Dünen- und Flugsandgebiete an der March

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Sanddünen in Niederösterreich
Heinz Wiesbauer und Karl Mazzucco
„Hinter diesen Auen, die still und verwildert sind wie selten irgendwo in Europa, liegt
das Marchfeld, eine gespenstisch leere Landschaft, in der es Sanddünen gibt wie in den
asiatischen Steppen (...).“ Gerhard Fritsch, Moos auf den Steinen (1956)
Der Schriftsteller Gerhard Fritsch mag bei der obigen Beschreibung ein wenig
übertrieben haben. Doch wer mit offenen Augen durch das Marchfeld geht,
findet in einigen Bereichen imposante Dünen mit mehreren Metern Höhe. Diese
Sandakkumulationen zählen zu den wertvollsten Lebensräumen unserer
Kulturlandschaft.
Historische Karten zeigen die enorme Ausdehnung von Dünen im vergangenen
Jahrhundert. Heute sind davon jedoch nur noch kleine Reste erhalten, die vielen
hoch spezialisierten Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bieten. Unter den
Binnendünen nehmen die Sandgebiete Niederösterreichs eine besondere Rolle
ein, da sie im Übergangsbereich zum Pannonikum liegen. Die Flugsande
lagerten sich während beziehungsweise unmittelbar nach der letzten Eiszeit ab,
als das Gebiet zwischen March und Donau nur zu einem geringen Teil bewaldet
war. Bei niedriger Wasserführung kamen ausgedehnte Sand- und Kiesbänke zum
Vorschein, von denen der Wind große Feinsedimentmengen aufwirbeln und
verblasen konnte. Während feinkörnige Teilchen oft weite Strecken überwanden,
sedimentierte der grobkörnigere Sand in Flußnähe. Im Marchfeld und Marchtal
entstanden so mehrere Meter mächtige Flugsanddecken.
Neben den naturräumlichen Gegebenheiten beeinflussen Nutzungen die
Dünendynamik. War die Mobilität des Sandes durch die weitgehend
geschlossene Pflanzendecke lange Zeit eingeschränkt, so änderte sich dies im 10.
und 11. Jahrhundert, als Bauern weite Teile der bewaldeten Flugsandzone für
den Ackerbau rodeten. Da die nährstoffarmen Sandböden nur über wenige
Jahrzehnte bestellt werden konnten und dann verödeten, mußten bereits Anfang
des 15. Jahrhunderts zahlreiche Dörfer wieder aufgegeben werden.
Ende des 18. Jahrhunderts, unter der Herrschaft Maria Theresias, wurde damit
begonnen, die Flugsande des Marchfeldes großflächig zu stabilisieren. Um dies
zu erreichen, mußten die Bauern die Beweidung der Sandrasen einschränken und
offene Sandflächen aufforsten. Interessanterweise gibt es überall dort, wo sich
die Bevölkerung gegen diese Befehle sperrte, heute noch kleinere Sandrasen.
Auch drakonische Strafen konnten so manchen Hirten nicht davon abhalten, die
spärlich bewachsenen Sanddünen mit Schafen und Ziegen zu bestoßen. Dagegen
waren staatliche Subventionen Ende des 19. Jahrhunderts effizienter. Mit der
finanziellen Unterstützung war es möglich, erosionsgefährdeten Flächen zügig
aufzuforsten und ein engmaschiges Netz von Windschutzgürteln anzulegen. Aus
diesem Grund sind von den ehemals ausgedehnten Sandrasen heute nur
Restflächen übriggeblieben. Dabei ist es wiederum der menschlichen Nutzung
(z.B. Beweidung, Mahd) zu verdanken, daß es hier kleinräumige
Pionierstandorte gibt, in denen sandliebende Tier- und Pflanzenarten hier letzte
Refugien finden.
Widerstandsfähige Pflanzen und Hungerkünstler
Auf offenen Sandflächen breiten sich widerstandsfähige und genügsame Gräser
und Kräuter aus. Sofern der Boden nicht mehr umgelagert wird, dringen in die
lückigen Sandrasen Trocken- und Halbtrockenrasen-Arten ein, denen bei
fehlender Beweidung oder Mahd auch Gehölze folgen können. Von besonderem
vegetationsökologischen Interesse sind die Pionierstadien, da sie viele
Lebensraumspezialisten enthalten. Im Bereich der niederösterreichischen
Sanddünen lassen sich zwei Sandrasen-Gesellschaften unterscheiden:
• der Pannonische Scheiden-Schwingelrasen/Festucetum vaginatae auf schwach
basischen bis schwach sauren Böden der Gänserndorfer- und Praterterrasse
sowie
• die Marchtaler Silbergrasflur/Thymo angustifolii-Corynephoretum auf mäßig
bis stark sauren Böden der Marchniederung.
