Bertalanffy: Allgemeine Systemtheorie

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Bertalanffy: Allgemeine Systemtheorie
Gliederung:
1. Die allgemeine Systemtheorie – Wissenschaftstheoretische
Einordnung
2. Bertalanffy: Die Idee einer allgemeinen Systemlehre
a. Geschlossene Systeme
b. Der Entropiebegriff
c. Offene Systeme im Fließgleichgewicht
3. Lee Thayer: Relevanz der AST für die
Kommunikationstheorie
Literatur:
D. J. Krieger, Einführung in die allgemeine Systemtheorie,
München, 2.Aufl. 1998,
liefert eine Einführung in das Begriffsinventar der AST.
Laszlo, E. (ed.), The relevance of general systems theory, New
York, 1978.
Sammlung von Aufsätzen zur AST aus verschiedenen
Disziplinen.
Müller,
K.,
Allgemeine
Systemtheorie:
Geschichte,
Methodologie und sozialwissenschaftliche Heuristik eines
Wissenschaftsprogramms, Opladen, 1996.
Gute Übersicht über AST und ihre Bedeutung für die
Sozialwissenschaft.
Referat in Vortragsform auf www.kowibasics.de
1. Die AST
Die AST hat den Anspruch einer universellen Theorie zur Erklärung biologischer,
physikalischer und eben auch psychischer und sozialer Phänomene. Die AST hat
unterschiedliche historische Linien (Biologie, Physik, Kybernetik, Informationstheorie,
etc.). Trotz paradigmatischer Bezeichnung (neues Paradigma), ist sie keine
eigenständige Disziplin, eher eine Redeweise, ein Diskurs, geführt mit ähnlicher
Terminologie (Information, Code, Selbstorganisation, Emergenz, Autopoiesis,
Rückkopplung) und interdisziplinär angelegt.
Selbst erklärtes Ziel:
1. Traditionelle Grenzen zwischen den Wissenschaften überwinden. 2. KulturellIdeologische Barrieren aufheben. 3. Lücke zwischen qualitativer und quantitativer
Wiss. schließen. 4. Deskriptive und normative Beschreibung vereinen.
Fragen und Probleme:



Auf welche Gegenstände und Prozesse ist die systemtheoretische Terminologie
anwendbar?
Inwiefern ist die Anwendung auf psychische oder soziale Prozesse, insbesondere
auf Kommunikation, legitim?
Welche Voraussetzungen sind hierfür nötig?
Kommunikation und AST siehe Punkt 3
2. Bertalanffy: Die Idee einer allg. Systemlehre
Ausgangspunkt von B.: theoretische Biologie.
Wien, zwei Jahre nach Promotion, 1928 Veröffentlichung von Kritische Theorie der
Formbildung mit der Forderung, die Biologie müsse die Gesetzmäßigkeiten
biologischer Systeme auf allen Ebenen der Organisation aufdecken.
Später, 30er Jahre, Erweiterung und Generalisierung der allgemeinen Systemlehre
auf die Psychologie und andere Bereiche.
Literatur: L.v.Bertalanffy, Theoretische Biologie und Problems of Life
Diese Werke liefern die Grundlage – the bible – für eine AST der 40er Jahre.
Als Biologe versucht B. der Kontroverse zwischen Vitalismus (unbestimmte
Lebenskraft) und Mechanismus (Kausalerklärungen – deterministisch reduktionistisch) zur Beschreibung lebender Systeme zu entgehen:
Neue Erklärungsweisen sind nötig:

Holismus als Methode: Das reduktionistische Paradigma der newtonschen
Physik (Reduktion auf die kleinsten isolierbaren Teile; die Kausalwirkungen ihres
Verhaltens zueinander bestimmen das Verhalten des Gesamtphänomens) wird
zurückgewiesen. Statt dessen:
Komplexe Phänomene müssen aus der Gesamtheit ihrer Beziehungen
zueinander erklärt werden, weil das Gesamtsystem sich anders verhält als aus
der isolierten Betrachtung seiner Komponenten vorhersehbar.
„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“

Anspruch, die Erscheinungen des Lebens naturwissenschaftlich exakt zu
beschreiben, um einerseits einer mathematischen Überprüfbarkeit standzuhalten,
andererseits um sich von mystizistischen Tendenzen in der Biologie abzugrenzen
 Einführung eines neuen Systembegriffs.
