Das Grundproblem der Wirtschaftsethik hat Bert Brecht in seinem

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Auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit zwischen dem Bezahlbaren und dem
Wünschenswerten
Short- Cut: Marktwirtschaft und Moral (Sistermann)
Das Grundproblem der Wirtschaftsethik hat Bert Brecht in seinem Stück ‚Der gute Mensch
von Sezuan’ in unübertrefflicher Weise veranschaulicht. Shen-te, eine Kleinunternehmerin, wird
von allen ausgenutzt, weil sie aus Gutmütigkeit Schulden erlässt, Waren an Bedürftige umsonst
abgibt oder deren Arztrechnungen übernimmt. Erst ihr Vetter Shui-ta, durch den sie sich in
höchster Not vertreten lässt, rettet sie mit seine rüden und unbarmherzigen Geschäftsmethoden
vor dem Ruin. Als sich herausstellt, dass Shen-te und Shui-ta in Wahrheit eine Person sind, wird
klar, dass in einer Wirtschaftsordnung, in der jeder nur auf seine Vorteil sieht, Mitleid und
Gutmütigkeit den Menschen zu zerreißen drohen. Die wirtschaftliche Not dieser Welt übersteigt
die Kräfte eines einzelnen. Konkurrenzwirtschaft und Mitleidsmoral scheinen einander
auszuschließen.
Die von Brecht favorisierte und unausgesprochen im Hintergrund des Parabelstücks stehende
Lösung heißt: Abschaffung des Konkurrenzsystems der Marktwirtschaft und Ersatz durch ein
planwirtschaftliches System marxistischer Prägung. Inzwischen aber hat sich gezeigt, dass
planwirtschaftliche Systeme allenfalls dafür sorgen können, dass alle gleich wenig haben, dass
also nur der Mangel sozialisiert werden kann, wobei der Organisations- und Kontrollapparat
sich gerne davon ausnimmt.
Die Entdeckung, dass in einem marktwirtschaftlichen System die Ware zum Fetisch wird,
bleibt sicher ein Verdienst der Marxschen Analyse des Kapitalismus und wird durch moderne
Analysen zum Kult-Marketing und durch jeden Bummel durch die Konsumtempel und
Einkaufsparadiese voll bestätigt. An die Stelle des Mythos vom Heil im Besitz von Waren tritt
bei Marx jedoch der Mythos vom Heil vom endgültigen Sieg der Arbeiterklasse und der
Vernichtung des Kapitals als der bösen Macht im „letzten Gefecht“. In diesem Mythos ist das
Problem der Unvereinbarkeit von wirtschaftlichem und moralischem Denken scheinbar gelöst.
Alle Probleme, die durch die Knappheit der Güter und die Unendlichkeit der Bedürfnisse
entstehen, werden der bösen Macht des Kapitals in die Schuhe geschoben. Am Anfang steht bei
Marx ein moralischer Ansatz, nämlich der neue kategorische Imperativ, „alle Verhältnisse
umzustoßen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein
verächtliches Wesen ist.“ Moralischer Entscheidungen und politische Erwägungen
verschwinden aber dann bald wie in jedem Mythos. An deren Stelle tritt eine
scheinwissenschaftliche Enthüllung (Apokalypse) der „wahren Verhältnisse“. Um der
endgültigen Gerechtigkeit und des höheren Zieles willen sind Zwangsmaßnahmen bis zur
Selbstaufopferung (Vgl B. Brecht, Die Maßnahme) gegen alle moralischen Bedenken
gerechtfertigt.
Der spätere Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat angesichts der moralischen
Verwüstungen des Kommunismus unter Stalin schon geringe Eingriffe des Staates in das freie
Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem Markt als Etappen auf dem ‚Weg zur Knechtschaft’
gebrandmarkt. Mit seinen scharfen Angriffen auf den Wohlfahrtsstaat ist er dann in den
achtziger Jahren einer der wichtigsten Väter des Neoliberalismus geworden. Soziale
Gerechtigkeit, die einen Ausgleich schaffen will zwischen den wenigen, die immer mehr, und
den vielen, die immer weniger besitzen, hält er nicht nur für eine Illusion, sondern für eine
gefährliche demagogische Parole von Leuten, die ein Sonderinteresse unter einem sozialen
Mäntelchen verstecken, um so leichter an das Geld anderer kommen zu können.
