Die ZUKUNFT der ERINNERUNG II Die Gedenkstätte Ahlem – zentraler Ort der Erinnerungslandschaft Region Hannover Tagung am 16./17. Juni 2007 Wir danken für finanzielle Unterstützung Landeshauptstadt Hannover Region Hannover S-HannoverStiftung Veranstalter: Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover Inhaltsverzeichnis Vorwort I) Barbara Weber: Warum Erinnerungsarbeit ? II) Inhaltliche Besonderheiten des Der authentische Ort 1) Dr. Hans-Dieter Schmid: Zur Geschichte der ‚Israelitischen Gartenbauschule Ahlem’ 2) Wilfried Knauer: Der Authentische Ort im Spannungsfeld: Ort des Leidens, Ort der Aufklärung III) Kommunale Anbindung und Struktur einer Gedenkstätte Dr. Karola Fings: Potentiale einer Gedenkstätte in öffentlicher Trägerschaft IV) Ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten einer Gedenkstätte Eva Brücker: Die Kunst zu erinnern und zu gedenken V) Didaktische Herausforderungen einer Gedenkstätte Jens Michelsen: Aktuelle Herausforderungen der Gedenkstättenpädagogik VI) Anhang Vorbemerkung Das Netzwerk Erinnerung und Zukunft Region Hannover wurde am 6. Juli 2006 mit dem Ziel gegründet, die Erinnerungsarbeit in der Region Hannover zu fördern. Das Netzwerk will dazu beitragen, dass sich die Menschen in der Region Hannover dauerhaft mit den Verbrechen der Nationalsozialisten als Menschheitsverbrechen auseinandersetzen. Erfahrungen, Erlebnisse, Deutungen und Forschungsergebnisse sollen an spätere Generationen weitergeben und ihre Bedeutung auf die aktuelle Gegenwart bezogen werden, um sie lebendig zu erhalten. Die Aufgaben des Netzwerkes laut seiner Netzwerkvereinbarung sind die Förderung und Entwicklung der Erinnerungsarbeit, der regelmäßige Informationsaustausch in Bezug auf die inhaltliche Arbeit der beteiligten Akteure und die Abstimmung von Projektvorhaben der einzelnen Netzwerkmitglieder. Gemeinsame Projekte sollen entwickelt und ein gemeinsames jährliches Veranstaltungsprogramm herausgegeben. Die zentrale Aufgabe jedoch ist die Entwicklung des Rahmenkonzeptes Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover. Umgesetzt wurde diese Vereinbarung bereits in einer ersten Tagung mit dem Titel ‚Die Zukunft der Erinnerung in der Region Hannover’ im November letzten Jahres, die eine intensive Debatte nach sich zog. Weiter diskutiert und entwickelt wurde das Konzept durch die Arbeit der Konzeptgruppe des Netzwerks (das Ergebnis liegt im Anhang vor). Außerdem wurde die Veröffentlichung ‚Wegweiser zu den Erinnerungsorten in der Region Hannover’ vorbereitet, die ab November 2007 erhältlich ist. Aus der Debatte ging der Wunsch hervor, die Gedenkstätte Ahlem als authentischen Ort in den Mittelpunkt zu rücken, allerdings vor dem Hintergrund der ganzen Erinnerungslandschaft und im Rahmen ihrer Aufgaben und Möglichkeiten. Wichtig für den gesamten Prozess ist es, dass die drei wesentlichen Säulen der Erinnerungsarbeit nicht aus dem Blick geraten: Erinnern & Gedenken, Informieren & Bilden, Forschen & Dokumentieren. Die Tagung ‚Die ZUKUNFT der ERINNERUNG II’ ist Teil eines Prozesses, in dem gemeinsam mit Stadt, Region, Vereinen und Initiativen die Weiterentwicklung der Erinnerungsarbeit in der Region betrieben wird. Erinnerungsorte in und um Hannover sollen sichtbar, erfahrbar und verstehbar gemacht werden. Sie sollen mit einer lebendigen Geschichtserzählung und mit einem demokratischen Dialog über die Vergangenheit verbunden werden und im Mittelpunkt des Gedenkstättenkonzepts stehen. Das Gedenkstättenkonzept soll an die 20jährige Geschichte der Mahn- und Gedenkstätte anknüpfen und sich gleichzeitig den aktuellen Herausforderungen stellen, für die die Region Hannover und ihre Geschichte ein eigenständigen Weg sucht. Dazu müssen in der Planung die inhaltlichen Besonderheiten des authentischen Ortes Ahlem unter Berücksichtigung und Ausschöpfung der kommunalen Anbindung der Gedenkstätte verbunden werden mit den ästhetischen und didaktischen Möglichkeiten, die für die Gedenkstättenarbeit zur Verfügung stehen. Um sichtbar zu machen, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen es hier gibt, wurden zur Tagung Vertreter aus verschiedenen NS-Gedenkstätten in Deutschland eingeladen. Ihre zentrale Botschaft für die Entwicklung des Konzeptes in Ahlem lautet: Der Prozess ist eine langwierige und anstrengende Entwicklung, die sich über viele Jahre erstrecken kann. Um gute und richtige Ergebnisse zu erzielen ist es jedoch wichtig, diese Entwicklung mit all ihren Facetten zuzulassen und diesen Prozess aktiv gemeinsam zu gestalten. Barbara Weber, Koordinatorin des Netzwerks ‚Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover’ I) Barbara Weber: Warum Erinnerungsarbeit? Zwei Argumentationsweisen stehen immer wieder im Vordergrund, wenn es um Erinnerungsarbeit geht: Wir tun es für die Opfer oder wir tun es für unsere Kinder. Zwischen Erinnerung und Zukunft steht jedoch unsere Gegenwart und nur in ihr können wir handeln. Deshalb ist meine These: Wir brauchen Erinnerungsarbeit wegen uns. Es geht um uns als Gesellschaft. These 1: Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um uns als Gesellschaft besser und tiefer zu verstehen und um uns in unserer Gesellschaft beheimatet zu fühlen. „Da ist irgendetwas passiert, mit dem wir alle nicht fertig werden.