Kultur der Zurückhaltung, Tugend der Intervention, Falle des Multilateralismus: Anmerkungen zur deutschen Beteiligung an internationalen Friedensmissionen Reinhard Meyers Institut für Politikwissenschaft WWU Münster [email protected] Intervention (1) Ein höchst diffiziles und komplexes Thema – nicht erst seit der Operation Enduring Freedom… Die Intervention (lat. intervenire = dazwischentreten, sich einschalten) bezeichnet das Eingreifen einer bis dahin unbeteiligten Partei in eine (Konflikt-)Situation zumeist mit dem Ziel, diesen zu bearbeiten (conflict management), zu lösen (conflict resolution) oder in eine bestimmte Richtung zu lenken bzw. zu einem bestimmten Zweck zu instrumentalisieren. Intervention (2) Der extensive Gebrauch des Begriffs von der Politik über die Medizin, Psychologie, Pädagogik, Sozialarbeit bis zur Kunst wird belegt durch folgende Google-Werte (14.3.08, ca.19.30) Intervention 54.000.800 Nennungen in 0,04 sec. Krisenintervention 203.000 Nennungen in 0,21 sec. Humanitäre Intervention 66.500 Nennungen in 0,21 sec. Konfliktintervention 4.790 Nennungen in 0,17 sec., Konnotationen dabei überwiegend gewaltfrei bzw. zivil Zum Vergleich: Krieg - 22.700.000 Nennungen in 0,16 sec. Frieden – 10.900.000 Nennungen in 0,16 sec Intervention: Gründe für den extensiven Begriffsgebrauch Diskussion um weak – failing – failed states [Staatsversagen insbes. in der Dritten Welt] ethnonational motivierte (Bürger-)Kriege von (Ex-) Jugoslawien bis Ruanda Bedrohung durch den internationalen Terrorismus insbes. nach 11.09.2001 Erweiterung des Sicherheitsbegriffs nach Ende des Ost-West-Konflikts durch Einbezug von Umwelt-, Frauen-, Menschenrechts- und internat. Solidaritätsfragen zu einem erweiterten Sicherheitsbegriff (sogen. securitization) Entwicklung vom Interventionsverbot [Art. 2 Abs. 3,4,7 UN-Ch.] zum Interventionsgebot Bericht Responsibility to Protect, Dez. 2001 Intervention: Diskussionskontext Agenda für den Frieden 1992 Nachhaltiger Friede • Gewaltfreiheit • Selbsterhaltung • Innere/Äussere Legitimation • Konstruktive Konflikttransformation Mediation, Verhandlung, Schlichtung, • politische Demokratisierung Änderung des moralischpolitischen Klimas • Wirtschaftl. Wiederaufbau • Wiederherstellung des Rechtsstaats Verheilung der Wunden der Vergangenheit • Erziehung und Ausbildung, Gesundheitswesen/-vorsorge Ökologisches Gleichgewicht Versöhnung der Werte Streitbegleitung Versöhnung Wiederaufbau PRÄVENTION (Reconstruction) Engagement für die Zukunft Entwicklung eines WirGefühls und multipler Loyalitäten Versöhnung (Reconciliation) Sicherheit Rüstungskontrolle Abrüstung Friedenswahrung (robustes) Peace Keeping Friedensschaffung (Peace Building) Friedensdiplomatie, Friedenssicherung, Friedenskonsolidierung unter Betonung des Präventionsgedankens Wandel in der Grundausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik Oberziel der Sicherheitspolitik der Bonner Republik im Ost-West-Konflikt: Abschreckung (im Bündnis) und Entspannung (zwischen den Bündnissen) Oberziel der Sicherheitspolitik der Berliner Republik in einer komplexen weltpolitischen Krisen- und Konfliktlage: Stabilitätstransfer und Krisenmanagement (Wunschoption auch: Krisenprävention) Kritik: Orientierung weiter Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit an einem veralteten sicherheitspolitischen Denken das Ende des OWK erbringt eine Friedensdividende, weil Streitkräfte nur noch in verkleinerter Form benötigt werden und der Verteidigungshaushalt reduziert werden kann. Bundeswehr nicht länger Kriegführungsarmee, sondern in erster Linie Unterstützungselement für zivile Stabilisierungsmassnahmen – Soldat als bewaffneter (Wieder-) Aufbauhelfer Neue deutsche Sicherheitspolitik – Kritik Von einer Territorialverteidigungsarmee wandelt sich die Bundeswehr