Um dieser Ausgangslage Rechnung zu tragen und daraus ein Forschungsprogramm
mit experimentellen Untersuchungen abzuleiten, führt B. einige Begriffe und
Unterscheidungen ein, die für die AST bis heute wichtig sind.
a. Das geschlossene System und der kausale Determinismus
b. Der Entropiebegriff und seine Erweiterung
c. Das offene System im Fließgleichgewicht
zu a.: Geschlossene Systeme und kausaler Determinismus
These: Eine Theorie geschlossener Systeme taugt nicht zur Verallgemeinerung.
Geschlossenen Systemen liegt ein generalisiertes Erkenntnismodell zugrunde,
welches nach B. an klare Grenzen stößt (Bsp. klassische Physik, Newton)

Beschreibung: In einem geschlossenen System werden die Elemente analytisch
betrachtet. Ihre Eigenschaften bestehen unabhängig von Raum und Zeit (Bsp.
Masse eines Körpers). Aus der Analyse ihrer Anordnung läßt sich so das
Verhalten komplexer Phänomene erschließen. Das Ganze ist gleich der Summe
seiner Teile.
Diese Forschungslogik erstreckt sich auch auf Teile der Sozialwissenschaft und
mündet bspw. im methodologischen Individualismus (ökonomische Prozesse
lassen sich aus individuellen Kosten-Nutzen Erwägungen, soziale Prozesse aus
der Interaktion der Individuen, ableiten)
Hand in Hand mit der analytischen Methode, geht die Idee des kausalen
Determinismus. Zwischen zwei Zuständen eines geschlossenen Systems zu
verschiedenen Zeitpunkten besteht eine kausale Verknüpfung, d.h. kann ich den
Zustand eines Systems zu einem Zeitpunkt isolieren und kenne ich die
Ablaufgesetze, läßt sich ein zukünftiger Zeitpunkt prognostizieren, ein
vergangener rekonstruieren.

methodologische Defizite: Das System selber bleibt im Bezug auf seine
Elemente passiv, es wirkt nicht auf sie zurück. Demnach kann es auch keine
autonome,
evolutionäre
Entwicklung
des
Systems
geben.
Jede
Systemeigenschaft ergibt sich aus den kausalen, linearen Beziehungen seiner
Teile. Ginge man davon aus, ließen sich alle wiss. Disziplinen auf eine
Elementarwissenschaft zurückführen.
Systeme lassen sich nicht unabhängig von Außeneinflüssen betrachten
(Vernachlässigbar in der newtonschen Physik). Bei stärkeren Wechselwirkungen
und vielen Systemelementen läßt sich eine solche Annahme aber nicht
verallgemeinern.
Erkenntnistheoretische Voraussetzungen werden problematisch. Beispiel
Quantenmechanik: Messergebnisse sind nicht unabhängig von ihrem Betrachter
und lassen sich bspw. nicht interpersonell übertragen. Die strikte Trennung
zwischen beobachtendem Subjekt und beobachteten Objekt hebt sich auf.

Grenzen: In verschiedenen Disziplinen sind die Grenzen, an die eine analytische
Methode stößt evident: im Bereich Physik, Feldtheorie – Partikeltheorie; Biologie,
Molekularbiologie – Entwicklungsbiologie; Sozialwissenschaften, empirische
Sozialforschung – theoretischer Vorgriff auf Totalität.
Gerade in der Sozialwissenschaft treten oben genannte Defizite eines
mechanischen Erkenntnismodells zu Tage.
B. geht in seinem Gegenentwurf von der theoretischen Biologie aus, inwieweit
sich eine solche Position verallgemeinern läßt wird später zu prüfen sein.
zu b.: Entropie und ihre Analogien
Der Entropiebegriff ist für die allgemeine Systemtheorie wesentlich und dient B. als
methodologisches Kriterium in Abgrenzung gegen eine Theorie geschlossener
Systeme.
Geschlossene Systeme sind prinzipiell von äußeren Einflüssen abgeschirmt, es gilt
der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Der besagt:
In einem geschlossenen System herrscht eine ständige Zunahme von Entropie oder
ein Verlust innerer Strukturiertheit.
Diese Entropiezunahme erfolgt solange bis ein thermodynamisches Gleichgewicht
hergestellt ist.
Generalisiert man den Satz für die Verteilung von Molekülen (Gasmolekülen) in
einem geschlossenen Raum (Glas), beschreibt Entropie den Übergang vom
unwahrscheinlichsten zum wahrscheinlichsten Zustand eines Systems (bei Gas:
Gleichverteilung der Elemente).