“1 „Wir (...) haben in den 1930er und 1940er Jahren den totalen Zusammenbruch aller geltenden moralischen Normen im öffentlichen und privaten Leben miterlebt.2 Die in Hannover geborene politische Theoretikerin Hannah Arendt bezeichnet mit diesem Satz den Ausgangspunkt ihrer lebenslangen Arbeit und markiert die Grenzerfahrung: In der Zeit ihrer Generation ist etwas geschehen, das die Fähigkeiten dieser Generation gesprengt hat, es zu bewältigen. Wir haben statt einer Erbschaft eine Verlassenschaft3 zu übernehmen. Ihr müssen wir uns zuwenden und unsere Antworten formulieren. These 2: Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um die Herausforderung der gesellschaftlichen Verlassenschaft anzunehmen und sie aktiv zu gestalten. „Die Frage der Verantwortlichkeit, der individuellen und der gemeinschaftlichen, steht im Mittelpunkt der Selbstdefinition einer Gesellschaft.“4 Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihre Bewertung sind notwendig, um Werte und Normen für das gegenwärtige gesellschaftliche Leben zu entwickeln, zu klären und zu festigen. Die Gewalt hat nicht nur Menschen, Zusammenleben und Gesellschaft vernichtet, sondern auch Werte gesprengt, die zur Sinnstiftung einer Gesellschaft notwendig sind und die es ermöglichen, die Verbrechen zu beurteilen. Die kontinuierliche Debatte über die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten ist Teil dieser Sinnstiftung – und markiert gleichzeitig die Grenze. „(...) Die Sinnlosigkeit war zum Ereignis 1 Arendt, H.: Ich will verstehen; München (1996), S.60 Arendt, H.: Über das Böse; München (2006), S.14 3 Diesen fast vergessenen Begriff habe ich von A. und H.J. Breuste und ihrem Werk ‚Rosebusch Verlassenschaften’ übernommen. 4 McFarlane, A. C.; van der Kolk, B. A.: a.a.O., S.52 2 geworden. Es gibt keine Sinnstiftung, die rückwirkend die Totalität der Verbrechen der nationalsozialistischen Deutschen einholen oder einlösen könnte (...)“ 5 These 3: Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um Verantwortung zu übernehmen und unsere Demokratie zu stärken. „Dass die Täter des Dritten Reiches nicht ausgestoßen, nicht verfolgt und verurteilt, sondern toleriert, respektiert, in ihren Positionen belassen und bei ihren Karrieren gefördert, als Eltern und Lehrer akzeptiert wurden, hat die Generation der Täter und die ihrer Kinder in die Verbrechen und Schuld des Dritten Reichs verstrickt. Diese Verstrickung zu vermeiden, hätte es konsequent Ausgrenzung, Strafverfolgung und -verurteilung bedurft.“ 6 Schuld tragen diejenigen, die an diesen Verbrechen beteiligt waren und nicht die Nachgeborenen. Schuld entsteht aber auch dadurch, dass Verbrechen noch nach 1945 geduldet und legitimiert wurden. Sowohl für die Opfer als auch für das Rechtsbewusstsein unserer Gesellschaft ist es daher von großer Bedeutung, dass die Verbrechen, die in deutscher Verantwortung in der Zeit von 1933 bis 1945 geschehen sind, eindeutig benannt werden und sich von den Tätern losgesagt wird. Gleichgültigkeit ist gefährlich. Sie hat zur Folge, dass Unrecht und Recht gleiche Gültigkeit erhalten. These 4: Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um die entstandene Schuld klar zu benennen und das gemeinsame Rechtsbewusstsein zu stärken. „Der Holocaust hat keinen systematischen Platz im deutschen Familiengedächtnis, das (...) die primäre Quelle für Geschichtsbewusstsein ist (...) die Vergangenheit der vernichteten jüdischen Deutschen kommt in nichtjüdischen deutschen Familien lediglich als Geschichte ihres Verschwindens vor, nicht einmal als Geschichte der Toten, geschweige denn als lebendige Geschichte.“7 Dieses Zitat stammt aus ‚Opa war kein Nazi’, einer Mehrgenerationenstudie von Harald Welzer u.a., die für uns besonders interessant ist, da sie in Hannover durchgeführt wurde. Wenn man das Buch gelesen hat fragt man sich, was das für die Überlebenden bedeutet. In einer Gesellschaft, die den Opfern die Anteilnahme verweigert, werden ihre Leiden fortgesetzt. Schuld, die nicht bearbeitet und überwunden wird, wirkt in die Gesellschaft hinein. Verdrängung und Verleugnung aus dem öffentlichen Bewusstsein bürden den Opfern 5 Koselleck, R.: Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses in: Verbrechen erinnern, Bonn (2005), S.32 6 Schlink, B.: Vergangenheitsschuld und gegenwärtiges Recht, Frankfurt a.M. (2002), S.98 7 Welzer, H. u.a.: Opa war kein Nazi; Frankfurt a.M. (2002), S.210 die emotionalen Lasten der Tat auf und verweigern ihnen Anteilnahme, Mitgefühl und Solidarität. Gewalt wird immer erinnert. Wird sie nicht bearbeitet und ihre Logik gebrochen, wirkt sie weiter, ohne dass ihr Ausgangspunkt erkennbar bleibt. Der Therapeut Jürgen MüllerHohagen sagt dazu: „Mir ist mit der Zeit so viel bekannt geworden an schweren Missbrauchs- und Gewalterfahrungen von Kindern mit Kriegs- und NS-Hintergründen bei den Tätern, dass ich in allem Ernst von einer deutschen Unterwelt spreche.