Marktwirtschaft ist in seinen Augen ein Spiel, in dem man durch Glück und Geschicklichkeit
gewinnen kann. Für Verluste und Niederlagen ist kein anderer verantwortlich. Also kann es hier
auch keine ungerechte Verteilung geben. Wettbewerb ist ein unentbehrliches
Entdeckungsverfahren für die kostengünstigsten Lösungen. Deshalb ist jede soziale
Unterstützung, die über die Sicherung des Überlebens hinausgeht, eine Droge die eine falsche,
nämlich eine lebensuntüchtige Entwicklung fördert. Wirtschaft wird also in Analogie zu
Darwins natürlicher Selektion als ein naturwüchsiger Prozess gesehen, aus dem sich Staat und
Politik möglichst raushalten sollten.
Dagegen sind mindestens zwei Einwände zu erheben:
Wenn Erfolg und Misserfolg auf dem Markt nur auf Glück und Geschick zurückgeführt wird,
übersieht man leicht, dass das größte Glück oder Unglück sicher in den unterschiedlichen
Startchancen liegt, bevor man überhaupt das Spielfeld ‚Markt’ betreten hat.
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Wenn der angeblich sich selbst regulierende Kampf um Marktanteile politische Erwägungen
und moralische Entscheidungen überflüssig machen soll und somit als einziger
Verhaltensmaßstab genommen wird, kann dem Recht des Stärkeren in einem
sozialdarwinistisch- biologistischen Sinne keine Grenze gesetzt werden. Im Krieg um Rohstoffe
und Ressourcen zählt dann nur noch die von einem faschistischen Heldenmythos verbrämte
Totschlägermoral.
Von Hayek ist gegenüber der Fetischisierung des Körpers und des Glamours im
Neoliberalismus ebenso blind, wie gegenüber den faschistischen Konsequenzen des
verabsolutierten Kampfes ums Dasein. Stattdessen greift er die politisierenden Theologen an.
Ihnen unterstellt er, dass sie ihren fehlenden Glauben an die Offenbarung durch eine neue
soziale Religion ersetzt hätten. Tatsächlich hat der Kampf gegen den Götzen Mammon eine
lange theologische Tradition und führt bei verschiedenen politischen Theologen, z.B. denen der
sogenannten Befreiungstheologie, dazu, in der globalisierten Weltwirtschaft einen neuen
Götzendienst zu sehen. Die Antwort auf die Frage, welches andere Wirtschaftssystem an die
Stelle des marktwirtschaftlichen treten sollte, bleiben diese Theologen jedoch meist schuldig.
Verwirklichungsversuche von Theokratien, in denen Wirtschaft, Politik und Moral einem
einheitlichen, angeblich göttlichen Gesetz unterstellt wurden, sind abschreckend. Wie man in
Stefan Zweigs sorgfältig recherchierter Biographie nachlesen kann, unterschied sich Calvins
Genfer Diktatur in dieser Hinsicht mit ihrem Gesinnungsterror und ihrer Sittenpolizei nur in den
Ausmaßen, nicht aber im Grundsatz von der Ayatollah Khomeinis oder der der Taliban. In allen
Fällen führte ein ungebrochener Mythos vom letzten Gericht des einen allmächtigen
Weltenrichters zu einem unbarmherzigen, weil religiös aufgeladen politischen Moralismus im
Namen des Heils.
