Ist ein Koalitionsvertrag wirklich ein klassischer Vertrag? Pacta sunt servanda – so lernt es der Jurastudent im ersten Semester: Verträge sind zu halten. Hält sich eine Partei nicht an die getroffene Vereinbarung, kann die andere Partei vor Gericht auf Erfüllung des Vertrages klagen. Doch trifft das auch auf den sogenannten Koalitionsvertrag zu? Und wieso wird er überhaupt geschlossen? Die bedeutendste Entscheidung zu Beginn einer neuen Legislaturperiode ist die Wahl des Bundeskanzlers – oder der Bundeskanzlerin. Dafür müssen in der Regel mehrere Fraktionen einen Konsens finden. Ihre Bedingungen für die Wahl schreiben die Partner in Koalitionsverträgen fest, die in vorangegangenen, zum Teil ziemlich zähen Koalitionsverhandlungen ausgefochten werden. In diesen Verhandlungen der Parteien sind mitunter auch Ministerialbeamte zugegen. Deren Fachwissen soll schon bei der Erstellung des Koalitionsvertrages berücksichtigt werden. So errechnet beispielsweise das Bundesfinanzministerium bereits zu diesem Zeitpunkt die finanziellen Auswirkungen der einzelnen Vorschläge. Vertragspartner sind dann die politischen Parteien, vertreten durch ihre Parteiführungen. Koalitionsverträge bestehen in der Regel aus einer Präambel, den Zielen und Inhalten gemeinsamer Politik, Personal- und Ressortentscheidungen sowie prozeduralen Absprachen. Es werden die Leitlinien oder Eckpunkte, teilweise aber auch einzelne Sachentscheidungen bis hin zur detailgenauen Beschreibung eines Gesetzgebungsvorhabens festgelegt. Mit den Personal- und Ressortentscheidungen wird unter anderem bestimmt, welche Person welches Bundesministerium leitet. Im Verfahrensteil verpflichten sich die Partner zur Kooperation im Kabinett und im Parlament und vereinbaren Verfahren für den Konfliktfall. Zentral sind die Vereinbarungen, im Bundestag stets einheitlich abzustimmen und wechselnde Mehrheiten auszuschließen. Eine bestimmte Form ist für Koalitionsverträge nicht vorgegeben. Sie können daher sowohl mündlich als auch schriftlich geschlossen werden. Rechtsnatur und Verbindlichkeit von Koalitionsverträgen sind indes umstritten. Teils werden sie als Verfassungsverträge angesehen, teils als politisch – nicht aber rechtlich – bindende Absprachen qualifiziert, als „politische Geschäftsgrundlage“ für die Bildung und Arbeit der Regierung. Weil Koalitionsverträge auf die Umsetzung politischer Ziele durch die Staatsorgane gerichtet sind, können sie jedenfalls nicht – und insoweit sind sich die Gelehrten einig – als privatrechtliche Abreden angesehen werden. Und noch etwas ist unstreitig: Der Einfluss der Koalitionsverträge und damit auch die rechtliche Bindungswirkung enden an den vom Grundgesetz vorgegebenen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Insbesondere sind gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG Abgeordnete des Deutschen Bundestages an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Ein imperatives Mandat ist ausgeschlossen!