“8 These 5: Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um unsere Wahrnehmung, unser Mitgefühl, unsere Anteilnahme und unsere Solidarität zu stärken. „Die Bilder von bis auf die Knochen ausgemergelten Insassen und Bergen übereinander geworfener Leichen blieben mir im Gedächtnis. Es waren tonlose Dokumentarfilme, die im abgedunkelten Biologiesaal vorgeführt wurden(…)“ 9 Ich habe ähnlich wie Rudolf Herz das erste Mal vom Holocaust erfahren. Dieser Schock hat bei mir langjährig Verhaltensregeln verankert: Nähere dich niemals diesem Thema, denn du kannst dem, was dir dort begegnet, einfach nicht standhalten. Nähere dich keinem der heute noch lebenden Opfer, denn du wirst unter der Last von Schuld und Schande zusammenbrechen. So wurde in meinem Leben die ‚Unfähigkeit zu trauern’10 verankert. Erst sehr viel später habe ich verstanden, dass Trauer ein wichtiges soziales Element ist. Menschen trauern in Gesellschaft, sie verarbeiten den Verlust des Anderen gemeinsam, stärken sich dadurch gegenseitig und entwickeln wieder Zuversicht. Wir haben so viele Menschen verloren. Vielleicht brauchen die Toten uns nicht mehr, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Sicher ist aber, wir brauchen sie, weil sie zu uns und unserer Geschichte gehören. These 6: Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um nicht in kalten Ritualen zu erstarren. Wir brauchen Erinnerungsarbeit, um gemeinsam zu trauern und neue Zuversicht zu entwickeln. Saul Friedländer, der demnächst den deutschen Friedenspreis erhalten wird, hat von der ‚Unruhe der Erinnerung’ gesprochen. Eine Unruhe, die sich in der Auseinandersetzung mit der Erinnerung löst, den ‚Bann des Grauens’ sprengen kann und uns zu uns selbst führt. 8 Müller-Hohagen, J: Verleugnet, verdrängt, verschwiegen. Seelische Nachwirkungen der NS-Zeit und Wege zu ihrer Überwindung; München (2005), S. 110 9 Herz, R.: Kunst der Erinnerung. In: Knigge/Frei: Verbrechen erinnern; Bonn (2005), S.379 10 Mitscherlich, A. und M.: Die Unfähigkeit zu trauern; (2004) Diese Unruhe kennt auch der Auschwitzüberlende und Literaturnobelpreisträger Imre Kertész: „Zweifellos ist es nicht leicht zu gedenken. Vor einiger Zeit war ich Besucher einer Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht, und überraschte mich auf einmal dabei, wie ich mich als Fremder dort höflich, mit starrer Miene bemühte eine distanzierte Haltung zu wahren, damit der Schrecken des ausgestellten Materials mich nicht niederwarf. Sollte ich vergessen haben, dass ich selbst Betroffener und Überlebender dieses Grauens bin? (...) Nicht vergessen, nein, doch nachdem ich es mit Worten gestaltet hatte, war alles ausgebrannt und ruhte irgendwie in mir. Diese Ruhe gebe ich ungern auf, obwohl eben das erforderlich ist: denn die Schande, von der diese Bilder, diese Dokumente sprechen geht uns ja alle an (...)11 Ich bin unverändert der Meinung, der Holocaust ist ein Trauma der europäischen Zivilisation, und es wir zur Existenzfrage für diese Zivilisation werden, ob dieses Trauma in Form von Kultur oder Neurose, in konstruktiver oder destruktiver Form in den Gesellschaften Europas weiterlebt.12 These 7: Wir brauchen Erinnerungsarbeit für unsere Gegenwart und für unsere Zukunft als demokratische Gesellschaft in Europa. 11 Kertész, I.: Europas bedrückende Erbschaft; Rede zum Auftakt des Berliner Kongresses ’Perspektive Europa’; Süddeutsche Zeitung (2./3.Juni 2007) 12 Kertész, I.: Die exilierte Sprache; Frankfurt a.M. (2003), S.220 II) Der authentische Orte 1) Dr. Hans-Dieter Schmid: Zur Geschichte der Israelitischen Gartenbauschule Ahlem Das Wesentliche an der Gedenkstätte Ahlem ist, dass sie nicht nur für einen, sondern für viele Aspekte der Geschichte des Nationalsozialismus in der Region Hannover steht, darüber hinaus kann der der Ort neben der negativen Erinnerung ein selbstständiges Stück deutschjüdischer Geschichte erzählen. Vier Aspekte sind besonders hervor zu heben: Die ‚Israelitische Gartenbauschule’ als lebendige, fortschrittliche Schule Ins Leben gerufen wurde die Israelitische Gartenbauschule vom jüdischen Bankier und amerikanischen Vizekonsul Alexander Moritz Simon (germanisierter Name, eingetragen im Geburtsregister als Moses Simon) im Jahr 1893 als ‚Israelische Erziehungsanstalt zu Ahlem’. Alexander Moritz Simon wollte mit der Schule ursprünglich seinen verarmten deutschen Mitbürgern jüdischen Glaubens neue Perspektiven eröffnen und hoffte, mit der Gründung der Schule auch den Antisemitismus bekämpfen zu können. Eine der damaligen antisemitischen Ansichten war es, dass Juden nicht in der Lage seien, Landwirtschaft zu betreiben. Sie könnten nur von der Arbeit anderer leben und nicht selbst produktiv tätig sein. Simon wollte deswegen Juden aus ihrer ‚unnormalen’ Sozial- und Berufsstruktur wieder in produktive Berufe zurückführen. Als produktive Berufe galten damals nur Berufe, in denen etwas hergestellt wurde, möglichst in Handarbeit. Seine Grundidee dabei war es, mit der Rückführung in handwerkliche Berufe so früh wie möglich, also im Kindesalter, anzufangen. Grundlage für die Ausbildung war folglich eine ganz normale jüdische Elementarschule mit deutlichem Schwerpunkt im Handwerks- und Gartenbauunterricht. Daran schloss sich entweder eine dreijährige Gärtnerlehre oder eine Lehre in einem anderen handwerklichen Beruf an. In die Schule wurden fast ausschließlich jüdische Jungen aufgenommen, die vorwiegend aus osteuropäischen Ländern kamen und vor den Verfolgungen in ihren Ländern flohen. Zeitweise konnten auch Mädchen dort eine Hauswirtschaftslehre