Hörfunk – Bildungsprogramm

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Karl-Heinz Wellmann
WISSENSWERT
Von der Rückkehr der Mikroben
Zum 50. Todestag von Alexander Fleming
Von Eva Maria Siefert
Sendung: 11.03.2005, 8:40 bis 8:55 Uhr, hr2
Wiederholung: 04.01.2006, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
05-029
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Wissenswert – Die Rückkehr der Mikroben 1
Zum 50. Todestag von Alexander Fleming
MRSA - diese vier Buchstaben haben sich zu einem Schrecken der Krankenhausärzte entwickelt. MRSA ist eine Abkürzung und steht für: methicillinresistente
Staphylokokken. Methicillin ist ein bereits hoch entwickeltes Antibiotikum, gegen das
die Bakterien widerstandsfähig geworden sind, es kann ihnen nichts mehr anhaben.
Kein Problem, könnte man denken, es gibt ja noch über zwei Dutzend andere
Antibiotika. Aber auch die sind meist keine wirksame Hilfe mehr, denn MRSA
bedeutet auch: die Bakterien sind widerstandsfähig geworden gegen praktisch alle
chemisch ähnlichen Wirkstoffe, weshalb man von multiresistenten Keimen spricht.
Vor allem in Krankenhäusern breiten sich diese resistenten Bakterien aus, sagt
Professor Heiko Geiss. Er ist Leiter der Mikrobiologie an der Universität Heidelberg
und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.
O-Ton 1 Geiss, Take 81:
Wenn man die Zahlen aus dem Robert-Koch-Institut zu Grunde legt, dann haben wir
in Deutschland die Situation, dass inzwischen jeder Fünfte bis Zehnte Staphylokokkus aureus, den wir bei Patienten im Krankenhaus isolieren, diese Multiresistenz
besitzt.
Besonders bedrohlich sind Infektionen mit resistenten Bakterien für schwer kranke
Patienten auf der Intensivstation. Ihr eigenes Abwehrsystem ist stark geschwächt,
die Bakterien können sich ungehindert im ganzen Körper ausbreiten. Allein in
Großbritannien sind MRSA-Infektionen die Ursache für 5000 Todesfälle pro Jahr,
1000 sind es in Kanada, in Deutschland werden Jahr für Jahr 250 tödliche
Infektionen registriert. Experten vermuten aber, dass nicht alle Fälle gemeldet
werden, die Zahlen also noch viel größer sind. Und die Staphylokokken sind längst
nicht die einzigen Bakterien, gegen die Antibiotika nicht mehr wirken: Resistente
Keime finden sich bei jeder zweiten Salmonelleninfektion und bei zwei Drittel der
Atemwegsinfektionen. Und aus Osteuropa werden Tuberkulosebakterien
eingeschleppt, gegen die es fast kein Mittel mehr gibt.
Es sterben also wieder Menschen an scheinbar banalen Infektionen. Dabei hatte
man seit den 1940er-Jahren geglaubt, die Bakterien ein für alle mal besiegt zu
haben. Im September 1928 entdeckte der britische Bakterienforscher Alexander
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Fleming das Penicillin. Eher zufällig, erzählt Professor Christoph Friedrich. Er ist der
Leiter des Instituts für Geschichte der Pharmazie an der Universität Marburg.
Fleming galt unter seinen Kollegen als nachlässig, immer standen auf seinem
Arbeitsplatz Bakterienkulturen in irgendwelchen Nährlösungen herum.
O-Ton 2 Friedrich, Take 74:
Er hat sich eigentlich mit Staphylokokken-Kulturen beschäftigt, und hat auch dort
eine Kulturschale relativ lange stehen lassen, und hat sie dann eines Tages wieder in
Augenschein genommen, und hat fest gestellt, dass ein Schimmelpilz sich
ausgebreitet hat, und in der Nähe des Schimmelpilzes sich dann die Bakterien nicht
mehr ausbreiten konnten und nicht mehr wachsen konnten.