In den offenen Sandbereichen herrschen extreme Standortverhältnisse, die durch
Trockenheit, Sedimentumlagerungen, hoher Einstrahlung und geringem
Nährstoffgehalt gekennzeichnet sind. Diese lebensfeindlichen Umstände
spiegeln sich in den Lebens- und Wuchsformen der Sandpflanzen wider.
Um die zeitweilige Trockenheit unbeschadet zu überstehen, haben die Pflanzen
unterschiedliche Strategien entwickelt. So kommen auf den sandigen
Pionierstadien zu einem großen Teil Xerophyten (trockenheitsverträgliche Arten)
und Therophyten (Pflanzen, deren Lebenszyklus weniger als ein Jahr beträgt und
die über keine vegetativen Überdauerungsorgane verfügen) vor. Ferner finden
sich in bestimmten Sukzessionsstadien Trockenmoose und -flechten, die längere
Hitzeperioden überdauern können. Xerophyten sind in der Lage, mit äußerst
geringen Wassermengen auszukommen, da sie eine dicke Cuticula, einen
Wachsüberzug oder eine dichte Behaarung aufweisen (z.B. ScheidenSchwingel/Festuca vaginata). Einige Pflanzenarten sind in der Lage, die
Blattoberfläche zu verkleinern.
Eine andere Strategie der Pflanzen besteht darin, die vegetative beziehungsweise
generative Phase in Zeiträume mit höherer Bodenfeuchtigkeit zu verlagern. Viele
Therophyten bilden bereits im feuchten Herbst kleine Blattrosetten, die im
grünen Zustand überwintern, zeitig im Frühjahr Blütensprosse treiben, vor der
Sommertrockenheit fruchten und dann absterben. Manche Arten gelangen schon
im April zur Samenreife und überdauern dann als Samen das trockene
Sommerhalbjahr (z.B. Frühlings-Spörgel/Spergula morisonii). Aber auch viele
mehrjährige Pflanzen blühen und fruchten bereits im zeitigen Frühjahr oder
Frühsommer (z.B. Schwarze Küchenschelle/Pulsatilla pratensis ssp. nigricans).
Besonderen Streß verursacht der Wind, der stellenweise Wurzeln freigelegt,
Pflanzen begräbt oder die oberirdischen Teile durch den Sandkornflug schädigt.
Höhere Überdeckungen vertragen nur Arten, die Adventivwurzeln bilden oder
ihren Sproß durch Ausläufer beziehungsweise Nebenrosetten wieder nach oben
verlagern können (z.B. Silbergras/Corynephorus canescens). Um
vegetationsfreie Standorte rasch besiedeln zu können, verfügen die Pionierarten
in der Regel über sehr viele Samen. Diese werden meist vom Wind oder von
Tieren in alle Richtungen vertragen und bleiben, sofern sie im Sediment
eingeschlossen sind, oft über viele Jahre keimfähig.
Im Gegensatz zu aktiven Wanderdünen, die stetig umgelagert werden, entwickelt
sich der Boden stabilisierter Dünen weitgehend ungestört. Mit zunehmendem
Wasser- und Nährstoffangebot verdrängen dort konkurrenzstärkere Pflanzen
viele Pionierarten.
Die charakteristischen Sandrasen-Gesellschaften zählen heute zu den
bedrohtesten Vegetationstypen Österreichs und Mitteleuropas. Alle Zeigerarten
des bewegten Sandes werden in der Roten Liste gefährdeter Farn- und
Blütenpflanzen in der Kategorie „vom Aussterben bedroht“ beziehungsweise
„stark gefährdet“ geführt.
Hoch spezialisierte Tiere
Neben seltenen Pflanzen leben auf diesen Standorten auch zahlreiche hoch
spezialisierte Tierarten. Die Sandoberflächen können sich bei
Sonneneinstrahlung auf bis zu 60 Grad Celsius aufheizen und in der Nacht rasch
wieder abkühlen. Während die Temperatur im oberen Bodenhorizont stark
schwankt, herrschen nur wenige Zentimeter tiefer beinahe ausgeglichene
Verhältnisse. Viele Insektenarten (Grabwespen, Wegwespen, Wildbienen u.a.)
legen deshalb in geringer Tiefe ihre Nester an, wobei sich der leicht zu
transportierende Sand als ideales Baumaterial erweist.