absolvieren (1903 bis 1921), kurze Zeit sogar eine Gärtnerlehre. Da die Schule sich vor allem durch Spenden finanzierte, war das Geld meist knapp. Es wurde wenig geheizt und gegessen, um Geld zu sparen. Die Schüler mussten zudem Erziehungsbeiträge leisten, Darlehen wurden aufgenommen und die Simonsche Stiftung trat im Notfall ein. Die Schule bestand bis in das Jahr 1942 unbeschadet(das stimmt nicht! Siehe nächster Abschnitt). Erst dann wurde sie zusammen mit allen anderen jüdischen Schulen geschlossen. Die ‚Israelitische Gartenbauschule’ als Sammelstelle für die Deportation der Juden aus Hannover und Hildesheim Seit 1941 wurde die ‚Israelitische Gartenbauschule’ Ahlem als Sammelstelle für die Deportation der Juden aus dem Regierungsbezirk Hannover und dem Regierungsbezirk Hildesheim in die Konzentrationslager Auschwitz, Warschau und Theresienstadt missbraucht. Vor der Deportation mussten sich die Juden in der Turnhalle der Schule sammeln und alles abgeben, was sie hatten. Dann wurden sie zum Bahnhof Fischerhof gebracht. Von dort aus transportierte man die Menschen in Zügen weiter. Über 2000 Menschen wurden insgesamt aus Ahlem deportiert. Ahlem war folglich der zentrale Ort für die Deportation der Juden aus dem ganzen südlichen Niedersachsen. Die ‚Israelitische Gartenbauschule’ als Polizeiersatzgefängnis In der letzten Phase des NS-Regimes hatte die Gestapo im ehemaligen Haupthaus der Schule (steht heute nicht mehr) ein Polizeiersatzgefängnis eingerichtet. Hier saßen zunächst die Personen ein, die die Gestapo nach der Aktion „Gewitter“ am 20. Juli 1944 festgenommen hatte (ungefähr 100 Personen, unter ihnen zum Beispiel Kurt Schumacher, Bernhard Pfad und Heinrich Bock). Danach waren hier vor allem osteuropäische Zwangsarbeiter inhaftiert (vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion und Polen). Auch Sinti wurden zunehmend zur Zwangsarbeit gezwungen und unterstanden dadurch der Gestapo in Ahlem. Die ‚Israelitische Gartenbauschule’ als Ort der Täter Seit Oktober 1943 war im Direktorenhaus eine Außenstelle der Gestapo-Leitstelle Hannover untergebracht. Die Gestapo durfte alle Strafen bis hin zur Todesstrafe („Sonderbehandlung“) verhängen, jedoch hatte der Leiter der Gestapo diesbezüglich einen großen Gestaltungsspielraum. Zunächst wurde die Todesstrafe nur in den Konzentrationslager ausgeführt, später auch in den Arbeitserziehungslagern. Gegen Ende des Krieges schienen auch diese zu weit weg zu sein und man richtete Hinrichtungsstellen auch in den Polizeiersatzgefängnissen ein. um schneller handeln zu können. Der Leiter der beiden Ausländerreferate der Gestapo in Ahlem war Heinrich Joost. Über ihn ist bekannt, dass er ein wahres ‚Terrorregiment’ führte und dass Folterungen und Misshandlungen der inhaftierten Zwangsarbeiter an der Tagesordnung waren. In Ahlem wurden mindestens 59 Menschen auf dem Hinrichtungsplatz an der Laubhütte hingerichtet und ermordet. Die Hinrichtungen fanden vor allem im März 1945 statt. Noch kurz vor Ende des Krieges erschoss die Gestapo 155 Menschen in einer Massenerschießung auf dem Seelhorster Friedhof. Literatur: Buchholz, M. Shmuel, B. Enis, R., Füllberg-Stolber, H.-D., Schmid, H.-D. WolschkeBulmahn, J.: Ahlem – eine jüdische Gartenbauschule und ihr Einfluss auf Gartenbau und Landschaftsarchitektur in Deutschland und Israel; Grundsatzwerk, noch nicht erschienen 2) Wilfried Knauer, Leiter der Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel: Der Authentische Ort im Spannungsfeld: Ort des Leidens, Ort der Aufklärung „Dieser authentische Ort des Todes, der Tötungen im staatlichen Auftrag sollte in erster Linie ein Ort der Aufklärung und der politischen Bildung sein“ (Zitat eines ehemaligen Häftlings heute). Die JVA Wolfenbüttel symbolisiert einen Ort, an dem zwischen 1933 und 1945 rund 7.000 Männer und Frauen nach Todesurteilen deutscher Gerichte mit der Guillotine oder dem Strang hingerichtet wurden. Zwischen 1945 und 1947 wurden zusätzlich 67 Todesurteile der englischen Militärdienste dort vollstreckt. Das Strafgefängnis selbst ist eine alte Befestigungsanlage der Residenz der Braunschweiger Herzöge aus dem Jahr 1506. Es wurde über Jahrhunderte hinweg ständig erweitert und umgebaut und ist seit 200 Jahren ein Ort, an dem Menschen inhaftiert wurden und werden. Im Jahr 1937 wurde es zur Hinrichtungsstätte umgebaut. Obwohl bereits kurz nach Ende des Krieges die ersten Personen zum Ort der Hinrichtung ihrer Angehörigen gekommen waren, um nach Spuren zu suchen, kam dennoch erst in den 70er Jahren die Forderung nach einem Gedenkort an dieser Stelle auf. Die ersten Tätigkeiten begannen in den Jahren 1986/87, schnell wurde eine Gedenkstätte nach den alten Plänen von 1937 umgesetzt. In der Gedenkstätte in Wolfenbüttel sind die verschiedenen Zeitschichten von Geschichte und Gegenwart nicht nur in Dokumenten zu erkennen, sondern auch tatsächlich wahrnehmbar: Zum einen durch das historische Gebäude, zum anderen, da der Ort immer noch ein Gefängnis für Menschen ist und auch so vom Besucher wahrgenommen wird. Gedenkstätten sind generell Orte des Leidens und des Todes, Orte der Trauer und des Gedenkens. Sie sind aber auch Orte der Forschung und der Sicherung von Quellen. Ihre größte Schnittmenge haben sie mit der Aufgabe