Penicillium notatum: So heißt dieser Pilz. Beobachtet hatten das Phänomen wohl
schon viele Forscher, aber Fleming ging der Sache nach und kam immer zum
gleichen Ergebnis: Der Pilz verhindert das Wachstum der Bakterien. Er veröffentlichte seine Forschungsergebnisse sofort, deutete auch eine Nutzung als Medikament
an, doch leider ließ Fleming aus nicht nachvollziehbaren Gründen seine
Penicillin-Forschungen wieder fallen. Erst 1938 interessierten sich die Briten Howard
Walter Florey und Ernst Boris Chain für das Penicillin. 1941 verabreichten sie es dem
ersten Patienten.
O-Ton 3 Friedrich, Take 86:
Das war ein Polizist, der an einer schweren Blutvergiftung litt, und der schon
aufgegeben war. Der bekam das Penicillin, das Florey isoliert hatte, und es trat sofort
eine Besserung ein nach wenigen Stunden, das Fieber sank, und dann ist der
Polizist dann aber doch nach wenigen Tagen gestorben, weil nicht genügend
Penicillin vorhanden war.
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Das Problem war die Herstellung größerer Mengen des Penicillins. Es gelang
schließlich den Forschern in den USA, gewöhnlicher Mais erwies sich als ideales
Nährmedium.
O-Ton 4 Friedrich, Take 86:
Man brauchte große Gefäße, wo die Kulturen dann hinein kamen, zunächst hat man
...Badewannen genommen, große, richtige Badewannen, in denen dann diese
Kulturen schwammen. Und dann hat man sich natürlich nachher dann der
Brauereitechnologie bedient.
Filmmusik aus “der Dritte Mann” leise einspielen und bis O-Ton 5 ausklingen lassen
Penicillin blieb knapp, bevorzugt erhielten es nordamerikanische und britische
Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Ende des Krieges blühte dann der
Schwarzmarkt mit dem lebensrettenden Medikament. Ein ideales Geschäft für
schmierige Schieber wie Harry Lime in Graham Greene´s Roman “Der dritte Mann”:
Zitator:
“Stufe drei trat ein, sobald die Organisatoren zu der Überzeugung gelangten, dass
die Profite nicht groß genug waren. Eines Tages würde es möglich sein, Penicillin auf
ganz legalem Weg zu erhalten, also wollten sie mehr und schneller Geld machen, so
lange die Gelegenheit günstig war. Sie gingen dazu über, das Penicillin mit
gefärbtem Wasser zu verdünnen, und, im Fall von kristallisiertem Penicillin, Sand
beizumengen.”
O-Ton 5 Friedrich, Take 92+90+92:
Bis also die Versorgung in Deutschland wirklich flächendeckend war, YYY mussten
die 50er Jahre beginnen.... die weiteren Antibiotika sind dann relativ schnell entdeckt
worden. Schon 1943 durch Waxman dann das Streptomycin, dann Chloramphenicol
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1947, Erythromycin 1952 und 1955 das erste Cephalosporin... also man kann dann
schon sagen, in den 60er Jahren hatte man schon ein relativ breites Sortiment.
Bakterielle Infektionen verloren nun ihren Schrecken, weil man beinahe jährlich ein
neues, wirksames Antibiotikum entdeckte. Forscher und Mediziner feierten schon
den Sieg des Menschen über die Einzeller. Professor Heiko Geiss.
O-Ton 6 Geiss, Take 42:
Es ging sogar so weit, dass 1960 der oberste Arzt der amerikanischen Regierung
gesagt hat, wir können das Buch über die Infektionskrankheiten schließen. Das hat
er in einem Bericht vor dem Kongress gesagt, und die Wirklichkeit hat den guten
Kollegen sehr schnell überholt. Die Wirklichkeit zeigt, dass wir immer mehr mit
neuen, Bakterien, neuen Infektionskrankheiten, oder mit alten Bakterien, die nun
plötzlich nicht mehr gegen Antibiotika empfindlich sind, zu kämpfen haben.