Weil: Jeder Zustand eines geschlossenen Systems läßt sich ja durch die Position
und Geschwindigkeit seiner Teile, seiner Mikrostruktur, beschreiben
Dieses thermodynamische Gleichgewicht äußert sich in einer Gleichverteilung der
Temperatur und des Drucks in diesem System. Allerdings geht mit diesem
Temperaturausgleich das thermodynamische Potential verloren (‚Es tut sich nix
mehr‘): Das System hat keine Energie mehr um mechanische Arbeit zu verrichten.
Hier entdeckt B. eine (scheinbare?) Paradoxie zwischen der thermodynamischen
Physik und dem Leben:
Bleibt nach dem ersten Hauptsatz die Energie in einem geschlossenen System
erhalten, und gälte der zweite Hauptsatz der Thermodynamik auch für biologische
Phänomene, hätte dies destruktive Konsequenzen für jedes Lebewesen.
Wenn nämlich das thermodynamische Potential sinkt und keine Energie für
mechanische Arbeit mehr zur Verfügung stünde, würden sämtliche
Stoffwechselprozesse zum Erliegen kommen.
Der Grundstein für eine Reihe, teilweise kühner, Analogien war gelegt.
Der Entropiesatz wurde in der Folgezeit oft „generalisiert“ und auf allerlei
naturwissenschaftliche, medizinische, philosophische, soziale und politische
Gegenstände angewendet. (Wärmetod des Universums; Untergang des
‚geschlossenen Gesellschaftssystems‘ des sowjetischen Bereichs; kultureller Zerfall,
sogar von offenen Systemen, Flusser; Informationstheorie)
Inwieweit sich die mechanistische Auffassung und deren Niedergang, auf die
Konstitution eines Weltbildes niederschlägt bleibt kontrovers.
B. entwirft ein Gegenbild: das offene System
zu c.: Offene Systeme
Nach B. kann eine Physik, die mit geschlossenen Systemen operiert, Leben nicht
erklären. Folgt man seinem Einwand, kann der Zweite Hauptsatz der
Thermodynamik für lebende System nicht gelten, die destruktiven Tendenzen und
die Selbstauflösung durch Entropie scheint ausgesetzt. All jene Prozesse, die dem
Entropietod widerstreben, sind B. zufolge offene Systeme (organische Systeme).
Wie kann ein solcher Ansatz nun methodologisch angegangen werden?
Systematischer Ansatzpunkt einer Theorie lebender Systeme:
Entropieumkehr: Durch Strukturbildung wirken offene System der Entropie entgegen
(negative Entropie; Negentropie). Energie zieht sich in bestimmten Strukturen also
zusammen: Beispiel Kosmos: Sonne; Beispiel Biologie: Wachstum.
Geschlossene Systeme stellen nach B. einen hypothetischen – also einen
konstruierten – Grenzfall dar und sind streng genommen nicht einmal beobachtbar.
Weil: Eine Beobachtung käme ja einer Wechselwirkung über die Systemgrenzen
gleich, die im geschlossenen System per definitionem ausgeschlossen ist.
Eine Thermodynamik offener System berücksichtigt also Entropieänderungen und
materielle Offenheit über die Systemgrenzen hinaus. Im Gegensatz zu
geschlossenen Systemen befinden sich offene System eben nicht im
thermodynamischen Gleichgewicht, sind nicht statisch, sondern befinden sich in
einem stationären Prozeß, fernab jeder Entropie: einem Fließgleichgewicht:
evtl. Zitat, Müller, Seite 82, Definition des Lebens...
Ein besonderes Merkmal solcher, biologischer, lebender Systeme ist, daß sie eine
emergente Ordnungsebene bilden, die eben nicht aus ihrem physiologischen
Substrat abgeleitet werden kann. Ebenso gelten auf dieser Ebene
Gesetzmäßigkeiten, die auf anorganischer nicht sichtbar wären. Das System
reproduziert sich auf dieser höheren Ordnungsstufe selbst.
Soweit der naturwissenschaftliche Rahmen, den B. mit der Konzeption der AST als
Erster abgesteckt hat. Viele Fragen bleiben jedoch offen:
Zum einen sind das spezifisch fachbezogene (Biologie, Physik) Fragestellungen
(Kann man sich physikalischer Modelle (Thermodynamik) bedienen um gerade eine
emergente, nicht-physikalische Ordnungsebene auszurufen...? etc.);
zum Anderen das große Fragezeichen hinter einer generalisierten Systemlehre, die
alle Arten von System beschreiben will (Also auch emergente Systeme einer höheren
Ordnungsstufe – und wenn das gelingt, erklärt es die Logik der Emergenz?). Mit den
fachspezifischen Fragen können wir uns nicht aufhalten, eine Einordnung der AST
als Wissenschaftsprogramm übernimmt Klaus Müller (ganzes Buch), deshalb gleich
zu unserem Spezialgebiet: Kommunikation.