von Museen: Sie müssen Sammeln, Bewahren, Forschen und Aufstellen. Hinweise für die Debatte in Hannover: Die Gedenkstätten in Niedersachsen entstammen fast alle bürgerschaftlichem Engagement und werden in einer Art ‚engagiertem Dilettantismus’ betrieben. Es ist Zeit, zu einer Professionalisierung der Arbeit zu kommen, um Erinnerungskultur pflegen und erhalten zu können. Nur so kann Geschichte einprägsam an nachfolgende Generationen weiter gegeben werden. III) Kommunale Anbindung und Struktur der Gedenkstätte Dr. Karola Fings, stellvertretende Direktorin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln (EL-DE-Haus): Potentiale einer Gedenkstätte in öffentlicher Trägerschaft Das EL-DE-Haus in Köln befindet sich an einem authentischen Ort: in dem Haus, in dem sich heute Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum befinden, befand sich von 1935 bis 1945 der Sitz der Kölner Gestapo. Zunächst von Bauherrn Leopold Darm (daher der Name EL-DE) als Wohn- und Geschäftshaus geplant, hatte die Gestapo das Haus übernommen und noch in der Bauphase für eigene Zwecke umgebaut (mit Gefängniszellen im Keller des Hauses). Nicht aus dieser Zeit stammt lediglich das 5. Stockwerk des Hauses, das nachträglich aufgebaut wurde. Die Gefängniszellen waren Ort des physischen und des psychischen Terrors, deswegen sind sie heute das Kernstück der Einrichtung. Das Haus wurde im Krieg kaum zerstört und deswegen nach Ende des Krieges weiter als Behördenhaus der Stadt genutzt. Zum Teil mussten Menschen, die die Folterungen im Gefängnis überlebt hatten, dort ihre Renten beantragen. Wenn sie Pech hatten, trafen sie sogar auf ihre ehemaligen Peiniger. Entwicklung von Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum Seit den 70er Jahren gab es heftige Diskussionen darum, wie mit dem Haus zukünftig umgegangen werden sollte. Es erfolgte ein Beschluss der Stadt Köln, zunächst die Inschriften der Häftlinge in den Gefängniszellen, die erhalten geblieben waren, zu restaurieren. Danach sollte eine erste Gedenkstätte im Keller des Hauses eingerichtet werden, die im Jahr 1981 eröffnet wurde. Die Dauerausstellung, die sich in der Gedenkstätte befand, hat lange Jahre ihren Dienst getan, wird allerdings momentan erneuert, weil sie nicht mehr zeitgemäß ist. Entwickelt wurden Konzeption und Aufbau der Gedenkstätte im Stadtarchiv der Stadt Köln. Im Laufe der Jahre wurde sie nach und nach ausgebaut und erweitert. Entscheidend angekurbelt wurden die Entwicklung der Gedenkstätte und ihr weiterer Ausbau durch den öffentlichen Druck, der unter anderem auch vom Förderverein ausgeübt wurde und der weit in die Politik der Stadt Köln hineinwirkte. 1988 begannen schließlich die Arbeiten in den Räumen des EL-DE-Hauses selbst. Drei Jahre später erging ein Grundsatzbeschluss des Rates der Stadt Köln, dass im Haus nicht nur eine Gedenkstätte, sondern auch ein NS-Dokumentationszentrum mit verschiedenen Aufgaben angesiedelt werden sollte. Das Aufgabenspektrum des Dokumentationszentrums reicht heute von der Fachverwaltung für die Stadt (Reden werden vorbereitet, Gedenkveranstaltungen organisiert, Stellungnahmen und Gutachten zu Straßenbenennungen entwickelt, etc.), über eine Bibliothek (Präsenzbibliothek mit rund 16.000 Bänden) und Dokumentationsstelle bis hin zu Forschungsprojekten in Kooperation mit der Universität Köln. Kommunale Anbindung des NS-Dokumentationszentrums Das NS-Dokumentationszentrum ist eine selbstständige Einrichtung der Stadt Köln und als solche in der Kulturverwaltung angesiedelt. Dort befindet es sich in einer quasi geschützten Zone und hatte so die Möglichkeit, ein eigenes Profil zu entwickeln. Durch die Ansiedlung in der Kulturverwaltung war ein sehr beständiges Arbeiten möglich und es wurde durch die Kontinuität der Mitarbeiter eine sehr hohe Professionalität erreicht. Dies sieht man heute an der Medienpräsenz des Hauses vor allem in der Kölner Lokalpresse. Ein Viertel aller Führungen in Museen in Köln finden im EL-DE-Haus statt. Finanzierung Die Stadt übernimmt sämtliche Personalkosten, den Wachdienst und die Kosten des EL-DEHauses mit NS-Dokumentationszentrum. Darüber hinaus steht ein flexibler Etat für weitere Ausgaben zur Verfügung, der schon häufiger von Haushaltskürzungen betroffen war. Für diesen Bereich allerdings hat man die Möglichkeit, Drittmittel und Spenden ein zu werben, um mehr Geld zur Verfügung zu haben. Außerdem besteht die Möglichkeit Kooperationsprojekte mit anderen Einrichtungen anzustreben, um Kosten zu sparen. Die Struktur einer Stadtverwaltung ist auf Dauer angelegt ist und deshalb sehr tragfähig. Sie ist klar definiert, es gibt feste Ansprechpartner und ein Zentrum, um das herum sich die Dinge organisieren lassen. Dadurch ist es mit relativ wenig Aufwand möglich, viele Menschen zu erreichen. Durch die Einbindung in die kommunale Struktur ist beispielsweise bei Besuchsprogrammen immer der Bürgermeister oder der Oberbürgermeister mit dabei. So kann sich auch die Politik leichter in wesentliche Inhalte hineindenken, die Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum betreffen. In Zukunft ist für das EL-DE-Haus eine weitere räumliche Erweiterung angestrebt: Der Innenhof soll mit in die Gedenkstätte einbezogen werden und weitere Räume