Grundlage gab. Deshalb definierten sie ihre Kultur nicht durch das was sie ist, sondern durch das was sie nicht ist, nämlich nicht-islamisch. Dies ist keine überlegte und begründete Entscheidung, sondern ein kultureller Reflex, der durch das etablierte Bild von der islamischen Kultur als Gegenpol zur eigenen Kultur bedingt ist. Dieser kulturelle Reflex wurde durch die großen Fortschritte gestärkt, die in Europa im Bereich der Menschenrechte - insbesondere nach 1968 - erzielt wurden. Die rebellischen Bewegungen, die 1968 in fast allen Europäischen Ländern ausbrachen, wurden vor allem von Studenten getragen. Die Nachkriegsgeneration brachte dadurch ihre Ablehnung der autoritären sozialen Strukturen und strengen sexuellen Normen ihrer Gesellschaften, sowie deren ambivalenten Haltung gegenüber ihrer anti-semitischen Vergangenheit zum Ausdruck. Zwei der wichtigen Änderungen in den sozialen und politischen Vorstellungen der Europäer nach 1968 führten im hohen Maße zur Feindseligkeit gegen die Muslime. Die erste ist die weitgehende Befreiung der sexuellen Beziehungen von religiösen Einschränkungen, verbunden mit der Betonung der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die zweite ist die Gleichstellung von der Bekämpfung von Antisemitismus mit der uneingeschränkten Unterstützung der Existenz Israels als jüdischer Staat. 3. Die dritte Entwicklung ist die große Zunahme der in Europa lebenden Muslime und die bewusste Identifizierung ihrer neuen Generation mit dem islamischen Glauben. Die Zahl der in verschiedenen europäischen Ländern lebenden Muslime wuchs zu einer Zeit als die Zahl der einheimischen Europäer wegen niedriger Geburtenraten rückläufig war (Beispiel Österreich). Dazu kam, dass die in europäischen Ländern geborenen Muslime, die dort zur Schule gingen, die zurückhaltende, ehrfürchtige Haltung ihrer Väter gegenüber ihrer europäischen Umgebung nicht hatten. Meist identifizieren sich diese Muslime kulturell nicht mehr mit ihren Ursprungsländern. Andererseits merken sie, dass sie in den europäischen Gesellschaften in denen sie leben als Außenseiter angesehen werden. Für diese Muslime ist die bewusste und demonstrative Identifizierung mit dem Islam ein Mittel der persönlichen Identitätsfindung, die auch eine trotzige Haltung gegenüber den europäischen Gesellschaften, die sie nicht als vollberechtigte Mitbürger akzeptieren, signalisiert. Seit den 1980er Jahren fingen sie an, eine greifbare Präsenz des Islam in Europa, u. a. durch die Gründung von Moscheen, zu schaffen. Dabei werden sie finanziell von Ländern wie Saudi Arabien und den Golf Statten unterstützt. -Die Feindseligkeit der Europäer gegenüber den Muslimen ist eine hilflose Reaktion auf die Anwesenheit von Muslimen in ihren Gesellschaften, die auf ihren Rechten bestehen, ihr Leben entsprechend ihren religiösen Normen zu gestalten. Diese Hilflosigkeit zeigt sich in dem Beharren darauf, dass die Muslime erst dann integriert werden sollen, wenn sie kulturell assimiliert worden sind. Und sie führt auch zu naiven Vorstellungen über die Entstehung eines europäischen Islam (Schily, Bassam Tibi, Tariq Ramadan).