3. AST und Kommunikationstheorie: Probleme und Fragen
Für die Anwendung der AST auf den Gegenstandsbereich der Humankommunikation
gelten natürlich oben genannte methodische Fragen nach Generalisierung oder
Analogiebildung weiterhin.
Lee Thayer hat in seinem Aufsatz „Communication Systems“ die spezielleren
Probleme
herausgearbeitet
mit
denen
sich
eine
systemtheoretische
Kommunikationsforschung konfrontiert sieht. Diese Überlegungen sind von
grundsätzlicher Art:
Terminologie oder „daß die Beteiligten Verschiedenes meinen, wenn sie von
System sprechen“ (vgl. Luhmann 1983, S.15).
Wenn Systemtheoretiker über Kommunikation reden, liegt meist das ShannonWeaversche Linearmodell zugrunde. Prinzipielle Unterschiede zwischen
Informationssystemen und menschlichen Kommunikationssystemen sehen sie nicht.
Daher auch die Gebrauchsweise von Termini wie „Informationsverarbeitung“,
„Datenübertragung“ etc.: Dagegen ist einzuwenden: „Der Terminus erklärt [eben]
nicht das Phänomen“
Eine weitere Überlegung am Rande: Je gebräuchlicher eine Bezeichnung wie
„System“ oder „Kommunikation“ im alltäglichen Gebrauch wird, desto unschärfer wird
sie: Jeder weiß was Kommunikation ist, wir alle tun es. Mit der Gebrauchshäufigkeit
eines Terminus wird es anscheinend schwieriger ihn systematisch oder
wissenschaftlich greifbar zu machen.
Bertalanffy selbst hat von einer Allgemeinen-Symbol-Theorie unter dem Dach der
AST gesprochen. Das Problem hierbei: Der Mensch als biologisches AnimalSymbolicum besitzt die Möglichkeit der Bedeutungszuschreibung (Sinn-Kriterium).
Eine Symboltheorie (genauso wenig wie eine Sprachtheorie) kann Aspekte
menschlicher Kommunikation beschreiben, nicht aber Kommunikation als solche.
Ein exemplarisches Problem-Beispiel aus der Philosophie: Bertalanffy selbst hat
gesagt, das „alltagssprachliche Modelle“ in der Systemtheorie ihren Platz haben.
Trotzdem besteht der Anspruch einer mathematischen Formulierbarkeit. Die Frage
die sich stellt, ist nicht: Geht das oder nicht, bzw. ist dieser Anspruch berechtigt,
sondern die, zugegeben metawissenschaftliche Frage nach der Rolle des
Modellbildners selbst. Anders: Ist es möglich einen Prozeß zu modellieren, bei dem
der Modellbildner selbst Modell steht, bzw. können wir ein allgemeingültiges
theoretisches Modell eines Kommunikationsprozesses entwerfen, dem wir in der
kommunikativen Modellbildung selbst unterworfen sind weil wir uns ja selbst ständig
im Kommunikationsprozeß reproduzieren und ändern (durch uns selbst, die
Gesellschaft und Kultur) bzw. Erkenntnis selbst kommunikativ herstellen.
Schwäche des Sender Empfänger Modells: Eine Nachricht muß für den Sender
und Empfänger unveränderlich sein um, je nach Design und Programm, als solche
erkannt werden zu können. Im Bereich der menschlichen Kommunikation ändert sich
die „Nachricht“ (falscher Terminus, besser die Steuerungswirkung einer Nachricht)
aber mit dem Kontext.
Auf der anderen Seite ist eine Theorie menschlicher Kommunikation, die sich nur an
„Bedeutung“ und „Verstehen“ ausrichtet ebenso unvollständig. So gibt es eben keine
Abbildhafte Bedeutung die einer Äußerung anhaftet. Die Bedeutung einer Äußerung
konstituiert sich im Gebrauch durch die Benutzer.
Wie kann man dieser Faktenlage nun in Bezug auf eine systemtheoretische
Konzeption menschlicher Kommunikation gerecht werden?
Rahmenarbeit zu einer Kommunikationstheorie aus systemtheoretischer Sicht.
Problem des basic unit (Grundelement, Grundeinheit): Welche Einheit soll
analysiert werden? Nachricht, Nachricht und Sender, Nachricht und Empfänger,
Nachricht im Kontext oder was.