für die pädagogische Arbeit zur Verfügung gestellt werden. Zweieinhalb weitere Stellen werden geschaffen und die operativen Mittel für zusätzliche Ausgaben werden erhöht. Fazit für Gedenkstätte Ahlem Hinweise für die Debatte in Hannover Die kommunale Anbindung der einer Gedenkstätte Ahlem birgt viele Vorteile für ihre Weiterentwicklung. Allerdings muss, um ein akzeptables Ergebnis zu erreichen, Geld investiert werden. Dabei muss in größeren Dimensionen gedacht werden, als bisher. Nur dann ist es möglich, sich dauerhaft und produktiv mit dem Thema zu befassen. IV) Ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten einer Gedenkstätte Eva Brücker, stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung ‚Denkmal für die ermordeten Juden Europas’: Die Kunst zu erinnern und zu gedenken Das ‚Denkmal für die ermordeten Juden Europas’ steht in Berlin nicht an einem authentischen Ort, da es einen solchen nicht gibt. Es steht an ganz anderer Stelle: in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores auf einem rund 19.000 Quadratmeter großen Gelände. Dies war für die Entwicklung des Denkmals zugleich Chance und Problem: Eine Chance, weil keine Bindung an ein historisches Gebäude vorhanden war. Ein Problem, weil man nicht wusste, wie die Räumlichkeiten aussehen würden, in denen die Gedenkstätte später präsentiert werden würde und man auch den zeitlichen Ablauf nicht richtig kalkulieren konnte. Entwickelt wurde das Denkmal von dem Künstler Peter Eisenman in Zusammenarbeit mit einem breit gefächerten Kuratorium (Vertreter der Stadt, des Landes, der einzelnen Parteien, Bürgerinitiativen etc.). In der folgenden Umsetzung mussten alle weiteren Parteien (Künstler, Museologen, Pädagogen, Historiker, Architekten und Gestalter) Kompromisse eingehen. Jede Partei musste die Fachkompetenz der anderen Stelle akzeptieren und in ihren Forderungen auf die anderen zugehen. Wichtig dabei war es, eine moderierte Zusammenarbeit zwischen allen Gruppen herbei zu führen und die Balance zwischen den einzelnen Parteien herzustellen. Nur auf diese Weise konnte die Umsetzung glücken. Künstlerische und gestalterische Umsetzung Das Denkmal von Peter Eisenman ist ein Feld aus massiven Betonstelen mit unebenem Boden. Die Stelen erhöhen sich zur Mitte hin. Der Besucher soll in das Feld treten und vor allem die Emotion der Beunruhigung und der Verunsicherung erfahren. Nach Ansicht des Künstlers hätte es keiner weiteren Erläuterung des Stelenfeldes bedurft, ein Informationszentrum hielt er für überflüssig. Trotzdem gab es die Forderung nach einem Ort, der die aufgekommenen Fragen des Besuchers beantworten sollte. Heute findet man deswegen nicht nur das Denkmal von Peter Eisenman, sondern auch einen unterirdischen ‚Ort der Information’, der am Rande des Stelefeldes aber nicht angezeigt wird, sondern der von den Besuchern gefunden werden muss. Der ‚Ort der Information’ ist rund 1.000 Quadratmeter groß und umfasst neben dem Foyer vier Räume, die die Zeit des Nationalsozialismus auf unterschiedliche Weise gestalterisch umsetzen. In allen Räumen ist zu spüren, dass man sich unter dem Stelenfeld befindet. Die Stelen ‚wachsen’ von den Seiten oder von oben in die Räume hinein, sind in Vitrinen symbolisiert. Diese gestalterischen Vorgaben mussten bei der Umsetzung berücksichtigt werden und der Inhalt der Dokumentation musste sehr komprimiert werden. Äußerst wichtig und zentral war der europäische Gedanke und die Personalisierung des Themas. Zeitlich wurde der Rahmen auf die Jahre 1940 bis 1942/43 beschränkt, da in diesen Jahren die meisten Juden in Europa ermordet wurden. Die Ausstellungsstücke in den Räumen werden durch kurze Texte und durch exakt recherchierte und zum dargestellten Sachverhalt passende Bilder ergänzt. Es gibt neben Bild und Text Hörstationen und Kurzfilme zu unterschiedlichen Themenkomplexen. Ein Raum ist ganz leer, nur die Namen von verfolgten Juden aus ganz Europa sind über Lautsprecher im Raum zu hören. Die Verbindungstüren der Räume sind aus Glas, ebenso die Wände der Treppenabgänge. So kann ein wenig Tageslicht in alle Räume gelangen. Wichtig und sehr belebt ist eine große Nutzfläche, wo die Besucher sich hinsetzen und ausruhen, Mäntel, Jacken etc. ablegen können. Organisation Das Denkmal ist eine bundesunmittelbare Stiftung und wird vollständig durch die Bundesrepublik Deutschland mit einem Etat von ungefähr 2,5 Millionen Euro im Jahr finanziert. Da sich Zahlen und Fakten immer wieder verändern und überarbeitet werden müssen, ist eine sehr kontinuierliche Betreuung des Denkmals nötig und in Berlin auch gegeben. Zum Beispiel wurde die pädagogische Aufgabe des Denkmals bislang zu wenig beachtet. Hier wird mit der Umsetzung erst jetzt begonnen, indem Räume für die pädagogische Arbeit eingerichtet werden. Fazit für die Gedenkstätte Ahlem Hinweise für die Debatte in Hannover Um zu einer befriedigenden Konzeption und daraus folgend zu einer entsprechenden Umsetzung der Gedenkstätte zu gelangen, bedarf es langer Zeit und sehr viel Ausdauer. Kompromisse müssen zwischen den unterschiedlichen Parteien geschlossen und immer wieder die Balance zwischen den widerstreitenden Interessen gefunden werden. Dass dies möglich ist, zeigt die Entstehung des ‚Denkmals für ermordeten