Visualisierbare Materialisierungen und Stilbildungen bewahren sich

Werbung
Ulf Kilian – Erster Vorsitzender des Deutschen Werkbundes Hessen – im Vorwort zu der Publikation „Orte
öffentlichen Lebens in der Stadtregion“ anlässlich des Symposium „ Lebensraum Stadtregion. Öffentliche
Lebenswelten im Ballungsraum Rhein – Main“ im Deutschen Architektur Museum Frankfurt/Main am 29. Juni
2007
Vorwort des Vorsitzenden des Deutschen Werkbunds Hessen
Im Jahr 2007 feiert der Deutsche Werkbund (DWB) sein einhundertjähriges Bestehen. Das
ist eine erstaunliche Zeit für eine Organisation, die sich nach eigenem Selbstverständnis
nach zehn Jahren überflüssig gemacht haben wollte. Die in der Pinakothek der Moderne in
München und anschließend in der Akademie der Künste in Berlin gezeigte Retrospektive
„100 Jahre Deutscher Werkbund. 1907–2007“ zeigt die historischen Leistungen, soweit sie
museal präsentabel sind, sie zeigt aber auch, welche Hypothek die Geschichte dem
gegenwärtigen Werkbund auferlegt hat.
Die breite Produktpalette, die die Gestalter des Werkbundes – Künstler, Designer,
Architekten und andere – hervorbrachten, steht heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit für
die aktive Zeit der Vereinigung. Stile und Schulen, die mit dem Werkbund in Verbindung
gebracht werden – Neue Sachlichkeit, Bauhaus, Internationaler Stil etc. – legen den
Werkbund auf relativ kleine kulturhistorische Ausschnitte der Moderne fest. Hinter den
Exponaten und Stilen tritt die eigentliche Leistung, die der Werkbund als „Gesinnungs“- und
„Aktionsgemeinschaft“ (Winfried Nerdinger im Katalog zur Jubiläumsausstellung) kulturell
erbracht hat – und die ihn auch heute noch essentiell definiert –, allerdings in den
Hintergrund.
Die geradezu obsessive Suche nach Qualität bei der Gestaltung von Produkten,
Arbeitsprozessen und Arbeitsbedingungen sowie sozialen und kulturellen Orientierungen
und Lebensweltentwürfen bezeichnet das eigentliche Verdienst des Werkbunds im 20.
Jahrhundert. Qualität zu propagieren – verstanden als ästhetische Qualität im Verbund mit
hohem Gebrauchsnutzen und Sozialtauglichkeit – war der Gründungsauftrag des DWB im
Jahr 1907. Daran hat sich im Kern wenig geändert. Der Wandel der Gesellschaftsstruktur
und die gegenwärtigen Rahmenbedingungen zwingen jedoch dazu, Gestaltungsprobleme
verflochten mit übergeordneten, komplexen und zunehmend auch globalen
Zusammenhängen immer wieder neu zu sehen und neu zu überdenken.
In dieser Hinsicht ist der Werkbund auch heute, wie die Übersicht über die zahlreichen
Veranstaltungen der einzelnen Landesbünde im Jahr 2007 anschaulich macht, alles andere
als inaktiv oder – wie noch bösere Zungen behaupten – tot.
Der Deutsche Werkbund Hessen nimmt sich zum Beispiel im Rahmen seines
Jubiläumsprogramms in Symposien, Veranstaltungen und Publikationen vielfältiger aktueller
Gestaltungsfragen an. Unter dem Titel „Das Weltweit-Werden der Welt“ wird sich im
November 2007 ein ganztägiges Symposium in Kooperation mit dem Museum für
angewandte Kunst (MAK) in Frankfurt am Main und dem Rat für Formgebung der kritischen
Aktualisierung des für den Deutschen Werkbund zentralen Begriffs der Gestaltung widmen,
eines Leitbegriffes, der sich dadurch auszeichnet, dass er der gemeinsame Bezugspunkt
aller stets auch gesellschaftlich engagierten Aktivitäten des Deutschen Werkbundes war und
somit Gebrauchs- und Lebenswelt zusammen dachte. Weiterhin fasst die im Sommer 2007
erscheinende Publikation „Standpunkte“ die Überlegungen und Ergebnisse einer zum Thema
der Bebauung des Dom-Römerberg-Bereichs in Frankfurt a.M. eingerichteten Arbeitsgruppe
des DWB Hessen zusammen, wobei die Kriterien des städtebaulichen Umgangs mit diesem
zentralen Bereich der „Metropole“ Frankfurt untersucht werden.