Die Mikroben sind also zurückgekehrt, oder genauer: Sie waren nie wirklich ganz
weg, aber der Kampf gegen todbringende Bakterien ist nun zu einem Rennen von
Hase und Igel geworden: immer wenn die Forscher ein neues Medikament
entdecken, finden die Bakterien nach kurzer Zeit eine Abwehrstrategie. Wir haben
die scheinbar so primitiven Einzeller schlicht unterschätzt.
O-Ton 7 Geiss, Take 49:
Bakterien können sich innerhalb von 20-30 Minuten verdoppeln. Und wenn sie jetzt
einfach nur mal ausrechnen, dass ein Darmbakterium, ein E. coli, sich das unendlich
verdoppeln würde, dann hätten wir innerhalb von 4-5 Tagen etwa aus diesem einen
Bakterium, die Gesamtmasse des Universums erreicht. ...D.h. wenn sich ein
Bakterium vermehrt, ...verdoppelt sich auch sein genetisches Spektrum. Es kommt
bei dieser Verdopplung dieses Chromosoms zu Fehlablesungen, zu Mutationen, und
wenn nun eine solche Mutation sich als günstig für das Bakterium erweist, setzt sich
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diese Mutation durch. Und auf diese Weise kann z.B. auch eine Antibiotika-Resistenz
entstehen.
Und weil sich die Bakterien so schnell vermehren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass
sich schon nach ein oder zwei Tagen durch eine spontane Mutation eine Antibiotikaresistenz ausbildet. Zudem können Bakterien größere Teile ihrer Erbanlagen
untereinander austauschen, auch auf Bakterien einer anderen Art – auch
Antibiotika-Resistenzen können so rasch weitergegeben werden. Aber immer
weniger Arzneimittelhersteller forschen noch überhaupt in diesem Bereich, bedauert
Matthias Frosch. Er ist der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und
Mikrobiologie und leitet die Mikrobiologie an der Universitätsklinik Würzburg.
O-Ton 8 Frosch, Take 63:
Für die pharmazeutische Industrie ist das dann aber nur ein sehr enger Markt, das ist
eine Substanz, die, wenn sie richtig gut ist, nur einige wenige Tage eingenommen
werden muss, und damit kann man auch nicht viel Geld verdienen.
Um die Bakterien abzutöten, greifen die unterschiedlichen Antibiotika in verschiedene Phasen des Bakterienwachstums ein: einige hemmen den Aufbau der Zellwand,
andere die bakterielle Eiweißproduktion oder die Verdopplung der Erbsubstanz bei
der Zellteilung, und wieder andere stören die Durchlässigkeit der Zellmembran.
Kombiniert man Antibiotika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, dann wird die
Therapie effektiver.
O-Ton 9 Frosch, Take 10:
Leider ist es aber in vielen Fällen auch so, dass sehr ungezielt und ohne Nachdenken Substanzen verabreicht werden, so nach dem Motto: viel hilft viel, und dann
werden Substanzen eingesetzt, die gar nicht geeignet sind für einen Erreger,
manchmal bemüht man sich gar nicht, diesen ursächlichen Erreger überhaupt zu
identifizieren, und denkt, na ja, da gehe ich halt mit meiner ganzen Batterie, das was
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ich für die Therapie verfügbar hab, schon dran, irgend etwas wird schon helfen.
Aber das ist genau die Situation, wo wiederum resistente Keime entstehen können.
Die dramatische Zunahme resistenter Bakterien ist also ein hausgemachtes
Problem. Verursacher sind Ärzte, die allzu schnell und ungezielt Antibiotika
verordnen, aber auch wir Patienten sind da nicht unschuldig, sagt der Heidelberger
Mikrobiologe Heiko Geiss.