Juden Europas’ in Berlin. Die Gedenkstätte Ahlem befindet sich noch auf dem Weg der Entwicklung. Dieser Weg sollte mit Energie und Nachdruck weiter gegangen werden, auch wenn noch kein Ende abzusehen ist. V) Didaktische Herausforderungen einer Gedenkstätte Jens Michelsen, Leiter des Studienzentrums KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Aktuelle Herausforderungen der Gedenkstättenpädagogik Pädagogische Arbeit in Gedenkstätten möchte heute vor allem ein historisches Erbe weitergeben. Sie möchte das Gedenken an eine Zeit, einen Ort und an die Menschen, die dort lebten und litten an jüngere Generationen vermitteln. Mit dieser Definition als Lernort ist ein sehr wesentlicher Funktionswandel von Gedenkstätten beschrieben. Denn für viele Jahrzehnte waren Gedenkstätten in erster Linie Friedhöfe für die Menschen, die dort umgebracht wurden, oder auch Orte des Gedenkens an die Menschen, die von dort vertrieben wurden. Mit dem Abschied von der Generation, die den Nationalsozialismus tatsächlich erlebt hat, wird diese Bedeutung zwar nicht aufgegeben, aber die Nutzung als Lernort tritt immer mehr in den Vordergrund. Adressat der pädagogischen Arbeit Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, an wen sich die pädagogische Arbeit speziell richten soll, mit verschärfter Dringlichkeit. Die pädagogischen Abteilungen, die es inzwischen in allen größeren Gedenkstätten gibt, müssen sich damit auseinandersetzen, dass die Mehrheit der geführten Gruppen inzwischen zur vierten Generation nach dem Nationalsozialismus gehört. Im Gegensatz zur zweiten Generation wachsen die Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Klasse in einer Zeit auf, in der die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus selbstverständlicher Bestandteil der Kultur- und Bildungslandschaft ist. Es gibt jedoch eine Diskrepanz zwischen der offiziellen Erinnerungskultur und dem Familiengedächtnis. Dort werden die Verbrechen des Nationalsozialismus heutzutage zwar nicht mehr verdrängt, aber die Rollen, die eigene Familienangehörige in dieser Zeit gespielt haben, werden umdefiniert. Angesichts aktueller Debatten über die Opfer des Bombenkriegs, über Vertreibungen aus den mittelosteuropäischen Staaten und das Flüchtlingselend gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, entsteht die Gefahr, dass die deutsche Opfergeschichte zur dominierenden Vergangenheitserzählung werden könnte. Aus diesem Grund ist die Überprüfung von unterschiedlichen Geschichtserzählungen auf ihren historischen Wahrheitsgehalt immer wichtiger. Gedenkstätten dürfen sich nicht darauf beschränken, das Vermächtnis der Verfolgten zu vermitteln, sondern müssen es in Beziehung zu den in der vierten Generation vorherrschenden Deutungen setzen. Musealisierung Gleichzeitig ist in den letzten Jahre festgestellt worden, dass die Kenntnis von Namen und Begriffen wie ‚Auschwitz’ und ‚Holocaust’ in der Gesellschaft nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Menschen wirklich mehr über den Alltag, die Ausgrenzungsmechanismen und den Terror in der Zeit des Nationalsozialismus wissen. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu der Tatsache, dass der Nationalsozialismus heute in vielen Museen und Ausstellungen präsent ist. Gedenkstätten und Museen jedoch haben unterschiedliche Aufgaben: Museen sind zu größerer Distanz aufgerufen, während Gedenkstätten durch ihre Funktion als Gedenkort und als Ort der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung Partei ergreifen und mehr Betroffenheit erzeugen dürfen. Allerdings darf dies nicht zu einer Überwältigung der Adressaten durch ‚verordnete’ Betroffenheit führen. Die Gedenkstätte sollte sich vielmehr um eine Präsentationsform bemühen, die dem Betrachter die Möglichkeit zur Distanz und vor zur Reflexion des Gesehenen gibt. Medialisierung Heutzutage vergeht kaum ein Tag, an dem nicht auf einem Fernseh- oder Rundfunkkanal eine Dokumentation über den Nationalsozialismus läuft. Nachdem in den 90er Jahren zunächst die Schicksale der jüdischen Verfolgten im Vordergrund standen, hat sich inzwischen der Blick auch auf andere Opfergruppen sowie auf die Täter und Täterinnen ausgeweitet. Auch Spielfilme und Fernsehspiele über die Zeit des Nationalsozialismus verzeichnen gute Zuschauerzahlen. Bemerkenswert ist, dass gerade amerikanische Produktionen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu einer größeren Breitenwirkung verholfen haben (die Filme ‚Holocaust’ und ‚Schindlers Liste’). Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen berichten immer wieder, wie sehr das Wissen von jungen Menschen über den Nationalsozialismus durch Bilder aus den Medien geprägt ist. Es ist deshalb wichtig, Methoden zu entwickeln, mit deren Hilfe über diese Erzählungen von Geschichte, über die ihnen innewohnenden Bilder und Mythen nachgedacht werden kann. Reflexion und Betroffenheit In der Gedenkstättenpädagogik taucht vor diesem Hintergrund immer wieder die Forderung nach ‚neuen und lebendigen Formen des Erinnerns und Lernens’ auf. Dadurch soll die Lust am Lernen gefördert, die Eigeninitiative und das Selbstbewusstsein der Lernenden gestärkt werden. Oft wird die so genannte ‚Betroffenheit’ als Schlüssel zu den Köpfen und Herzen der Jugendlichen verstanden. Doch Jugendliche von heute sind nicht mehr in demselben Maße betroffen, wie es die Erfahrungsgeneration des Nationalsozialismus oder die nachfolgende Generation war. Es kommt also auch für die Gedenkstätte Ahlem darauf an, Mittel und Wege zu finden, die es den Jugendlichen ermöglichen, die große Distanz zum historischen Geschehen zu überbrücken. Sie müssen von der Betrachtung der Geschichte zu einer Erkenntnis gelangen, die nach vorne, also auf die Zukunft hin ausgerichtet ist. Nur so kann sich ein Denkprozess vollziehen. In der Pädagogik werden zu diesem Zweck Lernziele definiert, auch in der Pädagogik von Gedenkstätten. Als oberstes Lernziel - oft als ausschließliches Ziel – galt es lange Zeit, eine Empathie für die Opfer zu entwickeln. Dieses Ziel besitzt nach wie vor seine Gültigkeit. Nur muss es vor dem Hintergrund, dass ganz verschiedene Gruppen im Nationalsozialismus zu Opfern wurden, differenziert werden. Erst in der Beschäftigung mit den verschiedenen Opfergruppen erschließt sich, dass auch der Nationalsozialismus eine Entwicklungsgeschichte hat. Jüdische Menschen zum Beispiel wurden von Anfang an der Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt. Der Übergang zur Vernichtungspolitik erfolgte erst Anfang 1940. Er erreichte dann allerdings ein Ausmaß, das zum Beispiel für homosexuelle Menschen nie zutraf. Indem in der pädagogischen Arbeit solche Differenzierungen herausgearbeitet werden, wird der Nationalsozialismus nicht verharmlost, sondern als ein geschichtliches Phänomen erkannt, das von Menschen gemacht wurde. Um dies nachvollziehen zu können, ist es nötig, die verschiedenen Verfolgungsmechanismen mit Quellen, Dokumenten, Gesetzen und Fotos in den Kontext zu setzen. Die wichtigsten Quellen sind nach wie vor die Erzählungen und Berichte der Zeitzeugen, vor allem der Emigrierten, der Deportierten und Überlebenden der Konzentrationslager. Gerade an einem Ort wie der Gedenkstätte Ahlem mit ihrer vielfältigen jüdischen Geschichte vor 1933 ist es wichtig, die Sammlung von Erfahrungsberichten nicht auf die Zeit von Emigration und Konzentrationslager zu reduzieren, sondern lebensgeschichtlich anzulegen. Dies ist, da es über die Außenlager des KZ Neuengamme, Stöcken und Ahlem, sehr viel Material (vor allem auch lebensgeschichtliche Interviews) gibt, auch möglich. Die Kunst von pädagogischer Arbeit mit Zeitzeugenerzählungen liegt allerdings darin, Methoden zu entwickeln, mit denen diese Erzählungen entschlüsselt werden können. Auch hier ist es nötig, im Rahmen der Lernsituation den zeitgeschichtlichen Kontext der Erfahrungen der Zeitzeugen so gut wie möglich zu veranschaulichen Bei den Erinnerungen der Zeitzeugen handelt es sich meist um existentiell tiefgehende Erfahrungen, so dass sie sich oft der funktionalen Ebene von Bildung widersetzen. Jugendliche werden sich ihnen nur öffnen können, wenn das Ich der Jugendlichen, ihre Identität, Ausgangspunkt der Auseinandersetzung ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, dass Jugendliche die Erfahrungen der Emigranten, Deportierten und der Überlebenden der Konzentrationslager wirklich an sich heranlassen und das Fremde und Befremdliche der Extremsituation Verfolgung wahrnehmen. Nur so können sie den Bruch in den Lebensgeschichten dieser Menschen erkennen und diese Erfahrungen in Beziehung zu ihrer eigenen, meist gänzlich anderen Lebenssituation setzen. Als neue zentrale pädagogische Kategorie sollte in der Gedenkstättenpädagogik statt der ‚Betroffenheit’ die der ‚Reflexion’ eingeführt werden. Ort der Kommunikation, der Begegnung und der Kultur Die vielfältige Geschichte des Ortes ‚Ehemalige Jüdische Gartenbauschule Ahlem’ auch nach 1945 bietet gute Möglichkeiten, dass auch noch andere Zeiten als die des Nationalsozialismus in die Bildungsarbeit mit einbezogen werden können. Dies eröffnet die Chance, nicht nur querschnittsorientiert zu lernen, sondern auch längsschnittorientiert und damit geschichtliche Abläufe besser zu verstehen. Allerdings gehören dabei Gedenken – Nachdenken – Denken zusammen. Die Gedenkstätte Ahlem möge also ein Ort des Nachdenkens über historische Zeiten sein, aber auch Ort der Begegnung, der Kommunikation und der Kultur. Mit dem Begegnungsprojekt mit der Region Nord-Galiläa in Israel und der Friedenswerkstatt in Lehrte ergeben sich gute Möglichkeiten, die Auseinandersetzung mit Geschichte zu einem Projekt der historisch-politischen und der kulturellen Bildung auf internationaler Ebene weiter zu entwickeln. Ebenen der Zusammenarbeit Eine Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte des KZ Neuengamme ist in drei verschiedenen Bereichen denkbar: In der Hauptausstellung der Gedenkstätte kommen die Außenlager des Konzentrationslagers, also auch Ahlem und die Situation der Zwangsarbeiter dort, ausführlich vor. Auf dieses Material könnte die Gedenkstätte Ahlem zurückgreifen. Neuengamme präsentiert außerdem eine Studienausstellung zur Täterproblematik. Darin kommen auch die Täter in den Außenlagern des KZ vor. Auch hier bietet sich eine gute Möglichkeit für die Zusammenarbeit. Schließlich kann das offene Archiv der Gedenkstätte Neuengamme als Anschauungsmaterial für die geplanten Computerarbeitsplätze in der Gedenkstätte Ahlem dienen.