Der „Wandel des öffentlichen Raums“ bildet seit einigen Jahren einen besonderen
Schwerpunkt in der Programmarbeit des DWB Hessen Im WerkbundForum am Ernst-MayPlatz in Frankfurt a.M. werden in Vorträgen, Gesprächsrunden und Ausstellungen veränderte
Erscheinungsformen, Vorstellungen und Begrifflichkeiten von Öffentlichkeit und öffentlichem
Raum thematisiert. Dabei stehen insbesondere planerische, gestalterische, sozio-kulturelle,
ökonomische und ökologische Bestimmungsfaktoren unserer zeitgenössischen öffentlichen
Lebenssphären im Mittelpunkt der Betrachtung.
Das Symposium „Lebensraum Stadtregion. Öffentliche Lebenswelten im Ballungsraum
Rhein-Main“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt a.M., dessen Begleitpublikation
hier vorgelegt wird, thematisiert – am Beispiel der rhein-mainischen Städte-Landschaft, aber
nicht nur auf diese bezogen – die zeitgenössischen Formen, Orte und Räume des sozialen
Miteinander in einer großräumigen Stadtregion. Dabei werden alle im Deutschen Werkbund
vertretenen Disziplinen angesprochen: Architekten, Stadtplaner, Landschaftsplaner,
Designer und Künstler, Geistes- und Kulturwissenschaftler, Sozialwissenschaftler... Das
letztliche Ziel bleibt nicht auf die Bestandsaufnahme und Klärung der Begriffe beschränkt,
sondern soll auch Denkanstöße und Hilfestellung für einen verantwortungsvollen künftigen
Umgang mit der Stadtregion und der Gestaltung ihrer „öffentlichen Orte“ geben.
Der Werkbund hat eine Tradition, die über die hundert Jahre seines Bestehens hinausgeht.
Er bezieht seine Beständigkeit, sein hartnäckiges Beharrungsvermögen, aus der Tatsache,
dass er – historisch gesehen – viele Werkbünde ist, dass er in seiner internen, personellen
Pluralität, Interdisziplinarität und Divergenz ein Selbstverständnis kultiviert, das den inneren
Konflikt aushält und fruchtbar macht und das sein Ungenügen an der Wirklichkeit nicht durch
ein eschatologisches Hoffen, sondern durch ein aktives Eintreten für die Fiktion, dass es
besser sein könnte – man nennt das Utopie – bestimmt ist. Und er gibt die Resultate dieser
Auseinandersetzungen als Angebot an die Gesellschaft zurück. Er tut dies mit der
Gewissheit, die auf eine Tradition von 100 Jahren zurückblicken kann und der
eingeschrieben ist, dass Behauptungen, die Geltungsanspruch besaßen, unter veränderten
gesellschaftlichen Verhältnissen mit gutem Recht auch wieder in Frage gestellt werden
müssen.
Abschließend gilt mein besonderer Dank an dieser Stelle all denjenigen, die durch ihre
großzügige Unterstützung das Veranstaltungsprogramm 2007 des Deutschen Werkbund
Hessen möglich gemacht haben – insbesondere der Stadt Frankfurt am Main, dem
Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, der Stiftung Polytechnische
Gesellschaft Frankfurt am Main, der ABG Frankfurt Holding, dem Hessischen Ministerium für
Wissenschaft und Kunst sowie dem Kulturamt Frankfurt am Main.
Ulf Kilian
Erster Vorsitzender
Deutscher Werkbund Hessen
(+ Foto)
Herunterladen