O-Ton 10 Geiss, Take 94:
bei Kindern ist das typische Beispiel: ...ein Kind bekommt Scharlach, und Scharlach
geht einher mit hohem Fieber. Die Mutter hat Angst, mein Kind hat Fieber, es braucht
Antibiotika. Der Kinderarzt verschreibt Penicillin und sagt, muss über 10 Tage
genommen werden. Nach 2 Tagen ist das Fieber weg, da neigt natürlich die Mutter
dazu zu sagen, Fieber weg, Kind gesund, brauche ich kein Antibiotikum mehr. Aber
das ist natürlich ein großer Irrtum.
Denn auch dann noch tummeln sich in dem scheinbar wieder gesunden Kind noch
genügend Bakterien, die den ersten Angriff des Antibiotikums unbeschadet
überstanden haben, weil sie dank einer Mutation bereits einen ersten Abwehrmechanismus gegen das Antibiotikum gefunden hatten. Würde man das Antibiotikum
wie vorgeschrieben noch ein paar Tage länger einnehmen, stiege die Wahrscheinlichkeit, auch diese Bakterien zu eliminieren und ihre beginnende Resistenz mit
ihnen.
Die Reihe resistenter Bakterien ließe sich beliebig fortsetzen, das größte Problem in
Deutschland aber sind die multiresistenten Staphylokokken. Ein wirklich neues
Problem sind sie nicht, sagt der Bakterienexperte Heiko Geiss.
O-Ton 11 Geiss, Take 52:
1941 wurde der erste Patient ...mit Penicillin behandelt.....
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Bereits ein Jahr später wurde in einer englischen Fachzeitschrift der erste
Staphylokokkus aureus-Stamm beschrieben, der gegen dieses Penicillin resistent
war. 1959 hat dann die Wissenschaft das erste sogenannte penicillinasefeste
Penicillin auf den Markt gebracht, bereits ein Jahr später wurden die ersten
Methicillin-resistenten Staphylokokkus aureus, die wir heute als MRSA kennen,
beschrieben.
Atmo: Hintergrundatmo aus Intensivstation unterlegen bis O-Ton
Die gefährlichen Eitererreger finden sich vor allem auf den Intensivstationen von
Krankenhäusern. Nach Operationen oder nach schweren Verletzungen liegt das
körpereigene Abwehrsystem am Boden, erklärt Dr. Roswitha Füssle, sie ist
Mikrobiologin an der Universitätsklinik Gießen. Beispielsweise werden viele
Patienten auf einer Intensivstation künstlich beatmet.
O-Ton 12 Füssle, Take 15:
Der kann nicht mehr abhusten, der kann alles, was jetzt von außen in ihn hinein
gerät, was er einatmet, nicht mehr los werden. Und das ist ja ein ganz entscheidender mechanischer Faktor, um Keime abzuwehren, das kann er alles nicht mehr. Und
somit ist er dem relativ hilflos ausgeliefert, was da von außen an ihn rankommt. Und
er hat ja auf seiner ganzen Haut, Schleimhäuten eine ganze Fülle von Bakterien, die
normalerweise gesund für ihn sind, die aber, wenn er so stark vorgeschädigt ist
durch seine Erkrankung, plötzlich jetzt zuschlagen können, obwohl sie sonst nicht
pathogen für ihn sind. Und so müssen die gar nicht vom Krankenhaus an ihn heran
getragen werden, das gibt es natürlich auch, Übertragung von anderen Patienten,
oder vom Personal auf Patienten, aber primär in etwa 2/3 der Fälle ist bei den
Intensivpatienten, spricht man von einer endogenen Infektion, weil die ausgeht von
der körpereigenen Flora der Patienten, die jetzt plötzlich zu einer pathogenen Flora
werden kann, wenn seine eigenen Abwehrmechanismen mechanischer oder
immunologischer Art nicht mehr richtig funktionieren.
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Nur wenn die Antibiotika maßvoll und gezielt genutzt werden, kann man hoffen, auch
künftig die Angriffe der Einzeller zu überleben. Bakterien sind Millionen Jahre älter
als der Mensch, ausrotten lassen sie sich nicht. Wir können nur versuchen, sie in
Schach zu halten.
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