6 Sport und Bewegung in der Behandlung depressiver

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Sport und Bewegung in der Behandlung
depressiver Erkrankungen
Andreas Broocks
6.1Einleitung
Depressive Erkrankungen stellen eine große Herausforderung für das gesamte
Gesundheitssystem dar. Schätzungen gehen von ca. 18 Millionen Menschen in
der Europäischen Gemeinschaft aus, die einmalig oder mehrfach von einer behandlungsbedürftigen depressiven Phase betroffen sind (Daten aus Eurobarometer 2006). In Deutschland sind psychische Erkrankungen auch mehr und mehr
dafür verantwortlich, dass Menschen bereits in den mittleren Lebensjahren keine
Alternative mehr zu einer Frühberentung sehen. Denn mehr als 20 000 Menschen
werden pro Jahr wegen psychischer Erkrankungen bereits vorzeitig berentet. Damit steht diese Krankheitskategorie nach den Daten der Deutschen Rentenversicherung an erster Stelle – noch vor den Erkrankungen des Bewegungsapparats
(http://www.deutsche-rentenversicherung.de; www.gbe-bund.de).
In den letzten Jahren liest man in der Presse sehr häufig vom sogenannten
Burn-out-Syndrom, das man in Lehrbüchern über psychische Erkrankungen
noch immer vergeblich sucht. In der Regel wird unter Burn-out ein Erschöp-
Markser, Bär: Sport- und Bewegungstherapie bei seelischen Erkrankungen. ISBN: 978-3-7945-2993-3. © Schattauer GmbH
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fungssyndrom – im Zusammenhang mit einer länger andauernden beruflichen
oder auch privaten Überforderungssituation – verstanden. Symptomatologisch
handelt es sich um eine leichte depressive Verstimmung, aus der sich aber eine
schwerere Depression entwickeln kann.
6.2
Klassifikation und Behandlung
Depressive Erkrankungen unterscheiden sich deutlich von den auch bei Gesunden
vorkommenden Zuständen, in denen für Stunden oder Tage Beeinträchtigungen
der Stimmung oder der Leistungsfähigkeit auftreten. Typische Anzeichen sind
niedergedrückte Stimmung, Konzentrationsstörungen, Neigung zum Grübeln,
Freudlosigkeit, ein Gefühl von Sinnlosigkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen –
(häufig mit Früherwachen), Schuldgefühle, Suizidgedanken sowie körperliche
Symptome wie dumpfe Kopfschmerzen oder ziehende Rückenschmerzen.
Kleinste Verrichtungen erfordern eine große Anstrengung und hinterlassen das
Gefühl einer anhaltenden Erschöpfung. Bei schweren Depressionen kann es auch
zu Wahnvorstellungen kommen – beispielsweise im Sinne eines Verarmungswahns oder der Vorstellung, an einer unheilbaren körperlichen Erkrankung zu
leiden. Im Rahmen der »rezidivierenden depressiven Störung« besteht meist lebenslang eine Neigung, dass nach Belastungen oder auch spontan erneut depressive Phasen auftreten. Bei der sogenannten Dysthymie fühlen sich die Betroffenen
häufig matt, lustlos, gereizt und niedergeschlagen. Im Unterschied zu depressiven
Episoden sind die Beschwerden aber nicht so stark, dass die Patienten arbeits­
unfähig sind. Studien haben gezeigt, dass Übergänge zwischen rezidivierenden
depressiven Störungen und Dysthymie häufig sind. Bei der bipolaren affektiven
Störung wechseln schwere depressive Zustände mit manischen Phasen ab, die
durch Antriebssteigerung, geringes Schlafbedürfnis, Größenideen, unsinnige
Geldausgaben, aber auch Aggressivität bis hin zu Erregungszuständen gekennzeichnet sind.
6.2.1ICD-10-Diagnosekriterien
Leitsymptome für eine depressive Episode (seit mehr als 2 Wochen)
(Punktprävalenz ca. 6 %; Lebenszeitprävalenz ca. 15 %)
Depressive Stimmung
yy
Deutlicher Interessenverlust
yy
Gewichtsverlust (> 5 % des Körpergewichts/Monat)
yy
Insomnie oder Hypersomnie
yy
Agitiertheit oder starke psychomotorische Hemmung
yy
Erschöpfbarkeit
yy
Überzeugung der eigenen Wertlosigkeit und Schuld
yy
Starke Konzentrationsstörungen und Denkhemmung
yy
Markser, Bär: Sport- und Bewegungstherapie bei seelischen Erkrankungen. ISBN: 978-3-7945-2993-3. © Schattauer GmbH
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