zu einer weltweit agierenden Armee im Dauereinsatz – nur die sicherheitspolitische Argumentation merkt es nicht: sie bleibt überwiegend innenpolitisch präformiert. Die BRD wandelt sich vom Konsumenten zum Produzenten internationaler Sicherheit; die damit verknüpften militärischen Optionen bzw. Notwendigkeiten kann Rot-Grün vermeintlich gegenüber seinen Wählern nur legitimieren durch Einbettung in kooperativen Multilateralismus, dem Beharren auf der militärischen Intervention als Einzelfall, dem Vorrang von Wiederaufbauhilfe, Entwicklungspolitik und Durchsetzung der Menschenrechte vor robuster Vertretung internationaler Eigeninteressen. Die traumatische Erfahrung asymmetrischer Verwundbarkeit des 11. September nehmen BRD und USA unterschiedlich wahr – mit entsprechenden Konsequenzen für die SIPO-Strategie: - antizipativ – offensiv – präemptiv (USA) versus präventivdefensiv (BRD + „Altes Europa“) Neue deutsche Sicherheitspolitik – Kritik (2) Die veränderte Einsatzwirklichkeit der Streitkräfte wird von der Politik nur unzureichend thematisiert. „Die Logik internationaler Sicherheitspolitik nach dem 11. September besteht darin, dass die grenzenlose Bedrohung durch den internationalen Terrorismus eine gleichermassen grenzenlose Sicherheitsstrategie erfordert. … Die Diskrepanz deutscher Sicherheitspolitik zwischen verringerten Ausgaben im Verteidigungshaushalt und erweitertem Sicherheitsbegriff und mithin erweiterter Aufgabenstellung der Bundeswehr im Rahmen der weltweiten Terrorismusbekämpfung zeigt aber ungekürzt, dass deutsche Sicherheit nicht an Risiken und Gefahren, sondern vielmehr an den finanziellen Ressourcen des Staatshaushalts gemessen wird.“ (M.Kirch 2005:31) t Konfliktbearbeitung durch Bundeswehreinsätze: Arbeitsteilung UNO/NATO/EU/OSZE Kon li nf flik Ko tprä ven t i on EU/OSZE in Europa, & Welt ?? kt nfli nt o e s t- K Po nagem Ma EU/NATO in Europa, UNO in der Welt NATO& OSZE in Europa NATO in Europa UNO in Welt EU in Europa UNO in der Welt kt m a an m ge en de fe n f a h ssc men n e ah ed Fri Maßn Friedenserhaltende Maßnahmen Frie d Maß ensbe wa n mili ahmen hrend täri e sch (nicht er A rt) Erklärungsversuche I: Kultur der Zurückhaltung Übersteigerter Nationalismus beider Weltkriege, rassenideologisch gestützter Expansionsdrang („Lebensraum“) und Weltherrschaftsanspruch des NS-Systems = Deutscher Sonderweg Gegenbewegung Neokonservative Kritik: Von der Machtversessenheit zur Machtvergessenheit (H.P.Schwarz, Schöllgen, Baring) BRD als Zivilmacht Ablehnung des NS, Westbindung u. normative Ausrichtung auf westl. Demokratien, Überwindg, des Nationalismus d. Integration u. Souveränitätsverzicht, Skepsis gegenüber mil. Macht als Mittel der Aussenpolitik, Orientierung auf Wirtschaftsmacht („Scheckbuchdiplomatie“) (Maull, Senghaas u.a.) BRD als zur Grossmacht verdammte Zentralmacht Europas mit geopolitischer Mittellage Grundlagen Stabilisierung einer gesamteuropäischen Friedensordnung durch Verregelung und Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa; kooperative Sicherheitspolitik mit Moskau; Verregelung und Verrechtlichung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (WTO); Förderung von Menschenrechtspolitik u. internat. Strafgerichtsbarkeit Reinhard Rode, Macht und Zusammenarbeit in internationalen Institutionen, Hallenser IB-Papier 1/2004 Besonders wenn es um internationale Institutionen geht, hat sich in der deutschen Debatte ein Hang zur Idealisierung entwickelt, der Macht- und Einflussfragen unter- und Legitimitätsfragen übergewichtet hat. Normative Orientierungen werden häufig weltfremd mit Realitäten gleichgesetzt. Nach der einfachen Regelannahme, dass internationale Institutionen fast immer gut, aber grundsätzlich besser seien als Nationalstaaten, werden die Leistungen der internationalen