Um auf offenen Sandflächen nicht allzu rasch Beute für Räuber zu werden,
haben viele tagaktive Insekten eine Tarnfärbung. So fallen beispielsweise die
Wolfsspinne Arctosa perita (Latr.), der Rüsselkäfer Chromoderus fasciatus
(Müll.) und die Feldheuschrecke Sphingonotus caerulans (L.) zumeist nur dann
auf, wenn sie sich bewegen.
Die Lebensraumqualitäten der Sanddünen ändern sich jedoch mit
fortschreitender Sukzession grundlegend. Während die Pionierstadien
weitgehend von hoch angepaßten Spezialisten bewohnt werden, wandern mit
zunehmender Pflanzendeckung und Bodenentwicklung Ubiquisten sowie Arten
von Ruderalstandorten und Trockenrasen ein.
Strategien für die Erhaltung
Sanddünen sind äußerst dynamische Lebensräume, die sich in unseren Breiten
von einem Pionierstadium in Richtung Wald als Endstadium entwickeln. Der
Wind verlangsamt diesen Prozeß deutlich, indem er das Sediment stetig
umbildet. In den Sandgebieten Niederösterreichs wurde jedoch die
Windgeschwindigkeit durch ein engmaschiges Netz von Windschutzanlagen
vermindert. Eine Folge davon ist, daß die Bodenerosion keine Rolle mehr spielt
und die Sukzession der Sandrasen rasch voranschreitet. Der Pflegeaufwand, ein
bestimmtes Sukzessionstadium über einen längeren Zeitraum zu erhalten, ist hier
ungleich höher als in Gebieten mit entsprechender Umlagerungsdynamik.
Die Untersuchungen zeigen deutlich, daß die Pionierstadien aus faunistischer
und vegetationsökologischer Sicht besonders wertvoll sind. Doch gerade diese
Bereiche haben infolge von Stabilisierungsmaßnahmen dramatisch
abgenommen. Um den drohenden Artenschwund im Bereich der Dünen
aufzuhalten, wird angestrebt,
 die laufenden oder noch drohenden Aufforstungen im Bereich der Restflächen
wirksam zu unterbinden,
 das Angebot offener Sandflächen zu erhöhen und kleinräumige
Sedimentumlagerungen zu ermöglichen,
 die Pionierflächen des Pannonischen Scheiden-Schwingelrasens und der
Marchtaler Silberrasenflur auszuweiten,
 besonders wertvolle Sandgebiete, die derzeit acker- oder waldbaulich genutzt
werden, in Sandrasen umzuwandeln,
 die Sandstandorte entsprechend zu pflegen (u.a. Beweidung, Abtrag des
Oberbodens) und
 den Nährstoffeintrag zu vermindern (In diesem Zusammenhang ist darauf
hinzuweisen, daß die Düngung von Sandböden ein umwelttoxikologisches
Problem ersten Ranges darstellt, da die Nährstoffe größtenteils direkt in das
Grundwasser gehen und für dessen hohe Nitratwerte mitverantwortlich ist).
Umsetzung
Pannonische Sanddünen sind nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie „prioritäre
Lebensräume“ und genießen besonderen Schutz. Österreich hat sich mit dem
Beitritt zur EU verpflichtet, diese Lebensräume zu erhalten und wird dabei durch
spezifische Förderungsprogramme der EU unterstützt. Das Amt der
Niederösterreichischen Landesregierung hat deshalb bei der EU ein LIFE
NATUR Projekt eingereicht, das im Sommer 1998 genehmigt wurde. Mit der
finanziellen Hilfestellung durch die EU können in den nächsten Jahren
umfangreiche Pflegemaßnahmen gesetzt werden.
Wenn es gelingt, die Sanddünen mit ihrer charakteristischen Fauna und Flora
durch gezielte Pflegemaßnahmen langfristig zu erhalten, gewinnen wir nicht nur
ökologisch wertvolle Bereiche. Die Sanddünen zählen zu den schönsten
Landschaften unserer Kulturlandschaft. Schon 1873 meinte Wessely über
Sanddünen im pannonischen Raum: „Fürwahr, wäre die Kunde von diesem
merkwürdigen Flek Erde über den Kreis der dortigen Hirten hinaus gedrungen,
Naturforscher wie Touristen würden schon längst Wallfahrten dahin
veranstalten.“
Literatur:
WIESBAUER, H. & K. MAZZUCCO (1997): Dünen in Niederösterreich.
Ökologie und Kulturgeschichte eines bemerkenswerten Landschaftselementes.
Fachbericht den NÖ Landschaftsfonds Nr. 6/97. St. Pölten.
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