Man könnte nun je nach Zielrichtung einer Untersuchung, verschiedene Ebenen der
Untersuchung ansteuern (interpersonell, Kleingruppe, Gesellschaft – Person,
Gesellschaft – Umwelt), doch fehlt hierbei ein klarer Referenzpunkt – das basic unit.
Lee Thayers Vorschlag: Die Analyseeinheit (kleinste logische Einheit) ist das
Kommunikationssystem. Das Kommunikationssystem besteht aus dem
Organismus bzw. dem Individuum zusammen mit dem, was zu einem bestimmten
Moment berücksichtigt (prozessiert, being-taken-into-account) wird, entweder die
Umwelt (Communication) oder andere Individuen (Intercommunication)
Legt man kommunikationstheoretisch das Communication System als kleinste
Untersuchungseinheit zugrunde, ergeben sich in systemtheoretischer Hinsicht zwei
Schwierigkeiten.
a) Einmal, die spezielle Art der gegen(wechsel-)seitigen Abhängigkeit der Elemente
voneinander in Kommunikations-Systemen mit der Folge einer Nichtidentität der
Komponenten in unterschiedlichen Kommunikationssystemen.
In einem chemischen oder informationellen System verhält sich ein Element in
immer gleicher Weise (ein ‚bit‘ bleibt ein ‚bit‘), unabhängig von Raum oder
Zeitpunkt des Systems. In einem anderen System mit den gleichen
Charakteristika, behält das Element seine Identität. In Systemen der
Humankommunikation ist dies nicht so: Die einzelnen Komponenten
(Organismus-Aufmerksamkeitsraum bzw. Organismus-Organismus) lassen sich
nur in ihrer Beziehung zueinander definieren, nicht unabhängig davon. Je nach
Kommunikationssystem, verhalten sie sich anders (Bürokommunikation –
Familie), sind also in hohem Maße kontextbezogen.
b) Zum anderen, daß Kommunikationssysteme immer historisch sind, d.h. sie
verändern sich ständig und wechselseitig im Kommunikationsprozeß. In einer
Interaktion verändern sich bspw. Gesprächspartner kontinuierlich gegenseitig und
in verschieden hohem Grad. (an der Peripherie oder sehr Zentral)
(Inter-)Kommunikationssysteme schaffen, verändern, explizieren oder verwalten also
eine Kommunikations-Realität auf der sich ihre gesellschaftliche Stellung zueinander
gründet.
Um den Kontrast deutlich zu machen: Telekommunikationssystem beschreiben z.B.
die
physischen
und
strukturellen
Abläufe
eines
Interaktionssystems,
Kommunikationssysteme beschreiben die funktionelle Ordnung von Menschen in
einer Gesellschaft.
Die Funktionsweise und Abstufungen innerhalb von Kommunikationssystemen, die
Folgen für erkenntnistheoretische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen
müssen hier außen vor bleiben. Ob für eine kommunikationstheoretische
Betrachtungsweise die Unterscheidung offenes System – geschlossenes System von
Bedeutung ist, und wie es sich mit der Entropie verhält muß ebenfalls offen bleiben.
Der Beitrag von Thayer sollte nur als Beispiel dienen, wie die AST auf andere
Theoriebereiche angewendet werden kann und welche
(prinzipiellen)
Schwierigkeiten sich hierbei einstellen.
Als Ergebnis kann festgehalten werden:
Die Terminologie einer Wissenschaftlichen Disziplin kann oft nicht ohne weiteres auf
andere Gegenstandsbereiche übertragen werden ohne geprüft und gegebenenfalls
neu ausgerichtet zu werden. (Kommunikationsbegriff, Emergenz, Rückkopplung)
Wissenschaftstheoretisch bedeutsam ist wohl auch die Frage nach der Perspektive
vor einer Analogie: Physiker sehen Kommunikation und AST anders als
Kommunikationswissenschaftler. Frage: An welchen Gegenstand richtet sich eine
Theorie, welche Perspektive wird dabei eingenommen und ist dieselbe Perspektive
auf einen anderen Gegenstand übertragbar?
Inwieweit die einzelnen Modelle, - immer vor dem Hintergrund der
Kommunikationswissenschaft - die aus der AST hervorgegangen sind, legitim sind,
wird zu prüfen sein. Der abstrakte Charakter der AST, ihr holistischer,
interdisziplinärer Ansatz und ihre potentielle Generalisierbarkeit erzeugen einen
nicht zu unterschätzenden heuristischen Wert.
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