Institutionen überhöht und ihre Grenzen übersehen. Dieser deutsche Weg in Wissenschaft und Politik lässt sich mit historischen Erfahrungen gut erklären. Er ist ein internationalistischer Sonderweg, dem ein ultranationalistischer Sonderweg vorausging. Da Letzterer so fundamental gescheitert war, wurde die Alternative quasi zum Weltgesetz erhoben. Der deutsche Idealismus in der Tradition Kants wurde in der Bonner und dann der Berliner Republik zum kategorischen Imperativ der Politik. Dieser Lernprozess war weder unvernünftig noch unklug. Beiden Republiken bot sich auch keine wirklich vernünftige Alternative. Unklug vermag die kooperative Option aber zu werden, wenn das Maß verloren geht und die bessere Wahl zur einzig denkbaren und politisch korrekten Wahlmöglichkeit erhoben wird. Erklärungsversuche II: Tugend der Intervention GG Art. 87a • 1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. • (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. GG Art. 24 (1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (1a) Soweit die Länder für die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung Hoheitsrechte auf grenznachbar-schaftliche Einrichtungen übertragen. (2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. (3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten Leitsätze des BVerfG-Urteils vom 12. Juli 1994 • Die von der Bundesregierung beschlossenen Einsätze deutscher Streitkräfte, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt, finden ihre verfassungs-rechtliche Grundlage in Art. 24 Abs. 2 GG, der den Bund ermächtigt, sich einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen. • Die Vorschrift des Art. 87 a GG steht dieser Auslegung des Art. 24 Abs. 2 GG nicht entgegen. • Im übrigen kann wegen Stimmengleichheit im Senat nicht festgestellt werden, dass die Bundesregierung gegen Art. 59 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternative GG verstoßen hat. • Alle Einsatzentscheidungen bedürfen jedoch vorher einer vorherigen konstitutiven Zustimmung des Bundestage Parlamentsvorbehalt Verfassungsrechtliche Grundlagen und unterschiedliche Einsatzlogiken Art. 87a: 1. Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. 2. Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Art. 24: 1. Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. 2. Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen... Sicherheit = Sicherheit = Was das GG zulässt? Was das SKS zulässt? Nie wieder Krieg ! (nur Verteidigung) Nie wieder allein ! (ohne Bündnis geht es nicht) Erklärungsversuche III: Multilateralismus – Falle Derzeit zwei zentrale Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik: 1) Deutschlands Beteiligung an Auslandseinsätzen bedarf einer Mandatierung durch den Sicherheitsrat, damit ihr Charakter als Beitrag zur Friedenssicherung in einem System kollektiver Sicherheit unstrittig ist; zum anderen soll ein solcher Einsatz als Anwendung der Lehren aus der NSGeschichte in einem multilateralen Einsatz erfolgen – Prämisse des kollektiven Handelns ! 2) Einsatzentscheidungen – sei es für Peace Keeping, Peace Enforcement oder Peace Building Einsätze – werden auf internationaler Ebene (UNO) oder im Rahmen von NATO oder EU so weit vorbereitet, dass in der Verfassungswirklichkeit dem Deutschen Bundestag nur wenig Spielraum bleibt, den Parlamentsvorbehalt auch voll auszuschöpfen, will er nicht jedes Mal Deutschlands Bündnisverpflichtungen gänzlich in Frage stellen. Fazit: die multilaterale sicherheitspolitische Kooperation bindet die BRD stärker, als es der Öffentlichkeit bewusst ist. Die Bundesrepublik wird zum Opfer ihrer eigenen, dem Multilateralismus verpflichteten Staatsräson, die das BVerfG mit seinem Urteil zu Auslandseinsätzen 1994 bekräftigt hat. Wie deutsche Interessen autonom durchsetzen??