Das Dilemma von Mitleidsmoral und Konkurrenzwirtschaft ist nicht dadurch zu lösen, dass
natürliche Entwicklungsgesetze oder marktwirtschaftlicher Wettbewerb auf der einen Seite oder
moralische und theologisch fundierte Gerechtigkeitskonzeptionen auf der anderen Seite absolut
gesetzt werden. Biologisches, wirtschaftliches, politisches, moralisches und theologisches
Denken haben in bestimmten Grenzen alle ihre Berechtigung. Wir leben also ständig nicht nur
in zwei, wie Luther noch meinte, sondern unter den Bedingungen einer modernen
ausdifferenzierten Zivilgesellschaft in fünf verschiedenen Reichen. Wenn eins die anderen
verdrängt und sich an deren Stelle setzt, bekommt dieser Bereich gefährliche totalitäre Züge.
In dem hier zu diskutierenden Zusammenhang wird besonders der Bereich der Politik als
eigenständiger Bereich zu wenig gesehen. Das Problem der sozialen Gerechtigkeit ist nicht
individualethisch zu lösen. Auch Sokrates konnte in Platons ‚Politeia’ den Sinn der
Gerechtigkeit nur im Blick auf den ganzen Staat begründen. Auf den einzelnen bezogen hat er
der spöttischen Charakterisierung der Gerechtigkeit als einer „dumm-edlen Gutmütigkeit“
durch Trasymachos nichts Plausibles entgegenzusetzen. Gerechtigkeit muss als eine politische
und weniger als eine moralische Tugend verstanden werden. Von Hayek ist rechtzugeben, dass
niemand die Verantwortung für den Verlust eines anderen auf dem Markt trägt. Wenn er aber
daraus folgert, dass es keine soziale Gerechtigkeit geben kann, wird der Unterschied zwischen
der moralischen Tugend der Verantwortung und dem politischen Prinzip der Gerechtigkeit nicht
gesehen. Darin besteht der dritte Einwand gegen von Hayeks neoliberale Thesen.
Politik darf sich weder von den Ansprüchen der Moral noch von den Gesetzen des Marktes
vereinnahmen lassen, sondern muss einen eigenständigen Ausgleich schaffen zwischen dem
Wünschenswerten und dem Bezahlbaren. Dazu bedarf es einer immer neu abwägenden
Urteilskraft im Diskurs um Gesetze und andere Regelungen mit wirksamen Zwangsbefugnissen
und Einklagbarkeiten. Moralische Verantwortung dagegen ist nicht einklagbar, sondern folgt
dem Ruf des Gewissens.
Wenn schon Moral und Politik auseinandergehalten werden müssen, so sollte auch Religion
nur indirekt auf moralische und noch mehr vermittelt auf politische und wirtschaftliche
Problemlösungen bezogen werden, solange diese sich auf ihre eigentlichen Bereiche
beschränken. Wenn jedoch das Geld zum Götzen wird, d,h. wenn es nicht mehr auf die Geltung
auf dem Markt beschränkt bleibt, sondern alle anderen Bereiche bestimmt und auch die Seele
beherrscht, ist vom protestantischen Prinzip her der prophetische Protest geboten. Dieser muss
immer dann seine Stimme erheben, wenn etwas Bedingtes an die Stelle des Unbedingten
gesetzt werden soll.
Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers hat die Eigengesetzlichkeit des Reiches der Welt und des
Reiches Gottes schon immer behauptet, auch wenn sie beide unter der Herrschaft Christi sieht.
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Sie ist aber für die Erfassung der Bedingungen der Moderne zu undifferenziert. Sie muss, so
möchte ich meine Überlegungen zusammenfassend zuspitzen, zu einer Fünf-Reiche-Lehre
erweitert werden, weil das „Reich der Welt“ heute zur Lösung unseres Problems vierfach
unterschieden werden muss. Wir leben also ständig demnach nicht nur in zwei Lebensbereichen,
sondern in fünf, nämlich dem biologischen, dem wirtschaftlichen, dem politischen, dem
ethischen und dem religiösen. An die Stelle der Spaltung der Person und der tendenziellen
Abwertung der einen Seite gegenüber der anderen tritt die Beachtung von Übergängen zwischen
fünf Bestimmungen und Beweggründen des Menschen, die für sich genommen alle ihre
besondere Berechtigung haben.
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