Würde und Werte im Koalitionsvertrag: Fehlanzeige Es war eine schwere Geburt. Dann endlich, kurz vor Weihnachten war der Koalitionsvertrag unterschriftsreif. Ein „Vertrag für kleine Leute,“ so kommentierte Sigmar Gabriel das 185 Seiten umfassende Werk, in dem sich mehr oder weniger vage Aussagen zu allen Politikfeldern finden. Und da wir in einer medialen Welt leben, in der Geschwindigkeit und Aktionismus vor Gründlichkeit gehen, preschen die Minister seit Jahresbeginn munter mit ihren Konzepten vor. Wer am schnellsten ist, hat die größte Chance auf eine fette Schlagzeile. „Deutschlands Zukunft gestalten“: Aber wie? Der Titel des Koalitionsvertrages macht keine konkrete Aussage, keine Programmatik ist dort erkennbar. Man beginnt also zaghaft im umfassenden Werk zu blättern und pendelt zwischen konkret formulierten Vorhaben und unkonkreten Ankündigungen. Auffallend häufig finden sich wenig griffige Formulierungen wie: „wird geprüft“, „wird angestrebt“ und „angemessen gestalten“. Wer nach ethischen Begriffen sucht, sucht vergebens. Gerade zwei Mal ist von „Würde“ die Rede. Das erste Mal im Zusammenhang mit „Sterben in Würde“ und das zweite Mal in Bezug auf das Randthema der Leihmütter. Der Begriff „Ethik“ taucht ein einziges Mal (Ethik der Landwirtschaft) auf, „ethisch“ ganze drei Mal (in so unterschiedlichen Kontexten wie Doping, Internet und Drohnen!). Menschenrechte schaffen es immerhin auf 16 Nennungen, doch die im Abhörskandal so beschädigten Persönlichkeitsrechte werden nicht ein einziges Mal erwähnt. Der für jede Gesellschaft elementar wichtige Begriff „Gerechtigkeit“ hat es ganze neun Mal in den Text geschafft (meistens in der Reduktion auf „Chancengerechtigkeit“). „Gleichheit“ (wieder als „Chancengleichheit“) und der zukunftsweisende Begriff der „Nachhaltigkeit“ kommen auf jeweils acht Nennungen, die „Freiheit“ immerhin auf 19. Ethische Überlegungen scheinen nicht Pate gestanden zu haben, als der Vertrag ausgehandelt wurde. Der wichtigste Begriff im Papier ist ohne Zweifel die Wirtschaft. Als Begriff kommt „Wirtschaft“ in all ihren Varianten auf 272 Erwähnungen. „Sicherheit“ ist mit 201 Nennungen ebenfalls ein auffallend oft verwendeter Begriff und „Wettbewerb“ ist mit knapp 100 Nennungen vorne mit dabei. „Reichtum“ gibt es laut Koalitionsvertrag in unserem Land nur als Ideen- und Naturreichtum, „Vermögen“ nur als „Durchhaltevermögen“, „Armut“ nur im Alter oder als „Bildungsarmut“ und „Armutsmigration“ oder in der verschlüsselten Form der „Einkommensungleichheiten“. „Armutsbekämpfung“ oder die Bekämpfung von „armutsassoziierten Erkrankungen“ (was auch immer das ist) bleiben als Aufgabe den Entwicklungsländern reserviert. Sieht so ein „Vertrag für kleine Leute“ aus? Klar gibt es in der Koalition Vorhaben, die erfreulich sind. Doch wenn es um die im Titel angesprochene Zukunft geht, vermisse ich eine klare ethische Perspektive, eine einladende Vision einer gerechten Gesellschaft, das Konzept einer nachhaltigen Wirtschaft. Den Kirchen wird im Koalitionsvertrag bescheinigt, dass sie das gesellschaftliche Leben bereichern und Werte vermitteln, die zum Zusammenleben in der Gesellschaft beitragen. Nehmen wir als Kirchen diesen Auftrag ernst und kämpfen für die Werte, die zum Gelingen des Lebens beitragen. Gestalten wir die Zukunft mit. Mutig. Engagiert. Getragen von Gottvertrauen.